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Die Flaschenmaschine

Morgen kommt sie«, sagte der Flaschenbläser Martin. Und alle wußten, was er meinte. – »Warum lassen wir uns das gefallen?« sagte der Bläser Dresemann. – »Ich habe schon gekündigt«, sagte einer. – »Ich auch!« – »Ich auch!« – »Ich auch …« ging es durcheinander. – »Das war nicht gescheit«, sagte Dresemann, »so habt ihr nur die Flucht ergriffen vor der – vor der Maschine.« – »Ach was, wir werden Maschinen fürchten! – demonstriert haben wir.« – »Ja, rückwärts demonstriert – es kommt auf eins hinaus.« – »Was hast du denn getan, Dresemann?« – »Ich? Nichts – ich warte.« – »Worauf denn?« – »Auf die Maschine.« – »Und dann?« – »Dann – dann zerschmeiße ich sie.« –

Alle sahen sich um. Nein, sie waren ganz unter sich in der Vesperpause.

»Zerschmeißen, dazu hättest du den Mut?« – »Zerschmeißen, kann man das?« – »Ob man das kann? Ihr redet eben, wie ihr es versteht«, sagte Dresemann polternd, »ich bin der erste nicht. Habt ihr nie davon gehört, wie sie vor vielen Jahren schon die Webmaschinen in England angezündet haben, weil sie ihnen das Brot wegnahmen?« – »Aber die Flaschenmaschine ist aus Eisen; die kannst du nicht anzünden, mein Lieber!« – »Zerschmeißen tu ich sie, habe ich gesagt!« – »Und dann?« sagte die ruhige Stimme des Glasbläsers Martin, der da Flaschen blies, seit die Fabrik gegründet wurde. –

»Dann? Dann ist sie hin«, sagte Dresemann mit starker Stimme. – »Und dann?« – »Frag nicht so. Wenn das Luder hin ist, haben wir doch unsere alte Arbeit wieder.« – »Und wenn sie eine neue Maschine aufstellen, Dresemann?« beharrte Martin. – »Dann zerschmeiße ich sie auch.« – »Und wenn sie dich vorher einstecken, Dresemann?« – »Dann – dann wird sie ein anderer zerschmeißen – nehme ich an – oder nicht?« Er sah herausfordernd im Kreise herum.

Alle sahen sich unsicher an. Nur der alte Martin sagte: »Dresemann, du hast uns vorher die Geschichte mit den verbrannten Webmaschinen nicht fertig erzählt.« – »Was soll's da noch zu erzählen geben?« – »Das noch, Dresemann, daß die verbrannten damals knapp ein Dutzend waren, und daß Hunderttausende klappern.«

»Pst, der Alte kommt.«

Der Werkmeister ging vorbei. »Leute«, sagte er, »fast die Hälfte von euch hat gekündigt? Der Direktor war ganz überrascht. Es ist ihm freilich gar nicht unrecht bei der flauen Zeit – aber behalten hätte er euch doch – hätte auf Lager arbeiten lassen.« – »So? Und die Maschine?« – »Ach die? Da kommen morgen erst die Stücke. Seid ganz ruhig, bevor die richtig läuft, vergeht ein Vierteljahr. Und außerdem – wegen der Maschine wird keiner entlassen – nur für die, die gehen, stellen wir nicht neue Leute ein.«

Ein wenig zähe ging es diesmal an den Wannenofen. Widerborstige Gedanken kreuzten sich. In das Schöpfen und das Blasen wollte noch kein rechter Rhythmus kommen. Endlich stimmte einer das alte Glasbläserlied an. Die ihre Formen bliesen, nahmen den Rhythmus in den Pausen auf, wo sie wieder Atem holten. Die schwermütige Weise strich wie ein Magnet über die Menschen und ihre Arbeit. Schon schwangen sie in einer Richtung. Zwangsläufig fuhren die gewohnten Arbeitsgriffe ineinander. Siegreich drang der Rhythmus durch die Hitzewellen, die aus dem Weißglutmaul der Wanne strahlten. – – –

