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Achtes Kapitel

Dona Diafanta

Dem Grafen Albrecht war die Kunde von seiner Ankunft in Lissabon vorangeeilt. Er war auf das freudigste überrascht und fühlte sich hochgeehrt, als er von königlichen Abgesandten am Stadtthore willkommen geheißen wurde und dann erfuhr, daß der König ihm und seinen Leuten Quartier und Bewirthung anbiete und auf das Sehnlichste wünsche, ihn in seinem Palaste feierlich zu empfangen, sobald er sich von den Strapazen der Reise erholt haben würde. Graf Albrecht säumte nicht lange, dem Wunsche des Königs zu entsprechen. Eine große Volksmenge war zusammengeströmt, als er an einem dazu bestimmten Tage seinen feierlichen Einzug in den Palast hielt.

Auf einem prächtigen, weißen Hengste, einen glänzenden Ringelpanzer über einem herrlichen Waffenhemde am Leibe, einen vergoldeten Flügelhelm auf dem Haupte, das gezückte Schwert in der Hand, ritt der Graf mit seinen Mannen, die in ihren blankgeputzten schönen Rüstungen nicht minder anziehend aussahen, durch die Straßen langsamen Schrittes, während das Volk bei dem Anblick der auserlesenen Kriegerschaar, die aus lauter echt deutschen Reckengestalten bestand, seiner Freude und Bewunderung mit endlosen Rufen Luft machte.

Der Empfang im Palaste war der glänzendste. Der König umarmte und küßte seinen edlen Gast und versprach ihm, so weit seine Macht reichte, alle Wünsche und Anliegen, die er vorzubringen hätte, zu erfüllen.

Schon an einem der nächsten Tage wurde dem Grafen zu Ehren in dem Garten des Palastes ein großes Gastmahl gegeben, das unter einem prachtvollen, eigens dazu hergerichteten Zelte abgehalten wurde. Graf Albrecht saß dem Könige zur Rechten, von den höchsten Reichswürdenträgern umgeben, des Königs Tochter. Dona Diafanta, ihm in einiger Entfernung gegenüber.

Graf Albrecht, dem das Essen und der Wein trefflich mundeten, führte, auf's Beste aufgeräumt, fast immer das Wort, indem er aus dem reichen Schatze seiner Erlebnisse bald eine ernste bald eine lustige Geschichte erzählte und auf das nimmergestillte Verlangen seiner gefesselten Zuhörer hin immer weiter fortfahren mußte. Wie sehr er aber auch bei der Sache war, seinen Blicken entgingen nicht die vielen schönen Damen an der Tafel, am allerwenigsten die Prinzessin, die auf ihn den Eindruck des schönsten Weibes machte, das er je im Leben zu Gesicht bekommen. Und als die Prinzessin, die erst schüchtern und wie verstohlen zugehört hatte, seinen Erzählungen immer offener Aufmerksamkeit schenkte, fühlte auch er sich ermuthigt, sie öfter anzusehen, und ihm war endlich, wie wenn ihre ausdrucksvollen, feurig schwarzen Augen wie aus geheimen Schlupfwinkeln seinen Blicken zuweilen entgegenführen. Da fühlte er plötzlich seine Brust so süß bewegt, seinen Athem stocken, und er hatte Mühe, die Zerstreutheit, die ihn überfiel, vor seinen Zuhörern zu verbergen.

Als die Tafel aufgehoben war und die Gesellschaft sich in den weiten, schattigen Räumen des königlichen Gartens zu zerstreuen anfing, führte der König den Grafen zu seiner Tochter und ließ Beide nach einer kurzen und schmeichelhaften Vorstellung allein.

»Wie beneide ich Euch und alle Männer!« sagte Dona Diafanta. »Von welcher Reiselust bin ich verzehrt, und ach, wie sehr wünsche ich Gottes wunderbare Welt mit eigenen Augen zu sehen! Ich höre Geschichten aus fremden Ländern ausnehmend gern und lasse oft die Schiffer, die aus entlegenen Weltgegenden kommen, zu mir rufen und mir von ihnen erzählen.«

»Viel Wunderbares habe ich gesehen,« erwiderte der Graf, von der Nähe der Prinzessin und ihren schönen Augen, in deren ganze Tiefe er hineinblicken konnte, wie berauscht. »Aber das Allerwunderbarste, was ich auf meinen langen Fahrten gefunden, – das seid Ihr selbst!«

