George Meredith
Richard Feverel
George Meredith

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

In welchem der letzte Akt einer Komödie an die Stelle des ersten tritt.

Obgleich der Wind stürmisch wehte, als Cäsar den Rubikon überschritt, so ist doch der Übergang über diesen Fluß gewöhnlich ruhig, so ruhig, wie über den Acheron. Solange der Fährmann nur sein Fährgeld bekommt, verlangt er nicht zu wissen, wen er hinüberbringt: er rudert kräftig und die Helden können in einer halben Stunde drüben sein. Erst wenn sie das gegenüberliegende Ufer erreicht haben, erkennen sie, was für einen großen Sprung sie gemacht haben. Die Küsten, die sie verlassen haben, schrumpfen zusammen, als wenn sie in unendlicher Ferne lägen. Dort haben sie geträumt, hier müssen sie handeln. Dort liegen Jugend und Unentschlossenheit: hier Mannesalter und Lebenszweck. Sie sind wirklich in einem andern Land: ein moralischer Acheron durchschneidet ihr Leben. Kaum ihre Erinnerungen scheinen ihnen noch anzugehören!

Die »Philosophische Geographie«, die nächstens erscheinen soll, macht die Bemerkung, daß jeder Mensch zu einer oder der andern Zeit einen kleinen Rubikon hat – ein klares oder ein trübes Wasser, das er überschreiten muß. Es wird ihm die Frage vorgelegt: »Willst du dich mit diesem Schicksal vermählen, und alles, was hinter dir liegt, aufgeben?« Und das klar ausgesprochene »Ich will« 344 bringt ihn geschwind hinüber. Die oben erwähnte, erst im Manuskript vorhandene, Autorität teilt uns mit, daß bei weitem die größte Zahl der Leichen, die von diesem heroischen Strom dem tiefer rauschenden Bruderstrom zugetragen werden, solche Leute sind, die ihr »Ich will« bereut und versucht haben zu dem Ufer zurückzuschwimmen, das sie verlassen hatten. Denn obgleich jeder von uns in einer verhängnisvollen Minute zum Helden werden kann, so bleiben es doch nur die wenigsten auch nur für die Dauer eines Tagesmarsches: und wer kann sich darüber wundern, daß Frau Fortuna dann ärgerlich wird und diesen Abtrünnigen das schreckliche Antlitz des Welt-Schicksals zeigt? Laß ihr gegenüber dein Herz oder deine Tatkraft versagen und dann sieh, wie die verlockende Lieblichkeit ihres Antlitzes dahinschwindet und sich zu dem verzerrt, was ihm zugrunde liegt! Sei dein Rubikon breit oder schmal, klar oder trübe, es bleibt dasselbe, du darfst nicht zurück. Vorwärts – oder zum Acheron hinab! Ich unterschreibe den Ausspruch in dem Manuskript des Pilgers:

»Über die Gefahr einer zu geringen Erkenntnis der Dinge läßt sich streiten: hütet Euch aber vor der zu geringen Kenntnis Eures Selbsts!«

Richard Feverel kreuzte jetzt den Strom seiner Prüfung. Schon legten sich Nebel über das Land, das er verlassen hatte: sein Leben war in zwei Hälften zerschnitten, und er atmete nur die Luft, die ihm entgegenströmte. Sein Vater, die Liebe seines Vaters, seine Knabenzeit, sein Ehrgeiz wurden schattenhaft. Seine poetischen Träume hatten eine lebendige, erreichbare Gestalt angenommen. Die herbstliche Berry und ihr Haushalt machten jetzt einen größeren Eindruck auf ihn, als irgend etwas, das mit Raynham zusammenhing. Und doch liebte der junge Mann seinen Vater und liebte seine Heimat: und ich wage auch zu behaupten, daß Cäsar Rom liebte: aber ob er das 345 nun tat oder nicht, Cäsar war, als er die Republik mordete, ganz kahl, und der Held, mit dem wir uns beschäftigen, fängt kaum an seinen despotischen Schnurrbart zu fühlen. Wußte er, woraus er gemacht war? Zweifellos noch gar nicht. Aber ehrliche Leidenschaft hat einen Instinkt, der sicherer führt als bewußte Weisheit. Er war scharf angespannt, wie der Pfeil auf der Bogensehne. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß seine kühnen Lügen und Ausflüchte irgend wie unrecht sein könnten: denn er war vollkommen davon überzeugt, daß man es schließlich laut anerkennen und gutheißen würde, daß er Lucy gewonnen und sich gesichert hätte, und waren dann die Mittel nicht gerechtfertigt? Nicht, daß er sich die Mühe gegeben hätte, so zu überlegen, wie es ältere Helden und sich selbst anklagende Schurken zu tun pflegen, um ein reines Gewissen daraus herzuleiten. Gewissen und Lucy waren untrennbar.

