Johannes Richard zur Megede
Trianon
Johannes Richard zur Megede

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Achtes Kapitel

Man spielt mit dem Feuer – man hascht fiebernd nach der Flamme und hat doch heimlich Angst vor der Glut.

Es wird wirklich Herbst. Und durch die Buchenhallen geht ein müdes Säuseln, welke Blätter sinken, und die Sonne lacht, eine milde, alte Sonne. Ich schreibe Stimmungsberichte wie ein Backfisch. Hat seine Gründe. Neulich letzte Reunion. Das Fest an sich war fürchterlich. Und doch waren wir alle mit den größten Hoffnungen zu diesem Abschied gegangen: die noch vorhandenen Baronessen, die männliche Schönheit und jene herzlich liebenswürdige Dame, die damals am Barbarossadenkmal die Ansichtskarten verlor; sie hat ehrlich zu der kleinen Erzieherin damals gehalten, auch in den Zeiten der Ungnade. Freilich kam sie etwas spät, nach dem Isenbergschen Veto. Dafür ist aber auch die Arme allseitig mit Trianon verschwägert und verbast, und die Stellungnahme ward ihr wahrhaftig nicht leicht. Außerdem gingen natürlich noch der Maler und wir zwei »Interessanten« mit.

In der Dämmerung stieg unsre Schar den Schloßberg hinab. Die Stadt war einigermaßen aufgeregt. Ein Zapfenstreich wirbelte. Im strammsten Tritt 119 zogen drei jugendliche Trommler über den Markt. Handwerker traten neugierig vor die Thür, eine kriegerisch gesinnte Philisterpfeife fuhr samt der Quaste aus einem niederen Fenster. Der soldatische Geist, der von jedem scharf geschlagenen Kalbfell aufsteigt, zeichnete die mittelalterliche Straßenzeile bedrohlich finster, das wunderliche Rathaus schaute erstaunt, der dicke Wartturm gegenüber stemmte sich wuchtig wie zur Wehr, und das Kreuz auf der Kirche leuchtete blutig rot. Ich war einen Augenblick versucht, zu kommandieren: Eskadron stillgesessen! wie vor einer Attacke, beruhigte aber mein Kriegergemüt schnell. Die Trommelei war ja Kinderspiel, und in der Konditorei kaufte gerade ein Mädchen für fünfundzwanzig Pfennig Schlagsahne. Aber das winklige Nest präsentierte sich doch heute abend nicht schlecht – mit wunderlichen Dächerumrissen, spärlichen Lichtern bei rasselndem Trommelton in der rot überhauchten Herbstdämmerung.

Wir schritten auch sehr erwartungsvoll durch eine holprig gepflasterte Hoteleinfahrt in einen kleinen Garten, um uns an einem vorbereitenden Sommerfest zu delektieren. Es war ein feierlicher Garten. Eine Reihe bunter Glühlichter zuckte längs der Kegelbahn auf, das Baumlaub schimmerte licht, und die Kinder schrieen: »Ah!« Wir schauten alle voll Stolz. Da erlosch der Schein jäh. An der Hinterfront des Hotels zuckte die gleiche bunte Lichtreihe auf und beleuchtete magisch die Biertische der andern Kleinstädter. Es war sehr aufregend. Bald lag die Kegelbahn licht, bald das Haus, und die Kinder konnten sich gar nicht beruhigen. Am Nachbartisch saß der liebenswürdige Geistliche und sprach mit einem älteren Herrn. Ich hörte immer nur: »Herr Baron, Herr Baron.« Man giebt hier so gern Ehre, wem Ehre gebührt. Und so jagte ein Witz den andern. Es war genau 120 wie im Leben – auf fünf Minuten saß die Tugend in strahlender Helle, und das Laster amüsierte sich im Dunkeln. Aber die nächsten fünf Minuten glänzte dasselbe Licht wohlwollend auch den schwarzen Schafen, und die Tugend trank sündhaftes Bier in der Finsternis. Und zuletzt rief der Maler, von der Feststimmung hingerissen, mit der jeweiligen Kinderpartei: Ah! und übertönte sie alle – bis sich endlich der Tanzsaal oben zu erhellen begann und die Musikanten ihre Instrumente stimmten.

