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27. Kapitel.

Gerade als Ravenow dem Ruf des Obersten Folge leistete, rollte der Zug in Neustadt-Magdeburg ein und hielt, um etwaige Passagiere aufzunehmen. Da erklang in der Nähe des Kupees die Frage:

»Nach Berlin, Schaffner?« – »Ja, weiter vorn.« – »Vorn ist ja die dritte Klasse.« – »Welche fahren denn Sie?« – »Erste.« – »Sie? Wirklich erste?« – »Sie haben es gehört.« – »Zeigen Sie Ihr Billett.« – »Hier.«

Man konnte vom Kupee aus nichts sehen, aber der Schaffner betrachtete jedenfalls das Billett, dann hörte man ihn sagen:

»Richtig! Steigen Sie schnell hier ein. Es geht augenblicklich fort.«

Er öffnete die Tür, und der Passagier stieg ein.

»Guten Morgen«, grüßte er höflich.

Er erhielt keine Antwort, denn Ravenow konnte vor Staunen nicht sprechen, und der Oberst antwortete aus Indignation nicht, da der Eingetretene nicht ein Mann zu sein schien, dessen Gruß man zu beantworten brauchte.

Der Fremde setzte sich, und sofort brauste der Zug weiter.

»Herr, mein Heiland!« stieß da Ravenow hervor. – »Was ist?« fragte der Oberst.

Der Gefragte deutete wortlos auf den Fremden, der es sich mit seinem Sack, seiner Flinte und Posaune so bequem wie möglich zu machen suchte. Der Oberst betrachtete ihn ein Weilchen und richtete dann den Blick auf Ravenow. Dieser hatte sich inzwischen von seiner Bestürzung erholt.

»Oberst, wissen Sie, wer dieser Mensch ist?« fragte er hastig.

Der Gefragte antwortete halblaut:

»Ganz sicher jener Mann, dessen fürchterliche Nase mit dem Extrazug eingerasselt kam.« – »Es ist mein Mann, mein Mann!« – »Ihr Mann? Wie denn? Wie meinen Sie das?« – »Der Vagabund, der – ach, die Ohrfeigen.« – »Donnerwetter! Ist's wahr?« – »Freilich!« – »Ich denke, er ist gefangen?« – »Ja, er wird abermals entflohen sein.« – »Mit einem Extrazug?« – »Wer kann wissen, wie es zugegangen ist. Wann kommen wir zur nächsten Station?« – »In sechs Minuten nach Biederitz.« – »Dort lassen wir ihn festnehmen.« – »Irren Sie sich nicht? Wissen Sie genau, daß er es ist?« – »Wie wäre bei dieser Nase und der Posaune ein Irrtum möglich!« – »Werde gleich sehen.«

Der Oberst warf sich in eine höchst unternehmende Haltung, wandte sich an Geierschnabel und fragte:

»Wer sind Sie?«

Geierschnabel antwortete nicht.

»Wer sind Sie?« wiederholte der Oberst.

Abermals keine Antwort.

»Hören Sie! Ich habe gefragt, wer Sie sind.«

Um das Rollen der Räder zu übertönen, hatte der Oberst die letzte Frage fast brüllend ausgesprochen. Da nickte Geierschnabel ihm äußerst freundlich zu und antwortete:

»Was ich bin? Ein Passagier.« – »Das weiß ich!« rief der Oberst »Ihren Namen will ich wissen!« – »Schön. Sie sollen ihn erfahren.« – »So sagen Sie ihn doch auch.« – »Hm. Wann wollen Sie ihn denn wissen?« – »Natürlich gleich.« – »O weh! Ich habe ihn leider gerade nicht bei der Hand.« – »Treiben Sie keinen Blödsinn! Woher kommen Sie?« – »Von Mainz.« – »Ah, Sie waren beim Polizeikommissar von Ravenow?« – »Allerdings.« – »Und unterwegs wurden Sie abermals arretiert?« – »Leider.« – »Wie kommen Sie nach Magdeburg?« – »Mittels Extrazuges.« – »In den Sie sich eingeschmuggelt haben? Man wird dafür sorgen, daß Sie nicht wieder entkommen, Sie Lumpazi vagabundus!« – »Lumpazi? Vagabundus? Hören Sie, gutes Männchen, sprechen Sie in meiner Gegenwart diese beiden Worte nicht wieder aus!«

Der Oberst bog sich in herausfordernder Art zu ihm herüber.

