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Siebentes Capitel

Graf Albrecht von Werdenberg

Während sich diese Ereignisse in Portugal zutrugen, hatte sich auch auf dem Schlosse Werdenberg, fern am Oberrhein, gar Vieles verändert. Der alte Graf Heinrich war gestorben; der zweitgeborne Sohn, sein Liebling Albrecht, den er schon bei Lebzeiten zum Nachfolger bestimmt hatte, nahm die Regierung der sämmtlichen Lande in die Hand.

Diese väterliche Verfügung hatte den übrigen Söhnen, von denen der älteste Herr auf Sargans, der zweite Domherr in Straßburg und der dritte Truchseß in Böhmen bei Karl dem Einäugigen war, von allem Anfang an sehr mißfallen, und der geheime, tiefe Groll brach alsbald in offene Feindseligkeiten aus. Erst griffen sie Albrecht an, dann begannen sie sich untereinander zu befehden und würden sich bei ihrem fortwachsenden Grimme zu Grunde gerichtet haben, wenn nicht die schwäbische Ritterschaft dazwischen getreten wäre, Hansen von Waldburg und Konrad von Eckenstädten ausgesandt und die feindlichen Brüder mit Execution bedroht hätte.

In Konstanz sollte ein Vergleich vorgeschlagen werden. Die streitenden Theile schickten zu ihren Verwandten, den Grafen von Ottenburg und Radeck, welche mit viel Kriegsvolk eintrafen. Diese und die anderen Kriegsleute mußten aber draußen vor der Stadt bleiben; denn die Konstanzer ließen einen Fürsten nur mit zwölf, einen Grafen mit fünf, einen Herrn mit drei und einen Ritter oder Edelmann nur mit einem Mann in ihre Mauern ein.

Ein Schiedsgericht wurde gewählt und die rasch gefällte Entscheidung von den streitenden Parteien mit mehr oder weniger Befriedigung angenommen. Graf Albrecht war mit dem Vertrage am wenigsten zufrieden, wiewohl er die geringste Ursache dazu hatte; denn ihm war das Schloß Werdenberg mit dem ansehnlichsten Theile der väterlichen Erbschaft verblieben. Aber er war ein ehrgeiziger, thatendurstiger Mann, der große Pläne im Schilde führte und deshalb auch von dem verstorbenen Vater mit besonderer Bevorzugung vor allen seinen Brüdern behandelt worden war. Er hatte immer vom Zuwachs seines Gebietes geträumt und nun ein gutes Stück davon verloren; auch war der ihm noch gehörige Besitz durch die blutigen Erbschafts-Fehden arg verwüstet und herabgekommen. An große Unternehmungen war auf längere Zeit hinaus nicht zu denken.

Der erste Kreuzzug, in welchem sich der abenteuerliche Geist jener Zeitepoche bei der gemeinschaftlichen Ausführung einer Großthat offenbarte, hatte die Kampflust und Eroberungssucht der Einzelnen nicht gedämpft, sondern eher entfesselt. Ueberdies waren die glänzenden Erfolge Wilhelms, der England erobert, und des anderen Normannen-Herzogs, der sich Neapels bemächtigt, lockende Beispiele, die den kleinen und großen Machthabern vor Augen gaukelten.

Graf Albrecht, nicht allein ein Kind seiner Zeit, sondern auch von einem leicht entzündlichen Geiste, ein Mann, den alles schwer Ausführbare anzog und das gleichsam Unmögliche am mächtigsten reizte, konnte daher das ruhige Leben auf seinem Schlosse nicht lange ertragen. In ihm reifte rasch der Entschluß, sich vorerst mit einigen Begleitern auf die Reise zu begeben, um die Welt, die er nur vom Hörensagen kannte, mit eigenen Augen kennen zu lernen und ein Feld für seine künftigen Thaten aufzusuchen, auf dem er dann später mit ganzer Macht, vielleicht von Bundesgenossen unterstützt, erscheinen wollte.

Gesagt, gethan. Mit wenigen, aber erlesenen Leuten, alle von gleich hoher, heldenhafter Gestalt, wie die seinige, mit den besten Waffen und prächtigsten Rossen brach er auf, nachdem er seine Schlösser verläßlichen Vögten zur Verwaltung übergeben hatte. Als er beim Abzuge die Gefährten seiner Abenteuer im Schloßhofe von Werdenberg musterte, fand er einen Mann unter ihnen, welcher mitzugehen gar nicht aufgefordert worden war, noch auch bisher darum nachgesucht hatte. Sein Name war Thomas Lyrer, und er einer Familie entsprossen, die schon seit mehreren Generationen in den Diensten des gräflichen Hauses stand. Er hatte sich in Brigitte, die schöne Tochter des Thurmwächters, verliebt und sollte demnächst Hochzeit halten.