Mit der sinkenden Nacht ist auch die eisige Kühle gekommen, der modrige Herbsthauch, den die Natur ausströmt auf ihrem bunten Siechenbett. Er steigt von den Buchenhöhen eisig hernieder, sinkt über die Stadt, kriecht in die Gärten. Die Herren knöpfen ihre Sommerüberzieher zu, die Damen ziehen den Umhang um fröstelnde Schultern. – Ich friere nicht, mir ist eher heiß. Isa und ich sitzen uns gegenüber, aber fern, sehr fern, jeder mit einem andern, in einem andern gleichgültigen Gespräch. Es war stillschweigende Uebereinkunft für den Tag; es ist keine Empfindelei, kein thörichter Liebesstreit, es ist der letzte Versuch, der letzte Kampf, den wir schon tagelang kämpfen, stumm, verbissen, ob wir uns ganz selbst verlieren oder ganz selbst wiederfinden, je nachdem. Es ist ein schweres, vielleicht ein verzweifeltes Ringen. Warum ringen wir? Ich weiß es nicht. Wir sind eben anders als andre, wir haben auch mehr hinter uns. Und in dem thörichten Bemühen erhitzen sich die Flächen erst recht, werden die Körper siedend heiß, ein stummes Begehren durchrieselt sie. Jedesmal, wenn der bunte Schein wieder über unsern Tisch zuckt, fühle ich, wie zwei dunkle, ernste Augen sich langsam von mir abwenden, und jedesmal, wenn der Schein erblaßt, fühle ich dieselben Augen mich fiebernd suchen. Sie nestelt hastig an den Jackettknöpfen und 121 öffnet sie, als wenn ihr zu heiß wäre, sie knöpft sie langsam einen nach dem andern wieder zu, als fröstele sie. Vom Kopf bis zu den Fingerspitzen rinnt mir in stechender Wärme das Blut, und eine andre Welle rollt nach, ein heimtückisches Kältegefühl, über das ich mir keine Rechenschaft zu geben vermag. Es geht unausgesetzt ein magnetischer Strom zwischen uns, und er ist seltsamerweise stärker, wenn wir im Dunkeln sind: zwei graue, unsichere Schatten, Phantome unsrer eignen Phantasie. Vielleicht sieht dann jeder einen andern, eine Truggestalt, die ihn quälte, die ihm doch lieb ist.

Wir hatten lange gesessen, weil der Maler sehr aufgelegt schien und die Gesellschaft mit seinen witzigen Thorheiten aufs beste unterhielt, selbst der Geistliche fühlte sich von unsrer Lustigkeit angezogen und kam herüber – ein freundlicher Herr ohne salbungsvolle Airs. Als wir aufstanden, wallten bereits die Paare an den Saalfenstern oben vorüber, und die an der Oberspree glücklich totgetanzte Gigerlkönigin feierte in den Bergen ein fröhliches Auferstehen.

Zum Allerheiligsten gelangt man überall durch einen Vorraum. Das Büffettzimmer schwamm in Zigarrenrauch und Bierdunst, die Herren drängten sich friedlich, das gemütliche Thüringisch hallte. Der Geistliche, der uns in diesen Vorraum geleitet, trat zu den Honoratioren. Während wir noch unschlüssig standen, trieb eine neue Menschenwelle mich und Isa zusammen.

»Wie blaß Sie sind!«

»Wie blaß Sie sind!«

Dann trieb uns dieselbe Menschenwelle wieder auseinander.

