George Meredith
Richard Feverel
George Meredith

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Siebenunddreißigstes Kapitel.

Mrs. Berry über die Ehe.

Seht wie der Held sich einschifft, eine verirrte, schöne Frau zu retten!

»Ach, ich kann die Sage von der Schlange nicht los werden, je mehr ich auch darüber nachdenke,« so schreibt zu derselben Zeit der Pilger an Lady Blandish. »Hat sie nicht Euch Frauen alle ergriffen und zu vorderst in ihre Reihen gestellt? Denn sehen Sie: so lange die Frau nicht erschaffen war, hingen die Früchte unbeweglich an den Zweigen. Sie neigten sich über uns, glänzend und kalt. Die Hand, die sie pflückte, mußte begehrlich sein. Sie kamen nicht zu uns herab und lächelten nicht und sprachen nicht unsere Sprache und errieten nicht unsere Gedanken, und wußten nicht, wann sie uns fliehen und wann sie uns folgen mußten und wie sie uns am sichersten in ihre Gewalt bringen konnten!

Beobachten Sie es nur, wenn eine Ihres Geschlechtes offen auf den Wegen der Schlange wandelt. Was soll 504 mit ihr geschehen? Ich fürchte, die Welt ist weiser, als ihre Richter! ›Wendet Euch von ihr fort,‹ sagt die Welt. Am Tage tun es die Söhne der Welt. Es wird dunkel und sie tanzen zusammen dem Abgrund entgegen. Dann kommt einer von den Auserwählten der Welt und hält die alte Klugheit für teuflisch, und hält Gleichgültigkeit gegen die Folgen des Bösen für schlimmer als das Verfolgen des Bösen. Er kommt und will die Frau erretten. Vom tiefsten Verderben will er sie zum höchsten Segen erheben. Ist das nicht allein schon ein Köder? Der arme Fisch! Es schmeichelt ihm so sehr. Die Schlange hat die Frau so umhüllt, um ihn sicher zu machen! Mit langsamen, schweren Schritten zieht er sie ans Licht: sie klammert sich an ihn, sie ist menschlich, sie ist zum Teil sein Werk; und er liebt sein Werk. Während sie aufwärts steigen, sieht er mehr und mehr nach ihr hin, während sie vielleicht aufwärts blickt. Was hat ihn erfaßt? Was ist aus ihr heraus und in ihn übergegangen? Unten lacht die Schlange. Und an den Toren der Sonne fallen sie beide!«

Dieser halb poetische Erguß war geschrieben worden, ohne ein Gefühl von der Gefahr, die Prophezeiungen hervorruft.

Es paßte Sir Austin, so zu schreiben. Er machte so seiner Bitterkeit Luft und milderte sie durch Philosophie. Der Brief war die Antwort auf eine stürmische Bitte der Lady Blandish, zu Richard zu kommen und ihm ganz und gar zu vergeben. Richards Tun war in dem Briefe nicht erwähnt.

»Er versucht mehr zu sein, als er ist,« dachte die Dame und fing unbewußt an, ihn für weniger zu halten, als er war.

Der Baron hatte ein gewisses, falsches Gefühl der Befriedigung über seines Sohnes augenscheinlichen 505 Gehorsam gegen seine Wünsche und seine vollkommene Unterwerfung; ein Gefühl der Befriedigung, auf das er ein Recht zu haben meinte, ohne es sich näher zu erklären oder sich Rechenschaft darüber abzulegen. Die Nachricht, daß Richard wartete und immer wieder wartete, Richards Briefe, sein stummes Ausharren und die Reue, die sein Benehmen bewies, bestätigten seine Ansichten von der menschlichen Natur genügend und hielten den Strom boshafter Aphorismen aus. Er konnte, wie wir gesehen haben, mit Kummer von dieser unserer schwachen Natur sprechen, als deren Verteidiger er einst aufgetreten war. »Aber wie lange wird es dauern?« fragte er mit der Miene seines Bruders Hippias. Er dachte nicht darüber nach, wie lange es schon gedauert hatte. Ja, die Unmöglichkeit, seinen Zorn zu verdauen, hatte ihn zu einem moralischen Dyspeptiker gemacht.

