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15. Kapitel.

Einige Tage später hielten drei Reiter auf die Hacienda del Erina zu. Es waren Mariano, Helmers, der Steuermann, und der kleine André. Sie hatten sich von dem Heereszug Juarez' getrennt, um rascher nach der Hazienda zu kommen. Als dieselbe vor ihnen auftauchte, bemerkten sie an verschiedenem, daß sie der Mittelpunkt eines großen Feldlagers sei.

Dies wurde natürlich von den Mixtekas gebildet.

Keiner der Indianer kannte einen der Reiter, darum wurden sie vor dem Tor angehalten.

»Wer seid Ihr?« fragte die Wache. – »Boten von Juarez«, antwortete Mariano. – »Könnt Ihr dies beweisen?« – »Holt Señor Sternau herbei«, bemerkte derselbe. – »Er ist nicht da.« – »Oder Büffelstirn.« – »Auch er ist nicht da.« – »Oder Bärenherz oder Donnerpfeil.« – »Auch sie sind nicht da.« – »Ah, wo sind sie denn?« – »Ich weiß es nicht, Señor.« – »Wer ist hier auf der Hazienda Kommandant?«

Die Wache nannte den Namen des zweiten Häuptlings.

»Ich kenne ihn nicht. Führt mich zu ihm.«

Die drei Reiter stiegen ab und wurden zu dem Häuptling geführt, der sie mit ernster Haltung und forschendem Auge empfing.

»Wir kommen von Juarez«, meldete Mariano. – »Sagt Eure Namen.«

Mariano nannte sie.

»Sie sind mir nicht bekannt«, meinte der Mixteka. »Was wollt Ihr hier?« – »Wir wollen Señor Sternau sagen, daß Juarez morgen hier eintreffen wird.« – »Seid Ihr Freunde von Señor Sternau?« – »Ja.« – »So seid Ihr Freunde von meinem Bruder Büffelstirn und also auch meine Freunde. Ihr seid mir willkommen.« – »Wo ist Sternau?« – »Niemand weiß es genau, denn er ist den Flüchtlingen nachgeritten.« – »Welchen Flüchtlingen?« – »Cortejo und dessen Tochter.« – »Ah! Sie waren hier und sind entflohen?« – »Die Tochter war unsere Gefangene. Büffelstirn und Donnerpfeil entführten sie nach dem Teich der Krokodile, um sie zu martern, da aber kam ihr Vater, rettete sie und tötete außer Büffelstirn und Donnerpfeil alle unsere Leute. Er entkam mit ihr, aber Sternau jagte ihnen nach, und bei ihm befinden sich Donnerpfeil, Büffelstirn und Bärenherz, auch mehrere von unseren Kriegern waren dabei, aber zwei von ihnen wurden nach der Hazienda zurückgeschickt, und die andern mußten eine Señorita nach Mexiko begleiten.« – »An welchem Ort geschah die Trennung?« – »Ich kenne ihn nicht.« – »Sind die beiden Männer noch anwesend?« – »Ja. Wollt Ihr mit ihnen reden?« – »Ich muß mit ihnen unbedingt sprechen, und zwar sofort.« – »Ich selbst werde sie holen.«

Der Indianer entfernte sich. Die drei blickten einander besorgt an.

»Hier ist etwas Schlimmes vorgegangen«, sagte Mariano. »Nur unsere vier Freunde befinden sich auf der Verfolgung. Wie leicht kann ihnen etwas geschehen!« – »Mein Bruder ist dabei«, meinte der Steuermann. »Es ist meine Pflicht, ihm nachzufolgen. Ich kann ihn nicht verlassen.« – »Und ich bin Sternau so unendlichen Dank schuldig, daß ich mein Leben für ihn geben würde«, fügte Mariano hinzu. »Was sagt denn Ihr zu dieser Angelegenheit, Señor André?«

Der kleine Mann zuckte die Achseln und antwortete:

»Jetzt noch gar nichts. Man muß erst die beiden Mixtekas hören.«

Diese kamen bald herbei und gaben ihre Aussage. Nach ihrer Ansicht hatte Sternau die Richtung nach Santa Jaga eingeschlagen.

