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24. Kapitel.

Der aber, von dem die Rede war, Geierschnabel nämlich, war, als er das Geschäft verlassen hatte, ernsthaft weitergegangen. Sobald er aber hinter der nächsten Ecke in Sicherheit war, stieß er ein lautes Lachen aus.

»Oh, Levi«, meinte er. »Wie dumm, wie dumm! Ich steckte die Banknoten ja nur hinein, um dich zu meiern. Und als ich dir die Hosen anbot, waren sie schon längst wieder heraus. Es ist doch wahr, fünf gescheite Juden sind einem Yankee nicht gewachsen. Vierzig Taler für diese Lappen. Es ist ungeheuer. Ich habe meine ganze neue Montur umsonst und auch noch Geld übrig.«

Mit dieser neuen Montur nun sah er eigentümlich aus. Er hatte nicht das Äußere eines ehrsamen, ernsthaften Menschen, sondern er sah wie eine Maske aus, wozu allerdings seine Nase nicht wenig beitrug. Sie gab dem wunderlichen Anzug erst das gehörige Relief.

Er war nicht weit gekommen, so liefen ihm schon die Jungen nach. Sein Hut, sein Tellerfrack, die alten Lederhosen, die Tanzschuhe, die Nasenquetsche und die Posaune waren ganz geeignet, Zuschauer herbeizulocken. Er bemerkte dies mit dem größten Vergnügen.

»Donnerwetter, muß mir der Anzug stehen«, schmunzelte er. »Es wird nicht lange dauern, läuft die ganze Jugend hinter mir her.«

So schritt er denn, Sack und Büchse auf dem Rücken, die Posaune aber liebreich auf den Armen tragend, von Straße zu Straße weiter. Sein Gefolge wuchs wie eine Lawine, es zählte bereits nach Hunderten und machte einen solchen Heidenskandal, daß rechts und links die Fenster aufgerissen wurden.

»Donnerwetter! Verursache ich hier ein Aufsehen! Mainz wird noch lange an Geierschnabel denken«, brummte er. »Schade nur, daß sie nicht wissen, daß ich es bin, weil ich ja inkognito gehe.«

Sein Inkognito sollte aber nicht lange dauern. Ein Polizist kam um die Ecke, erblickte die sonderbare Gestalt und die Menschen, die ihr folgten, und blieb stehen, um den Haufen herankommen zu lassen.

Geierschnabel schien ihn gar nicht zu bemerken. Der Polizist aber nahm einen der Halberwachsenen aus der Menge heraus und fragte:

»Wer ist der Kerl?« – »Ich weiß es nicht.« – »Woher kommt er?« – »Wir wissen es nicht.« – »Wohin will er?« – »Auch das weiß niemand.« – »Warum lauft ihr ihm nach?« – »Weil er so aufgeputzt ist.« – »So! Was tut er? Was hat er gesagt?« – »Kein Wort. Er schmunzelt nur immer vor sich hin.« – »Ist er nicht einmal stehengeblieben?« – »Nein.« – »Auch in keinem Haus oder Laden gewesen?« – »Nein.« – »Ich werde ihn selbst fragen.«

Der Polizist schritt dem Amerikaner nach und faßte ihn beim Arm.

»Heda! Wer sind Sie denn eigentlich?«

Geierschnabel blieb stehen und betrachtete den Mann.

»Pchtichchchchch!« fuhr diesem der berühmte Strahl gerade an der Nase vorüber.

»Ich?« fragte er dann. – »Ja, Sie.« – »Warum wollen Sie das wissen?« – »Danach haben Sie nicht zu fragen.« – »So, so. Wer sind denn Sie?« – »Ich bin Stadtwachtmeister.« – »Schön. Da sind wir Kameraden.« – »Wieso?« – »Ich bin Waldwachtmeister.« – »Unsinn. Den gibt's nicht.« – »O doch.« – »Wo denn?« – »Danach haben nun Sie nichts zu fragen.« – »Mann, werden Sie nicht renitent.«

