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4. Kapitel.

»Du willigst nun in unser Urteil?« fragte Büffelstirn Sternau. – »Ja«, antwortete dieser nach einigem Zögern. – »Daß sie von den Krokodilen gefressen wird.« – »Ja. Sie ist eine Milderung dieses Urteils nicht wert.« – »So werden wir mit Anbruch des Tages nach dem Berg El Reparo reiten, um sie in den Teich der Krokodile zu werfen.« – »Das ist zu früh«, erklärte Sternau. »Es haben noch andere über sie zu sprechen und an ihrem Verhör teilzunehmen. Wir müssen warten, bis Mariano und Graf Ferdinando angekommen sind. Anders geht es nicht.« – »Das wird sehr lange dauern.«

Schließlich gewann aber doch Sternaus Ansicht und Wunsch die Oberhand, und das Urteil wurde verschoben.

»Ich sehe, Sie wollen Zeit gewinnen«, meinte Helmers mürrisch. »Was werden Sie von ihr erfahren? Nichts, gar nichts! Sie wissen ja bereits alles.« – »Sie irren. Noch ist uns einiges unbekannt und unerklärlich. Und es genügt keineswegs, daß Mariano hintritt und sagt, er sei der Sohn des Grafen Emanuel de Rodriganda. Es sind Dokumente und Zeugen nötig, dies zu beweisen. Diese Josefa ist jedenfalls in alles eingeweiht, und darum ist uns ihre Aussage von der allergrößten Wichtigkeit.« – »Ah, sie soll Zeugnis ablegen, das heißt, sie soll so lange leben, bis der Prozeß, der in dieser Angelegenheit in Aussicht steht, beendet ist?« – »Diese Frage kann noch nicht beantwortet werden. Ein Geständnis an anderer Stelle genügt, wenn es von unparteiischen Zeugen beeidet wird.« – »Nun, wir sind ja Zeugen.« – »Aber mehr oder weniger beteiligt. Der beste Zeuge wird Juarez sein. Wir müssen auf alle Fälle warten, bis er hier angekommen ist.« – »Ich wiederhole, daß es schade um die Zeit ist. Das Mädchen wird niemals ein Geständnis ablegen. Hier liegt Señor Arbellez, den ich meinen Vater nenne; wir wissen, was mit ihm geschehen ist. Ebenso wissen wir alle, daß wir unsere früheren Schicksale zum großen Teile dem Einfluß dieses Mädchens zu verdanken haben. Schreit das nicht nach Rache, und zwar nach augenblicklicher Rache? Wollen wir einen Akt der Gerechtigkeit aufschieben, den zu vollziehen unsere Pflicht ist?« – »Mein Bruder Donnerpfeil hat recht«, erwiderte Büffelstirn. – »Er hat recht«, stimmte auch Bärenherz bei.

Sternau ging. Die drei anderen, nämlich Büffelstirn, Bärenherz und Donnerpfeil folgten ihm, blieben aber draußen im Korridor wie auf vorherige Verabredung stehen.

»Was sagen die beiden Häuptlinge dazu?« fragte Donnerpfeil halblaut. »Ist es gut, daß wir Sternau seinen Willen gelassen haben?« – »Ugh!« antwortete der Apache. »Der Fürst des Felsens ist klug. Er wird wissen, was er will, wenn auch ich es nicht weiß.« – »Nach seinen Gedanken hat er recht«, erklärte auch Büffelstirn. – »Auch ich stelle das keineswegs in Abrede; aber ich dürste nach Vergeltung!« – »Mein Bruder Donnerpfeil braucht ja nicht darauf zu verzichten«, meinte Büffelstirn. – »Ich muß aber doch verzichten, wenigstens für jetzt.« – »Nein. Die Rache kann bereits beginnen.« – »Wieso?« – »Man bereite der Gefangenen Qualen, so, wie sie welche bereitet hat.«

Helmers wußte sogleich, daß der Häuptling der Mixtekas einen bestimmten Gedanken habe. Darum fragte er rasch:

»Welche Qualen meint unser Freund Büffelstirn?« – »Die Qualen des Todes. Dieses Weib soll viele Male sterben. Sie soll die Rachen der Krokodile oft gegen sich geöffnet sehen.« – »Ah, ich begreife! Josefa Cortejo soll nach dem Berg El Reparo geschafft werden und denken, daß die Exekution ausgeführt wird?« – »Ja. Sie soll alle Tage, bis Juarez kommt, nach dem Teich der Krokodile geschafft und über dem Wasser aufgehängt werden.«

Helmers Augen leuchteten vor Vergnügen bei dem Gedanken auf, welche Qualen dies dem boshaften Weib machen werde.

»Das ist gut; das ist schön!« entgegnete er. »Aber wird Sternau es dulden?« – »Nein«, sagte Bärenherz.

