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Die Oktobersonne schien glänzend auf Richards vierzehnten Geburtstag. Die braunen Buchenwälder und goldenen Birken glühten im hellen Sonnenschein. Wolkenbänke türmten sich Hügeln gleich bewegungslos am Horizont nach Westen zu, wo der Wind schlief. Alles versprach einen großen Tag für Raynham, und ein großer Tag wurde es auch, wenn auch anders als man geplant hatte.
Schon waren Schießbuden und Kricketzelte auf den Wiesen am Flusse aufgeschlagen, und die jungen Burschen von Bursley und Lobourne zogen in Böten und auf Karren fröhlich zu ihnen hin, einem Tag voll Bier und Ehre entgegenjauchzend, an dem sie sich als heldenhafte Briten von neuem miteinander messen und den frischen Lorbeer einander wieder entreißen konnten. Der ganze Park wimmelte schon von Menschen und hallte wieder von festtäglicher Fröhlichkeit. Sir Austin Feverel, obgleich echter Konservativer, war kein Pfleger seines Wildstandes und konnte leutselig sein, sobald es ihm beliebte, was Sir Miles Papworth auf der andern Seite des Flusses, einem knauserigen Liberalen und Schrecken der Wilddiebe, 13 niemals möglich war. Das halbe Dorf Lobourne zog in Scharen durch die Alleen des Parks. Musikanten und Zigeuner lärmten an den Gittern und verlangten eingelassen zu werden, weiße und schiefergraue Kittel, überragt von feierlichen, breitrandigen Hüten, und dann und wann ein scharlachroter Rock, der noch an alte Landgebräuche erinnerte, belebten die Rasenabhänge nach der Wiese zu.
Und unterdessen zog der Stern dieser Festlichkeiten immer weiter und weiter von Raynham fort und verbarg sich in Dunkelheit, sich sowie seinen widerstrebenden Vasallen Ripton, der wiederholt fragte, was sie denn eigentlich vorhätten und wohin sie gingen, und wie spät es schon wäre, und dann meinte, daß die Lobourner Burschen schon nach ihnen rufen und Sir Austin nach ihnen fragen würde, ohne daß seinem Kummer oder seinen Vorstellungen irgend welche Beachtung geschenkt wurde. Denn Richards Vater hatte von ihm verlangt, er solle sich einer ärztlichen Untersuchung unterwerfen, wie ein Knecht, der Soldat werden wollte, und er war sehr zornig.
Er floh, als ob er den Gedanken an diese schmachvolle Forderung entfliehen wollte. Endlich fing er an Ripton seine Gefühle mitzuteilen, und dieser behauptete, nur ein Mädchen würde so denken. Das war eine beleidigende Bemerkung, und nachdem sie sich in dem Verwalterhause ein paar Flinten geborgt und Ripton schlecht geschossen hatte, erinnerte sich Richard daran und nannte seinen Freund einen Narren.
Dieser fühlte, daß ihm die Umstände wunderbar viel Ähnlichkeit mit einem solchen verliehen, daher warf er den Kopf zurück und erwiderte trotzig: »Das bin ich nicht!«
Dieser zornige Widerspruch ärgerte Richard, den Riptons schlechter Schuß und der Verlust der Vögel noch schmerzte, und der der Meinung war, daß er allein der Beleidigte wäre. Er wiederholte daher das 14 verletzende Wort noch einmal und zwar mit stärkerer Betonung.
»Du sollst mich nicht so nennen, ob ich es nun bin oder nicht,« erwiderte Ripton und biß sich auf die Lippen.
Das fing an persönlich zu werden. Richard zog die Augenbrauen in die Höhe und sah den Trotzbietenden einen Augenblick scharf an, dann tat er ihm kund, daß er ihn sicherlich so nennen würde und nicht abgeneigt wäre, es zwanzigmal hintereinander zu tun.
»Versuch es einmal,« erwiderte Ripton, sich auf seinen Füßen wiegend und schnell atmend.
Mit einer Ernsthaftigkeit, deren nur Knaben und ähnliche Barbaren fähig sind, wiederholte Richard die Schmähung wirklich zwanzigmal hintereinander, mit zunehmender Stärke, um den Hohn zu vermehren und Eintönigkeit zu vermeiden, während Ripton jedesmal mit dem Kopfe nickte, um der Genauigkeit seines Gefährten gewissermaßen zuzustimmen und seine tiefe Demütigung zu bezeugen. Der Hund, den sie mit hatten, starrte mit einem fragenden Wedeln seines Schwanzes auf diesen außerordentlichen Vorgang.