Es war nicht nur Gehorsam, was Richard von den Armen seiner jungen Frau fern hielt: auch war es nicht dieses neue ritterliche Unternehmen, das er plante. Soviel er auch vom Helden an sich hatte, so sehr seine Jugend auch den ungesunden Einflüsterungen des heißen Blutes zugänglich war, er war kein Narr. Er hatte mit Mrs. Doria von seiner Mutter gesprochen. Nun, da er sich von seinem Vater losgerissen hatte, sprach sein Herz für sie. Sie lebte, das wußte er: mehr wußte er nicht. Worte, die sich peinlich nur bis zur Grenze einer offenen Aussprache heranwagten, waren ihm zu Ohren gekommen und hatten ihn mit düsteren Vorstellungen erfüllt. Wenn er an sie dachte, stieg ihm die Schamröte in die Wangen, obgleich er nicht hätte sagen können, weshalb. Aber jetzt, nachdem er das Benehmen seines Vaters zu prüfen versucht und ihn als ein schreckliches Rätsel beiseite geschoben hatte, bat er Mrs. Doria, ihm von seiner Mutter zu erzählen. Sie erzählte ihm die Geschichte so liebevoll, wie 506 es ihr möglich war. Für sie war die Schande überwunden: sie konnte über die arme Frau weinen. Richard vergoß keine Tränen. Schande dieser Art bleibt für einen Sohn unvergänglich, und wie er erzogen war, brannte die Erzählung wie glühendes Feuer in seinem Gehirn. Er beschloß sie aufzusuchen und sie von dem Manne zu trennen. Hier war eine Arbeit, die auf ihn wartete. Lucy war alles recht, was ihr lieber Mann tat. Sie redete ihm zu, um dieser Aufgabe willen noch länger zu bleiben und hoffte, daß noch andere Zwecke dadurch gefördert werden könnten. Tom Bakewell war da und würde über Lucy wachen: er hatte jetzt seine Aufgabe zu erfüllen. Ob sein Vater damit einverstanden sein würde, das überlegte Richard nicht. Und ob Gerechtigkeit in seinem Handeln lag, darüber wollen wir uns nicht auslassen.

Auf Ripton fiel die bescheidene Aufgabe, Sandys Wohnplatz ausfindig zu machen; und da ihm der Name, den der Dichter jetzt im Privatleben führte, nicht bekannt war, waren seine Bemühungen nicht gleich von Erfolg gekrönt. Die Freunde trafen sich am Abend in Lady Blandishs Stadthaus oder bei den Foreys, wo Mrs. Doria Ripton als treuen Konservativen freundlich aufnahm. Mitleid, tiefes Mitleid mit Richards Benehmen sah Ripton in Mrs. Dorias Ausdruck. Algernon Feverel behandelte seinen Neffen mit einem gewissen rauhen Mitgefühl, wie einen jungen Burschen, der vom rechten Wege abgekommen ist.

Mitleid lag auch in Lady Blandishs Augen, aber es stammte aus einer andern Quelle. Sie hegte Zweifel, ob sie recht daran täte, seines Vaters unklugen Plan zu unterstützen – denn noch nahm sie an, daß er nach einem Plane handele. Sie sah den jungen Ehemann zu einer kritischen Zeit von Gefahren umgeben. Man hatte ihr kein Wort von Mrs. Mount erzählt, aber die Dame kannte 507 das Leben. Sie wies in ihren Briefen an den Baron in zarter Weise darauf hin, und er verstand sie gut genug. »Wenn er diese Person, an die er sich gefesselt hat, liebt, was brauchen wir dann zu fürchten? Oder sind Sie dahin gekommen, seine Zuneigung für etwas zu halten, was den Namen Liebe trägt, weil wir die richtige Bezeichnung zu verschleiern haben?« So antwortete er, von der Ferne, aus den Bergen. Sie gab sich Mühe, deutlicher zu sprechen. Schließlich schrieb er, daß er sich die Freude versage, seinen Sohn wiederzusehen, weil er ausdrücklich wünsche, daß er eine Zeitlang grade die Probe bestände, die die Dame für ihn zu fürchten scheine. Das war beinahe zu viel für Lady Blandish. Der tugendhafte Waisenknabe erschien jetzt in so erhabener Ruhe, sie sah ihn halb entblößt in allen seinen Gliedern und Gelenken – es war eine schwere Prüfung für ihr treues Herz.

Wenn Richard abends nach Hause ging, lachte er über die Gesichter, die man über seine Heirat machte. »Und wir werden doch den Sieg davon tragen, Rip, meine Lucy und ich! oder ich werde ihn allein gewinnen – und dazu tun, was noch getan werden muß.«

Er machte eine leichte Anspielung darauf, daß bei Frauen ein Mangel an Mut natürlich wäre, was Ripton so auffaßte, als ob man seiner Schönheit diese Eigenschaft absprechen wollte. Dagegen erhob sie der »Treue Hund«: »Ich bin überzeugt, Richard, daß niemals ein mutigeres Geschöpf auf der Erde gelebt hat! Sie ist so tapfer wie sie lieblich ist, darauf könnte ich schwören! Besinne dich doch, wie sie sich an dem Tage benommen hat! Wie ihre Stimme klang! Sie zitterte . . . ob sie tapfer ist? Sie würde dir in die Schlacht folgen, Richard!«

Und Richard erwiderte: »Sprich weiter, lieber, alter Rip! Sie ist mein geliebter Schatz, was sie auch sonst sein mag! Und sie ist herrlich schön. Es gibt keine Augen, 508 die so schön sind wie die ihren. Morgen früh fahre ich zu ihr.«

Ripton wunderte sich nur, daß der Besitzer eines solchen Schatzes ihm fern bleiben konnte. Und Richard dachte auch eine Weile so.