Am andern Morgen kamen die Maschinenstücke mit der Bahn. Die Glasbläser sangen das Glasbläserlied, als sie hereingeschafft wurden. Einen Augenblick ebbte die Weise ab. Sollten sie ganz aufhören? Aber dann besannen sie sich: Nein, jetzt gerade. Die Stimmen schwollen an. Wie ein Trutzlied klang es. Die Maschine sollte es nur hören. Die Maschine? Aber das war ja gar keine Maschine. Das war ein endloser Zug von Hülsen, Trichtern, Schrauben, Bolzen, Nieten, Stangen, Flanschen, Platten, Scheiben, Rädern, Federn, Röhren. Und das sollte eine Maschine geben? Ein Kuddelmuddel gab es, eine wohlassortierte Eisenwarenhandlung, aber keine Maschine. Höhnisch schnellte der Refrain des Glasbläserlieds gegen die vorbeigeschafften Stücke: Du tust uns nichts, du bist ein Kinderschreck, der niemals arbeiten wird. Die Maschine wurde an der hinteren stillgelegten Wanne aufgestellt. Maurer mauerten das Fundament so tief, daß einer von den Bläsern hinüberschrie: »So ist's recht, nur eingegraben und gleich den Sargdeckel drauf!« – »Ja, den eurigen«, gaben die Maurer zurück.

Dann kamen die Monteure. Sie stutzten, als ihnen das Glasbläserlied entgegenscholl. Gesänge bei Maschinen hatten sie noch nie gehört. Aber da war ja noch keine Maschine. Die maschinenlose Arbeit hatte den Gesang geboren. Wenn die Maschine erst zu rattern anfing, das große Wunderwerk der Flaschenmaschine, die würde den Gesang schon bald zerstampfen.

Aber schön war er doch, der Gesang. Die Monteure blieben stehen. Glas glitzerte und klirrte drin und der Arbeitsfrohsinn stieg daraus. Und dann begaben sie sich an die Aufstellung der Flaschenmaschine. Das war eine mühsame Arbeit. War es doch die erste ihres Geschlechtes. Noch war sie tot. Daß sie leben konnte, sollte sie erst beweisen.

»In Amerika soll es schon eine geben«, sagte einer in der Arbeitspause. – »Wer's glaubt«, sagte Dresemann, »in Amerika läuft jede Maschine erst einmal mit dem Maul.« – »Kann sein«, sagte der Bläser Martin, »kann sein – aber umsonst, denk ich mir, wird unser Flaschensyndikat die zwei Millionen für das deutsche Patent auch nicht gegeben haben!« – »Zwei Millionen – zwei Millionen – zwei Millionen?« ging es durcheinander, »Martin, wo hast du das gelesen?« – »In unserm Fachblatt steht's; mich wundert's, daß ihr es nicht gelesen habt.« – »Wie heißt denn der Erfinder?« – »Owens; ich weiß nicht, wie man's ausspricht – ich meine ›Au-ens‹ hätte ich den Direktor sagen hören.« – »Au? Au ist gut«, sagte Dresemann; »paßt auf, das Au hat eine Vorbedeutung – wenn das Dings da laufen soll, dann heißt es: Au, es geht nicht!«

Alle lachten. Nur der Bläser Martin schüttelte den Kopf.

Nun montierten sie schon die dritte Woche an der Maschine. Etwas war falsch gemacht worden. Es mußte wieder abgetragen werden. »Hallo!« rief man hinüber, »am besten ist, ihr tragt das Ganze ab und fort!« – »Ja, und euch da mit«, setzte ein anderer dazu.

Die Monteure beschwerten sich. Man richtete eine Sperrwand auf. Jetzt war der ganze Raum abgeschlossen. Die Bläser lachten: »Wie eine Falschmünzerbande«, sagte einer, »die bei verschlossenen Türen arbeitet.«

Das Wort erhielt sich. »Falschmünzer! Falschmünzer!« rief man den Monteuren auf offner Straße nach. Einer kehrte um und rannte nach. Im Feierabend-Zwielicht meinte er, es sei ein Straßenjunge. Und als er ihn erwischt hatte, schrie er: »Du Lausbub!« und schüttelte ihn. Aber da war es gar kein Straßenjunge, sondern ein Glasbläser. – »Warum heißt ihr uns Falschmünzer?« sagte der Monteur finster und ließ ihn los. – »Weil ihr die Maschine baut.« – »Wir müssen; wir stehn so gut im Lohn wie ihr.« – »Aber eure Maschine treibt uns aus der Arbeit!« – »Dummes Zeug – je mehr Maschinen aufgestellt werden, je mehr Arbeit hat es noch immer gegeben.«. – »Aber diese macht zwölftausend Flaschen im Tag – zwölftausend Flaschen!« – »Seid froh; dann könnt ihr sie bedienen und braucht nicht mehr schwer zu blasen.« – »Wir wollen aber blasen; wir wollen nichts anderes tun.« – »Dann – dann sprecht mit dem Erfinder, der kommt morgen; mich laßt jetzt in Ruhe …«


