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Sechzehntes Capitel

In Jerusalem

Der Venetianer, welcher das Wrak, weit in südöstlicher Richtung von Rhodus verschlagen, angetroffen hatte, ging, reich mit Waaren beladen, nach der Insel Cypern. War Aller Freude über die unerwartete Rettung groß, so konnte sie sich doch mit dem Jubel, der die Seele der beiden Liebenden erfüllte, nicht messen. Da sich der Sturm gelegt und die Wogen in kurzer Zeit sich geglättet hatten, so wurde die Weiterreise eine wahrhafte Lustfahrt, die alle ausgestandenen Mühsale rasch vergessen ließ und selbst Thomas mit dem verhaßten Meere aussöhnte.

Das Herz der Prinzessin hatte sich in dem schrecklichen Sturme aufgethan, und sie übertrug nun die Gefühle, die sie so lange für Arbogast gehegt, mit immer wachsender Offenheit auf den Mann, der die höchsten Proben der Liebe bestanden und ihr, ohne Aussicht auf Lohn, mit der Aufopferung seines Lebens unvergeßliche Dienste geleistet hatte. Bald kam sie sogar soweit, ihre Schwärmerei für Arbogast als eine kindische Liebe anzusehen und ihn dem Grafen Albrecht im Geiste gegenüber zu stellen, dessen Tugenden alle Vorzüge des Edelknaben in ihren Augen verdunkelten.

Nach ein paar Tagen begann Cypern aus den Wellen emporzusteigen. Dona Diafanta saß auf dem Verdecke neben dem Grafen, Hand in Hand, Auge in Auge.

»Hast Du wirklich Arbogast vergessen?« fragte der Graf nach längerem Schweigen.

Die Prinzessin gab erröthend zur Antwort: »Ich habe Alles vergessen, was sich vergessen läßt, und Du darfst mich darum nicht lästern.«

Graf Albrecht erwiderte: »Deine erste Liebe hat gezeigt, daß Du eine Perle Deines Geschlechtes bist; sie hat mich eher entflammt, als abgeschreckt! Sie ist mir jetzt ein Bürge für den Ernst und die Tiefe Deiner Gefühle! Ich werde ein Weib besitzen, auf das ich in allen Wechselfällen des Lebens zählen, das nur der Tod meinem Herzen entreißen kann.«

Er küßte die kleine, schöne Hand und fuhr in heiterem Tone fort:

»Sieh da die Berge von Cypern! Es fügt sich, daß das erste Land, das wir betreten, die Insel ist, zu welcher die alten Griechen und Römer durch lange Jahrhunderte Wallfahrten unternahmen, um der Liebesgöttin, die dort ihr Heiligthum hatte, Opfer zu bringen! Wir sind Christen und können dem Beispiele nicht folgen. Aber da ist ein anderer Altar in der Nähe, auf dem kein Götze, sondern der leibhaftige Gott der Erde und des Himmels thront, – da wollen wir für unsere Rettung Dankgebete verrichten und um ferneren Segen flehen.«

»Was meinst Du?« fragte die Prinzessin.

»Wie ich eben jetzt gehört habe,« erwiderte der Graf, »ist es von Cypern nach Jerusalem gar nicht so weit. Sollten wir nicht die Gelegenheit benutzen, die gewiß nie wieder im Leben kommt, und zum heiligen Grabe unseres Erlösers eine Pilgerfahrt machen?«

Die Prinzessin willigte auf's Freudigste ein.

»Der Mensch denkt, Gott lenkt,« erwiderte der Graf. »Das ist das wahrste Sprüchwort. Als wir von Rhodus flohen, gab ich die Reise nach Jerusalem auf und wollte geraden Weges mit Dir in mein Heimathland ziehen. Aber eine höhere Hand führt mich doch nach Jerusalem, und zu welcher Zeit: das heilige Osterfest steht vor der Thüre!«

Als sie in Cypern gelandet waren, beschenkte Graf Albrecht die Schiffsleute von Rhodus und gab Olaf Thorson eine Botschaft an den Ordensmeister, der zu Folge sich seine Kriegsleute sammt den Rossen nach Venedig einschiffen und seine Ankunft dort erwarten sollten. Wenige Tage darauf segelte Graf Albrecht mit den Seinigen nach Jaffa ab und kam von dort nach einem mehrtägigen Ritte vor den Mauern von Jerusalem an.