»Aber wenn ich gehe, Rip,« sagte er niedergeschlagen, »selbst wenn ich nur für einen Tag gehe, werde ich in den Augen meines Vaters mein ganzes Werk vernichtet haben. Sie sagt das selbst – du hast es in ihrem letzten Briefe gelesen.«

»Ja,« stimmte Ripton ein, und die Worte: »Grüße den lieben Mr. Thompson« zitterten noch in dem Herzen des treuen Hundes.

Es traf sich, daß Mrs. Berry, als sie auf einem Geschäftsgang durch die Gärten von Kensington kam, eine Gestalt erspähte, die sie einstmals in langen Kleidern auf dem Arme gewiegt hatte und der sie dazu verholfen hatte, zum Manne zu werden, wenn je eine Frau das von sich sagen kann. Er wanderte unter den Bäumen neben einer Dame und sprach mit ihr und nicht in gleichgültigem Tone. Der Herr war ihr junger Ehemann, ihr liebes Kindchen. »Ich erkenne ihn an seinem Rücken,« sagte Mrs. Berry, als ob sie ihm in der Kindheit einen Stempel aufgebrannt hätte. Die Dame aber war nicht die junge Frau. Mrs. Berry trat von dem Weg herunter und ging links von der Seite um sie herum; sie starrte sie an, zog sich wieder zurück und kam dann noch einmal von der rechten Seite. Es war etwas in dem Gesicht der Dame, was Mrs. Berry nicht gefiel. Sie fragte sich innerlich: warum ging er nicht neben seiner eignen Frau? Sie blieb vor ihnen stehen. Sie traten auseinander und gingen um sie herum. Die Dame lachte und machte eine Bemerkung, worauf er sich umsah, und da machte Mrs. Berry einen Knix. Sie mußte noch ein zweites Mal knixen, und dann erkannte 509 er das ehrwürdige Wesen und begrüßte sie als Penelope und schüttelte ihr so kräftig die Hand, daß sie ihre Fassung wiedergewann. Mrs. Berry war sehr aufgeregt. Er trennte sich von ihr und versprach ihr, sie am Abend zu besuchen. Sie hörte, wie die Dame eine halblaute Bemerkung machte und beide lachten, und da schwankte sie nach dem nächsten schützenden Baume, um sich aus jedem Auge eine Träne zu wischen. »Mir gefällt das Aussehen der Frau nicht,« sagte sie und wiederholte es noch einmal mit Nachdruck.

»Warum geht er nicht untergefaßt mit ihr,« war ihre nächste Frage. »Wo ist seine Frau?« folgte dann. Nach mehreren solchen Fragen kam sie schließlich dahin, die Dame ein frech aussehendes Ding zu nennen, und fügte noch hinzu: schamlos. Das Benehmen der Dame hatte Mrs. Berry augenscheinlich zu verstehen gegeben, daß sie sie los werden wollte, und hatte das Ausströmen ihrer Gefühle an dem Herzen ihres Kindes verhindert. »Ich kann eine Dame schon erkennen, wenn ich eine sehe,« sagte Mrs. Berry. »Ich hab' nicht umsonst mit ihnen zusammen gelebt; und wenn das eine war, die als Dame geboren und erzogen ist, dann bin ich nicht lebendig in der Kirche getraut worden.« Wenn sie aber keine Dame war, was war sie dann? Das wünschte Mrs. Berry zu wissen. »Sie ist eine nachgemachte Dame, ich bin ganz sicher!« schwor Mrs. Berry. »Ich sage, sie sieht nicht anständig aus.«

Wenn die Dame aber nun ein unechter Artikel wäre, was sollte man dann von einem verheirateten Manne denken, der mit so einer zusammen war? »Aber nein, das ist es nicht!« Mrs. Berry kam gleich wieder zu milderen Ansichten zurück. »Vielleicht hat einer von seinen Bekannten sie wegen ihrer Schönheit geheiratet, und er hat sie grade getroffen . . . Ja, denn sonst wäre er ja 510 eben so schlimm wie mein Berry!« rief die im Stich gelassene Gattin Berrys aus und war entsetzt in dem Gedanken, daß ein zweiter Mann so ungeheuer schlecht sein könnte. »Und noch dazu grade erst verheiratet!« Mrs. Berry stöhnte, wenn ihr wieder die verdächtige Seite der Frage einfiel. »Und solch ein süßes, junges Ding zur Frau! Aber nein, ich will es nicht glauben. Nicht, wenn er es mir selbst sagte! Und das tun die Männer nicht,« jammerte sie vor sich hin.

