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30. Kapitel.

Als der Wirt des Gasthauses von der Polizei kam, erkundigte er sich sofort nach seinem Gast.

»Er ist doch noch oben?« fragte er. – »Ja«, antwortete der Oberkellner. – »Er ißt noch?« – »Jedenfalls.« – »Er darf das Haus nicht eher verlassen, als bis die Polizei erscheint.« – »So werde ich mich oben in dem Korridor postieren.« – »Nein, das übernehme ich selbst«, meinte der Wirt. »In solchen wichtigen Dingen kann man nicht gewissenhaft genug sein.«

Dabei stieg er wirklich selbst die Treppe hinauf und ließ sich auf einen Stuhl nieder, der im Korridor stand. Er ahnte nicht, daß der vermeintliche Attentäter das Zimmer bereits verlassen hatte.

Es war nicht viel über eine Viertelstunde vergangen, als die Polizei erschien. Diesmal wurden viel sorgsamere Sicherheitsmaßregeln getroffen, als damals bei der mißlungen Arretur des sogenannten Kapitäns Parkert.

Hüben am Haus und gegenüber auf dem Trottoir postierten sich Detektive, die scheinbar harmlos auf und ab spazierten, aber die Fenster und die Tür des Gasthauses keinen Augenblick aus dem Auge ließen. Der Flur des Hauses und der Hof wurden besetzt, und eine Droschke hielt an der nächsten Ecke, bereit, auf den ersten Wink herbeizukommen, um den Arrestanten aufzunehmen.

Einer der gewieftesten Kriminalbeamten ging in Begleitung noch zweier Kollegen hinauf, um sich des Gesuchten zu bemächtigen.

»Ist er noch da?« fragte er leise den Wirt. – Ja. Er hat sich nicht sehen lassen«, lautete die Antwort. – »Wo logiert er?« – »Nummer eins, dort« – »Hat er nicht nach Bedienung geklingelt?« – »Kein einziges Mal.« – »So soll er bedient werden, ohne geklingelt zu haben.«

Der Kriminalbeamte schritt mit seinen Assistenten auf die bezeichnete Tür zu. Der Oberkellner wurde durch die Neugier herbeigetrieben, aber sein Prinzipal warnte ihn:

»Wagen Sie sich nicht zu weit hinein.« – »So gefährlich wird es doch wohl nicht sein.« – »Was verstehen Sie von der Gefährlichkeit so einer Höllenmaschine, zumal in Posaunenform. So etwas ist ja noch gar nicht dagewesen.«

Da kehrte der Kriminalbeamte noch einmal zum Wirt zurück.

»Sie haben erzählt«, sagte er, »daß der Mann mit Ihrem Mädchen gesprochen habe?« – »Ja.« – »Wo ist es?« – »In der Küche.« – »Ich halte es für geratener, wenn dieses zunächst einmal hineingeht« – »Sapperlot. Wenn er es erschießt.« – »Wird ihm nicht einfallen. Uns könnte es eher passieren, sofort eine Kugel zu bekommen. Das Mädchen aber hat Grund genug, bei ihm einzutreten, ohne seinen Verdacht zu erwecken. Es kann uns dann sagen, wie es ihn getroffen hat.« – »Holen Sie es herauf.«

Diese letzteren Worte des Wirtes wurden dem Kellner zugeflüstert. Dieser eilte hinab und brachte das Mädchen, das instruiert wurde und sich darauf der Tür näherte.

Als es auf wiederholtes Klopfen keine Antwort erhielt, trat es ein. Die Zurückbleibenden mußten eine ziemliche Zeit auf sein Erscheinen warten. Als es endlich zurückkam, drückten seine Gesichtszüge eine gewisse Besorgnis aus.

»Nun?« flüsterte der Beamte. »Was tut er?« – »Ich weiß es nicht«, antwortete es. – »Sie haben ihn gesehen?« – »Nein. Er war nicht im Zimmer und nicht im Vorzimmer.« – »Gibt es noch ein Schlafzimmer dazu?« – »Ja.« – »So war er dort?« – »Jedenfalls. Aber er hatte es verschlossen.« – »Vielleicht schläft er. Haben Sie nicht geklopft?« – »Doch. Aber ich erhielt keine Antwort.« – »Er ist gewiß sehr ermüdet gewesen und schläft infolgedessen so fest, daß er nicht erwacht ist.« – »Ich habe so stark geklopft, daß ein Schlafender erwachen muß, wenn er nicht tot ist.« – »Wo hat er seine Sachen?« – »Er hat sie mit in das Schlafzimmer genommen.« – »Vielleicht arbeitet er an seinem Apparat und tut nur so, als ob er schlafe. Kommen Sie mit, Fräulein. Sie sollen ihm Antwort geben, wenn ich klopfe.«

Die Polizisten traten leise ein, und das Mädchen mit ihnen. Auf dem Tisch stand noch das Geschirr mit den Speiseresten.

