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Neuntes Kapitel.

»Scheint mir doch, als ob sie der Teufel geholt hat.« – Der Eisberg.

 

Die Bernsdorfs, die alten wie die jungen, waren starr vor Schreck und glaubten ihren Ohren nicht trauen zu sollen, als, im Quartier angelangt, ihre beiden Dienstmannen ihnen in aller Seelenruhe berichteten, welche Exekution sie an den Yankees vollzogen hatten.

»Ihr Unglücksmenschen!« fuhr Johann, der Farmer, auf sie ein, »ihr habt euch ins Verderben gestürzt und vielleicht uns dazu!«

»Nicht doch, Master Johann,« antwortete Lot, »wir haben zwei schlechte Subjekte aufgehängt, das ist weder ein Unglück für uns noch für euch. Hab' ich nicht recht, Partner?«

»Ich denke, Partner«, versetzte Hiob grinsend.

»Und wenn morgen oder vielleicht noch heute nacht die Polizei kommt und euch beide schwarze Esel wegen Mordes verhaftet und ins Gefängnis schleppt und uns womöglich auch, was dann?« rief der Farmer.

»Oh, sobald wird man die Gehängten nicht auffinden, denn in der verlassenen Hütte hat kein Mensch etwas zu suchen, außerdem werden die Kerle vorläufig nicht vermißt werden, da sie hier nicht ansässig gewesen sind«, entgegnete Lot. »Wir müssen uns eben beeilen, daß wir an Bord kommen und in See gehen.«

Trotz dieser weisen Bemerkung des Schwarzen nahm die Erregung unserer Abenteurer von Minute zu Minute zu. Die Sache war sehr ernst; man befand sich auf englischem Boden und unter englischer Gerichtsbarkeit; wurden die Gelynchten gefunden und ihre Richter entdeckt, dann konnte es den letzteren ebenfalls ans Leben gehen. Jedenfalls drohte ihnen eine lange und schwere Gefängnisstrafe, und auch ihren Herren stand eine unangenehme Untersuchungshaft bevor.

»Ich habe einen Gedanken«, nahm endlich Hiob in der allgemeinen Ratlosigkeit das Wort. »Lot und ich, wir laufen schnell wieder zurück, schneiden die Kerle ab und begraben sie. Dann kräht kein Huhn und kein Hahn mehr danach, und die Masters brauchen sich keine Sorgen mehr wegen der Halunken zu machen.«

Johann und sein Bruder hatten keine Einwendungen zu erheben, die beiden Genossen machten sich daher ungesäumt wieder auf die Fahrt, ruderten über die Bai und eilten, jenseits angekommen, auf die einsame Hütte zu.

Dort war alles still.

»Die Tür ist nur angelehnt«, sagte Lot, indem er sich vorsichtig und auf den Fußspitzen der Hütte näherte. »Guck' einmal hinein, Hiob.«

»Bitte sehr, guck' du zuerst hinein, Bruder Lot, du bist der Ältere und hast den Vortritt«, erwiderte Hiob, sich in einiger Entfernung haltend.

»Brauchst nicht bange zu sein,« suchte der Schwarze ihn zu überreden, »der tote Loskins kann nicht mehr schießen.«

»Ganz recht, Bruder, aber sein Geist kann in der Hütte sitzen und uns bei den Ohren kriegen.«

Lot zog ein langes Gesicht und blieb stehen.

»Hm«, sagte er, seinen wolligen Schädel kratzend. »Gut, daß du uns daran erinnerst. Nelsons Geist kann auch drin sitzen, und mit Geistern ist nicht zu spaßen. Ich will dir was sagen, Partner: Laß uns um das Gehöft herumgehen und hinten durch den Zaun lugen.«

»Machen wir«, nickte der Mulatte und schlich links um die Hütte einer Baumgruppe zu, deren Äste über den Zaun in den Hof hineinragten.

»Das war der Baum,« flüsterte er seinem Gefährten zu, »an dem müssen sie hängen.«

Sie näherten sich leise, Schritt für Schritt.

Endlich standen sie am Zaun; sie bogen die Zweige des Buschwerks zur Seite und lugten durch das Gepfähl.

» Oh Lord« sagte Hiob leise, in höchstem Erstaunen.