Wie das Tanzvergnügen selbst war? Es ist eine kleine Stadt, eine kleine Welt. Der Saal weiß getüncht, öde, die Fähnchenguirlanden vom letzten 122 Kriegerfest schwanken feierlich. An der Wand plüschbeschlagene Bänke und lange Tische, hinter denen die mullgekleidete Jugend reihenweise harrt. Hübsche Dinger darunter. Gegenüber wie eine langgestreckte Trireme die hochbordige Stuhlburg mit Müttern, Tanten, Schwestern und dazwischen die reifen Schönheiten in entsagungsvoller Garderobe, aber Blumen im frischgebrannten Haar. Sie drängen sich nicht vor, sie sitzen bescheiden, aber wenn ein Mann naht, irren tanzlustig die Augen, und wenn er mit der Freundin abzieht, sticht flüsternd die flinke Vipernzunge. An der Eingangsseite breiten sich bequeme Biertische aus: trinklustige Junggesellen, Familien, die verzichtet haben, ein dickes, kinderloses Ehepaar und Honoratioren mit etwas gerümpfter Nase. Mittelalter und Hochmut begegnen sich hier. Zu letzterem muß unser Tisch gerechnet werden, der zum Mokieren, aber nicht zum Tanzen gekommen ist. Es liegt ein graublauer Dunst über dem Saal, eine trocken brenzliche Atmosphäre. Und in dieses typische Parfüm von schwitzenden Menschen, fliehenden Wohlgerüchen, gebranntem Haar schrillt die Musik von ihrem Bühnenpodium die schönsten Weisen. Der Walzer beginnt. Die Mädchenfüße zucken, auch die solide Stiefelsohle wippt tanzlustig in schwerem Takt. An den Saalthüren recken sich die Neugierigen fast die Köpfe aus, aber niemand tanzt! Es steckt eine harmlose Lebensfreude und zugleich eine ungelenke Schwerfälligkeit in den Leuten, sie sind alle sehr stolz auf ihr Fest und genieren sich alle sehr, bis endlich der herzogliche Stallmeister sich vor einer reifen Schönen verbeugt. Er trägt die graugrüne Uniform des hohen Hauses und schleift die Walzerpas lässig elegant wie ein alter Kavallerist (natürlich nie Offizier oder etwas Aehnliches). Ermutigt folgen andre Paare, ein junger Kaufmann, ein Schüler auf Ferien, ein wadenstrümpfiger Tourist. Sie tanzen alle noch andächtig, 123 zirkeln mit Gefühl. Aber der Begeisterungstaumel wächst rasch. Ein kurzatmiger Vierziger schwenkt seine ins Korsett gezwängte Gemahlin, ein Gymnasiast in einer Lodenjoppe hüpft hilflos wie ein junger Spatz. Auf der Seite der Plüschbänke sehen sich vernachlässigte Mullkleider schüchtern fragend an, junge Mädchen, die bis zum letzten Augenblick gehofft haben, umschlingen sich dort liebevoll, von Tanzstundenerinnerungen hingerissen, und hüpfen mit. Das engt sich, drängt sich, hüpft und springt, kommt aus dem Takt und nicht wieder in den Takt! Ein weißes Backfischpaar, das beim gewissenhaften Auswalzen des Saales es besonders auf mein übergeschlagenes Bein abgesehen zu haben scheint, müht sich so rührend ehrlich, und ich weiß nicht, ob ich lächeln soll über so viel trunkene Jugend oder weinen über so unbedingte Grazielosigkeit. Der Stallmeister als Mann von Welt hat so viele Mädchen beglückt als nur möglich, ihm rinnen die dicken Tropfen von dem harten Bereitergesicht, aber er ist doch nur ein Stümper. Die Krone, das Wunder des Tages ist und bleibt ein junges Paar, das nicht in diesem Thal geboren sein kann und bereits das zwanzigste Mal vorübergewalzt ist: er schwingt siegesbewußt ein stark gekrümmtes Bein, die Augen blicken stolz, und sie lächelt auch und schwitzt auch. Rings im Zuschauerkreise kichert's, lacht's, sie merken's nicht. Sein Bein schwingt unermüdlich, und ihr Lächeln wird immer feuchter. Endlich bekommt es die Musik satt und schließt mit einem kräftigen »Schrum«. Ich liebe diese beiden glücklichen Menschen dennoch. Sie muß das Mädchen aus der Fremde gewesen sein, und er hat mich, glaube ich, mal rasiert. Die Begeisterungswogen gehen mit jedem Tanz höher. Ein sehr korrekt gescheitelter Förster galoppiert, der Stallmeister verbeugt sich vor einer unsrer Baronessen. Es fehlte wenig, und der Maler und ich würden 124 unsre Tanzkünste neben dem kinderlosen Ehepaar produzieren, das ausschließlich unter dem Kronleuchter langsam, langsam seine tiefgefühlten Walzerkreise zieht, fest verschlungen und, ach, so dick! An Blicken, die uns dazu ermuntern wollen, fehlt es nicht, denn auch in diesem glücklichen Thal müßte erst ein fröhliches Mormonentum eingeführt werden, um alle Mädchen, die es verdienten, durch legitime Liebe glücklich zu machen.

