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Zweites Kapitel.

Die Feuersäule. – Hiob und Lot. – »Es darf nicht gar zu viel gelogen werden.«

 

Am nächsten Morgen nahm Friedrich Bernsdorf wahr, daß auch Troll, der Hund, sich nicht mehr bei der Karawane befand.

Er teilte seine Entdeckung den übrigen mit.

»Das freut mich«, bemerkte der schwarze Lot ruhig. »Der ist zu den jungen Masters in den Wald gegangen.«

»Freut mich mächtig«, stimmte Hiob ihm bei.

Die beiden Farbigen hielten zusammen wie Pech, was der eine sagte und tat, das tat und sagte auch stets der andere.

Mit bekümmerten Gesichtern setzten die Abenteurer sich zum Frühstück nieder.

Während desselben wurde eine wichtige Frage erörtert.

Sollte man hierbleiben oder aber weiterziehen?

Man kam überein, noch einmal den Wald abzusuchen, dann langsam die Fahrt fortzusetzen, dabei wiederholentlich Rast zu machen und aufs neue nach den Vermißten zu streifen.

»Laß uns die Suche sofort beginnen«, sagte Johann Bernsdorf zu seinem Bruder. »Wir hauen die Bäume an, damit wir den Weg zurückfinden und sind, wenn die Sonne im Mittag steht, wieder hier. Die Jungens bewachen indessen das Lager.«

Einwendungen waren vergeblich, die jungen Leute sahen sich daher gezwungen, bei den Pferden und den Wagen auszuharren.

Hans verhielt sich ungewöhnlich schweigsam.

»Gräme dich nicht zu sehr, Hans,« tröstete Karl, »sie werden bald wieder bei uns sein. Troll ist bei ihnen, darauf kannst du dich verlassen; darin aber liegt die Gewähr dafür, daß sie uns wieder auf die Fährte kommen müssen.«

»Das wollen wir hoffen«, antwortete Hans niedergeschlagen. »Ich dachte in diesem Augenblick aber an etwas anderes. Hast du in dem Sturm der vergangenen Nacht wohl die große, entsetzliche Feuersäule bemerkt?«

»Eine große, entsetzliche Feuersäule? Blitze habe ich gesehen, mehr als mir lieb war, aber eine Feuersäule? Nein.«

»Nun, ich habe sie gesehen, dort in der Richtung«, sagte Hans, nach Nordwesten deutend. »Es war ein Anblick, als ob eine ganze Stadt in Flammen aufginge, es sah grauenerregend aus.«

»Du hast geträumt, Hans«, war des Vetters Entgegnung. »Die Blitze haben dich bis in den Schlaf verfolgt. Mache dir nicht unnötig noch mehr schwere Gedanken.«

»Nein, Karl, ich habe es wahrhaftig nicht geträumt«, beharrte Hans. »Im Gegenteil, ich fürchtete schon, daß Philipp und Heinrich den Wald in Brand gesetzt haben könnten.«

»Wenn das der Fall wäre, dann müßten wir den Rauch und Qualm ja jetzt noch deutlich sehen. Wenn Onkel und Vater zurückkommen, dann wollen wir ihnen von deiner Feuersäule erzählen.«

Die Zeit ging nur langsam dahin. Ringsum herrschte tiefes Schweigen. Der Fahrweg lag ganz verödet.

Die Straße war eigentlich kaum sichtbar, da die wenigen Wagenspuren zum Teil von Gras überwuchert waren und hier unter den dichten Bäumen kein Staub darauf lag.

Auf allen Seiten breitete sich dicht und scheinbar undurchdringlich der Urwald aus; fast ein Wunder war es zu nennen, wenn jemand, der sich hier verirrte, jemals wieder zum Vorschein kam.

Die Sonne hatte fast die Meridianhöhe erreicht, als Johann Bernsdorf als erster wieder bei den Wagen eintraf. Sein Antlitz war sorgenvoller als zuvor.

In kurzen Zwischenräumen erschienen auch die übrigen Sucher, Friedrich Bernsdorf, Hiob und Lot, keiner aber hatte eine Spur von den Verschwundenen entdeckt.