Es war ein milder, schöner Tag. Der Rubikon glänzte in der Morgensonne. Einer jener Tage, an denen London ein sommerliches Aussehen annimmt und alle seine kleinen Kinder an die Luft schickt. Das Pflaster, die Plätze, die Parks waren schon früh belebt durch das Geschrei des jungen Englands. Veilchen- und Primel-Mädchen und Jungen mit Leierkasten, und Affen in Soldatenjacken und richtige Musikkapellen, die sehr bestimmt Töne von sich gaben, wenn auch nicht sehr zusammenstimmende, erfüllten die Luft mit ihrem Geräusch, während sich eine farbenprächtige Reihe von Omnibussen mit Geschäftsleuten beladen, nach der City hin bewegte, wo eine vom Südwest-Winde getriebene rötlich-braune Rauchsäule das Schlachtfeld bezeichnete, dem diese unermüdlichen Kämpfer zuströmten. Richard hatte an diesem Morgen viel von dem frühen Leben der Stadt gesehen. Seine Pläne waren gemacht. Er hatte dafür gesorgt, seine persönliche Freiheit 346 gegen jeden Zufall zu schützen, indem er das Hotel und seinen beleidigten Onkel Hippias schon vor Sonnenaufgang verließ. Heute oder morgen sollte sein Vater ankommen. Farmer Blaize durchraste die Stadt, wie Tom Bakewell berichtete. Ein Tag später und sie könnte ihm entrissen werden, aber heute würde dieses Wunder der Schöpfung sein eigen werden, und war er erst immer auf jener schimmernden Küste dort drüben, dann mochte verlangen von ihm, wer es wagte, daß er sie wieder herausgeben sollte! Es sah alles so hoffnungsvoll aus, daß er natürlich dachte, die dienstbaren Geister der Liebe hätten sich zu seinen Gunsten verschworen. Und auch sie – da sie nun den Fluß überschreiten mußte, hatte ihm geschworen, tapfer zu sein und ihm Ehre zu machen und das Glück ihres Herzens auch in ihrem Antlitze zu zeigen. Ohne den geringsten Verdacht, daß seine Handlungen töricht sein könnten, ganz ohne Furcht vor den Folgen, schlenderte Richard durch Kensington Park und zehrte von der Aussicht auf sein großes Glück, indem er sich bald seine Braut vorstellte, bald das neue Leben, das sich vor ihm auftat. Berge von Wolken rundeten sich im Sonnenlicht auf dem Blau des Himmels. In dem blühenden Kastanien-Zelt über seinem Haupte rauschte und summte es. In seinen Ohren klang ein Ton, als ob sich in fröhlicher Ferne ein Banner entfaltete, und wiegte ihn in süße Träume.

Er sollte seine Braut ein viertel nach elf Uhr bei der Kirche treffen. Seine Uhr zeigte ein viertel vor zehn. Er schlenderte unter den hochstämmigen Bäumen, zu dem Brunnen, der irgend einem unbekannten Heiligen gewidmet ist. Einige Leute tranken an dem Brunnen. Eine blühend aussehende Dame stand neben einer jüngeren, die einen kleinen, silbernen Becher zum Munde führte und unverkennbare Abneigung gegen das Getränk des Gesundheit spendenden Heiligen an den Tag legte:

347 »Trinke Kind,« sagte die ältere Dame. »Das ist erst dein zweiter Becher. Ich bestehe darauf, daß du, solange wir in der Stadt sind, jeden Morgen drei volle Becher trinkst. Deine Konstitution verlangt ganz entschieden Eisen.«

»Aber Mama,« bat die andere, »es schmeckt so abscheulich. Mir wird sicherlich übel.«

»Trinke!« lautete der rauhe Befehl. »Dies ist noch nichts im Vergleich zu den deutschen Heilquellen. Laß mich einmal kosten.« Sie nahm den Becher und berührte ihn flüchtig mit ihren Lippen. »Ich muß sagen, es schmeckt beinahe gut – durchaus nicht unangenehm. Bitte, koste einmal,« sagte sie zu einem Herrn, der etwas weiter unten stand und als Becherträger zu fungieren schien.

Eine Stimme, noch unverkennbar Cis-Rubikon, erwiderte: »Gerne, um dir Gesellschaft zu leisten, obgleich ich gestehe, daß ich gemeinsames Kranksein durchaus nicht für eine sehr einnehmende Sache halte.«

»Kann man denn niemals seinen Verwandten entgehen?« rief es in Richard.

Es war kein Zweifel, diese Leute waren Mrs. Doria, Klara und Adrian. Sie waren dicht vor ihm.

Klara, die von der ihr verordneten Dosis aufblickte, um sich zu vergewissern, ob auch niemand in der Nähe wäre, der die möglichen Folgen sehen könnte, bemerkte ihn zuerst. Sie ließ die Hand sinken.

»Nun bitte, trinke und mache keine Geschichten!« sagte Mrs. Doria.

»Mama!« rief Klara schwer atmend.

Richard trat vor und übergab sich dem Feinde mit allen Ehren, da ein Rückzug nicht mehr möglich war.

Mrs. Doria rauschte ihm entgegen: »Mein einziger Junge! Mein lieber Richard!« sie überschüttete ihn mit Ausrufen. Klara begrüßte ihn schüchtern, Adrian hielt sich im Hintergrunde.