Frauen kommen in diesen Dingen schnell zum Entschluß, gutmütige Frauen besonders schnell, und gutmütige Frauen, die selbst betrogen wurden, über alle Maßen schnell. Mrs. Berry hatte nicht lang nachgedacht, ehe sie deutlich und ohne einen Schatten von Zweifel zu sich sagte: »Meine Meinung ist – verheiratet oder nicht verheiratet und wo er sie auch immer aufgesammelt haben mag – sie ist nicht mehr oder weniger als eine Bella Donna!« und als diese giftige Pflanze trug sie die Dame in dem botanischen Notizbuch ihres Gehirnes ein. Mrs. Mount würde erstaunt gewesen sein, wenn sie gewußt hätte, wie richtig ihre Person auf den ersten Blick erkannt worden war.

Am Abend erfüllte Richard sein Versprechen, und Ripton begleitete ihn. Mrs. Berry öffnete ihnen die Türe. Sie konnte nicht warten, bis sie im Wohnzimmer waren. »Sie sind mein einziges, geliebtes Kind und ich bin beinahe ebenso wie Ihre Mutter – obgleich ich Sie nicht genährt habe, denn ich war damals ein Mädchen!« rief sie und fiel ihm um den Hals, während Richard sein Bestes tat, um die unerwartete Last zu stützen. Dann machte sie ihm zärtlich Vorwürfe, daß er sie betrogen habe – wobei Ripton kicherte, da er das für seinen eignen höchst ehrenvollen Anteil an dem Komplott hielt – und dann führte Mrs. Berry sie in das Wohnzimmer und erklärte Richard, 511 wer sie wäre und wie sie ihn gewiegt und in ihren Armen gehabt und über und über geküßt hätte, als er noch so klein war, wobei sie ihren kurzen dicken Arm zeigte. »Ich hab' Sie vom Kopf bis zu den Füßen geküßt,« sagte Mrs. Berry, »und Sie brauchen sich deshalb nicht zu schämen. Wir wollen hoffen, daß Ihnen niemals was Schlimmeres passiert, mein Lieber!«

Richard erklärte ihr, daß er sich deswegen durchaus nicht schäme, ermahnte sie aber, es jetzt nicht mehr zu tun, und Mrs. Berry meinte, davon könne jetzt gar keine Rede mehr sein, und besonders nicht, da er doch nun eine Frau habe. Die jungen Männer lachten, und da Ripton besonders laut lachte, wandte sich Mrs. Berrys Aufmerksamkeit ihm zu, und sie sagte: »Aber der Mr. Ripton da – wie kann der mir überhaupt noch ins Gesicht sehen, nach all seiner Harmlosigkeit! hat auch noch geholfen, eine alte Frau in die Irre zu führen! – obgleich ich nicht traurig bin, daß ich es getan habe – ich bin so frei, es zu sagen, und nun ist's vorüber, und sie mögen alle glücklich werden! Amen! Aber wo ist sie jetzt, und wie geht es ihr, Mr. Richard, mein Lieber – man braucht nur das S wegzulassen, und dann ist es so wie es war. – Warum haben Sie sie nicht mitgebracht zu Ihrer alten Berry?«

Richard beeilte sich, ihr mitzuteilen, daß Lucy noch auf der Insel Wight wäre.

»Ach, und Sie haben sie für ein oder zwei Tage verlassen?« sagte Mrs. Berry.

»Guter Gott! ich wünschte es wären nur ein oder zwei Tage!« rief Richard.

»Ach! und wie lange ist es denn?« fragte Mrs. Berry, und bei seiner Art zu reden fing ihr Herz an heftig zu schlagen.

»Sprechen Sie nicht davon,« sagte Richard.

»Sie haben sich doch nicht etwa schon gezankt? Sie haben sich doch nicht etwa schon mit andern eingelassen?« rief Mrs. Berry.

Ripton legte sich dazwischen, um ihr zu sagen, daß eine solche Furcht ganz unbegründet sei.

