Johannes Richard zur Megede
Trianon
Johannes Richard zur Megede

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Zwölftes Kapitel

Am nächsten Vormittag fuhren wir nach der Bahn. Die liebenswürdige Baronesse begleitete uns. Mit den letzten welken Blättern gingen wir auch. Es war ein beinahe kindisches Wehegefühl, als es nun zum 188 letztenmal die hochherrschaftliche Chaussee entlang ging mit ihren graugrünen Wegweisern und ihrer entthronten Waldherrlichkeit. Wie alt doch die Welt ist und wie arm! Und die Sonne lächelt, die gelbe Herbstsonne.

Auf der Station verabschiedete sich die liebenswürdige Baronesse sehr schnell, aber sehr herzlich von uns. Es war nur Zartgefühl. Ihr habe ich sicher unrecht gethan, denn sie blieb bis zum letzten Abschiedsgruß treu. – Wir waren allein, zum erstenmal wieder allein, und wußten uns nichts zu sagen. Wir kauften unsre Billets, ich nach rechts, sie nach links. Es war so ein nüchtern harter Ton, wie sie der Schalterbeamte stempelte! Drittes Klassenpublikum umstand uns. Da hat sie mich noch einmal umarmt und geküßt. Ihr waren die Augen feucht, die schönen dunklen Augen, und sie konnte nichts herauspressen als ein gehauchtes:»M'ami, m'ami!« Der Zug rollte heran. Ich reichte ihr den Juwelenkoffer ins Coupé. Es war nur eine Minute Aufenthalt. Aber als ich die Coupéthür schloß, durchpulste mich noch einmal ein leidenschaftlich wehes Verlangen. Ich warf ihr einen Blick zu, einen bittenden, flehenden Blick: ›Bleib doch, bleib! Ich bin ja so allein.‹ Und sie schüttelte nur matt das Haupt, das geliebte Haupt. Sie winkte auch keinen Abschied mehr. Es war ja alles vorbei.

Sie hatte recht in allem.

*

Nun sind glücklich wieder drei Jahre vorbei: die Zeit eilt, die Zeit heilt. Man wird nicht klüger, man wird nur älter. Ich bin wieder in Europa und auf dem Wege zu dir . . . Wenn mir früher jemand gesagt hätte, daß ich doch noch in den auswärtigen Dienst treten würde, für den ich eigentlich gar nicht passe! Geld ist auch wieder gekommen, viel Geld. Die Grafen Ramingshoven hatten es verdammt 189 eilig mit dem Aussterben. Und ich soll in der Zwischenzeit ein guter Diplomat geworden sein, ein scharfer und kühler Beobachter. Wer lacht da?

Ich muß in einer dringenden Angelegenheit nach Deutschland und eile mich sehr.

Aber wie klein die Welt doch ist, wie der Zufall spielt!

In Sanpierdarena, wo ich eine halbe Stunde Aufenthalt hatte, traf ich den einstigen Attaché aus Bukarest, den Herzbrecher, meinen Freund vom Spieltisch. Er erkannte mich sofort, obgleich ich ihn schnitt, und stellte mich auch seiner Frau vor. Sie haben Kinder und scheinen sehr glücklich. Wenn die Leute ahnten!

In München auf dem Zentralbahnhof sah ich sie, mein Schicksal, meine erste Liebe. Sie stand am Coupéfenster und erkannte mich nicht. – Wenn die Frau ahnte! – Sie hat sich übrigens gar nicht verändert, das Bild in meinem Herzen war auch nicht retouchiert. Sie lächelte jemand im Coupé, den ich nicht sehen konnte, freundlich zu, so freundlich und so gut wie stets. Ich hätte eigentlich gemeint, wir beide müßten immer und überall im Leben uns wiedererkennen, und wenn wir tausend Jahre alt würden – von mir wenigstens bin ich's gewiß. Und es war doch gut so. Wozu sich erkennen, ein paar höfliche Worte wechseln: ›Wie geht's Ihnen? – Ach, wie nett, daß man sich doch mal wiedersieht!‹ . . .? In glatter Alltäglichkeit enden, was einst bis zu den Sternen reichte – nein. Aber ich habe mir andre Vorwürfe gemacht. Wie ungerecht war ich doch stets! Warum jemand so hoch erheben erst und dann so tief stürzen? Die Motive würde sie nie begreifen wollen. Sie war sicher so gut und so anständig wie nur je eine Frau, und sie war mitleidig wie wenige. Sie sah einen Dürstenden und bot ihm aus dem besten Herzen 190 heraus den Labetrunk. Dafür erntete sie nur schwarzen Undank . . . Sie hat sich wohl längst wieder gefunden! – Und doch, wenn man denkt, eine Frau, der man alle Blumen närrisch auf den Weg streute, alle, und die doch nur den Saum ihres Kleides hob, um sich auf diesem Rosenpfade nicht zu beschmutzen, – und die Frau erkennt einen nicht mehr! . . . Vielleicht wollte sie auch nicht, weil ich einst ihre Freundschaft verschmäht habe. Ich konnte nicht anders. Die Frauen, die man schließlich haßt, die hat man doch am meisten geliebt . . . Und gerade diese Frauen wollen uns mit der Freundschaft eine goldene Brücke bauen und ahnen nie, daß nach dem Mitleid die Freundschaft das bitterste in der Liebe ist . . . Würden wir etwa den Hund nicht auch tadeln, der nach dem hingehaltenen Stückchen Zucker nicht springt, weil es ihm zu klein ist? – Diese Frau war feinfühlend und gutherzig, und darum wird sie mir wohl nicht mitgeteilt haben, was Abmachung, daß sie nämlich das kleinste Stückchen Zucker für mich jetzt nicht mehr besitzt. Sie hat thatsächlich für mich kein Atom mehr übrig! Vielleicht finde ich schon in Berlin den betreffenden Brief. Ich habe über Schlimmeres hinwegkommen müssen im Leben.

