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Drittes Kapitel.

Die Verirrten. – Troll. – Die Katzenstadt.

 

Heinrich und Philipp hatten inzwischen eine keineswegs angenehme Zeit im Walde durchgemacht.

Sie waren durch das wild verschlungene Dickicht von den Gefährten getrennt worden, sie wußten nicht wie. Ehe sie sich dessen versahen, fanden sie sich allein und verlassen in der lautlosen, grünen Einsamkeit, und auf all ihr Rufen und Pfeifen erhielten sie keine Antwort mehr.

»Es wird ihnen langweilig geworden sein, und da sind sie umgekehrt«, meinte Philipp. »Ich denke, wir gehen auch zurück. Du hast nun Käfer genug. Warte einmal – bei jenem weißen Baum sprach ich zuletzt mit Karl, von da führte eine Lichtung zum Wege. Komm, Heinz!«

Heinz trottete hinter seinem Vetter her.

Sie kamen zu dem weißen Baum und sahen hier auch eine Lichtung. Sie wußten nun, daß der Weg nicht mehr fern sein konnte. Langsam und gemächlich schritten sie fünfzehn oder zwanzig Minuten lang fürbaß.

Dann blieb Philipp stehen und schaute um sich.

»Hm«, sagte er. »Wo bleibt denn der Weg?«

»Ja, wo bleibt der Weg?« sagte auch Heinrich. »Wir hätten ihn doch schon längst haben müssen. Unsere Väter werden uns schön empfangen, wenn wir so lange fortbleiben, daß sie auf uns warten müssen. Wo gehen wir nun entlang?«

»Sind wir da nicht wieder ganz dicht bei dem weißen Baum?« fragte Philipp ganz erschrocken.

»Bei dem weißen Baum?« wiederholte Heinz mit sehr einfältigem Gesicht. »Wahrhaftig, da steht er! Aber da ist noch so einer – und da noch einer!«

»Dann war das vorhin am Ende gar nicht der richtige Baum! Himmel, wenn wir uns verirrt haben sollten!«

Das verhängnisvolle Wort war ausgesprochen.

Ein kalter Schauer durchrieselte beide Knaben.

»Ach, Unsinn!« rief nach einer kurzen Pause Heinrich, der der ältere von den beiden war; denn er zählte siebzehn, sein Vetter Philipp nur sechzehn Jahre. »So leicht verirre ich mich doch nicht! Sieh her, hier ist ein Zweig, den ich selber vorhin abgeschnitten habe – nicht doch, der da ist's – der muß es sein – ich kenne den Strauch noch ganz genau.«

Er war seiner Sache jedoch keineswegs so sicher.

Er trat zurück und musterte den Strauch von mehreren Seiten.

Dann schüttelte er den Kopf.

Sein Herz begann heftig zu pochen, und eine bange Furcht schnürte ihm die Kehle zu. Er ließ jedoch davon nichts merken.

Sie standen und sahen sich erst lange im Kreise um und dann Einander in die Augen.

»Jetzt sitzen wir drin«, sagte Heinrich, indem er zu lächeln versuchte.

»Wir finden uns aber wohl wieder heraus«, entgegnete Philipp mit erkünstelter Zuversichtlichkeit. »Komm!«

Stillschweigend und schnell schritten sie aufs Geratewohl davon, immer vorwärts in den Wald hinein, innerlich hoffend, daß es die rechte Richtung sein möge.

Eifrig spähten sie dabei nach Fußspuren und anderen Anzeichen, allein vergeblich.

Plötzlich stieß Philipp einen Freudenruf aus.

»Hier ist eine Fährte!« jubelte er. »Hier sind Karl und Hans gegangen, schau, Heinrich, gerade auf jenen weißen Baum zu! Das also ist der richtige Baum! Wir haben doch noch Glück; denn in einer Stunde ist es Nacht.«

Sie eilten in der Richtung des Baumes weiter, herzlich froh, endlich wieder frei aufatmen zu können. Schneller und schneller schritten sie aus, erklärte doch Heinrich mit Bestimmtheit, schon den Fahrweg in der Ferne zu gewahren.

So gelangten sie an einen Ort, der ihnen bekannt erschien.

»Jetzt weiß ich Bescheid!« rief Heinrich. »Den Baum dort habe ich mir gemerkt – dort ist der Weg!«

Was er für den Weg ansah, erwies sich jedoch nur als eine Lichtung.