Dona Diafanta antwortete mit mildem Ernst, doch nicht ohne Vorwurf: »Ich hätte Euch für ernsthafter gehalten, Eurer Miene und Eurem Aussehen nach.«

»Verzeihung,« rief der Graf, höchst betroffen und verwirrt, »wenn ich gegen die schuldige Ehrerbietung verstoßen habe! Ich wäre aber an dem Worte erstickt, wenn ich es nicht ausgesprochen hätte!«

Um den Mund der Prinzessin spielte ein seltsames, vieldeutiges Lächeln. »Erzählt mir etwas von Eurer Heimath,« sagte sie ruhig, »so macht Ihr Alles wieder gut. Ihr müßt doch den Ritter Walther von Wolfegg wohl gekannt haben?«

»In den vielen Kämpfen,« gab der Graf zur Antwort, »die mein nun in Gott ruhender Vater mit dem Schwabenherzog geführt, bin ich dem Ritter oft auf dem Schlachtfelde gegenübergestanden und habe ihn auch auf unserem Schlosse als Friedens-Unterhändler gesehen. Dann, nach der Verübung seiner allzuraschen, blutigen That lebte er einige Zeit bei uns; mein Vater ließ ihn ungern fortziehen, und nach Allem, was ich höre, hat Portugal nicht zu bereuen, daß er geächtet worden ist.«

»Da müßt Ihr wohl auch seinen Neffen Arbogast kennen?« rief die Prinzessin rasch.

»Arbogast?« erwiderte der Graf. »Ich kenne den Namen nicht. Euer Gnaden werden wohl den dreizehn- oder vierzehnjährigen Jungen meinen, der den Ritter von Wolfegg damals begleitete?«

»Ganz richtig!« warf die Prinzessin hin.

»Ich entsinne mich seiner,« sprach der Graf, »und ich entsinne mich seiner nicht. Ich würde ihn nicht erkennen, wenn er hier vor mir stünde. Ich weiß, daß sein Haar bis an die Schultern herabhing, – aber das ist auch Alles. Was ist aus ihm geworden?«

»Das kann nur der Himmel sagen,« erwiderte Dona Diafanta. »Er ist vor drei Jahren in die Gefangenschaft der Heiden gerathen.«

»Das ist härter, als der Tod,« bemerkte Graf Albrecht.

»Und nun sagt mir, edler Graf,« sprach die Prinzessin, »wie lange Ihr hier im Lande zu verweilen gedenkt?«

»Bis jetzt giebt es Nichts, was mich hinwegdrängt und an die Weiterreise denken läßt,« gab der Graf zur Antwort, »sondern alle Umstände vereinigen sich, mich hier zu fesseln. Ich weiß die Gnaden und Ehren, die ich an diesem Hofe erfahre, zu schätzen und fühle, mag ich aufbrechen wann immer, ob früher, ob später, daß ich nur mit sehr schwerem Herzen von dannen ziehen werde.«

Da kam der König mit einem großen Gefolge seiner Gäste und Hofleute heran. Graf Albrecht benutzte den Augenblick, sich fast unbemerkt fortzustehlen und eine einsame Stelle des Gartens auszusuchen, gleich wie der verwundete Löwe in ein Dickicht schleicht. Er hatte nöthig, zum Bewußtsein zu kommen und sich über seine Gefühle Rechenschaft abzulegen, welche ihn wie ein reißender Strom mit sich davontrugen.

Eine mächtige Leidenschaft hatte ihn ergriffen, wie sie ihm noch keine der Damen, die er im Leben gesehen, auch nur annähernd stark eingeflößt, sei es, daß die Prinzessin seinem Geschmacke mehr zusagte, sei es, daß das Kühne und Vermessene, eine Königstochter zu lieben, seinen romantischen Sinn ganz besonders reizte.

Seit dieser Stunde war er wie verwandelt; alle seine Gewohnheiten hatten sich verändert: ein Hang zum Nachdenken, zur Selbstbeschauung war an die Stelle seiner frischen, unermüdlichen Thatenlust getreten. Er sah die Prinzessin von Zeit zu Zeit, bald in Gesellschaft mit Anderen, bald allein. Seit der ersten Begegnung war sie immer dieselbe, voll freundlicher Güte, die seine Hoffnung anfachte, und voll Zurückhaltung, die ihn gleich wieder einschüchterte.