Das kleine Königreich, das Gottfried von Bouillon gegründet hatte, erstreckte sich nur über etwa zwanzig bis dreißig Ortschaften und wurde von dreihundert Rittern, die allen Nationen angehörten, und einem ebenso bunt zusammengewürfelten Kriegsheere von einigen tausend Mann behauptet und vertheidigt.

Diese Eroberung, die so viel Lärm in der ganzen Christenheit gemacht hatte, aber nur von sehr kurzer Dauer war, lockte beständig Schaaren unternehmender Männer auf den heiligen Boden. Der Verhältnisse unkundig, glaubte man die Zeit gekommen, den ganzen Mahomedanismus mit Stumpf und Stiel auszurotten. Eine große Anzahl dieser Ankömmlinge hatten freilich nicht solche fromme Beweggründe hingeführt. Fabelhafte Vorstellungen von den unermeßlichen Schätzen des Orients, die in allen Köpfen spukten, die Edelsteine, Perlen und der kostbare Waffenschmuck der Sarazenen waren das einzige Zugmittel vieler Abenteurer hohen und niedrigen Standes gewesen. Da auch sonst noch immerfort Pilger ankamen, denen es mit dem Besuche des heiligen Grabes heiliger Ernst war, so entwickelte sich in Jerusalem ein reges Leben, wie man es dort seit der Zerstörung durch die römischen Legionen nicht wiedergesehen hatte. Franken, Juden und Griechen drängten sich allda. Alle Nationen Europas waren vertreten; natürlich fehlte es auch nicht an Portugiesen in diesem bunten Völkergewühle.

Der Anblick der historisch ewig bedeutsamen, aber düster und melancholisch gelegenen Stadt stimmte beide Reisende ernst und nachdenkliche Die kahle Landschaft von echt orientalischem Gepräge, die kleinen, abgeschlossenen, meist weiß übertünchten Häuser, die grauen Festungsmauern, – Alles schaute die Reisenden so fremdartig an. Kameele, mit Körben rechts und links behangen, zogen, den Kopf horizontal gerichtet, geräuschlos dahin. Verhüllte Gestalten jagten, auf kleinen Eseln reitend, vorüber; andere Gestalten, eine rothe, oder schwarzblaue Mütze auf dem Kopfe, saßen im Schatten ihrer Schwelle.

Graf Albrechts große Begeisterung für die heiligen Stätten war, je näher er seinem Ziele kam, um so schwereren Besorgnissen gewichen. Er sah schließlich seine ganze Pilgerschaft als eine Uebereilung an, die ihn und die Prinzessin in die gefährlichste Lage bringen konnte. Als die Beiden innerhalb der Mauern von Jerusalem standen, war es zwischen ihnen beschlossene Sache, jedes Aufsehen zu vermeiden, ein bescheidenes Quartier auszusuchen und die Rückfahrt so schnell als möglich anzutreten.

Zu Fuße, die Menge vermeidend, doch nicht ohne das volle Gefühl der Weihe, die der betretene Ort für sie hatte, durchzogen sie die Stadt und fanden, was sie zunächst suchten, den Markt. Hier verschafften sie sich Pilgeranzüge nebst Muschelhüten, in der Hoffnung, unter dieser einfachen Hülle ihre vornehme Abstammung am sichersten zu verbergen. Dann gingen sie, über die gelungene Verkleidung vergnügt lachend, weiter, um eine bescheidene Wohnung ausfindig zu machen.

Als sie aus einem engen Gäßchen auf einen belebten Platz hervortraten, kam ihnen in einiger Entfernung ein hochgewachsener Kriegsmann mit einem wettergebräunten Gesichte und einem graugesprenkelten Vollbarte entgegen, der die vier Pilgrime, je näher er kam, desto schärfer und auffallender musterte und plötzlich dicht vor der Prinzessin Halt machte, indem er sich auf das Unterthänigste verneigte.

»Habe ich das Glück,« rief er, »Eure hochfürstlichen Gnaden hier zu treffen?«

Die Prinzessin, ganz aus der Fassung gerathen, sah ihn erst einen Augenblick verdutzt an und sagte dann lebhaft: »Ihr seid es also wirklich, Ritter von Langenbruck?«

Der Genannte hatte ehemals in portugiesischen Diensten gestanden, aber Dienst und Land geraume Zeit vor der Flucht der Prinzessin verlassen.

»Ihr könnt nicht lange Hiersein?« fragte der Ritter.

»Wir sind erst heute angekommen,« gab die Prinzessin zur Antwort.

