George Meredith
Richard Feverel
George Meredith

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Fünfunddreißigstes Kapitel.

Klaras Heirat.

Drei Wochen nachdem Richard in der Stadt angekommen war, wurde Klara unter den Segenswünschen ihrer energischen Mutter und mit der Zustimmung der Verwandtschaft mit dem Manne verheiratet, der in aller Eile für sie ausgesucht worden war. Obgleich der Herr mehr als zweimal so alt war wie seine Braut, so dachte er doch nicht im entferntesten daran, in den vor ihm liegenden langen Ehejahren vorzeitig altersschwach zu werden. Von seinem Schneider und seinem Friseur unterstützt, machte er keine schlechte Figur am Altar, und niemand würde gedacht haben, daß er ein alter Verehrer von der Mama seiner Braut wäre, wie auch sicherlich niemand wußte, daß er erst kürzlich um Mrs. Doria angehalten hatte, noch ehe die Rede von ihrer Tochter war. Das waren Geheimnisse, und die elastische und fröhliche Art Mr. John Todhunters verriet ihn nicht am Altar. Vielleicht hätte er die Mutter lieber geheiratet. Er war ein Mann von Vermögen, guter Familie, genügend gebildet und hatte, als Mrs. Doria ihn zum ersten Male abwies, den Ruf ein Narr zu sein – den ein wohlhabender Mann in seiner Jugend wohl haben darf; aber als er weiter lebte und sein Geld nicht verschwendete, es im Gegenteil aufhäufte und nicht den Versuch machte ins Parlament zu kommen und andere negativ weise Dinge tat, änderte sich die öffentliche Meinung wie gewöhnlich vollständig, und John Todhunter wurde für einen schlauen 459 vernünftigen Mann gehalten – der nur nicht grade glänzend war, denn daß er glänzend wäre, konnte man wirklich nicht von ihm sagen. Der Mann konnte in der Tat kaum sprechen, und es war ein Glück, daß bei der Trauung keine improvisierten Äußerungen von ihm verlangt wurden.

Mrs. Doria hatte ihre eignen Gründe, weshalb sie so eilig war. Sie hatte etwas von der seltsamen, teilnahmlosen Natur ihres Kindes entdeckt; nicht durch irgend welche Bekenntnisse von Klara, aber aus Anzeichen, die eine Mutter lesen kann, wenn sie nicht absichtlich die Augen schließt. Sie sah mit Angst und Sorge, daß Klara in die Grube gefallen war, die sie selbst mit so viel Mühe für sie gegraben hatte. Vergebens bat sie den Baron, die schimpfliche und wie sie meinte ungesetzliche Verbindung, die sein Sohn geschlossen hatte, zu lösen. Sir Austin wollte nicht einmal der armen Berry ihre kleine Pension entziehen. »Du wirst doch wenigstens das tun, Austin,« bat sie nachdrücklich. »Du wirst damit zeigen, was du von dem Benehmen der schrecklichen Frau hältst!« Er weigerte sich, irgend jemand zu opfern, um sie zu trösten. Da sagte Mrs. Doria ihre Meinung – und wenn eine aufs äußerste beleidigte, energische Frau schließlich dahin gebracht wird, diesen peinlich gehüteten Schatz preis zu geben, dann begnügt sie sich nicht mit schwachen Ausdrücken. Sein System und sein Benehmen im allgemeinen wurden ihm ohne weitere Zergliederung vorgeführt. Sie ließ ihn verstehen, daß die Welt über ihn lachte; und er hörte es von ihr zu einer Zeit, da seine Maske noch weich und biegsam war und noch durch seine Nerven bewegt werden konnte. »Du bist schwach, Austin! schwach, sage ich dir!« rief sie ihm zu, und wie alle ärgerlichen und egoistischen Leute fand sie es leicht das Kommende vorauszusagen. In ihrem Herzen machte sie ihn 460 verantwortlich für ihren eignen Fehler und legte ihm den Zusammenbruch ihrer Pläne zur Last. Der Baron ließ sie in Prophezeiungen einer schrecklichen Zukunft schwelgen und riet ihr dann ganz ruhig, sich künftig von ihm fern zu halten, was seine Schwester ihm versicherte jedenfalls tun zu wollen.

Aber sich im Unglück ruhig zu verhalten, ist nicht die Art der Frauen. Beobachte das Geschlecht zu jeder Stunde. »Was für Revolutionen und Aufregungen werden nicht durch das kleine Instrument, die Nadel, von uns abgewendet,« sagt das Manuskript des Pilgers. Ach, daß im Unglück die Frauen nicht sticheln können! Nun, da sie erkannte, daß Klara etwas anders brauchte als Eisen, fiel es ihr ein, daß sie einen Mann haben und als verheiratete Frau sicher gestellt werden müsse. Das schien jetzt ihre Aufgabe, und wie sie ihr das Eisen aufgezwungen hatte, so zwang sie ihr jetzt den Gatten auf, und Klara würgte an dem letzteren, wie sie es bei dem ersteren getan hatte. An demselben Tage, an dem Mrs. Doria diesen neuen Plan gestaltet hatte, machte John Todhunter einen Besuch bei den Foreys. »Der alte John,« rief Mrs. Doria, »führen Sie ihn zu mir herauf. Ich habe etwas mit ihm zu sprechen.« Er war allein mit ihr. Er war ein Mann, den eine Unzahl Frauen geheiratet hätten – denn wen würden sie nicht heiraten? – und der jede präsentable Frau geheiratet hätte: aber Frauen müssen gefragt werden und John fand nie das rechte Wort. Die Eroberung eines solchen Mannes bleibt dem praktischen Geschöpf überlassen. So saß nun John allein mit seiner alten Flamme. Er hatte sich darein ergeben, sie immer klagen zu hören, und daß sie als klagende Witwe für seinen verdorbenen Rivalen lebte. Aber, ha! was bedeuteten diese sanften Blicke, die sie – auf ihn richtete? Sein Schneider und sein Friseur verliehen ihm Jugend, 461 aber sie besaßen nicht die Kunst ihn in irgend einer Weise bedeutend erscheinen zu lassen, und welchen unbedeutenden Mann würde eine Frau ansehen? John war ein ganz gewöhnlicher Mann, und aus diesem Grunde trockner Brennstoff für einen sanften Blick.

