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Nochmal

Das neue Bähnlein war eingeweiht worden. Ein wenig steif waren die geladnen Gäste beim Festmahl gesessen, währenddem die offiziellen Reden plätscherten. Als aber der siebente Redner sein Weinglas schwang: »Und in diesem Sinne, meine Herren –«, klang von der Straße her ein Posthorn: »Muß i denn, muß i denn zum Städtle naus …«, und mit einem Male waren die Gesichter aus dem harten Leim gegangen.

»Meiner Seel«, sagte der Bezirksamtmann, »das ist der alte Postmichl.«

»Er macht seine letzte Kutschfahrt«, sagte der Bürgermeister, »die nächste macht die Bahn.«

»Es lebe der Fortschritt!« sagte der Regierungsrat.

»In diesem Sinne, meine Herren –«, hub's vom Rednerpulte wieder an. Keiner hörte drauf. Jeder hörte nur das Posthorn: »Wenn i komm, wenn i komm, wenn i wiedrum komm …«

»Er kommt nimmer«, sagte der Sternwirt, »aus is's. Morgen geht er in Pension, der alte Michl.«

Und dann liefen sie mitten »in diesem Sinne« an die Saalfenster und schauten wehmütig der alten Zeit nach, die dort, umkränzt und Fahnen halbmast, in die Grube fuhr. »Zur Grube« hieß der Poststall, wo der alte Michl wohnte.

»Das Neue in Ehrn, aber schad' is's«, sagte der Sternwirt.

»Das Alte in Ehren, aber Fortschritt muß sein«, sagte der Regierungsrat.

Der Lehrer hatte das Fenster aufgeklirrt und das Glas erhoben: »Runter vom Bock, Michl, her mit dir, stoß an!«

Langsam kletterte der Alte vom Kutscherthron. Er lachte nicht. Ernst hob er das dargereichte Glas: »Prost, die neue Bahn!«

Soviel Überwindung stieß sie aus dem Festtagsgleise: »Eigentlich hatten wir die Bahn noch gar nicht nötig«, sagte der Lehrer.

»Ein paar Jahre wäre es noch mit dem Postillon gegangen«, räumte der Bürgermeister ein.

»Der Deifi soll s' holn, die Bahn, mit deiner Kutschen fahr i morgn in d' Stadt!« schrie der Sternwirt.

»Ausgeschlossen«, sagte der Bezirksamtmann bedauernd und schaute nach der Uhr, »die Karriolpost hat um 3 Uhr 35 ihre letzte Fahrt getan.«

»Man kann net wissen, Michl, gelt?« blinzelte der Sternwirt.

Der alte Postillon gab keine Antwort. Er schaute leer ins leere Glas. Man füllte es. Er trank's mechanisch aus. Lachend goß die Kellnerin aufs neue.

»Wie viele Leute mag der Michl schon gefahren haben?« sagte der Lehrer.

»Die Fahrscheinstatistik weist die Ziffer 31 457 Fahrgäste aus«, sagte der Postsekretär. – »Einunddreißigtausendvierhundertsiebenundfünfzig«, murmelten sie im Kreise.

Der alte Postillon warf den Kopf zurück. Die staubige Landstraße sah er hinauf. Der Zug der 31 457 Menschen, welche er gefahren, schlängelte sich die Landstraße herab. Sie schritten an ihm vorüber, einer um den andern. Er nickte ernst und grüßte einen um den andern.