Am andern Tage kam ein kleiner Mann durch die Türe der Arbeitshütte. Gleich hinter ihm kam der Direktor. Im Augenblick standen die beiden neben dem Podium vor der großen Wanne, wo eine neue Arbeitsschicht begann.

Eben stimmte der Bläser Martin den gewohnten Gesang an. »Wieder so'n Besuch, der hinten und vorn nichts versteht«, flüsterte ein Bläser dem andern zu. Und dann begann die Arbeit mit dem Lied. Sie schöpften und sie sangen, sie trugen und sie sangen, sie drehten und sie sangen, sie schwangen und sie sangen, sie bliesen und sie sangen.

Der Direktor lächelte gesellschaftsmäßig. Der kleine Besucher hielt seinen Kopf gebeugt und neigte ihn ein wenig, als könnte er den Rhythmus in dieser Haltung besser fassen. Auf einmal sah er auf. Voll schaute er den Leuten auf der Arbeitsbühne ins Gesicht. Und dann geschah etwas Seltsames. Das aufgelohte Lied sank zusammen. Dünner, immer dünner wurde es wie eine Kerzenflamme, die verlöscht. Und der, woran das Lied verlöschte, war der kleine Mann bei dem Direktor.

»Der ist's«, flüsterte es zwischen den Handgriffen. – »Wer?« – »Der dort.« – »Was, der kleine Mensch?«

Indessen schaute das Gesicht des kleinen Menschen ruhig durch die Arbeit, durch die Menschen, durch ihr Geflüster. Es war ein weltentrücktes Gesicht. Von großen und kleinen Falten zerrissen und von zwei großen Augen beherrscht. Wenn man in die hineinsah, wurde der ganze Kopf ein Auge. Der ganze Mensch da sah aus wie ein großes Auge, das unbekümmert in die Feme sieht.

Die Arbeit oben stockte.

»Wir wollen weitergehen«, sagte der Direktor verbindlich.

Wortlos sahen die Arbeitsleute dem wandelnden Auge nach. Jetzt verschwand es hinter der Mauer, die den Montageraum trennte.

»Das war er«, ging es rundum. Und dann nahmen sie ihre Arbeit wieder auf. Aber das Singen vergaßen sie. Dagegen sahen sie immer wieder nach der Türe der Trennungsmauer. Dort mußte das große Auge doch wieder herauskommen, dachten sie.

Aber das große Auge kam nicht heraus. Der Direktor kam und ging. Die Monteure kamen und gingen. Aber das große Auge sahen die Glasarbeiter nicht. – Die Feierstunde kam. Es strömte nach den Türen. Leer wurde die Fabrik. Als letzter ging der Direktor. Zurück blieb das große Auge hinter der Mauer. Man hatte ihm Essen hereingestellt. Er arbeitete die ganze Nacht an seinem Werk.

Und so am andern Tag. Und so die nächste Nacht. Drei Tage und drei Nächte blieb er drin. Vielleicht daß er des Nachts ein paar Stunden auf einer Decke neben seinem Werke schlief. Und als er am vierten Tage wieder zum Vorschein kam, sah er aus wie immer: Ein großes Auge.

Die Glasarbeiter konnten sehen, wie der Direktor lange auf ihn einsprach. Aber der Mann mit dem großen Auge machte nur eine Handbewegung: »Sie wird gehen«, sagte die Bewegung.

Und dann reiste das große Auge ab nach Amerika.


Am nächsten Tage war die monatliche Kündigungsfrist verstrichen. In einer Reihe standen sie vor dem Büro am Schalter und nahmen ihren letzten Lohn. Der Werkmeister ging vorüber und zuckte mit den Achseln: »Habt's selbst gewollt.« Ihr Weg ins Freie ging nochmals durch den Arbeitsraum. Die Trennungsmauer vor der hinteren Wanne war niedergelegt. Die Flaschenmaschine stand da. Mit einem dicken Pfeiler stieg sie aus der Erde und blies einen ungeheuren Körper auf. Rundum gleißte es an ihm von Apparaten. Wie ein riesenhafter Patronengürtel ging es um ihren Leib.

