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Fünfzehntes Capitel

In der Feluke

Nicht lange darauf war das Gepäck auf den Rücken der Maulthiere geladen und ging auf den Einschiffungsplatz schon voran, als die vier Flüchtlinge, alle in lange Mäntel gehüllt, die Frauen tief verschleiert, auf dem Hausgange zusammentrafen. Von einem Führer geleitet, sollten sie vorsichtshalber auf einem abgelegenen Seitenpfade aus den Umgebungen des Schlosses auf den Reitweg, der sich am Strande hinzog, gebracht werden.

Der Ordensmeister, der zum Abschiede erschienen war, begleitete den Grafen noch eine kurze Strecke weit und sagte unter Anderem:

»Porto Paradiso ist ganz nahe, die Gegend sicher. Ihr habt nichts zu befürchten. Eure blitzschnelle Abreise wird allen Vermuthungen zuvorkommen, ja kaum für möglich gehalten werden. Uebrigens habe ich Wachen aufgestellt, die Euch rechtzeitig warnen und nötigenfalls zu Hilfe springen würden. Und noch eine Hauptsache! Ich habe den Schiffsleuten einen erfahrenen Seemann beigegeben. Es ist ein Deutscher aus dem Friesenlande, Olaf Thorson mit Namen. Vertraut Euch ihm an! Er wird Euch jede Auskunft geben und Eure Weiterreise, wohin Ihr auch Eure ferneren Schritte lenken möget, mit Rath und That unterstützen. Und nun beschleunigt Eure Schritte und ziehet unter dem Schutze des Allmächtigen dahin!«

Er schüttelte dem Grafen Albrecht die Hände und ging.

Die Gesellschaft schritt nun kräftig aus und gelangte auf einem gefahrvoll steilen, oft durch das dickste Gebüsch hinabführenden Wege an den Strand. Dort standen Reitpferde bereit, auf welchen die Einschiffungsstelle bald erreicht wurde.

Die Nacht war klar, doch nicht hell: Wolken bedeckten hier und dort die blinkenden Sterne. Die einsame Bucht war unbewohnt und ganz öde. Gewaltige, wild zernagte Felsthürme, welche gespensterhaft herabblickten, engten sie ein. Selten, nur in Zeiten der Noth, wie diesmal, nahte sich ein Fahrzeug dem Orte, der so wenig seinem Namen entsprach und besonders des Nachts das Gemüth mit Bangigkeit erfüllte.

Auf den Wogen, die an die Klippen zischend heranfuhren, tanzte die nur von sechs Mann bediente Feluke auf und nieder. Ihr beschränkter Raum, ihre nackte Einfachheit und besonders der kunstlose Holzverschlag, der die Kajüte bildete, forderten die Flüchtlinge zu beständigen Vergleichen dieses Fahrzeuges mit der Galeere auf, die sie von Portugal nach Rhodus gebracht hatte. Wortkarg, ja stumm, saßen sie Alle längere Zeit da, nachdem das Schiff seinen Weg angetreten hatte, und begannen erst jetzt den vollen Ernst einer Flucht zu empfinden.

Da trat ein kräftig gebauter Mann zu dem Grafen und sagte auf deutsch: »Ihr seid sicherlich der hochgeborene Graf von Werdenberg?«

»Und Dein Name ist Olaf Thorson,« sprach der Graf fast gleichzeitig. »Der Ordensmeister hat mich an Dich gewiesen, und da will ich gleich fragen, wohin Du uns führst?«

»Wir fahren auf dem kürzesten Wege nach dem Festlande von Kleinasien,« antwortete der Seemann.

»Wie weit ist es von Rhodus hinüber?« fragte der Graf.

