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Achtzehntes Capitel

Abschluß

Am folgenden Tage wurde von Jerusalem in frühester Morgenstunde aufgebrochen und der Weg nach der syrischen Küste zu Pferde zurückgelegt. Tiefste Trauer, tiefstes Mitleid mit Arbogasts Schicksal im Herzen, ritt die Prinzessin, ohne jedoch ein Wort über ihn zu sprechen, nach dem Einschiffungsplatze dahin.

»Holdseliger Engel, ermanne Dich, – da läßt sich nichts mehr ändern!« redete sie der Graf in Jaffa unter den zärtlichsten Liebkosungen an.

»Ich weiß es,« erwiderte die Prinzessin aufseufzend, »aber wie kann ich mir helfen? Die Geschichte seiner Erlebnisse klingt wie eine grausenhafte Mär beständig in meinen Ohren nach, und sein Bild, sein entstelltes Bild steht mir immerfort vor den Augen! Du hast ihn kaum gekannt und kannst die an ihm vorgegangene Veränderung nicht ermessen, – er ist nicht mehr er selbst. Was wir von ihm gesehen haben, ist Arbogasts Gespenst!«

»Ein Stein könnte Erbarmen mit ihm fühlen,« sprach Graf Albrecht. »Mit staunenerregendem Muthe, wie ein Riese, hat er mit seinem Schicksale gerungen. Du hast keinen unwürdigen, keinen gewöhnlichen Mann geliebt!«

»Ich habe Alles gewagt und Alles für ihn eingesetzt, was ich bin und was ich habe!« sagte die Prinzessin. »Da Du jetzt weißt, was und wer Arbogast ist, werde ich in Deinen Augen höher stehen, und meine Flucht von Lissabon wird Dir nicht ganz als ein leichtsinniger, thörichter Mädchenstreich erscheinen. Dennoch muß ich schaudern, wenn ich Bedenke, was aus mir geworden wäre, wenn ich Dich nicht auf meiner abenteuerlichen Fahrt zur Seite gehabt hätte!«

»Das Zusammentreffen auf dem Oelberge war verhängnißvoll«, entgegnete der Graf, »aber es hat uns Beiden doch Gewißheit gebracht, obgleich eine schreckliche Gewißheit. Nutzlos und vergebens hätte der Gedanke in Deinem Gemüthe fortgewühlt, was aus Arbogast geworden sei, ob er noch lebe, wo er weilen, wo er dulden möge. Dieser verzehrenden Unruhe ist jetzt ein Ende gemacht. Du weißt nun, daß seine Lage furchtbar ist, doch ist sie vielleicht nicht schlimmer, als Deine Vermuthungen, Deine Träume gewesen wären! Er ist frei, und seine starke Seele wird sich nach und nach in das harte Schicksal fügen. Sie wird allmälig wieder in's Leben eintreten und schließlich wird sein Herz sich den Lebensfreuden öffnen, die ihm noch zugänglich sind.«

Bald nach dieser Unterredung bestiegen sie ein Schiff und legten den langen Seeweg nach Venedig in verhältnißmäßig kurzer Zeit und ohne störende Abenteuer zurück. Hatten schon die Meeresfahrt und der reiche Wechsel der Landschaften auf das Gemüth der Prinzessin einen beschwichtigenden Einfluß ausgeübt, so konnte ein längerer Aufenthalt in der berühmten Lagunenstadt auch nicht ohne eine wohlthätig zerstreuende Wirkung bleiben, besonders da sich hier ein neuer Kreis von Sorgen aufthat, von welchem die Liebenden unmittelbar berührt wurden.

Allen Gefahren entrückt und im sicheren Besitze der Prinzessin, hielt es nämlich Graf Albrecht für seine Pflicht, sogleich eine Botschaft an den König von Portugal abzusenden, durch welche derselbe von dem Hergange der Dinge und der bevorstehenden Vermählung seiner Tochter benachrichtigt werden sollte. Wenn auch die Hoffnung auf die väterliche Zustimmung und Verzeihung nicht groß war, so mußte doch der Schritt versucht werden.

Gleichzeitig wurde ein zweiter Eilbote nach Werdenberg geschickt und durch denselben dem Vogte des dortigen Schlosses aufgetragen, Alles zum Empfange in Stand zu setzen, zu des Grafen von Werdenberg Brüdern, Vettern und Verwandten herumzuschicken und ihnen zu wissen zu thun, daß sie ihm mit allem Pomp und aller Pracht entgegen kommen möchten. Von Venedig zogen sie dann über Görz und das Bisthum Salzburg nach seiner Heimath zurück.