Und nun sagte sie: »Es ist Zeit, daß Sie heiraten, John, und Sie sind ganz der Mann, der Führer und die Stütze für eine junge Frau zu sein. Sie haben sich gut konserviert – Sie sind jünger, als die meisten jungen Leute heutzutage. Sie sind hervorragend häuslich, ein guter Sohn und werden ein guter Ehemann und guter Vater werden. Irgend jemand müssen Sie heiraten. – Was meinen Sie, wenn Klara Ihre Frau würde?«

Zuerst meinte John Todhunter, es würde ihm so vorkommen, als wenn er ein kleines Kind heiraten sollte. Er hörte aber zu und das genügte Mrs. Doria.

Sie ging zu Johns Mutter und beriet mit ihr, ob es angängig wäre, ihre Tochter mit John zu verheiraten, da er den Wunsch danach geäußert hätte. Mrs. Todhunters Eifersucht auf irgend welche Kräfte, die ihren Einfluß auf ihren Sohn stören könnten, war, wie Mrs. Doria wußte, eine der Ursachen, weshalb John den Eindruck, den sie früher auf ihn gemacht, nicht überwunden hatte. Sie sprach so freundlich von John und legte so viel Nachdruck auf den gehorsamen Sinn und die geduldige Natur ihrer Tochter, daß Mrs. Todhunter anfing einzusehen, es wäre beinahe Zeit, daß ihr John sich nach einer Gefährtin umsähe, und daß er – wenn man alles in Erwägung zöge, kaum eine passendere finden könnte. Und das hörte John Todhunter – der nun nicht länger der alte John war – zu seinem Erstaunen, als er ein oder zwei Tage später darauf hinwies, daß seine Mutter wahrscheinlich Einspruch erheben würde.

Die Partie wurde arrangiert. Mrs. Doria übernahm 462 die Werbung. Sie bestand darin, daß sie Klara mitteilte, daß sie nun in das Alter gekommen wäre, in dem eine Heirat wünschenswert wäre, und daß sie sich ein trübsinniges Wesen angewöhnt hätte, was den schlimmsten Einfluß auf ihr späteres Leben haben könnte, wie es schon jetzt einen schlechten Einfluß auf ihre Gesundheit und ihr Aussehen hätte, und daß ein Gatte das heilen würde. Richard wurde erzählt, Klara hätte sofort eingewilligt, Mr. John Todhunter zum Herrn ihrer Lebenstage anzunehmen, nicht nur aus Gehorsam – sondern mit fröhlicher Bereitwilligkeit. Als Richard mit Klara sprach, gab das merkwürdige, geduldige Geschöpf jedenfalls nicht zu, daß man ihren Neigungen Gewalt angetan hätte. Mrs. Doria erlaubte Richard mit ihr zu sprechen. Sie lachte über seine unnützen Bemühungen ihr Werk zu vernichten und die knabenhaften Gefühle, die er über den Gegenstand äußerte. »Laß uns sehen, Kind,« sagte sie, »was am besten ablaufen wird, eine Heirat aus Leidenschaft, oder eine Heirat aus gesundem Menschenverstand.«

Es fehlte nicht an heroischen Anstrengungen, die Verbindung aufzuhalten. Richard fuhr verschiedene Male nach Hounslow, wo Ralph im Quartier lag, und wenn Ralph dazu hätte überredet werden können, eine junge Dame zu entführen, die ihn nicht liebte, und sie dem Bräutigam zu entreißen, den sie nach der Behauptung ihrer Mutter liebte, so hätte Mrs. Doria besiegt werden können. Aber der Ralph in der Kavallerie-Kaserne war kühler, als der Ralph auf den Wiesen in Bursley. »Frauen sind sonderbare Geschöpfe, Dick,« bemerkte er und strich seinen Schnurrbart nach rechts und nach links. »Man überläßt sie am besten ihren kindischen Einfällen. Sie ist ein liebes Mädel, obgleich sie nicht reden kann, ich habe sie grade deshalb gern. Wenn sie sich etwas aus mir machte, würde ich das Rennen mitmachen. Aber sie hat 463 es nie getan. Es hat keinen Sinn, ein Mädchen zweimal zu fragen. Sie weiß, ob sie sich was aus einem Kerl macht oder nicht.«

Der Held verließ ihn voll Verachtung. Da Ralph Morton aber ein junger Mann war, und nach Richards Meinung John Todhunter ein alter, suchte er eine zweite persönliche Unterredung mit Klara und sagte, als er mit ihr allein war: »Klara, ich bin zu dir gekommen zum letzten Male. Willst du Ralph Morton heiraten?«

Worauf Klara antwortete: »Ich kann doch nicht zwei Männer heiraten, Richard!«

»Willst du dich weigern, diesen alten Mann zu heiraten?«

»Ich muß tun, was Mama wünscht!«

»Dann wirst du also einen alten Mann heiraten – einen Mann, den du nicht liebst und den du nicht lieben kannst! Ach, guter Gott, weißt du denn, was du tust?«

Er fuhr zornig auf.

