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17. Kapitel.

Unterdessen hatte sich der Zustand des kranken Haziendero Pedro Arbellez wesentlich gebessert. Die alte, treue Marie Hermoyes gab sich alle mögliche Mühe, seine Schmerzen zu lindern, und so begannen die Wunden nach und nach zu heilen, zumal einer der Mixtekas, die die Besatzung der Hazienda bildeten, ihm das berühmte Wundkraut gesucht hatte, das jede Wunde zur schnellsten Verharschung bringt.

Er war bereits soweit hergestellt, daß er das Bett versuchsweise verlassen hatte. Er saß, sorglich von Decken umhüllt, in einem Stuhl am Fenster, das nach Norden ging. Da hinaus schaute er, denn nach dieser Richtung lag das Fort Guadeloupe, lagen Chihuahua und auch Coahuila. Neben ihm stand Marie Hermoyes.

»Alles will ich gern gelitten haben, wenn ich sie nur wiedersehe«, sagte er, ein begonnenes Gespräch fortsetzend. – »Oh, Señor, Ihr glaubt nicht, wie unendlich auch ich mich freue!« – »Ja, meine gute Marie, ich glaube es schon. Aber wie sagte Antonio, wie Emma ausgesehen hätte?« – »Gut, sehr gut, sagte er.« – »Gesund?« – »Gesund und munter.« – »Sie hatte gesagt, daß sie bald kommen werde.« – »Sehr bald, Señor.« – »Aber sie kommt ja nicht. Ich warte vergebens!« – »Ihr dürft die Geduld nicht verlieren. Juarez wird sie bringen.« – »Warum kommt sie nicht eher?« klagte er. – »Wollt Ihr sie zum zweiten Male verlieren, noch ehe Ihr sie überhaupt wiedergesehen habt?« – »Das wollte Gott verhüten. Aber wird es nicht da draußen schwarz am Horizont, Marie?«

Die Gefragte trat näher an das Fenster, blickte hinaus und strengte ihre alten Augen so viel wie möglich an.

»Ja, Señor«, erwiderte sie, »es sieht gerade so aus, als ob recht viele Reiter dort auftauchten.« – »Santa Maria! Wenn Juarez endlich käme!«

Die beiden Leute blickten mit größer Spannung hinaus.

»Ja, es sind Reiter«, sagte Marie. – »Es sind sehr viele«, fügte der Haziendero hinzu. »Sie kommen näher. Gott, vielleicht ist mein Kind bei ihnen!«

Er wurde ganz schwach vor freudiger Erregung. Er legte den Kopf zurück und schloß die Augen. Aber sein Ohr blieb offen. Da hörte er ein nahendes Brausen und dann den Hufschlag vieler Pferde, der wie ein dumpfer Donner heranrollte.

Es war ein ganzes Heer, das herangaloppiert kam, Weiße und Apachen. Die Mixtekas hatten sich auf ihre Pferde geworfen, um sie zu empfangen. Man hörte ein jubelndes Heulen und Brüllen, unterbrochen von durchdringendem Gewieher der mutigen Pferde, dann kam ein schneller Männerschritt von der Treppe her auf die Tür zu, die geöffnet wurde. Arbellez richtete die Augen auf den Eintretenden.

»Juarez«, sagte er, ganz schwach werdend. – »Der Präsident«, rief auch Marie Hermoyes. – »Ja, ich bin es«, sagte der Zapoteke. »Gott grüße Euch, Señor Arbellez. Wie ist es Euch ergangen?« – »Schlimm, sehr schlimm, Señor«, antwortete Marie. »Josefa Cortejo hat ihn bis auf die Knochen peitschen lassen und dann in den Keller geworfen. Unser guter Herr hat Fürchterliches ausgestanden.«

Juarez zog die Brauen zusammen, er wollte fragen, wurde jedoch daran verhindert, denn von der Tür her erscholl ein jauchzender Schrei.

»Vater!«

Er hatte diese Stimme so lange Jahre nicht gehört, der alte, kranke Haziendero, aber er erkannte sie doch sogleich.

»Emma, mein Kind.«

Er wollte diese Worte sprechen, aber sie erstarben ihm auf der Zunge. Er hielt die Augen noch geschlossen, aber er öffnete die Arme. Im nächsten Augenblick hielten sich die beiden wortlos umschlungen; desto reichlicher aber flossen die Tränen auch bei denen, die dabeistanden, über die Wangen herab.

Da nahm Juarez die Alte bei der Hand und zog sie aus dem Zimmer.