Ich – und Tanzen!

Ich habe viel Wichtigeres zu thun. Neben mir steht eine Flasche Sekt fast geleert. Das Zeug ist gut, und die Kehle brennt mir wie verdorrt. Du weißt, ich betrinke mich nie. Die Völlerei und die dazu gehörigen Wahngebilde überließen die Ramingshovens bis jetzt nur dem gemeinen Volke. Aber heute muß auch ich Stimmung haben, die tollste Faschingsstimmung am letzten Karnevalstag. Und sie kommt! Ich brauche nicht lange zu bitten. Ich werde lustig, ich spotte, ich höhne, der ganze Tanzsaal passiert meine erbarmungslose Revue. Um mich am Tische lacht's. Die Baronessen haben zwar nur am Sekt genippt, aber sie sind auch gern fröhlich. Und heute bin ich dem Maler weit über in bissigen Paradoxen, im geistreichen Spott. Der gute Mann ist längst verstummt. Die Herde, die ich so infam durchhechele, scheint ihm diesen Aufwand nicht wert. Dicke Taillen, verwaschene Kleider, das überall gleiche Gemisch von kleinbürgerlicher Männerplumpheit und mangelnden Frauenreizen: mehr ist's allerdings nicht. Und gerade diese Herde thut dem Maler, der ein Herz hat, leid. Er hat wohl den richtigen Instinkt, daß diese Menschen im Grunde viel besser und viel klüger sind in ihrem naiven Genießen als wir. Mir dämmert diese Ahnung vielleicht auch. Aber Isa sitzt jetzt neben mir, die blasse, schlanke Isa. Sie trägt ein weißes, weiches 125 Kleid, die Rabatte mit einem einzigen Brillantknopf geschlossen. Und das Parfüm von kühler, stummer Vornehmheit umfließt sie wieder. Sie hat ihr Sektglas nicht berührt, der Federfächer spielt matt. Aber das schmale Profil hebt sich wie eine Kamee aus dem ekeln Dunst. Wenn sie jemals begehrenswert war, so ist sie es heute. Schöner und vornehmer selbst als eine andre! . . . Der herzogliche Stallmeister, der unter den Baronessen vorhin mit sichtlichem Behagen wählte, bis er endlich die jüngste herausgriff, würde sich nie an die Gräfin Eycks gewagt haben. O, sie ist Vollblut jeder Zoll! Und gerade, weil ich in ihrem Anblick die Wärme, die Hitze, den Rausch aufsteigen spüre, trinke ich, höhne ich. Der letzte Kampf ist immer der schwerste, und meine Heilige opferte ich mit ihren Reliquien zugleich noch nicht. Ja, ich liebte doch wohl zu sehr, verlor zu viel.

Ich habe Angst vor der Glut, die mich durchrinnt.

Aber wie toll ich mich auch gebärde, wie sehr ich auch aus einem dunkeln Triebe nach Ablenkung suche in diesem alltäglichen Trubel – mein Auge, das so scharf und erbarmungslos sieht wie je, kehrt doch immer wie gezogen von seinen Irrfahrten zu dem einzig ruhenden Pol zurück. Ich will nicht, aber ich muß! Es ist wie ein Verhängnis. Die Vergangenheit dieser Frau ist mir ganz gleichgültig. Wenn sie mich nur liebt! Und dennoch wollte ich, das Fest wäre vorüber.