348 »Aber, wir wollten dich ja heute abholen, Richard,« sagte Mrs. Doria mit strahlendem Lächeln und sprach aufgeregt weiter: »Wir brauchen noch einen Kavalier. Das ist entzückend! Mein lieber Neffe! Du bist aus einem Knaben zu einem Mann herangewachsen. Und schon Flaum auf seiner Lippe! Und was bringt dich zu einer so frühen Stunde hierher? Doch wohl Poesie! Komm, gibt mir deinen Arm, Kind! – Klara! trinke deinen Becher aus und bedanke dich bei deinem Vetter dafür, daß dir der dritte erspart bleibt. Wenn wir in der Nähe eines Eisenbrunnens sind, führe ich sie immer hin, damit sie vor dem Frühstück das Wasser trinkt. Wir müssen schrecklich früh aufstehen. Denke nur, mein lieber Junge, was Mütter für Opfer bringen. Und du bist also vierzehn Tage mit deinem liebenswürdigen Onkel allein gewesen! Du mußt eine schöne Zeit verlebt haben! Der arme Hippias. Was mag wohl sein letztes Geheimmittel gewesen sein?«

»Ein Neffe!« Adrian beugte sich zu den beiden vor. »Eine Dosis Neffen morgens und abends, vierzehn Tage lang eingenommen! Und er behauptet, daß auch eine eiserne Gesundheit in einem Monat dadurch zerstört werden könnte!«

Richard schüttelte Adrian mechanisch die Hand.

»Geht's gut, Ricky?«

»Ja: gut genug,« antwortete Richard.

»Ob es dir gut geht?« fuhr die energische Tante wieder fort, und ging mit ihm weiter, während Klara und Adrian folgten. »Ich habe dich noch niemals so hübsch gefunden. Es ist etwas in deinem Gesicht – sieh mich mal an – du brauchst nicht zu erröten. Du bist ein Apollo geworden. Dieser blaue zugeknöpfte Rock steht dir wunderbar gut – und die Handschuhe, und der hübsche Schlips. Deine Art, dich anzuziehen, ist tadellos, ganz eigenartig! Und nichts Auffallendes! Du hast den richtigen Instinkt 349 für Kleidung. Die Art, wie man sich anzieht, zeigt die Herkunft, mein lieber Junge, ebensosehr wie alles andere. Junge! – Du siehst, ich kann mich noch nicht von alten Gewohnheiten trennen. Du warst ein Knabe, als ich dich verließ, und nun? – Siehst du irgend eine Veränderung in ihm, Klara?« sie wandte sich halb zu ihrer Tochter zurück.

»Richard sieht sehr wohl aus, Mama!« sagte Klara und blickte ihn mit halb geschlossenen Augen an.

»Ich wünschte, ich könnte von dir dasselbe sagen, meine Liebe. – Gib mir deinen Arm, Richard. Fürchtest du dich vor deiner Tante? Ich möchte mich wieder an dich gewöhnen. Wird es nicht hübsch sein, wenn wir in der Saison alle zusammen in der Stadt sind? Wie neu wird die Oper für dich sein! Wie ich höre, wird Austin Plätze im Parkett nehmen. Du kannst zu den Foreys in die Loge kommen; wenn du willst. Wir wohnen bei den Foreys hier in der Nähe. Ich finde es etwas weit heraus, weißt du, aber sie haben diese Gegend gern. Dies ist ganz das, was ich immer gesagt habe: Gebt ihm mehr Freiheit! Austin hat es schließlich eingesehen. Wie findest du, daß Klara aussieht?«

Sie mußte die Frage wiederholen. Richard blickte seine Cousine flüchtig an und lobte ihr Aussehen.

»Blaß,« seufzte Mrs. Doria.

»Ziemlich blaß, Tante!«

»Sie ist sehr gewachsen – findest du das nicht, Richard?«

»Sie ist wirklich sehr groß, Tante.«

»Wenn sie nur ein bißchen mehr Farbe hätte, mein lieber Richard. Ich kann wohl sagen, ich gebe ihr soviel Eisen, wie sie nur schlucken kann, aber sie bleibt blaß. Ich glaube, sie kann fern von ihrem alten Gefährten nicht gedeihen. Sie war so daran gewöhnt zu dir aufzusehen, Richard –«

350 »Hast du Ralphs Brief bekommen, Tante?« unterbrach sie Richard.

»Abgeschmackt!« Mrs. Doria drückte seinen Arm. »Der Unsinn eines Knaben! Warum hast du es unternommen, solches Zeug zu befördern?«

»Ich bin sicher, daß er sie liebt,« sagte Richard ernsthaft.

Die mütterlichen Augen blickten ihn scharf an. »Das Leben, mein lieber Richard, ist ein Spiel von Mißverständnissen,« bemerkte sie und ihre fließende Rede stockte. Sie wurde ziemlich ärgerlich, als Richard lachte. Er entschuldigte sich damit, daß sie ihn so sehr an seinen Vater erinnerte.