»Lassen wir sie allein«, sagte er draußen zu ihr. »Dieser selige Augenblick ist ihr heiliges Eigentum, das wir ihnen nicht stehlen dürfen. Aber sagt mir doch, Señora, wo ist Señor Sternau?« – »Der ist fort«, antwortete sie. – »Und Büffelstirn, Bärenherz und die anderen?« – »Sie sind auch fort.« – »Wohin?« – »Man weiß es nicht.« – »Sie müssen es aber doch gesagt haben, wenn sie die Hazienda auf einige Zeit verlassen haben.« – »Nein. Sie konnten es nicht sagen; denn sie wußten es selbst noch nicht. Sie sind der Josefa Cortejo nachgejagt.« – »Ist sie entkommen?« – »Ja. Doch hoffen wir, daß sie noch ergriffen wird.«

Marie erzählte in fliegender Eile, soviel sie wußte. Da kam auch Karja, die Indianerin. Sie ging mit Marie Hermoyes hinein zu Vater und Tochter, um den ersteren zu begrüßen, während Juarez sich seinen Pflichten widmen mußte.

Auch Lindsay und Amy waren mitgekommen. Der Engländer stand eine halbe Stunde später mit Juarez in dem Zimmer, das dieser für sich ausgesucht hatte, als der zweite Häuptling der Mixtekas bei ihnen eintrat, mit Papieren in der Hand.

»Was bringt mein Bruder da?« fragte der Präsident. – »Briefe für dich«, war die einsilbige Antwort. – »Von wem?« – »Von Señor Sternau. Ein Mädchen hat sie ihm übergeben. Er ritt den Feinden nach und traf unterwegs dieses Mädchen. Ehe er weiterritt, sandte er mir die Briefe für dich.«

Es waren eigentlich nicht Briefe, sondern Emilias Abschriften der geheimen Korrespondenz des Paters. Der Mixteka entfernte sich wieder, Juarez aber unterwarf die Schreiben einer Durchsicht, die zunächst eine schnelle und oberflächliche werden sollte. Aber nach einigen Augenblicken bemerkte der Engländer die außerordentliche Spannung, die sich auf dem eisernen Gesicht des Zapoteken ausdrückte. Er hütete sich daher, ihn zu stören.

Endlich steckte Juarez die Papiere ein.

»Verzeihung, Señor«, bat er, »aber es war wirklich zu wichtig.« – »Nachrichten von Sternau?« – »Nur durch ihn übersandt. Ich habe Ihnen bereits von jener Señorita Emilia gesprochen; nicht?« – »Ihrer Spionin?« – »Eigentlich möchte ich sie nicht so, sondern lieber meine Verbündete nennen. Ich habe ihr sehr viel zu verdanken, und nun hat sie von neuem einen Streich ausgeführt, der nur ihr gelingen konnte. Ich muß noch heute die Hazienda verlassen.« – »Ah! Wohin?« – »Ich gehe direkt auf Durango los.« – »Das ist ganz außerordentlich gewagt.« – »Nicht im mindesten. Ich habe hier Abschriften von Korrespondenzen aus allen Heerlagern, wo man mich erwartet, um mich glänzend zu empfangen. Man harrt bloß auf mein Erscheinen, um loszuschlagen. Hier, lesen Sie, Señor.«

Juarez gab dem Engländer die Papiere, und dieser las sie durch.

»Können Sie sich auf die Wahrheit dieser Abschriften und der ihnen zugrunde gelegenen Originale verlassen?« – »Vollständig!« – »So sind die Nachrichten allerdings außerordentlich wichtig und ebenso erfreulich. Ja, Sie dürfen nicht zaudern; Sie dürfen keine Zeit verlieren, Sie müssen aufbrechen. Aber ich ...« – »Sie ruhen aus und kommen mir nach, sobald Señor Sternau wieder eingetroffen ist.« – »Sie glauben, daß er wieder zur Hazienda kommt?« – »Ganz gewiß. Er wird nicht ruhen, bis er Cortejo und dessen Tochter gefangen hat. Die Tragödie der Rodrigandas wird dann ausgespielt sein, und Sie können überzeugt sein, daß ich die Schuldigen einem zwar gerechten, aber möglichst strengen Urteil unterwerfen werde.«

Wie gesagt, so geschah es auch. Der Präsident verließ noch denselben Nachmittag die Hazienda wieder. Er nahm alle seine Truppen mit und ließ nur eine kleine Besatzung zurück, da hier eine Etappe sein sollte, um mit dem Nordosten des Landes in Verbindung bleiben zu können.