Zwanzigmal regelrecht und bedächtig wiederholte Richard das verhaßte Wort.
Bei der zwanzigsten feierlichen Wiederholung der Ripton charakterisierenden Bezeichnung versetzte ihm dieser mit dem Handrücken einen kräftigen Schlag auf den Mund und stellte sich dann sofort zum Boxen zurecht; vielleicht tat es ihm leid, als es geschehen war, denn er war ein gutmütiger Junge, und als Richard den Schlag nur mit einer Verbeugung erwiderte, glaubte er zuweit gegangen zu sein. Er kannte den jungen Herrn noch nicht, mit dem er es zu tun hatte. Richard war außerordentlich kaltblütig.
»Wollen wir hier fechten?« sagte er.
15 »Wo es dir paßt,« erwiderte Ripton.
»Etwas tiefer im Walde, denke ich. Wir könnten gestört werden.« Und Richard führte mit höflicher Zurückhaltung, die Riptons Kampfesmut etwas abkühlte. Am Saume des Waldes warf Richard Jacke und Weste ab und erwartete ruhig, daß Ripton dasselbe täte. Dieser war erhitzt und aufgeregt; älter und breiter als Richard, hatte er nicht so kräftige Glieder und war weniger gut gebaut. Die Götter als einzige Zeugen des Kampfes konnten sicher gegen ihn wetten. Richard hatte die weiße Kokarde der Feverels angelegt, und etwas in seinem Aussehen zeigte, daß es harter Arbeit bedürfen würde, seinen Stolz zu vernichten. Seine Augenbrauen, die sich nach den Schläfen zu leicht hoben, waren über der geraden, wohlgebauten Nase fest zusammengezogen; seine großen grauen Augen und offenen Nasenflügel, seine festwurzelnden Füße und ein vornehmer Ausdruck von Ruhe und Wachsamkeit gaben das lebensvolle Bild eines jungen Kämpfers. Was Ripton anbetraf, so war er seiner Sache durchaus nicht sicher, und focht im Stile eines Schuljungen: das heißt, er stürmte mit dem Kopf voran auf seinen Feind los und schlug um sich wie eine Windmühle. Er war ein unbeholfener Junge. Wenn er traf, so fühlte man seinen Schlag, aber der Kunst gegenüber war er hilflos. Wenn man ihn mit zugekniffenen Augen keuchend vorstürzen sah, seine Arme schwenkend, während der fällende Schlag gerade dazwischen traf, dann erkannte man, daß er einen Kampf der Verzweiflung kämpfte und es auch wußte. Denn die fürchterliche Aussicht starrte ihm entgegen, daß er, wenn er nachgab, als das gelten mußte, was er zwanzigmal verleumderisch genannt worden war; und er wollte lieber sterben als nachgeben und seine Windmühlenflügel schwingen, bis er umfiel. Der arme Junge, er fiel häufig. Der tapfere Bursche focht um des Scheines 16 willen und unterlag. Die Götter begünstigen immer nur eine Partei. Prinz Turnus war ein tapferer Jüngling, aber Pallas Athene stand ihm nicht zur Seite. Ripton war ein Prachtjunge, aber er verstand nicht die Kunst des Kampfes. Minerva wandte ihm den Rücken. Er konnte – konnte nicht beweisen, daß er kein Narr sei. Wenn man es recht erwägt, so wählte Ripton den einzig möglichen Weg, und wir alle würden es sehr schwer finden, das Gegenteil auf irgend eine andere Art zu beweisen. Ripton wurde immer wieder das Opfer der unfehlbaren Faust seines Gegners, und es traf zu, was er in kurzen Sätzen hervorkeuchte, daß man ihn so lange wie ein Ei schlagen müßte, wenn er gründlich geschlagen sein sollte, und nur ein glücklicher Zwischenfall rettete ihn davor, in diesen Zustand zu geraten. Die Knaben hörten rufende Stimmen und sahen, wie Mr. Morton von Poer Hall und Austin Wentworth sich ihnen näherten.
Man blies zum Waffenstillstand, die Jacken wurden aufgenommen, die Flinten geschultert, und fort ging es einträchtiglich durch die Tiefen des Waldes, bis dieser, ein halbes Dutzend Felder und noch eine Lärchenpflanzung hinter ihnen lagen.
Als sie anhielten, um Atem zu schöpfen, studierten sie gegenseitig ihre Gesichter. Ripton war sehr entstellt und sah mit seiner natürlichen Kriegsschminke grimmiger aus, als es seinen Gefühlen entsprach. Nichtsdestoweniger stellte er sich auf dem neuen Boden sofort wieder unerschrocken zum Kampfe bereit, und Richard, dessen Zorn nachgelassen hatte, konnte nicht umhin ihn zu fragen, ob er denn wirklich noch nicht genug hätte.
