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Die Erfindung

Ich könnte die Erfindung nennen. Sie umfunkt heute die Welt.

Aber ich nenne die Erfindung nicht. Die Geschichte könnte sonst dazu beitragen, wieder einmal Nationen aneinanderzuhetzen. Nicht um Nationen handelt sich's. Es handelt sich um Geist.

Die Geschichte selbst ist rasch erzählt: Einer machte die Erfindung. Nicht die Erfindung ihn. Denn er war ein Idealist. Es genügte ihm zu wissen: Das gelang mir.

Er beschrieb auch die Entdeckung. Mit einer krausen Zeichnung. Und mit Worten, die noch krauser waren. Wie es oft Entdecker machen, die Entdeckungen verkünden und verbergen wollen. Verkäufern gleich, die ihr Bestes hinters Ladenfenster stellen und zu gleicher Zeit die Ladentür versperren, weil sie sich von ihrem Besten nicht trennen können. An die Klinke hängen sie ein Schild: Wegen Taufe oder Todesfall geschlossen. Jede Entdeckung ist ein Todesfall des Alten und vom Neuen eine Taufe.

Die Beschreibung ward gedruckt, versandt, gelesen und bespöttelt: »Schullehrer scheinen immer noch zu viel Zeit für anderes zu haben.« Dann vergaß man's. Billiges Exportspielzeug – Püppchen, Bleisoldaten – wurde in die Blätter eingewickelt.

Wanderte übers Weltmeer. Väter wickelten am Weihnachtsabend die Geschenke aus. Einer Bleisoldaten für den Jungen. Einer einen Puppenkopf für seine Tochter.

Damit ist der Wert von Vätern für den Weihnachtsabend nahezu erschöpft. Auch zum Singen sind sie nicht zu brauchen. Sie setzen sich in eine Ecke, gähnen, streichen Einwickelpapier glatt und fangen an zu lesen, stutzen, lesen wieder, rennen in ihr Arbeitszimmer, sind imstande, auf den Weihnachtstruthahn, den die andern vorne schmausen, zu vergessen, und –

Am ersten Werktag nach den Feiertagen rennt ein Mensch durch eine Straße. Durch eine andre Straße rennt ein zweiter. Am Patentamt auf der großen Treppe stoßen sie zusammen. Jeder hat es eilig. Aber jeder ist auch gut erzogen.

Jeder macht verbindlich eine Handbewegung vor der Türe: »Nach Ihnen, bitte.« – »Nein, nach Ihnen, bitte.«

Komplimente hin und Komplimente her. Ein Beamter fährt den einen an: »Sie wünschen?«

Das entscheidet's. Der Angefahrene rollt eine Rolle auf mit Zeichnung und Beschrieb. Der Nichtangefahrene muß warten. Eine volle Stunde muß er warten.

Eine volle Stunde liegt zwischen den beiden Patentanmeldungen und –

»Jetzt der nächste«, sagte der Beamte hinterm Schalter. Auch dem Nächsten rollt sich eine Rolle auf mit Zeichnung und Beschrieb. Der Beamte lächelt: »Bedaure sehr, soeben angemeldet …«

Der Angelächelte erntet Spott, der Angefahrene Millionen Dollar, Macht und Ruhm. In den Lesebüchern aller Schulen steht sein Name als Erfinder einer Großtat, die noch heute ihre Siegeszüge um die Erde nicht vollendet hat.

Vom wirklichen Erfinder wissen diese Lesebücher nichts.

Mangelnde Gerechtigkeit und schlechte Voraussicht Gottes?

Wie aber, wenn es Gott um die Erfindung, nicht um die Erfinder – oder was sich so benennt – zu tun gewesen wäre?


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