Sie waren nicht mehr die Flüchtlinge, welche in der einfachsten Weise reisen und sich verbergen mußten. Von dem auserlesenen Kriegshäuflein begleitet, das der Ordensmeister von Rhodus der Verabredung gemäß nach Venedig vorausgeschickt hatte, trat nun Graf Albrecht in einem, seinem hohen Stande gemäßen Aufzuge überall auf.

Als man den Bodensee endlich erreicht hatte, kamen dem Brautpaare die Verwandten und Freunde mit sechshundert Pferden, dreißig Frauenwagen und einer Unzahl von Speisekarren entgegen. Die Hervorragendsten unter den Entgegengekommenen waren die Burggrafen von Nürnberg, die Grafen von Teck, Toggenburg und Heilsburg.

Das Hochzeitsfest wurde allsogleich mit dem höchsten Pomp, endlosen Schmäusen und Lustbarkeiten aller Art gefeiert, wie es die Sitte der Zeit mit sich brachte. Der fürstliche Abt von Pfäffers segnete das Brautpaar ein. An demselben Tage wurde auch der treue Thomas mit seiner Brigitte, welche die lange Prüfungszeit wacker bestanden hatte, für immer vereinigt.

Noch während der Flitterwochen erhielt das junge Ehepaar von Portugal Antwort auf die von Venedig abgesandte Botschaft. Aber sie war wenig erfreulich und lautete dahin, daß der König von seiner Tochter, die sich an seinem Vaterherzen so schwer vergangen habe, nichts mehr wissen wolle und sie nicht mehr als die seinige betrachte. Dies machte Anfangs auf Beide einen höchst peinlichen Eindruck, konnte aber auf die Dauer eine Ehe nicht trüben, welche sich durch die immer tiefer gehende Zuneigung beider Theile und den günstigen Gang der äußeren Verhältnisse von Tag zu Tag glücklicher gestaltete.

Jahre um Jahre waren vergangen.

Der Ehe des Grafen Albrecht war ein Knabe entsprossen, welcher jetzt neun Jahre zählte. Es war ein wunderlieblicher Knabe, der mit dem Könige von Portugal, wie ihn Bildnisse aus früherer Zeit zeigten, die größte Aehnlichkeit hatte. Um diese Zeit kehrte ein päpstlicher Legat, der sich auf einer Mission viele Jahre im hohen Norden aufgehalten, auf seiner Rückreise nach Rom bei dem Grafen Albrecht ein. Obwohl er nur für eine Nacht Quartier gesucht hatte, gefiel es ihm doch in Werdenberg so gut, daß er einige Tage dort verweilte. Man hatte sich beiderseits in der kurzen Zeit so lieb gewonnen, daß Graf Albrecht seinem Gaste bei dessen Abreise ein weites Geleite gab. Der Umstand, daß die Schloßfrau eine portugiesische Königstochter sei, war während des Besuches mit keiner Silbe erwähnt worden.

Im Begriffe, für immer zu scheiden, sagte der päpstliche Legat zum Grafen Albrecht: »Ich werde in Rom mein Legaten-Amt niederlegen und ein Bisthum in Portugal erhalten. Ich bin von Geburt Portugiese. Ich wünsche Euch die empfangene Gastfreundschaft zurückzuerstatten und hege die höchste Zuversicht, daß ich Euch mit Euerer Gemahlin bald in Portugal sehen und auch bei mir empfangen werde.«

Während ihn Graf Albrecht einigermaßen erstaunt anblickte, fuhr der päpstliche Legat lächelnd fort: »Ihr wißt und ahnet nicht, daß Ihr in Euerem Schlosse einen Kundschafter und Späher aufgenommen habt. Ich habe vom König von Portugal den Auftrag erhalten, auf meiner Rückreise bei Euch einzukehren. Zunehmendes Alter und Gebrechlichkeit haben König Alfons' Herz erweicht. Er hat mich hergeschickt, um Eure häuslichen Verhältnisse zu prüfen und es meinem Ermessen ganz und gar überlassen, Euch einzuladen, möglichst bald zu ihm nach Portugal zu kommen. Ich habe mich von dem ehelichen Glücke seiner Tochter überzeugt und fordere Euch hiermit im Namen des Königs auf, mit Weib und Kind Lissabon zu besuchen.«

Mit diesen Worten schied der Legat. Die Prinzessin war, als ihr Gatte die frohe Kunde heimbrachte, vor Freuden außer sich. Die Reiseanstalten wurden auf das Eifrigste betrieben, und man brach ohne den geringsten Zeitverlust auf. Als sie an die Landesgrenze Portugals gekommen waren, fanden sie Wagen zu ihrer Verfügung und wurden von Dom Vedras im Namen des Königs begrüßt. Nichts konnte die vollständige Umstimmung König Alfons' stärker ausdrücken, als die Wahl dieses Mannes, der sie in Rhodus verfolgt und in den furchtbaren Sturm hinausgetrieben hatte.

