George Meredith
Richard Feverel
George Meredith

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Vierunddreißigstes Kapitel.

Die Eroberung des Epikuräers

Es war im Monat Juni. Der Solent ging in grünen Wogen bei lebhaften Südwest. Lustige kleine Boote, leicht wie Seenymphen, tanzten wie Schaum auf den Wellen und ließen ihre Segel blitzen. Ein tiefes sommerliches Blau wölbte sich über den fliegenden Wolkenbergen.

An einem offenen Fenster hinter nickenden Rosenzweigen mit dem Blick auf die salzige Flut saß ein junges Paar beim Frühstück, beide tüchtig schmausend. Hätte der wissenschaftlich gebildete Menschenkenner sie beobachtet, die Tatsache hätte er nicht bestreiten können: hier saßen angehende Stammeltern von Briten, die ihre Pflicht taten. Reihen von Eierbechern mit leeren Schalen zeugten davon, und sie waren noch bei der Arbeit, sprachen kaum, so waren sie beschäftigt. Beide waren zu einem Ausflug gekleidet. Sie hatte ihren Hut auf und er seine 428 Segelmütze. Seine Ärmel waren am Handgelenk aufgeschlagen, ihr Kleiderrock zeigte auf ihrem Schoße liegend sein Futter. Ab und zu brachte ein gelegentliches Wort sie zum lachen, aber Essen war jetzt die wichtigste Beschäftigung, und so wird es immer sein, wo Cupido es ernst meint. Von dem ihnen unterworfenen Lande strömte ihnen der nötige Tribut zu. Vernachlässigt liegt die Weidenpfeife, auf der sie so lieblich spielten, zum Entzücken der Sphären. Was kümmern sie sich jetzt um Sphären und Sphärenmusik, da sie einander besitzen? Kommt, ihr Eier, kommt, Brot und Butter und Tee mit Zucker und Milch! und willkommen, ihr fröhlichen Stunden! Das ist ungefähr der Inhalt der Musik, die jetzt in ihnen ertönt. Jenes Instrument genügte nur zur Ouvertüre. Und schließlich, welchen höheren Ehrgeiz können Liebende haben, als ein freier Mann und eine freie Frau zu sein, umgeben von der Fülle? Und ist es nicht herrlich, solch ein Ziel erreicht zu haben? Ach, du elender wissenschaftlicher Menschenkenner! daß du nicht dabei bist und den wundervollen Anblick genießt, wie diese jungen Geschöpfe schmausen. Das würde einen Zauber ausgeübt haben, der selbst den Teufel verbannt hätte, glaube ich.

Das große Unternehmen kam endlich doch zum Schluß und seine Serviette schwenkend beugte sich der Gatte über die Gattin, die ihm mit ihrem knospenden Munde vertraulich entgegenkam. Die Poesie der Sterblichen liegt in der täglichen Prosa. Haben sie nicht ein herrliches Ziel erreicht? Ein kurzer, heißblütiger Kuß, so strahlend, frisch und ehrlich wie die Morgenröte, und dann sagt Richard auch im fröhlichsten Ton: »Heute wieder kein Brief, Lucy!« worauf die schönen Augen ihn etwas ernsthaft anblicken und er ausruft: »Aber das schadet nicht! Er wird eines Tages selbst kommen. Er darf sie nur kennen lernen und dann ist alles gut! nicht wahr?« 429 und indem er so sagt, legt er eine Hand unter ihr Kinn, und scheint ihr schönes Gesicht in Gedanken einzurahmen, und sie lächelt zu ihm auf, um sich ansehen zu lassen.

»Aber etwas möchte ich meinen Liebling bitten,« sagt Lucy und legt ihre Hand bittend auf ihn. »Wird er mich heute mit an Bord der Jacht nehmen? – mich nicht bei diesen Leuten zurücklassen! Wird er das tun? Er weiß doch, wie gut ich das Segeln vertrage!«

»Besser, als irgend jemand sonst!« lacht Richard und schließt sie in seine Arme, »aber du weißt, du kleine geliebte Seglerin, sie gestatten bei der Regatta nur eine gewisse Anzahl an Bord, und wenn sie hören, daß du bei mir gewesen bist, wird es heißen, es wäre nicht ehrlich zugegangen! Außerdem ist Lady Judith da, mit der du über Austin sprechen kannst, und dann kannst du Lord Mountfalcons höfliche Redensarten hören und Mr. Morton wird für dich sorgen.«

Lucys Augen sahen einen Augenblick zur Seite.

»Ich hoffe, ich habe mir das Rotwerden und Stirnrunzeln abgewöhnt?« sagte sie und zog dabei ihre beweglichen Augenbrauen sehr einnehmend in die Höhe, und er lehnte seine Wange gegen die ihre und flüsterte ihr etwas sehr Süßes zu.

»Und wir werden für – für wie viele Stunden getrennt sein? eine, zwei, drei Stunden?« schmollte sie bei seinen Schmeicheleien.

»Und dann werde ich an Bord kommen, um die Glückwünsche meiner jungen Frau in Empfang zu nehmen.«

»Und dann wird mein Herr Gemahl die ganze Zeit mit Lady Judith sprechen.«

»Und dann werde ich sehen, wie meine Gemahlin vor Lord Mountfalcon errötet und die Augenbrauen in die Höhe zieht.«

430 »Bin ich wirklich so töricht, Richard?« sie vergaß die Tändelei, um ihn ernsthaft zu fragen, und erhielt wieder zur Antwort einen morgenfrischen Kuß, der nur grade den Tau vor ihren Lippen streift.

Nachdem sie sich einen Monat schüchtern im Schatten verborgen gehalten hatten, war das glückliche Sünderpaar eines Tages herausgekommen, um die Menschen wiederzusehen und mit Staunen zu betrachten, und hatte zufällig Mr. Morton von Poer-Hall getroffen, Austin Wentworths Freund und Ralphs Onkel. Mr. Morton hatte einst dem Baron nahe gestanden, hatte ihn aber seit Jahren als hartnäckig und hoffnungslos aufgegeben und war deshalb um so mehr geneigt, Richards Vergehen milde zu beurteilen und dem Vater die Fehler des Sohnes zur Last zu legen. Er meinte, daß der Verkehr in der Gesellschaft das einzige wäre, was dem jungen Manne fehlte, und führte ihn daher bei den Leuten ein, die er auf der Insel kannte, unter andern bei Lady Judith Felle, einer schönen, jungen Dame, die ihn wieder mit Lord Mountfalcon bekannt machte, einem viel vermögenden Edelmann. Lord Mountfalcon stellte ihn einem Kreise von Sportsleuten vor, die sich allmählich zum Segeln einfanden. So befand er sich nach wenigen Wochen im Mittelpunkte einer glänzenden Gesellschaft und lernte es zum erstenmal in seinem Leben kennen, was es heißt, sich im freien Verkehr mit seinen Mitmenschen beiderlei Geschlechts zu bewegen. So war der Sohn des Systems jetzt also vom Stapel gelassen und schwamm nicht nur in der Brandung, sondern im offnen Wasser.

Nun hatte der Baron zwischen dem Wiederkehren seiner sanfteren Gefühle und den Einflüsterungen seines neuen Freundes insofern einen Kompromiß geschlossen, daß er sich vorgenommen hatte, Richard gerecht zu behandeln. Die Welt nannte es Großmut und selbst Lady 431 Blandish dachte so, als sie hörte, daß er Richard eine anständige Summe ausgesetzt und Mrs. Dorias Vorschlag, die Gültigkeit der Ehe anzufechten, verächtlich abgewiesen hätte, aber Sir Austin wußte wohl, daß er nur gerecht wäre, wenn er dem Jüngling in dieser Lage nicht das Geld vorenthielte. Und hier täuschte ihn die Welt wieder, indem sie sein Verfahren beschönigte. Denn was für ein Verdienst ist es, wenn wir gerecht gegen die sind, die wir lieben! Er selbst wußte, daß es nicht Großmut war, aber das Geschrei der Welt stärkte ihn gewissermaßen in der Einbildung, daß, wenn er seinen Sohn nur gerecht behandelte, er alles täte, was überhaupt möglich wäre, war es doch sehr viel mehr, als was gewöhnliche Väter getan haben würden. Er hatte sein Herz verschlossen.

