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Dreizehntes Kapitel.

Ein Aufwiegler an Bord. – »Der Schoner sinkt!«

 

Alle Mann traten jetzt zu einem Kriegsrat zusammen, denn auch Johann und Friedrich Bernsdorf waren inzwischen an Deck gekommen.

»So etwas habe ich auf allen meinen Fahrten noch nicht erlebt und auch noch nicht gehört«, versicherte der Kapitän in hoher Erregung. »Die ganze Wache ist an Deck und läßt den Schoner vor sichtlichen Augen auf einen Eisberg hinauflaufen! Es ist einfach schmachvoll!«

»Wir haben den Berg nicht sehen können, weil der Nebel zu dick war«, antwortete der Steuermann. »Als Ihr an Deck kamt, da lichtete er sich zufällig in demselben Moment.«

»Ach was, das sind Ausreden! Unter Eurem Kommando ist der Schoner aufgelaufen, nun bringt ihn gefälligst auch wieder ab!«

»Ihr tut mir unrecht, Kapitän«, entgegnete Stevens ruhig. »Mit demselben Rechte könnte ich auf den Rudersmann losfahren, ich weiß aber bestimmt, daß der ebensowenig etwas sehen konnte wie ich und alle die andern.«

Damit wendete er sich ab und ging nach vorn, wo er den Versuch machen ließ, das Fahrzeug mit Stangen von dem Berge abzuschieben, Die Leute arbeiteten mit aller Kraft, ohne jedoch den Schoner auch nur einen Zoll weit fortbewegen zu können.

Darauf ließ Stevens die Boote zu Wasser bringen, Trossen am Heck befestigen, und dann ruderten die Mannschaften und mit ihnen er selber stundenlang, um den Schoner rückwärts von der Eisbank herunterzuziehen.

Auch das erwies sich als nutzlos.

Die Leute kamen endlich ganz erschöpft wieder an Bord und brachten die Boote an ihre Plätze.

Auch die Beratung der andern hatte zu keinem Ergebnis geführt, wohl aber die Wirkung gehabt, daß der Schiffer sich beruhigte und einsah, daß er den braven Steuermann ohne Grund beargwöhnt und verletzt hatte.

Kaum hatte dieser daher den Fuß an Deck gesetzt, da trat Armstrong ihm entgegen, den linken Arm in der Binde, die rechte Hand ausgestreckt.

»Schlagt ein, Steuermann«, sagte er. »Ich bitte Euch um Verzeihung! Mehr kann ich und will ich nicht sagen. Wir verstehen uns, nicht wahr?«

Der Steuermann ergriff die dargebotene Hand und drückte sie kräftig.

»Und nun ruft mir die Leute her«, fuhr der Schiffer fort.

Die Matrosen kamen herbei.

»Leute,« begann der Kapitän, »wir sind in einer bösen Lage, weswegen, das brauche ich euch nicht erst auseinanderzusetzen. Jetzt gilt es, unter allen Umständen die Ohren steif halten und unsere Schuldigkeit tun, was auch kommen mag. Der Schoner ist gestrandet. Kann sein, daß er ein Leck gekriegt hat. Kann sein, daß der Eisberg kippt und uns zerschmettert. Kann sein, daß die Eskimos uns überfallen, oder daß die verdammten Yankees uns in dieser Klemme finden und uns zusammenschießen.«

»Nette Aussicht! Hol's der Teufel!« brummte der Matrose Goring.

Der Schiffer tat, als habe er dies nicht gehört.

»Wir werden die Ladung und soviel als möglich von dem Ballast nach hinten bringen und das Schiff auf diese Weise vorn erleichtern«, fuhr er fort. »Vielleicht gleitet es dann von selber wieder von der Eisbank herab. Ich muß indes gestehen, daß ich nicht viel Hoffnung darauf setze. Vorher muß nach dem Leck gesucht werden.«

»Das werde ich jetzt gleich besorgen«, sagte der Steuermann. »Kommt mit, Lot.«

Die beiden stiegen in die Großluk hinab.