Ich weiß nicht, wie lange das alberne Spiel dauerte – die Augenblicke wiegen manchmal schwer wie Ewigkeiten –, aber plötzlich wendet sich Isa, die den ganzen Abend auffallend schweigsam gewesen und auch jetzt nicht zugehört zu haben schien, zu mir und sagt ruhig: »Sie können doch nicht über sich selbst hinaus!« 126

»Meinen Sie?«

»Ja.«

»Nun denn,« die Musik spielte schriller und ich beugte mich dicht zu ihr, »so will ich Ihnen etwas sagen, Gräfin Eycks, Gedankenleserin sind Sie nicht! Wissen Sie, was ich in der letzten Nacht gethan habe?«

»Wie sollt' ich das wissen?«

»Ich habe meine Schiffe verbrannt, die Briefe einer geliebten Frau, das Heiligste, was ich zu besitzen glaubte, und den letzten glimmenden Fetzen trat ich mit dem Fuß aus, weil es mir nicht rasch genug ging.«

Sie sagt, die Augen auf dem Federfächer, langsam: »Das that mancher. Vielleicht that ich's auch. Es bedeutet viel, aber noch lange nicht alles.«

Da muß ich wohl toll geworden sein. Denn ich erinnere mich genau, wie ich heiser sagte: »Und wissen Sie, Gräfin, was ich in dieser Stunde verbrenne?«

»Sagen Sie's nicht!«

»Und ich sag's doch! Ich habe jetzt eine Todsünde begangen, wenn Sie wollen, ich habe meine Heilige selbst verbrannt, zu der ich einst betete, und an die ich immer geglaubt. Der Scheiterhaufen lodert noch.«

»Wie konnten Sie?«

»Ich wollte!«

»Sie durften das nicht!«

»Ich mußte!«

Sie starrt eine Weile vor sich hin.

»Verstehen Sie mich, Isa?«

Sie schweigt.

»Verstehen Sie mich? Ich muß es wissen!«

Da sieht sie mich voll an mit ihren großen, dunkeln Augen: »Ich darf Sie nicht verstehen.«

»Dann reise ich morgen.«

»Reisen Sie nicht, Ernest! Herr von 127 Ramingshoven, reisen Sie morgen noch nicht! Ich bitte Sie darum. Vielleicht reise ich. Dann wissen Sie ja, woran Sie sind.«

»Also gut.«

»Aber ich versprach nichts, nichts.«

Wir sitzen noch einige Minuten und sehen, ohne zu sehen.

»Wir wollen gehen, Herr von Ramingshoven.«

Dieser Aufbruch kam dem Baronessentisch etwas plötzlich, aber weil Isenbergsche Wünsche noch immer Befehl sind, erhebt sich Trianon wie ein Mann.

Beim Aufstehen sah ich noch gerade, wie der Friseurgehilfe sein krummes Tanzbein schwang und wie das Mädchen aus der Fremde feucht lächelte.

*

Das ist eigentlich meine letzte Erinnerung von der letzten Reunion.

Auf die Garderobe mußten wir eine Ewigkeit warten. Wir standen im Büffettzimmer, im dicken Qualm, und die Tanzmusik schrillte unrein herüber. Die Damen sahen sich etwas ernüchtert lächelnd an und tauschten flüsternd ihre Eindrücke. Isa hielt ein Glas Selterwasser, sie sog den kühlen Trank ein wie eine Verschmachtende. Merkwürdig, wo sie auch sein mag, sie hebt sich immer ab, ist immer allein. Der Brillantknopf glitzerte. Meine Augen hafteten daran; er sah aus wie eine funkelnde Thräne. – Menschen sind eine Herde, und auch die andern Frauenaugen wandelten mit meinem Blick. Sie schienen alle blind gewesen zu sein bis jetzt.

»Ist der Knopf aber reizend, Fräulein von Isenberg!«

»Er hat wundervolles Feuer.«

»Natürlich ein Brillant?«

»Ich denke wenigstens,« antwortete Isa gleichgültig. 128

Die Damen hatten sie umringt, betasteten, bewunderten. Die Kinderfreude aller Frauen am Glänzenden.

Ich halte gerade Isas Abendmantel bereit, einen langen, grauen, leicht duftenden Mantel.

»Geben Sie doch, bitte, Herr von Ramingshoven!« Sie zieht den Mantel rasch über der Brust zusammen. Sie lächelt dabei hochmütig: »Aber, meine Damen, was ist denn an einem einzigen glänzenden Stein so interessant? Es ist ein Stein, ein toter Stein. Wenn Sie aber durchaus wirklich schöne Steine sehen wollen, müssen Sie schon bis zu Hause warten. Ich habe unsre Familienjuwelen mit. Und vielleicht zeige ich sie Ihnen einmal.« Es ist höflich gesagt, und doch klingt die nachlässige Verachtung der großen Dame durch, der solche Bewunderung lästig ist. – Vielleicht vergaß sie sich auch nur, vielleicht wollte sie sich auch vergessen. Eine Excellenz Eycks besitzt natürlich alle Juwelen, aber sie trägt sie natürlich nicht in Trianon.