Infolgedessen fehlte es Richard nicht an Geld. Was ihm mehr fehlte und was er nicht erhielt, war ein Wort von seinem Vater. Er sagte nichts, um seine junge Frau nicht zu betrüben, und doch fühlte sie, wie es an ihm zehrte, mit dem Manne in Uneinigkeit zu leben, vor dem er nun, da er ihn beleidigt und da er gegen seinen Willen gehandelt hatte, gerne auf den Knien gelegen hätte, mit dem Manne, der für ihn war, was kein anderer sonst. In der Nacht, wenn sie an seiner Seite lag, woben die Dunkelheit und die halb abgebrochenen Laute, mit denen er von ihm sprach, sich um die Gestalt des fremden, finstern Mannes. Nicht, daß dieses einen Einfluß auf den Appetit des jungen Paares gehabt hätte. Wir müssen uns nicht Cupido entthront oder beschränkt denken, noch dazu unter dem Einfluß der Seeluft. Die aufgereihten Eierbecher lachen über eine solche Vorstellung. Doch der Wurm nagte an ihnen. Nun traten sie an diesem schönen Morgen aus dem Garten ihres Landhäuschens heraus, um nach dem Strande herunterzugehen, und man stelle sich ihr Entzücken vor, als sie da Tom Bakewell erblickten, 432 der mit einer Reisetasche auf dem Rücken den Weg in die Höhe lief, und hinter ihm in einiger Entfernung Adrian erspähten.

»Wie schön!« rief Richard und rannte ihm entgegen und ließ seine Hand nicht los, bis er ihn nach oben gezogen hatte, und überhäufte ihn mit Fragen den ganzen Weg, bis sie vor Lucy standen.

»Lucy, dies ist Adrian, mein Vetter.« Und seine Augen schienen hinzuzufügen: »Ist er nicht ein Engel?« während Lucys deutlich antworteten: »Ja, das ist er!«

Der wohlgenährte Engel verneigte sich förmlich vor ihr und benahm sich mit der salbungsvollen Zurückhaltung eines Wohltäters, denn aus ihren Begrüßungen sah er, daß er dafür gehalten wurde. »Ich denke, wir sind einander nicht mehr fremd,« war er freundlich genug zu bemerken, und ließ sie dann bald hören, daß er noch nicht gefrühstückt habe, worauf sie ihn eiligst in das Haus führten und Lucy sich eifrig rührte, um für ihn zu sorgen.

»Mein lieber alter Rady,« wieder wurde seine Hand geschüttelt, »wie freue ich mich, daß du gekommen bist. Ich verhehle dir nicht, daß wir sehr unglücklich gewesen sind.«

»Sechs, sieben, acht, neun Eier,« bemerkte Adrian, als er den Frühstückstisch überschaute.

»Warum wollte er nicht schreiben? Warum beantwortete er keinen meiner Briefe? Aber nun bist du ja da, nun bin ich ganz zufrieden. Will er uns sehen? Wir können noch heute abend reisen. Ich habe eine Verabredung um elf, meine kleine Jacht – ich habe sie die ›Blandish‹ genannt, segelt gegen Fred Curries ›Begum‹. Ich werde siegen, aber ob oder nicht, wir können heut abend fahren. Was gibt es Neues? Wie geht es allen?«

»Mein lieber Junge,« erwiderte Adrian und setzte sich behaglich nieder, »laß mich erst in einen Zustand kommen, der mich ungefähr auf gleichen Fuß mit dir stellt, 433 ehe ich alle deine Fragen beantworte. Halb soviel Eier werden einem unverheirateten Manne genügen, und dann will ich reden. Sie sind alle wohl, soweit ich mich entsinnen kann, nach dem Schütteln, das meine absolute Leere diesen Morgen ausgehalten hat. Ich kam mit dem ersten Boot, und die See, die See hat meine Liebe zur Mutter Erde erweckt und eine Sehnsucht nach ihren Früchten.«

Richard ärgerte sich über seinen kaltblütigen Vetter.

»Adrian, was sagte er, als er es hörte? ich möchte genau die Worte wissen, die er sagte.«

»Wohl sagt der Weise, mein Sohn: Die Rede ist die kleine Münze des Schweigens. Er sagte weniger als ich.«

»So hat er es aufgenommen!« rief Richard und versank in Nachdenken.

Bald war der Tisch abgeräumt und frisch gedeckt und Lucy kam in das Zimmer, dem Mädchen voran, das die Eier auf einem Teebrette trug. Sie hatte den Hut abgenommen und setzte sich an den Tisch, wie eine wohlerzogene Hausfrau, um den Tee einzuschenken.

»Nun wollen wir anfangen,« sagte Adrian, und klopfte mit nachdenklichem Behagen sein Ei auf, aber sein Gesicht nahm einen Ausdruck des Schmerzes an, der um so beunruhigender war, als er ihn wohlwollend zu verbergen versuchte. Konnte es möglich sein, daß das Ei schlecht war? oh, Schrecken! Lucy beobachtete ihn und wartete mit Zittern.

»Dieses Ei hat drei und dreiviertel Minuten gekocht,« bemerkte er, und hörte auf es zu betrachten.

»Ja! ja!« sagte Lucy, »ich habe sie selbst gekocht, genau so lange. Richard liebt sie so, und Sie lieben sie hart, Mr. Harley?«

»Im Gegenteil, ich liebe sie weich. Zwei und eine halbe 434 Minute oder höchstens zwei und dreiviertel. Ein Ei sollte sich niemals bis an die Grenze des Hartwerdens vorwagen – niemals. Drei Minuten ist das äußerste, was es wagen darf.«

»Wenn Richard mir nur gesagt hätte! Wenn ich nur gewußt hätte!« rief die liebliche kleine Wirtin betrübt aus und biß sich auf die Lippe.

»Wir müssen von ihm nicht erwarten, daß er an so etwas denkt,« sagte Adrian und versuchte zu lächeln.

»Zum Teufel auch! Es gibt doch mehr Eier im Haus,« rief Richard und riß wütend an der Klingel.

Lucy sprang auf und sagte: »Ach ja, ich werde gleich gehen und sie genau nach der Zeit kochen, wie Sie sie lieben. Bitte, lassen Sie mich gehen, Mr. Harley.«

Adrian hielt sie mit einer Bewegung der Hand zurück.

»Nein,« sagte er, »ich will mich nach Richards Geschmack richten und der Himmel möge mir auch zu seinen Verdauungskräften verhelfen.«

Lucy warf Richard einen traurigen Blick zu, er machte es sich auf dem Sofa behaglich und überließ ihr ganz und gar die Last der Unterhaltung. Die Eier waren ein trauriger Anfang gewesen, aber ihr Eifer, Adrian zu gefallen, ließ sich nicht dämpfen und sie bewunderte sehr, daß er so ergeben war. Wenn es ihr mißlingen sollte, diesem herrlichen Friedensherolde zu gefallen, durch welch unbedeutendes Mißgeschick es auch sein mochte, dann fürchtete sie Unheil; so saß nun diese schöne Taube und ihre Augenbrauen arbeiteten heftig über ihren ernst lächelnden, blauen Augen und sie beobachtete verstohlen jede Miene in dem runden Gesicht des Epikuräers, um herauszufinden, wie sie ihn am besten günstig stimmen könnte. »Er soll nicht denken, daß ich schüchtern und dumm bin,« dachte die tapfere, kleine Frau, und Adrian war in der Tat überrascht, daß sie ebensogut plaudern konnte wie sich 435 nützlich machen und obendrein noch hübsch anzusehen war. Als er mit einem Ei fertig war, siehe da – da erschienen zwei frische, die genau nach seiner Vorschrift gekocht waren. Sie hatte ruhig dem Mädchen ihre Befehle gegeben, und nun hatte er sie ohne weitere Umstände. Vielleicht war sein unzufriedener Ausdruck bei dem Anblick der bösen Eier nicht ganz unfreiwillig gewesen, und ihr weiblicher Instinkt lehrte sie trotz ihrer Unerfahrenheit, daß er mit der Absicht gekommen war, in der Hütte der Liebe nicht mit allem zufrieden zu sein. In diesen beweglichen Augenbrauen lag geistige Fähigkeit genug, um einen dummen, weisen Jüngling zu durchschauen und zu bekämpfen.