»Das kann ich mir denken,« rief der von Langenbruck. »Ich müßte von einem so hohen Besuche schon gehört haben, da ich allenthalben umher komme. Wo haben Euer Gnaden Ihr Quartier genommen?«

»Wir haben noch kein passendes gefunden,« stammelte die Prinzessin, indem sie einen flehenden Blick, ihr zu Hilfe zu kommen, auf den Grafen warf, damit sie sich nicht durch verlegene oder thörichte Antworten auf weniger harmlose Fragen bloßstelle.

Graf Albrecht trat sogleich vor. »Ihr stammt,« redete er den Ritter an, »aus dem Basellande. Ein Ritter von Langenbruck war vor langen Jahren Vogt des verstorbenen Grafen Werdenberg auf Schloß Sargans? Ist's nicht so?«

»Ganz recht,« versetzte der Ritter, »der Genannte war mein Vater.«

»Ich bin,« versetzte Graf Albrecht, »der gegenwärtig regierende Herr von Werdenberg.«

Der von Langenbruck schien die höchste Freude über diese Bekanntschaft zu empfinden. Nachdem er derselben freien Lauf gelassen hatte, fuhr Graf Albrecht fort:

»Die Prinzessin kommt zum heiligen Grabe, um ein Gelübde zu erfüllen, und wird Jerusalem verlassen, sobald dies geschehen ist. Die Kriegsgaleere, auf der wir von Portugal gekommen sind, hat durch stürmisches Wetter stark gelitten und wird jetzt in Cypern ausgebessert. Zu ungeduldig, um lange zu warten, habe ich, da kein größeres Schiff zur Verfügung stand, ein kleines gemiethet, um den kurzen Weg herüber zu machen. Die Prinzessin, die von gleicher Begierde brannte, ihre Andacht zu verrichten, erwies mir die Ehre, sich unter meinen Schutz zu begeben und sich mir anzuschließen, wiewohl sie des beschränkten Schiffsraumes wegen ihr ganzes Gefolge zurücklassen mußte. Unter solchen Umständen werdet Ihr begreifen, Ritter von Langenbruck, – Ihr braucht nur unsere Kleidung anzusehen, – daß wir kein Aufsehen erregen wollen, und stellen deshalb an Euch die Bitte, unsere Anwesenheit in Jerusalem geheim zu halten.«

Der Ritter versprach unter tiefen Verbeugungen sein Stillschweigen und fügte hinzu:

»Da Ihr kein Quartier habt, würdet Ihr mir nicht die hohe Ehre anthun, in meinem Hause zu wohnen? Es ist zwar nur ein einfaches Haus, – ich bin wenig begütert, doch Alles, was darin, steht Euch zu Gebote. Es ist mehr, als bescheiden, doch tröstet mich der Gedanke, daß Ihr in der ganzen Stadt, die noch immer halb in Trümmern liegt, kein bessers finden werdet.«

Graf Albrecht nahm die Prinzessin bei Seite, berieth sich mit ihr, und die Erwägung, daß sie sich Langenbrucks Stillschweigens, als Bewohner seines Hauses, besser versichern würden, trug den Sieg davon. Als sie darauf das Haus betreten und in Augenschein genommen hatten, fanden sie ihre geringen Erwartungen übertroffen. Der Ritter bewohnte ein steinernes Haus mit pavillonartigem Anbau. Stark vergitterte Fenster und schwere Vorhänge dämpften das grelle Tageslicht.

Ritter Langenbruck hatte inzwischen ein Mahl herrichten lassen; der Theil eines gebratenen Lammes, Hühner und Fische, – das Alles wurde, wohl zubereitet, allerdings nur in irdenen Näpfen, aufgetragen. Ein Nachtisch von Feigen, Datteln und Mandeln, guter, alter Griechen-Wein, der dabei credenzt wurde, brachte die von einer langen, aufregungsvollen Reise erschöpften Gäste in die beste Stimmung, die sich bis zur Lustigkeit steigerte, deren Kosten theils Thomas, theils der liebenswürdige Wirth selber trug.

Graf Albrecht hatte nämlich, von der Leichtgläubigkeit des nicht sehr scharfsinnigen Ritters kühn gemacht, nicht nur die Begleiterin der Prinzessin, die allerdings ein Edelfräulein war, in einen höheren Rang erhoben, sondern auch Thomas, der von stattlichem und würdigem Aussehen war, den Titel eines »Grafen von Vaduz« gegeben und ihn an der Tafel teilnehmen lassen. Ritter Langenbruck war von der Wahrheit alles dessen, was er vernahm, fest überzeugt, und wäre ja ein Zweifel in ihm aufgestiegen, so hätte dieser unbedingt dem Gedanken weichen müssen, daß sich die Prinzessin doch unmöglich von zwei Grafen auf einmal habe entführen lassen!

