George Meredith
Richard Feverel
George Meredith

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Ein feiner Unterschied.

In Körperbau, Gang und Haltung war Giles Jinkson, der Kampfhahn, ein ziemlich guter Vertreter des punischen Elefanten, dessen Rolle er zu spielen bestimmt war, nach der Meinung und nach den sehr verschiedenen Erwartungen der Generäle aus den feindlichen Feldlagern der Blaize- und Feverel-Truppen. Giles, mit dem Beinamen »der Kampfhahn«, den er einigen vergessenen Jugend- oder Kindheitsstreichen verdankte, war in Aussehen und Bewegung elefantenmäßig. Es genügte, daß Giles gut gefüttert wurde, um sich auch seine Treue zu sichern, – vorausgesetzt, daß er nicht bestochen wurde. Dem Bauernhof, der ihn mit Futter versorgte, stellte er willig seine große Arbeitskraft zur Verfügung; den Bauern, dem der Hof gehörte, verehrte er instinktiv als die Quelle von Rindfleisch und Speck, ganz abgesehen von dem Biere, das in Belthorpe reichlich und gut war. Das wußte Farmer Blaize sehr wohl und rechnete infolgedessen darauf, daß er in ihm ein Haustier hätte, auf das er sich verlassen könnte – eine Art menschlicher Zusammensetzung von Hund, Pferd und Stier, die in ihrer Brauchbarkeit etwas von jedem dieser Vierfüßler an sich hatte und verhältnismäßig auch mehr kostete, im ganzen aber doch seinen Preis wert war und deshalb unschätzbar, wie alles was 80 seinen Preis wert ist, es für einen weisen Mann sein muß. Als der Getreidediebstahl in Belthorpe bekannt wurde, hatte der Kampfhahn den Verdacht der Schuld mit Tom Bakewell geteilt, mit dem er zusammen gedroschen hatte. Wenn Farmer Blaize auch zweifelhaft war, auf wen er mehr Verdacht haben sollte, so zweifelte er doch keinen Augenblick, wen er entlassen würde, und wie der Kampfhahn erzählte, er hätte gesehen, daß Tom heimlich Hafer in einen Sack gesteckt hätte, beliebte es Farmer Blaize dieses zu glauben, und der arme Tom wurde fortgeschickt, und es wurde ihm noch zu verstehen gegeben, er könne froh sein über die Nachsicht, die ihm das Erscheinen vor Gericht ersparte.

Die kleinen, schläfrigen Augen des Kampfhahns sahen manches und wie es schien immer zur rechten Zeit. Er war natürlich auch der erste, der in der Nacht des Brandes in Belthorpe die erste Aufklärung gegeben hatte, er mochte vielleicht wirklich, wie er es behauptete, gesehen haben, wie sich der arme Tom heimlich von dem Schauplatz fortstahl. Lobourne hatte seine eigene Auffassung von der Sache. Das ländliche Lobourne wies deutlich darauf hin, daß ein junges Mädchen in den Fall verwickelt wäre, und erzählte außerdem eine Geschichte, wie diese beiden Drescher eines Tages in edlem Wettstreit gegeneinander aufgetreten wären, um zu sehen, wer von ihnen beiden besser dreschen könne; wovon der Kampfhahn, wie man sagte, noch die Narben und den Groll zurückbehalten hätte. Da stand er nun jedenfalls und rückte an seiner Mütze, und wenn die Wahrheit wirklich in ihm verborgen war, dann mußte sie in sehr bedrängter Lage gewesen sein, um einen so ungeeigneten Zufluchtsort zu wählen.

»Nun,« sagte der Farmer, seinen Elefanten mit dem Vertrauen vorführend, mit dem ein Mann sein Trumpfaß ausspielt, »nun erzähle mal dem jungen Herrn 81 hier, was du in der Feuernacht gesehen hast, Kampfbahn.«

Der Kampfhahn machte eine Art Verbeugung vor seinem Schutzherrn und drehte sich dann so herum, daß er ihn vollständig vor Richard verbarg.