Wenn einer sie von oben ansah, war sie ein gewaltiges Facettenauge, das geduldig auf die Decke starrte und darauf harrte, daß ein Kraftnerv es belebte. Das Auge des Erfinders, auf die Welt von Eisen projektiert – das war dieses Werk.

Die entlassenen Arbeiter gingen in einer dünnen Reihe vorüber. Scheu blickten sie hinüber zu dem eisernen Facettenauge und sagten nichts und gingen schneller. Jetzt war der letzte aus der Türe.

»Fort mit Schaden«, brummte Dresemann hinter ihnen her, »wollten auftrumpfen und sind doch nichts als Feiglinge.« – »Sag das nicht«, kam des Bläsers Martin tiefe Stimme, »es könnte dir auch mal so ergehen!« – »Mir? Nicht bevor ich dieses Ding zerschmissen habe!« »Halt das Maul, Phantast!« –

Vom Direktionsbüro kam der Werkmeister: »Wir blasen wieder zwei Wannen nieder«, sagte er »ihr verteilt euch auf die übrigen.«

Da ging der Glasbläser Martin auf den Werkführer zu und fragte ihn laut: »Ist das wahr, wenn sie einmal geht, dann werden alle Wannen bis auf die von der Maschine abgeblasen?« – »Wer hat das gesagt, Martin?« – »Niemand. Aber ich kann mir zur Not doch selbst einen Vers auf etwas machen. Zwölftausend Flaschen liefert sie im Tag, steht in unserm Blatt, und zwölftausend Flaschen täglich, Herr Werkmeister, sind mehr als wie wir jetzt –« – »Stimmt. Aber von euch wird keiner entlassen. Ins Lager sind ein paar gegangen, im Versand brauchen wir dann einige Neue – es wird schon, Leute – nur nicht aufgeregt – und außerdem: sie geht noch nicht.« – »Und wird auch niemals gehen!« sagte Dresemann schnell und verbissen.

Aufmerksam schaute ihn der Werkführer an: »So«, sagte er, »das weißt du so genau, Dresemann?«

Dresemann brummte etwas Unverständliches und ging an seine Arbeit.


Es hatte sich herumgesprochen: Morgen sollte die Maschine gehen. Als es der Werkführer hörte, sagte er: »Nein, es ist nur ein Teilversuch.« –

»Das sagen sie immer«, flüsterte Dresemann nachher seinen Kameraden zu, »für den Fall, daß es nicht geht, haha. Wozu hätten sie denn sonst die alte Wanne dabei anblasen lassen, wenn es nur ein Teilversuch sein soll?«

Die Monteure wurden aufgeregt. Sie schmierten und sie ölten. Sie zogen Schrauben an, schlüpften in das innere Gefüge und gingen um das Ungeheuer wie um einen Gott, den sie um eine Gabe anflehten. Die Ingenieure standen in einer Gruppe beisammen, stützten das Kinn in die Hand, nickten, zogen Augenbrauen hoch und besprachen sich leise.

Der Werkmeister kam hinter der Wanne hervorgelaufen und machte ein Zeichen: »Die Flußmasse in der Ofenwand hat jetzt die richtige Temperatur«, hieß das.

Der Direktor ging mit kurzen erregten Schritten zu einem Ingenieur und schien ihn um etwas zu bitten. »Gewiß«, sagte der Ingenieur laut und zeigte auf einen elektrischen Hebel. – Und wie jetzt der Direktor auf den Hebel drücken wollte, war ein großen Schweigen in der Arbeitshalle. Die Ingenieure unterhielten sich nicht mehr. Die Monteure standen still in einer Reihe. Die Arbeiter an der nächsten Wanne im Betrieb hatten das Glasbläserlied abgebrochen. Der Augenblick schlug ihnen für eine Weile die Arbeit aus der Hand. Auf den Zehenspitzen standen sie und schauten herüber.

Des Direktors Hand zitterte nervös. Dann drückte sie den Hebel fast zaghaft.