»Weshalb?« fragte er. – »Die Antwort könnte Ihnen nicht gefallen.« – »Soll dies etwa eine Drohung sein?« – »Nein, sondern eine Warnung.« – »Die brauche ich nicht. Behalten Sie dieselbe für sich.«

Endlich hatte Ravenow einen Entschluß gefaßt. Er sah in dem Oberst einen Verbündeten, auf den er rechnen konnte; sie beide waren dem Fremdem jedenfalls gewachsen. Es war Zeit, ihm seine Ohrfeigen mit Zinsen zurückzugeben und ihn dann arretieren zu lassen.

»Bitte, sprechen Sie nicht mit diesem flegelhaften Geschöpf«, sagte Ravenow daher zu dem Oberst. »Ich werde ihn der Polizei übergeben, die am besten weiß, was mit einem solchen Lump anzufangen ist.«

Er hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, so geschah ein lauter Klatsch. Geierschnabel hatte dem Sprecher eine so fürchterliche Ohrfeige appliziert, daß er von seinem Sitz herunterflog.

Da sprang der Oberst empor und faßte Geierschnabel bei der Brust.

»Halunke!« rief er. »Das sollst du büßen!« – »Hand weg! Augenblicklich!« gebot Geierschnabel, indem seine Augen funkelten.

Er befand sich noch auf seinem Platz, während der Oberst vor ihm stand.

»Was?« antwortete der letztere. »Befehlen willst du mir? Da nimm hin, was dir gehört!«

Er holte zu einer Ohrfeige aus, brach aber in demselben Augenblick mit einem lauten Schmerzensschrei zusammen. Geierschnabel hatte mit der Linken den Hieb pariert und ihm die rechte Faust boxgerecht in der Weise in die Magengrube gestoßen, daß er sofort kampfunfähig war.

Ravenow konnte seinem Verbündeten nicht zu Hilfe kommen. Die letzte Ohrfeige war eine so intensive gewesen, daß er genug hatte. Es war ihm, als ob sein Kopf ein gigantischer Luftballon sei, in dem es keinen einzigen Gedanken gab. Es brummte und summte um ihn herum, er hatte kein Gefühl, keinen Gedanken und keinen Willen mehr. Und der Oberst hockte mit zusammengeklapptem Leib auf dem Sitz und stieß ein angstvolles Wimmern aus.

»Das habt Ihr von dem Lumpazi vagabundus!« rief Geierschnabel. »Ich werde Euch lehren, höflicher zu sein.« – »Mensch, was hast du gewagt!« stöhnte der Oberst. – »Gar nichts. Was wäre bei Euch zu wagen!« – »Ich lasse dich arretieren.« – »Werden sehen!« – »Vorsätzliche Körperverletzung wird mit Zuchthaus bestraft.« – »Das sind auch schöne Körper, die sich so leicht verletzen lassen! Bist wohl auch ein Offizier, mein Junge? Ja, renommieren könnt Ihr, aber bei so einem guten Trapperstoß, da knickt Ihr zusammen.« – »Wir werden dich schon zähmen!« stieß der Oberst mit Mühe hervor. – »Das wird sich sogleich zeigen.«

Die Maschine gab in diesem Augenblick das Zeichen, daß man an einer Station ankomme. Als der Zug hielt, öffnete Geierschnabel das Fenster und rief den Schaffner an. Dieser kam herbeigeeilt.

»Was befehlen Sie?« fragte er diensteifrig. – »Schnell den Zugführer und Stationsvorsteher her!« – »Weshalb?« – »Eine Beschwerde.« – »Wir haben keine Zeit.« – »Es muß Zeit werden. Ich bin im Kupee überfallen worden.«

Das half sofort. Der Schaffner sprang davon, und zwei Sekunden später kamen die beiden Gewünschten herzu. Geierschnabel hatte die ganze Fensteröffnung eingenommen, so daß seine beiden Mitreisenden gar nicht gehört werden konnten.

