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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Drei Tote. – »Onyxe, Topase, Diamanten!« – Heimfahrt und eine unerwartete frohe Botschaft.

 

»Ich denke, wir können froh sein, daß die Sache nicht schlimmer abgelaufen ist«, sagte Johann Bernsdorf, als man sich endlich wieder einigermaßen erholt hatte. »Ich habe die Empfindung, als ob der Ausbruch für diesmal zu Ende wäre. Was meinst du, Lot?«

Lot war derselben Ansicht.

»Machen wir uns also an die Untersuchung des ersten Kraters, dem anderen da oben möchte ich jetzt doch nicht zu nahekommen. Können wir alle noch laufen?«

Die jungen Männer sprangen auf die Füße, ihrem Beispiel folgten die beiden Dienstmannen, der Steuermann und zuletzt der Boß und sein Bruder.

»Vorwärts denn!«

Diesmal ging es über Fels und Kluft bergab, und jeder suchte sich den Weg, der ihm am besten zusagte.

Philipp und Heinrich hielten sich, so gut dies anging, beieinander.

»Sieh,« sagte der erstere, »was liegt dort?«

Am Rande eines Schneefleckes zeigte sich eine dunkle, eigentümlich gestaltete Masse.

Sie näherten sich, fuhren aber, als sie den Gegenstand erreicht hatten, jäh wieder zurück.

Ihr lautes Geschrei rief die andern herbei. Auch diese standen entsetzt.

Die unförmliche Masse war der Leichnam des schielenden Joseph, des Anführers der Flibustier! Er lag zerschmettert unter einem großen, zackigen Kristallstück, das vom Gipfel des Bergkegels auf ihn herabgestürzt war. Die Yankees hatten die Insel also doch noch vor den Bernsdorfs erreicht; hatten sie auch den Schatz gefunden und gehoben?

Einem Toten ist nicht mehr zu helfen; man ließ daher den Körper liegen und setzte, allerdings in erregtester Stimmung, den Weg fort, dem ersten Krater zu. Schon von weitem sah man demselben eine bläuliche Rauchsäule entsteigen – sollte er durch den Ausbruch des oberen Kraters unzugänglich geworden sein?

Ohne Schwierigkeit erstieg man den Rand des Loches; dasselbe mochte gegen hundert Fuß tief sein und dreihundert Fuß im Durchmesser haben. In der nordwestlichen Seite der steil abfallenden Kraterwand gewahrte man die schwarzgähnende Öffnung einer Höhle, aus welcher Wasser in die mit Dämpfen gefüllte Tiefe hinabtroff.

Aber man gewahrte noch mehr. Auf den Lavazacken, die den Eingang der Höhle umstarrten, hing ein regungsloser, menschlicher Körper mit Kopf, Armen und Oberleib über dem Abgrund.

Johann betrachtete ihn durch das Glas.

»Das ist der Loskins!« rief er. »Er hat eine Schußwunde im Kopf und ist tot ... Mir geht ein Licht auf ...«

»Mir auch«, fiel Friedrich ein. »Das Gewehr, das neben dem von dem Kristallstück erschlagenen Banditen lag, war abgeschossen ... Es wäre nicht das erstemal, daß solche Raubgesellen einander um den Besitz der Beute den Garaus gemacht hätten. Wie mir scheint, kommen wir noch nicht zu spät. Nach Jacksons Plan aber muß die Höhle ehedem zugänglicher gewesen sein als heute; ich begreife auch nicht, wie Loskins dort hinabgekommen ist; man kann nur annehmen, daß der Boden des Kraters sich infolge des Erdbebens gesenkt hat.«

»Das mag sein, durch solche Mutmaßungen aber kommen wir nicht von der Stelle«, entgegnete Johann. »Die Höhle ist ohne Anwendung von Leinen nicht zu erreichen. Karl und Philipp, ihr begebt euch unverzüglich an Bord des Schoners und holt eine Leine von ausreichender Länge herbei. Beeilt euch, so sehr ihr könnt und bringt auch den Kapitän und den Doktor mit. Wir bleiben hier und warten auf euch.«

Gehorsam machten sich die beiden auf den Weg ...

Acht Stunden vergingen, da erschienen sie wieder auf dem Lagerplatz am Krater, und mit ihnen Kapitän Armstrong und Doktor Joost. Ohne Aufenthalt ging man an die Vorbereitungen zum Abstieg in die Höhle. In der Tiefe des Kraters wälzten sich die Dampfmassen noch immer auf und nieder, ohne jedoch den Höhleneingang zu erreichen.