»Weißt du, was das heißt? Klara!« er faßte heftig ihre beiden Hände, »hast du eine Ahnung von dem Schrecklichen, das du begehen willst?«

Sie wich ein wenig zurück vor seiner Heftigkeit, aber sie errötete nicht und ihre Stimme zitterte nicht, als sie antwortete: »Ich kann nichts Unrechtes darin sehen, daß ich tue, was Mama für recht hält, Richard.«

»Deine Mutter! ich sage dir, es ist eine Schande, Klara! Es ist eine elende Sünde. Ich sage dir, wenn ich so etwas getan hätte, ich würde keine Stunde länger leben wollen. Und dich kaltblütig darauf vorbereiten! dich mit deinen Kleidern beschäftigen! Als ich kam, sagten sie mir, du wärest bei der Putzmacherin. Zu lächeln bei der schrecklichen Schande! dich dazu schmücken! . . .«

»Lieber Richard,« sagte Klara, »du machst mich sehr unglücklich.«

464 »Daß ein Mädchen aus meiner Familie so verderbt sein sollte!« rief er und fuhr ärgerlich über sein Gesicht. »Unglücklich! Denke doch an dich selbst, Klara! Aber ich glaube,« und er sagte es mit Hohn, »die Mädchen haben kein Gefühl für diese Schande.«

Sie wurde etwas bleicher.

»Nächst meiner Mutter möchte ich dir alles zu Gefallen tun, lieber Richard.«

»Hast du denn keinen eignen Willen?« rief er aus.

Sie sah ihn sanftmütig an, mit einem Blick, in dem er nur die Schwäche sah, die er in ihr verabscheute.

»Nein, ich glaube, du hast keinen!« fügte er hinzu. »Und was kann ich tun? Ich kann nicht vortreten und diese verfluchte Heirat hindern. Wenn du nur ein Wort sagen wolltest, dann würde ich dich retten; aber du bindest mir die Hände. Und sie erwarten, daß ich dabei stehen werde und zusehe!«

»Willst du nicht dabei sein, Richard?« sagte Klara und begleitete die Frage mit einem sanften Blick. Es war dieselbe Stimme, die ihn an seinem Hochzeitsmorgen so durchbebt hatte.

»Ach, meine geliebte Klara!« sagte er, liebevoller, als er jemals zu ihr gesprochen hatte, »wenn du wüßtest, wie ich es fühle!« Und nun, da er weinte, weinte sie auch und kam unmerklich in seine Arme. »Meine geliebte Klara!« wiederholte er.

Sie sagte nichts, aber sie schien zu schaudern und weinte.

»Wirst du es tun, Klara? Wirst du dich opfern? So lieblich, wie du bist! . . . Klara! du kannst doch nicht ganz blind sein. Wenn ich es wagen könnte mit dir zu sprechen und dir alles zu sagen . . . Sieh mich an. Kannst du noch einwilligen?«

»Ich darf nicht ungehorsam gegen Mama sein,« 465 murmelte Klara, ohne aus dem Nest aufzublicken, das ihre Wange sich an seiner Brust gemacht hatte.

»Dann küsse mich zum letztenmal, Klara,« sagte Richard, »ich werde dich nachher nie mehr küssen.«

Er beugte sein Haupt, um ihren Lippen zu begegnen, und sie warf ihre Arme leidenschaftlich um ihn und küßte ihn krampfhaft und hing an seinen Lippen und schloß die Augen, ihr ganzes Gesicht eine flammende Röte. Dann verließ er sie, ohne zu wissen, was diese leidenschaftlichen Küsse bedeuteten.

Mrs. Doria vernünftig zuzureden, hieße Papierkugeln gegen eine Steinmauer werfen. Ihr gegenüber sprach der junge Ehemann beinahe unschicklich und sprach das aus, was sein Zartgefühl ihn zurückgehalten hatte vor Klara zu sagen. Er konnte von dem praktischen Geschöpf keine andere Antwort erlangen als: Pah! und: Papperlapapp!

»Wirklich,« sagte Mrs. Doria zu ihren Intimen, »auf den Knaben wirkt seine Erziehung, wie eine Krankheit. Er kann nichts vernünftig ansehen. Er befindet sich immer in einer tollen Übertreibung seiner Einbildungskraft, und wohin er schließlich noch kommen wird, mag der Himmel wissen! Ich bete nur aufrichtig, daß Austin imstande sein möge, es zu ertragen.«

Drohungen mit Gebeten, noch dazu wenn ihre Aufrichtigkeit betont wird, sind nicht viel wert. Mrs. Doria war so zu sagen in einen praktischen Kampf mit ihrem Bruder eingetreten. Zweifellos hoffte sie, daß er fähig sein würde seinen kommenden Kummer zu tragen, aber jemand, der die Zukunft vorhergesagt hat, muß doch auch hoffen, daß sich seine Prophezeiungen erfüllen: und sie hatte dem Baron viel Kummer prophezeit.

