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Zweites Capitel

Am Hofe in Lissabon

Als sich die erste Kunde von dem gewaltsamen Tode des Schwabenherzogs verbreitet hatte, hätte man geglaubt, daß die ganze Christenheit vor die Wälle von Werdenberg ziehen und die Auslieferung des Mörders vom Grafen mit den Waffen ertrotzen würde; aber diese Aufregung legte sich nach und nach. Nur der neue Schwabenherzog behielt seine drohende Haltung bei und machte Miene, als wenn er seinen ermordeten Bruder um jeden Preis rächen wollte. Aber auch da zeigte es sich bald, daß ihm beim Regierungsantritt ein Krieg nicht gelegen kam, und daß er dem Mörder nicht gar so ernsthaft zürnte, der ihm wider alles Erwarten den ersten Platz im Lande verschafft; denn als sich Herzog Leopold von Oesterreich plötzlich in den Streit gemischt hatte, wurde Alles friedlich geschlichtet.

Nach den Anschauungen jener eisernen, blutigen Epoche lautete das gegen Ritter von Wolfegg gesprochene Urtheil nicht besonders hart. Er sollte nur hundert Meilen fern vom Schwabenlande bleiben und es nie mehr betreten.

Ungern, ja, mit schwerem Herzen sah der Graf von Werdenberg den Mann scheiden, der durch eine außerordentliche That die gefürchtete Kriegsgefahr von ihm so unverhofft abgewandt hatte, und that Alles, was unter den Umständen zu thun war, indem er ihn mit dem besten Kriegszeuge, den edelsten Rossen und mehreren Reisigen ausrüstete.

Als Ritter Wolfegg seine abenteuerliche Fahrt antrat, nahm er auch seinen vierzehnjährigen Neffen Arbogast mit, der mit ihm nach Werdenberg gekommen war, und langte nach langen Wanderungen, nicht ohne Gefahren aller Art, durch die Schweiz, Italien und das südliche Frankreich, endlich in Portugal an.

Es war dies ein neues Reich, das dadurch entstanden war, daß König Alfons VI. von Castilien und Leon dem Grafen Heinrich von Burgund, der mit tapferen Kriegern nach Castilien gekommen war und im Kampfe mit den Mauren ausgezeichnete Dienste geleistet hatte, seine Tochter zur Gemahlin und das zwischen Minho und Duero gelegene Land zum Lehen gegeben hatte. Von dem Hafen Oporto erhielt es den Namen Portugal. Heinrichs Sohn Alfons I. hatte darauf mit Hilfe der Kreuzfahrer, denen sich viele Engländer anschlossen, die Stadt Lissabon erobert, die bisher den Mauren gehörte.

Damals, nicht lange nach dem ersten Kreuzzuge, in welchem Gottfried von Bouillon Jerusalem erobert hatte, galt es auch für eine Art von heiligem Krieg, die pyrenäische Halbinsel von den Ungläubigen zu säubern. Der größte Theil des Landes zwischen dem atlantischen und dem Mittelmeere befand sich ja noch immer unter maurischer Herrschaft. Portugal war der Tummelplatz unzähliger kriegslustiger Abenteurer und fahrender Ritter aller Nationen. Natürlich gab es auch viele Deutsche darunter, die den Ritter von Wolfegg kannten und auf seinen berühmten Kriegernamen die öffentliche Aufmerksamkeit lenkten, sodaß der König seine Dienste mit Begierde annahm, ihm ein Commando gab und ihn sogar zum Truchseß ernannte.

Auch für seinen jugendlichen Neffen wurde gesorgt, indem man ihn bei der königlichen Familie als Pagen anstellte.

Arbogast war ein wunderschöner, bereits zum Jüngling heranreifender Knabe, dem blondes Haar bis auf den Rücken hernieder wallte. Er war für sein Alter sehr groß; sein ganzer Gliederbau versprach sich zu der stattlichen Höhe, die sein Oheim hatte, zu entwickeln. Sein Gesicht, ganz Milch und Blut, hatte den Ausdruck eines mit der lieblichsten Milde gepaarten Ernstes, und die seelenvollen blauen Augen verriethen ein Wesen voll argloser Unschuld, das betrogen werden, aber nicht selbst betrügen kann. Er war auch bald ein Liebling des ganzen Hofes geworden.