Endlich war Lissabon erreicht; die Gatten betraten die Räume des auf der Höhe gelegenen königlichen Schlosses. Die Gräfin, in unaussprechlicher Bewegung, eilte voran; der Graf folgte, den Knaben an der Hand.

Der König erschien, stark gealtert, grau an Haar und Bart; die Gräfin stürzte ihm zu Füßen.

»Mein gnädiger Herr und Vater,« rief sie, seine Kniee umschlingend, »könnt Ihr mir verzeihen?«

»O meine Tochter,« sagte der König mit bewegter Stimme, »wie viel schlummerlose Nächte habe ich Deinetwegen gehabt!«

»Ich weiß,« erwiderte die Gräfin, »wie sehr ich Euren Zorn verdient! Ich habe unter dem Drange einer unwiderstehlichen Macht gehandelt. Auch ich habe in Folge davon viel gelitten, habe Euren Zorn schwer gefühlt und Eure Liebe sehr entbehrt. Hier liege ich, und nicht eher erhebe ich mich, bis Ihr, mein Herr und Vater, mir verziehen.«

Graf Albrecht stand indessen ernst und schweigend im Hintergrunde, und der Knabe Albrecht, der das, was vorging, nicht begreifen konnte, blickte den König mit zornigen Augen an, legte die Hand an sein kleines Schwert und sagte: »Die Mutter knieet und weint; wer darf ihr etwas zu Leide thun?«

Die Stimme des Knaben bewegte den alten König wundersam; er hob seine Tochter in die Höhe und rief: »Ich verzeihe, ich verzeihe Euch! Wir waren nur allzu lange getrennt! Kommt, kommt Alle an mein Herz!«

Es war ein ergreifender Moment des Wiedersehens. Die Gräfin folgte ihrem königlichen Vater in sein Gemach und gab ihm alle Aufklärungen über ihre Flucht, deren Beweggründe er erst jetzt erfuhr. Ihre Geständnisse entlasteten den Grafen so vollständig, daß ihm jetzt kaum mehr ein Vorwurf zu machen war, vielmehr der Vater ihm als Beschützer seiner Tochter auf's Wärmste zu danken hatte.

Die Versöhnung war eine vollständige.

Am folgenden Tage wurde Graf Albrecht, der im königlichen Schlosse seine Wohnung bezogen, von zahlreichen Großen des Reiches besucht. Auch ein weißbärtiger Ritter, der sich sofort als Deutscher zu erkennen gab, trat ein; Graf Albrecht fragte sein Gedächtniß, wer es sei. Doch schon rief die Gräfin: »Ritter Langenbruck, Ihr seid es! Wieder in Portugal?«

»Ich habe vor drei Jahren Palästina verlassen,« sagte der Ritter; »ich werde allmälig zu alt, dort den Kriegsdienst zu treiben. Es steht nicht allzu gut im heiligen Lande und wenn nicht ein neuer Kreuzzug der gesammten Christenheit Hilfe schafft, so wird diese Eroberung ein trauriges Ende nehmen.«

»Wißt Ihr etwas von Arbogast von Wolfegg?« fragte der Graf. »Ein Gedanke hat mich immer verfolgt, daß er jemals erfahren, wer die gewesen, die er an meiner Seite gesehen. Ich weiß nicht, ob er das überlebt hätte!«

»Er hat es nie erfahren,« antwortete der Ritter. »Ich habe Euch Stillschweigen versprochen und habe es gehalten, so gern ich auch erzählt hätte, daß die Tochter des Königs von Portugal unter meinem schlechten Dache gewohnt. Ritterwort ist Ritterwort. Arbogast –«

»Lebt er noch?« fragte die Prinzessin.