»Ich bin ganz der Ansicht des Kapitäns«, nahm Johann Bernsdorf das Wort. »Auch erkläre ich hier ausdrücklich, daß ich mich für das Unternehmen und seine Folgen allein verantwortlich erachte. Tun wir alle unsere Schuldigkeit. Solange wir hier auf dem Eise festsitzen, erhält jeder von euch den doppelten Tageslohn. Besondere Anstrengungen werden noch besonders bezahlt.«

»Das sind ganz schöne Reden, wenn wir aber draufgehen, dann nutzt uns das alles nichts«, warf Goring ein. »Solche Versprechungen sind billig.«

»Ja, versprochen ist bald was«, versetzte Hiob, der neben dem Matrosen stand. »Zum Beispiel verspreche ich dir hiermit eine derbe Tracht Prügel, wenn du noch weiter solche Redensarten führst, die die anderen Leute bloß aufwiegeln sollen. Wenn der Boß sagt, daß er bezahlen will, dann bezahlt er auch, also halte dein ungewaschenes Maul!«

»Ich habe nur gesagt, daß keine Bezahlung uns mehr nützt, wenn wir tot sind.«

»Das war sehr überflüssig, du Dummkopf. Das wird keiner bestreiten. Wenn du aber lebendig bleibst, dann kriegst du dein Geld, darauf kannst du dich verlassen.«

»So? Das bleibt auch noch abzuwarten«, sagte der Matrose verdrossen und hämisch.

Johann Bernsdorf hatte das Ende des Wortwechsels der beiden nicht mit angehört, da er mit seinem Bruder in die Kajüte hinabgegangen war.

»Ich fürchte, wir werden mit den Leuten Unannehmlichkeiten haben«, sagte er. »Der Matrose Goring zeigt sich bereits widerhaarig und tut, als wäre ihm bange um die Bezahlung.«

»So gib ihm sein Geld und setz' ihn an Land«, versetzte Friedrich.

»An Land setzen können wir ihn hier nicht, übrigens meine ich, das beste wäre, wir drückten ein Auge zu. Der Kerl scheint ein schlimmer Geselle zu sein und könnte leicht auch die anderen anstecken und aufsässig machen.«

»Nun, dann zahle ihm doch sein Geld aus, meinetwegen den doppelten Betrag, dann wird er sich wohl zufrieden geben. Laß ihn herunterkommen. Heda, Murphy, der Goring soll hier antreten!«

Murphy, der Kajütsjunge, richtete den Befehl aus, und gleich darauf erschien der Matrose in der Kajüte.

Er hielt die Mütze in der Hand, strich sich über das wirre Haar und warf argwöhnische und lauernde Blicke um sich.

»Ihr habt mich rufen lassen, Sir«, wendete er sich an Johann Bernsdorf.

»Ja«, antwortete dieser. »Wir haben Euch rufen lassen, um Euch zu beweisen, daß Ihr mit Euren Zweifeln und Eurem Murren unrecht hattet. Ihr tatet, als bangte Euch um die Euch verheißene Bezahlung. Hier« – er zog eine Schublade auf und langte hinein – »hier ist das Geld, was Euch bis jetzt zusteht.«

Er zählte die blanken Dollars auf den Tisch. Dann langte er noch einmal in die Schublade.

»Und hier sind noch zehn Dollars als vorläufige Extrabezahlung für die Zeit, die der Schoner hier festliegen wird. Ich gebe Euch das Geld schon jetzt, nicht weil ich dazu verpflichtet wäre, sondern um Euch zu beschämen und Euch eine bessere Meinung von uns beizubringen.«

Der Matrose, dessen kleine, stechende Augen mehr nach der geldgefüllten Schublade als auf den Tisch geblickt hatten, steckte sein Geld mit einem halb unverständlichen Gemurmel des Dankes ein.

»Seid Ihr nun zufrieden?« fragte Johann Bernsdorf.

» Yes, sir!«

»Gut. Sagt Euren Genossen, daß auch sie ihr Geld haben können, wenn ihnen daran liegt. Noch eins: in dem ersten englischen Hafen, den wir anlaufen, könnt Ihr Eurer Wege gehen. Verstanden?«

» All right«, versetzte der Mann. »Ich werde gehen, wenn mir das paßt und nicht eher. Ich habe für die ganze Reise an Bord der ›Seeschlange‹ angemustert und brauche daher auch nicht eher von Bord zu gehen. Ins Wasser schmeißen oder sonstwie umbringen werdet Ihr mich hoffentlich nicht«, setzte er grinsend hinzu.