»Was ist's? Was wünschen Sie?« fragte der Zugführer von weitem. – »Wie lange halten Sie hier?« – »Nur eine Minute. Sie ist bereits verflossen. Wir müssen fort.« – »Gedulden Sie sich nur noch eine. Ich werde Sie nicht länger aufhalten. Herr Stationsvorsteher, ich bin heute im Kupee zum zweiten Male überfallen worden; ich bitte, meine beiden Mitreisenden zu arretieren.« – »Wer sind Sie, mein Herr?« – »Hier, mein Paß!«

Geierschnabel hatte ihn bereitgehalten. Es war noch nicht Tag. Der Vorsteher prüfte den Paß beim Schein der Laterne und sagte dann:

»Ich stelle mich zur Verfügung, Herr Kapitän. Wer sind die beiden Männer?« – »Der eine gibt sich für einen Grafen aus, der andere ist sein Spießgeselle. Glücklicherweise ist es mir gelungen, sie einstweilen unschädlich zu machen. Darf ich aussteigen?« – »Ich bitte Sie darum. Leute her!«

Es war kein Polizist zugegen, aber infolge des letzten Rufes kamen einige Bahnarbeiter herbei, die genügend erschienen, zwei Arrestanten zu überwältigen.

Das war viel schneller geschehen, als man zu erzählen vermag. Der Oberst und Ravenow hatten jedes Wort gehört, das gesprochen wurde, und beide waren über das unerwartete Vorgehen Geierschnabels so erstaunt und verwirrt, daß sie sprachlos sitzen blieben, selbst als der Schaffner die Tür öffnete und der Amerikaner hinaussprang.

»Wo sind sie?« fragte der Vorsteher. – »Da sitzen sie«, antwortete Geierschnabel.

Da bog sich der Vorsteher in das Kupee hinein und befahl:

»Bitte, aussteigen. Aber schnell!« – »Das geht nicht«, antwortete der Oberst. Wir sind ...« – »Weiß schon«, unterbrach ihn der Beamte. »Heraus! Heraus!« – »Donner und Doria!« rief jetzt Ravenow. »Wissen Sie, daß ich Leutnant Graf von Ravenow bin?«

Der Beamte leuchtete ihm mit einer Laterne in das Gesicht und antwortete mit überlegenem Achselzucken.

»Schön! Sie sehen ganz wie ein Graf aus. Steigen Sie endlich aus, sonst werde ich Gewalt anwenden müssen.« – »Unser Gepäck ...« wollte der Oberst sagen. – »Wird alles besorgt. Heraus damit, Ihr Leute!«

Die beiden früheren Offiziere mußten heraus. Sie wurden einstweilen gar nicht angehört, sondern in einem sicheren Zimmer bewacht. Geierschnabel blieb bei dem Vorsteher, der die Wegnahme des Gepäckes überwachte.

»Schöne Sachen!« lachte einer der Arbeiter. »Da ist wahrhaftig eine alte Posaune! Herrjesses, diese Knillen und Löcher! Welch ein Elend muß es sein, diese alte Karline brummen zu hören.« – »Und hier ein Sack«, meinte der andere. »Das ist der richtige Beweis, daß diese Kerle Spitzbuben sind. Gehören eine Posaune und so ein Sack in die erste Klasse? Na, der Trödel, der drinstecken wird.«

Sie hielten Geierschnabels Gepäck für das Eigentum der beiden anderen, und er gab sich keine Mühe, sie über den richtigen Sachverhalt aufzuklären. Als das Kupee geleert war, rollte der Zug von dannen, die Effekten der beiden Offiziere mitnehmend, da sie sich nicht im Kupee, sondern unter dem Passagiergut befunden hatten.

»Bitte, wollen Sie mir folgen, Herr Kapitän?« bat der Vorstand und geleitete ihn in seine Expedition, wo er ihn einlud, sich niederzusetzen.

Geierschnabel tat dies und zog seine übrigen Papiere hervor.