»Niemals,« rief der edle Feind.
»Sieh mal,« sagte Richard, sich an den gesunden Menschenverstand wendend, »ich bin es müde, dich zu Boden 17 zu schlagen. Ich will zugeben, daß du kein Narr bist, wenn du mir die Hand geben willst.«
Ripton zögerte einen Augenblick, um seine Ehre zu Rate zu ziehen, die ihn hieß, die günstige Gelegenheit zu ergreifen.
Er streckte die Hand aus. »Da!« und die Jungen schüttelten sich die Hände und waren dicke Freunde. Ripton hatte seine Sache durchgesetzt, und Richard war im Kampfe entschieden am besten fortgekommen. So standen sie gleich. Beide konnten den Sieg beanspruchen, und das war gut für ihre Freundschaft.
Ripton wusch sich an einem Bach das Gesicht und kühlte sich die Nase und war nun bereit seinem Freunde zu folgen, wohin er ihn auch führen würde. Sie fuhren fort auf Vögel zu pürschen. Diese zeigten sich auf dem Raynhamer Gebiet besonders schlau und wichen wiederholt den Schüssen der jungen Jäger aus, die sich deshalb auf der Suche nach einer dümmeren Sorte bis auf das Gebiet der Nachbarn begaben, in glücklicher Vergessenheit der Gesetze und Bedingungen für das widerrechtliche Betreten fremden Gebietes, auch ohne daran zu denken, daß sie Wilddieberei betrieben in dem Bereich des bekannten Farmers Blaize, des Freihändlers, der unter dem Schutze der Papworth stand und kein Verehrer des Greifs zwischen den Weizenbündeln war; und der doch dazu bestimmt war, mit Richards Schicksal von Anfang bis zu Ende eng verknüpft zu sein. Farmer Blaize haßte Wilddiebe und besonders die jungen, die das Wildern meist aus Unverschämtheit betrieben. Er hörte, wie die kühnen Schützen rechts und links knallten, und ging hin, um sich die Eindringlinge anzusehen, und als er sah, wie klein sie waren, schwur er, er wolle den Herrchen eine Lehre geben, ob sie nun adlig wären oder nicht.
Richard hatte einen wundervollen Fasan 18 heruntergeschossen und triumphierte über seine Beute, als des Farmers gewichtige Gestalt vor ihm auftauchte und mit der rächenden Reitpeitsche knallte.
»Gute Jagd gehabt, meine Herren?« begrüßte er sie ironisch.
»Habe soeben einen famosen Vogel erlegt,« berichtete Richard strahlend.
»So!« Farmer Blaize gab ein warnendes Zeichen mit der Reitgerte. »Lassen Sie mal sehen!«
»Erst ›bitte‹ sagen,« warf Ripton ein, der drohenden Anzeichen gegenüber nicht blind war.
Farmer Blaize warf den Kopf zurück und lachte grimmig.
»Sie soll ich bitten, Herr? Nun, mein Bürschchen, du scheinst dir nicht viel daraus zu machen, wenn du was auf die Nase bekommst. Du siehst schon wie ein alter Wilddieb aus. Ich werde dir sagen, was das heißt.« Er hörte auf zu spotten und kam zur Sache. »Der Vogel gehört mir. Nun gebt ihn mir her und schert euch fort, ihr verdammten jungen Schurken! Ich kenne euch!« Und nun fing er an fürchterlich zu schimpfen und mit Verachtung von den Feverels zu sprechen.
Richard riß die Augen auf.
»Wenn du Prügel haben willst, dann bleibe da stehen,« fuhr der Farmer wütend fort. »Giles Blaize läßt sich keine Frechheiten gefallen.«
»Wir bleiben, wo wir sind,« sagte Richard.
»Gut! dann wirst du es auch kriegen, mein Bursche.« Zur Vorbereitung ergriff Farmer Blaize einen Flügel des Vogels, auf welchen sich beide Jungen verzweiflungsvoll stürzten und den sie auch mit Verlust eines Fittichs wieder eroberten.