»Könnt Ihr den Weg wiederfinden, an dem ihr euch von ihm getrennt habt?« – »Ja.« – »Gut, so soll uns einer von euch dorthinführen, aber sofort. Er kann dann zurückkehren.«

So waren die drei also entschlossen, ihren vier Freunden nachzureiten. Da ihre Pferde ermüdet waren, tauschten sie dieselben gegen frische um und brachen dann unverweilt auf.

Ihr Führer brachte sie genau an den Ort, wo Sternau mit Señorita Emilia zusammengetroffen war, und deutete ihnen die Richtung an, in der Santa Jaga zu finden sei.

Sie kamen dann kurz vor der Abenddämmerung an und hielten vor dem Städtchen, um es zu betrachten und einen Plan zu fassen.

Sie beschlossen, sich zu teilen, um in kürzester Zeit und in verschiedenen Richtungen ihre Erkundigungen einzuziehen und sich am Klosterberg zu treffen.

Mariano ritt vor eine Venta, stieg vom Pferd und trat ein, um sich ein Glas Pulque geben zu lassen. Der Wirt schien ein sehr gesprächiger Mann zu sein. Außer ihm war nur noch ein Mensch vorhanden, der die Kleidung eines Arbeiters oder Dienstboten trug und faul auf einer der Bänke lag.

»Habt Ihr in letzter Zeit viele Gäste gehabt?« fragte Mariano. – »Sehr viele, Señor«, antwortete der Wirt. – »Fremde?« – »Ja. Es waren Franzosen hier.« – »Ach so! Gab es außerdem noch fremde Gäste hier im Hause?« – »Einige.« – »Besinnt Euch einmal, ob diejenigen, die ich suche, dabei waren.« – »Beschreibt sie mir, Señor!« – »Es waren zwei Indianerhäuptlinge und zwei Weiße. Der eine der letzteren war ein sehr großer und starker Mann.« – »Mit einem Bart, der bis über den Gürtel hing?« fragte da der Mann, der auf der Bank lag. – »Ja«, antwortete Mariano rasch. »Habt Ihr diese vier gesehen?« – »Ja.« – »Wo?« – »Eine halbe Tagereise im Norden von hier.« – »Hört, ich gebe Euch einen Peso, einen Silberdollar, wenn Ihr mir das genau beschreiben könnt!«

Da fuhr der Mann wie der Blitz von der Bank empor und zu Mariano hin. Ein Silberdollar war ihm eine bedeutende Summe.

»Señor, ist das wahr?« fragte er. – »Ja, ich halte mein Wort.« – »Nun, so werde ich es Euch erzählen, obgleich die Señorita gesagt hat, daß wir nicht davon sprechen sollten.« – »Welche Señorita?« – »Sie wurde Señorita Emilia genannt und kam mit den Franzosen aus Chihuahua.«

Jetzt wurde Mariano einiges, wenn auch nicht alles, klar.