Geierschnabel blickte dem Polizisten verächtlich ins Gesicht

»Mann, reden Sie nicht so grob!« erwiderte er. – »Wissen Sie, daß Sie mir jede Frage zu beantworten haben?« – »Haben Sie etwa auf einer Ihrer Fragen keine Antwort erhalten?« – »Ja. Aber welche! Woher sind Sie?« – »Von drüben.« – »Von drüben? Was soll das heißen?« – »Na, daß ich nicht von hüben bin.« – »Donnerwetter, das weiß ich! Aber was ist denn eigentlich drüben und hüben?« – »Das weiß jeder Schulbube.« – »Mann, zügeln Sie Ihr Mundwerk, sonst muß ich Sie arretieren.« – »Das würde Ihnen nicht viel helfen.« – »Wie heißen Sie?« – »Geierschnabel.«

Jetzt wurde der Polizist ernstlich zornig.

»Wollen Sie mich etwa foppen?« fragte er. – »Ganz, wie Sie denken.« – »Woher kommen Sie?« – »Daher.«

Geierschnabel zeigte nach hinten.

»Und wohin wollen Sie?« – »Dorthin.«

Er zeigte nach vorn.

»Das ist mir zu bunt. Er ist mein Arrestant.« – »Schön. Was soll das heißen?« – »Daß Er mir zur Polizei zu folgen hat« – »Ah! Nicht übel. Wenn ich es nun nicht tue?« – »So brauche ich Gewalt« – »Und wenn ich mich wehre?« – »So erhält Er wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt drei Jahre Zuchthaus.« – »Himmelelement, das macht dreizehn.« – »Was, dreizehn?« – »Ich sollte heute bereits zehn Jahre bekommen.« – »Ah! Weshalb?« – »Das geht Ihn nichts an.« – »Wo?« – »Auch das geht Ihn nichts an.« – »Mensch, Er ist entweder verrückt oder ein Dummkopf, der sich einen Spaß machen will, was Ihm aber teuer zu stehen kommen wird.« – »Na, soll einer von uns beiden ein Verrückter sein und der andere ein Dummkopf, so will ich gern der Verrückte sein.« – »Mensch, geht das auf mich?« – »Nein, sondern auf mich, den Verrückten nämlich.« – »Aber der Dummkopf bleibt für mich übrig.« – »So, bleibt er wirklich für Ihn übrig? Dafür kann ich leider nicht« – »Ich sehe, daß mit Ihm hier auf der Straße nichts zu machen ist. Folge Er mir! Vorwärts!« – »Wohin?« – »Das wird Er sehen. Was hat Er da in Seinem Sack?« – »Reisegegenstände.« – »Und in diesem alten Schlauch?« – »Meine Jagdbüchse.« – »Also ein Schießgewehr?« – »Ja.« – »Hat Er denn einen Waffenpaß?« – »Hm. Was ist das?« – »Ein schriftlicher Erlaubnisschein, Waffen zu tragen.« – »Ja, den habe ich.« – »Wer hat ihn ausgestellt?« – »Ich.« – »Er selbst?« – »Natürlich.« – »Na, da mache Er sich nur immer auf Konfiskation seines Gewehres und zwei Jahre Zuchthaus gefaßt.« – »Donnerwetter! Wieder zwei Jahre?« – »Ja.« – Weshalb?« – »Wegen Urkundenfälschung.« – »Das macht jetzt in summa bereits fünfzehn Jahre. Es wächst gut.« – »Ja. Wenn das so fortgeht, so kann etwas aus Ihm werden.« – »Nur kein Mainzer Polizist.« – »Nein, das braucht Er sich auch gar nicht einfallen zu lassen.« – »Hm. Eine schöne Polizeinase hätte ich aber doch.« – »Sagt lieber, eine Geier- oder Galgennase.« – »Ganz, wie es Ihm beliebt. Aber was ist das für ein Gebäude?«

Sie waren während ihrer Unterredung schnell vorwärts gekommen, gefolgt von einer immer mehr wachsenden Menschenmenge. Jetzt war die Polizeiwache erreicht.