»Du frühstückst mit uns,« sie wurde wieder munter. »Die Foreys wünschen dich zu sehen, die Mädchen brennen darauf, dich kennen zu lernen. Weißt du, du bist ganz berühmt, wegen des« – sie unterdrückte ein Eigenschaftswort, das sich eindrängen wollte – »wegen des Systems, nach dem du erzogen bist. Du mußt dir nichts daraus machen. Was mich anbetrifft, so finde ich, du machst dem System Ehre. Sei den jungen Mädchen gegenüber aber nicht zu schüchtern! Den älteren Frauen gegenüber soviel, wie du willst. Wie du dich mit Männern zu benehmen hast, weißt du. So, da hast du deinen Führer durch die Gesellschaft. Ich bin überzeugt, daß ich stolz auf dich sein werde. Glaubst du nicht?«

Mrs. Doria sah ihm liebevoll in die Augen.

Richard kam der menschenfreundliche Gedanke, daß er die Zeit, die ihm übrig blieb, dazu benutzen könnte, um zugunsten des armen Ralph zu sprechen; und als er vorwärts gezogen wurde, nahm er seine Uhr heraus, um sich genau die Zahl der Minuten zu merken, die er diesem Liebesdienst widmen konnte.

»Verzeih',« sagte Mrs. Doria. »Dir fehlt es noch an 351 guten Manieren, mein lieber Junge. Ich glaube, ich habe es noch niemals erlebt, daß ein Mann in meiner Gegenwart seine Uhr zu Rate gezogen hätte.«

Richard erwiderte höflich, daß er eine Verabredung zu einer bestimmten Stunde habe, bis zu welcher er ihr zur Verfügung stände. –

»Papperlapapp,« rief die lebhafte Dame. »Nun ich dich einmal habe, beabsichtige ich auch, dich zu halten. Ach, ich habe alles gehört. Diese lächerliche Gleichgültigkeit, über die dein Vater soviel Wesens macht! Du wolltest natürlich etwas von der Welt kennen lernen. Ein gesunder, kräftiger junger Mann, sein ganzes Leben in einem einsamen Hause eingeschlossen – keine Freunde, keine Gesellschaft, keine Vergnügungen, außer denen der Landbewohner! Natürlich wurdest du gleichgültig! Nur deine Klugheit und deine geistige Überlegenheit retteten dich davor, ein wüster Bauer zu werden. Wo bleiben denn die andern?«

Klara und Adrian kamen mit schnellen Schritten herbei.

»Das gnädige Fräulein ließ etwas fallen,« erklärte Adrian.

Die Mutter fragte sie, was es gewesen wäre.

»Nichts, Mama,« sagte Klara ernsthaft und sie gingen weiter.

Richard war ganz überwältigt durch die geläufige Zunge seiner Tante, und da er auch noch durch die genaue Berechnung der dahingehenden Minuten in Anspruch genommen wurde, ließ er mehrere verstreichen, ehe er ein Wort für Ralph einlegen konnte. Als er es tat, unterbrach ihn Mrs. Doria sofort.

»Ich muß dir sagen, Kind, daß ich mich weigere, solchen dummen Unsinn überhaupt anzuhören.«

»Das ist es durchaus nicht, Tante.«

»Die Zuneigung eines Knaben.«

352 »Er ist kein Knabe, er ist ein halbes Jahr älter als ich!«

»Du dummes Kind! In dem Augenblick, in dem ihr euch verliebt, bildet ihr euch ein, Männer zu sein.«

»Auf Ehre, Tante! Ich glaube, er liebt sie wirklich!«

»Hat er es dir gesagt, Kind?«

»Männer sprechen nicht offen über solche Dinge,« sagte Richard.

»Knaben tun es,« sagte Mrs. Doria.

»Hör' einmal ernsthaft zu, Tante. Ich möchte, daß du freundlich zu Ralph bist. Treibe ihn nicht zu – – es könnte dir leid tun. Laß ihn an sie schreiben und sie besuchen. Ich glaube, Frauen sind in diesen Dingen ebenso grausam wie Männer.«

»Ich werde Albernheiten niemals ermutigen, Richard.«

»Was kannst du gegen Ralph einzuwenden haben?«

»Ach, sie sind beide von guter Familie. – Darin liegt nicht die Albernheit, Richard. Es wird ihm zur Ehre gereichen, wenn er sich daran erinnern kann, daß seine erste Liebe kein Milchmädchen war,« Mrs. Doria sprach mit vielsagender Betonung. Es machte keinen Eindruck auf ihren Neffen.

»Willst du denn, daß Klara niemals heiratet?« er versuchte ihr die Sache noch einmal vernünftig vorzustellen.

Mrs. Doria lachte. »Ich hoffe es, Kind! Wir müssen einen gemütlichen, alten Herrn für sie finden.«

»Was für eine Schande,« murmelte Richard.