Sie erriet zum Teil, wie viel sie schon erreicht hatte, als Adrian sagte: »Ich denke, mein lieber Junge, jetzt bin ich – dank Mrs. Richard« – und er verbeugte sich vor ihr mit einer ersten direkten Anerkennung ihrer Stellung, »in der Lage, deine Fragen zu beantworten.« Lucy durchzuckte ein Gefühl der Freude.

»Ah!« sagte Richard und setzte sich bequem zurecht.

»Zuerst also: der Pilger hat sein Taschenbuch verloren und hat sich bereden lassen, für den Finder eine Belohnung auszusetzen, die ihn für sein Leben sicher stellen würde. Benson – der unübertreffliche Benson – hat Raynham den Rücken gedreht. Man nimmt an, daß dieser letzte überlebende Anhänger des Systems vollständig von den Frauen in den Schatten gestellt worden ist.

»Benson ist fort!« rief Richard. »Wie furchtbar lange erscheint es, daß ich von Raynham fort bin!«

»Es ist auch sehr lange, meine lieber Junge. Die Flitterwochen sind wie Mahomets Minuten; oder sagen wir, wie des Persischen Königs Wassereimer, von dem du in der Geschichte gelesen hast: du tauchst deinen Kopf hinein, und wenn du ihn wieder heraus ziehst, hast du 436 ein Leben durchlebt. Um mich kurz zu fassen: Onkel Algernon streift noch immer herum auf der Suche nach dem Verlorenen – ich sollte vielmehr sagen, er humpelt herum. Onkel Hippias hat ein neues und sehr beunruhigendes Symptom; der Hochzeitskuchen hat sich in seiner Nase festgesetzt. Seit du ihm dein großmütiges Geschenk gemacht hast – er erklärt zwar, er hätte keinen Bissen davon gegessen – leidet er unter der quälenden Vorstellung, daß seine Nase enorm gewachsen wäre, und ich versichere dich, er entwickelt eine ganz mädchenhafte Schüchternheit, wenn er ihr nachgehen soll – zum Beispiel durch eine Türe. Er beklagt sich über ihr furchtbares Gewicht. Ich habe mir gedacht, daß Benson vielleicht unsichtbar drauf sitzt. Seine Hand und die Hand des Doktors untersuchen sie stündlich, aber ich fürchte, sie wird dadurch nicht kleiner werden. Der Pilger hat einen neuen Aphorismus davon abgeleitet: daß nämlich die Größe nur eine Sache der persönlichen Meinung sei.«

»Der arme Onkel Hippy!« sagte Richard. »Ich wundere mich, daß er nicht an Zauberei glaubt. Nichts Übernatürliches kann den wunderbaren Empfindungen gleich kommen, an die er glaubt. Guter Gott! wenn man sich vorstellt, wie ein Mensch so weit kommen kann!«

»Er tut mir wirklich sehr leid,« behauptete Lucy, »aber ich kann nicht anders, ich muß lachen.«

Reizend klang ihr melodisches Lachen dem weisen Jüngling.

»Der Pilger ist deiner Meinung, Richard. Wem käme er nicht zuvor? Chronische Dyspepsie, sagte er, ist ein Werkzeug der Einbildungskraft! und er sagt den Jahrhunderten, die an Zauberei glaubten, nach, daß sie an allgemeiner Verdauungsschwäche gelitten hätten, was auch der Fall gewesen sein mag, dank ihrer schrecklichen Kochkünste. Er sagt außerdem, wie du dich entsinnen wirst, 437 daß unser eignes Jahrhundert durch Dyspepsie in Dunkelheit und Unwissenheit zurückfällt. Er verlegt den Sitz der Weisheit in das Zentrum unsers Körpersystems, Mrs. Richard, und Sie werden deshalb verstehen, wie sehr ich mich Ihnen augenblicklich verpflichtet fühle für die besondere Sorgfalt, die Sie mir haben angedeihen lassen.«

Richard sah Lucys kleinen Triumph und schrieb Adrians Unterwerfung ihrer Schönheit und Lieblichkeit zu. Sie hatte in letzter Zeit in dieser Hinsicht sehr viele Komplimente erhalten und sich nichts daraus gemacht, und Adrians Anerkennung einer praktischen Eigenschaft war der jungen Frau viel angenehmer, denn sie war klug genug, um zu erraten, daß in dem Kampfe, den sie jetzt zu kämpfen hatte, ihre Schönheit ihr nicht viel helfen würde. Als Adrian fortfuhr über die große Tugend einer weisen Kochkunst zu sprechen, fiel es ihr plötzlich ein: Wo war Mrs. Berrys Buch geblieben?

»Das ist also alles, was von zu Hause zu erzählen ist?« sagte Richard.

»Alles,« erwiderte Adrian. »Oder warte mal: weißt du, daß Klara heiraten wird? Nicht? Deine Tante Helen –«

»Ach, zum Henker mit Tante Helen! Weißt du, was sie die Unverschämtheit gehabt hat, an mich zu schreiben – aber reden wir nicht davon! Heiratet sie Ralph?«

»Deine Tante Helen, wollte ich sagen, mein lieber Junge, ist eine außerordentliche Frau. Durch sie hat der Pilger zuerst gelernt, die weiblichen Wesen als praktische Tiere zu bezeichnen. Er studiert uns alle, wie du weißt. Das Manuskript des Pilgers ist eine abstrakte Schilderung der ihn umgebenden Verwandtschaft. Tante Helen also – da ihr kleiner Lieblingsplan mit Klara mißlungen war – man hätte es bei ihr auch ein System nennen können – mit dem sie sich ungefähr zehn oder 438 fünfzehn Jahre abgegeben hat – statt sich nun zu ärgern, wie es ein Mann wohl tun würde, und die Vorsehung zur Verantwortung zu ziehen, und sich selbst und allen andern das Innerste nach außen zu kehren und die ganze Welt auf den Kopf zu stellen – was tut dieses praktische Geschöpf? Sie wollte Klara an jemand verheiraten, an den sie sie nicht verheiraten konnte, so entschließt sie sich statt dessen, sie an jemand zu verheiraten, an den sie sie verheiraten kann; und da alte Herren auf diese Veranstaltungen der praktischen Geschöpfe am bereitwilligsten eingehen, hat sie sich an einen alten Herrn herangemacht, ein unverheirateter alter Herr, ein reicher alter Herr, und nun ein eingefangener alter Herr. Die Feierlichkeit wird in ungefähr einer Woche stattfinden, du wirst ohne Zweifel in ein oder zwei Tagen deine Einladung erhalten.«

»Und diese kaltherzige, elende Klara hat eingewilligt einen alten Mann zu heiraten?« stöhnte Richard. »Der Sache werde ich ein Ende machen, wenn ich zur Stadt komme.«

Richard stand auf und schritt durch das Zimmer. Dann fiel es ihm ein, daß es Zeit wäre an Bord zu gehen und seine Vorbereitungen zu treffen.