»Das ist der Ort, an dem Er erfahren wird, was eine Arretur zu bedeuten hat.« – »Das weiß ich bereits längst.« – »Ah! Er ist schon öfters arretiert worden?« – »Das geht Ihn wieder nichts an.« – »Er ist ein Grobian, dem man das Maul stopfen wird. Trete er ein!« – »Auf diese Stopferei bin ich sehr neugierig, alter Junge.«

Sie traten in den Flur des Hauses und von da in ein Vorzimmer, in dem einige Polizisten saßen, die die verschiedenen Meldungen entgegenzunehmen und zu expedieren hatten. Auf einer Bank hockten mehrere Personen, vielleicht Inhaftierte oder Zitierte, die auf die Erledigung Ihrer Angelegenheit warteten. Auf diese Bank deutete der Polizist und gab Geierschnabel die Weisung:

»Setze Er sich hierher! Das Maulstopfen wird bald losgehen.«

Geierschnabel beachtete diese Worte gar nicht. Er legte seinen Leinwandsack und das Büchsenfutteral auf die Erde und warf sich auf einen Stuhl, der bestimmt war, Beamten als Sitz zu dienen.

»Halt! So ist es nicht gemeint«, sagte der Polizist. »Dieser Stuhl ist nicht für Seinesgleichen da.«

Geierschnabel zuckte die Achseln und fragte:

»Hm. Was für Leute versteht Er denn eigentlich unter meinesgleichen?« – »Solche, die dorthin auf die Bank gehören.« – »Na, so setze er sich gefälligst nur selber hin. Er versteht sich jedenfalls besser auf Seines- als auf meinesgleichen. Ich muß am besten wissen, auf welchen Platz ich gehöre.«

Da nahmen die Polizisten den Sprecher ganz erstaunt in Augenschein, und einer von ihnen fragte:

»Ein renitenter Kerl! Wer ist er denn eigentlich?« – »Weiß es selber nicht«, meinte der Begleiter Geierschnabels. – »Der Mensch geht ja wie eine Maske. Ist er verrückt?« – »Ich traf ihn auf der Straße, wo ihm das Volk massenhaft nachlief. Er wollte sich nicht legitimieren; darum nahm ich ihn mit.« – »Er wird hier schon reden lernen!« – »Kann es bereits, alter Junge«, meinte Geierschnabel. »Fand es nur nicht für notwendig, auf der Straße mich in eine große Sprecherei einzulassen. Hatte keine Zeit dazu.« – »Hier wird sich die Zeit schon finden.« – »Mit Masse nicht. Ich muß mit dem nächsten Zug weiter.« – »Das geht uns nichts an. Wohin will Er denn eigentlich?« – »Hm! Will er vielleicht mitgehen?« – »Mit Ihm? Fällt mir nicht ein«, lachte der Beamte. – »Nun, so braucht Er auch nicht zu wissen, wohin ich will!« – »Oho! Er ist ja der größte Grobian, der mir vorgekommen ist. Man wird Ihn aber hier die nötige Höflichkeit zu lehren wissen!« – »Pchtichchchchch!« spuckte Geierschnabel ihm am Gesicht vorüber. »Soll ich sie etwa von Ihm lernen?« fragte er. »Er scheint mir die geeignete Person dazu nicht zu sein.« – »Donnerwetter!« fluchte der Polizist. »Was fällt Ihm ein, nach mir auszuspucken und hier mit solchen Beleidigungen um sich zu werfen! Wenn Er das noch einmal wagt, so wird Er hintergesteckt und krummgeschlossen. Jetzt aber stehe Er sofort vom Stuhl auf und mache sich zur Bank hinüber, auf welche Er gehört!«

Geierschnabel machte es sich nun erst recht bequem, spreizte behaglich die Beine übereinander und antwortete:

»Sachte, sachte, alter Junge! Jeder, der auf diesem Stuhl gesessen hat, darf es sich zur Ehre schätzen, daß ich nun darauf sitze.« – »Also Widerspenstigkeit. Da werde ich Ihm jetzt eine Wohnung anweisen, in der Er es sich bequem machen kann, ohne andere Leute zu genieren und zu beleidigen. Komme Er mit!« – »Wohin?« fragte der Amerikaner ruhig. – »Ins Loch!« – »Ins Loch? Habe verdammt wenig Lust dazu. Das will ich Ihm sagen.« – »Wir fragen den Teufel danach, ob Er Lust hat oder nicht. Was ich sage, das muß gelten. Vorwärts also!«

Der Polizist legte seine Hand auf Geierschnabels Arm. Der Präriejäger aber schüttelte ihn von sich ab, erhob sich und sagte:

»Mann, höre Er einmal, was ich Ihm jetzt sagen werde. Ich habe nichts Unrechtes getan und nicht das mindeste verbrochen. Ich kann mich kleiden, wie es mir beliebt, und wenn mir das Volk nachläuft, so ist es dumm genug. Als ich arretiert wurde, bin ich ruhig gefolgt. Ich werde mich zu legitimieren wissen, gebe aber nur dann Antwort und Auskunft, wenn man mich so behandelt, wie es ein Gentleman verlangen kann.«

Geierschnabels Haltung und seine bestimmten Worte machten Eindruck.

Der Polizist blickte ihn befremdet an.

»Gentleman?« fragte er verwundert. »Er will doch nicht etwa sagen, daß er ein Engländer sei. Denke Er nur nicht etwa, daß man Ihm das glauben wird!« – »Pah. Was Er glaubt oder nicht glaubt, das ist mir sehr gleichgültig. Aber es scheint allerdings, daß Er mit Gentlemen nicht umzugehen versteht, denn diese pflegt man nicht ›Er‹ zu titulieren. Wenn Er Polizist sein will, so schaffe Er sich vorher das halbe Lot Menschenkenntnis an, das dazu nötig ist.«

Das brachte den Beamten wieder in Zorn.

»Kerl, was fällt Ihm ein«, rief er mit lauterer Stimme, als man hier im Vorzimmer gewöhnlich zu sprechen pflegt. »Ich will Ihn nur darauf aufmerksam machen, daß wir hier das Recht haben, renitente Vagabunden durch eine Tracht Prügel zur Räson zu bringen.«

Da trat Geierschnabel einen Schritt auf ihn zu und rief ebenso laut wie der Polizist:

»Prügel? Die sollte er mir wohl nicht bieten! Ich hiebe die ganze liebe Polizei, daß die geehrten Fetzen herumflögen. Bei mir zu Hause pflegt die Androhung von Prügeln bereits eine Beleidigung zu sein. Darum nehme Er sich ja in acht, mir dieses Wort noch einmal zu sagen. Für jetzt will ich es Ihm vergeben und so tun, als ob ich es gar nicht gehört hätte. Bei einer Wiederholung aber wird Er augenblicklich erfahren, was geschehen wird.«

Da wurde eine Tür aufgerissen, ein bebrillter Herr steckte den Kopf herein und fragte in verweisendem Ton:

»Was geht hier vor? Ich verbitte mir diese Art von Skandal.«

Die anwesenden Polizisten stellten sich augenblicklich in Positur.

»Verzeihung, Herr Kommissar«, entschuldige sich der eine. »Wir haben hier einen Arrestanten, der im höchsten Grade widerspenstig ist.«

Der Kommissar betrachtete sich Geierschnabel.

»Alle Teufel, was ist das für ein Kerl?« fragte er. – »Wir wissen es nicht.« – »Wieso? Sie haben ihn doch zu fragen.« – »Er verweigert uns jede Auskunft,« – »Haben Sie nach seiner Legitimation gesehen?« – »Es würde vergeblich sein. Ich wollte ihn Ihnen zum Verhör anmelden, da er uns nicht als voll zu betrachten scheint.« – »Weshalb wurde er arretiert?« – »Sein sonderbares Äußeres zog eine Menge Volkes hinter ihm her. Ich forderte daher Auskunft über seine Person, erhielt aber keine genügende Antwort. Darum arretierte ich ihn.« – »Folgte er gutwillig?« – »Ja. Aber hier wurde er grob und wagte es sogar, Drohungen auszustoßen.« – »Ah! Warum?« – »Weil – hahahaha! Weil wir ihn nicht als Gentleman behandelten, wie er lächerlicherweise verlangte.« – »Nein, sondern weil man mir mit Einsperrung und Prügel drohte«, fiel Geierschnabel ein.