»Und ich bin überzeugt, daß Ralph ganz bereit sein wird, auf ihrer Hochzeit zu tanzen oder vielmehr ein tüchtiges Frühstück zu essen – denn wir tanzen ja nicht mehr auf Hochzeiten und das ist auch ganz richtig. Es ist eine schrecklich ernste Sache, die nicht leichtsinnig behandelt werden sollte. – Ist das sein Regiment?« sagte 353 sie, als sie aus dem Park traten, vor dem Husaren Schildwache standen. »Kind, Kind! Master Ralph wird sich davon erholen, wie – nun – wie andre es auch getan haben. Ein kleiner Kopfschmerz – ihr nennt es Herzschmerzen – und dann steht ihr wieder auf, und seht besser aus, als vorher. Zweifellos muß es euch schmerzlich sein, ihr armen, lieben Kinder! wenn ein Körnchen gesunden Menschenverstands in euer Gehirn gepreßt wird. Die Mädchen leiden darunter ebenso sehr, wie die Knaben, das kannst du mir glauben. Noch mehr, denn ihre Köpfe sind schwächer, und ihre Neigungen weniger beständig. Spreche ich jetzt wie dein Vater? Was hat der Junge nur immer mit seiner Uhr?«

Richard hielt an, die Zeit sprach dringend zu ihm.

»Ich muß gehen,« sagte er.

Nach dem Ausdruck seines Gesichts war er nicht zum Scherzen aufgelegt. Mrs. Doria versuchte trotz alledem einen Scherz.

»Höre doch, Klara! Richard will gehen. Er sagt, er habe eine Verabredung. Was für eine Verabredung kann ein junger Mann um elf Uhr morgens haben? – vorausgesetzt, daß er sich nicht verheiraten will!«

Mrs. Doria lachte über ihren geistreichen Gedanken.

»Ist die Kirche nahe zur Hand, Ricky?« sagte Adrian. »Wenn sie nahe ist, dann kannst du uns immer noch eine halbe Stunde schenken. Bis um zwölf Uhr wird getraut.« Und er lachte auch auf seine Art.

»Willst du nicht bei uns bleiben, Richard?« fragte Klara. Sie errötete schüchtern und ihre Stimme zitterte.

Etwas Unbestimmtes – ein scharfes Beben ihrer Stimme veranlaßte es, daß der liebeglühende Bräutigam sanft mit ihr sprach.

»Ich würde es wirklich tun, Klara, ich würde dir gern einen Gefallen tun, aber ich habe eine höchst dringende 354 Verabredung – das heißt, ich habe versprochen – ich muß gehen. Ich werde dich bald wiedersehen. –«

Mrs. Doria ergriff mit Gewalt Besitz von ihm. »Nun komm und verschwende weiter keine Worte. Ich verlange, daß du zuerst mit uns frühstückst, und wenn du dann wirklich gehen mußt, dann magst du. Sieh! da ist das Haus. Du wirst doch wenigstens deine Tante bis zur Türe begleiten.«

Darin willigte Richard ein. Sie hatte nur eine geringe Vorstellung von dem, was sie von ihm verlangte. Zwei seiner goldenen Minuten schwanden in das Nichts dahin. Sie wurden zu wertvollen Juwelen, eine nach der andern, immer kostbarer, wie sie dahin rannen, und nun nur noch wenige kostbare Tropfen, – kostbar wie sein Blut! nicht für die liebevollsten Verwandten, die teuersten Freunde konnte er auch nur eine einzige davon hingeben. Der Würfel ist gefallen! Fährmann! stoß ab!

»Lebt wohl,« rief er, nickte allen dreien auf einmal zu und floh.

Sie beobachteten seine raschen, kräftigen Schritte durch den Garten des Hauses. Es sah aus, als ob Entschlossenheit selbst sich auf den Weg gemacht hätte. Mrs. Doria fing an auf das System zu schelten, wie es ihre Gewohnheit war, sobald ihr Bruder sie nicht hören konnte.

»Da sieht man, was aus dieser unsinnigen Erziehung herauskommt! Der Junge versteht wirklich nicht sich wie ein gewöhnlicher Sterblicher zu benehmen. Er hat irgend eine armselige Verabredung oder ist hinter irgend einer seiner lächerlichen Ideen her, und alles andere muß dem geopfert werden! Das ist, was Austin Konzentration der Fähigkeiten nennt. Ich glaube, daß es viel eher zu vollständiger Verrücktheit führt als zu irgend welcher Größe. Und das werde ich Austin auch sagen. Es wird Zeit, daß man ernsthaft mit ihm darüber spricht.«

355 »Er ist eine Maschine, meine liebe Tante,« sagte Adrian. »Er ist weder ein Knabe noch ein Mann, er ist eine Maschine. Und er scheint, seit er nach der Stadt gekommen ist, unter hohem Druck gestanden zu haben – den ganzen Tag aus und die halbe Nacht.«

»Er ist verrückt,« warf Mrs. Doria ein.

»Durchaus nicht. Außerordentlich schlau ist der Master Ricky, und sieht seinen Weg so klar vor sich, wie die Schiffe vor Troja. Er ist uns mehr als gewachsen; mir wenigstens ist er es, das gebe ich zu.«

»Dann muß ich mich sehr über ihn wundern,« sagte Mrs. Doria.