»Die Entfernung ist gering,« erwiderte Olaf Thorson, »aber der Wind bläst gegen uns und wird eher stärker werden, als schwächer. Wir werden schwerlich früher, als morgen Abend anlangen.«

»Mein Stammsitz liegt im Rheinthal, nahe dem Bodensee,« sprach Graf Albrecht. »Ich will geraden Weges nach Hause. Kannst Du mir rathen, wie ich es ausführen soll? –«

Die Frage nach dem geraden Wege heimwärts brachte, was beinahe unmöglich schien, ein Lächeln auf Olaf Thorfons ernstes Gesicht. Er sagte nach einer Pause: »Da, wo wir morgen landen, – es heißt Castro Marmora, – findet Ihr kein Schiff. Dort und in der weitesten Umgebung ist nur ein kleiner Verkehr. Es wäre das Beste, wenn Ihr den Landweg einschlagen und bis Smyrna reiten würdet.«

»O,« rief der Graf, »das wäre mir lieber, als die schönste Seefahrt! Findet man in Castro Marmora gute Pferde?«

»Die will ich Euch besorgen,« erwiderte Olaf Thorson. »Seid Ihr einmal in Smyrna, so könnt Ihr Euch ein Schiff nach Herzenslust wählen; es herrscht dort großes Leben. Da findet Ihr leicht ein venetianisches Handelsschiff, das heimkehrt. Es geht fast jede Woche eines ab; Ihr fahrt nach Venedig, – das ist der kürzeste Weg, und wie Ihr dann weiter kommt, brauche ich Euch nicht mehr zu lehren!«

»Dein Rath ist gut, und ich will ihn befolgen,« sagte der Graf. Hierauf verließ er den Seemann und setzte sich auf ein Brett am Hintertheile des Schiffes. Die Lage bot ihm überreichen Stoff zum Nachdenken. Er verweilte lange dort, bis ihn endlich der an Stärke immer zunehmende Wind von seinem Sitze verscheuchte. Die Wolken hatten unterdessen den größten Theil des Himmels bedeckt und ballten sich stellenweise schwarz und drohend zusammen.

Olaf Thorson stand bei dem Maste und richtete die Segel. Der Graf, der die Absicht hatte, in die Kajüte hinabzusteigen, erhob sich und sagte im Vorübergehen: »Das Wetter verschlimmert sich. Es wird es hoffentlich nicht so böse meinen?«

»Mir gefällt es gar nicht,« erwiderte Olaf Thorson.

Da bemerkte der Graf seinen treuen Thomas, der auf dem Boden ausgestreckt lag und von der Seekrankheit arg befallen war. »Armer Bursche, Du thust mir leid,« sagte er, vor ihm stehen bleibend. »Die Nußschale, auf der wir uns befinden, schaukelt aber auch so furchtbar stark, daß man sich nur mit der größten Mühe aufrecht erhalten kann.«

Thomas antwortete unter schwerem Aechzen: »Alle Heiligen habe ich angerufen, aber sie wollen mir nicht helfen und wundern sich vielleicht, daß ich den eigentlichen Schutzpatron, unter welchem das Meer sieht, nicht um Beistand bitte. Wüßte ich doch nur seinen Namen! Kennt Ihr ihn nicht, gnädiger Herr?«

»Da bin ich gerade so unwissend, wie Du,« versetzte der Graf.

»Es muß doch einen geben,« sagte Thomas mit winselnder Klagestimme. »Man hat einen für Zahnweh, für kranke Kühe, kranke Pferde! Sollte denn im ganzen Himmel kein Heiliger sein, der sich um solche Todesqualen eines Seefahrers kümmert?«

»Helfen kann ich Dir nicht,« erwiderte der Graf, »aber ich habe doch einen Zauberspruch, der den Zustand erträglicher macht. Wir gehen jetzt nämlich geradeaus und auf dem allerkürzesten Wege nach Hause, in unser liebes Rheinthal, zu der lieben Brigitte.«

»Ach, wenn ich nur diese Nacht überlebe, diese entsetzliche Nacht!« jammerte Thomas.