»Wer will's zuerst wagen?« fragte der Schiffer, als die Leine befestigt war.

»Ich«, antwortete Johann Bernsdorf. »Finde ich etwas, dann rufe ich; hört ihr fünf Minuten lang nichts von mir, dann holt mich wieder herauf.«

»Wäre es nicht besser, es ginge noch jemand mit Euch?« sagte Stevens, der Steuermann.

»Gewiß, Stevens hat recht, und der jemand will ich sein«, rief Friedrich. »Was tut Ihr da, Kapitän?«

»Ich schlage Knoten in die Leine, es klettert sich dann besser. Der Doktor und ich, wir wollen euch nämlich folgen; also nur immer voran.«

Der Boß und sein Bruder schwangen sich behend über den Rand des Kraters und in die Tiefe. Der erstere langte zuerst vor der Höhle an; als er auf den Lavazacken Fuß zu fassen suchte, stieß er an den Leichnam des Flibustiers; derselbe kam ins Rutschen, stürzte hinab und verschwand in dem rauchgefüllten Abgrund.

» Oh Lord!« hörte man Lots tiefe Stimme rufen. »Jetzt ist er beim Teufel in der Hölle!«

Johann hatte das Innere der Höhle glücklich erreicht; ihm folgte Friedrich mit Feuerzeug und einigen Lichtern, die der vorsorgliche Schiffer mitgebracht hatte. Sie waren noch nicht zehn Schritte in dem engen Raum vorgedrungen, da erschienen Karl und Stevens im Eingang. Gleich darauf folgten Heinrich und Hans, dann Lot, Hiob und Philipp. Der Doktor und der Schiffer machten den Beschluß.

Ausreichend mit brennenden Lichten versehen, machte man sich an das Durchsuchen der engen, kaum zwanzig Meter tiefen Höhle.

Man suchte und suchte und suchte; man suchte eine lange Zeit, bis kein Spalt, kein Loch, kein Zollbreit des holprigen Fußbodens unbetastet geblieben war.

Man fand jedoch nichts, gar nichts.

»Das war vorauszusehen«, unterbrach der Doktor endlich das drückende Schweigen. »Denn wie in aller Welt sollten hier Schätze hergekommen sein?«

»Vielleicht haben die Flibustier schon vor uns ausgeräumt«, sagte Lot. »Möglich, daß ihre Taschen mit Schätzen vollgepfropft sind.«

»Dann hat Loskins seinen Anteil mit in die Tiefe genommen«, versetzte der Kapitän. »Wo nur der dritte, der Nelson, stecken mag. Vielleicht finden wir den auch noch, lebendig oder tot.«

Johann und Friedrich redeten kein Wort. Stumm und eifrig suchten sie weiter, nicht nur am Boden der Höhle, sondern auch an den Wänden und der Decke.

Vergebens.

Niedergeschlagen und enttäuscht stieg man endlich wieder aus der Höhle und dem Krater empor.

Finster und in sich gekehrt schritt der Boß an dem zerklüfteten Rande des Abgrundes dahin. Plötzlich blieb er stehen. Vor ihm, zwischen zwei Lavablöcken, lag abermals ein Toter ... Christian Nelson, der dritte der Flibustier.

Sein Ruf brachte die Gefährten herbei.

Der Steuermann beugte sich über den Leichnam und untersuchte denselben.

»Er hat einen Schuß in den Rücken gekriegt«, sagte er.

»Er hält etwas in seiner Hand«, rief Karl. »Da, da fällt's heraus ... bei Gott, es sind Edelsteine!«

»Wahrhaftig!« fiel Heinrich ein. »Seht doch, wie das funkelt! Onyxe, Topase, Diamanten!«

Sie sammelten die Steine auf und legten sie in die Hände des wortlos dastehenden Johann Bernsdorf. Der hielt sie seinem Bruder und dem Doktor entgegen. Der letztere nahm einige der blitzenden Kleinodien in die Finger und betrachtete sie genau.

»Das sind Diamanten«, sagte er ruhig. »Daran ist nicht zu zweifeln. Ebenso gewiß aber erscheint es mir, daß sie hier auf diesem Boden nicht gewachsen sind.«

Man durchsuchte die Taschen des Toten, fand aber in denselben nichts als ein Messer, etwas Tabak und einige Geldstücke.