Im Augenblick sind auch alle Frauenaugen stechend geworden: sie fühlen den Nadelstich und stechen zurück. Die andern gehen voran, wir folgen. Im Korridor draußen sagt sie zu mir: »Es ist doch eine scheußliche Luft hier und ein gemeines Parfüm – zum Ersticken!«

Ich höre nur mit halbem Ohre hin. Der lange Mantel schmiegt sich so vornehm um die aristokratische Gestalt. Zu ihr gehören Juwelen, Glanz, große Welt. Aber, daß mir das erst jetzt klar wird! Es ist nicht mehr die Leidende, Zarte, es ist die vornehme, elegante Frau, die mich wohl von Anbeginn reizte, und die mich jetzt entzückt. Ich antwortete wie geistesabwesend: »Ich möchte Sie wohl einmal in ganz großer Toilette sehen mit allen Juwelen!«

Sie zuckt die Achsel: »Große Toilette in Trianon? Es wäre nur zum Lachen!« 129

»Ja natürlich – ich denke auch mehr an den Schmuck. Familienjuwelen haben immer eine Geschichte, oder man reimt sich eine dazu. Ich denke an ein kostbares Perlenkollier oder an einen Brillantstern in diesem schönen Haar.«

»Hoffen Sie nichts!«

»Warum eigentlich nicht? Es wäre doch nur eine Aeußerlichkeit, die Sie vielleicht erfüllen könnten.«

Wir sind auf dem Treppenabsatz stehen geblieben und allein. Die Einfahrt haucht ihre Pferdestallgerüche bis hier hinauf. Isa sieht über das Geländer weg in den Hof.

»Warum gehen wir eigentlich nicht weiter?« sage ich.

»Weil ich Ihnen etwas sagen will, was kein andrer zu hören braucht. Ich habe allerdings gerade den Brillantstern, von dem Sie eben träumten, er ist sogar ein kostbares Juwel. Und wenn ein Schmuck seine Thränengeschichte hat, so hat der sie. Ich trug ihn zum letztenmal vor vier Jahren am Johannistag – es ist mein Schicksalstag seit jeher. Ich habe geschworen, den Schmuck nie wieder anzulegen, aber Schwüre sind ja nur zum Brechen da . . .« Sie zögert. Der ganze Körper beginnt zu frösteln. Plötzlich streckt sich im jähen Impuls die schlanke Hand aus dem Mantel zu mir. Wir sehen uns fest an. Sie sagt kaum hörbar: »Wenn ich morgen zum Diner mit dem Brillantsterne im Haar erscheine . . . Wenn nicht, dann bitte ich Sie, abzureisen, ohne mir noch Lebewohl gesagt zu haben.«

Sie steigt rasch die letzten Stufen hinunter. Ich, dicht an sie gedrängt, flüstere: »Sagen Sie doch mehr! Warum nicht gleich, was ich von Ihren angebeteten Lippen allein hören möchte, und was Sie mir doch noch einmal sagen werden? Unser Schicksal trennt sich nicht mehr. Mir ist ganz gleich, was hinter 130 Ihnen liegt. Isa, bei Gott! In meinem Leben existiert nur noch eine Frau, und das sind Sie!«

Aber sie schüttelt entschlossen den Kopf und eilt schneller: »Nein, nein! Ich habe Ihnen schon zu viel gesagt, viel zu viel.«

Draußen schlägt die Uhr Mitternacht, langsam rasselnd. Beim letzten Schlage stehen wir auf der Thürschwelle. Sie horcht – ich horche, als wenn der dreizehnte Schlag kommen müßte.

Da sagt sie noch einmal, tief aufatmend, wie im Selbstgespräch: »Ach, Tote begraben ist so schrecklich schwer!«

Draußen warten bereits ungeduldig die andern Damen. Es weht eine eisige Luft. Erst jetzt merke ich, wie glühend heiß ich bin.