»Siehst du etwas?« fragte Lot flüsternd.

»Nein, du?«

»Nein, ich auch nicht.«

»Gar nichts?«

»Gar nichts!«

»Dann sind sie fort.«

»Ja, sie sind fort.«

» Oh Lord

» Oh Lord

Sie traten vom Zaun zurück.

»Sie sind weggeholt«, sagte Lot mit weit geöffneten, rollenden Augen.

»Scheint so«, versetzte Hiob; »wer aber mag sie geholt haben?«

»Kann sein, der Teufel.«

»Oder der schielende Joseph.«

»Richtig, der wird's gewesen sein, Partner. Er wird sie abgenommen und begraben haben.«

Damit ging Lot wieder an den Zaun heran und sah in den Hof hinein.

»Ich sehe aber nichts«, sagte er. »Dort drinnen ist kein Spatenstich geschehen.«

»Hast recht, Bruder«, bestätigte Hiob, der gleichfalls herzugetreten war. »Der Boden ist seit Noahs Zeiten nicht umgegraben worden. Weißt du was? Er wird sie mitgenommen haben.«

»Mitgenommen? Der schielende Joseph? Wozu soll der sich mit toten Kerlen herumschleppen?«

»Wer weiß, vielleicht will er sie als Andenken behalten«, grinste der Mulatte.

Der Schwarze zuckte die Achseln.

»Scheint mir doch, als ob sie der Teufel geholt hat«, sagte er mit entschiedenem Ton. »Wollen es dabei bewenden lassen.«

»Gut, so soll's sein«, stimmte Hiob bei. »So war's auch am besten; nun brauchen sich unsere Masters keine Sorgen mehr um uns zu machen, und das Gerede hat ein Ende.«

*

Wenngleich das Verschwinden der Gehängten die beiden Führer der Expedition auch nicht sonderlich beruhigte, so verloren sich doch während der nächsten Tage ihre Befürchtungen fast gänzlich, da im ganzen Orte nicht das mindeste von der Gewalttat der Farbigen ruchbar geworden war.

Trotzdem beschleunigten sie ihre Vorbereitungen so sehr, daß die »Seeschlange« schon nach drei Tagen seeklar war.

Zugleich mit dieser Kunde brachte Lot die Nachricht, daß das »Nordlicht« am Tage vorher in See gegangen sei.

Das war eine Post, die alle in größtes Erstaunen versetzte.

»Das ›Nordlicht‹ ist abgesegelt!« rief Friedrich Bernsdorf, mit der Hand auf die Karte schlagend, die er soeben studiert hatte. »Dann hat unser Weiser Lot sich also doch mächtig geirrt, als er meinte, Loskins, Nelson und Konsorten hätten das Fahrzeug gemietet, um uns zuvorzukommen!«

» No, sir,« entgegnete der Schwarze, »Lot hat sich gar nicht so mächtig geirrt. Der Hauptmann der Bande, der schielende Joseph, lebt noch und ist vielleicht ganz froh, daß er nun nicht mehr mit den beiden andern zu teilen braucht, wenn er die Schätze der Edelsteininsel findet. Es wird nun wohl doch nicht der Teufel gewesen sein, der unsere Gehängten geholt hat, sonst hätte Joseph Britton länger nach ihnen gesucht. Er selber wird sie abgeschnitten und mit sich genommen haben.«

»Warum soll er sie mit sich genommen haben?« fragte Friedrich ungläubig.

»Ja, weiß ich's? Hiob weiß es auch nicht«, antwortete der Schwarze.

»Wie sollte ich das wissen?« sagte der Mulatte. »Vielleicht will er sie auf See begraben.«

Die Frage blieb unerledigt, die Kunde von dem Absegeln des »Nordlicht« aber bestätigte sich und gab noch zu vielerlei Erörterungen und Mutmaßungen Anlaß.

Johann Bernsdorf wollte die Abreise auf den nächsten Sonntag festsetzen, Lot aber bot seine ganze Beredsamkeit auf, ihn davon abzubringen, da kein Seefahrer mit gesunden Sinnen jemals an einem Sonntage die Anker lichte, ebensowenig wie an einem Freitage. Beides seien Unglückstage für Schiffer, und es hieße das Geschick herausfordern, an ihnen in See zu gehen.

