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Elftes Capitel

Auf der See

Der Zorn, in welchen der Graf nach den Eröffnungen der Prinzessin gerathen war, legte sich nicht, sondern wuchs von Stunde zu Stunde, als sollten die wilden Ausbrüche den Jammer des zum Tode verwundeten Herzens übertäuben.

Das Schicksal, ein Weib, das man bereits als das seinige angesehen, einem anderen Manne zuzuführen, war ausgesucht grausam und über die Maßen hart; aber wie sich auch Alles in der Seele des Grafen dagegen auflehnte, so war doch kein Entschlüpfen, kein Ausweichen möglich. Er konnte die Prinzessin nicht vom Schiffe jagen, sie nicht auf einer fremden Küste aussetzen oder nach Lissabon zurückführen, da blieb keine Wahl. Der Weg war ihm durch die Macht der Verhältnisse vorgeschrieben; er mußte nach Rhodus segeln. Erst dort wurde er von ihr frei, aber er hatte sie dann auch an einen andern verloren.

An dieser Lage war so wenig, als an einem Berge zu rütteln und so kehrte sich sein ganzer Zorn gegen die Prinzessin, die das Unheil über ihn gebracht hatte, und die er nun plötzlich mit ganz anderen Augen betrachtete. Er sah sich jetzt als das Opfer des gröbsten Betruges an. Ihr plötzliches Erscheinen auf dem Schiffe schien ihm ein Meisterstück der Verstellung und Berechnung. Alles war mit schlauer Arglist darauf angelegt, ihn irre zu führen, allen Widerstand unmöglich zu machen und ihn als blindes Werkzeug ihres Vorhabens zu benutzen.

So waren ein paar Tage verstrichen; aller Verkehr war zwischen Beiden abgebrochen. Er hatte sie nicht besucht und sie kein Verlangen nach ihm gezeigt. Die Fahrt ging indessen ohne alle unangenehme Zwischenfälle, bei herrlichstem Wetter und unter den günstigsten Winden vor sich. Die Gebirge von Sicilien fingen bereits an ein beträchtliches Stück aus dem Wasser hervorzusteigen.

Seit der unglücklichen Wendung der Dinge hatte es der Graf sorgfältig vermieden, sich mit Thomas in eine Unterredung einzulassen, dem er ja so voreilige Geständnisse gemacht und eine sofortige Rückkehr versprochen hatte, aber dem war doch nicht auf die Dauer auszuweichen. Da näherte sich eines Tages Thomas auf dem Vordertheil des Schiffes seinem Herrn und sagte traurig:

»Dort, vor uns, sehe ich große, mächtige Berge; aber wie ich auch schaue und luge, so finde ich den Säntis noch immer nicht darunter!«

»Das ist die Insel Sicilien,« erwiderte der Graf und wollte entwischen, aber Thomas hielt ihn mit einer neuen Frage fest.

»Ich habe eine Bitte, eine große Bitte, gnädigster Herr,« sagte er mit größter Bescheidenheit, doch zugleich mit einer freudigen Bewegung. »Ich habe die Prinzessin noch nie gesehen. Wie soll ich es anstellen, um ihr Gesicht, das gewiß sehr schön ist, da es meinen Herrn bezaubert, nur mit einem Blicke zu erhaschen? Die Neugier ist verzeihlich, – man will seine Gebieterin kennen. –«

»Die Gelegenheit wird sich bald finden,« warf der Graf verlegen hin, »sehr bald.«

»Das glaube ich nicht recht,« versetzte Thomas. »Bei Tage kommt sie nie auf das Verdeck, nur des Nachts, da man nichts sehen kann; überdies hebt sie auch ihren dichten Schleier niemals auf. Ich weiß freilich, warum. Die Schiffsmannschaft besteht aus lauter Portugiesen. Einer oder der Andere könnte sie erkennen. Beim Himmel, stände jetzt Brigitte vor mir da, so könnte ich kaum in eine größere Entzückung fallen, als wenn ich die holde Braut meines gnädigen Herrn erblicken würde!«

»Geduld muß man haben,« sagte der Graf etwas barsch.

»Geduld habe ich schon,« versetzte Thomas, »aber das sehe ich, so lange diese Portugiesen da sind, wird aus meinem Wunsche nichts werden. Wenn wir aber allein in Genua landen und auf's Pferd gestiegen sind, da wird es sich ändern, und Gott sei Dank, von Genua sind wir nicht mehr weit. Wieviel Tagreisen mag es wohl noch betragen?«

»Du fragst, als wenn ich ein geborner Seemann wäre,« versetzte der Graf. »Ich weiß es nicht!«

Beschämt, vor seinem Diener so dazustehen, dessen Worte ihm wie bitterer Spott klangen, drehte er sich um und ließ Thomas stehen, welcher den Unmuth seines Herrn merkte und ihn seinen zudringlichen Fragen zuschrieb.