»Klopfen Sie!« befahl der Kriminalist leise.

Das Mädchen gehorchte, aber es ließ sich kein Geräusch vernehmen. Es klopfte stärker, doch mit demselben Mißerfolg.

»Ich werde es selbst versuchen«, meinte der Beamte.

Er trat zur Tür und donnerte mit beiden Fäusten an dieselbe. Keine Antwort. Jetzt überzeugte er sich zunächst durch einen Blick auf die Straße, daß das Haus scharf bewacht sei. Dann klopfte er abermals und rief mit lauter Stimme:

»Im Namen des Gesetzes! Öffnen Sie!«

Abermals keine Antwort.

»So müssen wir selbst öffnen. Geben Sie den Dietrich her.«

Ein Untergebener des Beamten zog das verlangte Werkzeug hervor. Der Beamte bog sich zum Schlüsselloch herab, um dasselbe zu untersuchen.

»Sakkerment«, rief er, »es ist verstopft.« – »Er hat den Schlüssel stecken?« fragte der eine. – »Nein. Er hat von hier aus etwas hineingesteckt.« – »So wäre er ja gar nicht darin.« – »Wie es scheint, nicht«

Es untersuchte jetzt einer nach dem anderen das Schloß, und es fand sich da allerdings, daß ein stählerner Gegenstand im Schloß steckte, der nicht entfernt werden konnte.

»Er ist fort«, meinte einer der Polizisten. – »Entwichen, entkommen«, der andere. – »O nein, die Sache ist noch schlimmer«, behauptete ihr Vorgesetzter. Und sich an das Mädchen wendend, fragte er: »Er hat zu Ihnen gesagt, daß er zu Bismarck wolle?« – »Ja.« – »Hat er nichts verlauten lassen über die Absicht dabei?« – »Kein Wort.« – »Ich hörte, daß er sich eines verdächtigen Ausdrucks bedient habe. Wie lautete derselbe?« – »Er meinte, daß er nicht viel Federlesens machen werde.« – »So ist er fort. Er hat sich fortgeschlichen, und es ist Gefahr im Verzug. Folgen Sie mir, meine Herren. Wir müssen sofort zu Bismarck. Dieses Haus bleibt unter Bewachung.«

Der Wirt wollte es nicht glauben, daß der Fremde seine Appartements verlassen habe; aber es stellte sich bald heraus, daß die bediensteten Geister sich während der Abwesenheit ihres Prinzipals in der Küche befunden hatten. So war es dem Amerikaner möglich gewesen, sich davonzuschleichen.

Die Polizisten winkten die Droschke herbei, stiegen ein und fuhren so schnell, wie das Pferd nur laufen konnte, davon.

Kaum waren sie fort, so hielt eine andere Droschke vor der Tür. Der junge Mann, der aus derselben stieg, war kein anderer als Kurt Helmers. Er hatte keine Ahnung von dem, was geschehen war; er ahnte auch nicht, daß viele der Passanten, die die Straße auf und ab schritten, verkleidete Polizisten seien, die den Gasthof bewachten. Er trat in die Gaststube und ließ sich von dem anwesenden Kellner, der ihn nicht kannte, ein Glas Bier geben.

Einige Minuten später trat die Kellnerin herein. Sie erblickte ihn und erkannte ihn sogleich. Er nickte ihr grüßend zu, und sie trat zu ihm an den Tisch. In ihren Zügen drückte sich teils Erstaunen und teils Besorgnis aus.

»Sie hier, Herr Leutnant«, sagte sie. »So ist es also doch wahr, daß Sie hierherkommen wollten!« – »Allerdings. Aber woher wissen Sie das?« – »Ein Fremder sagte es, der jetzt arretiert werden soll.« – »Arretiert? Warum?« – »Er beabsichtigt ein Attentat.« – »Was Sie da sagen! Was für ein Attentat?« – »Mit einer Höllenmaschine.« – »Um Gottes willen!« sagte Kurt, der immer noch nicht ahnte, daß hier von Geierschnabel die Rede sei. – »Ja, das ganze Haus ist bewacht, und die Polizei ist bereits zu Bismarck geeilt.« – »Zu Bismarck? Warum zu diesem?« – »Weil das Attentat gegen ihn gerichtet sein soll.« – »Das wäre ja gräßlich! Wer ist der Kerl?« – »Der amerikanische Kapitän, der Sie hier erwartet.«

Erst jetzt erschrak Kurt.