»Ich muß fort,« sagte er. »Adrian, du wirst Lucy begleiten Sie fährt auf der ›Kaiserin‹, Mountfalcons Schiff. Er gibt uns das Zeichen zum Starten. Es ist ein kleiner Schoner, ein wunderschönes Schiff! Ich muß mir einmal ein ähnliches anschaffen. Lebwohl, Liebling!« flüsterte er Lucy zu und seine Hände und Augen konnten sich nicht von ihr trennen, und die ihren nicht von ihm, sie suchten einen Ersatz für den kostbaren Kuß, den sie sich versagen mußten. Dann sah sie schnell von ihm fort, als er sie noch länger halten wollte. Adrian stand schweigend dabei. Seine Augenbrauen waren in die Höhe gezogen 439 und sein Mund unschlüssig zusammengekniffen. Endlich sprach er:

»Ich soll aufs Wasser?«

»Ja. Es ist nur bis St. Helen. Eine kurze, scharfe Fahrt.«

»Mißgönnst du mir denn die Nahrung, die mein armes Körpersystem soeben empfangen hat, mein Sohn?«

»Ach zum Henker mit deinem Körpersystem! Setz' deinen Hut auf und komm'. Ich werde euch in meinem Boot an Bord bringen.«

»Richard! Ich habe schon die Buße entrichtet, die denjenigen auferlegt wird, die verurteilt sind auf eine Insel zu kommen. Ich will mit dir bis zum Strande gehen und ich werde dich dort wieder treffen, wenn du zurückkommst, und werde mir die Geschichte der Tritonen erzählen lassen: aber selbst wenn ich dadurch auf das Vergnügen verzichten muß, Mrs. Richards Gesellschaft zu genießen, ich weigere mich das Land zu verlassen.«

»Ja, ach, Mr. Harley!« Lucy machte sich von ihrem Gatten los, »und ich bleibe bei Ihnen, wenn es Ihnen recht ist. Ich möchte gar nicht unter all die Leute gehen, und wir können alles ebenso gut von der Küste aus sehen. Liebster, ich möchte nicht gehen. Es ist dir doch nicht unangenehm? Natürlich werde ich gehen, wenn du es wünscht, aber ich möchte sehr viel lieber bleiben,« und sie verlängerte die Bitte durch Blick und Haltung, um die Unzufriedenheit zu verscheuchen, die, wie sie erkannte, bei ihm aufkam.

Adrian meinte, sie sollte lieber gehen, er könnte sich bis zu ihrer Rückkehr sehr gut selbst amüsieren und so weiter – aber sie hatte Pläne in ihrem hübschen Kopf und blieb dabei, daß sie lieber bleiben würde, trotz Lord Mountfalcons Enttäuschung, auf die Richard hinwies, und trotz der großen Gefahr ihren Liebsten zu kränken, 440 die sie wohl erkannte. Richard schmollte und blickte Adrian verächtlich an, er gab widerstrebend nach.

»Tu' was du willst. Und mach' dich bereit heute Abend abzureisen. Nein, ich bin nicht ärgerlich.« – Wer hätte es sein können? schien er Adrian zu fragen, als er von ihrer schüchternen Zärtlichkeit aufblickte. Er suchte sich durch einen Kuß auf ihre Stirn zu entschädigen, wodurch aber der Schatten von Verdruß, den er empfand, nicht gleich zerstreut wurde.

»Wahrhaftig!« rief er, »solch ein Tag wie heute, und der Mensch weigert sich aufs Wasser zu kommen! Na, komme wenigstens bis zum Strand.« Adrians engelhaftes Wesen hatte sich in seinen Augen ganz verloren. Er dachte gar nicht daran, die gegebenen Verhältnisse nach besten Kräften auszunützen, aber jemand anderes dachte daran und diese schöne andere hatte in wenigen Stunden einen ganz wunderbaren Erfolg. Sie brachte Adrian zu der Überzeugung, daß sich die Familienverwirrung sofort lösen würde, sobald der Baron sie nur sähe. Er kam in einzelnen Abstufungen zu dieser Überzeugung: aber die Abstufungen folgten einander sehr rasch. Ihr Wesen gefiel ihm: sie war sicherlich hübsch anzusehen: was das beste war, sie war vernünftig. Er vergaß bei ihr die Nichte des Bauern – sie war so sehr vernünftig. Sie schien wirklich zu verstehen, daß es die Pflicht einer Frau wäre, kochen zu können.

Aber die Schwierigkeit war, mit welchen Mitteln konnte der Baron dazu gebracht werden sie zu sehen. Er hatte noch nicht eingewilligt seinen Sohn zu sehen, und Adrian, von Lady Blandish dazu angetrieben, hatte durch sein Herkommen etwas gewagt. Er hatte nicht den Wunsch, noch mehr zu wagen. Der kurze Kampf in ihm endete damit, daß er beschloß, alles der Zeit zu überlassen. Die Zeit würde alles zurecht bringen. Die 441 Christen sowohl wie die Heiden haben die Gewohnheit sich durch diese Phrase zu entschuldigen, wenn sie die Arme untätig kreuzen, »und sie vergessen dabei,« sagt das Manuskript des Pilgers, »daß die Kobolde des Teufels sich auf einen solchen Waffenstillstand nicht einlassen.«

Als sie mit ihrem amüsanten Begleiter an der Küste entlang schlenderte, hatte Lucy an vielerlei zu denken. Da war zuerst ihres Lieblings Wettsegeln. Lord Mountfalcon hatte von Bord der »Kaiserin« aus den Jachten durch einen Pistolenschuß das Zeichen zum Starten gegeben und ihr kleines Herz schlug für Richards straffgespannte Segel. Dann das seltsame Gefühl, mit einem Verwandten von Richard spazieren zu gehen, mit einem, der so lange Zeit mit ihm zusammen gelebt hatte. Und dann der Gedanke, daß sie vielleicht schon heute abend vor dem gefürchteten Vater ihres Gatten würde erscheinen müssen.

»Ach, Mr. Harley!« sagte sie, »ist es wahr – müssen wir schon heute abend reisen? Und ich« – ihre Stimme zitterte, »wird er mich denn empfangen?«

»Ach, das ist es grade, worüber ich mit Ihnen sprechen möchte,« sagte Adrian. »Der liebe Junge hat eine meiner Antworten etwas falsch aufgefaßt. Ich habe gesagt: ›Er wird dich sehen,‹ und er nahm an – aber Sie werden mich schon verstehen, Mrs. Richard. Augenblicklich würden es vielleicht noch ratsamer sein – wenn Vater und Sohn ihre Rechnung miteinander abgemacht haben werden, dann kann die Schwiegertochter keine Schuldnerin mehr sein.«

Lucy hob ihre blauen Augen zu ihm auf. Ein etwas feiges Gefühl der Freude über die Aussicht auf den Aufschub der schrecklichen Zusammenkunft erleichterte ihr das Verständnis.

»Ach, Mr. Harley! Sie meinen also, er solle zuerst allein gehen?«

442 »Ja, das ist meine Ansicht. Aber Tatsache ist, er ist ein solch vortrefflicher Gatte, daß mehr Überredungskunst, als ein Mann sie besitzt, dazu nötig sein wird, um ihn zum gehen zu bringen.«

»Aber ich werde ihn schon davon überzeugen, Mr. Harley!«

»Vielleicht, wenn Sie es würden . . .«

»Es gibt ja nichts, was ich nicht für sein Glück tun würde,« murmelte Lucy.

Der weise Jüngling drückte ihre Hand mit träger Zustimmung. Sie wanderten weiter, bis die Jachten um das Vorgebirge herumgesegelt waren.

»Heute abend schon, Mr. Harley?« fragte sie mit unruhiger Stimme, nun da sie ihren Liebling nicht sehen konnte.