»Ich will meine Legitimation vervollständigen«, sagte er. »Haben Sie die Güte, Einsicht zu nehmen.«

Der Beamte las die Dokumente durch. Er fühlte sich von Respekt durchdrungen. Ein Bekannte des berühmten Juarez! Nur eins kam ihm sonderbar vor: die Kleidung dieses berühmten Mannes. Daher sagte er:

»Hier Ihre Papiere zurück, Herr Kapitän. Es genügte der zuerst gelesene Paß; ich sehe nun aber, mit welch einem Herrn ich zu tun habe. Würden Sie mir eine Frage gestatten?« – »Sprechen Sie.« – »Selbst wenn die Frage zudringlich erscheint?« – »Ich werde antworten.« – »Warum kleiden Sie sich nicht Ihrem Stande gemäß?«

Da machte Geierschnabel eine sehr wichtige, geheimnisvolle Miene, legte die Hand an den Mund und antwortete:

»Inkognito.« – »Ah, so! Man soll nicht wissen, wer Sie sind.« – »Nein. Darum der Sack, das Futteral und die Posaune.« – »Ah, diese sind Ihr Eigentum?« – »Ja; ich reiste als Musikus.« – »Ich begreife.« – »Ich hoffe, daß mein Inkognito bei Ihnen nicht Gefahr läuft« – »Ich habe gelernt, zu schweigen. Darf ich nun vielleicht um Ihren Bericht bitten?« – »Ich gebe Ihnen denselben zwar kurz, aber gern. Ich komme von Mainz. Als ich dort in ein Kupee erster Klasse stieg, saß der Mensch darin, der der jüngere der beiden ist. Er gab sich für einen Grafen aus und fing Händel mit mir an. Ich vermute, daß er ein französischer Spion ist, der mir folgt, um mich auf alle Weise zu verhindern, bei Herrn von Bismarck zu erscheinen, zu dem ich von Juarez geschickt werde.« – »Wir werden dafür sorgen, daß diesem Herrn Franzosen alle weitere Lust zu Intrigen vergeht.« – »Ich hoffe es. Also, er fing Händel mit mir an, und ich gab ihm einige Ohrfeigen.« – »Recht so.« – »Freut mich, daß Sie mir beistimmen. Leider aber stieg er unterwegs aus, gab sich für einen Grafen aus und mich für einen Vagabunden. Der dortige Stationsvorsteher besaß nicht Ihren Scharfblick und Ihre Menschenkenntnis. Ich wurde festgehalten, den anderen aber ließ man weiterfahren.« – »Welch eine ungeheure Albernheit«, rief der geschmeichelte Beamte. »Man sieht doch sofort schon beim ersten Blick, daß Sie ein einflußreicher Mann inkognito sind. Weiter.« – »Der sogenannte Graf hatte sich nur durch eine Visitenkarte legitimiert; mich hörte man gar nicht an. Aber als ich später meine Dokumente vorlegte und erklärte, daß ich eine Konferenz versäume, zu der Bismarck mich erwarte, fühlte sich dieser gute Vorsteher geradezu niedergeschmettert Eigentlich beabsichtigte ich, ihn bestrafen zu lassen, aber er gab so gute Worte, daß ich davon absah. Ich nahm bis Magdeburg einen Extrazug, um meinem Zug nachzukommen, ließ mir aber von dem Vorstand erst diese Zeilen geben. Ich ahnte nämlich, daß der sogenannte Graf, sobald er mich wieder erblicke, mir neue Hindernisse in den Weg legen werde.«

Der Beamte las die Bescheinigung durch und sagte dann:

»Das ist mir von hohem Wert. Mein Kollege da hinten erklärt, daß er durch die falschen Angaben des Grafen verführt worden sei. Mich soll er nicht verführen. Bitte, fahren Sie fort.« – »Ich kam nach Magdeburg, und als ich in das Kupee stieg, erblickte ich meinen Widersacher. Ein zweiter war bei ihm.« – »Da begann wohl die Machination?« – »Ja. Sie fingen wieder Streit an. Der andere wollte mich prügeln. Ich gab aber dem Grafen eine Ohrfeige, daß er genug hatte, und dem anderen einen Stoß in die Magengrube, daß ihm die Luft ausging. Glücklicherweise langten wir dann gleich hier an. Hätten sich die beiden wieder erholen können, so wäre es wohl um mich geschehen gewesen.« – »Ich werde sie bei den Haaren nehmen. Aber apropos, halten Sie den anderen auch für einen Franzosen?« – »Nein, sondern für einen Russen. Sie wissen doch, daß Rußland gerade die deutschen Grenzen besetzt. Der Teufel weiß, was dieser Mann in Deutschland machen und ausführen soll.« – »Wir wollen ihm das Handwerk legen. Genehmigen Sie, daß ich sie verhöre.« – »Gern.« – »Natürlich sind Sie dabei. Ich bitte, mir zu folgen.«

Der Beamte führte Geierschnabel nach dem Zimmer, in dem die beiden Gefangenen untergebracht waren. Sie befanden sich da unter der Aufsicht von zwei Bahnarbeitern, die kein Auge von ihnen wendeten.

