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5. Kapitel.

Diejenigen, um die es sich handelte, hatten unterdessen längst den Berg erreicht. Sie ritten an der Seite desselben hinauf, hielten an dem Teich der Krokodile an, stiegen ab und nahmen auch Josefa vom Pferd.

Die Augen der Mexikanerin waren eingesunken und ihre Züge krampfhaft verzerrt. Sie besaß bei weitem nicht die Zuversicht, die sie Sternau gegenüber gezeigt hatte. Die Angst machte ihre Beine zittern. Sie sank zur Erde.

Der große, seeartige Teich lag so einsam und verlassen da, umstanden von einem düsteren Baumwuchs, dessen Spiegelbilder drohend aus der Tiefe emporblickten. Es war ein Ort, ganz einer grausigen Mordtat würdig.

»Warum bringt Ihr mich hierher?« fragte sie voller Angst. – »Das wirst du bald sehen«, antwortete Helmers. – »Wollt Ihr mich morden?« – »Nein, aber richten!«

Josefa schauderte zusammen. Man sah, wie sie die Lippen übereinanderpreßte, um das Klappern ihrer Zähne nicht hörbar werden zu lassen.

»Ihr seid nicht meine Richter«, sagte sie. – »Wer denn, meine schöne Señorita?« – »Ihr habt nicht das Recht, mich zu verurteilen. Dazu ist die Obrigkeit da.« – »Ah! Bist du vielleicht Obrigkeit?« – »Ich? Warum diese Frage?« – »Weil du Señor Arbellez verurteilt hast und dieses Urteil auch ausführen ließest. Wir beanspruchen nur dasselbe Recht wie du.« – »Das steht Euch nicht zu! Ihr seid nur Jäger; ich aber bin die Tochter des zukünftigen Präsidenten.« – »Seit wann dürfen die Töchter der Präsidenten richten und Urteil sprechen? Übrigens machst du dich ungeheuer lächerlich. Dein Vater ist ein Schurke, den wir noch fassen werden, und du bist nichts als der Inbegriff aller Häßlichkeit und Schändlichkeit. Du bist ein ekelhafteres Gewürm als die Krokodile, denen wir dich als mageren Bissen vorwerfen werden.«

Das hatte Josefa noch niemand gesagt, aber dennoch fühlte sie keine Entrüstung über diese Beleidigung. Die Angst hatte ihren Stolz gebrochen. Sie fühlte sich als Staub, als ohnmächtige Kreatur. Darum bat sie:

»Habt Erbarmen! Arbellez ist ja nicht gestorben!« – »Wir werden dasselbe Erbarmen haben, das du gehabt hast!« antwortete Büffelstirn. »Paß auf!«

Der Indianer legte die Hände an den Mund und stieß den klagenden Ton aus, der als Krokodilruf bekannt ist. Sofort geriet die vorher so ruhige Oberfläche des Wassers in Bewegung. Hier und da hatte man in der Nähe der Ufer etwas hervorragen sehen, einem dunklen Baumstumpf, einer großen Wurzel oder einem schwarzen, unförmlichen Stein ähnlich. Jetzt bekamen diese Punkte Leben; es zeigte sich, daß es die Köpfe schlummernder Krokodile waren. Die Tiere kamen herbeigeschossen, drängten sich, Kopf an Kopf, dicht zusammen, peitschten das Wasser mit ihren Schwänzen und klappten die weiten Rachen auf, um die fürchterlichen Zähne zu zeigen und die Kinnladen mit lautem Krachen wieder zusammenzuschlagen. Es war ein schrecklicher Anblick.

Josefa überlief es eiskalt. In einem dieser Rachen, die von allerlei Gewürm wimmelten, sollte sie verschwinden, in Stücke zerrissen durch die spitzen, dolchartigen Zähne.

