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12. Kapitel.

Um dieselbe Zeit kam etwa eine halbe Tagereise weiter im Norden eine kleine Truppe von vier Reitern über den ebenen Grasboden geritten. Es war Sternau mit Donnerpfeil, Büffelstirn und Bärenherz. Ihnen folgten in ehrerbietiger Entfernung die Mixtekas, die Büffelstirn aufgefordert hatte, ihn zu begleiten.

Die Augen der vier waren auf den Boden gerichtet, und keiner sprach ein Wort, als Sternau auf das Gras zeigte und dabei sagte:

»Hier haben Pferde den Boden gestampft. Ich glaube, daß wir die Fährte noch sicher haben. Die Verfolgten haben hier ausgeruht.«

Sie stiegen von den Pferden, um den Platz zu untersuchen.

»Ja«, sagte Büffelstirn, »sie waren es. Die Zahl der Pferde ist dieselbe, und auch die Größe der Hufe paßt genau.« – »Wohin geht diese Richtung?« – »Nach Santa Jaga.« – »Das kenne ich nicht. Was ist es? Eine Stadt? Ein Flecken?« – »Ein Städtchen ist es, mit einem Kloster, das – uff!«

Der Indianer stieß diesen Ruf, mit dem er sich selbst unterbrach, in einem Ton aus, der von großer Überraschung zeugte.

»Warum wundert sich der Häuptling der Mixtekas?« fragte Sternau. – »Weil ich erst jetzt daran denke, was am wichtigsten ist, nämlich an die Worte, die der sterbende Mann sprach, den ich auf dem Berg El Reparo vom Pferd schoß. Ich fragte ihn, ob er wohl wisse, wohin Cortejo geritten sei. Er antwortete: ›Vielleicht nach dem Kloster della Bar...‹ Weiter konnte er nicht sprechen, denn er starb.« – »Hängt dies etwa mit Santa Jaga zusammen?« – »Jedenfalls, denn die Spur führt ja dorthin, und dort gibt es ein Kloster, das della Barbara heißt.« – »So hat das ›Bar...‹ des Sterbenden della Barbara heißen sollen?« – »Auf alle Fälle.« – »Und in diesem Kloster befindet sich Cortejo?« – »Wir werden ihn dort sicher treffen.« – »So denke ich, daß wir keine Zeit zu verlieren brauchen, indem wir dieselbe mit der Betrachtung der Fährte verschwenden. Wir haben dadurch bereits so viel verloren, daß die Verfolgten uns ein und einen halben Tag voraus sind. Kennt der Häuptling der Mixtekas den Weg nach Santa Jaga?« – »Sehr genau.« – »So mag er uns führen. Wir reiten direkt auf den Ort los.«

Die Männer stiegen wieder auf und setzten den Ritt fort, dieses Mal aber viel schneller als vorher.

Es mochte gegen Mittag sein, als sie eine Gruppe von drei Berittenen bemerkten, die ihnen entgegenkamen. Sie hielten an.

»Drei Reiter«, sagte Sternau. »Wer mag es sein?« – »Vaqueros jedenfalls«, meinte Büffelstirn. – »Nein«, antwortete Bärenherz, »sieht mein Bruder nicht, daß eine Squaw dabei ist?« – »Wahrhaftig!« meinte Sternau, indem er sein Auge besser anstrengte. »Es ist eine Dame mit zwei Männern.« – »Sollte es Josefa sein?« fragte Donnerpfeil. – »Wohl schwerlich. Was sollte sie bewogen haben, umzukehren?« – »Man kann das nicht wissen, Herr Doktor.« – »Wir werden es bald sehen. Ah, sie haben uns bemerkt Sie biegen zur Seite, um uns auszuweichen. Das darf ihnen nicht gelingen.« – »Reiten wir nach derselben Seite«, versetzte Büffelstirn.

Wieder jagten die Pferde weiter. Die Dame mochte erkennen, daß es unmöglich sei, auszuweichen; darum schlug sie ihre ursprüngliche Richtung wieder ein. Als die beiden Parteien einander so nahe gekommen waren, daß man sich ziemlich zu erkennen vermochte, hielt Bärenherz sein Pferd an und rief:

»Uff! Das ist ja die schöne Squaw von Chihuahua.« – »Von Chihuahua? Wen meint mein Bruder?« – »Die Dame, die bei den Häuptlingen der Franzosen war.« – »Señorita Emilia? Ah, bei Gott, es ist wahr, sie ist es. Was tut sie hier? Das muß eine eigentümliche Bewandtnis haben.«

Sternau setzte sein Pferd wieder in Bewegung, und die anderen folgten ihm. Einige Augenblicke später hielten sie vor der Reiterin.