Es war eine der Sommernächte mit wolkenlos heiterem Sternenhimmel und der wollüstig weichen und doch so erfrischenden Brise, welche nur der Süden kennt. Die Wellen kamen, eine um die andere, lustig heran; über den Häuptern der Seefahrer leuchteten die ewigen Sternbilder; die Milchstraße erglänzte in den still sich hebenden und sich senkenden Meereswogen wieder.

Graf Albrecht saß seit einigen Stunden auf einer einsamen Stelle des Verdecks und befand sich trotz aller Schönheit der Nacht in einer schrecklichen Laune. Wehe Thomas, wenn er jetzt gekommen wäre und ihn nach seiner Braut oder nach der Entfernung von Genua gefragt hätte!

Auf den Arm gestützt, ließ der Graf, zornig aufgeregt, seine Blicke nach der Richtung schweifen, welcher das Schiff zusteuerte; er wünschte, Rhodus nie zu erreichen oder wenn er dahin käme, die ganze Insel tief unter Wasser zu finden. An diesen bösen Wünschen war nur Arbogast schuld, dem er mit dem ganzen Hasse eines unglücklichen Nebenbuhlers nicht einmal die Luft, die er athmete, gönnte! Nach der Abbildung, die er von ihm gesehen, war er überzeugt, daß Arbogast ein schmucker Jüngling von hohem und edlem Wuchse sein müsse, und sich nicht zu seinen Ungunsten verändert habe, und doch hatte er sich vor der Prinzessin über Arbogasts Aeußere aus Eifersucht gar abfällig geäußert. Hierzu kam der Prinzessin tiefsitzende, sturmerprobte, tollkühne Liebe! Er ließ den Muth sinken.

Bei dem Rauschen der Wogen hörte er die leichten Schritte der auf ihn zugehenden Prinzessin nicht früher, als bis diese beinahe schon vor ihm stand. Sie trug einen höchst kleidsamen Anzug nach orientalischem Geschmacke, der jedoch ihre reizenden Formen nicht verhüllte; aber ihr Gesicht war unter dem Schleier, wie gewöhnlich, unsichtbar.

»Werdenberg,« sagte sie, sich neben ihn setzend, in sanft bedauerndem Tone, »Ihr scheint mir zu zürnen!«

»Wie sollte ich das nicht?« erwiderte Graf Albrecht heftig. »Ein Engel müßte in einem solchen Falle auffahren und darein schlagen!«

»Was habe ich Euch denn gethan?« fragte die Prinzessin gekränkt und eingeschüchtert.

»Ihr habt mich auf das Tiefste gedemüthigt,« hob der Graf in gleich hohem Tone an, »meinen Stolz mit Füßen getreten, mir eine unerhörte Schmach angethan –«

»Wie doch, mein Gott?« rief die Prinzessin ganz erschreckt.

»Daß Ihr mich in die erniedrigende Stellung bringt,« fuhr der Graf fort, »Euch als Liebesvermittler zu dienen, und daß Ihr mich einem jungen Menschen, der lange nicht meinesgleichen ist, untergeordnet habt! Arbogast mag Euch sehr theuer sein, aber was kümmert er mich?«

»Ich begreife Euch nicht!« rief die Prinzessin.

»Und nun, um dieses Arbogast willen,« tobte der Graf fort, »ist mir durch Euer Verschulden eine Verantwortlichkeit aufgeladen, die mich elend, rasend macht! Ich habe von Eurem Vater, dem Könige, Wohlthat auf Wohlthat empfangen, das Schiff, auf dem ich da sitze, ist sein großmüthiges Geschenk, und auf diesem Schiffe führe ich ihm seine Tochter fort! Das ist schändlich, gegen alle Ehre und Dankbarkeit, und ich schaudere vor der Verachtung, die ich verdiene!«

»Seid ruhig, was das betrifft,« erwiderte die Prinzessin gelassen, aber fest, »das nehme ich Alles auf mich! Alle Folgen werde ich allein tragen. Wenn mein Vater, was ja nicht so gewiß ist, den Verdacht auf Euch, als den Urheber meiner Flucht, geworfen haben sollte, so wird derselbe nur kurz und vorübergehend auf Euch ruhen. Bald werde ich ihn über Alles aufklären, hoffentlich sehr bald, und Euch in Allem entlasten. Und wenn er sieht, daß ich nicht Euch, sondern Arbogast gesucht, so bleibt kein Makel mehr an Euch haften. Und wenn mich dann nicht mein Vater, Arbogasts wegen, ganz verstößt, wenn er nur einen Funken von Gefühl für seine in der Fremde irrende Tochter im Herzen bewahrt, so wird er Euch nicht nur vollständig freisprechen, sondern Euch noch danken!«

»Danken?« rief der Graf höhnisch. »Diesen Dank will ich mir nicht bei ihm holen!«