»Ich zweifle daran, daß selbst Ihrer Beredsamkeit es gelingen könnte, ihn schon heute zur Abreise zu bewegen,« erwiderte Adrian galant. »Außerdem muß ich in meinem eignen Interesse reden. Die Überfahrt nach der Insel zu machen, ist für einen Tag genug. Es liegt gar keine Notwendigkeit zur Überstürzung vor, außer in der Vorstellung des stürmischen Jungen. Sie müssen ihm das abgewöhnen, Mrs. Richard. Männer sind dazu geboren sich leiten zu lassen, und die Frauen sind geboren zum leiten. Wenn sie ihn nun zum Beispiel wissen ließen, daß Sie heute abend nicht zu reisen wünschen, und wenn Sie ihn noch ein oder zwei Tage erraten ließen, daß Sie lieber nicht – – – Sie könnten ja eine besondere Abneigung heucheln. Wenn Sie es auf sich nehmen würden, sehen Sie, werden nicht solch schreckliche Anstrengungen nötig sein, ihn zu überzeugen. Sowohl sein Vater wie er müssen außerordentlich zart behandelt werden und sein Vater kann unglücklicherweise nicht direkt behandelt werden. Es ist ein seltsames Amt, das man Ihnen 443 aufbürden will, aber es scheint auf Sie zu fallen, den Vater durch den Sohn leiten zu müssen. Nachdem der verlorne Sohn Frieden geschlossen hat, kommen Sie, die die ganze Sache aus der Ferne geleitet hat, ganz von selbst in den Kreis des väterlichen Wohlwollens, da er weiß, was er Ihnen schuldig ist. Ich sehe keinen andern Weg. Wenn Richard vermutet, daß sein Vater sich augenblicklich weigert die Schwiegertochter zu empfangen, so werden die Feindseligkeiten fortgesetzt, die Kluft erweitert sich. Das Schlechte wird schlimmer, und ich sehe nicht ein, wie es enden soll.«

Adrian sah sie an, als ob er fragen wollte: Bist du nun zu solchem Heroismus fähig? Und es erschien ihr sehr hart, Richard sagen zu müssen, daß sie vor einer Prüfung zurückschreckte. Aber der Vorschlag stand im Einklang mit ihrer Furcht und ihren Wünschen: sie hielt den weisen Jüngling für sehr weise: das arme Kind war seiner Schmeichelei gegenüber nicht unempfindlich und besonders nicht der feineren Schmeichelei gegenüber, daß sie sich gewissermaßen zum Opfer machen sollte für das Haus, dessen Frieden sie gestört hatte. Sie willigte ein ihre Rolle so zu spielen, wie Adrian es vorgeschlagen hatte.

Der Sieg ist das gewöhnliche Erbteil des Helden, und als Richard mit der Nachricht nach Hause kam, daß die »Blandish« die »Begum« mit sieben dreiviertel Minuten geschlagen hatte, bekam er von seiner jungen Frau einen Glückwunsch und flüchtigen Kuß, ihre Finger blätterten aber weiter in Dr. Kitcheners Kochbuch, und sie erkundigte sich besorgt nach dem Wein.

»Liebster! Mr. Harley will einige Zeit bei uns bleiben, und er meint, wir dürften nicht sofort reisen – das heißt nicht, ehe er noch Briefe bekommen hat, und ich fühle . . . ich würde so viel lieber . . .«

444 »Das ist's also, du Feigling!« sagte Richard. »Nun denn also morgen. Wir haben ein famoses Segeln gehabt. Hast du uns gesehen?«

»Oh, ja! Ich sah dich, und war sicher, daß mein Liebling siegen würde.« Und wieder wurde er mit kaltem Wasser begossen durch ihre Sorge um den Wein. »Mr. Harley muß vom Besten haben, wie du weißt, und wir trinken doch niemals, und ich bin so dumm und verstehe nichts von Wein, und wenn du Tom schicken möchtest, wo er wirklich guten Wein bekommt. Ich habe nach dem Essen zu sehen.«

»Das war also der Grund, weshalb du mir nicht entgegen kamst?«

»Verzeihe mir, Liebling.«

»Ja, ich tue es schon, aber Mountfalcon nicht, und Lady Judith meinte, du hättest da sein sollen.«

»Ach, aber mein Herz war bei dir!«

Richard fühlte mit der Hand, wo das kleine Herz schlug, und sie senkte die Augenlider und lief fort.

Es bedeutet viel, wenn man von dem Mittagessen sagen kann, daß Adrian nichts daran auszusetzen hatte und am Schluß der feierlichen Handlung sehr guter Laune war. Er machte auch den Wein nicht schlecht, den sie für ihn besorgt hatten, und das war auch sehr viel wert. Auch der Kaffee hatte die Ehre ohne weitere Bemerkungen vorüber zu gehen. Das waren tüchtige erste Schritte zur Eroberung eines Epikuräers, und bis jetzt hatte Cupido noch keine Veranlassung zu murren.

Nach dem Kaffee schlenderten sie heraus, um den Sonnenuntergang von Lady Judiths Garten aus zu sehen. Der Wind hatte sich gelegt. Die Wolken hatten den Zenith verlassen und türmten sich amphitheatralisch über Land und See in leuchtenden, phantastischen Gestalten: riesenhafte, rosige Häupter und Körper erhoben 445 sich aus den Wogen und sahen dem scheidenden Sonnengotte nach. Da lag Briareus mit tief gefurchtem Körper und buschigen Brauen und streckte alle seine Hände aus nach unerreichbaren blauen Gipfeln. Im Nordwesten hatten die Wolken einen weißen Glanz, als ob sie dem Mond entgegenleuchteten, und im Westen schossen bernsteingelbe Strahlen von der sinkenden Sonnenscheibe und vermischten sich mit dem dunkeln Rot der Höhe.

»Was Sandoe die Passionsblume des Himmels nennen würde,« sagte Richard halblaut zu Adrian, der griechische Hexameter fröhlich vor sich hinsummte und eine Caesur machend antwortete: »Er hätte eben so gut Blumenkohl sagen können.«

Lady Judith, mit einem schwarzen Spitzenschleier um den Kopf, kam ihnen entgegen. Sie war groß und dunkel: dunkelhaarig, dunkeläugig, lieblich und einnehmend in Stimme und Benehmen. »Eine zweite Lady Blandish,« dachte Adrian. Sie begrüßte ihn wie jemand, der Anspruch auf ihre Liebenswürdigkeit hätte. Sie küßte Lucy herablassend und wandte sich, indem sie eine Bemerkung über die wunderbare Abendbeleuchtung machte, an Richard. Adrian und Lucy fanden sich zusammen und gingen hinter ihnen.

Die Sonne war unter. Der ganze Himmel war in Glut getaucht und Richards Phantasie entflammt.

»Sie sind also nicht berauscht durch den ungeheuren Triumph, den Sie heute morgen gefeiert haben?« sagte Lady Judith.

»Lachen Sie mich nicht aus. Wenn es vorüber ist, schäme ich mich, daß ich so viel Mühe darauf verwendet habe. Blicken Sie doch auf diese Pracht! – Sie verachten mich doch sicherlich deshalb.«

»War ich denn nicht da, um Ihnen Beifall zu klatschen? Ich meine nur, daß solche Energie in einen 446 bestimmten nützlichen Kanal gelenkt werden sollte. Aber Sie dürfen nicht in die Armee eintreten.«

»Was bleibt mir anderes übrig?«

»Sie sind für soviel Besseres geeignet.«

»Ich kann nie das werden, was Austin ist.«

»Nein, aber ich denke, Sie können mehr.«

»Ich danke Ihnen, daß Sie so denken, Lady Judith. Etwas werde ich tun. Ein Mann muß sich sein Recht am Leben verdienen, wie Sie sagten.«

»Saucen,« hörte man Adrian deutlich hinter ihnen sagen, »Saucen sind der Gipfelpunkt dieser Wissenschaft. Eine Frau, welche diese Kunst beherrscht, ist auf dem Höhepunkt der Zivilisation.«

Die Wolkenriesen färbten sich dunkler nach der See zu. Der ganze Westen war in brennendes Rot getaucht.