So waren mehrere Wochen verstrichen, ohne daß er dem erträumten Glücke eine Spanne weit näher gerückt wäre. Eines Tages machte er, von Thomas gefolgt, einen Spaziergang auf einer der Höhen, an welche sich Lissabon lehnt. Der treue Diener, der die Veränderung an dem Grafen längst bemerkt hatte, ohne jedoch eine Ahnung zu haben, was die Ursache war, ging langsam hinter ihm her, von dem immermehr überhandnehmenden Schweigen und Brüten seines sonst so lebhaften Herrn beängstigt.

Als sie in sengender Sonnengluth ziemlich hoch hinauf gekommen waren, lagerte sich der Graf auf dem spärlichen, halb verdorrten Rasen, der im Schatten einiger mächtigen Olivenbäume ein kurzes Leben gefristet hatte, und hieß Thomas dasselbe thun.

Lange Zeit fiel kein Wort.

»Thomas, Thomas!« sagte auf einmal der Graf, sich aufraffend. »Du hast mir ein Opfer gebracht, als Du Dein hübsches Bräutchen meinetwegen verließest. Ich habe Dir gleich meine Erkenntlichkeit dafür ausgedrückt; aber damals habe ich noch nicht gewußt, welchen Muth und welche Selbstüberwindung es gekostet haben muß, eine zu verlassen, die uns liebt, da es ja schon so schwer, so ungeheuer schwer und fast unmöglich ist, eine zu verlassen, von der man gar nicht wieder geliebt wird!«

»Das war freilich ein hartes Stück Arbeit, von Schloß Werdenberg fortzugehn,« erwiderte Thomas in seiner schlichten Weise, »aber eine Arbeit, mit der man niemals fertig wird, – denn ich muß immer und immer wieder der Heimath gedenken.«

»Hast Du also Heimweh?« fragte der Graf.

»Mehr und weniger,« versetzte Thomas, Muth schöpfend, »je nach dem Orte, an dem wir weilen. Hier aber hört es gar nicht auf. Was soll einem hier gefallen? Auf diesen nackten, dürren Felsen, wo kaum ein Baum Wurzeln fassen kann, mit einer Handvoll Erde bedeckt, wo die Pflugschar gleich stumpf würde! In einer Sonne, die einem den letzten Schweißtropfen auspreßt! Wie sollte ich mich da nicht nach meinem theuren Rheinthale zurücksehnen, nach unseren schattigen Wäldern, nach unseren ewig grünen Alpenmatten?«

»Und nach der schönen Brigitte!« fügte der Graf lächelnd hinzu. »Doch Du hast in einer Art Recht. Wir haben uns jetzt hier lange genug müßig herumgetrieben. Wir wollen hier nicht verrosten und verfaulen, – mein Entschluß steht fest, felsenfest!«

Er erhob sich lebhaft; der Ausdruck des Kummers, der so lange auf seinem Gesichte gelegen, war wie weggeblasen. Thomas war auf das Freudigste überrascht und stand ebenfalls auf.

»Wir haben noch einen weiten Weg vor uns,« fuhr der Graf fort, »doch wenn uns Gottes gnädiger Schutz nicht ferner fehlt, so werden wir noch vor Ablauf dieses Jahres unser liebes Rheinthal wieder sehen und den heiligen Weihnachtsabend auf dem Schlosse Werdenberg feiern.«

Thomas jubelte laut auf.

»Da wirst Du Deiner Brigitte viel zu erzählen haben,« sprach der Graf, »und doch steht Alles, was wir bisher gesehen, den Merkwürdigkeiten weit nach, die uns jetzt erwarten. Das schönste, wunderbarste Stück der Reise liegt vor uns. Wir werden das herrliche Mittelmeer befahren, an den Küsten von Frankreich und Italien vorüberstreichen, die griechischen Inseln und zuletzt das heilige Grab unseres Erlösers in Jerusalem besuchen. Ich will gleich in den Hafen hinabsteigen und ein tüchtiges und bequemes Schiff miethen oder kaufen.«

Sie traten den Rückweg an. Thomas schritt kleinlaut hinter seinem Herrn dahin. Er wäre von den Reiseaussichten entzückt gewesen, wenn er über das Mittelmeer auf seinem Pferde hätte dahinreiten können. Der unbekannte, geheimnißvolle Ocean flößte ihm ein schreckliches Bangen ein. Aber er fürchtete sich nicht so sehr vor Schiffbrüchen und Seeräubern, als vor den grausigen See-Unholden und den Gespenster-Schiffen.


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