»Sind wir hier nicht schon einmal gewesen?« fragte Philipp kleinlaut. »An diesem Baum kamen wir vor einer halben Stunde schon einmal vorbei ... Wir sind unseren eigenen Spuren nachgegangen, Heinrich! Mein Gott, wir sind verloren!«

»Noch nicht, Philipp, noch nicht«, antwortete Heinrich äußerlich ruhig, aber mit bebender Stimme. »Wir finden uns schon noch heraus. Ich bin nur Vaters und Onkels wegen unruhig.«

»O Heinz, was fangen wir an?« jammerte Philipp, den Vetter ratlos anblickend. »Wir können doch nicht die ganze Nacht hier stehenbleiben ... Horch! Mir war's, als donnerte es in der Ferne! Hörtest du nichts?«

»Nein. Kann aber sein, daß ein Gewitter heraufzieht. Das wäre übrigens ganz niedlich, hier in Nacht und Regen herumzupatschen; zudem kann uns ein Blitz treffen – das aber würde nicht das Schlimmste sein.«

»Wie kannst du nur so reden!« versetzte Philipp vorwurfsvoll.

»Nun, habe ich etwa nicht recht? Solch ein Blitz tötet einen auf der Stelle, man merkt gar nichts davon – ist das kein angenehmerer Tod, als in dieser Wildnis langsam zu verschmachten?«

»Oh, es ist auch vorgekommen, daß Leute durch einen Blitzschlag nur das Augenlicht verloren haben. Wäre es nicht fürchterlich, blind im Wald herumirren zu müssen?«

»Allerdings«, gab Heinrich zu. »Und dazu kommen noch alle die anderen Annehmlichkeiten, die einem solch eine Wildnis bietet, als da sind wilde Bestien jeder Art, dazu giftige Schlangen, Tausendfüße und Skorpione, ferner Unwetter, Regen, Fieber, Kälte, Hitze, Hunger, Durst – wahrlich, eine nette Aussicht! Aber noch leben wir, Philipp, und solange wir leben, brauchen wir die Hoffnung nicht aufzugeben. Also Mut, Gott verläßt keinen Deutschen!«

Der brave Bursche suchte seinem Gefährten eine Zuversicht einzureden, die er selber kaum noch zu hegen wagte. Denn ihre Lage war höchst gefährlich; wenn ihnen nicht bald Hilfe wurde, dann war das Schlimmste zu befürchten.

»Hier steht ein schöner, dichter Baum,« fuhr er fort, »der soll uns Schutz gewähren, wenn es regnen sollte. Laß uns hierbleiben bis zum Morgen, dann wollen wir weiter sehen.«

»Wie du meinst, Heinrich«, sagte Philipp folgsam. »Mir ist aber, als verspürte ich einen gewaltigen Hunger.«

»Mir geht es ebenso«, versetzte Heinrich. »Allein, wenn wir nicht Blätter und Wurzeln essen wollen, müssen wir uns den Hunger schon verkneifen. Beeren und dergleichen Früchte habe ich nirgends bemerkt; schießen können wir uns auch nichts; zwar schleppe ich nach Vorschrift meinen Revolver mit mir herum, allein, er ist leider nicht geladen.«

»Der meine enthält volle sechs Schüsse«, entgegnete Philipp.

»Bravo!« rief Heinz ganz vergnügt. »Hier finde ich überdies noch einige Keks in meiner Joppentasche, heute abend brauchen wir also noch nicht zu verhungern.«

Sie aßen und plauderten dabei, um sich gegenseitig die Sorgen zu vertreiben.

Mit der sinkenden Nacht zog das Gewitter herauf, und unter Blitz und Donner prasselte ein gewaltiger Regenguß auf das Blätterwerk des Waldes hernieder.

Die Knaben lagen unter ihrem Baume ziemlich geschützt, und als sie sich, nachdem der Sturm hinweggezogen war, von dem feuchten Mooslager erhoben, um in der Dunkelheit, so gut dies anging, Umschau zu halten, da gewahrten sie im Nordwesten die hohe, helle Flamme über den Baumwipfeln, die, wie wir wissen, ihre Angehörigen ebenfalls wahrgenommen hatten.