Adrian bat sie, ihre Verwunderung für sich zu behalten, bis die rechte Zeit dafür käme, die nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.

Ihr gesunder Menschenverstand riet ihnen, den Foreys nichts von dem unliebenswürdigen Benehmen ihres jungen Verwandten zu erzählen. Klara hatte sich von ihnen getrennt. Als Mrs. Doria in ihr Zimmer ging, fand sie ihre Tochter dort, die auf etwas blickte, was sie in der Hand hielt, die sie dann schuldbewußt schloß.

Als Antwort auf ihre Frage, warum sie ihre Sachen nicht abgelegt hätte, sagte Klara, daß sie nicht hungrig wäre. Mrs. Doria beklagte den Eigensinn einer Konstitution, auf die keine Quantität Eisen einen Eindruck machen konnte, stellte sich dann vor den Spiegel und sagte: »Zieh' dich denn hier aus, Kind, und lerne es, dich selbst bedienen.«

Sie löste ihren Hut von dem reichen Haar und sprach von Richard, wie hübsch er ausgesehen und wie wunderlich er sich benommen hatte. Klara fuhr fort ihre Hand zu öffnen und zu schließen, in halb nachdenklicher, halb gleichgültiger Haltung. Sie machte keine Anstalten ihre Sachen abzulegen. Ein freudloses Grübchen lag auf 356 ihren Wangen und sie atmete tief und gleichmäßig.

Nachdem sich Mrs. Doria vor dem Spiegel vergewissert hatte, daß sie sich sehen lassen konnte, ging sie zu ihrer Tochter.

»Aber wirklich,« sagte sie, »du bist zu unselbständig, meine Liebe. Du kannst nicht das geringste tun, ohne daß ein Dutzend Frauen für dich bereit stehen. Was soll nur aus dir werden? Du wirst einen Millionär heiraten müssen. – Was ist dir, Kind?«

Klara öffnete ihre festgeschlossenen Finger, als ob ihre Augen eine Anziehungskraft ausübten, und zeigte einen kleinen goldenen Reif auf der Handfläche ihres grünen Handschuhs.

»Ein Trauring!« rief Mrs. Doria, und untersuchte das merkwürdige Ding höchst vorsichtig.

Da lag auf Klaras blaßgrünem Handschuh ein Trauring!

Klara wurde nun mit Fragen bestürmt, wo, wann, und wie sie ihn gefunden hätte und sie antwortete: »In dem Park, Mama. Heute morgen, als ich hinter Richard ging!«

»Hat er ihn dir wirklich nicht gegeben, Klara?«

»Aber nein, Mama, er hat ihn mir nicht gegeben.«

»Natürlich nicht! er tut nur manchmal solch wunderliche Dinge! Ich dachte, daß er vielleicht – diese Jungens sind so furchtbar lächerlich!« Es kam Mrs. Doria in den Sinn, daß die beiden jungen Herren, Richard und Ralph, es vielleicht mit einander ausgemacht hätten, Richard sollte dieses Zeichen ehelicher Hingabe von Ralph der Dame seiner Liebe übergeben; aber ein Augenblick der Überlegung ließ ihr ein solch törichtes Unternehmen, selbst bei Knaben, unwahrscheinlich erscheinen.

»Nun möchte ich nur wissen,« sie prüfte nachdenklich 357 Klaras kalten Ausdruck, »nun möchte ich nur wissen, ob es Glück bedeutet, wenn man einen Trauring findet. Was für scharfe Augen du hast, Liebling!« Mrs. Doria küßte sie. Sie dachte, es müßte wohl Glück bedeuten, und dieser Umstand erweckte zärtliche Gefühle gegen ihr Kind. Das Kind aber blieb unbeweglich bei dem Kusse.

»Laß mal sehen, ob er dir paßt,« sagte Mrs. Doria beinahe kindisch vor Überraschung und Vergnügen.

Klara duldete es, daß ihr Handschuh abgezogen wurde. Der Ring glitt ihren langen, dünnen Finger hinab und setzte sich behaglich fest.

»Er paßt!« flüsterte Mrs. Doria. Einen Trauring finden kann schließlich jede Frau, aber einen Trauring finden, der paßt, kann wohl abergläubische Erregung verursachen. Wenn er außerdem gerade in der Nähe des jungen Mannes gefunden wird, den die Mutter für die Tochter bestimmt hat, dann verleiht solch ein Fingerzeig Fortunas der sanften Erregung der Gedanken eine gewisse Bedeutung.

