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Sechzehntes Kapitel.

»Die Eskimos sind wild und groß.« – »Tar jar, tar jar, tar jar!«

 

Nicht nur das Schiff, sondern auch die Abenteurer fühlten sich von einer schweren Last befreit, und mit Eifer und neuem Mut machte man sich daran, die eben erst so mühsam an Land geschafften Sachen wieder an Bord zu holen und im Raum zu verstauen.

Bei dieser Arbeit vermißte man die Hilfe Lots und Hiobs recht sehr, so daß der Schiffer schon mehrmals ungeduldig nach ihnen gefragt hatte.

»Wo die beiden Nigger nur stecken mögen«, sagte er verdrießlich. »Jetzt, wo wir keine Zeit zu verlieren haben und keinen Finger entbehren können, schlendern diese Hansnarren ja wohl gemächlich spazieren. Wie wär's, wenn die jungen Gentlemen sich aufmachten und die Kerle suchten? Es kann ja auch sein, daß ihnen etwas zugestoßen ist.«

Karl, Philipp und Heinrich ließen sich dies nicht zweimal sagen. Sie warfen ihre Gewehre über die Schulter, steckten Munition und Proviant zu sich und nahmen Abschied.

»Bei Sonnenuntergang sind wir wieder da«, sagte Philipp zu seinem Vater, dann pfiff er Troll herbei, und die drei machten sich auf den Weg, nordwärts an der Küste entlang, da die Spuren im Schnee ihnen diese Richtung angaben.

Nach kurzem Marsche hatten sie sowohl den Schoner wie auch das noch nicht abgebrochene Zelt aus den Augen verloren.

Scharen großer grauer Vögel flatterten um die Klippen oder schwebten über dem Wasser, eifrig nach Nahrung spähend. Die jungen Leute hatten dieselben Vögel schon im Kielwasser des Schoners schwimmen und den über Bord geworfenen Küchenabfall aufschnappen sehen. Es waren dies die arktischen Sturmvögel, von den Seefahrern auch Mallemucken genannt, furchtlose, gefräßige und sehr übelriechende Geschöpfe, die wegen der letztgenannten Eigenschaft auch nur im Notfall von den Eismeerfahrern gegessen werden.

An einer gänzlich ungeschützten Stelle des Strandes stießen sie auf eine ganze Kolonie von Mallemucken-Nestern mit schmutziggrauen, kurzen, an beiden Enden gleichmäßig abgerundeten Eiern darin. Sie wollten eine Anzahl davon mitnehmen, unterließen dies aber, da die Nester einen ebenso häßlichen Gestank verbreiteten wie die Vögel selber.

Der Boden wurde jetzt schneefrei; die Spuren der Gesuchten waren daher nicht länger sichtbar.

Die drei Abenteurer hatten soeben einen kleinen Felshügel erstiegen, um einen freieren Blick über die Umgebung zu gewinnen, als Philipp plötzlich einen Ruf ausstieß.

»Karl, Heinrich, ich sehe Menschen!« rief er. »Dort drüben! Sind das die Yankees?«

»Eskimos sind es«, versetzte Karl. »Sie haben uns bereits entdeckt und kommen nun hierher. Hoffentlich führen sie nichts Böses im Schilde.«

»Wenn sie uns zu Leibe wollen, dann müssen wir uns verteidigen«, sagte Philipp, die Flinte vom Rücken nehmend.

»Wie ich immer gehört und gelesen habe, sind die Eskimos im allgemeinen friedliebende Leute«, meinte Karl. »Immerhin müssen wir auf alles gefaßt sein.«

Damit machte auch er seine Flinte schußbereit.

»›Die Eskimos sind wild und groß, zu allem Guten träge‹, so heißt es in dem Gedicht des ›Wandsbecker Boten‹«, sagte Heinrich. »Ich wollte, ich säße sicher an Bord.«

Troll stand mit gespitzten Ohren und erhobener Nase; ab und zu ließ er ein dumpfes Knurren vernehmen.

»Ich habe so eine Ahnung, als ob diese Kerle unsere beiden Farbigen aufgegriffen und weggeschleppt hätten«, nahm Philipp wieder das Wort. »Auf andere Weise wäre das lange Ausbleiben derselben auch gar nicht erklärlich.«

»Du magst nicht unrecht haben«, sagte Karl. »Jetzt aber Achtung, die Kerle scheinen Ernst machen zu wollen!«

Festen Fußes erwarteten die drei jungen Bernsdorfs die Eingeborenen, die, sechs an der Zahl, heranrückten, um, wie es schien, den Fremdlingen das Verweilen auf ihrem Gebiet streitig zu machen. Drei wild und struppig aussehende Hunde begleiteten sie.

In einiger Entfernung von dem Felshügel blieben die Eskimos stehen, hoben ihre kurzen Spieße auf und schrien mit vereinten Kräften ein lang andauerndes:

»Tar jar, tar jar, tar jar!«

Als sie damit fertig waren, riefen sie aus einer anderen Tonart, aber mit derselben Energie:

»Wau wi, wau wi, wau wi!«

»So ganz leicht kann ich daraus nicht klug werden«, sagte Philipp, der aufmerksam zugehört hatte. »Jedenfalls müssen wir antworten, das verlangt die Höflichkeit.«

»Aber wie und was?« fragte Heinrich.

»Nun, ebenfalls ›tar jar‹ und ›wau wi‹«, antwortete Philipp. »Die werden schon wissen, was das bedeutet. Ich denke mir, es wird ein Gruß, so eine Art Willkomm sein, denn sonst hätten uns die Kerle doch sicher ohne weiteres angegriffen. Also los!«

»Tar jar, tar jar, tar jar!« klang es aus den Kehlen der drei zurück, und dann:

»Wau wi, wau wi, wau wi!« in so vollkommenem Eskimodialekt, als hätten sie schon jahrelang mit den Eingeborenen verkehrt.

Die Wilden stutzten, dann schwangen sie drohend ihre Spieße, ohne jedoch weiter vorzurücken.

Ihre Hunde waren kampflustiger; bald kam der eine, bald der andere mit wütendem Gebell gegen Troll herangeschossen, der sich aber vorsichtig hinter seine Herren zurückzog.

Die Eskimos waren nach uralter Polarmode in Felle gekleidet; als Kopfbedeckung trugen sie nur ihr dichtes, straffes, schwarzes Haar. Ihre Hände und Gesichter waren von dunkler, unbestimmter Farbe, die hauptsächlich von Schmutz herzurühren schien. Der Dunst, den der Wind von ihnen zu den Abenteurern herübertrug, erinnerte diese lebhaft an den Gestank der Mallemucken.

Eine Weile standen die beiden streitbaren Mächte einander zaudernd und unschlüssig gegenüber, bis endlich Troll eine entschiedene Offensivbewegung ausführte und damit die Krisis herbeiführte.

Er packte einen der vorwitzigen Köter im Genick und schüttelte ihn so energisch, daß er fast das Leben lassen mußte.

Bei diesem Anblick brachen die Eskimos in ein wildes Geschrei aus und schleuderten ihre Harpunen gegen Troll und seine Herren.

Ein Kampf auf Leben und Tod schien unvermeidlich zu sein.


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