»Wie kann ein Mann solch einen Anblick genießen und müßig bleiben,« nahm Richard das Gespräch wieder auf. »Ich fühle mich beschämt, wenn ich von meinen Leuten verlange, daß sie für mich arbeiten. – Ja, ich schäme mich jetzt.«

»Doch nicht, wenn Sie mit der ›Begum‹ um die Wette segeln. Es ist gar nicht nötig, daß Sie Demokrat werden, wie Austin. Schreiben Sie jetzt?«

»Nein, was ist mein Schreiben wert? Ich täusche mich nicht darüber. Ich weiß, daß es nur zur Entschuldigung vor mir selbst dient, wenn ich müßig bleibe. Ich habe keine Zeile geschrieben, seit – kürzlich.«

»Weil Sie so glücklich sind.«

»Nein, nicht deswegen. Natürlich bin ich sehr glücklich . . .« er ließ den Satz unvollendet.

Ein unbestimmter, noch ungeformter Ehrgeiz war an Stelle der Liebe getreten. Kein wissenschaftlich gebildeter Menschenkenner war zur Hand, um die Entwicklung zu studieren und zu leiten. Diese Dame konnte man kaum 447 für den richtigen Führer für die noch ungeteilten Kräfte der Jugend halten, aber sie hatten sich auf diesen Boden mit einander gestellt. Sie war fünf Jahre älter als er, und sie war eine Frau, was ihre heitere Anmaßung erklären mag.

Die Wolkenriesen hatten sich aufgelöst, eine kräftige Schulter des Riesen verschwamm über den Horizont.

»Wir wollen jedenfalls in der Stadt zusammen arbeiten,« sagte Richard. »Warum können wir nicht in der Nacht zusammen ausgehen und die Leute aufsuchen, denen wir helfen könnten?«

Lady Judith lächelte und wies seine Torheit nur zurecht, indem sie sagte: »Ich glaube, wir dürfen nicht zu romantisch sein. Sie werden, wie ich vermute, als fahrender Ritter handeln. Sie haben alle Charaktereigenschaften dazu.«

»Besonders beim Frühstück,« klang dazwischen Adrians unnötig nachdrückliche gastronomische Lehrstunde für die junge Frau.

»Sie müssen unser Kämpfer werden,« fuhr Lady Judith fort, »der Befreier und Beschützer unglücklicher Frauen und Jungfrauen. Es fehlt uns sehr an einem.«

»Das glaube ich,« sagte Richard ernsthaft, »nach allem, was ich höre: nach allem, was ich weiß!« Und seine Gedanken flogen mit ihm fort, und als fahrender Ritter hörte er sich mit grellen Tönen von Frauen und Jungfrauen zu Hilfe rufen in besonderen kritischen Augenblicken. Bilder von luftigen Türmen umspielten ihn. Seine Phantasie führte wunderbare Taten aus. Die Türme zerfielen. Die Sterne wurden größer und schienen in ihrem Glanze zu zittern. Seine Phantasie zerfiel mit den Türmen, sein Herz machte einen Satz, er wandte sich an Lucy.

»Mein Liebling, was tust du die ganze Zeit?« und als 448 ob er sie für seine kleine Fahrende-Ritter-Untreue entschädigen müßte, drückte er sich zärtlich an sie.

»Wir hatten eine entzückende Unterhaltung über Haus und Küche,« bemerkte Adrian.

»Über Kochen! an solch einem Abend!« sein Gesicht glich dem des armen Hippias, als ihm der Hochzeitskuchen angeboten wurde.

»Aber Lieber, du weißt doch, daß das sehr nützlich ist,« verteidigte sich Lucy fröhlich.

»Natürlich, Sie haben recht, Kind,« sagte Lady Judith, »und ich denke, Sie dürften eher uns auslachen. Ich werde sicherlich auch eines Tages kochen lernen.«

»Damit haben Sie die Mission der Frauen in wenigen Worten bezeichnet,« rief Adrian.

»Und bitte, welches ist denn die Mission des Mannes?«

»Das Gekochte zu schmecken und sich darüber zu äußern.«

»Dann wollen wir es ihnen überlassen,« sagte Lady Judith zu Richard, »Sie und ich werden es nie fertig bekommen, eine solche wundervolle Harmonie herzustellen.«

Richard schien vollkommen bereit zu sein für das schöne Antlitz, für seinen bräutlichen Stern jetzt alles zu lassen.

Am nächsten Morgen mußte Lucy wieder die Ängstliche spielen, und das Herz tat ihr weh, als sie sah, wie sehr es ihn betrübte, daß sie zögern konnte, mit ihm zu seinem Vater zu gehen. Er war geduldig und sanft mit ihr, er setzte sich neben sie und versuchte sie mit Vernunftgründen zu gewinnen und führte alle Gründe an, die ihm nur einfielen, um sie zu überzeugen.

»Wenn wir zusammen gehen, und er uns beide sieht – wenn er sieht, daß er gar keine Veranlassung hat, sich deiner zu schämen – sondern nur Veranlassung hat, stolz auf dich zu sein, wenn du ihm nur nahe bist, dann brauchst du kein Worten sagen, und ich bin sicher, so gewiß, wie ich 449 lebe – in einer Woche werden wir alle glücklich in Raynham unsere Heimat gefunden haben. Ich kenne meinen Vater so gut, Lucy. Keiner kennt ihn außer mir.«

Lucy fragte, ob denn Mr. Harley ihn nicht gut kennte.

»Adrian? Ganz und gar nicht. Adrian kennt immer nur eine Seite der Menschen; und nicht immer die beste.«

Lucy war geneigt, eine höhere Meinung von dem Gegenstand ihrer Eroberung zu haben.

»Hat er dich furchtsam gemacht, Lucy?«

»Nein, nein, Richard! Ach gewiß nicht!« rief Lucy und sah ihn um so zärtlicher an, da sie nicht ganz aufrichtig war.

»Er kennt meinen Vater gar nicht,« sagte Richard. Aber Lucy hatte eine andere Meinung von dem weisen Jüngling und hielt sie im stillen aufrecht. Sie konnte nicht dahin gebracht werden, sich den Baron als einen Mann vorzustellen, in menschlicher Gestalt, großmütig, verzeihend, voll leidenschaftlicher Liebe in seinem Herzen, wie Richard ihn darzustellen suchte und wie er ihn sich auch dachte, jetzt, da er durch Adrians Kommen ihn wieder sah. Für sie blieb er die schreckliche, von mitternächtlichem Dunkel umkleidete Gestalt. »Warum bist du so hart?« hörte sie Richard mehr als einmal ausrufen. Sie war davon überzeugt, daß Adrian recht hätte.

»Gut, dann sage ich dir, daß ich ohne dich nicht gehen werde,« sagte Richard und Lucy bat um einen kleinen Aufschub.

Jetzt fing Cupido an zu grollen, und mit Recht. Adrian weigerte sich entschieden auf das Wasser zu gehen, so lange dieses Element nicht so glatt wäre wie ein Spiegel. Der Südwind machte über solch einen Vergleich seine geräuschvollen Scherze; es waren prächtige Tage; Richard hatte Verabredungen zum Segeln und Lucy bat immer darum zurückbleiben zu dürfen, um Adrian 450 Gesellschaft zu leisten, da sie das für ihre Pflicht als Wirtin hielt.

Mit Adrian über diesen Punkt vernünftig zu reden, war ausgeschlossen. Wenn Richard darauf anspielte, daß er es wäre, der Lucy zurückhielte, pflegte der weise Jüngling zu sagen: »Es ist eine sehr gesunde Unterbrechung für dein außerordentlich verliebtes Benehmen, mein lieber Junge.«

Richard fragte seine Frau, worüber sie denn noch immer miteinander zu sprechen hätten.

»Über allerlei,« sagte Lucy, »nicht nur über Kochen. Er ist so amüsant, obgleich er sich über das Manuskript des Pilgers lustig macht, was er nicht tun sollte. Und dann, weißt du, Liebling – wirst du mich auch nicht für eitel halten? – Ich glaube er fängt an, mich ein bißchen gern zu haben.«

Richard lachte über den bescheidenen Sinn seiner Schönheit.