»Was Sie sagen! Wie heißt er?« – »William Saunders.« – »Den kenne ich nicht.«

Das war allerdings wahr. Der Amerikaner hatte sich in Rodriganda doch nur als Geierschnabel eingeführt.

»Er sagte aber, daß er Sie kenne!« meinte das Mädchen. – »So hat er gelogen. Wie geht er gekleidet?«

Die Kellnerin beschrieb die Kleidung Geierschnabels.

»Ich kenne ihn wirklich nicht«, wiederholte Kurt. – »Er behauptet aber doch, daß Sie hier mit ihm zusammentreffen wollten.«

Das frappierte Kurt. Darum fragte er:

»Hatte der Mann in seinem Äußeren nicht etwas, woran er sehr leicht zu erkennen wäre?« – »Ja, eine fürchterlich lange Nase.«

Jetzt erbleichte Kurt.

»Wäre es möglich!« rief er. »Der Mann sprach einen fremden Dialekt?« – »Ja.« – »Und die Polizei sucht ihn wirklich?« – »Ja. Mein Herr hat ihn angezeigt. Er will Bismarck ermorden. Er hat vielerlei Waffen und auch eine Höllenmaschine bei sich.« – »Unsinn! Der reine Unsinn!« – »Nein, es ist die Wahrheit, Herr Leutnant.« – »Also er ist zu Bismarck?« – »Ja.« – »Und die Polizei ist auch hin? Hinter ihm her?« – »Ja.« – »So gilt es, keinen Augenblick zu verlieren. Ich muß ihm nach.«

Kurt sprang auf und eilte zur Tür hinaus. Seine Droschke war bereits fort; aber er fand sogleich eine zweite, die in größter Geschwindigkeit mit ihm davonrasselte.

Mittlerweile war Geierschnabels Unterredung mit den beiden hohen Herren beendet. Er hatte den Befehl erhalten, nach Kurts Eintreffen denselben sofort zu Bismarck zu schicken und dann zu warten, was ihm von Seiten des Ministers zugehen werde. Jetzt schlenderte er seelenvergnügt durch die Straßen dahin. Er hatte zwar einen anderen Weg eingeschlagen, als den Herweg, aber bei seinem ausgebildeten Ortssinn war ja ein Verirren eine Unmöglichkeit. So erreichte er die Straße, in der sein Gasthof lag, auf den er langsam zusteuerte.

»Will doch sehen«, murmelte er vor sich hin, »was dieser Leutnant sagen wird, wenn ich ohne ihn bereits bei Bismarck gewesen bin. Ja, Geierschnabel ist ein Saukerl. Dem tut es so leicht kein zweiter nach.«

Da trat ihm ein Herr entgegen, griff grüßend an die Hutkrempe und fragte:

»Sie entschuldigen! Haben wir uns nicht bereits gesehen?«

Der Angeredete war ärgerlich darüber, in seinem wohltuenden Gedankengang gestört worden zu sein. Darum antwortete er in barschem Ton:

»Ich wüßte nicht wo!« – »Drüben in den Vereinigten Staaten.« – »Was gehen mich die Staaten an.« – »Aber Sie sind doch Offizier der Vereinigten Staaten.« – »Das geht wieder Sie nichts an.« – »Logieren Sie nicht im Gasthof ›Zur Stadt Magdeburg‹?« – »Pchtichchchchch!« spritzte Geierschnabel dem Frager einen dicken Strahl Tabaksaftes entgegen. – »Donnerwetter! Nehmen Sie sich in acht!« rief der Geheimpolizist »Wenn Sie primen, so brauchen Sie meinen Überzieher doch nicht für das Trottoir anzusehen.« – »Gehen Sie fort. Ich brauche Sie nicht!«

Der Polizist trat wirklich von Geierschnabel zurück und ließ ihn unbehelligt weitergehen. Aber Geierschnabel merkte nicht, daß fünf bis sechs ähnliche Herren jeden seiner Schritte scharf bewachten.

So erreichte er den Gasthof und trat in das Gastzimmer. Hinter ihm schritten seine Wächter, die er für gewöhnliche Gäste hielt, und der, der ihn bereits auf der Straße angesprochen hatte, trat an seinen Tisch und sagte:

»Sie erlauben mir, das begonnene Gespräch fortzusetzen?« – »Scheren Sie sich zum Teufel!« brummte Geierschnabel. – »Das werde ich bleibenlassen! Wenn einer von uns zum Teufel gehen soll, so werde ich es nicht sein.«

Der Jäger blickte den Sprecher erstaunt an.

»Heda, Bursche, willst du dich etwa an mir reiben?« fragte er.