Jetzt sollte die riesige Arbeitsmaschine durch den Strom getrieben werden. Die ganze Fabrik hielt den Atem an. Nur die Glasmasse, die weißerhitzte, in der Wanne brauste wie aus weiter Ferne.

Eine Sekunde verstrich – zwei – drei – Die Maschine rührte sich nicht. Die Röte stieg den Monteuren und Ingenieuren ins Gesicht. Verlegene Augen glitzerten einander an. Von drüben kam ein unterdrücktes höhnisches Gelächter. Ein Schwirren von Stimmen wollte anheben. Da ging der erste Ingenieur heftig auf den großen Hebel zu und schlug ihn stark. Er rückte noch ein wenig. Der Direktor hatte ihn vorhin nicht kräftig genug angepackt.

Und mit dem letzten Ruck des Hebels erhob sich ein Stöhnen aus der Maschine. Das schnitt die angeknüpften Gespräche mitten durch. Das wischte das Hohngelächter von der Wanne drüben aus der Halle. Das rückte jedes Rückgrat grade. Das hob alle Köpfe. Das ließ Stimmen klingen, Augen voll Erwartung sprühen.

Nur sekundenlang ging dieses Stöhnen durch die schweigsame Halle. Dann fing es an zu rattem und zu knattern. Wie ein Schützenfeuer war es. Wie eine Schlacht, in der es auf den letzten Angriff ging. Und die große Maschine siegte in der Schlacht.

Ein Tumult erhob sich unter den Zuschauern.

»Hurra!« schrien einige. »Hoch!« die andern.

Man drängte sich durcheinander. Man drückte sich die Hände. Unverständliche Ausrufe. Hin und her lief der Direktor. Jetzt drückte er einem Monteur die Hand, dann einem Ingenieur. Auf ein Haar hätte er den ersten Ingenieur umarmt, den er gerade vorher, als die Maschine zu versagen schien, mit seinen Augen fast gefressen hätte.

Dann sah der Direktor, daß alle, alle Arbeiter in der großen Halle ihre Arbeitsstätte verlassen hatten, herbeigelaufen kamen – wie eine dreifache, vierfache Kreismauer umstanden sie die Maschine und fuchtelten mit den Händen und sprachen aufeinander ein in einer wilden Art, daß man das Rattern der Maschine kaum noch hören konnte.

Aber auf einmal siegte die Maschine wieder über den Menschenlärm. – Indem sie alle Augen magnetisch auf ihre Wunder zog, verschloß sie allen Leuten ihren Mund. Und nun herrschte die Maschine unumschränkt. Gebannt standen die vielen Menschen und schauten und schauten. Staunten, wie das ratternde Maschinenungeheuer in die glühende Schmelzmasse griff und, soviel sie nötig hatte, automatisch daraus ansog. Staunten, wie die angesogene Masse in einer Vorform verschwand. Staunten, wie sich die Masse in der Vorform selber hohl blies. Staunten, wie die vorgeblasene Form in einer Sekunde wieder von der richtigen Form aufgefangen wurde, um in der nächsten Sekunde als fertige Flasche in einen Behälter zu fallen. Trapp, eine Flasche – trapp, die zweite – trapp, die dritte – trapp, die vierte …

Das eiserne Facettenauge drehte sich und drehte sich. Die fertigen Flaschen wurden aufgeschichtet. Es wuchs die Schicht und wuchs – und noch immer standen sie herum, mächtig ergriffen, und konnten die Augen nicht von diesem Wunderwerke wenden …

Gleichmütig sah das gedrehte Auge auf zur Decke. War da droben nicht eine Luke? Licht drang herein. Licht von der gleichen Sonne, die drüben in Amerika das Auge des Erfinders und hier die wunderbare Apparatur des Maschinenungeheuers blitzen machte.


Es war Abend. Die Gruppen hatten sich losgerissen von dem zauberhaften Eisenauge. Langsam gingen sie auseinander.

»Zwölftausend Flaschen auf den Tag?« murmelte der Direktor, »wir werden unsere Dividende erhöhen können.«

»Zwölftausend Flaschen auf den Tag?« murmelte der Werkmeister. »Ich werde meinen Leuten morgen sagen können, daß sie leichtere Arbeit bekommen, ohne daß der Lohn herabgesetzt wird.«

»Zwölftausend Flaschen auf den Tag?« murmelte zur selben Zeit im andern Erdteil der Erfinder, und sein großes Auge beugte sich über eine Zeichnung, »zwölftausend nur? Es müssen zwanzigtausend werden …«


Die Maschine ging jetzt schon den dritten Tag, die dritte Nacht. Die Menschen dienten ihr, und den Menschen diente sie. Aber noch war keine Gewöhnung über die Menschen in der Arbeitshalle gekommen. Noch immer gingen sie an der ratternden Maschine vorbei, wie man an einem Altar vorübergeht.