Richard heftete seine Augen fest auf die Erde, während der Kampfhahn im gröbsten bäurischen Dialekt seine Erzählung anfing. Da er wußte, was kommen würde, und fest entschlossen war, die Haupttatsache zu bestreiten, hörte Richard dieser barbarischen Redeweise ruhig zu; als sich aber die Erzählung dem Punkte näherte, wo der Kampfhahn behauptete, daß er »Tom Bakewell gesehen hätte mit diesen seinen eigenen Augen,« sah Richard ihn an und war sehr erstaunt, als er sich durch eine Reihe von sehr ausdrucksvollen Grimassen, Zeichen und Winken stumm angeredet fand.

»Was meinen Sie damit? Weshalb schneiden Sie mir solche Gesichter?« rief der Knabe zornig.

Farmer Blaize bückte sich vor, um den Kampfhahn anzusehen, und sah das dümmste Gesicht, das ein Mensch nur haben konnte.

»Ich schneid' keine Gesichter, keinem gegenüber,« grunzte der mürrische Elefant.

Der Bauer befahl ihm, sich umzudrehen und weiter zu erzählen.

»Ich hab' Tom Bakewell gesehen,« fing der Kampfhahn wieder an, und wieder richtete sich ein Zwinkern, das sein Gesicht schrecklich verzerrte, an Richard. Der Knabe durfte wohl glauben, daß dieser Kerl log. Er glaubte es auch und war kühn genug auszurufen:

»Sie haben auf keinen Fall gesehen, daß Tom Bakewell den Heuschober ansteckte.«

Der Kampfhahn schwor, es wäre so gewesen, und schnitt schreckliche Gesichter dazu.

82 »Ich sage Ihnen,« rief Richard, »ich habe die Streichhölzchen selbst hineingesteckt.«

Der bestochene Kampfhahn wurde stutzig. Er wollte dem jungen Herrn zutelegraphieren, daß er gewisse Goldstücke, die man ihm gegeben hatte, auch treu und ehrlich verdienen wollte, und es am rechten Ort und zur rechten Zeit beweisen würde. Warum brachte man ihm so viel Argwohn entgegen? warum verstand man ihn nicht?

»Ich hab' doch gedacht, ich hätt' ihn gesehen,« murmelte der Kampfhahn, indem er so versuchte einen mittleren Kurs einzuschlagen.

Das brachte den Bauer in Wut und er brüllte ihn an: »Dachte! Du dachtest! Was soll das heißen? Sprich und denke nicht. Dachte? Was zum Teufel soll das?«

»Wie konnte er in der pechschwarzen Nacht sehen, wer es war?« warf Richard ein.

»Dachte!« brüllte der Bauer noch lauter. »Dachte – der Teufel soll dich holen, wo du doch schon geschworen hast. Halloh! Was zwinkerst du dem Herrn Feverel zu? – Hören. Sie mal, junger Herr, haben Sie mit diesem Burschen vorher gesprochen?«

»Ich?« erwiderte Richard, »ich habe ihn nie vorher gesehen!«

Farmer Blaize packte die Lehne seines Armstuhles und glotzte ihn mißtrauisch an.

»Vorwärts,« sagte er zu dem Kampfhahn, »sprich zu Ende und dann genug davon. Sag', was du gesehen hast, und nicht, was du denkst. Verflucht deine Gedanken! Du hast gesehen, daß Tom Bakewell jenen Heuschober da ansteckte?« damit zeigte der Farmer über die Moschustöpfe auf dem Fensterbrett hinweg. »Was hast du zu denken? Du bist ein Zeuge! Denken ist kein Beweis. Was wirst du morgen vor dem Richter sagen? Paß wohl auf! Was du heute sagst, daran mußt du morgen festhalten.«

83 Als man so in ihn drang, rückte sich der Kampfhahn seine Hosen zurecht. Was in aller Welt der junge Herr meinen konnte, das konnte er nicht erraten. Er konnte doch nicht denken, daß der junge Herr den Wunsch hatte deportiert zu werden; aber wenn man ihn bezahlt hatte, daß er dazu mithülfe, gut, dann wollte er es auch tun. Und da er sich überlegte, daß ihn seine heutige Zeugenaussage auch für morgen binden würde, beschloß er, nachdem er längere Zeit durch sein widerspenstiges, zottiges Haar gepflügt und geeggt hatte, in betreff der Person nicht ganz sicher zu sein. Möglicherweise wurde er dadurch mehr zur Verkörperung der Wahrheit, als er es vorher gewesen war; denn die Nacht, wie er sagte, war wirklich so dunkel gewesen, daß man nicht die Hand vor Augen sehen konnte, und obgleich man, wie er sich ausdrückte, wohl möglichst sicher seinen Mann erkennen konnte, könnte man doch nicht darauf schwören, daß er es wäre, und das Individuum, das er für Tom Bakewell gehalten hätte, und darauf hätte schwören können, könnte ja auch der junge Herr hier gewesen sein, besonders da der ja selbst bereit wäre, es zu beschwören. Damit endete der Kampfbahn.