Der Apache kannte den Deutschen sehr genau.

»So müssen wir es heimlich tun.« – »Ja, wir werden Sternau nichts sagen«, stimmte Büffelstirn bei. »Wird mein Bruder Bärenherz mit uns reiten?« – »Nein«, antwortete der Gefragte. »Sternau ist mein Bruder. Ich tue das, was er wissen darf.« – »Er ist auch mein Bruder«, antwortete Büffelstirn. »Aber noch viel eher war Arbellez mein Freund. Er ist bis auf die Knochen zerfleischt worden, und ich habe dies zu rächen. Reitet Donnerpfeil mit?« – »Ja«, antwortete dieser. »Ich hoffe nicht, daß Bärenherz Sternau sagen wird, was wir vorhaben.« – »Bärenherz ist kein Verräter«, erwiderte der Apache einfach. Dann wandte er sich um und stieg die Treppe hinab.

Er war ein goldreiner Charakter. Seiner indianischen Anschauungsweise nach hatte er allerdings für augenblickliche Rache gestimmt; nachdem er sich aber der Ansicht Sternaus angeschlossen, widerstrebte es ihm, sich an etwas zu beteiligen, das diesem verschwiegen bleiben mußte.

Die beiden anderen blieben zurück.

»Wann reiten wird?« fragte Helmers. – »Bei Tagesgrauen«, antwortete Büffelstirn. – »Allein?« – »Nein. Ich nehme mehrere meiner Männer mit.«

Das war also abgemacht, ohne daß Sternau eine Ahnung von dem hatte, was man hinter seinem Rücken besprochen. Er war jetzt mit den verwundeten Mixtekas vollauf beschäftigt. Gefallen waren ihrer nur wenige, desto mehr aber verwundet. Die Stube, die die Mexikaner als Wachstube benutzt hatten, wurde zum Verbandzimmer und Lazarett eingerichtet. Die Nacht war fast vergangen, als der letzte der Verwundeten seinen Verband angelegt erhalten hatte.

Fünf zuverlässige Männer, die zugleich gute Reiter waren, hatten gleich nach errungenem Sieg den Auftrag erhalten, sich auf den Weg nach Coahuila zu machen, um Juarez von dem Geschehenen zu benachrichtigen. Sie waren auch sofort aufgebrochen und hatten einen Weg gewählt, der sie nicht in Gefahr brachte, Franzosen zu begegnen.

Es fragte sich nun, was mit den Leichen der Gefallenen anzufangen sei. Büffelstirn war sofort mit einer Antwort bei der Hand.

»Die Krokodile der Mixtekas haben lange kein Fleisch gefressen. Man lade die Toten auf Pferde und bringe sie nach dem Berg El Reparo.«

Sternau schüttelte den Kopf.

»Das wäre grausig und zugleich zu anstrengend«, sagte er. »Wir begraben sie.« – »Man müßte eine sehr große Grube haben, und es wäre ebenso anstrengend, sie zu bereiten.« – »Wir brauchen keine Grube zu graben. Ich kenne von früher her die Vertiefung eines Steinbruchs hier ganz in der Nähe. Wir werfen die Leichen hinein und werfen dann dort herumliegende Steine und Erde darauf.« – »Ich kenne den Steinbruch. Er eignet sich sehr gut zum Grab so vieler Leute. Aber warum sollen wir uns die Arbeit machen, die Leichen auch noch zu bedecken. Die Aasgeier werden kommen, um das Fleisch der Gefallenen in ihren Magen zu begraben.« – »Das widerstrebt mir. Ich selbst werde das Begräbnis beaufsichtigen. Will mir mein Bruder Büffelstirn so viele von seinen Männern geben, als ich brauche?« – »Ja, mein Bruder mag sie sich selbst auswählen.«

Der Häuptling der Mixtekas gab diese Antwort sehr gern. Um zu dem Steinbruch zu kommen, mußte Sternau ja die Hazienda verlassen, und so konnte er also nicht bemerken, was mit Josefa vorgenommen wurde.

Der Morgen begann sich eben zu lichten, als eine beträchtliche Schar der Mixtekas unter Sternaus Anführung die Hazienda verließ. Sie hatten die Toten auf Pferde geladen und führten alles Werkzeug bei sich, das zum Graben geeignet war.

Jetzt suchte Büffelstirn Helmers auf, der sich auch leicht finden ließ.

»Es ist Zeit, aufzubrechen«, sagte er. – »Ich bin bereit«, antwortete Helmers. »Aber deine Leute werden sehen, daß wir Josefa Cortejo mitnehmen!« – »Sie werden nicht davon sprechen. Komm!«

Sie stiegen zum Keller hinab. Dort standen zwei Mann Wache. Helmers trug den Schlüssel bei sich und öffnete die Tür. Josefa lag an der Erde und machte keine Anstalten, sich zu erheben.