»Was solltet Ihr nicht erzählen?« fragte er. – »Nun, sie kam zu meinem Herrn und verlangte ein Pferd und zwei Begleiter nach der Hacienda del Erina. Ich war einer von diesen Begleitern. Eine halbe Tagereise von hier trafen wir auf die vier Männer, die Ihr sucht, Señor. Es waren noch Indianer bei ihnen. Sie stiegen ab, und der Große unter ihnen sprach lange Zeit mit der Señorita. Sie gab ihm Papiere, mit denen zwei Indianer davonritten. Dann kaufte sie uns ein Pferd ab und wurde von den anderen Indianern begleitet.« – »Wohin?« – »Ich denke wohl nach Mexiko.« – »Was aber taten dann die vier Männer?« – »Sie ritten nach Santa Jaga, das sie vor uns erreichten.« – »Wie könnte man wohl erfahren, wo sie abgestiegen sind?« – »Sie sind nicht in der Stadt gewesen.« – »Wißt Ihr das genau?« – »Ja. Die ganze Sache interessierte mich, so daß ich mich erkundigte. Die Señores sind bei keiner Venta abgestiegen.« – »So sind sie vielleicht durch die Stadt und dann weitergeritten.« – »Das ist möglich, aber sie können auch oben im Kloster gewesen sein, denn dort hat ja Señorita Emilia gewohnt.« – »Ah, bei wem?« – »Beim Pater Hilario.« – »Kann man mit ihm sprechen?« – »Ja. Ihr dürft nur oben nach dem Pater Hilario fragen.« – »Ich danke Euch! Aber noch eins. Sind vielleicht am Tag vorher Fremde hier angekommen?« – »Ja«, antwortete der Wirt. »Drüben in der anderen Venta stiegen einige fremde Mexikaner ab. Bei ihnen war einer, den man für einen mexikanischen Jäger halten kann.« – »Wie nennt er sich?« – »Das weiß ich nicht.« – »Kann man mit diesen Leuten sprechen?« – »Sie sind selten anzutreffen, weil sie zu viel herumstreifen.« – »Das mag genügen. Hier ist der Silberdollar!«

Der Knecht griff gierig zu, und Mariano ritt, nachdem er seine Zeche bezahlt hatte, davon, aus der Stadt hinaus und dem Klosterberg zu, um seine Kameraden dort zu erwarten.

Helmers befand sich bereits dort, und als nachher André kam, erzählte er, was er gehört hatte. Infolgedessen beschlossen sie, nach dem Kloster zu reiten. Am Tor desselben angekommen, stieg nur Mariano vom Pferd; die beiden anderen sollten ihn erwarten.

Er klopfte nach herkömmlicher Sitte an, und obgleich es bereits dunkel geworden war, wurde ihm geöffnet. Er fragte nach dem Pater Hilario, und man wies ihn nach der Wohnung desselben. Er fand die betreffende Tür und klopfte an.

»Herein!« rief die Stimme des Paters.

Mariano trat ein. Das Licht der Lampe fiel voll auf ihn. Der Pater erhob sich von dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte, und drehte sich nach dem Eintretenden um. Augenblicklich schlug er in höchster Verwunderung die Hände zusammen und rief:

»Don Ferdinando!« – »Ihr irrt, Señor«, meinte Mariano. »Ich heiße nicht Ferdinando!«

Diese Worte brachten den Pater zu sich.

»Ach ja! Es ist ja auch unmöglich!« sagte er. »Ihr habt nämlich Ähnlichkeit mit einem Mann, den ich früher kannte; aber das ist so viele Jahre her, daß Ihr dieser Mann unmöglich sein könnt.« – »Darf ich seinen Namen wissen?« – »Graf Ferdinando de Rodriganda.« – »Ah, dieser Name ist mir bekannt. Aber Graf Ferdinando ist so alt, daß ich unmöglich mit ihm verwechselt werden kann.« – »Kennt Ihr ihn vielleicht?«

Bei dieser Frage war das Auge des Paters auf Mariano gerichtet.

»Ja«, antwortete der Gefragte. – »So lebt er noch!« – »Er lebt noch.« – »Darf ich fragen, wo?« – »Gegenwärtig im Norden von Mexiko.« – »Ich danke! Vielleicht kann ich bei der Gelegenheit auch erfahren, wer Ihr seid.« – »Ich bin ein spanischer Jäger und nenne mich Mariano.«

Bei Nennung dieses Namens ging ein Zucken über das Gesicht des Paters. Cortejo hatte ja von diesem Mariano gesprochen und dabei gesagt, daß er der echte Graf Rodriganda sei. Hilario trug ein intensives Rachegefühl gegen die Familie Rodriganda im Herzen. Wie mußte es ihn freuen, den einzigen Sproß derselben in seine Hand gegeben zu sehen. Doch war er vorsichtig genug, sich erst die Überzeugung zu verschaffen, ob er auch den richtigen Mariano vor sich habe. Die Verhältnisse desselben waren ihm aus seinem Gespräch mit Cortejo bekannt. Darum fragte er:

»Ein Jäger seid Ihr, Señor? Was habt Ihr denn gejagt?« – »Alles, was mir in den Weg gekommen ist.« – »Wo habt Ihr da gejagt?« – »In der Heimat und hier, aber erst seit kurzer Zeit.« – »So seid Ihr wohl noch gar nicht lange in Mexiko?« – »Nein.« – »Darf man wissen, wo Ihr vorher gewesen seid? Wohl in Spanien?« – »Nein, ich habe mich in Australien aufgehalten.«

Nun wußte der Pater, daß er den richtigen Mariano vor sich habe.

»Aber früher seid Ihr wohl einmal in Mexiko gewesen?« fragte er. – »Allerdings. Aus welchem Grund vermutet Ihr dies?« – »Mir ist, als hätte ich Euch schon einmal in der Hauptstadt gesehen.« – »Da bin ich allerdings gewesen.« – »Ah, so scheine ich mich doch nicht getäuscht zu haben.« – »Vielleicht irrt Ihr Euch. Es ist lange her.« – »Oh, Señor, ich habe ein außerordentliches Personengedächtnis. Ein Gesicht, das ich einmal gesehen habe, erkenne ich auch nach längerer Zeit sofort wieder. Wenn ich mich nicht irre, müssen es fast zwanzig Jahre sein, seit ich Euch damals sah.« – »Es ist beinahe so lange her, daß ich in Mexiko war.« – »Ja, und nun fällt mir auch ein, wo ich Euch gesehen habe, Señor.« – »Ihr macht mich allerdings höchst neugierig.« – »Ich glaube Euch im Hause eines Engländers gesehen zu haben, welcher, ja – mir fällt der Name ein – Lord Lindsay hieß.« – »Bei ihm habe ich allerdings verkehrt, doch kann ich mich durchaus nicht erinnern, Euch dort getroffen zu haben.« – »Ihr habt mich weder getroffen noch gesehen. Ich war damals der Beichtvater eines Bediensteten des Hauses und sah Euch nur von weitem kommen und gehen. Wenn ich mich recht erinnere, wart Ihr sogar der Verlobte der Tochter des Engländers. Nicht?« – »Miß Amy war und ist meine Braut. Von wem wußtet Ihr das?« – »Eben von diesem meinem Beichtsohn. Ich erfuhr von ihm ganz eigentümliche Dinge, die auch auf Euch mit Bezug hatten.« – »Ah! Darf ich fragen, was für Dinge das gewesen sind?« – »Ihr müßt verzeihen, daß es mir verboten ist, Euch zu antworten.« – »Warum?« – »Weil mir jene Mitteilungen unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses gemacht wurden. Es kam ein gewisser Cortejo mit vor.« – »Pablo Cortejo?« fragte Mariano rasch. – Ja. Und auch seine Tochter Josefa.« – »Auch sie? Oh, wenn Ihr mir doch diese Sachen mitteilen könntet. Habt Ihr Cortejo gekannt?« – »Natürlich, gerade so, wie ich den Grafen Ferdinando de Rodriganda gekannt habe, mit dem ich Euch vorhin verwechselte.« – »Sehe ich ihm wirklich so ähnlich?« – »Außerordentlich. Es ist kaum ein Unterschied zu bemerken zwischen Euch und ihm, wie er aussah, als er in Euren Jahren stand. Fast könnte man glauben, daß Ihr ein naher Verwandter von ihm seid!« – »Vielleicht ist es auch so«, meinte Mariano, der unbefangen genug war, sich von den Reden des Paters gewinnen zu lassen. – »Wirklich?« fragte dieser mit gutgespieltem Erstaunen. – »Ich bin ein Verwandter von ihm, allerdings aber nicht anerkannt.« – »Heilige Madonna, so ist es wahr, was der Mann gebeichtet hat.« – »Gebeichtet! Das ist verteufelt unangenehm. Mir läge ungeheuer viel daran, Euch sprechen zu hören! Und nun dürft Ihr nicht!«