Er hatte kaum aufgehört, als Farmer Blaize von seinem Stuhle aufsprang und den Versuch machte, ihn bei den Beinen aufzuheben und hinauszuwerfen. Das mißlang ihm, und er sank stöhnend von der Anstrengung und Enttäuschung in seinen Stuhl zurück.

»Ihr seid Lügner, alle zusammen,« schrie er, »Lügner, Meineidige, Bestecher und Bestochene! Halt!« – als der Kampfhahn sich hinausschleichen wollte. »Du hast dir selbst dein Schicksal zuzuschreiben. Du hattest schon geschworen!«

»Das hatt' ich nicht,« sagte der Kampfhahn mürrisch.

»Du hast geschworen,« brüllte der Bauer von neuem.

Der Kampfhahn spielte ein Musikstück auf dem Griff 84 der Türe und behauptete noch einmal, daß er es nicht getan hätte; der Bauer auf seinem Lehnstuhl raste förmlich gegen diesen Widerspruch und war ganz heiser, als er zum dritten Male schrie, der Kampfhahn hätte geschworen.

»Nee,« sagte der Kampfhahn und duckte seinen Schädel. »Nee,« wiederholte er noch einmal etwas leiser, und dann, während ein mürrisches Grinsen sein idiotisches Vergnügen an dieser spitzfindigen Wortverdrehung ausdrückte, fügte er noch hinzu:

»Nicht mit 'nem heiligen Eid!« zuckte dabei mit den Schultern und machte eine eckige Bewegung mit den Ellenbogen.

Farmer Blaize sah Richard verständnislos an, als ob er ihn fragen wollte, was er von Englands Landbevölkerung dächte nach dem Beispiel, das er hier vor sich hatte. Richard würde lieber nicht gelacht haben, aber seine Würde konnte seinem Sinn für das Lächerliche nicht stand halten, und er brach in ein unbezähmbares Gelächter aus. Dem Bauern war nicht nach Lachen zumute. Er starrte wieder nach der Türe. »Das war sein Glück,« rief er, als er sah, daß der Kampfhahn verschwunden war, denn es juckte ihm in den Händen, diesen widerspenstigen Schädel zu brechen. Er war sehr von oben herab, als er Richard jetzt feierlich anredete:

»Nun, sehen Sie mal, Herr Feverel! Sie haben meinen Zeugen bestochen. Es hilft Ihnen nichts, wenn Sie leugnen! Ich sage Ihnen, Sie haben es getan, Herr! Sie, oder irgend einer von Ihnen! Mir sind alle Feverels gleich! Mein Zeuge hier ist bestochen worden,« und mit einem kräftigen Schlag auf den Tisch, bei dem er seine Pfeife zertrümmerte, »der Kampfhahn ist bestochen worden! Bestochen – das weiß ich! Ich könnt' es beschwören!«

85 »Mit einem heiligen Eide?« fragte Richard mit ernstem Gesicht.

»Ja, mit einem heiligen Eide,« sagte der Bauer, der die Unverschämtheit gar nicht bemerkte.