»Doktor Sternau! Señor Sternau!« rief sie ganz verwundert. – »Ja, ich bin es, Señorita«, antwortete er. »Aber sagen Sie doch, wie Sie hierherkommen! Ich glaubte Sie auf dem Weg nach Mexiko.« – »Das war ich auch. Jetzt aber wollte ich nach der Hacienda del Erina.« – »Warum dorthin?« – »Ist Juarez dort?« – »Nein.« – »Aber er kommt hin?« – »Jedenfalls.« – »Ich habe ihm wichtige, sogar höchst wichtige Nachrichten zu bringen.« – »Sie selbst wollen das tun?« – »Es stand mir kein zuverlässiger Bote zur Verfügung.« – »Wir könnten Ihnen mit einem solchen jedenfalls dienen«, meinte Sternau, indem er einen Blick auf die Mixtekas warf, die ihnen gefolgt waren. »Lassen Sie uns absteigen und ausruhen.«

Dies geschah, und als sie sich niedergelassen hatten, fuhr Sternau in seinen Erkundigungen fort:

»Also einen sicheren Boten können Sie bei uns finden. Oder ist es notwendig, daß Sie selbst mit Juarez sprechen?« – »Nein. Es handelt sich nur darum, Schriftstücke, die ich bei mir trage, sicher in seine Hände gelangen zu lassen.« – »Übergeben Sie diese Sachen zweien von unseren Mixtekas. Sie werden sie nach der Hacienda del Erina bringen und dem Präsidenten geben, sobald derselbe dort angekommen ist.« – »Ich nehme dieses Anerbieten dankend an, Señor. Ich müßte auf der Hazienda auf Juarez warten, und doch ist es sehr nötig, daß ich die Hauptstadt so bald wie möglich erreiche.« – »Woher kommen Sie jetzt?« – »Von Santa Jaga.« – »Von daher? Ah, das ist wunderbar.« – »Warum?« – »Weil wir nach Santa Jaga wollen.« – »Zu wem?« – »Das wissen wir noch nicht, jedenfalls aber ins Kloster della Barbara.« – »Gerade in diesem Kloster habe ich logiert.« – »Wirklich? Das ist eigentümlich. Wir hoffen nämlich, Personen zu finden, die wir seit einigen Tagen verfolgen.«

Señorita Emilia machte eine Bewegung des Erstaunens.

»Etwa Cortejo?« fragte sie. – »Allerdings. Wie aber kommen Sie auf ihn?« – »Und seine Tochter Josefa?« – »Auch sie. Aber erklären Sie sich, Señorita. Haben Sie etwa diese beiden Personen in Santa Jaga gesehen?« – »Ja. Und zwar im Kloster.« – »Alle Wetter! Sie sind also dort angekommen?« – »Ja, gestern abend.« – »Und befinden sie sich noch dort?« – »Ich denke es. Sie werden in einem unterirdischen Gemach versteckt.« – »Kennen Sie dieses Gemach?« – »Ja und nein. Ich muß Ihnen erzählen, wie ich dazu gekommen bin, ich kenne wohl den Ort, aber nicht den Zugang zu demselben.« – »Selbst waren Sie nicht dort?« – »Nein, aber ganz in der Nähe, nebenan.«