Der arme John Todhunter, der lieber die Mutter geheiratet hätte und der von den Ideen des Helden über 466 die heilige Notwendigkeit der Liebe zur Ehe nichts wußte, bewegte sich, wie jemand, der sich keiner Schuld bewußt ist und sein Glück verdient. Es war rührend zu sehen, wie er die gehorsame Klara anlächelte und den Versuch machte, dabei nicht väterlich auszusehen.

Indessen erfüllte Klaras Verheiratung einen Zweck. Sie nahm Richards Gedanken vollständig in Anspruch und verhinderte ihn daran, zu gereizt und ärgerlich zu werden, als er fand, daß sein Vater nicht bereit war, ihn zu empfangen, als er zur Stadt kam. Adrian hatte im Hotel einen Brief vorgefunden, welcher die Worte enthielt: »Halte ihn zurück, bis Du weiter von mir hörst. Führe ihn aus und zeige ihn in Gesellschaft in jeder Form.« Nichts mehr als das. Adrian mußte dazu erfinden, daß der Baron in dringenden Geschäften nach Wales gereist sei und in ein oder zwei Wochen zurück sein würde. Zu weiteren Erfindungen und Plänen, durch welche der junge Herr in der Stadt zu halten wäre, wandte er sich an Mrs. Doria. »Überlasse ihn nur mir,« sagte Mrs. Doria, »ich werde schon verstehen, ihn zu behandeln.« Und das tat sie auch.

»Wer kann von sich sagen,« sagt das Manuskript des Pilgers, »in welchem Augenblick er nicht als eine von einer Frau geleitete Puppe umhergeht.«

Mrs. Doria wollte nichts Gutes von Lucy hören. »Ich glaube,« sagte sie, als Adrian achselzuckend ein Wort zu ihren Gunsten wagte, »daß jedes Küchenmädchen jeden Mann um ihren Finger wickeln könnte – gebt ihr nur Zeit und Gelegenheit.« – Und während ihre Gedanken noch länger auf der Arglist der Frauen verweilten, söhnte sich ihr Gewissen damit aus, daß sie alles tat, was in ihrer Macht stand, um den jungen Ehemann von seiner Frau zu trennen, bis es seinem Vater gefallen sollte, daß sie wieder in ihrer unheiligen Verbindung lebten. Ohne 467 Gewissensbisse, und ohne sich das Widersinnige ihrer Handlungen klar zu machen, schalt sie auf ihren Bruder und unterstützte dabei die Erfüllung seiner Befehle.

So wurden die Puppen von Mrs. Doria geleitet, ob sie nun glücklich oder traurig oder gleichgültig waren. Ganz gegen seinen festen Entschluß und gegen den Strom seiner Gefühle, fand sich Richard in der Kirche und stand hinter Klara – es war dasselbe Gebäude, das Zeuge seiner Heirat gewesen war – und hörte wie das: »Ich, Klara Doria, nehme dich, John Todhunter,« klar ausgesprochen wurde. Er stand mit finsterer Miene und studierte die Kunst des Schneiders und Friseurs an dem ahnungslosen John. Mr. Todhunters Hinterkopf und viel von der Mitte des Kopfes war kahl; der Hinterkopf glänzte wie eine Eierschale, aber über die Mitte hatte der Künstler zwei lange Haarsträhne von den Seiten gezogen und geschickt festgeklebt, so daß mit Ausnahme sehr böswilliger Beobachter jedermann zugeben mußte, daß sein Kopf bedeckt wäre. Das einzige, was der Mann erstrebte, war eine anständige Jugendlichkeit. Er hatte eine breite Brust, kräftige Glieder, ein gutmütig fröhliches Gesicht. Mrs. Doria hatte keine Veranlassung durch die äußere Erscheinung ihres Schwiegersohnes in Verlegenheit gebracht zu werden: und sie war es auch nicht. Ihr wundervolles Haar und ihr befriedigtes Lächeln erhellten die Kirche. Mit Menschen als Puppen zu spielen muß für praktische Geschöpfe ein großes Vergnügen sein. Die Forey-Brautjungfern, fünf an der Zahl und eine Miß Doria, ihre Cousine, standen dabei, wie Mädchen bei diesen Opferhandlungen dabei zu stehen pflegen, ob sie nun glücklich oder traurig oder gleichgültig sind, mit einem Lächeln auf den Lippen und mit Tränen in Bereitschaft. Die alte Mrs. Todhunter, eine außerordentlich kleine, alte Frau, war auch dabei. »Ich kann meinen Jungen, meinen 468 John, nicht heiraten lassen, ohne zuzusehen,« sagte sie und murmelte während der ganzen Feierlichkeit Lobpreisungen über ihres Johns männliches Benehmen.

Der Ring wurde auf Klaras Finger gesteckt; kein Ring war verloren gegangen bei dieser von der Vernunft geschlossenen Ehe. In dem Augenblick, in dem der Geistliche danach verlangte, zog John den Ring heraus und ließ ihn auf den Finger der kalten, geduldigen Hand gleiten in so geschäftsmäßiger Art, als wenn er die Sache studiert hätte. Mrs. Doria blickte seitwärts nach Richard hin. Richard beobachtete, wie Klara den Finger ausstreckte, damit die Operation bequemer ausgeführt werden könnte.

Er erfüllte noch einige Minuten seine Pflichten in der Sakristei und sagte dann zu seiner Tante: »Jetzt werde ich gehen.«

»Du wirst doch zum Frühstück kommen, Kind? Die Foreys –«

Er unterbrach sie: »Ich habe hier die Familie vertreten, und mehr will ich nicht tun. Ich will mich nicht stellen, als wenn ich esse und trinke und fröhlich bin.«

»Richard!«

»Lebe wohl.«

Sie hatte ihr Ziel erreicht und war klug genug nachzugeben.