»Sie haben ein Feuer angezündet, damit wir sie besser auffinden können«, rief Philipp. »Hurra, jetzt sind wir gerettet! Komm, Heinz, laß uns aufbrechen, du bist doch nicht müde?«

»Müde bin ich allerdings,« erwiderte Heinrich, »aber das Marschieren wird mir gesunder sein, als das Liegen auf dem nassen Moos. Machen wir uns also auf die Beine.«

Von neuem wandelten sie durch den Wald, der jetzt so finster war, daß sie nur mühsam vorwärts kommen konnten. Von Hoffnung getrieben, strebten sie dem fernen Feuerscheine zu, unaufhaltsam, ohne zu rasten, ob auch oft die Füße ihnen zu versagen drohten.

So wanderten sie die ganze Nacht hindurch. Sie überschritten den grasbewachsenen Fahrweg, den sie in der Dunkelheit für eine Lichtung hielten.

Hätten sie hier nur wenige Stunden gewartet, so wären sie von den Ihrigen eingeholt und erlöst worden.

Das Geschick aber hatte es anders beschlossen.

Endlich, als bereits der Morgen graute, warfen sie sich in höchster Erschöpfung nieder.

Die ungestümen Forderungen ihres Magens hatten sie bisher mit einigen Keks, wozu sie das Regenwasser von den Blättern leckten, zu beschwichtigen gesucht.

Jetzt aber empfand Philipp eine solche Hungerpein, daß er sich vermaß, das erste Tier, dessen er ansichtig werden würde, totzuschießen und roh zu verspeisen.

Sogar in dieser Not hatte der brave Heinz für die Äußerung seines Gefährten ein Lächeln.

»Wenn das erste Tier nun aber ein Bär sein sollte?« bemerkte er scherzend. »Dein kleiner Revolver würde den Meister Petz wahrscheinlich nur wenig belästigen.«

Der Feuerschein war an dem hellen Morgenhimmel nicht länger sichtbar.

Sehr bald umfing ein tiefer Schlaf die müden Wanderer. Stunden vergingen, da fühlte Philipp, der sich zuerst wieder ermunterte, wie etwas Kaltes seine Hand berührte.

Erschrocken richtete er sich auf, da er glaubte, daß sich eine Schlange an ihn herangemacht habe; dann aber stieß er einen lauten Freudenschrei aus, denn das Kalte, das er gespürt, war eine Hundenase gewesen; diese Hundenase aber gehörte dem guten Troll, der schweifwedelnd neben ihm saß und ihn vergnügt anblickte.

Jubelnd umarmte er das treue Tier, das seine Liebkosungen mit gleicher Inbrunst erwiderte und durch sein lautes Gebell auch Heinrich aus dem Schlummer weckte.

Wie hatte der Hund sie nur gefunden?

Aus welcher Richtung war er gekommen?

Wohin mußten sie nun ihren Weg lenken?

Das waren Fragen, die sie immer wieder an sich selber und an den Hund richteten, auf die sie jedoch, ein lautes, freudiges Gebell in allen Tonarten ausgenommen, keinerlei Antwort erhielten.

Ohne Zweifel meinte Troll ihnen damit die vollständigste und befriedigendste Auskunft gegeben zu haben, leider aber verstanden die Knaben des braven Tieres Sprache nicht.

Sie befahlen dem Hunde, nach Hause »zum Herrchen« zu gehen, in der begreiflichen Absicht, ihm dann auf dem Fuße zu folgen.

Allein Troll weigerte sich hartnäckig, dem Befehle Folge zu leisten; er zog es vor, bei Heinrich und Philipp zu bleiben.

Es blieb ihnen also nichts übrig, als ihren Weg in der Richtung des nächtlichen Flammenzeichens, also nach Nordwesten, fortzusetzen.

Sie wanderten den ganzen Tag, den wütenden Hunger nur durch den Genuß einiger Beeren unterdrückend, die sie hier und da an den Gebüschen fanden.

Als der Abend kam, wurde die Feuersäule auch wieder sichtbar, und von neuer Hoffnung belebt, schleppten sie sich durch den wieder finster werdenden Wald.

Da der Hund ihnen unermüdlich voranlief, beschlossen sie, sich seiner Führung zu überlassen.

Der Instinkt solcher Tiere leitet dieselben niemals irre.

Aus ihren Taschentüchern stellten sie ein Halsband für Troll her, und an dem übrigbleibenden Ende befestigten sie eine lange Rute, die als Leitseil zu dienen hatte.

Da mittlerweile auch der Mond aufgegangen war, und da der Wald sich zu lichten begann, so gelangten sie auf diese Weise verhältnismäßig schnell vorwärts.