»Ja, danken, danken, sage ich!« fuhr die Prinzessin fort. »Haltet mich für keine Thörin! Seit dem Augenblicke, da ich Nachricht über Arbogast erhielt, stand mein Entschluß unerschütterlich fest, nach Rhodus zu ihm zu fliehen, und ich wartete nur auf ein Schiff, das mich dorthin bringen sollte. Wäret Ihr, mir so unverhofft, nicht dazwischen gekommen, und hätte sich mir damit nicht eine so herrliche Gelegenheit geboten, die Reise sicher und meinem Range gemäß zu machen, so wäre ich vielleicht auf irgend einem fremden Schiff in schlechte Hände gerathen und in traurigen Abenteuern untergegangen. Dafür will ich Euch von Herzen danken, bis an mein Lebensende! In den schrecklichsten Tagen meines Lebens seid Ihr mein Beschützer und Beschirmer gewesen, und das wird und muß auch der König anerkennen!«

Verstockt und unbesänftigt, da die Auseinandersetzungen der Prinzessin seinem Herzen auf's Neue alle Hoffnung nahmen, erwiderte der Graf mit dem herbsten Vorwurfe:

»Bereitwillig, ohne zu murren, ja mit Freuden hätte ich Euch den Dienst erwiesen, wenn Ihr aufrichtiger gewesen wäret! Ihr habt mich getäuscht und mir eine Falle gestellt! Ich rufe jeden Mann, der da lebt, ohne Unterschied, zum Schiedsrichter auf und will an ihn die Frage stellen, wie er die Flucht eines Weibes deuten würde, das bei Nacht und Nebel auf sein Schiff gestürzt kommt und nichts weiter sagt, als: »Fort, fort, jagt mit mir von dannen!« Wahrlich, da kann Niemand so weise oder so albern sein, an Arbogast oder irgend einen andern Buhlen dabei zu denken!«

Auf das Tiefste verletzt, erwiderte die Prinzessin scharf, doch mit viel Beherrschung:

»Wenn da eine Täuschung ist, so steckt sie nur in Eurem Kopfe, – nicht ich habe sie verschuldet. Ihr habt sie, Euch zu Gefallen, ausgebrütet! Ruft Ihr die Männer zu Zeugen der erfahrenen Unbill auf, so wende ich mich an alle sittsamen, ehrbaren Frauen und will sie fragen, ob Eine von ihnen einem Manne, dem sie nicht das allergeringste Liebeszeichen gegeben, ohne vorhergehende Besprechung nachgelaufen käme? Ihr muthet mir da eine wirkliche Schmach zu, während die Eurige nur in der Einbildung besteht, und es geht aus allen Euren Reden unzweifelhaft hervor, daß Euch mein Thun und Benehmen recht gewesen wäre, wenn es Eure und nicht die Herzenswünsche eines Anderen befriedigt hätte! In gleicher Weise sind alle Eure anderen Vorwürfe hinfällig, und Ihr solltet sie gegen Euch selbst kehren. Ihr habt freilich nicht gewußt, daß ich Arbogast zu suchen gehe; aber Ihr habt um so fester geglaubt, daß ich mich von Euch entführen lasse ... So lange Ihr das meintet, habt Ihr Euch vor dem Gedanken nicht entsetzt, was mein Vater über Euren Undank und Eure Heimtücke denken werde! Eure Gewissensbisse fingen erst an, als kein Grund mehr für sie vorhanden war!«

Diese Rede machte einen gewaltigen Eindruck auf den Grafen. Er fühlte, daß er der Narr seines Begehrens und einer allzu selbstgefälligen Eigenliebe gewesen war, und konnte keinen Einwand mehr vorbringen.

»Haltet nichts, was ich Euch zu sagen gewagt habe für Bosheit,« sagte er in tief herabgestimmtem, wehmüthigem Tone. »Verzweiflung spricht aus mir und das Entsetzen, Euch für immer zu verlieren. Nein, nein, Ihr habt niemals meine Liebe aufgemuntert, mit keinem Worte, mit keiner Gebärde, mit keinem Blicke! Ihr seid nicht schuld, daß meine tolle Leidenschaft nicht erloschen ist, sondern die sonderbaren Umstände haben es verschuldet, unter welchen Ihr auf diesem Schiffe erschienen seid! Habt Nachsicht mit meinem armen Herzen und gebt mir zum Friedenszeichen Eure Hand!«

»Da nehmt sie,« sagte die Prinzessin voll Güte, während sie seine Hand schüttelte.

»O wüßtet Ihr –« rief der Graf, sich an das Herz schlagend, »aber nichts mehr davon, nie wieder! Jetzt werde ich Euch nach Rhodus bringen und Euch dort mit Rath und That unterstützen! Ich bin mit dem Ordensmeister bekannt, und das wird Euch sehr zu Statten kommen. Ich bin kein so eigennütziger, böser Mann, als Ihr denken mögt. Meine Seele ist jetzt nur von dem Wunsche erfüllt, daß Eure kühne, gefahrvolle Unternehmung zu Eurem Heile ausschlage, und daß der König sich eines Tages mit Euch und Eurem Geliebten aussöhnen möge!«


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