»Nein, das werden wir nicht«, entgegnete Friedrich Bernsdorf. »Halt, geht noch nicht; Ihr müßt uns erst eine Quittung über das Geld geben.«

»Oh, Ihr traut mir also nicht?«

»Nein, warum sollten wir? Traut Ihr uns doch auch nicht.«

Und während Johann die Schublade mit dem Gelde wieder verschloß, schrieb Friedrich eine Empfangsbescheinigung aus.

»Hier, nun unterzeichnet dies mit Eurem Namen.«

Der Matrose tat wie ihm geheißen.

»Jetzt geht und tut Eure Schuldigkeit«, sagte Johann, indem er das Papier aufnahm.

»Das soll geschehen, Mr. Bernsdorf«, versetzte der Matrose. »Ich weiß, was ich zu tun habe, übrigens seid Ihr nicht der Mann, mir meinen Dienst zu weisen; das steht nur dem Kapitän zu.«

Damit ging er schwerfällig die Treppe hinauf.

»Der Kerl ist ein Halunke«, wendete sich Johann an seinen Bruder. »Wir müssen ihm auf die Finger sehen. Der ist zu allem fähig. Vorläufig aber kann er uns kaum etwas schaden.«

»Wenigstens nicht, ohne sich selber in Gefahr zu bringen«, antwortete Friedrich. »Ob mein armer Hans wohl schläft?«

»Nein, Vater«, kam des Knaben Stimme aus der offen stehenden Kammer. »Ich habe alles mit angehört.«

Während der eine Bruder sich an die Koje seines blinden Sohnes setzte und liebevoll mit demselben redete, begab der andere sich wiederum an Deck.

Hier hatte der Steuermann dem Kapitän soeben über die Untersuchung im Raume Bericht erstattet. Ein Leck war nicht zu entdecken gewesen, wenn es daher gelang, den Schoner von der Eisbank abzubringen, dann brauchte man nicht zu fürchten, daß er sinken werde.

Alle Mann, auch unsere jungen Freunde, waren damit beschäftigt, Ladung, Proviant und Ballast möglichst nach hinten zu schaffen.

»Ich möchte wohl wissen, wie tief der Eisberg im Wasser liegt«, sagte Stevens im Laufe des Gesprächs.

»Um dies zu erfahren, muß man seine Höhe über dem Wasser feststellen«, antwortete der Schiffer. »Ich schätze dieselbe auf 60 Fuß. Da nun in der Regel solche Berge viermal so weit in die Tiefe gehen als in die Höhe, vom Wasserspiegel aus gerechnet, so muß dieser hier ungefähr 240 Fuß oder 40 Faden tief liegen.«

»Hm«, sagte Johann Bernsdorf. »Ich bildete mir ein, daß wir die Bank vielleicht mit Pulver absprengen und dadurch das Schiff befreien könnten; wenn die Eismasse aber so dick ist, dann kann daran gar nicht gedacht werden.«

»Nein«, entgegnete der Schiffer. »Auch wäre die mit solch einem Experiment verbundene Gefahr zu groß gewesen. Man hätte das Fahrzeug beschädigen und auch den Berg zum Umsturz bringen können. Wir müssen Geduld haben; vielleicht löst die Bank, auf der wir sitzen, sich von selber von dem Fuß des Berges los.«

»Das wäre ein Glück, das wir wohl kaum zu erwarten haben«, meinte der Steuermann.

»Und während all dieser Zeit treiben wir wieder zurück nach Süden«, sagte Johann. »Wenn wir nicht beizeiten freikommen, dann können wir die Edelsteininsel für dies Jahr nur aufgeben.«

»Wollen hoffen, daß wir es mit dem Umstauen der Ladung schaffen«, warf der Kapitän ein.

Der alte Seebär war unruhig, er sah gedrückt und beklommen aus.

»Schmerzt Euch die Schulter, Freund?« fragte Johann, dem des Schiffers Verstimmung endlich auffiel.

»Davon weiß ich nichts«, war die kurze Antwort.