»Nur immer zu,« rief der Farmer. »Du sollst die Peitsche schmecken. Ich lasse mir keine Frechheiten 19 gefallen.« Und herab sauste die mächtige Peitsche, geschickt geschwungen. Die Knaben versuchten mit ihm handgemein zu werden. Er hielt sich von ihnen fern und peitschte unbarmherzig drauf los. Blutig waren die Taten des Farmers Blaize an jenem Tage. Die Knaben krümmten sich, so sehr sie sich auch dagegen sträubten. Es war wie das Winden und Beißen einer grausamen Schlange und trieb ihr junges Blut zur Raserei. Wahrscheinlich fühlten sie die Schande, sich krümmen zu müssen, mehr als die Schmerzen, aber auch der Schmerz war heftig, denn der Farmer schlug zu mit geübtem Arm und meinte nicht genug getan zu haben, bis er ganz außer Atem war, und sein rotes Gesicht flammte. Er hielt inne, und der Überrest des Fasans wurde ihm ins Gesicht geschleudert.
»Nimm deinen verfluchten Vogel,« schrie Richard.
»Geld, meine Jungen, und mit Zinsen,« brüllte der Farmer und fing wieder an zu schlagen.
So schmachvoll der Rückzug war, es blieb ihnen kein andrer Ausweg. Sie beschlossen, das Feld zu räumen.
»Hör' mal, du roher Kerl,« Richard schüttelte seine Flinte, heiser vor Leidenschaft. »Ich hätte dich erschossen, wenn ich geladen gehabt hätte, aber kommst du mir in den Weg, du Feigling, wenn ich einen Schuß in der Flinte habe, dann schieße ich.«
Die Art dieser Drohung reizte Farmer Blaize aufs neue, und er nahm die Verfolgung zeitig genug auf, um ihnen noch einige Abschiedshiebe beizubringen, während sie mit prallen Hosen auf neutrales Gebiet entwischten. An der Hecke verhandelten sie einen Augenblick. Der Farmer fragte, ob sie genug gegerbt und zufrieden wären, und meinte, wenn sie noch weitere Zahlungen von derselben Art wünschten, möchten sie nur nach Belthorpe Farm kommen, da würden sie es gesalzen bekommen; die Knaben ergingen sich in wütenden Drohungen der Rache, 20 denen der Farmer verächtlich den Rücken kehrte. Ripton hatte schon einen Arm voll Kieselsteinen aufgelesen und freute sich auf ein kleines Gefecht, aber Richard warf sie alle zu Boden und erklärte: »Nein! Herren werfen nicht mit Steinen, überlasse das den Schurken.«
»Nur einen Wurf!« bat Ripton mit einem Blick auf die breite Zielscheibe, die der Bauer bot, und ganz berauscht von der plötzlichen Erkenntnis der Vorteile, die sich den leichten Truppengattungen boten im Kampfe mit der schweren Reiterei.
»Nein,« sagte Richard gebieterisch, »keine Steine,« und ging schnell weiter. Ripton folgte ihm seufzend. Seines Führers Großmut ging über sein Verständnis. Ein gut gezielter Wurf auf den Bauer wäre für Ripton ein großer Trost gewesen, Richard Feverel hätte es die Schande, die er gezwungen erduldet hatte, nicht gemildert. Ripton war mit der Rute vertraut, und das Ungeheuer hatte durch intime Bekanntschaft viel von seinem Schrecken verloren. Über Birkenfieber war dieser Junge hinaus. Das schreckliche Gefühl der Schande, die Selbstverachtung, den Haß gegen alles und jedes, das ohnmächtige Gefühl der Vernichtung, als ob der Geist in die Abgründe der Hölle getaucht sei, welches einen mutigen und empfindlichen Knaben überkommt, wenn er zum erstenmal diese Bitterkeit des Fleisches fühlt und das erdulden muß, was er als Schändung seiner Ehre empfindet, all das hatte Ripton überstanden und vergessen. Er war trocknes Holz und faßte das Leben weise auf; nicht gleichgültig gegen Züchtigungen, wie es einige Jungen werden, aber auch nicht übertrieben empfindlich für die Schmach, wie es der Freund und Kamerad neben ihm war.
Richards Blut war vergiftet. Er fieberte vor Erregung. Er hatte nicht zugeben wollen, daß Steine geworfen wurden, weil es seine Gewohnheit war, es nicht zu 21 billigen. Nur Erwägungen vornehmer Gesinnung waren es nicht gewesen, die Farmer Blaize geschützt hatten, und es waren sicher sehr wenig vornehme Pläne, die in dem Tumult seiner Gedanken geisterhaft auftauchten und nur zurückgewiesen wurden, weil ihre Unausführbarkeit selbst diesem jungen Verstande einleuchtete. Nur eine durchgreifende und alles umfassende Rache für die Beschimpfung würde ihm Befriedigung gewähren. Etwas ganz Ungeheures mußte getan und ohne Aufschub getan werden. Einen Augenblick dachte er daran, alles Vieh des Bauern zu töten, dann ihn selbst zu töten, ihn zum Zweikampf herauszufordern auf Waffen, nach Art der Herren. Aber der Bauer war ein Feigling, er würde die Herausforderung nicht annehmen. Dann wollte er – Richard Feverel – an des Bauern Bett treten und ihn aufrütteln, aufrütteln zum Kampfe mit Pulver und Blei, in den feigen Stunden der Nacht, wo er wohl zittern, aber nicht sich weigern konnte.