»Wie lange sind Sie denn schon getrennt?«

Mit schuldbewußter Miene stotterte Ripton: »Seit September.«

»September!« rief Mrs. Berry und zählte an den Fingern. »September, Oktober, Nov– zwei Monate und noch länger! beinahe drei! Ein jung verheirateter Mann fort von der Frau seines Herzens beinahe drei Monate! Oh, je! Oh, je! was soll das bedeuten!«

»Mein Vater hat nach mir geschickt – ich warte hier darauf, ihn wiederzusehen,« sagte Richard. Noch einige Worte mehr, und Mrs. Berry fing an, die Lage der Dinge zu begreifen. Dann strich sie ihr Kleid glatt, legte ihre Hände flach auf den Schoß, sah ihn fest an und sagte:

»Mein lieber junger Herr! – Ich möchte Sie lieber mein geliebtes Kindchen nennen! Ich werde wie eine Mutter zu Ihnen sprechen, ob Sie es nun gerne sehen oder nicht; und was die alte Berry zu Ihnen sagt, wird Ihnen nichts schaden, denn sie hat Sie auf dem Arm gehabt, als noch keine Förmlichkeiten mit Ihnen nötig waren, und sie hat Gefühle gegen Sie wie eine Mutter, wenn sie auch nur aus einfachem Stande ist. Wenn es eine gibt, die was von der Ehe weiß, dann bin ich es, mein Lieber, obgleich Berry mir nur neun Monate davon zuteil werden ließ: und ich habe die schlimmste Seite der Ehe kennen gelernt, und wenn Sie nicht durch Kummer klug werden wollen, dann hören Sie nur zu. Denn was hab' ich für Vorteil von der Ehe gehabt? Der Mann hat mir nichts gegeben, als seinen Namen, und Bessy Andrews klang ebenso gut wie Bessy Berry, obgleich es zwei B.s sind, und er sagt: du warst A und jetzt bis du B, so bist du mein 513 A. B., sagt er, schreib dir das auf, sagt er, der schlechte Mensch mit seinen Witzen! – Berry ging in den Dienst.« Mrs. Berry wurde gerührt. »So sage ich Ihnen, Berry ging in den Dienst. Er ließ die Frau seines Herzens im Stich und ging in den Dienst; denn er war immer ein ehrgeiziger Mann und war nicht glücklich, wenn er aus seiner Uniform raus war – das war seine Livree – nicht mal in meinen Armen: und das ließ er mich auch wissen. Dann kam er unter die Küchenmägde, und damit war meine Trauer besorgt, und ich bekam Schlimmeres als eine Witwenhaube, was keine Schande ist, und manche sagen sogar, es steht. Kein Mann, der je gelebt hat, hat es besser verstanden, seine Beine zur Schau zu stellen als mein Berry, und danach sehen die Mädchen. Ich wunder' mich jetzt nicht, daß Berry zu Fall kam. Seine Versuchungen waren groß und sein Fleisch war schwach. Was ich nun sage, ist – für einen jung Verheirateten, wer er auch immer sein mag – von der Frau seines Herzens getrennt zu sein – so ein junges, süßes Ding, und er ein unschuldiger, junger Herr! – und so aus einander in ihrem Zustand, und so von einander fern gehalten, das sage ich, ist so schlecht, wie nur was schlecht sein kann! Denn was ist die Ehe, meine Lieben? Man lehrt uns, es ist eine heilige Einrichtung. Und warum fühlen Sie sich so behaglich in der Ehe? Weil Sie da nicht sündigen! Und die Leute, die Sie trennen, die versuchen Sie zur Sünde: und zu spät lernen Sie die Bedeutung von dem Segen des Pfarrers verstehen – wie es von der Kirche verordnet ist. Sich trennen – was kommt dabei heraus? Zuerst ist es, als wenn die Zirkulation des Blutes gestört sei – alles geht verkehrt, dann kommen Mißverständnisse – Sie haben beide den Schlüssel verloren. Dann, sehen Sie, kommen Raubvögel, die über beiden schweben, und es ist nur die Frage, wer zuerst 514 aufgeschnappt werden wird. Dann – Ach, Gott! Ach, Gott! dann ist es, als ob der Teufel wieder in die Welt gekommen wäre.« Mrs. Berry schlug die Hände zusammen und seufzte. »Einen Tag will ich zugestehen; ich will sogar bis zu einer Wochen gehen, aber das ist das äußerste. Drei Monate allein leben! Das ist nicht Ehe, das ist Ehescheidung. Was kann es für sie anders sein, als Witwenschaft? Witwenschaft und keine Haube, es anzuzeigen! Und was kann es für Sie sein, mein Lieber? Denken Sie mal nach! Sie sind drei Monate ein Junggeselle gewesen! Und ein Junggeselle,« Mrs. Berry schüttelte den Kopf mit einem traurigen Gesicht, »der ist doch nicht wie 'ne Witwe. Ich will nicht so weit gehen und Sie mit Berry vergleichen, mein lieber, junger Herr. Von manchen Männern werden die Herzen als Vagabunden geboren – sie müssen sich rumtreiben – das ist so ihre Natur. Aber alle Männer bleiben Männer, und ich kenne sie von Grund aus durch meine traurige Erfahrung.«

Mrs. Berry hielt inne. Richard zeigte mit Humor die nötige Achtung vor der Predigt. Die Wahrheit in der Rede des guten Geschöpfes ließ sich nicht bestreiten oder verachten, trotz der komischen Art, in der sie sie vorbrachte und die ihn zum lachen reizte. Ripton nickte zustimmend bei jedem Satze, denn er sah, wo sie hinaus wollte, und wünschte, ihr beizustehen.