Da war es in der Nacht, daß der alte Glasbläser Martin die Gasleitung nachprüfte, die von der besonderen Generatorenanlage an das Facettenauge führte. Daß diese Hitzezufuhr richtig arbeitete, das war jetzt des alten Glasbläsers Verantwortung.

»Das war die letzte Schwierigkeit bei der Erfindung«, hatte ihm der Ingenieur bei der Instruktion gesagt, »wenn die verschiedenen Formen nicht alle auf ein Zehntel der Sekunde richtig erwärmt werden – soviel jetzt und soviel jetzt – so springen alle Flaschen. Daran allein hat der Erfinder zwei Jahre herumstudiert. Vergessen Sie nicht, Mann, von Ihrem Dienste hängt es ab, ob die Flaschen etwas taugen oder nicht.«

Das hatte ihm der Ingenieur gesagt. Und er, der alte Glasbläser, hatte genickt dazu.

Vor drei Tagen war das, dachte er, und sah die Leitung nach und die Ventile …

So – das war in Ordnung. Die nächste halbe Stunde war jetzt frei. Eine Weile hatten sie die Maschine stillgelegt. Sie mußte etwas kühlen. Derweil verschnaufte sich der Diener der Maschine draußen vor der Halle.

Sollte er auch hinausgehen? Aber da besann er sich und setzte sich in eine Nische. Von dort sah er still auf die ruhende Maschine. Nein, sie hatte ihm sein Brot nicht genommen. Er bekam den gleichen Lohn und hatte weniger mühevolle Arbeit. Aber was hatte sie ihm denn dann genommen? Die alte Arbeit? Ja, das war wahr: die alte Arbeit, an die er jahrelang seine Kraft gesetzt, die sein Leben schon ein halbes Menschenalter füllte – die hatte ihm die Maschine wohl genommen. »Geh weg, das mach jetzt ich!« hatte sie gesagt. Das war schon hart für ihn. Eine Arbeit, mit der man ordentlich verwuchs, der sieht man nur mit einem dunklen Auge nach, wenn sie ein anderer uns aus der Hand nimmt. Aber ließ sich nicht auch so eine Maschine liebgewinnen, der man diente? Jetzt noch nicht, jetzt war sie noch zu ungeheuer. Aber mit der Zeit würde er sie schon bewältigen mit einer treuen Bedienung, wie sie ihn bewältigt hatte …

Plötzlich wurde der Alte in seinem Denken unterbrochen. Wer kam dort herangeschlichen? Mit einer Büchse in der Hand und einem Stemmeisen? War das nicht der – der Dresemann? Und der Alte sah, wie der Mensch sich vorsichtig an die Maschine heranmachte, sah Sand in der Büchse und Steine. – Ah, die wollte der in das Getriebe schmeißen? Und dann sah er zitternd weiter, wie der sein langes Stemmeisen prüfte. – Aha, mit diesem wollte der einen Teil des Gefüges brechen?

Langsam stand der alte Martin auf.

Jetzt hatte er dort vorne noch neugierig an einem Ventil herumgefingert – und jetzt, jetzt machte er die Klappe an einer Röhre auf – Herrgott, die Klappe an der Röhre, durch die das Brenngas strich!

Und während die eine Hand die feste Klappe löste, machte die andere mit der Sandbüchse einen Schwung in das Getriebe der Maschine. –

»Halt!« wollte der alte Martin rufen.

Aber ihm zuvor kam eine blaue Flamme, die jetzt mit Druck aus der Röhre fauchte, dem da drüben grad ins Gesicht. Und als der alte Martin herbeigesprungen war, sah er, daß die Maschine ihn zu ihrer Rettung nicht mehr nötig hatte. Da am Boden lag einer und schrie fürchterlich und hatte die Hände vor dem verbrannten Gesicht.

Die Maschine hatte ihn gezeichnet.


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