Während die Vorbereitungen zum Mittagsmahl getroffen wurden, erzählte Karl den Traum des Vetters Hans von der Feuersäule, wie er sich ausdrückte.

Diese Mitteilung brachte einige Bewegung in den Kreis der trübe und schweigend vor sich hin Brütenden.

Weder Johann noch Friedrich Bernsdorf hatten die Erscheinung wahrgenommen, sie vermochten auch keine Erklärung für dieselbe zu finden.

Hans beschrieb noch einmal ganz genau, was er gesehen; die säulenartige Flamme war plötzlich mitten im Gewittersturm emporgelodert und war dann in nordwestlicher Richtung stehengeblieben.

»Habe mein Lebtag so etwas nicht gehört«, sagte sein Vater. »Der Lichtschein über einer Stadt kann's nicht gewesen sein, da keine Ortschaften in der Nähe sind. Handelte es sich um einen Waldbrand, dann hätten wir bald den Rauch verspürt, auch wäre der Brand bei dem Winde schnell näher gekommen. Eine seltsame, merkwürdige Sache, was meinst du, Friedrich?«

»Gewiß, höchst seltsam und merkwürdig. Vielleicht kann Lot uns die Erscheinung erklären, wenn er mit der Kocherei fertig ist. Da kommt ja schon das Essen. Der Himmel stehe unseren armen verirrten Buben bei, damit sie nicht in der Wildnis verschmachten!«

Keiner vermochte viel zu sich zu nehmen. Das Essen wurde eben nur gekostet. Der Gedanke an die Abwesenden, die müde, hungrig und durchnäßt im Walde herumirrten, reichte hin, um allen den Appetit zu nehmen.

Lot und Hiob allein stopften sich mit männlicher Fassung den Leib gehörig voll.

Nach beendetem Mahl ließ man auch sie an der Beratung teilnehmen.

Hans erzählte noch einmal, was er gesehen.

»Hm,« bemerkte Lot, »kurios, ungemein kurios ist das, mit Respekt zu sagen.«

»Ja, mächtig kurios«, bestätigte Hiob. »Aber ich denke, ich hab's – es ist ein Waldbrand.«

Lot schaute die andern der Reihe nach an; da jedoch keiner das Wort nahm, sagte er:

»Mein Freund Hiob hat nicht so unrecht – nicht so ganz unrecht – bloß, daß er's diesmal nicht recht getroffen hat. Ein Waldbrand ist das nicht, davon kann gar keine Rede sein – aber so ganz unrecht hat er nicht.«

»Er sagte doch aber, es wäre ein Waldbrand«, wandte Hans ein.

»Nein, Master, er meinte bloß so. Ich meinte das auch zuerst, jetzt aber weiß ich's besser – es ist eine Gasquelle, mit Respekt zu sagen.«

»Eine Gasquelle!« riefen die andern wie aus einem Munde.

»Ganz recht, eine Gasquelle«, nickte Hiob. »Das wollte ich nämlich auch eben sagen.«

»Ja, eine Gasquelle«, wiederholte Lot. »Wir sind hier in der Petroleumgegend, da gibt es viel Gas in der Erde, das sich hier und da Auswege sucht. Ich habe Feuersäulen gesehen, die hundert Fuß, ja, hundertundfünfzig Fuß hoch waren. Und solch ein Feuer muß es gewesen sein, was Ihr gesehen habt, Master Hans.«

»Das klingt nicht unwahrscheinlich,« bemerkte Friedrich Bernsdorf, »aber solches Gas kann sich nicht von selbst entzünden.«

»Nein,« sagte Hiob schnell, um seinem Partner zuvorzukommen, »aber der Blitz kann das Gas entzünden. So was habe ich oft genug gesehen, nicht wahr, Lot?«

»Freilich hast du das,« bekräftigte der Schwarze, »das kann ich bezeugen. Ja, es ist eine Gasquelle und nichts anderes.«

»Dann meinst du wohl auch, daß hier in der Nähe eine Petroleumstadt sein muß?« fragte Johann Bernsdorf.