Endlich, als am östlichen Himmel sich bereits ein schwaches Morgengrauen zeigte, kamen sie am Fuße einer Bodenerhebung an, die zwar bis zur Höhe noch mit Bäumen bestanden war, hinter der jedoch der Wald aufhörte, wie sie deutlich sehen konnten.

Die lohende Feuersäule mußte sich ebenfalls unmittelbar hinter dem Hügel befinden.

Die winkende Flamme allein hatte vermocht, die fast zum Tode ermatteten jugendlichen Wanderer so lange auf den Beinen zu erhalten. Mit Aufbietung aller Kraft stiegen dieselben auch noch den Hügel hinan – jetzt waren sie auf der Höhe, atemlos, mit brechenden Knien – – da – welch ein Anblick!

Unter ihnen, teils auf dem Hange des Hügels, teils im Tal, lag eine aus einigen Dutzend Häusern bestehende Ortschaft; deutlich konnten sie ein paar Hotels und andere größere Gebäude unterscheiden; denn das Ganze war tageshell erleuchtet durch eine ungeheure Gasflamme, die unter dumpfem Gebrüll einer hohen Eisenröhre entstieg, die auf dem freien Platze inmitten der Ortschaft emporragte.

Es war ein überwältigendes, einzigartiges Schauspiel.

Die Stadt – wir müssen den Ort so nennen – lag anscheinend noch im tiefsten Schlaf, kein Mensch zeigte sich in ihren Straßen. Nur eine ganze Anzahl vierbeiniger Geschöpfe, Hunde oder Katzen, oder beides, schlich und huschte hin und her, und die gigantische Flamme warf ihre strahlende Helligkeit bis weit über das Stadtgebiet hinaus.

Die Knaben, und mit ihnen Troll, standen wie angewurzelt und wußten kaum, ob das, was sie da vor sich sahen, Wirklichkeit oder ein Traum war.

Für den Augenblick war alle Müdigkeit und Erschöpfung vergessen.

»In meinem ganzen Leben habe ich etwas Ähnliches nicht gesehen, auch nicht davon gelesen«, nahm Philipp endlich das Wort. »Was mag das für eine furchtbare Flamme sein? Gas?«

»Ich halte es dafür«, antwortete sein Vetter. »Das Ding scheint mir sehr gefährlich zu sein. Merkwürdig, daß die Leute sich nicht davor fürchten. Man kann die Flamme ja bis hier herauf brüllen hören. Ich könnte bei solchem Toben nicht so ruhig schlafen, wie die Bewohner da unten dies gegenwärtig jedenfalls tun.«

»Sei dem wie ihm wolle, ich bin froh, daß wir endlich wieder einen zivilisierten Ort erreicht haben«, sagte Philipp. »Noch ist die Sonne nicht aufgegangen. Laß uns hier ausruhen und warten, bis die Stadt aufwacht. Gehen wir schon jetzt hinunter, dann haben wir zu erwarten, daß man uns für Räuber und Diebe hält und uns ein paar Löcher ins Fell schießt.«

Troll schien mit diesem Vorschlage nicht einverstanden zu sein, wenigstens ließ er ein lautes, melancholisches Geheul hören, das unter den Vierbeinigen dort unten eine gewisse Aufregung hervorzurufen schien.

Die Knaben nahmen davon jedoch keine Notiz, sondern streckten sich, trotz dem schnell zunehmenden Tageslicht und des unheimlichen Gebrüll der Flamme, nieder auf den Erdboden und waren, im Bewußtsein, am Ende ihrer Strapazen und Leiden angelangt zu sein, im Handumdrehen fest eingeschlafen.

So lagen sie, bis die Sonne hoch am Himmel stand und mit ihrem Schein die brüllende Gasflamme erbleichen ließ.

Heinrich wachte zuerst wieder auf, unter dem bestimmten Eindruck, daß es Frühstückszeit sei.

»Heda, Philipp, ermuntere dich!« rief er, dem Vetter einen leichten Puff versetzend. »Die faule Gesellschaft da unten scheint noch immer nicht aus den Betten kriechen zu können, wenigstens ist noch keine Seele zu sehen. Ich kann nun aber nicht länger warten; auch der arme Troll ist schon halbtot vor Hunger.«

Der Hund saß in der Tat mit gesenktem Kopf und lechzend heraushängender Zunge, was man an ihm sonst gar nicht gewohnt war.

Philipp erhob sich mit steifen und schmerzenden Gliedmaßen, auch Heinrich ächzte und stöhnte, und langsam machte das Kleeblatt sich an den Abstieg ins Tal.