»Gut. Gehe und küsse Klara und gib ihm die Hand. Bitte, bitte, sei höflich.«

Sie wandte sich zu Adrian und sagte: »Er will gehen. Du mußt mit ihm gehen, und Mittel finden, ihn zurückzuhalten oder er rennt fort zu jener Frau. Kein Wort weiter – geh!«

Richard sagte Klara Lebewohl. Sie reichte ihm ihre Lippen demütig zum Kuß, aber er küßte sie nur auf die Stirn.

469 »Behalte mich lieb,« flüsterte sie ihm mit zitternder Stimme ins Ohr.

Mr. Todhunter stand strahlend dabei und brachte die Kunst des Friseurs mit seinem Taschentuche in Gefahr. Nun, da er wirklich verheiratet war, meinte er doch, er hätte die Tochter lieber als die Mutter, welches gegen die Regel ist nach den Gesetzen menschlicher Dankbarkeit bei einer Gabe der Götter.

»Richard, mein Junge,« sagte er herzhaft, »wünsche mir Glück.«

»Ich wäre froh, wenn ich es könnte,« erwiderte der Held ruhig, zur Bestürzung aller Umstehenden. Er nickte den Brautjungfern zu, verneigte sich vor der alten Dame und ging hinaus.

Adrian, der hinter ihm gestanden, um ihn bei einer etwaigen Unannehmlichkeit zu bewachen, erwähnte nur zu John: »Sie wissen, der arme Junge ist durch seine Heirat in Ungelegenheiten geraten.«

»Ach so, ja!« sagte John freundlich, »der arme Kerl!«

Dann fuhren alle Puppen fort zum Frühstück.

Adrian lief Richard nach in außerordentlich unzufriedener Gemütsverfassung. Er ärgerte sich, daß er nicht bei dem Frühstück dabei sein und den Hauptspaß verlieren sollte. Er besann sich indessen darauf, daß er ein Philosoph wäre, und sein starker Ärger machte sich nur in verstärktem Zynismus Luft, über jeden möglichen Gegenstand, der von dem Gespräch berührt wurde. Sie gingen nebeneinander durch den Park von Kensington. Der Held murmelte vor sich hin, ab und zu einzelne Sätze laut aussprechend.

Plötzlich drehte er sich zu Adrian herum und rief: »Und ich hätte es hindern können. Jetzt sehe ich es! Ich hätte es hindern können, wenn ich graden Wegs zu ihm gegangen wäre und ihn gefragt hätte, ob er es wagen wollte, 470 ein Mädchen zu heiraten, die ihn nicht liebte. Und ich habe nicht daran gedacht. Gütiger Himmel! Die ganze elende Sache lastet schwer auf meinem Gewissen.«

»Ach,« brummte Adrian, »das muß eine unangenehme Last für das Gewissen sein! Ich möchte alles andre lieber auf meinem Gewissen haben als ein Ehepaar. Hast du die Absicht, jetzt zu ihm zu gehen?«

Der Held sprach vor sich hin: »Er ist kein schlechter Mensch!«

»Nun ja, er ist kein Kavalier,« sagte Adrian, »und deshalb bist du erstaunt, daß deine Tante ihn gewählt hat. Er gehört entschieden zu dem Typus der Rundköpfe, denen das puritanische Element genommen ist, oder bei denen es, wenn es noch schlummernd in ihnen liegen sollte, wenigstens nicht mehr abstoßend wirkt.«

»Darin liegt die doppelte Schmach,« rief Richard, »daß ein Mann, den man nicht schlecht nennen kann, solch eine verdammte Sache tun sollte.«

»Ja, es ist schlimm, daß wir keinen Schurken in ihm finden können.«

»Er würde sicherlich auf mich gehört haben.«

»Geh jetzt zu ihm, Richard, mein Sohn. Geh jetzt zu ihm. Es ist noch nicht zu spät. Wer weiß? Wenn er wirklich ein edles, erhabenes Gemüt hat – wenn er auch in seiner Persönlichkeit kein Kavalier ist, so kann er doch dem Herzen nach einer sein – vielleicht dir zu Liebe, und da du solchen Nachdruck darauf legst, vielleicht steht er davon ab . . . vielleicht mit einigem Verlust an Würde, aber was kommt es darauf an. Und die Bitte mag vielleicht sonderbar sein, oder scheinen, aber es ist schon alles einmal dagewesen in der Welt, wie du weißt, mein lieber Junge. Und was für ein unendlicher Trost liegt in dieser Erwägung für Leute mit exzentrischem Wesen.«

Der Held blieb für den weisen Jüngling 471 unzugänglich. Er starrte ihn an, als ob er nur ein Fleck wäre in dem Universum, in das er blickte.

Es war ärgerlich, daß Richard, der mit seinen heterodoxen Ideen für Adrians Zynismus der beste Gegenstand gewesen wäre, sich durch die Art, wie er ihm entgegentrat, zu dem am wenigsten geeigneten machte, und der weise Jüngling mußte sich gegen seinen Willen der eingebildeten geistigen Rüstung des jungen Mannes ebenso bewußt werden, wie der auf den Muskeln beruhenden physischen.