Das Gespräch bewegte sich während des langen Mahles auf den verschiedensten Gebieten. Der Wirth, der seines Aufenthaltes in Portugal gern gedachte, brachte die Rede auch auf den Ritter von Wolfegg, unter dem er eine Zeit lang gedient hatte, und sagte dann, zur Prinzessin gewendet, sehr lebhaft:

»Eure hochfürstliche Gnaden werden sich vielleicht an den ehemaligen Edelknaben Arbogast erinnern? Er ist vor einiger Zeit aus seiner Gefangenschaft glücklich entflohen.«

»Gott Lob!« hauchte die Prinzessin, von tausend Erinnerungen durchstürmt, dahin. »Wo hält er sich auf?« fügte sie mit mühsam unterdrückter Neugierde hinzu.

»Hier,« gab der Ritter zur Antwort, »hier in Jerusalem.«

»Hier?« wiederholte die Prinzessin tonlos und konnte nicht weiter sprechen.

»Was macht er hier? Bleibt er hier?« ergriff Graf Albrecht das Wort.

»Er hat bei seinem Entkommen aus Aegypten, wo er zuletzt gefangen war,« sprach Ritter Langenbruck, »eine Wunde erhalten und lag seit seiner Ankunft hier im Hospital. Seit Kurzem soll er aber wieder hergestellt sein und an die Abreise denken.«

»Und wohin wendet er sich?« fragte der Graf mit größter Spannung.

»Nach Portugal, wie man sagt,« erwiderte der Ritter. »Das ist auch begreiflich. Er hat dort Ländereien, die ihm sein Oheim hinterlassen; auch besitzt er an dem König, Euerem edlen Vater, einen hohen Gönner.«

Ritter Langenbruck, der keine Ahnung hatte, welchen ungeheueren Eindruck er durch seine Mittheilung erregt, lenkte das Gespräch ohne allen Uebergang gleich wieder auf andere fern liegende Dinge, aber die vorherige gute Laune und Plauderlust waren von der Tafel verschwunden. Dona Diafanta war stumm geworden; in sich versunken saß sie da, ohne sich ausraffen zu können, und die Stirn des Grafen Albrecht legte sich, so oft er sie anblickte, in finstere, sorgenvolle Falten.

Als die Tafel aufgehoben war, begab sich die Prinzessin mit ihrer Begleiterin in die ihr angewiesenen Gemächer, während der Graf in den pavillonartigen Anbau trat. Nachdem er dort lange auf- und abgehend verweilt hatte, sagte er zu sich:

»So geht's! Den Einfaltspinsel, den Langenbruck, habe ich bei meinem Eintritt gefürchtet, – die Portugiesen, Alles gefürchtet, – nur an Arbogast habe ich nicht gedacht! Daß die Nachricht von seinem Wiedererscheinen auf Dona Diafanta den tiefsten Eindruck macht, machen muß, ist klar. O, wäre ich nie nach Jerusalem gekommen! Das hätte ich mir und ihr ersparen können ... Alle Dinge sind in letzter Zeit so sonderbar gekommen, daß ich in Todesangst schwebe, welchen Verlauf die Geschichte nimmt ...«

Als er sich in seine Stube begab, war es Abend geworden. Die Seitenthür that sich auf, und die Prinzessin trat ein.

»Wunderbar,« sagte sie mit großer Bewegung, schwer Athem holend. »Als ich Arbogast suchte, fand ich ihn nicht, und nun, da er vor mir steht, ist er mir nicht erwünscht! Ich habe Dir, Albrecht, bei Tische wohl angesehen, was in Dir vorgeht, Du aber hast mein Stillschweigen mißverstanden. Das Schicksal kann, wenn es grausam ist, mich von Dir trennen, aber aus freien Stücken gehe ich nicht von Dir fort. Ich will Arbogast nicht wiedersehen, nicht, daß ich mich vor ihm oder meinem Herzen fürchte: es führt zu nichts. Wir wollen die heilige Stadt und ihre nächste Umgebung besuchen und dann ohne alles Säumen meiner künftigen Heimath, dem Rheinthale, zueilen. Ich liebe Dich so sehr, als nur ein Weib den Mann lieben kann; höre aber auch Du nicht auf, mich zu lieben, und sei mir immer so viel, als ich Dir sein will, theuerster Albrecht!«

Sie fielen einander in die Arme, und Thränen mischten sich mit ihren Küssen.


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