»Er paßt wirklich,« fuhr sie fort. »Ich gebe ja gar nichts auf all den Unsinn von Vorbedeutungen und solchen Sachen (wäre der Ring ein Hufeisen gewesen, Mrs. Doria würde ihn aufgehoben und pflichtschuldigst nach Hause getragen haben), aber dieses muß ich sagen, ist wunderlich – einen Ring zu finden, der paßt! – sonderbar! das ist mir noch nie passiert. Ein Sixpencestück ist alles, was ich je gefunden habe, und das habe ich noch. Verwahre ihn gut, Klara – diesen Ring. Und,« sie lachte, »wenn Richard kommt, biete ihn ihm an; sage ihm, du dächtest, er müsse ihn verloren haben.«

Das Grübchen in Klaras Wange bebte. Mutter und Tochter hatten niemals ausdrücklich von Richard gesprochen. Mrs. Doria hatte es aber durch ihre feine Leitung dahin gebracht, daß sie sicher sein konnte, von einer Seite 358 wenigstens würde ihrem Plane allgemeinen Glückes kein Hindernis in den Weg gelegt werden. Dabei hatte sie, wie sie meinte, die Gefühle ihrer Tochter nicht unnötig bloßgestellt. Es konnte einem gehorsamen jungen Mädchen nichts schaden, wenn sie hörte, daß in der ganzen Welt kein Jüngling einem gewissen Jüngling gleich käme. Sie konnte wohl einwilligen, die Gemahlin dieses Vornehmsten seiner Generation zu werden, wenn er das von ihr verlangte; und wenn er es nie verlangen sollte (denn Mrs. Doria faßte auch den möglichen Mißerfolg ins Auge), konnte sie ihre sanften Gefühle leicht auf Ritter niederer Art übertragen. Klara war ihrer Mutter immer blind gehorsam gewesen (Adrian nannte sie Mrs. Rackert und den schönen Federball) und Mrs. Doria faßte diesen blinden Gehorsam als Leitmotiv auf zu ihrem ganzen Charakter. Für diejenigen, die sehr eifrig für ihre Kinder denken, ist es schwierig zu erkennen, wenn diese Kinder einmal für sich selbst denken. Eigne Willensäußerungen legen wir als Auflehnung aus. Es ist uns unangenehm, wenn unsere Liebe für invalide erklärt und ihr das Kommando entzogen wird. Und trotz alledem halte ich jene alte Drossel, die dort auf dem Rasen eben das letzte ihrer mageren Jungen aus dem Nest gestoßen hat, damit es lernt für sich selbst zu sorgen, für sehr viel liebevoller, obgleich gefühlvolle Leute die Achseln zucken über diese gefühllose Tat der Kreatur, die nur die Gebote der Natur erfüllt. Nun ist aber übertriebener Gehorsam für jemand, der alles ganz besonders gut zu leiten versteht, ebenso schlimm wie Auflehnung. Glücklicherweise sah Mrs. Doria in dem Wesen ihrer Tochter nichts als einen Mangel an Eisen. Ihre bleiche Gesichtsfarbe, ihr schlaffes Wesen, die zitternden Nerven ihres Antlitzes zeigten dringend das Bedürfnis nach diesem Mineral.

»Der Grund, warum Männer und Frauen uns 359 geheimnisvoll erscheinen und uns Enttäuschungen bereiten,« so lernen wir aus dem Manuskript des Pilgers, »ist, daß wir sie wie unser eignes Lebensbuch lesen wollen, und ebenso überrascht würden wir sein, wenn wir es versuchen würden, uns selbst wie das Lebensbuch anderer zu lesen.«

Mrs. Doria las ihre Tochter wie ihr eignes Buch und war befriedigt; sie lachte mit Adrian am Frühstückstisch und stimmte halb spöttisch, halb ernsthaft in seine scherzhafte Behauptung ein, daß Klara entschieden und nach allen ehelichen Vorbedeutungen mit dem Eigentümer des Ringes verlobt sei, wer er auch immer sei, und daß sie, falls es ihm beliebte, zu kommen und seine Ansprüche geltend zu machen, ihm ihre Hand geben müßte, und ihm folgen müßte, über die ganze Welt, wohin es ihm beliebte zu gehen. Denn darüber waren alle einig, daß der Besitzer männlichen Geschlechtes sein müßte, da eine Frau niemals einen Trauring verlieren würde. Die liebenswürdigen, kichernden Forey-Mädchen nannten Klara »die Verlobte«.

Die Frage wurde aufgeworfen, ob er wohl blond oder braun wäre? Adrian brachte Klaras Schicksal in lächerliche Reime, die er in Bänkelsängerton vortrug. Tante Forey riet ihr, die Ausstattung bereit zu halten. Großpapa Forey behauptete, über die Hochzeitsgeschenke zu grollen, die man von einem Großpapa erwartete. Der eine witterte Orangenduft, der andere sprach feierlich von einem alten Schuh. Das Finden eines Trauringes wurde mit all dem Herzklopfen erregenden Beiwerk und den rosigen Zeremonien gefeiert, die mit diesem berühmten Gegenstand verknüpft sind. Mitten in der allgemeinen Fröhlichkeit zeigte sich Klaras beklagenswerter Mangel an Eisen und sie brach in Tränen aus.

Erriet das arme, verspottete Herz, was sich grade jetzt vollzog? Vielleicht dunkel, wie man zu sagen pflegt: das heißt, ohne es mit ihren Augen zu sehen.