»Ich könnte auf die Bibel schwören! Er ist bestochen – mein Hauptzeuge! Ach, es ist eine verfluchte Schlauheit, aber der Streich wird Ihnen nicht gelingen. Ich werde Tom Bakewell deportieren lassen, so gewiß wie etwas. Er soll reisen, das soll er. Mir tut es leid um Sie, Mr. Feverel – schade, daß Sie nicht verstanden haben, mich richtig zu behandeln, Sie oder die andern. Geld kann nicht alles machen, nein, gewiß nicht. Es kann einen Zeugen bestechen, aber es wird einen Schurken nicht loskaufen. Ich hätte Sie entschuldigt, Herr, Sie sind noch jung, und werden klüger werden. Ich hätte nicht mehr verlangt als Bezahlung und eine Abbitte, und ich wäre zufrieden gewesen, immer vorausgesetzt, daß sich niemand mit meinen Zeugen eingelassen hätte. Nun müssen Sie die Folgen tragen.«

Richard stand auf und erwiderte: »Sehr wohl, Mr. Blaize.«

»Und wenn Tom Bakewell Sie nicht mit hineinzieht,« fuhr der Bauer fort, »nun, dann sind Sie sicher, da ich hoffe, daß Sie aufrichtig sein werden.«

»Ich habe nicht um meiner eigenen Sicherheit willen diese Unterredung mit Ihnen gesucht,« sagte Richard mit erhobenem Haupte.

»Das gebe ich Ihnen zu,« erwiderte der Bauer. »Das gebe ich Ihnen zu. Sie sind kühn genug, junger Herr, das liegt bei Ihnen im Blute und sollte so sein. Wenn Sie nur die Wahrheit gesprochen hätten! Ihrem Vater glaube ich – glaube jedes Wort, das er gesagt hat. Ich wünschte, ich könnte von Sir Austins Sohn und Erben dasselbe sagen.«

86 »Was,« schrie Richard mit einem Erstaunen, das kaum verstellt sein konnte, »Sie haben mit meinem Vater gesprochen?«

Aber Farmer Blaize witterte jetzt überall Lügen, so daß er sie auch da entdeckte, wo sie gar nicht waren, und murmelte ärgerlich: »Ja, wir wissen alles darüber!«

Des Knaben Erstaunen rettete ihn vor einem neuen Zornesausbruch. Wer konnte es seinem Vater erzählt haben? Die alte Furcht vor seinem Vater kam wieder über ihn und eine alte Neigung zur Empörung.

»Mein Vater weiß davon?« sagte er sehr laut und versuchte den Farmer durch und durch zu sehen. »Wer hat mich betrogen? Wer konnte mich ihm verraten? Es muß Austin gewesen sein! Nur Austin wußte es! Ja, und Austin war es auch, der mich überredete, hierher zu gehen und all diese Beschimpfungen zu ertragen. Warum war er nicht aufrichtig gegen mich? Ich werde ihm nie mehr trauen!«

»Und warum waren Sie nicht aufrichtig gegen mich, junger Herr?« sagte der Bauer. »Ich hätte Ihnen Glauben geschenkt, wenn Sie ehrlich gewesen wären.«

Richard sah die Übereinstimmung nicht ein. Er verbeugte sich förmlich und verabschiedete sich.

Der Bauer zog die Glocke. »Begleite den jungen Herrn hinaus, Lucy,« winkte er dem kleinen Fräulein an der Türe zu. »Gib ihm das Geleite! Und, Mr. Richard, Sie hätten mich zum Freunde haben können, und es ist auch noch nicht zu spät. Ich bin nicht grausam, aber ich hasse die Unwahrheit. Ich habe meinen Sohn Tom, der größer ist als Sie, geschlagen, weil er nicht aufrichtig war, erst gestern noch. Er stand hier, im Bereiche dieses Stuhles, und erhielt sein volles Maß. Wenn Sie wiederkommen wollen und die Wahrheit sprechen vor der Gerichtsverhandlung – und wenn es nur fünf Minuten 87 vorher ist; oder wenn Sir Austin, der ein vornehmer Herr ist, mir sagen will, daß sich niemand mit meinen Zeugen eingelassen hat, wenn er mir sein Wort darauf geben will, – gut und schön! Ich werde tun, was ich kann, um Tom Bakewell frei zu kriegen. Und ich freue mich, junger Herr, daß Sie für einen armen Mann Mitgefühl haben, wenn er auch ein Schurke ist. Guten Abend, Herr.«

Richard ging eilig aus dem Zimmer und durch den Garten und würdigte seine ernsthafte, kleine Führerin nicht eines Blickes. Sie blieb an der Pforte stehen und beobachtete ihn, wie er den Feldweg hinauf ging, und ihre Phantasie wob eine Welt von Bildern um den schönen, stolzen Knaben.

 


 << zurück weiter >>