Da der Kapitän Armstrong ganz derselben Ansicht war, so beharrte der Farmer weiter nicht auf seinem Willen, und die »Seeschlange« begann ihre Fahrt an einem Montage.

Die Besatzung des Schoners bestand außer dem Schiffer aus dem Steuermann, drei Matrosen und dem Kajütsjungen, der zugleich die Geschäfte des Kochs auszuüben hatte.

Die vierpfündigen Kanonen, die anfänglich beschafft werden sollten, hatten sich nicht auftreiben lassen; der Schiffer hatte daher ein kleines Geschütz entliehen, das ein guter Freund von ihm in seinem Garten zu stehen gehabt und das eine dreipfündige Kugel werfen konnte. Auch Handfeuerwaffen und Munition waren von ihm besorgt worden, so daß unsere jungen Abenteurer sich mit solcher Ausrüstung jedem Piraten und Flibustier völlig gewachsen fühlten.

Es dauerte eine Weile, ehe sie sich die so nötigen »Seebeine« anzuschaffen vermochten. Das Wetter war von Anfang an rauh und stürmisch, die heftigen Bewegungen des kleinen Fahrzeugs ließen sie weder Tag noch Nacht zur Ruhe kommen, und so fing die Reise gleich gut an, wie der seekranke Philipp mit schmerzlichem Lächeln meinte.

»Oh, Master Philipp, das ist nichts, es kommt noch viel besser«, tröstete Lot. »Fragt einmal Hiob.«

Der Mulatte aber war selber so seekrank, daß er sich nur schweigend abzuwenden vermochte.

Sogar Troll fühlte sich äußerst elend, und so war die Stimmung unserer Entdeckungsreisenden während der ersten Woche der Fahrt eine nichts weniger als fröhliche.

Als dann aber stilleres Wetter einsetzte, verlor das Leben an Bord wie durch Zauberei mit einem Schlage alle seine Schattenseiten.

»Kinder,« rief Philipp eines schönen Morgens vom Deck in die Kajüte hinab, wo Vater und Onkel, Brüder und Vettern noch beim Frühstück saßen, »der Eisberg, den wir gestern abend von weitem sahen, ist jetzt ganz in der Nähe!«

»Ja, viel zu nahe!« brummte der Kapitän, der auf dem Achterdeck hin und her schritt. »Viel zu nahe! Der Lubber, der Goring, hat nicht aufgepaßt!«

Damit warf er einen grimmigen Blick auf den am Ruder stehenden Matrosen, der verdrossen bald nach dem Kompaß und den Segeln, bald nach dem weißen, vielzackigen Berge blickte, der in einer Entfernung von etwa fünfhundert Schritten neben dem Schoner trieb.

Vater und Onkel Bernsdorf kamen an Deck, gefolgt von Karl, Hans und Heinrich.

Sie hatten den Eisberg bereits am vergangenen Abend bewundert, jetzt aber war er ihnen ganz nahe und schien immer noch näher heranzutreiben.

»Wir verlieren den Wind«, sagte der Farmer zu dem immer unruhiger auf und ab gehenden Schiffer. »Die Segel stehen nicht mehr voll.«

»Das kommt daher, weil wir uns im Lee von dem Eisberg befinden,« antwortete Kapitän Armstrong, »der nimmt uns den Wind weg ... halte ab, du Lubber, halte ab!« herrschte er den steuernden Matrosen an. »Siehst du nicht, daß der vermaledeite Berg uns immer näher auf den Leib rückt?«

»Ich tue, was ich kann«, entgegnete der Mann trotzig. »Der Schoner aber will dem Ruder nicht mehr gehorchen.«

»Dummheit!« rief der Schiffer.

Damit sprang er hinzu, schob den Matrosen zurück und ergriff selber die Speichen des Steuerrades.

Allein, wie er auch drehen mochte, das Fahrzeug lag unbeweglich. Der Matrose hatte recht, es gehorchte dem Ruder nicht mehr.

Jetzt erschien auch Stevens, der Steuermann, auf dem Achterdeck.