»Er wird im Todeskampf nach den Steinen gegriffen und sie in der Hand behalten haben«, sagte der Schiffer. »Schade, daß uns der Loskins entgangen ist; bei dem hätten wir sicher auch etwas gefunden. Jetzt müssen wir noch den dritten, den Joseph, untersuchen.«

Das aber hatten Lot und Hiob bereits getan, die jetzt in langen Sätzen herbeikamen.

»Hier, Master!« rief der Neger triumphierend.

Er streckte dem Boß seine schwarze Hand hin, in der vier große Diamanten funkelten.

»Die haben wir bei dem Skunk, dem schielenden Joseph, gefunden«, berichtete er. »Euer Eigentum, Master. Schöne Steine, was, Doktor?«

»Sehr schöne Steine«, bestätigte Doktor Joost. »Kostbare Steine! Die müssen aus irgendeinem Seeraub stammen. Die Höhle wird ein Versteck der Banditen gewesen sein, anders kann ich mir die Sache nicht erklären ... Rätselhaft! So ein paar Steine allein verbirgt man doch aber nicht in einer Felshöhle, die während des größten Teils des Jahres unzugänglich ist ... Wer bringt Licht in dieses Dunkel? Die allein darum wußten, sind nicht mehr am Leben ... Rätselhaft!«

»Ach was, zerbrechen wir uns doch nicht den Kopf über Dinge, die uns nun einmal unbekannt bleiben müssen«, rief der Schiffer. »Wieviel mögen die Steine wert sein, die wir hier haben?«

»Ich kann nur die Diamanten abschätzen«, erwiderte der Doktor. »Allerdings auch nur oberflächlich. Die Steine wiegen ungefähr 150 Karat, eher mehr als weniger.«

»Wieviel ist ein Karat?« fragte Johann.

»Vier Gran. Viermal 150 sind 600 Gran. Durch das Schleifen vermindert sich dieses Gewicht, so daß etwa noch 400 Gran oder 100 Karat übrigbleiben werden. Der Preis eines Karats ist fünfunddreißig Dollar oder sieben Pfund Sterling. Hiernach beträgt dieser Diamantenfund an Geldeswert ungefähr 50 000 Pfund Sterling.«

»Was rechnet Ihr da zusammen!« rief Johann Bernsdorf. »Hundert Karat, das Karat zu sieben Pfund Sterling, gibt siebenhundert Pfund Sterling, nicht mehr.«

»Nicht doch, mein Freund. Die Karatrechnung ist eine andere. Wenn ein Stein von einem Karat Gewicht sieben Pfund kostet, dann kostet ein Stein von zwei Karat 2 x 2 x 7 = 28 Pfund. Der Preis dieses vierkarätigen Steines hier ist 4 x 4 x 7 = 112 Pfund. Hundert Karat Diamanten kommen hiernach auf 70 000 Pfund zu stehen. Ich hatte, um einen Preis anzunehmen, den Ihr unter allen Umständen erzielen werdet, noch 20 000 Pfund weniger gerechnet.«

Die Bernsdorfs schwiegen. Eine solche Summe als Ausbeute war ihnen nicht im Traume eingefallen. 50 000 Pfund Sterling waren 250 000 Dollars oder eine Million Mark. Und solch ein Haufen Geld für eine Handvoll Diamanten. Die jungen Leute schauten einander an, aber selbst Philipp fand zunächst noch keine Worte.

»Ich denke mir, daß hier noch mehr von dem Zeug herumliegt«, nahm endlich Stevens das Wort. »Die Flibustier haben sicher hier und da Steine fallen lassen. Ich möchte wohl wissen, ob Jackson den Schatz hier versteckt hatte, oder ob er auf andere Weise davon Kenntnis erlangte.«

»Das werdet Ihr nun wohl niemals mehr erfahren«, sagte Philipp, »übrigens erwähnte der alte Meergreis die Diamanten nur beiläufig, hauptsächlich betonte er das Vorhandensein von Onyxen, Topasen und Opalen; von denen aber haben wir gerade am wenigsten gefunden.«

»Jene andern Edelsteine sind sicher mit Nelson in die Tiefe des Kraters hinab gestürzt«, bemerkte der Steuermann. »Ich müßte mich sehr versehen haben, wenn er nicht eine Art Felleisen um den Leib geschnallt hatte. Darin werden sich die Schätze wohl befunden haben.«

»Das Felleisen glaube auch ich gesehen zu haben«, sagte der Schiffer. »Warum der mörderische Halunke, der Joseph, seinen Raubgesellen mit der Beute nicht erst ruhig auf festen Boden kommen ließ, ehe er ihm die meuchlerische Kugel in den Kopf jagte, das wird mir auch ewig ein Rätsel bleiben.«

»Wie die Mehrzahl der mit dieser merkwürdigen Begebenheit verknüpften Umstände uns allen unerklärlich bleiben wird«, fügte Doktor Joost hinzu.