Nachtluft macht schnell kühl und nüchtern. Es war auch ein fröstelndes Abschiednehmen allerseits in Trianon oben.

*

Auf meinem Zimmer standen, wie gewöhnlich, alle vier Fenster weit offen. Die echte Kirchhofatmosphäre des Herbstes drang mir entgegen. Der Maler kam auch noch auf einen Cognac zu mir hinein. Wir tranken und schüttelten uns a tempo. Zuweilen brennt auch Hennessy wie Fusel.

»Sie waren übrigens heute in vorzüglicher Stimmung, Ramingshoven, gratuliere!«

»Das wollte ich Ihnen eben sagen. Sie riefen ja noch lauter als sämtliche Kinder ›Ah!‹«

Da lächelte er suffisant: »Der Schein trügt. Haben uns also beide mißkannt.«

Er geht darauf, nach seiner Gewohnheit den Schnurrbart streichend, im Zimmer umher, räuspert sich ein paarmal und zieht dann ein zerknittertes Telegramm aus der Tasche: 131

Auf keinen Fall kommen! Auch nie mehr schreiben.

A.

»Verstehen Sie, Ramingshoven, den tieferen Sinn? – Es ist von ihr.«

»Gewiß. Jemand hat Angst.«

»Für mich oder für sich?«

»Wenn's eine Frau ist, und wenn sie Sie liebt – nur für Sie; wenn's ein kleines eitles Mädchenherz ist – nur für sich.«

»Hm . . . Hm.« Er beginnt wieder zu wandern. Dann sagt er finster: »Wer immer verriet, wird zuletzt selbst verraten. Es ist eine verfluchte Geschichte . . . Ich habe die blonde Sünderin, weiß Gott, lieb!«

»Ach, Mensch, keine Trübsalsfanfaren! Trinken Sie lieber noch einen Schnaps.«

»Hilft nischt, Ramingshoven! Habe schon den ganzen Abend hinter Ihrem Rücken grünen Chartreuse gepichelt.«

Eine Fledermaus kommt durchs Fenster gestrichen und kreist im dunklen, lautlosen Fluge unermüdlich um das elektrische Licht an der Decke. Fledermäuse haben doch immer was Unheimliches. Wir sehen der schattenhaften Fliegerin nach.

»Dummes Tier,« sagt der Maler endlich, »bemühst dich unnötig! An diesem Licht kannst du dich beim besten Willen nicht verbrennen, und Weiberfrisuren, wo du dich einnisten möchtest, giebt's auch nicht. Vielleicht kommt sie von weit her . . . sah viel . . . will einen von uns warnen.«

»Ach, nun trinken Sie aber endlich!« Ich halte ihm die Cognacflasche hin.

Er dankt und steht auf. »Erstens kommt es anders – zweitens, als man denkt. Gute Nacht, Ramingshoven.« Er geht.

Er war in der richtigen Grabesstimmung.

Ich benehme mich viel vernünftiger. Ich jage die 132 Fledermaus raus, trinke den Cognac, den er stehen gelassen, und döse.

Dies Trianon ist doch wahrhaftig eine Gruft und weckt Gruftgedanken. Ich muß auch, gerade ausgerechnet, auf den kleinen schwarzen Punkt im Kamin starren, wo ich den glimmenden Papierrest vorgestern mit dem Fuße austrat . . . Warum hat eigentlich dieses blödsinnige Zimmer einen Kamin? – Warum der brutale Fußtritt neulich? – Warum die Todsünde heut? . . . War alles nur flüchtiger Augenblicksrausch oder alles innerste Notwendigkeit?