»Es war ein ebensolcher Tag,« sann Richard, und sah zu den Bäumen auf. »Ich glaube, mein Vater hat recht. Wir machen unser eignes Schicksal und die Natur hat nichts damit zu tun.«

Adrian gähnte.

»Die Bäume sind doch anders,« fuhr Richard ganz versunken fort.

»Sie werden kahl an den Spitzen,« sagte Adrian.

»Wirst du es glauben, daß Tante Helen das Benehmen der elenden Sklavin Klara mit Lucys verglichen hat, die, wie sie die gefühllose Unverschämtheit hatte zu behaupten, mich in die Ehe gelockt hätte,« brach der Held plötzlich mit lauter Stimme los. »Du weißt doch – ich erzählte dir doch, Adrian, wie ich drohen und darauf bestehen mußte und wie sie bat und flehte, daß ich warten sollte!«

»Ach, hm,« murmelte Adrian.

»Du entsinnst dich doch, daß ich es dir erzählte?« Richard war es ernstlich darum zu tun, sie freigesprochen zu hören.

»Bat und flehte, mein lieber Junge? Ach, zweifellos hat sie das getan. Welches Mädel tut das nicht?«

»Sprich von meiner Frau mit andern Ausdrücken, bitte.«

472 »Die allgemeine Bezeichnung der Gattung kann nicht abgeschafft werden, weil du eine derselben geheiratet hast, mein Sohn.«

»Sie tat alles, was in ihrer Macht stand, um mich zum Warten zu überreden!« behauptete Richard mit Nachdruck.

Adrian schüttelte sein Haupt mit einem traurigen Lächeln. »Alles! mein lieber Ricky, alles doch wohl nicht!«

Richard schrie laut: »Was hätte sie denn mehr tun können?«

»Sie hätte sich zum Beispiel die Haare abscheren lassen können.«

Dieser glückliche Pfeil saß. Mit einem wütenden Ausruf stürmte Richard voran, Adrian folgte ihm und fragte ihn – nur um seine Annahme bestätigt zu hören – ob er nicht glaube, sie hätte sich die Haare abscheren lassen können? und vorausgesetzt, daß sie es getan hätte, ob er aufrichtig behaupten könne, daß er nicht gewartet hätte – nicht wenigstens so lange, bis sie nicht mehr ganz wie eine Verrückte ausgesehen hätte?

Nach ein oder zwei Minuten war Adrian nur noch wie eine Fliege, die um Richards Kopf summte. Drei Wochen der Trennung von Lucy und seine große Erregung ließen ihn ein weiches Gefühl der Sehnsucht nach dem teuren, lieblichen, vertrauten Gesicht empfinden. Er teilte Adrian mit, daß er beabsichtige, noch denselben Abend abzureisen. Adrian wurde sogleich ernst. Er war in Verlegenheit, was er erfinden sollte, um ihn zurückzuhalten, außer der abgedroschenen Mitteilung, daß sein Vater morgen kommen würde. Er brachte in Gedanken dem Genius der Frau in solchen Verlegenheiten seine Huldigung dar. »Meine Tante,« dachte er, »würde sofort eine Lüge bereit haben, und nicht allein das, sie würde auch dafür sorgen, daß sie wirksam wäre.«

In diesem kritischen Moment wurden sie von einer 473 Stimme angerufen, die sich als die des ehrenwerten Peter Brayder erwies, Lord Mountfalcons Parasiten. Er begrüßte sie sehr freundschaftlich, und Richard, der sich an vergnügte Stunden erinnerte, die sie auf der Insel gemeinsam durchlebt hatten, forderte ihn auf, mit ihm zu dinieren, wodurch er seine Rückkehr bis zum nächsten Tage aufschob. Lucy war die Seine. Es war so gar süß mit der Freude des Wiedersehens noch zu spielen. Der ehrenwerte Peter machte dem Regiment, dem er angehörte, Ehre. Obgleich er nicht ganz so groß war wie ein Lakai aus dem Westen Londons, so war er doch eben so gut gewachsen; und er verstand es, seiner Stimme einen einschmeichelnden oder unverschämten Ton zu verleihen, je nachdem es für die Bedürfnisse seines Berufes erforderlich war. Er besaß keinen Heller Vermögen in der Welt, doch hielt er sich ein Pferd, lebte gut, gab viel aus. Die Welt meinte, daß der ehrenwerte Peter von Seiner Lordschaft ein festes Gehalt bezöge und daß er außer der Rolle des Parasiten noch die altmodische Rolle des Gesellschafters spielte. Das sagte die Welt und lächelte ihm doch zu, denn er war ein angenehmer Bursche und wo er nicht hinging, wollte Lord Mountfalcon auch nicht hingehen.

Sie genossen im Hotel ein ruhiges, kleines Diner, das Adrian bestellte, und waren vier bei Tisch, Ripton Thompson der vierte. Richard hatte nach dem Bureau geschickt, um ihn holen zu lassen, und die beiden Freunde schüttelten sich zum erstenmal die Hände, nachdem die große Tat geschehen war. Das Entzücken des treuen Hundes war groß, als er hörte, wie das Lob seiner Schönheit von den aristokratischen Lippen des ehrenwerten Peter Brayder ertönte. Während des ganzen Diners machte er Andeutungen und stellte kleine Fragen, um noch immer mehr von ihr zu hören, und nachdem der Rotwein herumgegangen war, machte er auch selbst ein oder zwei 474 Bemerkungen und hörte, wie der ehrenwerte Peter seinen Geschmack lobte und ihm eine ebenso schöne Braut wünschte; worauf Ripton errötete und meinte, daß er darauf nicht hoffen könne, und der ehrenwerte Peter ihn versicherte, daß Heirat nicht die Form zerbräche.