»Die Sache sieht schlimm aus, Kapitän«, sagte er. »Wir sitzen auf, und zwar wahrscheinlich auf dem unter Wasser befindlichen Fuß des Berges.«

»Das habe ich auch schon gemerkt«, versetzte der Schiffer. »Aber gar so arg ist das noch nicht, wir kommen wohl wieder ab. Schlimmstenfalls werfen wir ein wenig Ballast über Bord, dann schaffen wir's leicht.«

»Dort oben auf dem Berge bewegt sich etwas«, sagte Philipp. »Komm her, Troll, schau hinauf; wollen wir uns das nicht holen?«

Troll bellte und wedelte mit dem Schweif; er war ganz einverstanden.

»Ob man den Berg wohl besteigen könnte?« fragte Karl.

»Gewiß könnte man das, aber wozu?« entgegnete der Schiffer. »Zu sehen gibt's da nichts, und wenn das vertrackte Ding umkippt, dann ist man verloren.«

»Unser bißchen Gewicht wird den Berg nicht zum Kippen bringen«, bemerkte Hans.

»Das wohl nicht, junger Freund, aber wenn der unter Wasser befindliche Teil des Berges durch Wegschmelzen oder Abbrechen zu leicht wird, dann muß der obere Teil kippen. Und so etwas kommt sehr oft vor.«

Nach einer Weile wurde der Schoner plötzlich wieder flott. Die Freude dauerte jedoch nicht lange, denn nach wenigen Minuten saß er von neuem fest und diesmal ganz in der Nähe des Eisbergs.

Der Schiffer ließ das Lot werfen.

»Zwei Faden Wasser vorn,« meldete der Steuermann, »hinten drei.«

»Das ist nicht schlimm«, sagte der Schiffer. »Wenn der Wind sich ein wenig stärker aufmacht, dann gleiten wir wohl wieder ab.«

»Wenn nun aber einer von den Zacken, die da oben hängen, auf uns herabfällt«, warf Karl hin.

»Dann ist's allerdings aus mit uns«, lächelte der Seebär, indem er in die Kajüte hinabstieg, um eine Karte heraufzuholen.

Der Eisberg, eigentlich ein vielgipfliges Eisgebirge, bot einen großartigen Anblick dar. Weiß wie Schnee, blau und grünlich durchsichtig wie Glas, stellenweise in dem hellen Sonnenlicht in den prächtigsten Regenbogenfarben erschimmernd, erfüllte er die Herzen der Beschauer mit Staunen und Bewunderung. Zugleich aber strahlte er eine so empfindliche Kälte aus, daß unsere Freunde sich fest in ihre Polarkleider zu hüllen gezwungen waren.

Oben aber, auf einer der mannigfaltigen Höhen des Berges, regte sich etwas Lebendiges, und je mehr die Knaben danach ausschauten, desto lebhafter wurde in ihnen der Wunsch, zu erforschen, was für ein Geschöpf es war, das sich in jener Einsamkeit befand.

Der Schoner saß fest, ganz fest; die Segel übten keine Zugkraft mehr auf ihn aus.

»Bist du schon einmal in solch einer Lage gewesen, Lot?« fragte Heinrich den Schwarzen, der mit seinem Genossen Hiob in der Nähe der auf dem Achterdeck versammelten Gruppe stand.

» Yes, sir, oh yes «, lautete die schnelle Antwort. »Eisberge sind hier oben keine Seltenheit. Einmal lag ich mit meinem Schiff acht Tage lang ganz dicht an einem Eisberg, es war nämlich Windstille, so daß ich beinahe zu Tode fror. Schließlich saßen wir fest, angefroren; wir mußten das Schiff verlassen und in die Boote gehen. Ein Walfischfänger fischte uns endlich auf.«

»Und was wurde aus eurem Schiff?« fragte Hans.

»Das Schiff? Oh, das saß, als wir wieder vorbeikamen, ganz oben auf der anderen Seite des Berges. Fragt Hiob, Master Hans, ob das nicht wahr ist.«

»Was soll's, Bruder Lot?« forschte der Mulatte nähertretend.