Die am Fenster sahn sich an: Den alten Michl hat's, lang wird er's nicht mehr machen in Pension. Um ihn zu trösten, sprachen sie ihm zu:

»Und nicht einmal in den fünfundvierzig Jahren hat er umgeschmissen, bravo, Michl!«

»Möchte nicht wissen, wie viele Unfälle sich in den nächsten fünfundvierzig Jahren auf der neuen Bahn ereignen werden.«

»Sooft ich in des Michls Kutsche schaute, immer waren drin die Leute fröhlich – denkt euch: Einunddreißigtausendvierhundertsiebenundfünfzig vergnügte Leute!«

»Möchte nicht wissen, wieviel murksige Menschen unsere neue Bahn befördern wird.«

»Wenn man's genau betrachtet: ›Glück ist der Fortschritt keines‹!«

»Man kann verstehen, daß in England die ersten Maschinen zerschlagen wurden.«

»Freilich, was will man machen – prost, Michl, prost!«

Der Alte trank sein fünftes oder sechstes Glas. Gesprochen hatte er nichts. Die Deichsel des abgeschirrten Wagens sah er aus dem Hoftor ragen. Vom Stallfenster herüber glastete ihn ein Roßkopf an. »Herrgott«, murmelte er selbstvergessen, »einmal wenn i no fahrn kunnt!« Und ging.

Betroffen sahen sie ihm aus dem Festsaal nach.

»Soll man –?« hub der Lehrer an.

»Soll man nicht? –« sagte der Sekretär.

»Ausgeschlossen!« sagte der Bezirksamtmann.

In dieser Nacht schüttelte es den alten Michl. Er war fällig. Wenn einer fällig ist, lockt ihn die Pension nicht mehr. Sie ist nicht mehr wesentlich für einen guten Abschluß.

»Einmal wenn i no fahrn kunnt«, murmelte der Michl, als es ihn im Traume hin und her warf, »in England ham s' d' Maschinen selbigsmal derschlagn – derschlagn – derschlagn …«

Er war auf einmal angezogen. Er tappte ins Maschinenhaus. Es war leer. Die Turbine war ausgeschaltet. Die Dynamo stand still. Es fiel ihm ein Streik ein, wo man die Dynamo unbrauchbar gemacht hatte. Er ging zum Fluß hinab. Die hohlen Hände füllte er mit Sand. Den schmiß er unter die elektrischen Schleifbürsten.

Dann schlich er heim. Der Engel des Herrn stand vor ihm.

»Michl«, sagte er, »bist du bereit?«

»Einmal wenn i no fahrn kunnt.«

Der Engel des Herrn ging.

Dann lange nichts.

Tumult vor seinem Fenster: »Michl, Michl!«

»Was gibt's?«

»Fahrn mußt no amal, d' Maschin is hin!«

»Woaß scho –«

Stille. Dann Gemurmel: »Er weiß schon, er hat es schon gewußt …«

Die Türe wurde aufgerissen. Der Bezirksamtmann stand da: »Daß Sie es schon wußten, beweist uns, daß –«

»Die Dynamo hat er verhunzt!« ballte sich dahinter eine Ingenieurfaust.

»Michl, Michl, warum hast du das getan?« stand nun auch der Bürgermeister da.

»I hab' mir denkt – ihr selm habt's gsagt … fahrn möcht' i no amal, nur noch einmal, bittschön.«

Der Lehrer trat heran: »Fünfundvierzig Jahre fährst du deine Postkutsche, was war vorher da?«

»A – a Leiterwagn, dem Botenpeter sei Leiterwagn.«

»Und vor dem Leiterwagen?«

»Nix – halt, die Wabn war da, die Bötin.«

»Glaubst du, Michl, daß die Bötin ein Rad am Leiterwagen ruiniert hat?«

»I – i glaab net.«

»Und daß der Botenpeter deine Kutsche hingemacht hat?«

»I – i woaß net.«

»Schäm dich, Michl –«

Er hatte den Kopf gesenkt: »Grad oamal wenn i no fahrn hätt' könna –«

»Kannst, Michl, kannst«, sagte der Landgendarm, »ins Zuchthaus.«

Da riß es den alten Postmichl im Bett nach der andren Seite. Der Engel des Herrn stand wieder da:

»Michl«, sagte er, »bist du bereit?«

»Na, na, naa, ins Zuchthaus muß i!«

Der Engel lächelte: »Du hast geträumt. Was vergangen ist, läßt sich mit keinem Nochmal halten. Du bist vergangen, Michl, komm mit mir …«


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