Um ihre Meinung noch deutlicher zu machen, suchte sie nach einem Vergleich und fuhr feierlich fort: »Wir wissen alle, was gehemmter Schweiß ist.« Jetzt konnten die beiden jungen Leute nicht länger widerstehen. Sie brachen in ein lautes Gelächter aus.

»Lachen Sie nur immerzu,« sagte Mrs. Berry. »Das kümmert mich nicht. Ich sage noch einmal, wir wissen alle, was gehemmter Schweiß ist. Er fällt auf die Lungen und macht gefährliche Entzündungen und bringt die 515 Leute ins Grab. Nun sage ich, gehemmte Ehe ist ebenso schlimm. Es fällt aufs Herz und nimmt alle Tugend daraus weg und Sie wären besser tot! Die mal vereinigt sind, deren Heil liegt darin, daß sie nicht getrennt werden! Vorher ist es nicht so wichtig. Der Mr. Thompson da – wenn der sich mal ein bißchen verläuft, dann hat er doch nicht seine geheiligte Hürde verlassen. Er tut sich allein Schaden – nicht doppelten Schaden oder vielleicht dreifachen, denn wer kann sagen, was jetzt schon sein mag? Zeit wäre es schon. Ich bin dafür, junge Leute zurückzuhalten, bis sie wissen, was sie wollen, wenn sie auch noch so viel von ihrem Herzen schwatzen. Ich will die Ehe nicht beschleunigen, und meine Gründe sind gut genug! aber wenn es mal geschehen ist – wenn sie mal gesetzlich verbunden sind, da sage ich das: wer sie voneinander trennt, der macht wandernde Kometen aus ihnen – Geschöpfe, die kein Ziel haben, und keine Seele kann sagen, wozu sie gut sind, als bloß herumzurasen.«

Hier schöpfte Mrs. Berry tief Atem, wie jemand, der für den Augenblick nichts mehr sagen kann.

»Meine liebe, alte Seele,« Richard ging zu ihr und klopfte sie auf die Schulter. »Sie sind eine sehr kluge, alte Frau. Aber Sie müssen nicht so zu mir sprechen, als wenn ich gerne hier bliebe. Ich bin gezwungen. Ich tue es hauptsächlich um ihretwillen.«

»Ist es Ihr Vater, der es tut, mein Lieber?«

»Nun ja! Ich warte auf das, was ihm beliebt.«

»Ein schönes Belieben! Eine Schlange in das Nest junger Turteltauben zu legen! Und warum kommt sie denn nicht her zu Ihnen?«

»Ja, das müssen Sie sie fragen. Tatsache ist, sie ist ein ängstliches kleines Frauchen – sie will, daß ich ihn zuerst allein sehe, und wenn ich alles in Ordnung gebracht habe, dann will sie kommen.«

516 »Ein ängstliches kleines Frauchen!« rief Mrs. Berry. »Ach, du Himmel, was muß sie Ihnen vorgemacht haben, daß Sie das glauben! Sehen Sie mal diesen Ring,« sie streckte ihren Finger aus, »das ist ein fremder; das ist nicht mein rechtmäßiger! Sie wissen, was Sie mir angetan haben, mein Lieber. Konnte ich meinen eignen Trauring von ihr zurückbekommen? ›Nein,‹ sagt sie, fest wie ein Fels, ›er sagt, mit diesem Ring vermähle ich dich mir‹ – ich denk', ich seh' sie noch wie heute, mit ihren hübschen Augen und schönen Locken – ein Liebling! – Und den Ring behält sie, ob Leben oder Tod daraus kommt. Und sie mußte wie ein Fels sein, daß ich darin nachgegeben habe. Denn was folgt daraus? Hier bin ich,« Mrs. Berry strich traurig über den Rücken ihrer Hand, »hier bin ich nun mit einem fremden Ringe, was so ist, als ob ein fremder Mann mich festhielte, und ich trag' ihn nur, damit es anständig aussieht, und die ganze Zeit komme ich mir nicht besser vor als eine Biga – eine Biga – ich kann das häßliche Wort nicht ausstehen! – Ich sag' Ihnen, mein Lieber, die ist nicht sanftmütig, nein! – nur für den Mann ihres Herzens, und die besten Frauen sind darin zu sanftmütig – sehr zu unserm Schaden.«

»Ja wohl, ja wohl,« sagte Richard, der doch meinte, besser Bescheid zu wissen.