»Liebt und bewundert dich denn nicht jeder? Tun es nicht Lord Mountfalcon und Mr. Morton und Lady Judith?«

»Ja, aber er ist einer von deiner Familie, Richard.«

»Und sie werden es alle tun, wenn die kleine Frau nur kein Feigling ist.«

»Ach, nein!« seufzt sie und läßt sich schelten.

Die Eroberung eines Epikuräers oder irgend eine sonstige Eroberung einer junger Frau, die über die Eroberung ihres Gatten hinausgeht, wie ehrlich sie auch zu ihrem beiderseitigen Glück geplant sein mag, kann ihr teuer zu stehen kommen. Richard kam in seiner Aufregung sehr viel mit Lady Judith zusammen. Er fragte sie nach ihrer Meinung über das, was er Lucys Feigheit nannte. Lady Judith sagte: »Ich glaube, daß sie unrecht hat, aber Sie müssen es lernen mit kleinen Frauen Nachsicht zu haben.«

451 »Würden Sie mir denn raten, allein zu reisen?« fragte er mit bewölkter Stirne.

»Was können Sie anders tun? Versöhnen Sie sich persönlich, so schnell Sie können. Sie können sie doch nicht wie eine Gefangene mitschleppen.«

Es ist für einen jungen Ehemann, der sich einbildet, daß seine Frau die unvergleichlich schönste Blume der Schöpfung ist, nicht angenehm, wenn er erfährt, daß er mit der kleinen Frau in ihr Nachsicht haben muß. Es widerstrebte Richard.

»Was ich fürchte,« sagte er, »ist, daß mein Vater mit mir alles glatt machen, sie aber nicht anerkennen wird; so daß ich sie jedesmal werde zurücklassen müssen, wenn ich zu ihm gehe, und ein solches Hin und Her – ein schrecklicher Zustand, wie ein Ball auf dem Billardtisch. Ich will die Schande nicht ertragen. Und das weiß ich! das weiß ich! sie könnte es verhindern und sogleich, wenn sie nur Mut haben und der Sache entgegengehen wollte. Sie, Sie Lady Judith, Sie würden nicht feige sein!«

»Wo mein alter Herr wünscht, daß ich hingehe, da gehe ich hin,« erwiderte die Dame kühl. »Darin liegt nicht viel Verdienst. Bitte führen Sie mich nicht zum Beispiel an. Die Frauen sind, wie Sie wissen, von Natur feige.«

»Ich liebe aber die Frauen, die nicht feige sind.«

»Das kleine Ding – Ihre Frau hat sich doch nicht geweigert zu gehen?«

»Nein – aber Tränen! Wer kann Tränen widerstehen?«

Lucy war bis zu Tränen gekommen. Da er nicht daran gewöhnt war, daß man seinen Willen durchkreuzte, und da er dringend war, wo er das, was geschehen mußte, so deutlich erkannte, hatte der junge Ehemann harte Worte gesprochen, und sie, die wußte, daß sie ihr Leben zollweise für ihn hingeben würde, die wußte, daß 452 sie um seines Glückes willen eine Rolle spielte, und um seinetwillen die Eigenschaften verbergen mußte, die seiner Achtung wert gewesen wären, die arme kleine Märtyrerin war einen Augenblick schwach geworden.

Adrian unterstützte sie. Der weise Jüngling fühlte sich sehr behaglich. Die Luft der Insel sagte ihm zu und es sagte ihm zu, verwöhnt zu werden. »Eine nette kleine Frau! eine sehr nette kleine Frau!« hörte ihn Tom Bakewell nach seiner Gewohnheit vor sich hinmurmeln; und seine ziemlich wohlwollende Schützermiene, wenn er neben der unschuldigen Schönheit ging oder saß, mit zurückgeworfenem Haupte und einem Lächeln, das immer mit seinem vortretenden Bäuchlein in geheimem Einverständnis zu sein schien, zeigte, daß sie zum Teil das erreicht hatte, um derentwillen sie ihre Rolle spielte. Weise Jünglinge, die ihre Lieben mit Geld bezahlen, sind nicht abgeneigt, wenn sich die Gelegenheit bietet den Versuch zu machen, das Erwünschte auch einmal für nichts zu erlangen. Untersuchungen ihrer Hand aus irgend einem geheimen Grunde, ein salbungsvolles Streicheln der Hand kamen nicht selten vor. Adrian wurde dann und wann anakreontisch in seinen Komplimenten. Lucy pflegte dann zu sagen: »Das ist noch schlimmer als Lord Mountfalcon.«

»Geben Sie wenigstens zu, daß es in besseren Worten geschieht, als der edle Lord anzuwenden geruht?« meinte Adrian.

»Er ist sehr liebenswürdig,« sagte Lucy.

»Allen gegenüber, nur nicht gegen unsere schöne Sprache,« fügte Adrian hinzu. »Er scheint darin einen Rivalen für seine Würde zu fürchten.«

Vielleicht fürchtete Adrian einen Rivalen für seine trägen Gefühle.

»Wir fühlen uns hier in ausgezeichneter Gesellschaft 453 sehr wohl,« schrieb er an Lady Blandish. »Ich muß zugeben, daß unser Wilder sehr viel Glück gehabt hat, oder einen hervorragenden Instinkt. Mit blindem Zugreifen hat er eine passende Gefährtin gefunden. Sie versteht es einen Lord anzusehen und für einen Epikuräer zu kochen. Außer Dr. Kitchener liest sie noch das Manuskript des Pilgers und spricht darüber. Das Kapitel ›Liebe‹ gefällt ihr natürlich besonders. Das Bild der Frau, das ›Ehrfurcht gezeichnet und dem Liebe die Farben verliehen hat‹, findet sie sehr schön, wiederholt es und macht dazu hübsche Augen. Auch das Gebet des Liebenden: ›Gib mir Reinheit, damit ich würdig sei des Guten in ihr, und gewähre ihr Geduld, damit sie zu dem Guten in mir empordringt.‹ Es ist sehr anziehend, wenn sie das flüstert. Sie können versichert sein, daß ich das Gebet wiederhole! Ich lasse sie ihre Lieblingsstellen mir vorlesen. Sie hat keine häßliche Stimme.

Die Lady Judith, die ich erwähnte, ist Austins Miß Menteith, die einen schwachsinnigen Lord Felle geheiratet hat. Lord Mountfalcon ist sein Vetter – und was er von ihr ist – weiß ich nicht! Sie hat versucht es herauszufinden, aber sie sind beide über ihr Erstaunen hinweggekommen, und benehmen sich nun demgemäß, er als der zurechtgewiesene schlechte Mann, sie als die keusche Ratgeberin, in welchem Verhältnis unser junges Paar sie gefunden und zufälligerweise die Gefahren zerstreut hat. Sie hatten sie ganz in die Hand genommen. Lady Judith hatte es unternommen, die schöne Papistin von der hübschen kleinen Angewohnheit zu kurieren, zu erröten und die Stirne zu runzeln, wenn sie angeredet wird, und Seine Lordschaft leitet die überströmende Kraft des unverdorbenen Mannes. So erfüllen wir unser Geschick und sind zufrieden. Manchmal tauschen sie die Zöglinge: der Lord erzieht die kleine Dame und Lady Judith die 454 Hoffnung von Raynham. Glück und Segen ihnen allen! wie die deutschen Dichter singen. Lady Judith hat die Hand des altersschwachen Lords genommen, um ihren Mitmenschen wirksam helfen zu können. Sie wissen, Austin setzt große Hoffnungen auf sie. Ich habe zum erstenmal in meinem Lebenslaufe eine Gesellschaft von Lords zum Studium. Ich glaube, es ist nicht ohne Bedeutung, daß ich durch die Nichte eines Bauern bei ihnen eingeführt worden bin. Die Sprache dieser beiden sozialen Extreme ist die gleiche. Ich finde, daß sie in einem instinktiv verschwenderischen Gebrauch von Vokalen und Adjektiven besteht. Der Lord und Farmer Blaize sprechen dieselbe Sprache, obgleich die Sprache des Lords ihre Kraft verloren hat und matt klingt, wenn auch fließend. Ihre Beschäftigungen sind auch dieselben, nur daß der eine Geld hat, oder, wie der Pilger sich ausdrücken würde, Vorteile und der andere nicht. Ihre Ideen scheinen darin einander verwandt zu sein, daß sie die Eigentümlichkeit haben da stehen zu bleiben, wo sie angefangen haben. Der junge Tom Blaize – mit den Vorteilen – würde Lord Mountfalcon sein. Selbst in dem Charakter ihrer Parasiten sehe ich eine Ähnlichkeit, obgleich ich zugeben muß, daß der ehrenwerte Peter Brayder, der Parasit des Lords, durchaus unschädlich ist.