Der Pater nahm eine höchst nachdenkliche Miene an und erwiderte:

»Woher wußtet Ihr, daß ich den Grafen und Cortejo kenne, Señor?« – »Ich wußte es nicht. Ich habe es erst von Euch erfahren.« – »Ah! Ich dachte, Ihr wüßtet es und kämt, um mit mir über diese Angelegenheit zu sprechen. Es ist wahr, ich habe noch gar nicht gefragt, welche Ursache Euch zu mir führt, aber fragen werde ich doch: Wenn Ihr wirklich ein Verwandter des Grafen Rodriganda seid, welches ist denn da das verwandtschaftliche Verhältnis, in dem Ihr zu ihm steht?«

Mario fixierte den Pater eine Weile schweigend und erwiderte:

»Das ist ein Geheimnis, über das sich sehr schwer sprechen läßt.«

Der Pater lächelte überlegen und meinte in gutmütigem Ton: »Ihr könnt mir Vertrauen schenken, Señor. Übrigens bin ich überzeugt, dieses Geheimnis wenigstens ebensogut zu kennen, wie Ihr selbst.« – »Wirklich? Könnt Ihr mir das beweisen?« fragte Mariano rasch. – »Ja. Ihr seid der echte Sohn des Grafen Emanuel Rodriganda.« – »Mein Gott«, rief Mariano erstaunt, »wie kommt Ihr zu dieser gewagten Behauptung?« – »Für mich ist sie nicht gewagt. Ich könnte Euch noch mehr sagen.« – »Was denn? Schnell, schnell!« – »Nun, Ihr seid gegen einen Neffen von Pablo Cortejo umgetauscht worden, und dieser Neffe führt jetzt den Namen, der Euch gebührt.« – »Ihr meint Alfonzo, Graf de Rodriganda?« – »Ja.«

Mariano befand sich in einer ungeheueren, aber glücklichen Aufregung.

»Könnt Ihr dies beweisen?« fragte er. – »Zu jeder Stunde«, antwortete der Pater. – »Mein Gott, wer hätte das gedacht! Seit langen Jahren suche ich nach diesem Beweis, und nun wird er mir so unverhofft entgegengebracht!« – »Nicht so eilig, Señor! Ich habe gesagt, daß ich es beweisen könnte, ob ich es aber darf, also ob ich es beweisen werde, ist eine andere Frage.« – »Wer oder was sollte Euch denn hindern?« – »Mein Priesterstand, das Beichtgeheimnis.« – »Ah!« meinte Mariano enttäuscht. »Wieder das Geheimnis! Seid Ihr denn noch Priester?« – »Nein.« – »So ist doch dieser Eid nicht mehr gültig.« – »O doch. Für alles, was sich auf die Zeit bezieht, in der ich Priester war, ist er noch gültig. Doch es kommt bei allen Dingen darauf an, mit welchen Augen und von welchem Standpunkt aus man sie betrachtet. Ich darf allerdings nichts erzählen, nichts verraten, aber es ist mir doch nicht verboten, Euch Winke zu geben, die Euch in den Stand setzen können, das zu erfahren und zu beweisen, was ich geheimhalten muß, weil man es mir gebeichtet hat.« – »Oh, Señor Hilario, wenn Ihr das tun wolltet!« – »Vielleicht tue ich es, nur muß ich wissen, daß es mir nicht schadet.« – »Ich werde alles vermeiden, was Euch in Schaden bringen könnte.« – »Das hoffe ich. Man hat Euch lange Jahre gefangengehalten. Nicht wahr?« – »Allerdings.« – »Wer?« – »Die beiden Cortejos.« – »Mit Hilfe eines Kapitäns Landola.« – »Ja. Kennt Ihr auch diesen?« fragte Mariano rasch. – »Vielleicht. Ein deutscher Kapitän hat Euch endlich befreit?« – »Mein Gott! Seid ihr allwissend?«

Der Pater lächelte und antwortete selbstbewußt:

»Das nicht. Aber Ihr seht, daß ich eingeweiht bin. Ich könnte Euch leicht alle Rätsel lösen, die Euch noch dunkel sind, aber – hm! Ich weiß nicht, ob ich auf Eure Verschwiegenheit rechnen darf.«

Da ergriff Mariano seine Hände und sagte bittend:

»Señor, ich werde schweigen wie das Grab. Ich bitte Euch um Gottes willen, mir zu sagen, was Ihr wißt.« – »Ich habe Euch gesagt, daß ich das nicht darf. Aber vielleicht bin ich bereit, Euch diejenigen Winke zu geben, von denen ich sprach.« – »Tut das, Señor! Ich werde Euch reich belohnen, ich werde es Euch danken, so lange ich lebe!«

Da nahm der Pater eine ernste, fromme Miene an und sagte:

»Ich tue es nicht um des Lohnes willen. Es sind hier Verbrechen verübt worden. Zwar darf ich nichts verraten, aber ich halte es für meine Pflicht, dahin zu wirken, daß die Schulden nicht Früchte genießen, die anderen gehören.« – »Ah, Ihr seid ein frommer, gottesfürchtiger Mann! Ich darf hoffen, daß Ihr mir die Hand zur Hilfe reicht.« – »Ja, das könnt Ihr, Señor! Aber wenn ich Euch die nötigen Winke geben soll, muß ich vorher erfahren, wie weit Ihr selbst von der Sache unterrichtet seid. Ich muß Euer Leben und alle Ereignisse kennenlernen, die sich auf Euch und Eure Freunde beziehen.« – »Ich bin bereit, Euch alles zu erzählen, Señor!« – »Ihr wollt also Vertrauen zu mir haben?« – »Vollständig!« beteuerte Mariano. – »So setzt Euch und erzählt!«

Mariano folgte dieser Aufforderung. Er gab eine Beschreibung seines Lebens und seiner Erfahrungen so ausführlich, daß dem Pater nicht das geringste verborgen blieb. Er war so begeistert für den Gegenstand, daß er nicht an die Gefährten dachte, die ihn erwarteten.

Endlich war er fertig. Auch der Pater hatte auf einem Stuhl Platz genommen. Jetzt erhob er sich, ging einige Male im Zimmer auf und ab und sagte, vor ihm stehenbleibend:

»Ihr seid also überzeugt, der Sohn des Grafen Emanuel zu sein?« – »Ja«, antwortete Mariano. – »Graf Ferdinando weiß dies auch?« – »Ja.« – »Wer weiß das noch? Dieser Sternau natürlich?« – »Jawohl.« – »Die beiden Indianerhäuptlinge und die beiden Helmers?« – »Ja.« – »Ferner Emma Arbellez, Karja, Marie Hermoyes und jener Spanier, der mit dem Grafen in Harrar gefangen war?« – »Sie alle.« – »So ist Euer Geheimnis das Eigentum sehr vieler Personen geworden, und die Schuldigen dürfen überzeugt sein, daß es unmöglich ist, es totzuschweigen. Auch der Engländer und seine Tochter kennen es?« – »Auch sie.« – »Und welchen Personen in Deutschland ist es bekannt?« – »Meiner Schwester Rosa und jedenfalls den ihr nahestehenden Vertrauten. Doch weiß sie bei weitem nicht so viel, als wir anderen.« – »Und welche Punkte sind Euch noch unklar? Das muß ich wissen.« – »Unklar ist uns eigentlich keiner der Hauptpunkte. Es handelt sich nur um die Erbringung des Beweises; aber das ist gerade das schwierigste.« – »Ich halte es im Gegenteil für das leichteste.« – »Ja, wenn wir Pablo Cortejo und Landola fest hätten!« – »Nun, das ist doch nichts Unmögliches!« – »Allerdings nicht. Sternau ist ihnen ja doch nachgejagt.« – »Ah! Wirklich?« – »Ja. Ich habe Euch noch nicht gesagt, daß ich ihn suche. Er ist mit den beiden Indianerhäuptlingen und dem einen Helmers hinter Cortejo her, und ihre Spuren zeigen gerade auf Santa Jaga. Es wurde mir sogar gesagt, daß sie bei Euch sein könnten.« – »Bei mir?« fragte der Pater lächelnd. »Wer sagte das?« – »Einer der Reitknechte, die mit Señorita Emilia nach der Hacienda del Erina aufgebrochen waren.«

Der Pater entfärbte sich.