»O Santa Madonna!« rief Josefa. »Ihr treibt nur einen furchtbaren Scherz mit mir. Es ist gar nicht Eure Absicht, mich diesen Scheusalen vorzuwerfen.« – »Nein, vorwerfen werden wir dich ihnen nicht«, antwortete Büffelstirn. »Dein Leiden wäre da zu kurz. Du hast einen ganz anderen Tod verdient. Du kennst Alfonzo, der sich einen Rodriganda nennt?« – »Ja«, antwortete sie. – »Du weißt, daß er auf der Hazienda del Erina gewesen ist?« – »Ja.« – »Hast du gehört, was er da erlebte?« – »Er hat es mir erzählt.« – »Hat er dir auch erzählt, daß er über den Krokodilen gehangen hat?«

Schon die Erinnerung machte, daß es Josefa kalt überlief.

»Ja«, antwortete sie. – »An einem Baum.« – »Ja.« – »Damals ist er leider entkommen; das soll aber bei dir nicht der Fall sein. Siehe diesen Baum! Es ist derselbe, an dem er gehangen hat.«

Josefa blickte empor. Sie sah den Stamm, der sich vom Ufer aus schräg über das Wasser hinüberstreckte; sie sah den Ast, der wie dazu geschaffen war, einen Menschen daran niederzulassen. Sie schloß die Augen. Es war ihr, als ob ihr ganzer Leib, ihre ganze Seele in tausend Atome auseinanderfließe.

»An jenem Ast wirst du hängen«, fuhr der Mixteka fort. »Die Krokodile sollen dich nicht auf einmal verschlingen, sondern sie sollen dich stückweise auseinanderreißen.« – »Gnade!« stöhnte sie, ohne die Augen zu öffnen. – »Gnade?« hohnlachte Büffelstirn. »Hast du jemals Gnade ausgeübt?« – »Ich verspreche Euch, mich zu bessern!« – »Du kannst nie besser werden. Wenn wir dir das Leben schenkten, würdest du schlimmer als vorher gegen uns wüten!« – »Laßt mir das Leben, so will ich Euch alles bekennen, was ich begangen habe!« – »Wir mögen es nicht wissen!« – »Auch was mein Vater und mein Oheim begangen haben!« – »Wir wissen es bereits!« – »Ich werde Euch alles über Henrico Landola erzählen.« – »Wir mögen über den Schurken gar nichts wissen.« – »Ihr sollt erfahren, welche Bewandtnis es mit Rodriganda hat.« – »Das geht uns ganz und gar nichts an«, antwortete der Indianer ebenso kalt und gleichgültig wie vorher. »Werft ihr einen Lasso über!«

Sofort schnallte einer der Mixtekas seinen Lasso von der Hüfte los und kletterte an dem Baum empor, legte den Riemen in die Gabel der beiden überhängenden Äste und kehrte dann, die Enden des Lassos mit den Zähnen haltend, wieder zurück.

Auch Büffelstirn machte seinen Lasso los und legte eine Schlinge.

»So, jetzt kann es beginnen!« sagte er. – »Übt Barmherzigkeit!« schrie Josefa, die Hände erhebend. – »Barmherzigkeit gegen dich wäre ein Verbrechen«, antwortete er, während er seinen Lasso mit dem einen Ende des anderen zusammenband. – »Ich gestehe, daß jener Alfonzo nicht der Sohn des Grafen von Rodriganda, sondern der Sohn meines Oheims ist!« rief sie, sich auf die Knie erhebend und vor Todesangst die Stellung einer Beterin annehmend. – »Das wissen wir auch ohne dich! Komm her!«

Büffelstirn warf Josefa die Schlinge über und zog ihr dieselbe unter den Armen zusammen. Es traten ihr vor Entsetzen die Augen weit aus den Höhlen.

»O Gott, o Gott, gibt es denn kein Mitleid?« rief sie mit kreischender, weithin schallender Stimme. »Ich werde alles, alles gestehen, so daß Ihr die ganze Grafschaft Rodriganda erhaltet!« – »Sie gehört uns nicht; wir mögen sie nicht! Zieht an! Eins ...«

Josefa begann, mit Händen und Füßen um sich zu schlagen.

»Ich will nicht, ich will nicht; ich will leben bleiben, ich mag nicht sterben!« schrie sie mit überschnappender Stimme. – »Zwei ...« kommandierte der Häuptling.