»Ich erzähle hier eben von der ›Mary Jane‹ und dem Eisberg. Das Schiff saß oben auf der anderen Seite des Berges, nicht wahr?«

»Gewiß, Partner, selbstverständlich«, antwortete Hiob mit großem Ernst. »Ich hab's gesehen.«

»Haha, Hiob,« rief Philipp lachend, »du bist ja noch niemals hier oben in den arktischen Gewässern gewesen! Das hast du ja selber gesagt.«

»Gewiß habe ich das gesagt, Master Philipp,« nickte der Mulatte eifrig, »und was ich einmal sage, dabei bleibe ich. Ich hab's auf dem Bilde gesehen, das Lot mir gezeigt hat. Wo habe ich denn schon behauptet, ich wäre selber dagewesen?«

Lot atmete erleichtert auf.

»Ja,« fuhr er zu erzählen fort, »der Berg war nämlich umgefallen, mit Respekt zu sagen, hatte sich im Wasser rund umgedreht und dann wieder ausgerichtet; dabei war unser Schiff auf ihn zu sitzen gekommen, mußte ja, das ist doch klar.«

»Klar wie Tinte, gewiß, Lot«, sagte Hans trocken. »Und was geschah dann?«

»Was dann geschah? Nun, wir kletterten alle auf den Berg und krochen wieder in unser Schiff hinein. Da saßen wir so vergnügt wie die Läuse im Lumpensack, bis der Berg sich spaltete und die ›Mary Jane‹ gemächlich ins Wasser rutschte. Dann segelten wir natürlich davon. Wenn's nicht so gekommen wäre, könnte ich dann hier sein und die Geschichte erzählen? Wie?«

»Wohl kaum«, versetzte Karl lächelnd. »Es ist ein reines Wunder, daß du überhaupt hier bist. Du hast aber nun Erfahrung in solchen Dingen und kannst daher unser Führer sein, wenn wir hernach auf den Eisberg steigen. Ein alter Polarreisender wie du ist bei solchen Gelegenheiten unschätzbar.«

»Hiob weiß ebensogut Bescheid«, entgegnete Lot sich zurückziehend. »Ich habe kein Verlangen mehr nach solcher Kletterei; einmal ist genug.«

Und vor sich hinbrummend und murmelnd ging er nach vorn.

Hiob schlich hinter ihm drein.

»Diesmal hast du mich beinahe reinfallen lassen, Partner«, raunte dieser seinem Genossen zu. »Mußt künftig vorsichtiger sein. Vergiß doch nicht, daß ich hier in diesem dummen Gewässer noch niemals gewesen bin. Ich will dir ja gern jeden Gefallen tun, aber der arktische Ozean gehört nicht in mein Revier. Wenn's noch der Äquator wäre.«

»Gut, Partner,« sagte Lot, »erzähle du ihnen vom Äquator, und ich halte dich rückenfrei.«

Gerührt drückten die beiden treuen Freunde sich die Hände und begaben sich dann in das Matrosenlogis, um hier in Eintracht und Beschaulichkeit eine Pfeife zu rauchen.

Mittlerweile hatte Kapitän Armstrong seine Karte an Deck gebracht und auf der Kajütskappe ausgebreitet. Eben hatte er begonnen, Johann Bernsdorf und dessen Bruder sowie dem Steuermann Stevens die Situation des Schiffes und die in dieser Gegend wirksamen Strömungen auf dem Papier anzudeuten, als ein dumpfes, donnerndes Gebrüll, das aus dem Innern des Eisberges zu kommen schien, die Aufmerksamkeit der Männer ablenkte.

»Was war das?« rief Friedrich Bernsdorf, nach dem schimmernden Gebirge blickend, an dessen Äußeren sich keinerlei Veränderung zeigte,

»Das klang gerade so, wie ich mir das Getöse eines fernen Vulkans denke«, sagte Johann.

Die Knaben waren erschrocken und zeigten dies auch deutlich aus ihren Gesichtern.

Kapitän Armstrong verwendete kein Auge von dem Berge; auch sein bärtiges Antlitz verriet Unruhe und Besorgnis, denn er fürchtete, daß die Eismasse in Stücke gehen und den Schoner in Gefahr bringen könnte.

Nachdem aber das explosionsartige Geräusch sich noch mehrmals wiederholt hatte, ohne daß andere, bedenklichere Erscheinungen dasselbe begleiteten, atmeten die Männer wie die Knaben wieder freier.