»Señorita Emilia?« stotterte er. Doch faßte er sich schnell und fragte: »Nach der Hacienda del Erina ist sie geritten?« – »Ja«, antwortete Mariano. »Das ist ihre Absicht gewesen.« – »Was hat sie dort gewollt?« – »Ich weiß es nicht.« – »Hm! Ihr seid doch wohl nicht allein nach Santa Jaga gekommen?« – »Nein. Ich habe noch zwei Gefährten mit.« – »Wer sind sie?« – »Der Kleine André und der andere Helmers.« – »Wo sind sie?« – »Sie warten draußen vor dem Tor auf mich. Aber ich habe im Eifer unserer Unterredung gar nicht mehr an sie gedacht.«

Der Pater blickte einige Zeit nachdenklich vor sich nieder. Dann warf er rasch den Kopf empor und fragte:

»Man kann sich auf Euch verlassen, Señor?« – »Oh, vollständig«, beteuerte Mariano. – »Wenn ich Euch helfe, so werdet Ihr mich nicht verraten?« – »Niemals; darauf könnt Ihr Euch verlassen.« – »Nun gut, wenn Ihr Cortejo fangt, so haben wir nicht nötig, ein Beichtgeheimnis zu verraten. Wie nun, wenn er noch heute abend in Eure Hände fiele?«

Da sprang Mariano wie elektrisiert empor.

»Herrgott, ist dies möglich?« – »Ja, es ist möglich. Aber bitte, redet nicht so laut. Ich will Euch gestehen, daß Señor Sternau mit seinen Gefährten hier bei mir war.« – »Ah! Wirklich? Wo sind sie? Haben sie Cortejo gefangen?« – »Nein. Sie kamen zu mir, um nach Cortejo zu fragen. Ich wußte nichts von ihm, und darum ritten sie weiter.« – »Wohin sind sie?« – »Ich weiß es nicht. Sie haben mir nichts gesagt. Aber wo Cortejo ist, das weiß ich genau.« – »Welch ein Glück wäre das! Aber sagtet Ihr nicht eben, daß Ihr nichts von ihm wüßtet?« – »Ich sagte das allerdings, und es war auch wahr. Aber kaum war Señor Sternau verschwunden, so kam Cortejo hier an.« – »Alle Wetter! Was wollte er hier?« – »Er wollte ein Asyl suchen.« – »Ihr gewährtet es ihm?« – »Natürlich. Ich dachte nämlich, Señor Sternau werde wiederkommen.« – »Ihr hattet die Absicht, ihm Cortejo auszuliefern?« – »Das versteht sich«, nickte der Pater. – »So befindet er sich noch hier?« – »Ja.« – »Oh, Señor, wollt Ihr ihn mir überlassen?« – »Gern. Ihn und seine Tochter.« – »Auch sie ist hier?« – »Auch sie. Ich glaube, das wird Euch doppelt liebsein.« – »Natürlich, natürlich! Wo befinden sie sich?« – »In einem unterirdischen Gefängnis. Er bat um ein Asyl. Hätte ich ihn öffentlich aufgenommen, so wäre es mir unmöglich, ihn Euch auszuliefern. Darum sorgte ich dafür, daß kein Mensch ihn und seine Tochter zu sehen bekam, und darum kann ich ihn Euch übergeben, ohne Verrat befürchten zu müssen.« – »Ihr könnt Euch auf unsere größte Verschwiegenheit verlassen. Wollt Ihr mich zu ihm führen?« – Ja. Ich ersuche Euch, mir zu folgen.«


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