Gleich als die beiden eintraten, brauste Ravenow auf.

»Wie können Sie sich unterstehen, uns als Gefangene zu behandeln!« – »Ruhe!« rief ihm der Beamte entgegen. – »Ich frage, wie Sie es wagen können ...« – »Und abermals Ruhe, sonst verschaffe ich mir welche! Sie haben nur dann zu antworten, wenn ich frage.« – »Richtig! So muß es sein«, bemerkte der eine der Arbeiter.

Geierschnabel bekam einen Stuhl, und nun fragte der Stationsvorsteher zunächst den Obersten nach seinen Namen. Dieser nannte ihn.

»Haben Sie eine Legitimation bei sich?« – »Wozu? Ich werde doch nicht ein Dutzend Pässe einstecken, wenn ich von Wolfenbüttel nach Berlin gehe.« – »Also Sie haben keine Legitimation bei sich?« – »Nein.« – »Hm, hm. Sind Sie in Rußland bekannt?« – »Ich war einmal auf Urlaub dort.« – »Bei wem?« – »Ich habe Verwandte da. Warum?« – »Nicht Sie haben zu fragen, sondern ich.« – »Richtig! So muß es sein«, stimmte der Arbeiter gravitätisch bei. – »Aber wie kommen Sie auf Rußland zu sprechen?« fragte trotzdem der Oberst. – »Das werden Sie besser wissen als ich.« – »Donnerwetter! Sie wollen mich wohl gar als im Einvernehmen mit Rußland herausspielen? Das wäre denn doch zu famos!« – »Was Sie für famos halten, ist mir gleichgültig. Einstweilen zu dem anderen. Wie heißen Sie, und was sind Sie?« – »Ich bin Leutnant Graf von Ravenow.« – »Können Sie das beweisen?« – »Ja.« – »Sie haben eine Legitimation?« – »Ja, hier.«

Ravenow griff in die Tasche und brachte eine Visitenkarte hervor.

»Haben Sie nichts anderes?« fragte der Beamte. – »Nein.« – »Die Karte gilt nichts. Jeder kann sich auf irgendeinen beliebigen Namen Karten drucken lassen.« – »Alle Teufel, ich gebe aber mein Wort, daß ich der bin, für den ich mich ausgebe!« – »Was geht mich Ihr Wort an! Sprechen Sie französisch?« – Ja.« – »Kennen Sie Frankreich?« – »Sehr gut. Warum?« – »Nur ich habe zu fragen; Sie aber haben zu antworten.« – »Richtig! So muß es sein«, stimmte der Arbeiter bei. – »Sie geben zu, daß Sie Frankreich kennen, das genügt«, fuhr der Beamte fort. »Sie haben mir nun zu sagen, woher Sie kommen.« – »Aus Mainz.« – »Dort stieg dieser Herr mit ein?« – Ja. Aber ein Herr soll er sein? Pah! Ein Lump ist er!« – »Bemühen Sie sich nicht, ihn anzuschwärzen. Ich kenne ihn genau. Sie haben ihn an einem Anhaltepunkt hinter Mainz arretieren lassen?« – »Ja.« – »Das kann Ihnen teuer zu stehen kommen.« – »Unsinn!« – »Der dortige Vorstand schreibt mir, daß Sie ihn irregeleitet haben.« – »Wie könnte sein Brief bereits hier sein?« – »Das ist meine Sache.« – »Richtig! So muß es sein«, stimmte der Arbeiter bei. – »Wo trafen Sie mit dem anderen hier zusammen, der sich für einen Obersten ausgibt?« fuhr der Stationsvorsteher fort. – »Unterwegs.« – »Sie hatten sich bestellt?« – »Nein, es war zufällig.« – »Sie kannten sich?« – »Ja, schon sehr lange.« – »Woher?« – »Dumme Frage! Wir haben in demselben Regiment gedient.« – »Wenn Sie noch einmal den Ausdruck gebrauchen, dessen Sie sich bedienten, werde ich mein Verhalten gegen Sie verschärfen!« – »Richtig. So muß es sein«, meinte der Arbeiter, indem er Ravenow einen Stoß in die Seite versetzte. – »Kerl!« brauste der Leutnant auf. »Rühre mich nicht noch einmal an, sonst schlage ich dich zu Boden!« – »Das werden wir zu verhindern wissen«, sagte der Vorstand. »Herr Kapitän, wünschen Sie, daß wir sie binden lassen?« – »Ja, ich beantrage, sie zu fesseln«, erklärte Geierschnabel. – »Was?« fragte Ravenow. »Kapitän will dieser Mensch sein? Was denn für einer, he?« – »Ich wiederhole, daß Sie hier gar nicht zu fragen haben.«