Damit schritt Armstrong an die Reling, schaute lange nach rechts und nach links in das Wasser hinab und dann nach dem Lande hinüber, dem man immer näher zu kommen schien.

»Ist das Disko dort drüben, Steuermann?« rief er diesem zu.

»Das, worauf Ihr hinzeigt, ist Kap Chidley, Disko liegt links davon«, antwortete der Gefragte.

»Recht«, nickte der Schiffer. »Kommt einmal her, Stevens.«

Der Steuermann trat heran.

»Ich habe dem Boß hier und Euch etwas mitzuteilen«, begann Armstrong mit gedämpfter Stimme, Johann Bernsdorf und Stevens abseits winkend. »Mit dem Schoner ist's nicht richtig.«

»Leider«, sagte der Steuermann, seinen Vorgesetzten fragend und ungewiß anschauend.

»Davon, daß er festsitzt, rede ich nicht«, fuhr der Schiffer fort. »Ich habe das Fahrzeug seit einiger Zeit beobachtet, und ich irre mich nicht ... Der Schoner sinkt!«

»Unmöglich«, entgegnete Stevens ungläubig lächelnd. »Ein Leck ist nicht vorhanden, im Gegenteil, er ist so dicht wie eine Flasche. Davon habe ich selber mich überzeugt.«

Der Schiffer schüttelte den Kopf.

»Zugegeben«, sagte er. »Aber kommt her, Steuermann, und auch Ihr, Mr. Bernsdorf.«

Er führte die beiden über das Achterdeck zum Heck und neigte sich über die niedere Reling. Eine dünne Leine mit einigen Knoten darin hing hier bis ins Wasser hinab.

»Zählt die Knoten«, setzte er seine Rede fort. »Jetzt sind vier über dem Wasserspiegel. Komm nach zehn Minuten wieder und zählt aufs neue. Ich sage Euch, der Schoner sinkt.«

Johann schwieg und schaute auf die Merkzeichen in der Leine hinunter. Der Steuermann aber eilte noch einmal in den Raum.

Hier fand er alles in bestem Zustande.

»Der Schiffer muß an Einbildung leiden«, murmelte er vor sich hin. »Mag sein, daß das mit dem Wundfieber zusammenhängt. »Wir sitzen auf einem Eisfelsen und können gar nicht sinken, auch wenn das Schiff gar keinen Boden mehr hätte. Denn Eis schwimmt. Es mag indessen sein, daß der Eisfelsen mit dem Berge nicht mehr eins ist, daß er sich sachte losgelöst hat, und daß seine Lage sich infolge des Umstauens der Ladung im Schoner etwas verändert hat. Ja, ja, so wird's sein; dadurch kommt das Fahrzeug hinten etwas tiefer zu liegen.«

Und froh, eine so plausible Erklärung gefunden zu haben, sprang der Steuermann wieder an Deck und die Treppe zum Achterdeck hinauf.

»Nun, Stevens, alles in Ordnung?« fragte Bernsdorf.

»Alles in Ordnung, Boß. Wißt Ihr, Kapitän, Ihr hattet wohl vergessen, daß wir den Schwerpunkt des Schiffes mehr nach hinten verlegt haben; das Fahrzeug mußte ja notgedrungen jetzt am Heck bedeutend tiefer liegen als vorher.«

»Eine Belehrung habe ich von Euch nicht verlangt«, versetzte der Schiffer unwillig. »So klug, wie Ihr seid, bin ich wohl auch noch. Seht doch nach der Leine; der Schwerpunkt ist schon lange unverändert, und doch sinkt das Fahrzeug noch immer.

Stevens gehorchte und gewahrte nun, was auch Johann Bernsdorf schon beobachtet hatte, daß nur noch drei Knoten der Leine über Wasser sichtbar waren.

Der Schiffer hatte recht, die »Seeschlange« war im Sinken begriffen. Eine geheimnisvolle, unerklärliche Gewalt schien das Fahrzeug langsam in die Tiefe zu ziehen.

Die Männer schauten einander an.

Auf des Steuermanns und Johann Bernsdorfs Zügen spiegelte sich Erstaunen und Ratlosigkeit, auf denen Armstrongs eine gewisse finstere, triumphierende Befriedigung.

Der Schoner sank, das konnte ihm niemand mehr bestreiten.


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