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Fünftes Capitel

Der Rath des Mönchs

Wie die Freude über die Siege in ganz Portugal allgemein war, so war es auch die Trauer um den tapferen, verdienten Anführer. Der König hatte die Absicht, dem geschiedenen Helden ein feierliches Leichenbegängnis zu veranstalten, und beauftragte Arbogast, den Leichnam nach Lissabon zu bringen, wo sich jetzt der Hof aufhielt.

Arbogast war seit dem Tode seines Oheims ein anderer Mensch geworden. Sein ganzes Aussehen war wie verwandelt, sein ganzes inneres Wesen verstört. Mit Mühe war er zum Sprechen zu bringen; er aß und trank kaum so viel, um das Leben zu fristen. Tiefsinnig begleitete er den Wagen, welcher die irdischen Ueberreste seines Oheims enthielt, alle Ansprache des kleinen Häufleins, das den Zug bildete, ängstlich vermeidend. Unter den Mönchen, welche, Gebete hersagend, dem Sarge folgten, befand sich ein alter, gar ehrwürdig aussehender Mann, der Arbogast bei jeder Gelegenheit die aufrichtigste Theilnahme bezeugte. Er war der Einzige, mit welchem dieser zu Zeiten ein wenig sprach und zuweilen, wie es schien, noch mehr sprechen wollte, ohne dazu den Muth zu finden.

Der Zug hatte das Gebirge überschritten und war nur noch eine kleine Tagereise von Lissabon entfernt. Arbogast stieg vom Pferde und ging eine Zeit lang zu Fuße, wie er es oftmals gethan. Da näherte sich ihm jener eisgraue Mönch und sagte: »Möge Dich Gott stärken und in seine besondere Obhut nehmen! Tiefer kann man nicht um seinen eigenen Vater trauern.«

»Er war wie mein Vater,« erwiderte Arbogast. »Ihm verdanke ich Alles. Ohne ihn wäre ich im Schwabenlande verdorben. Ich trage das allergrößte Leid, – aber nicht dieses Leid allein!«

»Was sonst kann Dein Herz beschweren?« versetzte der Mönch. »Du hast so außerordentliche Kriegsthaten vollbracht, daß der König für Dich sorgen würde, auch wenn er nicht aus Rücksicht auf Deinen Oheim dazu verpflichtet wäre.«

»O, frommer Bruder, daran denke ich nicht,« sagte Arbogast mit einem tiefen Seufzer.

»Sprich, sprich!« drang der Mönch in ihn. »Schweigen erdrückt, das offene Geständniß erleichtert die Seele. Ist es nicht mein heiliges Amt, Leidtragende zu trösten, die Irrenden auf den rechten Weg zu bringen und den Verzweifelnden den Himmel zu öffnen?«

»Seit ich Dich zum ersten Male erblickt,« erwiderte Arbogast, »habe ich schon das größte Vertrauen zu Dir gefaßt. Es hat sich inzwischen erhöht, nicht vermindert. Längst hätte ich Dir mein Herz geöffnet; aber ich weiß selbst nicht, warum sich mein Mund nicht öffnen will.«

»Ich sehe, wie es um Dich steht,« sprach der greise Mönch. »Ein ungeheures Herzeleid macht stumm, ueberdies bist Du noch ein junges Blut und brauchst den Rath der Alten. Schweige nicht länger! Ich will Dir rathen, Dir helfen und, was Du mir auch anvertrauest, getreulich in meine Brust verschließen.«

Da sagte Arbogast nach einem sichtlichen Kampf mit sich selbst: »Der Tod meines Oheims ist ein Schlag, stark genug, mich zu beugen; allein das ist nicht Alles, was meine Seele krank macht und mir alle Lust am Leben raubt. Hast Du vielleicht gehört, warum mein Oheim aus dem Schwabenlande entfloh?«

»Ich weiß es,« versetzte der Mönch, »Es ist ruchbar geworden weit und breit. O, sei unbesorgt um sein Seelenheil! Er hat seine Schuld mit einem Strom von Heidenblut ausgiebig getilgt, und ihm wird der Himmel nicht verschlossen sein.«

»Bedenke,« sprach Arbogast bedeutsam, »daß ihn der Steinblock am Jahrestage seiner Blutschuld getroffen hat!«

»Was Du sagst, was Du sagst!« rief der Mönch erstaunt aus.