Es vergingen mehrere Tage, ohne daß Sternau zurückkehrte oder eine Nachricht von ihm oder den anderen eingetroffen wäre. Man begann, Sorge um sie zu tragen. Besonders waren es Amy Lindsay und Emma, die ihren Befürchtungen gegenseitig Ausdruck gaben. Beide hatten ja die Geliebten unter denen, welche so beharrlicherweise nichts von sich hören ließen.

Mehrere Tage nach dem Abzug des Präsidenten bewegte sich ein kleiner Reitertrupp von Norden her auf die Hazienda zu. Etwa zwanzig wohlbewaffnete Apachen begleiteten fünf Weiße, in denen wir alte Bekannte wiederfinden. Es waren nämlich Graf Ferdinando, die beiden Wiener Ärzte und Pepi und Zilli, die Mexikanerinnen.

»Dort liegt die Hazienda«, sagte der Graf, mit der Hand nach dem Gebäude deutend. »Der Name del Erina ist mit dem der Rodriganda auf das innigste verwachsen. Ich schenkte die Besitzung meinem treuen Arbellez. Wie werde ich ihn wiederfinden?«

Der, von dem die Rede war, fühlte sich bereits stark genug, das Zimmer zu verlassen, doch hatte er dies noch nicht versucht. Er saß soeben mit seiner Tochter zusammen, um sich immer von neuem ihre Erlebnisse erzählen zu lassen, da wurde die Tür aufgerissen. Karja, die sonst so ruhige Indianerin kam förmlich hereingeflogen.

»Er kommt«, rief sie. – »Wer?« fragten beide zu gleicher Zeit. – »Don Ferdinando.« – »Wo?« fragte Arbellez, wie ein Knabe zum Fenster springend. – »Da sind sie schon«, antwortete sie.

Der Reiterzug hatte bereits die nächste Nähe der Hazienda erreicht.

»Don Ferdinando, mein lieber, guter Herr!« rief Arbellez. Und noch waren die Worte nicht verklungen, so hatte er bereits das Zimmer verlassen und flog mit wahrhaft jugendlicher Schnelligkeit die Stufen hinab. Als er den Hof erreichte, waren die Reiter im Begriff, abzusteigen. Der Graf stand neben dem Pferd, von dem man ihm geholfen.

»Don Ferdinando!« rief der Haziendero. – »Pedro, mein guter Pedro Arbellez!« rief der Graf.

Allen Unterschied des Standes vergessend, flogen sie einander in die Arme. Bald aber glitt Arbellez auf seine Knie nieder, küßte die Hände seines Gebieters und rief:

»Also wirklich! Sie sind nicht gestorben gewesen! Sie leben und kehren zu uns zurück! Oh, mein Gott, welch ein Glück! Ich danke Dir, Du Vater im Himmel. Erst gabst Du mir mein Kind wieder, und nun bringst Du mir auch noch den Herrn zurück. Nun habe ich lange genug gelebt, nun kann ich ruhig sterben.« – »O nein, nicht sterben«, erwiderte der Graf. »Wir wollen uns noch eine Spanne Zeit des Glückes erfreuen, nachdem wir eine halbe Ewigkeit so entsetzlich elend gewesen sind.«

Er zog Arbellez wieder zu sich empor und küßte ihn. Kein Auge blieb trocken. Die beiden weißhaarigen Greise bildeten eine Gruppe, die zu ergreifend war, als daß ein Menschenkind hätte gleichgültig bleiben können.

Selbstverständlich wurde der Graf auch von den anderen mit Jubel empfangen, und es dauerte lange, ehe das Gespräch sich in einem ruhigeren Geleise bewegte. Auch die beiden Ärzte und Mädchen wurde herzlich begrüßt, obgleich sie fremd waren und man weiter nichts erfahren konnte, als daß der Graf für die Mädchen eine ganze besondere Aufmerksamkeit gezeigt habe.

Natürlich erkundigte man sich auch nach dem Fort Guadeloupe, und da hörte man, daß sich dort alles wohl befinde. Resedilla hatte einen baldigen Besuch angekündigt, der Schwarze Gerard lag zwar immer noch fest, doch versicherten die beiden Ärzte mit Bestimmtheit, daß er seinen schweren Wunden nicht erliegen, sondern infolge seiner kräftigen Natur und der vortrefflichen Pflege, die er bei Resedilla fand, bald genesen werde.

Das Vergangene war für den Augenblick vergessen, und nur die Freude hatte Geltung. Niemand ahnte, daß ein neues großes Unheil bereits im Anzug sei.