Emilia erzählte nun ihr gestrigen Erlebnisse so ausführlich, als sie es für gut befand. Als sie geendet hatte, fragte Sternau: »Also dieser Pater Hilario ist eigentlich ein Feind von Cortejo?« – Ja. Wenigstens hörte ich es, als ich Cortejo und seine Tochter belauschte.« – »Und der Pater brennt darauf, sich an dem Grafen Rodriganda zu rächen?« – »Auch das hörte ich, ebenso, daß er ein Feind von Juarez ist.« – »Ich hätte nicht geglaubt, hier unterwegs so Hochinteressantes zu erfahren. Wir werden diesem Pater auf die Finger sehen müssen, und es ist da vielleicht möglich, daß wir irgendeine Entdeckung machen.« – »Ich wünsche, daß dieselbe ebenso wichtig sei wie das, das ich mir von seinen Schriften notiert habe.« – »Diese Notizen wollen Sie an Juarez gelangen lassen?« – »Ja. Sind die Mixtekas wirklich sichere Boten?« – »Sie können sich auf sie verlassen.« – »Aber es handelt sich noch um die Meßgewänder und andere Kostbarkeiten, die ich entdeckt habe.« – »Sie werden mir dieselben zeigen.« – »Oh, das wird nicht möglich sein, Señor.« – »Warum nicht?« – »Weil ich mich im Kloster nicht wieder sehen lassen möchte.« – »Ich begreife das. Sie möchten am liebsten so schnell wie möglich nach der Hauptstadt gehen.« – »Das ist allerdings mein Wunsch.« – »Wie nun, wenn ich Ihnen die Mixtekas zur Begleitung gebe, die übrigbleiben, wenn die zwei nach der Hazienda zurückkehren?« – »Brauchen Sie dieselben nicht?« – »Wenn die Franzosen in der Stadt liegen, können wir mit Gewalt nichts tun. Wir sind auf List angewiesen, und da ist es sogar sehr leicht möglich, daß uns diese Leute im Weg sein würden.« – »Sie wollen Cortejo in Ihre Hand bekommen?« – »Ja.« – »Und seine Tochter ebenfalls?« – »Natürlich.« – »Nun, so brauchen Sie sich ja nur an die Franzosen zu wenden. Wenn sie erfahren, daß sich der lächerliche Prätendent Cortejo in dem Kloster befindet, so werden sie nicht zögern, ihn sich ausliefern zu lassen.« – »Daran liegt mir nichts. Ich muß Cortejo für mich haben, aber nicht für die Franzosen. Wollen Sie so gut sein und mir einmal den Weg beschreiben, der in den unterirdischen Raum führt, von dem Sie vorhin erzählten!« – »Recht gern!«

Emilia tat es so genau wie möglich und erklärte auch die geheimnisvolle Weise des Öffnens der verborgenen Türen.

»Das habe ich begriffen«, meinte Sternau. »Aber die Schlüssel. Woran werde ich sie erkennen?« – »Daran, daß sie untereinander neben dem Vogelbauer hängen, der sich neben dem Fenster befindet. Beide sind Hohlschlüssel.« – »So weiß ich für jetzt genug, Señorita. Sie ziehen also vor, gleich von dieser Stelle aus nach Mexiko zu gehen?« – »Ja, wenn Sie mir die versprochene Begleitung mitgeben.« – »Büffelstirn wird das Ihnen und mir nicht abschlagen. Aber ist dieses Pferd Ihr Eigentum?« – »Nein. Ich habe es geliehen, werde es aber dem Knecht abkaufen und es ihm so bezahlen, daß sein Herr zufrieden sein kann.« – »Sind Sie da mit hinlänglichen Mitteln versehen, oder dürfte ich Ihnen zu Diensten stehen?« – »Ich danke! Juarez hat mich ausgerüstet.« – »Aber Ihre Effekten?« – »Einiges habe ich bereits bei mir, und das übrige werden mir die Franzosen sicher nachbringen, obgleich sie noch nicht wissen, wohin ich heute geritten bin.« – »Ich würde Ihnen dies sehr gern besorgen, aber leider ist es mir unter den gegenwärtigen Umständen unmöglich. Diese Herren Franzosen haben mich ja in Chihuahua gesehen und würden mich erkennen. Der Empfang dürfte nicht zum Vorteil sein.« – »Das ist wahr. Sie dürfen sich also gar nicht sehen lassen.« – »Nein. Wann sind Sie von Santa Jaga aufgebrochen?« – »Am Morgen gegen sieben Uhr.« – »So werden wir voraussichtlich bei Nacht dort ankommen. Das paßt, da kann man uns nicht sehen. Wollen Sie mir die Wohnung des Paters beschreiben, damit ich sie gleich finde?«

Emilia tat dies und zog dann ihre Abschriften hervor, um sie Sternau zu übergeben. Dieser machte Büffelstirn mit dem Zweck und der Bestimmung derselben bekannt, und bald ritten auf Befehl dieses Häuptlings zwei der Mixtekas mit den wichtigen Schriften nach der Hazienda zurück. Die anderen machten sich bereit, die Señorita nach der Hauptstadt zu begleiten.

Die beiden Knechte waren mit dem Preis, den Emilia ihnen für das Pferd bot, sehr zufrieden und überließen es ihr. Als sie in den Sattel gestiegen war, fragte Sternau nochmals:

»Sie wissen also gewiß, daß die gestern angekommenen Personen keine anderen waren, als Cortejo und seine Tochter?« – »Ganz gewiß; denn erstens nannte er sich selbst Pablo Cortejo, und sie nannte ihn Vater, während er Josefa zu ihr sagte.« – »Und zweitens?« – »Zweitens sah ich gestern abend, daß ihm ein Auge fehlte.« – »Dann ist er es ohne allen Zweifel.« – »Ich bin überzeugt davon. Aber Señor, nehmen Sie sich vor diesem Pater Hilario in acht!« – »Keine Sorge, Señorita! Dieser Mann wird uns nicht gefährlich werden. Haben Sie an Juarez etwas auszurichten?« – »Für jetzt nichts. Leben Sie wohl!« – »Reisen Sie glücklich!«

Emilia ritt mit den Mixtekas davon, und zwar rückwärts in einem spitzen Winkel zu der Richtung, aus der sie gekommen war.