Sie betraten die Straßen, die wie ausgestorben vor ihnen lagen.

Nichts Lebendes begegnete ihnen, außer den Katzen und einigen schäbig und verkommen aussehenden Kötern, die Troll scheu und mit giftigen, mißtrauischen Blicken musterten.

Die Stadt schien vollständig verlassen zu sein.

»Mir wird ganz ängstlich und beklommen zumute«, sagte Philipp mit unwillkürlich gedämpfter Stimme zu Heinrich, während sie, unablässig nach links und rechts schauend, dahinschritten. »Sieh doch, das Haus dort ist ein Hotel, groß und breit steht's über der Tür. Laß uns da hineingehen. Irgend jemand müssen wir ja finden.«

Sie betraten das dauerhaft und mit einem gewissen Komfort aus Holz ausgeführte Gebäude.

Es war leer, in keinem seiner Räume zeigte sich ein menschliches Wesen; auch Eß- und Trinkbares war nicht zu finden.

Auf die Straße zurückgekehrt, ließen sie Troll in angelegentlicher Unterhaltung mit einem kleinen Terrier, der sich neugierig genähert hatte, und setzten ihre Rekognoszierung fort.

Einige Häuser weiter stießen sie auf einen Kramladen, fanden jedoch die Tür desselben verschlossen.

»Sprenge das Schloß mit einem Schuß, Philipp«, sagte Heinrich. »Auf lange Umschweife können wir uns nicht mehr einlassen. Ich wollte, die Flamme hörte auf mit Brausen und Brüllen; das unausgesetzte Tosen macht einen ganz wirr im Kopfe.«

Philipp tat, wie ihm geheißen. Er zog seinen nickelplattierten Revolver, eine hübsche, kleine Waffe, und im nächsten Augenblick war die Tür offen.

»Hurra!« rief der Knabe, sich innerhalb des Ladens umschauend. »Jetzt haben wir, was uns nötig, nützlich und angenehm ist! Da hängt ein Schinken, und da steht ein Kasten halb voll Keks. Auch Flaschen sehe ich dort in der Ecke!«

Heinrich hatte bereits den Schinken vom Haken herabgenommen und sein Messer geöffnet. Philipp zog auch das seine aus der Tasche, und bald kauten beide mit vollen Backen.

Als der erste Hunger gestillt war, dachte Heinrich an Troll.

»Troll!« rief er zur Tür hinaus. »Troll, wo bist du?«

Troll kam schweifwedelnd herbei.

»Sieh doch nur,« lachte Philipp, »er bringt noch andere Gäste mit! Himmel, was für Hunde und Katzen! Das ist ein Spaß, Heinz!«

Die Straße unmittelbar vor der Tür bot wirklich einen überaus komischen Anblick dar.

Troll hatte den kleinen Terrier mitgebracht, der eigentlich eine Terrierfrau war, und dieser hatten sich fünf andere Terriers, ihre Söhne und Töchter, angeschlossen, außerdem aber waren einige zwanzig Katzen mit herzugekommen, struppige, magere, hohläugige Geschöpfe, die sämtlich ein erwartungsvolles Schnurren hören ließen.

Die Katzen saßen in einiger Entfernung hinter den Hunden im Halbkreise vor der Tür, beobachtend, hungrig und nichts weniger als furchtsam; ab und zu ließ sich ein bettelndes Miau und ein abgebrochenes Bellen hören, um die schmausenden Knaben daran zu erinnern, daß untergeordnetere Gottesgeschöpfe ebensogut ein Nahrungsbedürfnis haben wie die Herren der Schöpfung, die Menschen.

Philipp warf den Katzen von dem Schinken und dem Keks zu, Heinrich tat desgleichen mit den Hunden. Troll erhielt selbstverständlich die größten Stücke.

Die Katzen rissen und kauten an dem Fleisch, den Kopf bald auf der einen, bald wieder auf der anderen Seite; die Hunde aber schlangen die ihnen zugeworfenen Stücke mit einem Aufschnappen hinunter.

Das Frühstück und die Fütterung, der Tiere hatten ungefähr eine halbe Stunde gewährt.

Der Rest des Schinkens wurde wieder aufgehängt, der Kasten mit den Keks mit dem Deckel versichert, und nun setzten die Knaben ihren Besichtigungsgang durch die Straßen fort, begleitet von sämtlichen Hunden und von den sehnsüchtigen und bedauernden Blicken der Katzen.


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