»Gewiß meine ich das, darum habe ich auch diesen Weg eingeschlagen. Dort finden wir gute Unterkunft.«

»Aber unsere Jungens – ob die auch dorthin kommen werden?«

Das Gesicht des besorgten Vaters hellte sich auf. »Eine innere Stimme sagt mir, daß auch sie den Feuerschein gesehen haben, und daß sie der Richtung desselben folgen werden. Tun wir desgleichen, dann finden wir unsere Verlorenen wieder.«

Die Pferde wurden angeschirrt, und langsam setzte die Karawane sich in Bewegung.

Man unterließ nicht, während der Fahrt in bestimmten Zwischenräumen Schüsse und Salven abzufeuern, um nichts zu versäumen, was die Verirrten auf die richtige Spur lenken könnte.

Allein kein antwortender Ruf, kein Signalschuß – Heinz und Philipp hatten ihre Revolver bei sich, welche Waffen die Mitglieder der Karawane weder bei Tage noch bei Nacht ablegten – kein Hundegebell ließ sich vernehmen.

Bei eintretendem Abenddunkel wurde im Nordwesten eine eigentümliche Helligkeit, ein Feuerschein, sichtbar. Je finsterer es wurde, desto deutlicher erschien dieses seltsame Licht.

Der Pfad hatte bisher im allgemeinen direkt auf die Lichterscheinung zugeführt, einige Krümmungen und Umwege abgerechnet, die nötig wurden, um unwegsame Stellen des Waldes und sumpfiges Terrain zu vermeiden.

Nach und nach aber wurden diese Umwege bedeutender, so daß man zuweilen meinen konnte, der Weg wende sich gänzlich einer anderen Richtung zu.

Karl und Hans begannen ungeduldig zu werden und zu murren.

» Festina lente«, sagte Friedrich Bernsdorf. »Langsam und sicher führt am weitesten. Vergeßt doch nicht, daß durch unser gemächliches Weiterziehen die armen Jungens im Walde am ehesten Gelegenheit finden können, wieder zu uns zu stoßen. Wir wollen hier Halt machen, Johann, wenn dir's recht ist, und unser Lager für die Nacht aufschlagen.«

Die Pferde wurden ausgespannt und das Lager hergerichtet.

Am nordwestlichen Horizont loderte die weiße Flamme hoch und stetig, vom Winde nur wenig hin und her bewegt.

Die Gesellschaft beobachtete die wunderbare Erscheinung lange und mit ungemindertem Erstaunen. Man erging sich in allerlei Mutmaßungen über die Ursache derselben und versuchte die Entfernung bis dorthin abzuschätzen.

Endlich wurden noch einige Salven abgefeuert, und dann begab man sich ermüdet zur Ruhe, den beiden Farbigen die erste Wache überlassend.

»Höre, Freund Hiob,« flüsterte Lot seinem Genossen zu, als alles in tiefer Ruhe lag, »heute nachmittag hast du eigentlich ein bißchen viel von mir verlangt, mit Respekt zu sagen.«

»Bißchen viel von dir verlangt? Wieso, Partner?« fragte Hiob verwundert.

»Wieso? Mußte ich dir nicht bezeugen, du hättest gesehen, wie der Blitz eine Gasquelle anzündete und das nicht nur einmal, sondern wer weiß wie oft – gerade als wäre der Blitz ein Laternenmann, der mit seiner Leiter die Straße entlang geht und eine Laterne nach der anderen ansteckt! Das war nicht ganz in der Ordnung, Partner; denn wenn ich auch dies und noch mehr ganz gern für dich tue, so darf doch nicht gar zu viel gelogen werden, hörst du, Hiob? Also über diese Blitzgeschichte würde ich an deiner Stelle in Zukunft nicht hinausgehen.«

»Gut, Lot, das will ich dir versprechen. Aber diesmal muß es noch dabei bleiben. Was gesagt ist, ist gesagt – ein Wort ein Mann!«

»Ganz deiner Meinung, Partner. Damit aber laß es genug sein und zünde mir nicht wieder Quellen mit deinen vertrackten Blitzen an. Das war doch zu starker Tabak. Es mag ja immerhin wahr sein, aber zuviel ist zuviel. Verstanden?«


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