– »Vielleicht«, lachte der andere überlegen. – »Na, komm heran. Da kannst du ganz gewaltige Prügel bekommen!« – »Das will ich bezweifeln. Kennen Sie dieses Ding?«

Der Polizist griff in die Tasche und zog eine Medaille heraus, die er Geierschnabel vor die Augen hielt.

»Pack dich fort mit deinem Geld!« rief der Jäger. »Bringst du mir deine Pranke noch einmal so nahe unter die Nase, so sorge ich dafür, daß es nicht zum zweiten Male geschieht.« – »Ah! Sie kennen also diese Medaille nicht?« – »Geht mich nichts an.« – »Oh, sie geht Sie allerdings sehr viel an. Diese Medaille ist meine Legitimation. Verstanden?« – »Mir egal. Ich pflege mich durch Ohrfeigen zu legitimieren, wenn mir einer zu lange lästig wird.« – »Sie scheinen mich noch immer nicht zu verstehen. Ich bin nämlich Beamter der hiesigen Polizei.«

Erst jetzt wurde Geierschnabel aufmerksam. Er blickte sich im Zimmer um und ahnte nun sogleich, daß er es hier mit lauter Detektiven zu tun habe.

»So! Polizist sind Sie?« meinte er. »Schön. Aber warum sagen Sie das gerade mir?« – »Weil ich mich außerordentlich für Sie interessiere. Ich fordere Sie auf, mir auf die Fragen, die ich Ihnen jetzt vorlegen werde, eine wahrheitsgetreue Antwort zu geben.«

Geierschnabel ließ seinen Blick abermals im Kreis umherschweifen, dann meinte er gleichmütig:

»Ihr Deutschen seid doch ein sonderbares Volk!« – »Ah! Wieso?« – »Niemand ist so aufs Arretieren erpicht wie Ihr.« – »So? Finden Sie das?« – »Donnerwetter, ja, ich finde das sehr, und zwar zu meinem eigenen Schaden. Seit gestern früh ist dies nun bereits das dritte Mal, daß ich arretiert werden soll!« – »Sie ahnen, daß Sie arretiert werden sollen?« – »Das müßte ja ein jedes Kind sehen.« – »Und Sie waren also gestern bereits zweimal arretiert?« – »Ja.« – »Und sind wieder entkommen?« – »Mit heiler Haut.« – »Nun, so werden Sie uns doch nicht abermals entwischen.« – »Ich hoffe es dennoch.« – »Ich werde sorgen, Sie recht fest zu behalten. Haben Sie die Güte, mir einmal Ihre Hände zu reichen.«

Der Polizist griff in die Tasche und brachte eiserne Handschellen hervor. Das war dem Amerikaner denn doch zu bunt. Er erhob sich und fragte:

»Was? Fesseln wollen Sie mich?« – »Wie Sie sehen. Ja.« – »In Eisen?« – »Allerdings.« – »Hölle, Tod und Teufel! Ich will den sehen, der es wagt, Hand an mich zu legen. Was habe ich Euch Kerlen getan, daß Ihr mich umstellt, wie die Hunde ein Wild?«

Die anderen Polizisten hatten sich Geierschnabel nämlich genähert und einen Kreis um ihn geschlossen. In sicherer Entfernung aber stand der Wirt mit seinem ganzen Gesinde, um dem interessanten Vorgang zuzuschauen.

»Was Sie uns getan haben?« fragte der Polizist. »Uns nichts. Aber Sie werden am besten wissen, was Sie sonst getan und beabsichtigt haben.« – »Nichts weiß ich, gar nichts.« – »Nun, so werden wir Ihnen Beweise geben müssen. Sie heißen William Saunders?« – »Schon so lange ich lebe.« – »Sind Kapitän der Vereinigten Staaten?« – Ja.« – »Führen eine Büchse bei sich?« – Ja.« – »Zwei Revolver?« – Ja.« – »Ein Messer?« – »Auch das.« – »Was haben Sie sonst noch für Waffen?« – »Keine.« – »Wollen Sie leugnen?« – »Pah! Das wäre der Mühe wert!« – »Wo waren Sie jetzt, während Ihres Ausganges?« – »Spazieren.« – »Wo?« – Ich bin fremd, ich kenne die Straße nicht.« – »Haben Sie sich nicht vielleicht die Wohnung des Herrn von Bismarck angesehen?« – »Das ist möglich.« – »Sie sind ein hartgesottener Sünder! Ein anderer wäre bei diesem Beweis, daß er entdeckt ist, erbleicht, die Knie hätten ihm geschlottert. Sie aber bleiben ruhig.« – »Schlottern Sie gefälligst ein wenig für mich.« – »Spotten Sie immerhin! Ihr Spott wird bald aufhören. Sie leugneten, noch weitere Waffen zu haben. Und doch führen Sie eine Donnerbüchse, eine Höllenmaschine oder so etwas Ähnliches bei sich. Gestehen Sie es ein?«

Geierschnabel blickte dem Mann ganz erstaunt in das Gesicht.