»Wie geräthst Du auf einmal unter uns?« rief ihm Graf Albrecht erstaunt, aber nicht böse zu. »Hast Du Dich mit Deiner Braut gezankt und ist Alles plötzlich auseinandergegangen?«

»Wäre es auf das arme Ding angekommen,« erwiderte Thomas, »so wäre ich zu Hause sitzen geblieben. Im letzten Augenblicke riß ich mich los. Wie könnte ich eine vergnügte Stunde haben, ja nur ruhig schlafen, wenn ich weiß, daß mein gnädiger Herr unter fremden Menschen, in fremden Ländern allen denkbaren Gefahren entgegen geht? Wir sind nur Brautleute. Wenn unser Kriegsherr ruft, muß man auch Weib und Kind verlassen.«

Von dieser Selbstverleugnung und aufopfernden Anhänglichkeit gerührt, erwiderte der Graf: »Du warst mir immer ein treuer und nützlicher Geselle, den ich ungern von meiner Ritterfahrt ausgeschlossen hatte, und nur deshalb, weil ich die Heirathserlaubniß, die ich Dir gegeben, nicht auf diese Art gleichsam zurücknehmen wollte. Wohlan, ziehe mit!«

Er wollte sich umwenden und den Marschbefehl geben, als er oben am Fenster eines Seitengebäudes Brigitte gewahr wurde, die, in Thränen gebadet, dem Geliebten nachblickte, welchen sie vielleicht nie wieder schauen sollte. Er rief zu ihr hinauf: »Ich werde Dich für Deine Thränen belohnen und, wenn ich heimkehre, für Euren Hausstand ausgiebig sorgen. Sei guten Muths, Brigitte! Ihr seid Beide noch jung und könnt ein paar Jährchen leicht warten.«

Der Zug trabte rasch aus dem Schlosse hinaus, dem Rheine zu. Und nun ging es von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, kreuz und quer. Man lernte zahllose Volksstämme und fremdartige Sitten und ganz neue Dinge kennen, bestand auch mancherlei Gefahren und hatte lustige und ernste Abenteuer, ohne daß jedoch Graf Albrecht die Stelle seines künftigen Ruhmes gefunden hätte, die zu entdecken er ausgezogen war.

Ueberall war er mit Ehren empfangen, gern gesehen und ungern fortgelassen worden, sowohl des berühmten Namens halber, den er trug, als wegen seines gewinnenden, klugen Benehmens und seines überaus schönen und heldenmäßigen Aussehens, das den Männern Achtung gebot und den Damen gar oft Liebesqualen bereitete.

Als die kleine Schaar nach mehr als zweijährigen Wanderungen nach Tarascon im südlichen Frankreich gekommen war, wurde dort ein groß Turnier abgehalten, bei dem sich Graf Albrecht besonders auszeichnete und sämmtliche Gegner aus dem Felde schlug. Die Ritter und Herren, die sich aus allen Nachbarreichen eingefunden hatten, waren alle seines Lobes voll. Unter ihnen befand sich auch ein portugiesischer Grande, der eine hohe Stellung am Hofe zu Lissabon einnahm. Er sagte bei seiner Verabschiedung zum Grafen von Werdenberg:

»Mein König weiß die Tapferkeit zu schätzen und ist den Deutschen, deren es viele in seinem Lande giebt, besonders hold. Ihr solltet nicht versäumen, auch Lissabon einen Besuch abzustatten. Ich will dem König von Euch erzählen, und es gäbe kein Begehren, das er Euch abschlagen würde.«

Obwohl hoch erfreut, das zu hören, ließ sich Graf Albrecht in seinen aufgestellten Reiseplänen nicht stören, sondern zog über die Pyrenäen nach Spanien, wo er ein ganzes Jahr, und zwar einen großen Theil dieser Zeit am Hoflager des Königs von Castilien und Leon verweilte. Aber mochte er daselbst auch die lehrreichsten Erfahrungen gesammelt und die fremdartigen Lebensverhältnisse der bunt durcheinander geworfenen Volksstämme mit immer neuem Erstaunen kennen gelernt haben, dem Ziele seiner hochfliegenden Pläne fand er sich nicht um einen Schritt näher.

Enttäuscht, aber keineswegs ernüchtert, vielmehr tausendfach angestachelt, dem Traumbilde seiner Wünsche noch weiter nachzujagen, und sollte er bis an's Ende der Welt vordringen müssen, kehrte er dem Lande den Rücken und kam endlich mit dem Häuflein seiner getreuen Begleiter wohlbehalten in Lissabon an.


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