»Ich will Euch Alles erzählen,« sagte Langenbruck. »Arbogast, der, wie Ihr wißt, halb und halb geheilt, das Spital der Johanniter verlassen hatte, erholte sich bald, denn er war von rüstiger Natur und wurde wieder ein aufrechter Krieger. Da kamen die Kämpfe um Edessa. Die Bevölkerung griff zu den Waffen, Arbogast aber sammelte versprengte Freischaaren unter seine Fahnen und lauerte in einem Engpasse den heranziehenden Moslems auf. Indessen trieben die Emire Saladins ihre Haufen vorwärts, ohne auf Widerstand zu stoßen. Sie kamen an den Paß. Da warf sich Arbogast mit solchem Ungestüm auf sie, daß er die Ueberraschten zum Weichen brachte und sie mit großem Verluste in die Flucht schlug. Berauscht von seinem Erfolge, kehrte er nach Jerusalem zurück, wo er vom Volke mit lautem Zuruf empfangen und als Sieger gefeiert wurde. Das war noch ein großer Tag, den er erlebte. Aber es kamen neue Kämpfe. Voll Geringschätzung der Moslems, ritt Arbogast hart an das feindliche Lager bei Edessa mit dreißig Reitern heran, um sich von den Stellungen des Feindes zu überzeugen. Hochmüthig und tollkühn zugleich, glaubte er Alles wagen zu können. Er wurde in seiner Meinung durch den Umstand bestärkt, daß er keine Bewegung des Feindes bemerkte. Aber plötzlich warfen sich Moslems in überlegener Anzahl auf ihn und seine Schaar, viele der Seinigen flohen, er wurde abgeschnitten von seinen Begleitern. Lange kämpfte er um sein Leben, schimpfliche Gefangenschaft oder unvermeidlichen Tod vor Augen, und sank endlich, von fünfzig Pfeilen getroffen. Auf einem Hügel bei Edessa steht ein aufgerichtetes Kreuz. Das ist zu seinem Andenken da, und auch die Heiden achten es.«

»Ehre seinem Andenken,« sagte der Graf; »er hat einen schönen Kriegertod gefunden!«

»Er hat sich den Tod ersehnt und hat ihn gesucht,« sagte die Prinzessin und weinte seinem Andenken eine Fluth von Thränen. Sie konnte sich lange nicht beruhigen.

»Und nun darf ich wohl fragen,« sprach der von Langenbruck, »wie sich Euer edler Lehensmann, mein Freund, der Graf von Vaduz, befindet? Er ist immer gar gnädig und freundlich gegen mich gewesen.«

Er hatte es kaum gesagt, als Thomas Lyrer eintrat, einen Becher Weines auf einer Platte zur Erquickung des Gastes bringend. Die Erscheinung des »Grafen von Vaduz« in solcher Stellung machte den von Langenbruck ganz verdutzt; aber auch Thomas war beschämt, von dem, der ihn in Palästina als Grafen gekannt, in dienender Stellung gesehen zu werden. Am Grafen Albrecht war es, mit der offenen Darlegung der damaligen Verhältnisse Alles befriedigend zu lösen. –

Mehrere Wochen waren vergangen, seitdem der Graf von Werdenberg am Hofe des Königs lebte, die Stunde des Abschieds, die immer wieder hinausgerückt worden war, erschien. Mit dem Könige vollständig ausgesöhnt, feierlich begleitet, traten die Gatten die weite Heimreise an und gelangten glücklich wieder in ihre Heimath.

Dort lebte Graf Albrecht hoch geehrt und gefürchtet und wurde der Stammvater eines mächtigen Geschlechtes, das seine Herrschaft immer weiter am Oberrhein ausbreitete. Seine Ehe war die glücklichste. Er hatte auf seinen abenteuerlichen Fahrten zwar kein Königreich errungen, wohl aber ein Königskind, dessen Herz an Werth einem Königreiche gleich kam. – –

Das ist die Geschichte der Prinzessin von Portugal, die des Grafen von Werdenberg Weib wurde. Sie wäre in Vergessenheit gerathen, wenn nicht Thomas Lyrer, der treue Dienstmann, der seinen Herrn nach Rhodus und nach Jerusalem begleitet, am Spätabende seines Lebens zur Feder gegriffen und die Ereignisse schlecht und recht, so gut er eben konnte, niedergeschrieben hätte. Es war allerdings eine Hand, die besser den Pferdestriegel und das Putzzeug für Schwert und Schild, als das Schreibwerkzeug zu führen verstand. Indeß, wie die Form auch sein mochte, der Bericht von so merkwürdigen Ereignissen hatte seinen Werth. Die Chronik, die er hinterließ, fand im sechszehnten oder siebzehnten Jahrhundert einen Nachschreiber, der sie in das Deutsch seiner Zeit übertrug, so daß wir noch heute in der Chronik Thomas Lyrer's von Rankweil die Grundzüge dessen finden, was wir unsern Lesern erzählt haben. Die ursprüngliche Fassung aber von Thomas' Hand ist nicht mehr aufzufinden.

 

Ende.


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