Es ist so feuchtkalt, ich habe die Empfindung, wenn ich jetzt die Augen schließe, wird sich das andre, das tote Gesicht über meine Schulter beugen und flüstern: ›Was that ich dir, daß du mir das thatest?‹ . . . – Unsinn! Sie war nur eine Heilige seines Hirns. Ich taste auch sofort suchend nach dem Brief, der mich nie verläßt – dem letzten, den ich nicht verbrennen wollte, weil er mein böses Amulett ist. Ich verbrannte heilige Andenken – das ist nicht heilig. Es ist eine liebenswürdige Infamie, ein gedeckter Rückzug, der Meisterstreich eines kleinen Herzens. Er ward auch nie beantwortet. Und wenn Himmel und Seligkeit auf dieser meiner Antwort stünde – nein, nie! Es giebt einen Moment auch in so erbärmlich schwachen Herzen wie meins, wo sie sich zusammenziehen, hart werden – Diamanthärte . . . – Ich habe gerade diesen Brief in dieser Nacht noch einmal durchgelesen. Er schließt sogar eine Antwort direkt aus. Sie windet sich allerdings um das letzte Wort herum – kleine Maskerade! – wenn man dies letzte Wort desto deutlicher zwischen den Zeilen liest. Ich habe keine Pflicht mehr – die Heilige, die ich anbetete, war mein eignes Phantom. Jetzt wird es doch endlich zerflattert sein! . . . Verflucht!

Ich mußte mir darüber gewissenhaft noch klar 133 werden in der zwölften Stunde; denn wenn morgen mittag der Brillantstern in dem schwarzen Haar funkelt . . . Soll er funkeln? – Ja, er soll funkeln! – Ach, wenn er doch funkelte! . . . Auch das Herz hat den horror vacui.

Mich friert. Ich muß aufstehen, wandern. Der Vollmond scheint durch die offenen Fenster. Breiter, milder Lichtstrom, stumme Friedensbotschaft eines alten Sterns. Was willst du von mir? . . . Das Thal liegt schlummernd in der weichen Helle, die Buchen rahmen es schwarz, geheimnisvoll. Ich schaue hinaus. Die grünen Tiger starren hinauf. Da stand Isa am ersten Tage. Arme Gefangene! . . . Auf dem Kaffeetisch im Vorgarten ist eine bunte Decke liegen geblieben zwischen zwei Gartenstühlen, die man umzuklappen vergessen hat – da saßen wir nach dem Missionsfest. Liebes, zärtliches Geschöpf! . . . An der düsteren Leichenpredigtenluke vorüber kann ich bis zu dem alten Wartturm sehen am Markt. Die Geigen fiedeln da unten noch immer. Ich sehe Isa so deutlich aus dem Dunst heraustauchen in dem weichen weißen Kleid, der Brillantknopf blitzt – da überkam mich der alles vergessende Rausch. Leidenschaftliche, vornehme Frau! . . .

Mit solchen Gedanken bin ich lange hin und her gegangen. Mein Inneres war wie die See, Welle auf, Welle ab.

Wenn ich an der Cognacflasche vorüberkam, blinzelte sie mich an. Es giebt nur einen Sorgenbrecher auf der Welt. Ich nippte auch am Glas, aber selbst der beste Schnaps schmeckt doch gemein. Endlich gurgelte ich den ganzen Rest mit Abscheu hinunter. Ich war nicht etwa betrunken danach, nur die Müdigkeit kam, der gliederlösende Schlaf. Als ich dann in eine Sofaecke gekauert saß, begann die Phantasie zu spinnen. Verschwommene Bilder, gaukelnde Gestalten. Ich sehe 134 das Perlenkollier gleißen an einem blonden Hals, als die Sembrich die Lotosblume uns beiden eigentlich allein sang – und ich sehe gleich danach einen Brillantstern in schwarzen Haaren schimmern. Die Züge verwischten sich, es war jedesmal eine andre und doch jedesmal dieselbe Frau, dieselbe zärtliche Vorstellung, beide Gefühle in eins verschmolzen.

Als ich zähneklappernd erwachte, krähten im Thal unten bereits die Hähne. Die Fledermaus war wieder ins Zimmer gekommen und kreiste gespenstisch um das Licht. Der Mond versank drüben im Buchenwald. Einen Augenblick war mir, als wenn ein Schatten aus dem Zimmer huschte, ein lieber, müder Schatten, der Schatten jener ersten Frau. Es muß ein trauriger Schatten gewesen sein . . . Ich zog mich schlaftrunken aus und murmelte dabei: »Liebst du die Isenberg wirklich? Liebt sie dich auch wirklich?« – Als ich ins kalte Bett kam, war ich plötzlich ganz wach. Ich hatte einen eklen Geschmack im Munde . . . Dann betete ich das gewohnheitsmäßige Vaterunser. Man bleibt doch immer derselbe blöde Knecht seiner Erinnerungen.



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