»Dieses Uebel bringt Niemand um,« sprach der Graf, indem er einen Sack zusammenrollte und ihn seinem Knechte als Kissen unter den Kopf schob. »Heute Abend werden wir diesen verwünschten Schaukelkasten verlassen und ihn mit guten Rossen vertauschen!«

In diesem Augenblicke bemerkte der Graf, daß Thomas in einen ohnmachtartigen Zustand verfallen war. Olaf Thorson, der die Segel eingerefft hatte, kam heran. Einige furchtbare Windstöße, die rasch aufeinander folgten, nöthigten Beide, sich niederzukauern und sich an etwas anzuklammern.

»Das sind die Vorboten eines Sturmes,« murmelte der Graf.

»Vielleicht zeigt sich damit nur ein tüchtiger Regenguß an,« erwiderte Olaf Thorson, »und der wird auch bald kommen. Legt sich aber dann nicht der Wind, dann kann man nicht viel Gutes erwarten. Indessen steht es auch ohnedem schlimm genug. Wir sind schon längst von unserer Fahrrichtung auf die entgegengesetzte Seite getrieben und, nach mehrstündiger Fahrt, von der Küste Kleinasiens weiter entfernt, als wir es in Rhodus waren. Wenn das lange so fort ginge, so würden wir Aegypten näher kommen, als Smyrna!«

»Und unser kleines Fahrzeug,« sagte der Graf mit bangem Zweifel, »ist so leicht gebaut!«

»Es ist leicht und klein, aber gut gezimmert und schwimmt wie ein Fisch,« erwiderte der Seemann. »Man muß an das Schlimmste nicht früher denken, als bis es kommt.«

Indeß peitschte der Sturm die Wogen; das Schiff, das zwischen zwei Wellenbergen dahinrollte, ächzte in allen seinen Planken. Und immer größer wurde die Wuth des Sturmes. Die Meereswogen, die bisher wahrlich schrecklich genug gewesen, erhoben die Häupter immer dräuender.

»Tragen wir diesen Mann herunter,« sagte Olaf Thorson, auf dessen Gesicht sich der ganze Ernst der Lage ausdrückte, indem er auf Thomas deutete. »Er ist schon ganz von den Wellen durchnäßt und wird, wenn wir ihn da liegen lassen, von ihnen fortgerissen werden. Aber auch Ihr, Herr, thätet gut, wenn Ihr unten bliebet!«

Schweigend faßten sie den halb Bewußtlosen und trugen ihn in die Kajüte, wo sie ihn in einem Winkel niederlegten.

Die beiden Frauen, die durch die furchtbaren Stöße des herumgeschleuderten Schiffes mehrmals von ihren Sitzen heruntergeworfen worden waren und sich auf den Boden niedergekauert hatten, wurden bei Thomas' Anblick von einem neuen Entsetzen ergriffen, wie wenn man ihnen bei allen Schrecken, welche sie empfanden, auch noch die Leiche eines Ertrunkenen zu Füßen ausgestreckt hätte. Die Prinzessin sagte etwas zum Grafen Albrecht, was dieser jedoch wegen des betäubenden Geräusches, des fortwährenden donnerähnlichen Getoses der Fluthen und des Sturmes nicht verstehen konnte. Er ließ sich auf's Knie neben ihr nieder.

»Ich bin Euer Unglück,« sagte die zum Tode Geängstigte, indem sie Werdenberg mit zitternden Händen am Arme faßte. »Ich bin an Allem schuld: werft mich wie den, der Unglück bringt, aus dem Schiffe hinaus!«

»Macht Euch nicht so thörichte Vorwürfe!« erwiderte der Graf. »Der Sturm wird sich wieder legen und uns nichts anhaben. Süßes, geliebtes Mädchen, – es giebt keine noch so schreckliche Gefahr, die ich nicht zu bestehen wünschte, wenn ich Euch damit helfen, Euch glücklich machen könnte!«

Da ließ sich ein furchtbarer Krach vernehmen, daß das Fahrzeug erdröhnte; gleich darauf folgte ein zweiter, wie wenn der Blitz im Walde einen Eichbaum fällt. Das Fahrzeug schien sich zu spalten und neigte sich auf eine Seite, als ob es umschlagen sollte. Die Angstrufe der Schiffsleute ließen das Schlimmste befürchten.