Der Kommissar warf ihm einen drohenden Blick zu und sagte:

»Er hat zu antworten, wenn Er gefragt wird.« – »Ich kann nicht warten, bis es irgendwem beliebt, mich zu fragen«, antwortete Geierschnabel furchtlos. »Meine Zeit ist mir kurz zugemessen, ich muß mit dem nächsten Zug fort.« – »Wohin?« – »Ich habe keine Veranlassung, das jedermann mitzuteilen.« – »Ah! So, so! Und ich werde es wohl auch nicht erfahren?« – »Wenn Sie die dazu gehörige Kompetenz besitzen und mich in höflicher Weise befragen, so werde ich die Auskunft nicht verweigern.«

Der Kommissar lachte höhnisch.

»Nun, die nötige Kompetenz besitze ich, und mit Höflichkeit werde ich Ihn so weit bedienen, als es mir angemessen scheint. Was hat Er da in dem Lederschlauch?« – »Eine Büchse.« – »Ein Gewehr? Ah! Hat Er einen Waffenpaß?« – Ja.« – »Was hat Er da in dem Sack?« – »Verschiedenes!« – »Das genügt nicht. Zähle Er das einzelne auf!« – »Das ist nicht meine Sache. Wer hier wissen will, was drin ist, der mag nachsehen. Übrigens erlaube ich mir die Frage, ob dies hier das Zimmer ist, in dem Sie mit mir zu verhandeln haben. Ich habe bereits gesagt, daß ich zur Auskunft bereit bin, aber nicht vor jedermanns Ohren. Es ist kein Wunder, wenn man dann renitent genannt wird.« – »So trete Er ein!«

Geierschnabel trat ein und bemerkte, daß sich noch ein zweiter Herr in dem Zimmer befand, der dem anderen so ähnlich sah, daß man sofort erriet, daß diese beiden Brüder seien. Er trug einen langen, dicken, gutgepflegten Schnurrbart und hatte, trotzdem er in Zivil gekleidet war, ein entschieden militärisches Aussehen. Was am meisten an ihm auffiel, das war sein rechter Arm. Aus dem rechten Ärmel ragte nämlich ein feiner Glacéhandschuh hervor, dem man es ansah, daß er keine lebendige Hand bedeckte.

Dieser Herr betrachtete den Eintretenden mit halb erstaunten und halb belustigten Blicken.

»Alle Wetter, was für eine Vogelscheuche bringst du da herein?« fragte er lächelnd den Kommissar. – »Ein lebendiges Rätsel, dessen Lösung wir gleich finden werden«, antwortete der Gefragte. Dann wandte er sich an Geierschnabel: »Sage Er mir also zunächst, wer Er eigentlich ist!«

Der Jäger zuckte die Achseln und antwortete:

»Vorher muß ich doch wissen, ob Sie auch wirklich der Mann sind, dem ich Auskunft zu geben habe.« – »Donnerwetter, hat Er nicht gehört, daß ich Kommissar bin?« – »Ja, aber ich glaube es nicht.« – »Das ist allerdings lustig. Warum zweifelt Er daran?« – »Weil ich denke, daß man das Polizeikommissariat nur einem Mann anvertraut, der gelernt hat, mit den Leuten höflich zu verkehren!« – »So! Ich bin also unhöflich mit Ihm?« – »Hm! Ich will nur bemerken, daß ich gewohnt bin, einen jeden Menschen so zu behandeln, wie er mich behandelt. Von jetzt an werde ich Sie auch so nennen, wie Sie mich. Sie haben also die Wahl zwischen Sie und Er.«

Der militärisch Aussehende strich sich den Schnurrbart.