»Ich stimme mit Ihnen überein,« fiel Ripton ein. »Mrs. Richard würde alles in der Welt tun, was ihr Mann von ihr verlangt; davon bin ich überzeugt.«

»Gott segne Sie für Ihre gute Meinung, Mr. Thompson! Ja, sehen Sie! Die steht nicht schwach auf ihren Füßen; die sieht Ihnen grade in die Augen, die ist keine von den kopfhängerischen Fräuleins. Sehen Sie doch bloß, wie sie sich bei der Trauung benommen hat.«

»Ach,« seufzte Ripton.

517 »Und wenn Sie gehört hätten, wie sie zu mir über den Ring sprach! Verlassen Sie sich darauf, mein lieber Mr. Richard, wenn sie Ihnen was über ihren Mut vorgemacht hat, dann war da etwas, was sie meinte, um Ihretwillen tun zu müssen, und ich wünschte, ich wäre da gewesen, um ihr zu raten, dem armem lieben Kind! Und wie viel länger können Sie nun noch fortbleiben von dem Liebling?«

Richard schritt im Zimmer auf und ab.

»Eines Vaters Willen ist des Sohnes Gesetz,« sagte Mrs. Berry, »aber es muß nicht gegen das Gesetz seiner Natur gehen, es zu tun.«

»Hören Sie, bitte, auf – sprechen Sie von andern Dingen, seien Sie gut,« sagte Richard.

Mrs. Berry faltete sanftmütig ihre Hände.

»Wie seltsam ist doch unser Zusammenkommen! ja, daß wir uns überhaupt getroffen haben!« bemerkte sie nachdenklich. »Das sind die Annoncen! Die bringen die Leute zusammen, von allen Enden der Erde zum Guten und zum Bösen! Ich sage immer, es kommen mehr glückliche Zufälle vor, aber auch unglückliche, seit Annoncen Mode geworden sind, als jemals früher. Sie machen viele romantische Geschichten, darauf können Sie sich verlassen! Gehen Sie oft hier in den Gärten spazieren?«

»Dann und wann,« sagte Richard.

»Sehr hübsch ist es da, mit den ausgeputzten Menschen und den Blumen, und den vornehmen Leuten,« fuhr Mrs. Berry fort. »Das war 'ne hübsche Frau, mit der Sie heut morgen gingen.«

»Sehr hübsch,« sagte Richard.

»Sie war 'ne schöne Frau! oder ich sollte wohl sagen: ist, denn ihre Tage sind noch nicht vorüber, und das weiß sie. Ich dachte zuerst – nach ihrem Rücken – es könnte Ihre Tante sein, Mrs. Forey; denn die schreitet auch 518 so aus und hält die Schultern so hoch: so grade wie ein Pfeil ist sie! Aber als ich ihr Gesicht zu sehen bekam – Ach, du mein Himmel! sage ich zu mir, das ist keine von der Familie. Von denen hat keine so'n dreistes Gesicht – nein, überhaupt keine Dame, die ich kenne, hat das. Aber sie ist eine schöne Frau – dagegen kann niemand was sagen.«

Mrs. Berry sprach noch weiter über die schöne Frau. Sie nahm sich etwas heraus damit, daß sie in dieser nichtachtenden Art von ihr sprach, und war sich auch vollkommen bewußt, daß sie sich einer Zurechtweisung aussetzte. Aber sie verfolgte ein bestimmtes Ziel. Man wies sie nicht zurecht, sie konnte aber bemerken, daß die jungen Leute sich während ihrer Rede verständnisvoll ansahen.

»Hören Sie mal, Penelope,« unterbrach Richard sie schließlich, »wird es Sie beruhigen, wenn ich Ihnen sage, daß ich den Gesetzen meiner Natur gehorchen und Ende der Woche abreisen werde?«

»Ich werde Gott im Himmel danken, wenn Sie es tun,« rief sie.

»Sehr gut! dann seien Sie also glücklich – ich werde es tun. Nun hören Sie mal zu. Ich möchte, daß Sie Ihre Zimmer für mich bereit halten – dieselben Zimmer, die sie hatte. Ich nehme an, daß ich in ein oder zwei Tagen eine Dame herbringen werde –«

»Eine Dame? –« stotterte Mrs. Berry.

»Ja. Eine Dame.«

»Darf ich mir erlauben zu fragen, was für eine Dame?«

»Nein, das dürfen Sie nicht. Noch nicht. Natürlich werden Sie es erfahren.«

Mrs. Berry kurzer Hals machte, so gut er konnte, die Bewegung eines beleidigten Schwanes. Sie war sehr 519 ärgerlich. Sie meinte, sie hätte nicht gerne mit so vielen Damen zu tun, welche ganz natürliche Ansicht Richard damit widerlegte, daß es sich nur um eine Dame handle.