Der Mast war umgerissen und ein bedeutendes Stück der oberen Schiffswand eingebrochen. Die Wogen, welche quirlend und zischend durch die Lücke hereinstürzten, schienen es darauf abgesehen zu haben, den Bretterbau ganz zu zerzausen. Sie hatten freies Spiel. Das Schiff senkte sich bleibend nach der einen Seite.

»Gnade uns Gott!« rief Graf Albrecht. »Jetzt wird es Ernst. Ich weiß nicht, ob wir so viel Zeit haben, unser letztes Gebet zu verrichten!«

Er umfaßte die Prinzessin und preßte sie an sich, indem er fortfuhr: »Und doch muß ich Euch noch sagen, daß ich Euch über Alles geliebt habe! Noch vor einer kleinen Weile habe ich geträumt, daß ich schöne Tage an Eurer Seite verleben und auf den herrlichen Bergen meiner Heimath mit Euch lustwandeln werde. Wenn das ein Wahn, wenn es im Gegentheil Gottes Rathschluß ist, daß wir sterben, will ich mit Euch vereint jubelnd in die schreckliche Tiefe hinabfahren.«

»Ohne daß ich es recht wußte,« sagte die Prinzessin, sich ihm anschmiegend, »hat Euer edles Thun mein Herz schon längst gerührt. Möge Gott ein Wunder thun und den Sturm bändigen und den Himmel aufklären, damit dies nicht die letzten Küsse seien, die wir uns geben!«

Sie lagen in stummer Umarmung lange Brust an Brust, während der Sturm fortheulte, als ob er nicht blos das Schiff, sondern alle Inseln des Archipels mit sich in die Tiefe reißen wolle.

Da sagte Thomas, der wieder zu sich gekommen war, und den Schrecken der Lage erkannte: »Jetzt ereignet sich in der Stube, in welcher Brigitte arbeitet, etwas, was ihr unser Ende anzeigt! Die Truhe wird krachen, – Tische und Stühle werden prasseln, – an die Thür wird es pochen, ohne daß Jemand draußen steht und klopft ...«

Unterdessen arbeiteten Olaf Thorson und seine Leute mit unermüdlicher Ausdauer, um das Sinken des Schiffes aufzuhalten. Die Feluke war ein Wrak; dem Winde und den Wellen überlassen, trieb sie ohne Mast und Segel westwärts immer weiter dahin. Die Mannschaft, todtmüde von der Arbeit des Pumpens, blickte rathlos umher.

Und nun erschien der Himmel wie ein Flammenmeer. Am östlichen Horizonte schossen Strahlen hervor, die das Morgenroth fächerartig durchsetzten. Noch immer tobten die Wellen in furchtbarer Hast. Unter unsäglicher Angst vergingen noch viele, viele Stunden, als plötzlich das Wunder geschah, das die Prinzessin sich und ihrer neuen Liebe gewünscht. Der Sturm fing an abzunehmen und schwieg endlich vollständig.

Damit war aber noch nicht geholfen. Das Fahrzeug war und blieb ein Spielball des Meeres, das sich unabsehbar nach allen Seiten ausdehnte. Man war aller Mittel beraubt, es zu lenken. Da gewahrte man plötzlich einen Punkt hinter sich am Saume des Gesichtskreises, der sich immer mehr vergrößerte. Es war ein Schiff – daran konnte nicht gezweifelt werden.

Alles war auf der kleinen Feluke von neuem Muthe beseelt. Graf Albrecht sagte leise zu Thomas: »Das Schiff steuert gerade auf uns los, – das fehlte noch zu unserem Unglück, daß Dom Bedras mit seiner Galeere auf uns zukäme!«

Nach und nach war das Schiff, das ziemlich groß war, so nahe gekommen, daß man Alles darauf deutlich erkennen konnte. »Das ist ein venetianisches Handelsschiff,« sagte Olaf Thorson, und er hatte Recht.


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