Der König hatte ein Töchterchen, Dona Diafanta mit Namen, nur ein wenig jünger als der Page, von einem früh entwickelten feurigen Geiste und einer seltenen Schönheit, die sich jeden Tag zu vervollkommnen schien. Sie hatte eine besondere Vorliebe für Arbogast und behandelte ihn mit einer Vertraulichkeit, wie sie zwischen Bruder und Schwester besteht. Wenn die Prinzessin in der Morgenfrühe ihr Roß besteigen sollte, stand Arbogast da, mit der Federzier auf der Kappe, die Armbrust auf dem Rücken, den Falken auf der Faust. Er half ihr den Fuß in den Steigbügel setzen und folgte ihr, voran im Kreise der Stallmeister und Jäger, oft zur Seite.

Einmal, nur kurze Zeit nach dem Diensteintritte des Pagen, sagte die Prinzessin Diafanta: »Arbogast, wir wollen Dich im Wälschen unterrichten. Oder, ich weiß noch etwas Besseres als Kurzweil: Du lehrst uns Deutsch, – wir wollen Dich Wälsch lehren.«

»Wie gern, gnädige Fürstin,« sagte Arbogast. »Doch ich kann in Allem nur Euer Gnaden Schüler, nicht Euer Lehrer sein. Ich bin ein armer Diener. Euer Gnaden etwas thun oder sagen heißen, wäre gegen die schuldige Ehrerbietung.«

»Wer hätte etwas dagegen einzuwenden,« erwiderte die Prinzessin, »wenn ich mich daran erfreute?«

So gingen die Reden hin und her, und der Reden Ende war, daß die Beiden viel unter den Bäumen des Gartens zusammensaßen und Arbogast den Lehrer machte. Er ließ sich das Studium der Landessprache so angelegen sein, daß er jede freie Stunde bei Tag und Nacht nutzte, sich ihrer Meister zu machen. Er brachte es auch in der That in unglaublich kurzer Zeit so weit, daß er sich im gewöhnlichen Umgange leicht und fließend ausdrücken konnte. Die Prinzessin dagegen hielt nicht gleichen Schritt im Deutschen; denn sobald Arbogast eine gewisse Stufe der Fertigkeit erreicht hatte, redete sie nur in der Muttersprache zu ihm, da ihr diese mehr vom Herzen ging.

Einmal hatte es Feste am Hofe gegeben, Fremde waren da, es war sehr lebendig im Schlosse, aber Dona Diafanta war wenig zu sehen. Arbogast schlich in den Garten; finster, die Arme übereinander geschlagen, saß er auf einer Bank und starrte vor sich hin.

»O warum,« sagte er zu sich, »ist mir diese Liebe in's Herz gegeben! Wer bin ich, daß ich an sie zu denken wage! Wie lange wird es noch dauern, und einer dieser hohen Gäste führt Diafanta als Braut heim! Doch diesen Tag will ich nimmermehr erleben! ...«

Er vernahm Schritte und blickte auf. Dona Diafanta stand vor ihm. Er fuhr zusammen, es war ihm, als müßte sie seine geheimsten Gedanken ihm vom Gesicht lesen können.

Damit eilte sie fort, ohne ein Wort des Dankes und hatte doch sehen müssen, daß Arbogast's Hände blutig von den Dornen gestochen waren. In größter Bewegung schwankte der Jüngling davon. Abends war Bankett und Fest, Arbogast, der dabei keinen Dienst hatte, spähte nach den Fenstern, bekam aber die Prinzessin nicht mehr zu sehen.

Erst nach mehreren Tagen sah er sie wieder, ihm war, als ob ihre Augen ihn wieder traulich anblickten. Des Vorfalls mit den Rosen ward nimmer gedacht.

Einige Jahre waren vergangen, während welchen Arbogast erst als Page am Hofe diente und zuletzt eine Ehrenstelle bei dem königlichen Jagd-Personale, zu der ihn seine adelige Geburt ohnehin befähigte, inne hatte. Diese Dienstveränderung hatte ihn des häufigen Verkehrs mit der Prinzessin nicht beraubt, eher die Gelegenheiten, ihr näher zu treten, vermehrt, da dieselbe eine leidenschaftliche Jägerin geworden war.