»Und Mrs. Berry,« fügte er mit leiser Stimme hinzu. »Sie werden sie behandeln, wie Sie mein liebes Mädchen behandelt haben, denn sie wird nicht nur Schutz, sondern Freundlichkeit nötig haben. Ich möchte sie lieber bei Ihnen sehen als irgendwo sonst. Sie ist sehr unglücklich gewesen.«

Seine ernste Miene und der ihm natürliche Ton des Befehls fesselten Mrs. Berrys Gutmütigkeit, und erst nachdem er fort war, kam sie zu Wort: »Unglücklich! Er wird mir ein unglückliches weibliches Wesen bringen! Ach! nicht einmal von meinem Kinde kann ich das ertragen. Auf keinen Fall werde ich sie hier behalten! Ich verstehe schon. Das ist die Frau mit dem unverschämten Gesicht, mit der er sich eingelassen hat, und sie hat es fertig gebracht und dem jungen Manne eingeredet, daß er sich einbildet, er wird sie bessern. Das ist so eine ihrer Künste – ja das ist so; und er ist ein viel zu unschuldiger junger Mann, um irgend etwas sonst zu meinen. Aber ich bin kein Haus für Magdalenen – nein! und eher als ich sie hier haben will, eher möchte ich, daß das Dach über mir einfallen sollte, ja wahrhaftig!«

Mit diesem erhabenen Entschluß setzte sie sich zu ihrem Abendbrot.

In der Liebe stand Mrs. Berrys Barmherzigkeit vollständig auf der Seite des Gesetzes, und das ist der Fall bei vielen ihrer Schwestern. Der Pilger verspottet sie deshalb und möchte uns einreden, daß es der bewundernswerte Instinkt der Frauen ist, der auf Kosten aller Tugenden, mit Ausnahme einer einzigen, diese künstliche Schranke nur aufrecht erhält, um uns zu täuschen. Die 520 Männer sind, wie ich annehme, darin kaum die berufenen Richter und sollten nur bei Seite stehen und beobachten.

Früh am nächsten Tage machte sie sich schleunigst auf den Weg nach Richards Hotel, um ihm ihren Entschluß mitzuteilen. Sie fand ihn nicht zu Hause. Auf dem Heimwege durch den Park sah sie ihn zu Pferde neben derselben Dame. Der Anblick dieser öffentlichen Zurschaustellung empörte sie noch mehr, als der verborgene Spaziergang unter den Bäumen. »Du siehst noch gar nicht so aus, als wenn du deiner Besserung nahe wärest,« redete Mrs. Berry sie an. »Du siehst mir gar nicht so aus, als ob du die schöne Büßerin spielen würdest, so lange du nicht aufgehört hast, schön zu sein – wer weiß, ob du es dann noch tun wirst, manche von deiner Sorte tun es überhaupt nicht. Lach' nur und zeige deine Art! Wenn du auch einen noch so schönen Hut und Federn hast und ein Reitkleid, du bist doch eine Bella Donna.« Und nachdem sie diese Erklärung noch einmal mit Nachdruck wiederholt hatte, wenn sie auch nicht recht wußte, was es bedeutete, fühlte sich Mrs. Berry von dem Bewußtsein ihrer Tugend durchglüht.

Am Abend hörte sie, wie ein Wagen vor ihrer Türe hielt. »Noch besser!« Sie sprang von ihrem Stuhl auf und rief aus: »Er kann doch nicht morgens mit ihr ausreiten und dann gehen und sie noch vor Dunkelwerden zur Magdalena machen.«

Eine verschleierte Dame wurde von Richard in das Haus geführt. Mrs. Berry machte einen schwachen Versuch, sich ihm in der Vorhalle in den Weg zu stellen. Er drängte sich an ihr vorbei und führte die Dame in das Wohnzimmer, ohne ein Wort zu sagen. Mrs. Berry folgte ihm nicht. Sie hörte ihn innen einige Worte murmeln. Dann kam er heraus. Es bäumte sich alles 521 in ihr, als sie ihm heftig zuflüsterte: »Mr. Richard! Wenn die Frau hier bleibt, gehe ich fort. Mein Haus ist keine Besserungsanstalt für unglückliche weibliche Wesen –«

Er sah sie erstaunt an; aber da sie anfangen wollte, ihren zornigen Protest noch einmal zu wiederholen, legten er seine Hand auf ihren Mund und sprach Worte in ihr Ohr, welche von schrecklicher Bedeutung für sie waren. Sie zitterte und hauchte leise: »Mein Gott, vergib mir! Lady Feverel ist es? Ihre Mutter, Mr. Richard?« Und ihre stolze Tugend war gedemütigt.

 


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