»Donnerbüchse? Höllenmaschine?« fragte er. – Ja, aus Messing oder Kanonenmetall!«

Da endlich wurde es in Geierschnabel klar. Er hätte am liebsten gerade hinauslachen mögen, aber er zwang sich, ernst zu bleiben.

»Ich weiß nichts davon«, sagte er. – »Wir werden Sie überführen, wir werden Ihnen Beweise bringen.« – »Tun Sie das!« – »Warum haben Sie Ihr Schlafzimmer verschlossen?« – »Wollen Sie mir dies vielleicht verbieten?« – »Nein, aber ich werde Sie ersuchen, uns es zu öffnen.« – »Zu welchem Zweck?« – »Wir haben das Verlangen, eine kleine, aber intime Bekanntschaft mit Ihrem Gepäck anzuknüpfen.« – »Meinetwegen. Ich bin einmal in Ihrer Gewalt. Aber ich warne Sie. Mit meinen Waffen versteht nicht ein jeder umzugehen!« – »Keine Sorge! Wir werden vorsichtig sein. Geben Sie her!«

Der Polizist hielt Geierschnabel die Fesseln entgegen.

»Was? Sie wollen meine Hände haben?« fragte dieser. – »Ja.« – »Ich habe ja gar nicht die Absicht, zu fliehen oder mich zu widersetzen!« – »Wenn Sie diese Absicht auch hätten, würden Sie es doch nicht eingestehen. Je gefährlicher ein Subjekt ist, desto vorsichtiger muß man es behandeln. Also her mit den Händen!«

Diese Worte wurden in kategorischem Ton gesprochen. Geierschnabel gehorchte. Er ließ sich die Handschellen anlegen, sagte aber:

»Ich erhebe Widerspruch gegen diese Behandlung! Keiner von Ihnen hat das Recht, mich festzunehmen. Sie werden mir Genugtuung geben müssen.« – »Sie werden sie erhalten, wenn Sie sie verdienen. Jetzt aber marsch nach Ihrer Wohnung! Und merken Sie es sich, daß jede Bewegung, auch die kleinste, von uns beobachtet wird.« – »O bitte, bewegen Sie sich ganz so, wie es Ihnen beliebt.«

Geierschnabel wurde unter allgemeiner Begleitung nach Nummer eins geführt. Er bemerkte dort sogleich, daß hier bereits nach ihm gesucht worden sei, doch ließ er das die anderen nicht merken. Vor der Tür zum Schlafzimmer blieb man mit ihm halten.

»Haben Sie diese Tür verschlossen?« fragte der Polizist. »Weshalb?« – »Weil ich nicht wünsche, daß man mir im Gepäck herumstibitzt. Finden Sie das nicht begreiflich?« – »Aber Sie haben nicht nur den Schlüssel abgezogen, sondern auch das Schlüsselloch verstopft. Sind die Geheimnisse, die Sie zu verbergen haben, denn gar so groß oder so gefährlich?« – »Überzeugen Sie sich doch.« – »Da müssen Sie erst öffnen. Was steckt in dem Loch?« – »Eine Patentschraube.« – »Geht sie zu entfernen?« – »Ja.« – »Tun Sie es!«

Geierschnabel griff, trotzdem er gefesselt war, in seine Westentasche und zog ein dünnes Häkchen hervor, mit dem er in das Schlüsselloch fuhr. Er zog damit die Patentfeder an und konnte nun die Schraube aus dem Schlüsselloch bringen.

»So«, sagte er. »Ziehen Sie den Schlüssel hier aus meiner Tasche und schließen Sie auf.«

Dies geschah. Die Tür konnte jetzt geöffnet werden. Aber der Beamte, der das Wort geführt hatte, machte eine abwehrende Bewegung.

»Halt, nicht vorwärts drängen!« gebot er. »Es steht zu vermuten, daß sich hier geheimnisvolle Maschinen und gefährliche Explosivstoffe befinden. Der Arrestant mag vorangehen. Er würde der erste sein, der getroffen wird.«

Geierschnabel wurde von vier Händen gefaßt und vorsichtig in das Zimmer geschoben. Erst dann folgten die anderen nach. Der Beamte ließ den Blick umherschweifen. Derselbe fiel zuerst auf die Büchse, die Geierschnabel vor seinem Ausgang aus dem Futteral genommen hatte. Er nahm sie vorsichtig in die Hand und fragte:

»Was ist das für ein Gewehr?« – »Eine Kentuckybüchse«, antwortete der Delinquent. – »Geladen?« – »Nein.« – »Aber das ist doch keine Büchse, kein Schießgewehr?« – »Ah! Wieso nicht?« – »Das ist ja der reine Prügel. Wie kann man mit einem solchen Ding schießen wollen?« – »Ja, ein deutscher Polizist würde allerdings nicht damit treffen!«

Der Beamte legte die Büchse weg und nahm das Messer.