Plötzlich wurde aus der Mitte des Eisgebirges eine große Anzahl von Eisstücken Hoch in die Luft emporgeschleudert, wie Schlacken und Gestein aus dem Krater eines feuerspeienden Berges hervorgeschossen zu werden pflegen.

Einzelne größere Stücke prallten von dem Berge ab und fielen ganz in der Nähe des Schoners ins Wasser. Einige Splitter erreichten sogar das Deck.

Die Knaben und die neben der Kombüse stehenden Matrosen schrien auf.

»Ist jemand verletzt worden?« rief Johann.

Die Frage wurde verneint.

Nach einer kurzen Pause begann man sich in Mutmaßungen über diese merkwürdige Erscheinung zu ergehen, bald aber wurde die Unterhaltung durch eine neue Eruption wieder unterbrochen.

»Das müssen wir untersuchen«, rief Friedrich Bernsdorf. »Meint Ihr, daß man ohne Gefahr auf den Berg steigen könnte, Kapitän?«

»Das ließe sich schon machen,« lautete die Antwort, »aber ich sehe nicht ein, wozu solch eine Kletterei gut sein sollte.«

»Ich muß die Ursache dieses Phänomens feststellen«, versetzte der andere. »Es ist mir durchaus unverständlich, wie der Berg solche Eismassen emporschleudern kann, ohne ein Vulkan zu sein; die Begriffe Eisberg und Vulkan lassen sich jedoch auf keine Weise in Verbindung bringen. Ich für meine Person steige also auf den Berg; wer will mit? Freiwillige vor!«

Mit lautem Hurra drängten sich sowohl seine Söhne wie auch seine Neffen um ihn herum.

»Ihr alle?« lachte Friedrich Bernsdorf. »Gut, mir soll's recht sein.«

»Ich denke, wir nehmen auch Lot mit, Onkel«, schlug Philipp nicht ohne Bosheit vor. »Der ist kein Neuling mehr bei solchen Partien.«

Der Onkel war damit einverstanden, und so mußte der Schwarze sich wohl oder übel bequemen, die Fahrt mitzumachen.

»Wenn ich Euch raten darf«, wendete der Schiffer sich an Onkel Friedrich, »dann nehmt eine gehörige Portion Proviant mit. Frisches Wasser werdet Ihr in Hülle und Fülle in den Vertiefungen des Eises finden.

Der Rat wurde befolgt, und die ganze Gesellschaft, Karl ausgenommen, der eine Entschuldigung fand, machte sich fertig.

Ein Boot wurde zu Wasser gebracht, und Friedrich Bernsdorf, Philipp, Heinrich, Hans und Lot, der letztere mit sehr saurem Gesicht, begaben sich hinein. Proviant und eine Anzahl Pelze wurden unter die Duchten gestaut, und Philipp und Lot ergriffen die Ruder. Im letzten Moment gesellte sich auch noch Troll zu der Expedition.

Mit einem fröhlichen Hurra stießen die kühnen Forscher vom Schoner ab und strebten dem hochgetürmten Eiskolosse zu.

Kapitän Armstrong und Johann Bernsdorf schauten ihnen nach.

»Allzu lange dürfen sie nicht fortbleiben«, sagte der erstere, einen Blick über den Horizont schweifen lassend. »Wir haben stürmisches Wetter in Aussicht, oder ich müßte mich gewaltig irren. Nach solch einem warmen Tage gibt's hier zumeist Nebel und Regen, und zwar so dicht und dick, daß man keine Schiffslänge vor sich sehen kann.«

»Wenn Ihr Gefahr voraussahet, warum sagtet Ihr das nicht, als es noch Zeit war?« fragte Johann nicht ohne einigen Unwillen. »Wir hätten sie dann gar nicht fortgelassen.«

»So schlimm ist's noch nicht«, entgegnete der Schiffer. »Noch haben sie Zeit genug. Sie merken's ja auch selber, wenn das Wetter sich ändern will, und dann werden sie sich schon auf den Rückweg machen. Wir aber wollen jetzt noch einmal in die Karte gucken, wenn's Euch genehm ist.«


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