Dona Diafanta war inzwischen zu einer voll entwickelten Jungfrau herangewachsen, und es war keine Schmeichelei, wenn man sie allerorten das schönste Mädchen von Portugal nannte. Ohne ihren Rang jemals zu vergessen, war sie Arbogast gegenüber die gütige Herrin und zugleich die ehemalige Jugendgespielin geblieben.

Arbogast fühlte seine bevorzugte Stellung wohl, aber fern von jeder Selbstüberhebung war er immer der bescheidene und ehrerbietige Diener geblieben. Auch er war ein vollendet schöner Jüngling geworden, bei dem eine edle Männlichkeit sehr frühe hervorgetreten war. Kein Wunder, daß die Frauen des Südens für ihn schwärmten, ja, ihn nicht selten mit brennenden Liebesaugen anblickten. Auch unter den Schloßfrauen am Hofe hatte es mehr als eine verführerische Sirene gegeben, die ihn an sich locken und besitzen wollte; aber für Arbogast schienen diese Versuchungen keine Versuchungen zu sein. Ruhig und ohne jeden Kampf wußte er allen ihm gelegten Fallstricken auszuweichen.

Eines Abends war Arbogast nach den Strapazen einer Jagd spät in sein Schlafgemach gekommen. Er hatte den Tag über viel mit der Prinzessin ganz allein verkehrt und war der Gefahr, von einem angeschossenen Hirsch getödtet zu werden, wunderbar entgangen.

Er warf sich auf einen Stuhl und seufzte laut: »Ich bin der unglücklichste Mensch!«

Er verstummte wieder, schlug die Hände zusammen und saß mit tiefgesenktem Kopfe traurig da. Nach einiger Zeit sagte er zu sich: »Das geht nicht mit rechten Dingen zu! Es giebt Zauber, die einem alle Krankheiten anhängen, – das ist ausgemachte Sache. Warum sollte man Einem nicht das Blut mit Liebe, und gar mit einer so ganz tollen Liebe, wie die meinige, vergiften können? Wer hat mir das angethan? Wenn die Prinzessin von den frevlen Gefühlen, die mich durchtoben, nur eine Ahnung hätte, so würde sie mich auf das Schimpflichste davonjagen! O, daß mich heute der Hirsch auf seine Geweihe genommen und hoch in die Lüfte geschleudert hätte! Ich hätte Ruhe. Wie glücklich könnte ich sein, wenn ich die Prinzessin niemals gesehen! Lange, lange konnte ich Alles, was in mir vorgeht, verheimlichen, – jetzt aber muß ich fürchten, ich verrathe mich! Heute auf der Jagd, – wie gern wäre ich, wenn ich allein mit ihr im Gebüsche lauerte und sie mich mit freundlich herablassenden Worten, wie einen ihres Gleichen lächelnd anredete, zu Boden gesunken, ihr den Staub von den Schuhen wegzuküssen! Ich kann diese Qualen nicht länger ertragen. Es ist jetzt nicht mehr Liebe, sondern Wahnsinn, und ich kann nicht mehr für das gutstehen, was ich thue oder ihr sage! Ich sollte sie nicht mehr schauen, sollte weit, weit von ihr fort sein. Einst war mir dieser Gedanke wie der Tod; jetzt betrachte ich ihn als das einzige Mittel meiner Heilung! Ich muß fort! Und ich Thor wünsche mir da, auf der Jagd von einem Hirsche aufs Geweih genommen zu werden? Ist es nicht nützlicher, besser, ehrenvoller und meiner tapfern Vorfahren würdiger, im Kampfe mit den Heiden den Tod zu finden? Ermanne Dich Arbogast! Fort, fort von hier, dorthin, wo mich ihre schönen Augen nicht mehr peinigen.«

Gesagt, gethan.

Er sandte noch in der nämlichen Nacht ganz im Geheimen einen Boten an seinen Oheim, Ritter von Wolfegg, mit der Bitte, sich unverzüglich bei dem Könige für ihn zu verwenden, daß ihn dieser in seine Kriegsdienste aufnehme.


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