Auch durch die Goldene Aue kam ich. Die grünen Saaten sproßten im Frühlingslicht. Fern in seinen Bergen versteckt lag Trianon. Und habe ich nicht doch am Ende Trianon unrecht gethan – höfliche wohlwollende Menschen karikiert, weil sie mir nicht in den Kram paßten, weil sie anders waren als ich? Selbst Pythia seligen Angedenkens war so übel nicht. Sie that ihre Pflicht, wie ich sie zu thun glaubte. Was kann sie schließlich dafür, daß sie eine Brille trägt, fromm ist und adlige Ueberzeugungen pflegt? Und hat Trianon nicht überhaupt recht? Ich habe jetzt die zwei Etappen hinter mir, über die man zum Durchschnitt hinabsteigt. Und der Durchschnitt ist doch 191 das einzig Wahre, einzig Gewollte im Himmel wie auf Erden. Wer seinen Kopf etwas höher hebt, dem wird er flugs geduckt, so geduckt, daß er das Aufsehen für immer vergißt. Es ist ein großes, ehernes Gesetz, das die Herde und die breite Straße vorschreibt und liebt. Und der Hirt lebt von der Herde, darum streichelt er die guten weißen Schafe, die nie abirren, und züchtigt die widerspenstigen schwarzen Böcke, die immer eigne Wege gehen wollen. Sowohl das Glück wie der Himmel haben eine ausgesprochene Abneigung gegen die eignen Wege der Menschen. – Auf der kleinen Station stieg sogar der Erbherzog zu mir ins Coupé, ein Mann von wirklich vornehm gutherziger Art. Er gab zwei Prinzessinnen das Geleit, die so höflich bescheiden waren wie nur Prinzessinnen von Geblüt. Ich bitte also Trianon alles ab – der Stadt, dem Schloß und der Pension.

Warum hieß diese Pension gerade Trianon? Weder der Geist der allmächtigen Favoritin Ludwigs XV., noch der Geist der armen Marie Antoinette spukte je in diesen Räumen oder zwischen diesen Bergen – überhaupt von Geist keine Spur.

*

Weißt du übrigens, wohin die Fahrt geht? – Ich fahre zu Isas Begräbnis, die nach langem Leiden in einem norddeutschen Sanatorium gestorben ist. Es war ihr letzter Wunsch, den ich mit dieser Fahrt erfülle. Ich sollte wenigstens dabei sein, wenn man ihren Sarg ins Grab senkt.

*

Obgleich ich ohne Unterbrechung gereist bin, kam ich doch einen Tag zu spät. Ich glaube, ich komme überall zu spät! Der Graf selbst führte mich zum Grabe. Alle Blumen, die ihr das Leben versagt, 192 waren auf dem kleinen Hügel jetzt verschwenderisch ausgestreut. Er ist ein alter, vornehmer Herr, der mir an der Gruft die Hand drückte und mit mir betete.

»Giebt's ein Wiedersehen?« fragte er.

»Sie wenigstens hat fest an ein Wiedersehen geglaubt,« antwortete ich.

»Arme Isa.«

»Arme Isa . . .«

Wir sahen uns an. Wir wußten alles, wir beiden alten Menschen. Ich hatte einen Cypressenzweig von einem Kranz gepflückt. Ringsum war's Frühling, grüner, warmer Frühling. Der Himmel blaute, der Lenzwind ging. »Schlaf wohl, Isa – schlaf wohl . . .«

 


 


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