Da klammerte sie sich mit ihren gefesselten Händen an Büffelstirn fest und rief:

»So sollst du mit sterben, Wüterich! Ich lasse dich nicht los!« – »Drei!« erschallte es jedoch aus seinem Mund.

Er stieß sie von sich, zu gleicher Zeit zogen zwei der Mixtekas den Lasso an – ein fürchterlicher, entsetzlicher Schrei erscholl, und Josefa flog von der festen Erde fort und über das Wasser bin.

Alle Rachen schnappten nach ihr, aber die Mixtekas zogen so schnell an, daß das Mädchen hoch genug kam, um nicht erreicht zu werden. Dann schwang es schaukelartig hin und her, erst in großen, weiten und dann in immer kleineren und engeren Schwingungen, bis es still und bewegungslos am Riemen hing, gerade über den geöffneten Rachen der Krokodile, die das Wasser zu Schaum peitschten und, miteinander kämpfend, in hundert Schnellungen und Sprüngen ihr Opfer zu fassen suchten.

Helmers hatte bisher wortlos zugesehen.

»Warten wir«, sagte er, »sie hat die Besinnung verloren.« – »Soll ich sie untertauchen? Dann kommt sie sofort wieder zu sich!« sagte einer der beiden Mixtekas, die den Lasso hielten. – »Nein«, antwortete Büffelstirn, »dann würden die Tiere sie sofort erfassen, und sterben soll sie ja noch nicht.« – »So sollen wir sie so hängenlassen, bis sie wieder zu sich kommt?« – »Ja. Bindet den Lasso am Stamm fest, damit ihr ihn nicht zu halten braucht.«

Dies geschah. Und dann setzten sich die Männer in das Gras nieder, um den Augenblick des Erwachens in aller Gemächlichkeit zu erwarten.

Die Männer hatten die Wasserfläche vor sich, in der jetzt die Reflexe der Sonne zu glitzern begannen. Das tat dem Auge weh. Ganz unwillkürlich wandte aus diesem Grund Büffelstirn das Haupt seitwärts. Im nächsten Augenblick lag er lang am Boden.

»Uff«, sagte er halblaut und warnend.

Donnerpfeil war als guter, erfahrener Präriejäger den Bewegungen des Häuptlings gefolgt und hatte sich sofort gleich den anderen Mixtekas zur Erde niedergelegt.

»Was ist es?« fragte er. – »Ein Indianer«, antwortete Büffelstirn. »Da drüben unter der großen Zypresse.«

Alle richteten die Augen nach dem bezeichneten Punkt. Wirklich, da stand ein Indianer, und gleich darauf trat ein zweiter zu ihm. Sie schienen die Mixtekas noch gar nicht gesehen zu haben.

»Zieht das Weib schnell empor, damit sie von dem Laub verdeckt wird«, befahl Büffelstirn. – »Wollen wir sie nicht lieber herunterholen?« fragte ein Mixteka. – »Nein. Man müßte emporklettern, und das würde auffallen.«

Josefa wurde also emporgezogen und der Lasso wieder am Stamm befestigt. In diesem Augenblick trat ein dritter Indianer unter den Baum.

»Es scheinen mehrere zu sein«, meinte Donnerpfeil. »Man kann nicht erkennen, zu welchem Stamm sie gehören, da es unter der Zypresse zu dunkel ist. Es kann für uns gefährlich werden. Ich werde sie beschleichen.« – »Allein?« fragte Büffelstirn. »Zwei sind in einem solchen Fall besser als einer. Ich gehe mit. Schleiche du dich rechts um den Teich und ich links, so bekommen wir sie von zwei Seiten und treffen hinter ihnen zusammen.« – »Aber unsere Leute, was tun sie?« – »Sie warten, bis wir zurückkommen, und lassen sich bis dahin nicht sehen.«

Hätten sie geahnt, wen sie vor oder vielmehr hinter sich hatten, so hätten sie jedenfalls ganz andere Maßregeln ergriffen.


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