»Was ist das für ein Dolch?« – »Dolch? Donnerwetter! Es wird wohl ein Bowiemesser von einem Dolch zu unterscheiden sein!« – »Ah, ein Bowiemesser! Haben Sie damit bereits Menschen erstochen?« – Ja.« – »Schrecklich! Hier diese Revolver. Sie sind von Hippolyt Mehles?« – »Der Teufel hole den Hippolyt mitsamt dem Mehles! Ich kenne ihn nicht. Diese Revolver sind gute Lyoner Ware. Übrigens bin ich doch nicht etwa arretiert und gefesselt worden, um Ihnen hier Unterricht in der Waffenkunde zu geben!« – »Geduld! Jetzt kommt die Hauptsache. Sagen Sie, was dort so gelb unter dem Sack hervorschimmert.« – »Die Höllenmaschine.« – »Donnerwetter!« rief der Polizist. »Sie gestehen das zu?« – Ja.« – »Ist sie geladen?« – »Zum Zerplatzen.« – »Zum Zerplatzen? Meine Herren, also die größte Vorsicht! Halten Sie den Mann ganz fest, damit er sich nicht bewegen kann. Arrestant, ich frage Sie, ob diese Maschine wirklich geladen ist?« – Ja. Ich sagte es ja bereits.« – »Womit?« – »Mit Luft.« – »Ah, jedenfalls mit Knallgasen oder sonstigen sofort tötenden Luftarten. Darf man die Maschine berühren, ohne daß sie explodiert?« – »Ja«, antwortete Geierschnabel, sehr ernsthaft.

Da stellte sich der Polizist feierlich vor ihn hin und sagte eindringlich:

»Ich mache Sie nochmals auf die fürchterliche Sünde aufmerksam, die Sie begehen würden, falls Sie durch unwahre Angaben beabsichtigen, eine Explosion herbeizuführen. Also wir dürfen die Maschine anrühren, ohne für unser Leben befürchten zu müssen?« – »Es ist gar keine Gefahr vorhanden.« – »Wir können auch die Kleidungs- und Wäschestücke entfernen, unter denen diese Maschine verborgen ist?« – »Tun Sie es ohne Sorge!« – »Aber wie wird dieses Ungeheuer zur Explosion, zur Detonation gebracht?« – »Einfach dadurch, daß man hineinbläst.« – »Gut, so wollen wir es wagen. Meine Herren, ich könnte Ihnen befehlen, das Ungeheuer von seiner Umhüllung zu befreien, allein das hieße, den größten Teil der Gefahr auf Sie wälzen. Ich bin bereit, mit dem Mut eines braven Beamten meine Pflicht zu tun. Ich selbst werde die Höllenmaschine zuerst berühren, denn ich bin bereit, die ersten Kugeln zu empfangen und mich für Sie aufzuopfern.«

Damit ergriff der Sprecher ein Hemd, eine Hose, eine Bluse und einige Strümpfe, die auf dem Instrument lagen. Alle diese Gegenstände faßte er mit den Spitzen zweier Finger an und zog sie mit der denkbarsten Behutsamkeit fort. Endlich lag das Ungetüm bloß und unverhüllt vor ihm.

»Die frappanteste Ähnlichkeit mit einer Posaune«, sagte er. »Darin liegt ja eben die Raffiniertheit dieses Bösewichts. Einer solchen Mordmaschine eine solche unscheinbare Gestalt zu geben. Ich werde jetzt versuchen, wie schwer sie ist.«

Mit derselben Vorsicht, mit der er vielleicht eine am Zünder qualmende Bombe angegriffen hätte, hob er die Posaune empor.

»Leicht wie eine ganz gewöhnliche Posaune«, sagte er. »Ja, natürlich, Knallgase pflegen ja bekanntlich leichter zu sein als andere Luftarten.«

Der Polizist hatte wohl in seinem Leben noch keine Posaune in der Hand gehabt. Er faßte sie nur bei dem einen Ende an und hielt sie hoch empor, um sie auf ihre geheimnisvolle Konstruktion zu untersuchen; da plötzlich glitten die Züge auseinander, und der schwerere Teil mit der Stürze fiel zu Boden.