Der Arbeiter war zur Seite getreten, um eine Rolle starker Packschnur hervorzusuchen. Jetzt kam er damit herbei und meinte:

»Richtig! So muß es sein. Her mit den Händen!« – »Ich lasse mich nicht binden; ich bin ein Edelmann!« rief Ravenow. – »Sie haben mit Tätlichkeiten gedroht, ich muß Sie binden lassen«, antwortete der Beamte. »Leisten Sie Widerstand, so sehe ich mich gezwungen, mit größter Strenge gegen Sie zu verfahren.«

Ravenow blickte den Obersten fragend an. Dieser antwortete:

»Keine Gegenwehr. Diese Leute sind der Beachtung gar nicht wert. Man wird uns eine glänzende Genugtuung geben müssen.« – »Davon bin ich überzeugt. Aber wehe dann diesen Kerlen! Da bindet mich, doch sage ich Euch, daß es Euch teuer zu stehen kommen wird.« – »Ein Graf, der sich Ohrfeigen geben läßt, wird uns nicht sehr gefährlich werden können«, meinte der Vorstand. »Aber was ist denn das? Es fehlt Ihnen beiden ja die rechte Hand.«

Der Beamte erhielt keine Antwort. Über Geierschnabels Gesicht ging ein lustiges Wetterleuchten; er sagte rasch:

»Donner, da fällt mir etwas ein. Das ist außerordentlich wichtig.« – »Was?« fragte der Beamte. – »Vor zwei Jahren wurden in Konstantinopel zwei Spione ertappt. Der eine war ein Russe, gab sich aber für einen preußischen Obersten aus, und der andere war ein Franzose, gab sich aber für einen deutschen Grafen und Leutnant aus. Der Sultan milderte das Todesurteil, er schenkte ihnen das Leben, ließ aber beiden die rechte Hand abhacken.« – »Unsinn!« rief der Oberst. – »Verdammte Lüge!« erklärte der Leutnant. – »Ruhe«, gebot der Stationsvorstand. »Ich weiß jetzt ganz genau, woran ich mit Euch bin. Herr Kapitän, wünschen Sie, daß ein Protokoll aufgenommen werde?« – »Das ist nicht nötig. Der Prozeß wird in Berlin gemacht werden. Die Hauptsache ist, daß man sie hier nicht entkommen läßt.« – »Dafür werde ich sorgen. Ich werde sie den Gendarmen übergeben, bis dahin aber sollen sie gefesselt und hinten im Gewölbe eingeschlossen und bewacht werden. Schafft sie fort!« – »Richtig, so muß es sein!« triumphierte der Arbeiter.

Die beiden verunglückten Offiziere verzichteten auf jede weiteren Einsprüche. Es wurden ihnen die gesunden Arme an den Leib gebunden, und darauf schaffte man sie in das Gewölbe.

»Da haben wir einen wichtigen Fang gemacht«, sagte der Stationsvorsteher erfreut zu Geierschnabel. – »Einen höchst wichtigen«, antwortete dieser. »Wann geht der nächste Zug nach Berlin ab?« – »In drei Stunden.« – »Mit diesem fahre ich. Ich werde unseren Fang dort gleich zur Meldung bringen, und dann empfangen Sie telegrafische Instruktion.«

So geschah es. Mit dem nächsten Zug dampfte Geierschnabel nach Berlin, während die beiden Gegner des listigen und übermütigen Jägers in ihrem Gewölbe auf Rache sannen.


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