Er trat an den Rand des Kraters und schaute in die Tiefe.

»Die Dämpfe sind verschwunden!« rief er. »Wie wäre es, wenn wir den Leichnam mit dem Felleisen aufzufinden versuchten?«

Der Vorschlag fand den lebhaftesten Beifall des Kapitäns und des Steuermanns, die sogleich beschlossen, an Bord zu eilen und die nötigen Gerätschaften zum Abstieg in die Tiefe des Kraters herbeizuholen.

Die Bernsdorfs schickten sich gleichfalls zum Rückweg an. Zuvor aber begrub man die beiden Toten, indem man sie mit Steinhaufen bedeckte. Bei dieser Arbeit fand Lot in der Nähe des erschlagenen Joseph einen kleinen ledernen Beutel. Man öffnete denselben und fand ihn mit bunten Edelsteinen angefüllt, darunter noch mehrere große Diamanten.

»Wir Bernsdorfs rühren davon nichts mehr an«, erklärte Johann mit Entschiedenheit. »Wir haben genug von dem Piratenschatze, an dem sicher noch viel mehr Blut klebt, als hier auf dem Kristallberge seinetwegen vergossen worden ist. Unsere Ernte beträgt 50 000 Pfund, das genügt uns. Der Beutel enthält dem Anschein nach ebensoviel. Darin mögen der Schiffer und seine Leute sich teilen.«

»Soll geschehen«, brummte Armstrong, den Beutel in die Tasche schiebend. »Ihr werdet uns doch aber noch Zeit lassen, nach Nelsons Felleisen zu suchen; oder habt Ihr es mit der Rückkehr jetzt plötzlich eilig?«

»Das nicht«, antwortete Johann. »Wir gehen an Bord und bleiben da; Ihr könnt ja wieder umkehren und nach weiteren Schätzen suchen. Ich und die Meinigen aber setzen keinen Fuß wieder auf diese Mordinsel.«

Es ging ihm, wie es schon so vielen gegangen ist.

Er hatte nach Reichtümern gestrebt und jetzt, da er sie besaß, verwandelten sie sich in seinem Munde zu Asche. Deswegen also dieser Aufwand von Anstrengung, Mühe und Gefahr!

Die Seeleute aber dachten anders.

Noch wochenlang lag der Schoner bei der Insel vor Anker, und während dieser ganzen Zeit forschten alle Mann, der Schiffer an der Spitze, nach weiteren Edelsteinen. Der Leichnam im Krater wurde nicht gefunden, dagegen stießen sie in der Tiefe auf eine schwere, eisenbeschlagene Kiste, die jedoch, als sie sich derselben bemächtigen wollten, ihren Händen entschlüpfte und in einen bodenlosen, bis in das Meer reichenden Abgrund stürzte, der auch den Leichnam des Piraten verschlungen hatte.

Wohl fanden sie in Felsritzen zerstreut noch einige Edelsteine, zugleich aber erhob sich auch Zwiespalt, Streit und Mißgunst unter ihnen, und mit der alten, friedlichen Kameradschaft hatte es ein Ende.

Johann Bernsdorf und sein Bruder beobachteten diese veränderte Lage der Dinge anfänglich mit Mißfallen und Bedauern, dann aber mit zunehmender Besorgnis, da der kurze arktische Sommer zu Ende ging und der schreckliche Winter bereits vor der Tür stand.

Endlich griff die Natur selber mit entscheidender Hand ein; die Kraterhöhle stürzte eines Tages zusammen, und damit hatte die Schatzgräberei ein Ende.