Nämlich auf der Spur des Apachentrupps, bei dem sich der Graf befunden hatte, ritten sechs Männer. Der Anführer war Manfredo, der Neffe des Paters Hilario, und seine Gefährten waren diejenigen, die mit Cortejo vom Berg El Reparo nach Santa Jaga geflohen waren. Der Pater hatte sie nun für sich geworben und nach Norden gesandt, um dem Grafen aufzulauern, wenn er von Fort Guadeloupe nach der Hazienda reite.

»Verflucht!« sagte Manfredo. »Sie sind uns für jetzt entkommen! Wer hätte auch gedacht, daß zwanzig von diesen verdammten Rothäuten dabei sein würden!« – »Hätten wir ihn doch einfach aus der Ferne erschossen«, meinte einer. – »Nein, das durften wir nicht. Mein Onkel will ihn lebendig haben.« – »Damit ist's nun aus. Sie werden die Hazienda schon erreicht haben.« – »Ganz sicher. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Ich hole ihn aus der Hazienda.« – »Das ist unmöglich!« – »Meinst du? Es ist sehr leicht. Ich werde euch sagen, wie es anzufangen ist.«

Manfredo gab seinen Begleitern die gehörige Instruktion, und dann ritten sie in das Land hinein, um sich irgendwo bis zum Abend zu verbergen. Aber bereits kurz vor der Dämmerung brach Manfredo auf, um die Hazienda aufzusuchen. Die Gefahr, dort von irgend jemandem erkannt zu werden, war nicht groß, da mit ihm ja viele dagewesen waren und also auch das einzelne Gesicht unter so vielen keine große Beachtung fand.

Auf del Erina angekommen, fragte er nach Señor Arbellez.

»Er ist in seiner Stube«, antwortete der Vaquero, den er gefragt hatte. – »Ich bin ja fremd hier. Wo ist diese Stube?«

Sie wurde Manfredo gezeigt. Als er eintrat, befand sich Don Ferdinando bei Arbellez.

»Was wollt Ihr?« fragte der letztere. – »Ich bin der Sohn des Richters von Sombrereto«, antwortete Manfredo, »und habe Euch diesen Ring zu übergeben.«

Er gab den Ring hin. Als der Graf denselben erblickte, sagte er rasch:

»Das ist ja Marianos Ring! Um Gottes willen, woher ist er?« – »Ein Señor Mariano hat ihn mir gegeben als Beglaubigungszeichen, wenn ich meine Botschaft ausrichte.« – »Gott sei Dank! Kein Unglück! Was habt Ihr für eine Botschaft?« – »Mehrere Señores, unter denen zwei Rote waren, gaben meinem Vater ein Weib als Gefangene in einstweilige Verwahrung. Sie mußten rasch wieder fort; aber der, der Mariano genannt wurde, gab mir diesen Ring zur Beglaubigung und trug mir auf, zu sagen, Josefa sei ergriffen und bei meinem Vater gefangen, Pablo aber werde noch den nächsten Tag festgenommen werden.«

Diese Kunde wurde geglaubt und verbreitete sich sehr rasch auf der Hazienda. Der Bote wurde verpflegt, genoß aber nicht viel, sondern begab sich sehr zeitig zur Ruhe.

Aber als alle schliefen, erhob er sich und schlich nach dem Zimmer des Grafen, das er ausgekundschaftet hatte. Er war im Haus bekannt. Die Tür war nicht von innen verriegelt. Er trat unhörbar ein. Der Graf schlief. Er versetzte ihm einen Hieb, der den Greis besinnungslos machte, band ihn dann, steckte ihm einen Knebel in den Mund und schlang ihm den Lasso unter den Armen durch. Nun öffnete er das Fenster und ließ den Gebundenen, wenn auch unter großer Anstrengung, am Lasso hinab. Unten standen seine Gehilfen.

»Rasch fort!« flüsterte er hinunter. »Ihr wißt, wo ich euch treffe.«

Er schloß das Fenster wieder und schlich sich auf sein Lager zurück. Hätte er gewußt, welche aus Harrar stammenden Reichtümer das Gepäck Don Ferdinandos enthielt, würde er wohl noch länger verweilt haben, um sich wenigstens einen Teil derselben anzueignen.

Mit Anbruch des Tages, als die Besatzung der Hazienda erwacht war, setzte er sich zu Pferde und jagte davon.

»Gelungen, herrlich gelungen!« jauchzte er, als die Hazienda hinter ihm lag. »Sie werden diesen Grafen bis Mittag nicht belästigen, also früher gar nichts bemerken. Unser Vorsprung wird wohl groß genug sein. Ganz gewiß aber ist, daß sie mich nicht in Verdacht haben werden, denn sie sind dabeigewesen, als ich fortritt. Der prachtvolle Diamant ist also nicht verloren, sondern wird nun sicher mir gehören.«


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