360 An einem Altar standen zwei junge, schöne Geschöpfe bereit ihren Eid abzulegen. Man verlangt von ihnen, daß sie sich in diesem Augenblick für alle Zeiten binden sollten, und sie tun es. Wenn sich noch ein Zaudern bei dem unendlich wichtigen Schritt zeigt, so ist das nur mädchenhaft. Sie empfindet ebensowenig Zweifel an der Verständigkeit der Handlung wie er. Über ihnen steht ein kühler, junger Kurat in seinem Amtskleide. Hinter ihnen stehen zwei augenscheinlich strahlend glückliche Personen, verschieden voneinander in Geschlecht und Alter; die vorderste ein Bündel von schwarzem Atlas vor Aufregung kochend; in ihrem Schatten ein kleines, putziges Rotkehlchen, als Herr verkleidet, dem große Freude die Brust schwellt und den ein keckes Gefühl der Genugtuung den Kopf hoch tragen läßt. Das sind diejenigen, die an Stelle der Eltern das junge Paar begleiten. Es geht alles gut, die Zeremonie schreitet vor. Mit fester Stimme sagt der Bräutigam seine Worte. Zu dieser Stunde wenigstens ist er Herr über die Zeit und jedermann mag hören, daß er die Absicht hat, sie in alle Ewigkeit in seiner Gewalt zu behalten.

Mit klarer Stimme und tapfer, trotz ihrer Schüchternheit, spricht sie: sie spricht nicht weniger erschlossen als er, obgleich ihr Körper zittert. Ihre Stimme vibriert wie die Schwingungen eines zersprungenen Kelches.

Die Zeit hört, wie man das Urteil über sie spricht, schwache Hände fesseln ihre ungeheuren Glieder und schließen die Ketten. Sie ist daran gewöhnt: sie läßt sie tun, was sie mögen.

Nun kommt die Stelle, an der sie sich gegenseitig Treue schwören müssen. Der Mann nimmt mit seiner rechten Hand die Frau bei ihrer rechten Hand: die Frau nimmt mit ihrer rechten Hand den Mann bei seiner rechten Hand. – Die Teufel wagen nicht zu lachen, wenn die Engel sich um sie scharen, um zuzuschauen.

361 Ihre Hände schließen sich um einander; ihr Blut vereinigt sich zu einem Strom. Adam und die schöne Eva stellen sich an die Spitze von Generationen. Sind sie nicht lieblich? Reinere Quellen des Lebens waren nie in zwei Herzen.

Und dann lösen sich die Hände und der kühle Kurat heißt den Mann einen Ring an den vierten Finger der Frau zu stecken. Und der Mann steckt seine Hand in eine Tasche und dann in die andere und hinein und heraus viele Male, in alle seine Taschen. Er erinnert sich daran, ihn im Park noch in der Westentasche gefühlt zu haben. Und seine Hand kommt leer heraus. Und der Mann ist geisterhaft anzuschauen. Doch noch sollen die Teufel nicht lachen, wenn auch die Engel lächeln! Der Kurat zögert. Das schwarze Atlasbündel hört auf zu kochen. Der, der in ihrem Schatten steht, verwandelt sich aus einem strahlenden Rotkehlchen in einen neugierigen Spatz. Alle Augen fragen, die Lippen finden keine Antwort. Die Zeit schüttelt unheilverkündend ihre Kette und ein Ton des Spottes trifft stechend ihre Ohren.

Denkt ihr, der Held wird sich im ersten Kampf schlagen lassen? Seht auf die Uhr, es fehlen nur noch sieben Minuten bis die Stunde des Cölibates schlägt. Die greise Zeit hebt ihre Hände, um zu feuern, und ihr Schuß wird die auseinanderreißen, die schon so nahe der Vereinigung waren. Und wenn alle Goldarbeiter Londons mit Säcken voller Ehereifen herbei eilen würden, sie könnten sie nicht mehr retten!

Die Schlacht muß auf der Stelle gewonnen werden, und was tut der Held jetzt? Es ist eine Eingebung! Denn wer könnte an eine solche Reserve in der Nachhut denken? Niemand sieht, was er tut; man sieht nur, daß das schwarze Atlasbündel sich widerspenstig bewegt, stürmisch erschüttert und überwältigt wird; und die drohende 362 Wolke hat sich geöffnet und auf seine Bitte das teure Zeichen vom Himmel fallen lassen und er zeigt das Symbol ihrer Zusammengehörigkeit und die Zeremonie schreitet weiter vor.

»Mit diesem Ringe vermähle ich dich mir.«

Das Gebet wird über sie gesprochen und der Segen. Zum Guten oder zum Bösen, diese Tat ist vollbracht. Die Namen werden eingetragen; die Gebühren fliegen nach rechts und nach links; sie bedanken sich und verabschieden sich von dem Kuraten, dessen amtliche Kühle zu einem Lächeln mönchischer Höflichkeit schmilzt; der Küster scheucht die gaffende Menge fort, als sie heraustreten. Bräutigam und Brautführer streuen sorglos Gold über ihn aus; die Wagentüren werden zugeworfen, die Kutscher fahren los, der Vorhang fällt und jedermann ist glücklich!

 


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