Die Seeleute kehrten an Bord zurück, reich an irdischem Gut, aber arm an innerem Frieden, da Neid und Mißtrauen sich in ihren Herzen eingenistet hatten. Sie schwatzten unaufhörlich von all den törichten Dingen, die sie nun daheim beginnen wollten, bis der Kapitän schließlich mit einem Donnerwetter dazwischenfuhr und ihnen klarmachte, daß sie in ihrem Leben nicht mehr nach Hause kommen würden, wenn sie sich nicht auf der Stelle und mit allem Ernste wieder ihrem Dienste zuwendeten und an Bord ihre Schuldigkeit täten.

Ein gewaltiger Schneesturm verlieh seinen Worten den gehörigen Nachdruck, und so gelang es denn, den Schoner wieder seeklar zu machen und durch das sich von Tag zu Tag mehrende Eis auf einen südlichen Kurs zu bringen.

Zunächst suchte der Kapitän die Fangmännerkolonie wieder auf, um hier den Doktor Joost auszusetzen, da dieser trotz alles Zuredens seine Schicksalsgenossen nicht im Stich lassen wollte.

Man fand das Eisfeld und darauf auch die Wracks der Schiffe, von den Fangmännern aber war keine Spur mehr zu sehen. Aus allerlei Anzeichen glaubte man schließen zu dürfen, daß diese von einigen des Weges gekommenen Schiffen aufgenommen und so dem gewissen Tode entrissen worden waren.

Erleichterten Herzens setzten unsere Abenteurer die Heimfahrt fort; Wind und Wetter blieben günstig; durch den Einfluß und das gute Beispiel der Bernsdorfs kamen auch die Matrosen nach und nach wieder zu besserer Einsicht, und so wurde das Leben an Bord schließlich wieder so einträchtig und angenehm, wie es auf der Ausfahrt gewesen war.

Es war ein schöner Septembertag, als die »Seeschwalbe« mit vollen Segeln in die Mündung des Sankt-Lorenz-Stromes einlief und vor einem frischen Nordostwinde der guten Stadt Quebeck zustrebte.

Hier trennten sich die Schiffsgenossen, da der Schoner wieder nach Chaleur zurückgeführt werden mußte. Die Edelsteine wurden von Sachkennern abgeschätzt, und es stellte sich heraus, daß Doktor Joost mit seiner Schätzung annähernd das Richtige getroffen hatte. In Gegenwart der Sachverständigen wurde auch die Teilung vorgenommen, dann schüttelten Kapitän Armstrong, sein Steuermann und seine Mannschaft den Bernsdorfs und dem Doktor zum Abschied die Hände und begaben sich mit leichten Herzen und schweren Taschen wieder an Bord.

Die Bernsdorfs aber, ihre Dienstmannen und der Doktor reisten auf der Eisenbahn nach Montreal, wo ein zweites Abschiednehmen stattfand.

Doktor Joost wollte mit dem nächsten Dampfer nach Europa in See gehen, um sich in seinem Vaterlande als praktischer Arzt niederzulassen. Sein Anteil an den Diamanten – die Bernsdorfs hatten darauf bestanden, daß er, wie alle andern, bei der Teilung berücksichtigt wurde – brachte ihn in die Lage, dem gefährlichen Beruf eines Fangmännerarztes für immer den Rücken zu kehren. Dankbar und voll von den herzlichsten und freundschaftlichsten Gefühlen sagte er den Bernsdorfs Lebewohl.

Diese aber stiegen nun zunächst in einem Hotel ab, um sich vor allen Dingen äußerlich wieder zu zivilisierten Menschen zu machen.

Kaum aber war ihr Name bekannt geworden, da erregten sie allenthalben die größte Neugierde und Aufmerksamkeit.

Kopfschüttelnd teilten sie einander ihre Erfahrungen in dieser Beziehung mit; sie könnten nicht begreifen, auf welche Weise ihre Expedition und deren Verlauf schon so bekannt geworden sein sollte.

Ganz wildfremde Menschen kamen und gratulierten ihnen in überschwenglichster Weise zu ihrem Glück; sogar Lot und Hiob wurden überall, wo sie sich sehen ließen, von gastfreien Menschen in Beschlag genommen und auf das großartigste traktiert, so daß diese beiden Ehrenmänner meinten, die Welt habe sich während ihrer Abwesenheit in ein Paradies verwandelt.

»Wir sind über Nacht zu berühmten Männern geworden, wie es scheint«, sagte Johann Bernsdorf lächelnd zu dem Hotelinhaber, der zum zehntenmal Veranlassung genommen hatte, den zurückgekehrten Abenteurern seine Glückwünsche darzubringen.