Das klingt furchtbar demokratisch. Bitte, beunruhigen Sie sich nicht. Die Entdeckung der Verwandtschaft zwischen den beiden extremsten Zweigen der königlichen, britischen Eiche hat mich doppelt konservativ gemacht. Ich verstehe jetzt, daß die nationale Liebe zu einem Lord nicht so sehr Unterwürfigkeit ist, als vielmehr eine Form der Selbstliebe, als wenn wir sozusagen unserm eignen Bildnis einen Hut mit Goldtresse geben, um uns davor zu verneigen. Ich erkenne auch die wunderbare Weisheit unsers Systems: – könnte man ein schöneres 455 Gleichgewicht der Macht herstellen, als in einem Gemeinwesen. in dem Männer, die geistig nichts sind, die gesetzmäßigen Vorteile und den goldenen Tressenhut haben? Wie beruhigend ist es für den Verstand – den edlen Rebellen, wie ihn der Pilger nennt – zu stehen und sich zu verneigen und dabei von seiner eignen Überlegenheit überzeugt zu sein! Dieser vortreffliche Ausgleich stellt ein harmonisches Gleichgewicht her: wohingegen die Periode, die der Pilger voraussagt, wenn die Wissenschaft eine intellektuelle Aristokratie geschaffen haben wird, schrecklich auszudenken ist. Denn welcher Despotismus kann schlimmer sein, als der, den der Verstand nicht anfechten kann? Das wird ein eisernes Zeitalter werden. Und deshalb rufe ich, verehrte Frau, und werde fortfahren zu rufen: Es lebe Lord Mountfalcon! Lang möge er seine Burgunder schlürfen. Lange mögen die Speckesser ihn auf ihren Schultern tragen!

Mr. Morton, (der mir die Ehre antut, mich den jungen Mephisto zu nennen und einen mißlungenen Sokrates) verläßt uns morgen, um den jungen Ralph aus seiner Klemme zu befreien. Unser Richard ist grade zum Mitglied eines Klubs zur Beförderung der Seekrankheit ernannt worden. Ist er glücklich? fragen Sie. So glücklich, wie jemand sein kann, der das Unglück gehabt hat, das zu erlangen, was er sich wünschte. Geschwindigkeit ist jetzt seine Leidenschaft. Er stürmt von einem Punkt zum andern. Im Wettbewerb mit Leander und Don Juan ist er, wie ich höre, neulich nach der gegenüber liegenden Küste geschwommen, oder hat irgend eine solche welterschütternde Heldentat ausgeführt: er selbst war der einzige Hero–s, den er getroffen hat: oder wie einige sagen: seine Hero war ein Bett. Eine hübsche kleine häusliche Szene ereignete sich heute morgen. Er findet sie in dem Feuer seiner Zärtlichkeit zerstreut, sie 456 wird schüchtern und sucht die Einsamkeit: grüne Eifersucht erfaßt ihn: er verbirgt sich im Hinterhalt und entdeckt sie mit seinem neuen Rivalen – einer alten Ausgabe des Küchen-Doktors! Blind gegen des Doktors große nationale Verdienste, taub gegen ihr wildes Geschrei, ergreift er den Eindringling, zerstückelt ihn und läßt ihm die Behandlung angedeihen, die er selbst für Gurkensalat empfohlen hat. Tränen und Geschrei begleiten den Sturz des Gastronomen. Herab stürzt sie, um die geliebten Trümmer zu retten: er folgt: sie finden ihn, wie er sich getreu seinem Charakter niederfallend über ein Blumenbeet zu zerstreuen sucht. Doch ehe eine schönere Blume ihn wieder aufsammeln kann, tritt ihn eine Hacke wie die des Pluto in die Erde, Blumen und alles – glückliches Begräbnis! Ein gefühlvoller Tribut für sein Verdienst befeuchtet sein Grab, als vorbeischlendernd sich naht – Lord Montfalcon. ›Was ist los,‹ sagt Seine Lordschaft und glättet den Schnurrbart. Sie verschwinden, und es bleibt mir überlassen vom Fenster aus den Sachverhalt zu erklären. Mein Herr Lord sieht empört aus, Richard ist böse auf sie, weil er Grund hat sich zu schämen, die Schönheit trocknet ihre Augen und nach einer Pause allgemeiner Torheit werden die Beschäftigungen des Tages wieder aufgenommen. Ich will noch hinzufügen, daß der Doktor soeben wieder ausgegraben worden ist und daß wir in Abwesenheit des Feindes damit beschäftigt sind, den alten Äson mit Zauberfäden zu erneuern. Nebenbei bemerkt, hat ein katholischer Priester sie gesegnet.«

Ein Monat war vergangen, seit Adrian diesen Brief geschrieben hatte. Er fühlte sich sehr behaglich und so meinte er natürlich, die Zeit würde ihre Schuldigkeit tun. Kein Wort sagte er von Richards Rückkehr, und aus verschiedenen Gründen sprachen auch Richard und Lucy nicht mehr davon.

457 Lady Blandish schrieb zurück: »Sein Vater glaubt, er hätte sich geweigert, zu ihm zu kommen. Nach Ihrem absoluten Stillschweigen über diesen Punkt, fürchte ich, daß es so ist. Bewegen Sie ihn dazu, daß er kommt. Bringen Sie ihn mit Gewalt. Bestehen Sie darauf, daß er kommt. Ist er toll? Er muß sofort kommen.«

Hierauf erwiderte Adrian nach einem beschaulichen, trägen Zwischenraum von ein oder zwei Tagen, was man so auffassen konnte, als hätte er die Zeit dazu gebraucht, um Anstrengungen zu machen, den Rat der Dame zu erfüllen. Er schrieb: »Die Sache ist: der halbe Mann weigert sich zu kommen, wenn nicht der ganze Mann kommt. Die schreckliche Frage des Geschlechts ist unser Hindernis.«

Lady Blandish war in Verzweiflung. Sie hatte nicht die ausgesprochene Sicherheit, daß der Baron seinen Sohn empfangen würde, die Maske ließ sie alle im Dunkeln; aber sie glaubte zu sehen, daß Sir Austin gereizt darüber wurde, daß der Schuldige nun, wo sich die Gelegenheit zu kommen und Frieden zu schließen für ihn eröffnet hatte, Tage und Wochen verstreichen ließ. Sie sah genügend durch die Maske, um nicht ohne Hoffnung zu sein, daß er einwilligen könnte das junge Paar jetzt zu empfangen: sie war sicher, daß seine Gleichmütigkeit nur angenommen war; aber sie drang nicht weiter vor, oder sie wäre erschreckt zurückgefahren und hätte sich gefragt: Ist dies das Herz einer Frau?

Schließlich schrieb die Dame an Richard. Sie sagte: »Kommen Sie sogleich und kommen Sie allein.« Da gab Richard gegen sein eignes Urteil nach. »Mein Vater ist nicht der Mann, für den ich ihn gehalten habe!« rief er traurig und Lucy fühlte, wie seine Blicke sagten: »Und du bist auch nicht die Frau, für die ich dich gehalten habe!«

Nichts konnte das arme, kleine Herz erwidern, sie 458 konnte sich nur eng an ihn schließen und in seinen Armen schlaflos beten, die ganze Nacht.

 


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