Der gute Mann glaubte nicht anders, als daß jetzt die Höllenmaschine losgehen werde. Er stieß einen Schrei aus und stand da, als ob er den Tod erwarte. Dem Fall der einen Posaunenhälfte folgte allerdings eine Explosion, aber eine ganz andere, als der Polizist erwartet hatte. Sobald er seinen Todesschrei ausstieß, konnte Geierschnabel nicht mehr an sich halten. Er platzte mit einem so fürchterlichen Lachen heraus, daß die Wände zu beben schienen. Und dieses Lachen war so ansteckend, daß alle mit einstimmten, da sie gar wohl sahen, daß es sich wirklich nur um eine alte Posaune handelte.

Der Beamte war im ersten Augenblick ganz perplex; dann aber warf er auch den zweiten Zug, den er in der Hand behalten hatte, zu Boden und donnerte Geierschnabel an:

»Mensch, ich glaube gar, Sie lachen über mich.« – »Über wen denn sonst?« fragte der Jäger, noch immer lachend. – »Ich verbiete es Ihnen aber, sich über mich lustig zu machen.« – »Bin ich etwa schuld?« – Ja, Sie allein.« – »Oho!« – »Haben Sie nicht eingestanden, daß Sie Waffen bei sich führen?« – »Habe ich etwa keine?« – »Und eine Höllenmaschine?« – »Das ist sie auch. Lassen Sie sich nur monatelang vorblasen.« – »Sie sollte geladen sein.« – »Mit Luft. Ist das nicht wahr?« – »Sie sollte explodieren und detonieren.« – »Wenn man hineinbläst. Wollen Sie das bestreiten?« – »Mensch, glauben Sie, daß ich Ihr Narr bin?« – »Für gewöhnlich nicht.« – »Dieser Witz wird Ihnen schlecht bekommen. Wenn auch von einer Höllenmaschine keine Rede mehr ist, so gibt es doch genügsamen Grund, sich Ihrer Person zu bemächtigen. Sie führen Waffen. Haben Sie einen Waffenpaß?« – Ja.« – »Wo?« – »Hier in der äußeren Tasche meines Frackes.« – »Ah! Geben Sie ihn her.« – »Nehmen Sie ihn doch selbst heraus. Sie sehen ja, daß ich gefesselt bin.«

Der Beamte langte in die bezeichnete Tasche und zog das Papier heraus, das er entfaltete und las. Er reichte es seinen Gefährten zur Durchsicht und sagte dann:

»Dieses Dokument ist zwar gültig, doch kann dieser Umstand nichts ändern, wie wir sogleich sehen werden.« Und zu Geierschnabel gewendet, fuhr er fort: »Sie haben zu der Kellnerin gesagt, daß Sie zu Herrn von Bismarck gehen wollen?« – »Ja.« – »Und daß Sie mit ihm wenig Federlesens machen werden?« – »Nein, das habe ich nicht gesagt.« – »Sie wollen leugnen?« – »Ganz entschieden!« – »Man hole die Kellnerin herbei.«

Diese wurde gebracht, und der Beamte fragte sie:

»Hat dieser Mann nicht gesagt, daß er wenig Federlesens machen werde?« – »Ja.« – »Nun, geben Sie es jetzt der Zeugin gegenüber zu?« fragte der Examinator den Gefangenen. – »Ja, das gebe ich zu«, antwortete dieser. – »Ah! Warum leugneten Sie vorher?« – »Weil ich es nicht gesagt hatte.« – »Sie widersprechen sich ja. Erst leugnen Sie, und dann gestehen Sie. Sie sehen ein, daß Ihnen daraus kein Vorteil erwachsen kann.« – »Ich widerspreche mir nicht. Sie selbst müssen nur aufpassen, was Sie sagen. Ich habe nicht gesagt, daß ich mit Herrn von Bismarck kein Federlesens machen werde, sondern ich habe nur gesagt, daß ich bei Herrn von Bismarck kein Federlesens machen werde, im Fall man mir nämlich Schwierigkeiten bereite, vor den Minister zu kommen.« – »Das ist eine Ausrede!« – »Fragen Sie die Kellnerin.«

Der Beamte tat dies, und sie gab zu, daß der Gefangene allerdings so gesagt habe, wie er jetzt angebe. Der Untersuchende sah sich abermals eine Waffe entrissen. Daher wehrte er sich:

»Es bleibt doch eine leere Ausrede. Wenn Sie sagen, falls man Sie nicht vorlassen werde, würden Sie wenig Federlesens machen, so tun Sie ja, als ob Sie Herrn von Bismarck zwingen könnten, Sie zu empfangen.« – »Das ist allerdings der Fall.« – »Ah, welche Frechheit!« – »Frechheit von Ihrer Seite«, donnerte Geierschnabel los. »Wie können Sie mich der Lüge oder der Prahlerei zeihen, wenn Sie es mir nicht beweisen können?« – »Pah! Gehen Sie doch zum Minister! Versuchen Sie, ob Sie vorgelassen werden, nämlich so, wie Sie da vor mir stehen!« – »Pah! Jedenfalls werde ich eher vorgelassen als einer, der eine alte Posaune für eine Höllenmaschine hält. Übrigens will ich Ihnen sagen, daß ich bereits bei Herrn von Bismarck gewesen bin.« – »Wann denn?« fragte der Mann höhnisch. – »Kurz vor meiner Rückkehr.« – »Sie wurden natürlich vorgelassen?« – »Ja. Seine Majestät der König hatte sogar selbst die Gnade, mich bei seinem Minister einzuführen.« – »Verrückter Kerl!«

Da ertönte es vom Eingang her:

»Kein verrückter Kerl. Er sagt die Wahrheit.«

Alle wandten sich um. Da stand Kurt Helmers, und hinter ihm erblickte man die Kriminalbeamten, die fortgeeilt waren, den Minister vor der ihm drohenden Gefahr zu warnen. Der Vorgesetzte von ihnen trat vor und befahl:

»Nehmen Sie diesem Herrn augenblicklich die Handschellen ab!«

Dieser Befehl wurde sofort ausgeführt. Dann fuhr der Kriminalbeamte zu Geierschnabel fort:

»Mein Herr, es ist Ihnen ein schweres Unrecht geschehen. Die eigentliche Schuld liegt an denen, die Sie zur Anzeige brachten, nämlich an dem Wirt und dem Oberkellner dieses Hauses. Es steht Ihnen natürlich frei, diese Leute zu belangen, wobei Sie unserer Hilfe sicher sein können. Aber auch ich habe hohen Befehl erhalten, Ihnen Abbitte zu leisten und Genugtuung zu geben. Ich bin dazu bereit und frage Sie, welche Genugtuung Sie fordern.«

Geierschnabel blickte sich im Kreis um. Es ging ein eigentümliches Blinzeln über sein Gesicht. Dann erwiderte er:

»Gut. Eine Genugtuung will und muß ich haben. Dieser Herr hat meine alte Posaune für eine Höllenmaschine angesehen. Ich verlange, daß er sie als Geschenk von mir nimmt und sie als Andenken aufbewahrt an den wichtigen Tag, an dem er Herrn von Bismarck beinahe das Leben gerettet hätte.«

Alle lachten. Auch der Betreffende stimmte mit ein.

»Weiter verlangen Sie wirklich nichts?« fragte der Kriminalbeamte. – »Nein, ich bin zufriedengestellt, wünsche aber, nun wieder mein eigener Herr sein zu können.«

Dieser Wunsch wurde ihm sofort erfüllt, indem sich alle entfernten. Nur Kurt blieb zurück. Er betrachtete sich den Amerikaner jetzt genauer, brach dann in ein Lachen aus und rief:

»Aber Mann, wie können Sie so eine Maskerade treiben.« – »Das liegt so im Temperament«, lachte Geierschnabel mit. – »Unterwegs haben Sie bereits solche Dummheiten gemacht.« – »Wer sagte das?« – »Ich habe es gehört. In Mainz sind Sie arretiert worden.« – »Das stimmt.« – »Unterwegs dann aus dem Kupee geholt ...« – »Aber mit Extrazug nachgeritten.« – Ja. Und was das beste ist, Sie haben sich ausgezeichnet revanchiert.« – »Wieso?« – »Indem Sie jenen Oberst und Leutnant einsperren ließen.« – »Auch das wissen Sie?« – »Man erzählte sich Ihre Abenteuer im Kupee, und aus der Beschreibung Ihrer Physiognomie ersah ich, daß nur Sie der Held sein konnten. Übrigens waren die beiden Offiziere meine persönlichen Feinde. Sie hatten es auf mich abgesehen. Ich rächte mich dadurch, daß ich ausstieg und sie rekognoszierte, so daß sie auf freien Fuß gesetzt wurden. Sie wollten mich zum Zweikampf zwingen, ich aber sagte ihnen, wer von einem reisenden Musikanten Ohrfeigen erhalten habe, sei nie wieder satisfaktionsfähig. Damit bin ich sie los.« – »Hm! Was aber tun wir nun?« – »Wir brechen noch heute auf.« – »Wohin?« – »Über Havre de Grace nach Mexiko. Ich habe Instruktionen, die große Eile nötig machen. Zwar habe ich auch für Sie verschiedene Mitteilungen, doch ist dazu noch später Zeit. Jetzt wollen wir vor allen Dingen den Anforderungen des Augenblickes genügen.«


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