Auch die beiden Knechte kehrten zurück. Sie hatten von der Unterredung Sternaus mit Emilia kein Wort vernommen. Jetzt fragte Helmers:

»Hätten wir nicht die Mixtekas bei uns behalten sollen, Herr Doktor? Wir sind ja vier Personen, aber wir wissen nicht, was uns passieren kann. Es ist doch der Fall möglich, daß wir ihre Hilfe gebrauchen können.« – »Ich glaube nicht. Dieser Pater soll uns so leicht keinen Schaden bringen. Er wird uns Cortejo ausliefern müssen. Haben wir etwas unterlassen, so ist es, daß wir den beiden Mixtekas, die nach der Hazienda zurückkehrten, hätten sagen sollen, wohin wir reiten.« – »Das werden sie doch wissen.« – »Vielleicht doch nicht. Wir haben fast gar nicht mit ihnen gesprochen.« – »Sie werden es aber vorhin gehört haben.« – »Ich glaube das nicht, denn sie hielten zu weit von uns entfernt. Doch sehe ich nicht ein, weshalb wir gerade heute so minutiös sein wollen. Laßt uns aufbrechen, damit wir Santa Jaga nicht zu spät erreichen.«

Der Ritt wurde fortgesetzt, und zwar so schnell, daß sie die beiden Knechte sehr bald überholten. Der eine meinte zum anderen:

»Daraus werde der Teufel klug. Erst will das Mädchen nach der Hacienda del Erina, und dann kauft es uns das Pferd ab, um mit diesen Kerlen ins Blaue hineinzureiten.« – »Es waren Mixtekas.« – »Jawohl. Aber wer mögen diese vier Männer sein?« – »Zwei davon sind jedenfalls Indianer.« – »Und zwei sind Weiße; das ist ja sehr leicht zu sehen. Aber wer sind sie, und was wollen sie? Hast du eine Ahnung davon?« – »Nein. Ich habe ja kein Wort von dem, was sie sprachen, gehört.« – »Ich auch nicht Aber dies Mädchen kenne ich.« – »Ich auch. Sie nennt sich Señorita Emilia und wohnte im Kloster bei dem alten Pater. Aber was geht uns dies alles an? Treiben wir lieber die Pferde an, damit wir noch vor Mitternacht nach Hause kommen.«

Lange vor dieser zuletzt angegebenen Zeit erreichte Sternau mit seinen drei Begleitern Santa Jaga. Es war Abend, aber das Kloster war ohne Mühe zu erkennen.

»Wo stellen wir unsere Pferde ein?« fragte Helmers. – »Einstellen?« antwortete Sternau. »Gar nicht. Im Kloster ist es nicht ratsam, und in der Stadt dürfen wir uns ja nicht sehen lassen. Es wird sich da oben am Berg schon noch ein Ort finden lassen, wo wir sie verstecken können, bis wir sie wieder brauchen.« – »Es werden uns zwei Stück fehlen.« – »Inwiefern?« – »Nun, je eins für Cortejo und seine Tochter.« – »Da mache ich mir gar keine Sorge. Haben wir erst diese beiden, so werden Pferde schon zu beschaffen sein.«

Sie ritten den Berg hinan. In der Nähe des Klosters befand sich seitwärts vom Weg ein Gebüsch, in dem sie die Pferde unterbrachten.

»Wer soll hier bei den Tieren bleiben?« fragte Sternau. – »Ich nicht«, antwortete Büffelstirn. – »Bärenherz muß zu Cortejo«, meinte der Apache. – »Und ich bleibe am allerwenigsten zurück, wenn es sich darum handelt, diese beiden Personen zu fangen«, erklärte Donnerpfeil. – »Aber auch ich kann nicht zurückbleiben«, meinte Sternau. »Wir wollen also die Pferde ohne Wache lassen?« – »Ja. Es nimmt sie uns hier niemand weg.« – »Wir wollen es hoffen. Also kommt.« – »Wie gelangen wir hinein? Durch das Tor?« – »Nein. Wir müssen vorsichtig sein. Laßt uns die Mauern besehen. Es ist am allerbesten, wenn uns kein Mensch, als nur der Pater zu sehen bekommt.«


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