Nach dem Essen rauchte dieser Herr seine Zigarre auf dem Balkon und fand Gelegenheit, einige Worte mit Adrian allein zu sprechen.

»Unser junger Freund da – hat sich mit dem Alten ausgesöhnt?« fragte er sorglos.

»Oh, ja!« sagte Adrian. Aber es kam ihm in den Sinn, daß Brayder ihm vielleicht helfen könnte, Richard die »Gesellschaft in jeder Form« zu zeigen, wie sein Vorgesetzter es verlangte. »Das heißt,« fuhr er fort, »man hat uns bis jetzt noch keine Zusammenkünfte mit dem erhabenen Urheber unsers Daseins gestattet, und ich habe einen ziemlich schwierigen Posten. Es ist meine Aufgabe nicht allein, ihn hier festzuhalten, sondern auch für ihn die Gelegenheit zu finden, sich mit seinen Mitmenschen zu messen. Mit andern Worten, sein Vater verlangt, daß er etwas mehr vom Leben kennen lernt, ehe er einen Hausstand gründet. Nun gestehe ich, ich bin stolz darauf, daß ich zugeben muß, dieser Aufgabe kaum gewachsen zu sein. Die Demimonde – wenn es das ist, was er kennen lernen soll, liegt außerhalb meines Bereiches.«

»Ha! Ha!« lachte Brayder. »Besorgen Sie nur das Festhalten, ich werde die Vorführung der ›demi‹ übernehmen. Ich muß allerdings sagen, daß das eine sonderbare Ansicht des alten Herrn ist.«

»Es ist die Fortsetzung eines philosophischen Planes,« sagte Adrian.

Brayder folgte mit den Augen den Rauchringeln seiner Zigarre und rief: »Verteufelt philosophisch!«

475 »Hat Lord Mountfalcon die Insel verlassen?« fragte Adrian.

»Mount? die Wahrheit zu sagen, ich weiß nicht, wo er augenblicklich ist. Auf der Jagd nach irgend einer leichten Beute, vermute ich. Das ist des armen Mount Schwäche. Es ist der Ruin des armen Jungen! Er nimmt das Spiel so verflucht ernst.«

»Er sollte es mit der Zeit kennen gelernt haben, wenn das Gerücht wahr spricht,« bemerkte Adrian.

»Er ist Frauen gegenüber ein kleines Kind und wird es immer bleiben,« sagte Brayder. »Ein- oder zweimal hat er sie heiraten wollen. Nun gibt es eine Frau – haben Sie von Mrs. Mount gehört? Alle Welt kennt sie. – Wenn die Frau nicht Anstoß erregt hätte!«

Die jungen Männer traten zu ihnen und unterbrachen weitere Mitteilungen. Brayder winkte Adrian zu und wies mit einem bedauernden Zeichen auf die Gegenwart eines Unschuldigen hin.

»Ein verheirateter Mann, wie Sie wissen,« sagte Adrian.

»Ja, Ja! – wir wollen seine Gefühle nicht verletzen,« bemerkte Brayder. Er schien den jungen Mann zu studieren, während sie weiter mit einander sprachen.

Am nächsten Morgen wurde Richard durch einen Besuch seiner Tante überrascht. Mrs. Doria setzte sich neben ihn und sprach die folgenden Worte:

»Mein lieber Neffe. Du weißt, daß ich dich immer geliebt habe und dein Glück gewünscht habe, als wenn du mein eignes Kind gewesen wärest. Mehr als das, fürchte ich. Nun denkst du also zurückzukehren zu – zu diesem Ort – nicht wahr? Ja. Es ist so, wie ich dachte. Sehr gut, laß mich also mit dir sprechen. Du bist in einer viel gefährlicheren Lage als du denkst. Ich leugne nicht, daß dein Vater dich sehr liebt. Es wäre abgeschmackt, 476 das zu leugnen. Aber du bist jetzt in einem Alter, in dem du seinen Charakter richtig beurteilen kannst. Was du auch tun magst, er wird dir immer Geld geben. Dessen bist du sicher, das weißt du. Sehr gut. Aber du bist einer, der mehr braucht als Geld: du brauchst seine Liebe. Richard, ich bin überzeugt, du wirst niemals glücklich sein, in welch niedrige Vergnügungen du auch geführt werden magst, wenn er dir seine Liebe vorenthalten sollte. Nun weißt du, Kind, daß du ihn sehr tief beleidigt hast. Ich habe nicht die Absicht, dein Benehmen zu kritisieren. – Du bildetest dir ein, verliebt zu sein und so weiter, und du hast dich übereilt. Je weniger jetzt darüber gesagt wird, desto besser. Aber du mußt jetzt – es ist jetzt deine Pflicht, etwas zu tun, was in deiner Macht liegt, um ihm zu zeigen, daß du bereust. Unterbrich mich nicht! Höre weiter. Du mußt Rücksicht auf ihn nehmen. Austin ist nicht wie andere Männer. Austin verlangt eine sehr zarte Behandlung. Du mußt – ob du es nun fühlst oder nicht – so erscheinen, als ob du bereust. Ich rate es dir, zu euer aller Bestem. Er ist ganz wie eine Frau, und wo seine Gefühle beleidigt sind, verlangt er äußerste Unterwürfigkeit. Du bist in der Stadt und er sieht dich nicht: – du weißt, daß er und ich nicht mit einander in Verbindung stehen: wir haben auch unsere Meinungsverschiedenheiten. – Also du bist in der Stadt und er hält sich fern: – er stellt dich auf die Probe, mein lieber Richard. Nein: er ist nicht in Raynham: ich weiß nicht, wo er ist. Er stellt dich auf die Probe, Kind, und du mußt Geduld haben. Du mußt ihn davon überzeugen, daß es dir nicht allein auf die Befriedigung deiner Wünsche ankommt. Wenn diese Person – ich möchte deinetwegen mit Achtung von ihr sprechen – also, wenn sie dich überhaupt liebt – wenn sie, sage ich, auch nur einen Funken von Liebe für dich hat, dann wird sie meine 477 Bitten wiederholen, daß du hier bleibst und geduldig wartest, bis er einwilligt, dich zu sehen. Ich sage dir aufrichtig, es ist die einzige Aussicht, die du hast, ihn dahin zu bringen, daß er sie empfängt. Das mußt du wissen. Du mußt wissen, daß es jetzt ganz allein von deinem Benehmen abhängt, ob du sehen willst, wie sich deines Vaters Herz für immer von dir lossagt und eine neue Familie in Raynham einzieht. Du verstehst mich nicht? Ich will es dir erklären. Brüder und Schwestern sind etwas Vortreffliches für junge Leute, aber ein neues Geschlecht davon kann einem jungen Mann kaum willkommen sein. Sie werden ihm und müssen ihm Fremde bleiben. Ich erzähle dir nur, was ich aus verbürgter Quelle weiß. Verstehst du noch nicht? Törichter Junge? Wenn du seine Launen nicht berücksichtigst, wird er sie heiraten. Ach, ich bin sicher. Ich weiß es. Und dahin wirst du ihn treiben. Ich warne dich nicht davor, deiner äußeren Vorteile willen, sondern wegen deiner Gefühle. Ich würde eine solche Möglichkeit für eine endgültige Trennung zwischen euch ansehen. Denke an den Skandal! aber, ach, das wäre noch das geringste dabei!«

Es war Mrs. Dorias Absicht, Eindruck zu machen und jede Erörterung zu vermeiden. Sie verließ ihn deshalb, sobald sie, wie sie meinte, diesen Eindruck auf den jungen Mann erzielt hatte. Richard war während ihrer Rede sehr schweigsam gewesen, und hatte, abgesehen von einigen Ausrufen, aufmerksam zugehört. Er grübelte über das, was seine Tante ihm gesagt hatte. Er liebte Lady Blandish und doch wünschte er nicht, daß sie Lady Feverel würde. Mrs. Doria legte einen peinlichen Nachdruck auf den Skandal, und obgleich ihm das nicht so wichtig war, dachte er doch darüber nach. Er dachte an seine Mutter. Wo war sie? Aber am meisten weilten seine Gedanken bei seinem Vater, und ein Gefühl, das der 478 Eifersucht verwandt war, erwachte für ihn in seinem Herzen. Er hatte ihn aufgegeben gehabt und in der letzten Zeit nicht sehr kindliche Gefühle für ihn gehegt; aber er konnte den Gedanken nicht ertragen, daß er die Liebe, deren Abgott und einziger Gegenstand er gewesen war, mit einer andern teilen sollte. Und die Liebe eines solchen Mannes, der so gut! so großmütig war! Wenn es Eifersucht war, die des jungen Mannes Herz für seinen Vater erwärmte, so erwachte auch der bessere Teil seiner Liebe dadurch zu neuem Leben. Er dachte an alte Zeiten: an seines Vaters Nachsicht, an seinen eignen Eigensinn. Er betrachtete sich selbst und was er getan hatte mit den Augen dieses Mannes. Er beschloß, alles zu tun, was er konnte, um seine Liebe wieder zu gewinnen.

Am Abend hörte Mrs. Doria von Adrian, daß ihr Neffe beschlossen hätte, noch eine Woche in der Stadt zu warten.

»Das genügt,« Mrs. Doria lächelte. »Am Ende der Woche wird er geduldig sein.«

»Oh! erzeugt denn Geduld wieder Geduld?« sagte Adrian.

»Ich wußte nicht, daß das eine Tugend wäre, die sich von selbst fortpflanzt. Ich überlasse ihn dir. Nach Verlauf einer Woche werde ich ihn nicht mehr halten können. Ich versichere, meine liebe Tante, schon jetzt . . .«

»Ich danke dir, keine weiteren Erklärungen,« bat Mrs. Doria.

Als Richard sie das nächste Mal sah, erzählte sie ihm, daß sie einen sehr befriedigenden Brief von Mrs. John Todhunter erhalten hätte; eine förmlich glühende Beschreibung von Johns Benehmen: aber, als Richard die Worte zu hören wünschte, die Klara geschrieben hätte, ließ Mrs. Doria sich nicht auf näheres ein und stürzte sich in ein Gespräch über Gesellschaftsklatsch.

479 »Klara braucht selten glühende Worte,« sagte Richard.

»Nein, ich meine auch nur, was bei ihr glühend genannt werden könnte,« bemerkte die Tante. »Mach nicht solch ein Gesicht wie dein Vater, Kind!«

»Ich würde den Brief gern gelesen haben,« sagte Richard.

Mrs. Doria dachte aber nicht daran, ihn zu zeigen.

 


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