»An dem Jahrestage,« fuhr Arbogast fort. »Glaubst Du nicht, daß somit Gottes Hand selber ihn zu Boden gestreckt hat?«

»Da ist nicht leicht die rechte Antwort zu finden,« versetzte der Mönch. »Doch wie dem sei, grüble nicht weiter darüber! Was Gott thut, das ist wohlgethan.«

»Wenn Du mich auch über sein Seelenheil beruhigst,« sprach Arbogast, »so ist das nicht Alles! Ich fürchte nämlich auch für mich. Ich bin der Letzte seines Stammes, und die heilige Schrift sagt, daß schwere Thaten bis in's vierte Glied gerächt werden, Kannst Du Dich da wundern, daß ich meiner Zukunft mißtraue und so traurig bin?«

»Auch darüber darfst Du nicht grübeln, junger Mensch,« gab der Mönch zur Antwort. »Gott verhängt oft über die Gerechtesten die grausamsten Prüfungen und läßt die Ruchlosen im Taumel des Glückes und der Freuden fortwandeln bis an die Pforten der Hölle! Sei fromm und brav, und denke, das Erbarmen des Herrn ist groß.«

»Ich will Deinem Rathe folgen,« erwiderte Arbogast, »aber dies ist noch immer nicht Alles, worüber ich von Dir belehrt sein möchte. Was hältst Du von Zauberei und Hexenkunst?«

»Gott im Himmel!« rief der Mönch ganz entsetzt, »ich will nicht annehmen, daß Du Dich mit solchen unsauberen, verdammenswerthen Dingen befaßt und befleckt hast?«

»Ich treibe keine Zauberei,« gab Arbogast zur Antwort. »Ich fürchte nur, daß ich ein Opfer derselben bin. Hast Du ein solches Teufelswerk schon selbst gesehen?«

»Ich war erst unlängst dabei,« sprach der Mönch sehr ernsthaft, »als eine Hexe, die einen ganzen Landstrich mit Hagel verwüstet hatte, von den wüthenden Landleuten erschlagen worden ist. Ich habe eine Hexe verbrennen sehen, die einem ganz ehrbaren Manne eine unnatürliche Neigung zu seiner eigenen Tochter eingeflößt hatte –«

»Das wollte ich wissen!« rief Arbogast, ganz betroffen.

»Liebe und Haß lassen sich allerdings durch höllische Mittel erzeugen,« bekräftigte der Mönch, »und ich weiß nicht, was von beiden das schlimmere ist!«

»Wenn ich so wenig liebte, als ich hasse,« fiel ihm Arbogast in's Wort, »so wäre mir die schrecklichste Herzensqual ganz unbekannt. Ich liebe und weiß, daß es unheilbringend und voll Gefahren; ich weiß, daß es vergeblich und für alle Zeit hoffnungslos ist. Dennoch aber liebe ich fort und fort. Und diese tolle Leidenschaft läßt mich nirgend los, nicht im Gewühle der Schlacht, ja nicht einmal hinter diesem Sarge! Auch da durchbricht sie meine Trauer und spielt mir schmeichlerisch ein Glück vor, das unerreichbar, unerfüllbar ist. Sprecht, frommer, weiser Mann, wer kann mich, und wie kann man mich von diesem Seelenübel befreien?«

»Durch die Gnadenmittel der Kirche,« erwiderte der Mönch, »kannst Du geheilt werden. Bete, faste, unternimm eine lange Pilgerfahrt nach einem wunderthätigen Orte und meide die, die Du liebst, wie die Sünde. Trachte, sie nie zu sehen, ihr nie zu begegnen; denn Du kannst nimmer genesen, so lange Du sie vor den Augen hast.«

»Das will ich thun,« erwiderte Arbogast. »Das gelobe ich feierlich! Ich will ihr ausweichen, will vor ihr fliehen, – das schwöre ich bei allen Heiligen.«

Hier endete das Gespräch. Arbogast bestieg sein Pferd wieder und kam mit dem Trauerzuge in später Nacht in Lissabon an, wo der Sarg in aller Stille von der Domgeistlichkeit in Empfang genommen und einstweilen in einer Seitencapelle beigesetzt wurde.

Der Katafalk war bereits im Dome aufgerichtet, und das Begräbniß sollte mit allem Pomp und der größten Feierlichkeit vor sich gehen. Das war des Königs Wille.


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