»Die Tochter Cortejos mag aufstehen und mit uns kommen«, sagte der Häuptling der Mixtekas, indem er sie mit dem Fuß stieß. – »Was wollt Ihr mit mir tun?« fragte sie. – »Das wirst du sehen.«

Und als Josefa auch jetzt noch nicht aufstand, faßte der Indianer sie beim Arm, riß sie mit starker Hand empor und aus dem Loch heraus. Diese Behandlung verursachte ihr einen solchen Schmerz, daß sie laut aufschrie.

»Wenn Büffelstirn befiehlt, so hast du zu gehorchen! Merke dir das!« sagte er. Und sich zu den Wachen wendend, fuhr er fort: »Donnerpfeil wird wieder zuschließen; ihr aber bleibt hier, gerade so, als ob dieses Weib sich noch darin befände. Der Fürst des Felsens darf nicht wissen, daß wir sie heimlich mitgenommen haben. Auch die anderen alle haben zu schweigen. Sagt ihnen das!«

Josefa wurde nun in den Hof geführt und auf ein Pferd gebunden. Auch die beiden Männer stiegen auf und ritten, von zehn Mixtekas begleitet, nach Westen hin davon, in welcher Richtung der Berg El Reparo lag.

Als nach einigen Stunden Sternau zurückkehrte und Büffelstirn suchte, um ihn nach etwas zu fragten, fand er ihn nicht. Einer der Mixtekas berichtete ihm:

»Er ist ausgelitten.« – »Allein?« – »Nein. Donnerpfeil war mit ihm und einige Männer von uns.« – »Weshalb verließen sie die Hazienda?« – »Ich weiß es nicht.« – »Wohin sind sie?« – »Auch das weiß ich nicht.«

Das kam Sternau sonderbar vor. Er suchte Bärenherz auf und fand ihn, hinter dem Haus liegend, im Schlaf. Der Apache war ermüdet gewesen, hatte aber vorgezogen, seine Ruhe im Freien abzuhalten. Sternau weckte ihn.

»Hat mein Bruder den Häuptling der Mixtekas davonreiten sehen?« fragte er. – »Nein.« – »Weiß mein Bruder auch nicht, wohin er ist?« – »Ich weiß es.« – »Nun, wohin ritt er?« – »Ich darf es nicht sagen.« – »Ah! Warum?« – »Ich habe es versprochen.« – »So darf ich auch nicht wissen, was Büffelstirn und Donnerpfeil vorhaben?« – »Nein.«

Sternau blickte nachdenklich vor sich hin. Dann sagte er:

»Wenn Bärenherz versprochen hat, zu schweigen, so darf er allerdings nicht reden. Aber ich möchte wenigstens erfahren, ob ich mich über die Abwesenheit der beiden Freunde beruhigen kann.« – »Ich glaube nicht, daß ihnen etwas geschehen wird.« – »Tun sie etwas, was ich nicht billigen würde?« – »Darüber darf der Apache nichts sagen.« – »Ah! Sie sind vielleicht gar nach dem Berg El Reparo geritten?« – »Mein Mund darf nicht reden.«

Nach diesen Worten drehte der Apache sich auf die andere Seite, zum Zeichen, daß er mit dieser Angelegenheit nichts mehr zu tun haben wolle.

»Ich werde es doch erfahren!« sagte Sternau.

Von einer bestimmten Ahnung getrieben, kehrte er in das Haus zurück und stieg in den Keller hinab. Dort standen die beiden Wachen vor der Tür.

»Wo befindet sich die Gefangene?« fragte er. – »Hier in diesem Loch«, antwortete der eine. – »Schließt auf!« – »Wir können nicht, wir haben keinen Schlüssel.« – »Wer hat ihn?« – »Donnerpfeil.« – »War Büffelstirn oder Donnerpfeil vorhin bei euch?« – »Nein.« – »Habt ihr gehört, daß diese beiden fortgeritten sind?« – »Nein.« – »Ruft einmal die Gefangene. Klopft an die Tür.« – »Sie antwortet nicht.«

Sternau versuchte es selbst. Er klopfte und rief, erhielt aber keine Antwort.

»Sie ist wie der Käfer, der sich totstellt, wenn er angerührt wird«, meinte der eine der beiden Wächter.

Dennoch aber fühlte Sternau sich nicht beruhigt. Er fragte nochmals sehr eindringlich:

»Sie befindet sich also wirklich da drin?« – »Ja.« – »Wenn ihr euch täuschtet, könnte großes Unheil entstehen!«

Da die Männer ihre Behauptung auch jetzt nicht widerriefen, verließ Sternau den Keller. Er konnte nicht begreifen, weshalb die beiden ausgeritten seien, sah sich aber gezwungen, trotz des Verdachtes, den er noch immer hegte, ihre Rückkehr geduldig abzuwarten.


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