»Ganz recht«, bestätigte der höfliche Mann. »Das Telegramm, das Ihr nach Pittsburg abgesandt habt, verriet uns nämlich, wer Ihr seid.«

»Unser Telegramm?« fragte Johann verwundert. »Ja, das war aber nur an unsern Freund Bates gerichtet.«

»Ganz recht«, lächelt der Wirt seelenvergnügt. »Ganz recht; stimmt, stimmt ganz genau.«

»In dem Telegramm war aber kein Wort von unserer Expedition gesagt, auch weder von der Kristallinsel noch von den Diamanten.«

Jetzt starrte der Wirt den Boß offenen Mundes an. Andere Gäste kamen herzu, neugierig, mit gespitzten Ohren.

»Diamanten! Kristallinsel! ... Wa – was! Ich verstehe Euch nicht!« stotterte er. »Davon habe ich noch kein Wort gehört!«

»Nicht? Ja, Mann, dann verstehe ich Euch erst recht nicht! Woher kommt dann all diese Neugierde, diese Aufregung, und was haben dann diese ewigen Gratulationen für einen Grund?«

Der Wirt riß den Mund noch weiter auf.

»Ihr seid doch Mr. Johann Bernsdorf, Euer Bruder ist Mr. Friedrich Bernsdorf, und die andern sind Eure Söhne und Neffen, und die beiden Farbigen, Lot und Hiob, gehören auch zu Euch ... ist das etwa nicht richtig?«

»Gewiß ist das richtig, Ihr kurioser Kauz«, lachte Johann; »was aber nun weiter?«

Der Wirt stierte ihn kopfschüttelnd an.

»Aber so redet doch, Mensch!« rief Johann ungeduldig.

»Was nun weiter, fragt Ihr?« nahm der andere, der sich endlich wieder gefaßt hatte, das Wort. »Euer Petroleumland ist parzelliert und besiedelt worden, Bernsdorf City befindet sich in vollem Betrieb. Robert Bates, Euer Freund in Pittsburg, hat auf seinen Anteil bereits drei Millionen Dollars herausgeschlagen, auf Euren Anteil kommt ebensoviel, auch auf den Eures Bruders. Die Geschichte steht ja längst in allen Zeitungen!«

Jetzt war die Reihe zu erstarren und offenen Mundes das fast Unglaubliche zu vernehmen an dem Boß.

»Also Petroleum!« rief er endlich, tief Atem holend. »Und in der verlassenen Stadt! Das ist eine unverhoffte Nachricht!«

»Aber doch gewiß keine schlechte«, versetzte der Wirt. »Ihr hattet Eure Sache den besten Händen anvertraut. Mr. Bates war der Mann, das Ding zu betreiben; er bohrte und prospektierte, bis er Petroleum fand, und zwar gleich in Millionen von Tonnen. Wenn der Ertrag so weitergeht, dann werden die Familien Bates und Bernsdorf sehr bald die reichsten in den Vereinigten Staaten sein; dann werden die Vanderbilts und die Mackays, und wie sie sonst noch alle heißen, sich in die Ecken drücken müssen, wenn Ihr kommt.«

Die unverhoffte Nachricht erwies sich als wahr. Am folgenden Tage schon reisten die Bernsdorfs nach Pittsburg, wo die Mitteilungen des Hotelwirtes sich bestätigten. Unsere Freunde waren reiche, schwer reiche Leute geworden. Wir gönnen ihnen selbstverständlich dieses Glück, zugleich aber können wir ein gewisses Bedauern nicht unterdrücken, ein Bedauern darüber, daß nach dieser Wendung der Dinge das Interesse schwinden muß, das wir bisher für die Abenteurer gehegt haben. Reiche Leute sind eben nicht interessant.

Karl und Philipp, Heinrich und Hans kamen später zu längerem Aufenthalt nach Deutschland, einige von ihnen befinden sich heute noch hier. Sollte ihnen diese Erzählung zu Gesicht kommen, so werden sie sich vielleicht mit Vergnügen jener Zeiten erinnern, wo sie einfache Farmerjungen waren und von »Europens übertünchter Höflichkeit« noch so gut wie nichts kannten.

Das Rätsel der Edelsteininsel aber ist ungelöst geblieben. Wie jene Diamanten dorthin gekommen sind und auf welche Weise der alte Jackson von ihrem Vorhandensein Kenntnis erhielt, das kann nur gemutmaßt werden.


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