»Himmel,« rief der einfältige Ripton, während in dem Gehirn seines Freundes diese hoffnungsvollen Pläne aufblitzten und zu augenblicklicher Ausführung drängten, um dann wieder in Dunkelheit zu versinken, weil sie verächtlich erschienen in ihrer Aussichtslosigkeit. »Himmel, wie ich wünschte, du hättest mir erlaubt, ihm eins zu versetzen, Richard! Ich bin ein guter Schütze, ich treffe immer. Ich wäre jetzt ganz vergnügt, wenn ich ihn nur einmal getroffen hätte. Bei dem Spiel wären wir ihm überlegen gewesen. – Du!« plötzlich tauchte ihm ein Gedanke auf, der ihn wieder mehr an zu Hause erinnerte. »Sieht meine Nase eigentlich so schlimm aus, wie er sagt? Wo kann ich mich nur besehen?«
Diesen Klagen gegenüber war Richard taub, er trabte ruhig vorwärts, nur ein Ziel im Auge.
Nachdem sie sich durch unzählige Hecken durchgearbeitet 22 hatten, über Zäune geklettert, über Gräben gesprungen und durch Dorngebüsche gedrungen, und schmutzig zerlumpt und müde geworden waren, erwachte Ripton aus seinem Nachsinnen über den Bauer Blaize und eine blaue Nase durch das lebhafte Gefühl des Hungers, das mit Blitzesschnelle bei ihm zunahm, so daß er im Verlauf einer Minute alle Qualen einer Hungersnot durchmachte und es wagte seinen Gebieter zu fragen, wohin er ihn führe. Raynham war nicht mehr zu sehen. Sie waren ein tüchtiges Stück das Tal hinab, Meilen von Lobourne entfernt, in einer Gegend versumpfter Teiche, gelber Bäche, üppiger Weiden und öder Heide. Einsame Krähen waren zu sehen, der Rauch einer Lehmhütte, ein mit Torf beladener Karren, ein behaglich weidender Esel, der von der Unfreundlichkeit der Welt nichts wußte, Gänse, die an einer Pferdeschwemme schnatterten, wie sie es in der ersten Einsamkeit nach Erschaffung der Erde getan haben: alles ungekochte Dinge, die einen verhungernden Jungen unmöglich interessieren konnten und die er verachten mußte. Ripton war in Verzweiflung.
»Wohin gehst du?« fragte er mit einer Stimme, die zeigte, daß er zum letzten Male fragte, und blieb entschlossen stehen. – Richard brach nun sein Schweigen, um zu erwidern:
»Irgend wohin!«
»Irgend wohin!« Ripton wiederholte das mürrische Wort, »aber bist du denn nicht schrecklich hungrig?« Er keuchte heftig, um die vollkommene Leere seines Magens zu zeigen.
»Nein,« war Richards kurze Antwort.
»Nicht hungrig!« Riptons Erstaunen lieh ihm erhöhten Nachdruck. »Aber du hast doch seit dem Frühstück nichts zu essen gehabt? Nicht hungrig? Ich komme um 23 vor Hunger. Ich fühle ein solches Nagen, ich könnte trockenes Brot und Käse essen!«
Richard lachte höhnisch, nicht aus Gründen, die einen Philosophen veranlaßt haben würden, so zu lachen.
»Hör' mal,« rief Ripton, »auf jeden Fall sage wenigstens, wo du anhalten wirst?«
Richard wandte sich um, im Begriff eine mürrische Antwort zu geben. Das entstellte unglückliche Gesicht, das sein Auge traf, entwaffnete ihn. Die unglückselige Nase des Jungen fing wirklich an, ihre Farbe zu verändern, wenn sie auch noch nicht grade das gefürchtete Blau angenommen hatte. Ihn zu schelten wäre grausam gewesen. Richard erhob sein Haupt, überblickte die Situation und rief aus: »Hier!« ließ sich auf einem dürren Abhang nieder und überließ es Ripton, ihn für einen rätselhaften Menschen zu halten, bei dem jede neue Bewegung schlimmere Verlegenheiten heraufbeschwor.