»Verteufelter Bengel«, meinte er. »Er hat eine Posaune! Jedenfalls ein Bettelmusikant.«

Der Kommissar antwortete lachend:

»Also ein Künstler! Nun, so werde ich dieser Stellung Rechnung tragen und mich einstweilen des ehrwürdigen ›Sie‹ bedienen.« Und sich zu Geierschnabel wendend, fuhr er fort: »Sie wünschen also zu wissen, vor wem Sie hier stehen?« – »Ich muß allerdings bitten, mir dies mitzuteilen.« – »Nun, weil Sie ein Künstler sind, werde ich so rücksichtsvoll sein, Ihnen diesen Gefallen zu tun. Ich gebe mir also die Ehre, mich Ihnen als den Polizeikommissar von Ravenow vorzustellen.« – »Danke!« antwortete Geierschnabel kaltblütig auf diese mit sichtlichem Hohn ausgesprochenen Worte. – »Und Sie, mein Herr?« fragte der Kommissar. – »Ehe ich darauf Antwort geben kann, muß ich vorher wissen, wer dieser andere Herr ist.« – »Ah, Sie sind verteufelt neugierig. Dieser Herr ist mein Bruder, Leutnant außer Dienst von Ravenow.« – »Er ist nicht hier bei der Polizei angestellt?« – »Nein.« – »So muß ich bitten, ihn zu entfernen.« – »Donnerwetter!« rief da der Leutnant, vom Stuhl auffahrend. »Welch eine Frechheit von diesem Menschen.«

Auch der Kommissar zog die Brauen finster zusammen und sagte in streng verweisendem Ton zu Geierschnabel:

»Gehen Sie nicht zu weit. Wer hier bleiben kann oder sich entfernen muß, darüber habe ich allein zu entscheiden.« – »Gut, so bitte ich, mich zu entlassen. Ich lasse mich nicht in Gegenwart eines Fremden, der nicht hierhergehört, vernehmen.« – »Schön. Entlassen werde ich Sie allerdings, aber nicht in die Freiheit, sondern in die Zelle, wo Sie Zeit haben werden, sich anders zu besinnen.« – »Ich verlange in diesem Fall vorher dem Vorstand oder Direktor der Polizei gemeldet zu werden.« – »Wozu?« – »Das brauche ich Ihnen vielleicht nicht zu sagen, da Sie es sind, über welchen ich mit dem Direktor zu sprechen beabsichtige. Auf alle Fälle aber werde ich mich erkundigen, ob es wahr ist, daß ich eingesperrt werden kann nur aus dem Grund, daß ich mich nicht in Gegenwart eines Unberufenen vernehmen lassen will.«

Der Leutnant räusperte sich und sagte:

»Sperre ihn ein und gib ihm die Karbatsche!«

Da trat Geierschnabel auf ihn zu und drohte, indem er den rechten Arm wie zum Schlag erhob:

»Sage noch so ein Wort, Bursche, so bekommst du eine Maulschelle, daß du deine Nase für einen Luftballon halten sollst! Wenn du denkst, du kannst hier gebieten, weil du Offizier und Bruder dessen bist, der mich zu vernehmen hat, so irrst du dich gewaltig. Ich bin ganz und gar nicht der Mann, der sich von einem anderen einschüchtern läßt.«

Geierschnabels Aussehen war allerdings ganz so, daß der Leutnant sich sagen mußte, die angedrohte Ohrfeige werden beim nächsten Wort erfolgen. Er trat daher schnell einen Schritt zurück, warf einen auffordernden Blick auf seinen Bruder und fragte:

»Was nun? Ich hoffe, daß du diesen unver...« – »Halt!« unterbrach ihn der Kommissar. »Kein neues Wort, was dich in Gefahr bringen könnte, mit den Fäusten eines – na, dieses Mannes in Berührung zu kommen. Es wäre allerdings ungewöhnlich, das Verhör in deiner Gegenwart vorzunehmen. Ich ersuche dich daher, dich für einige Augenblicke zurückziehen zu wollen. Ich werde mich kurz fassen.« – »Ah! Ich soll also diesem Mann weichen?« fragte der Leutnant sichtlich verärgert.

Sein Bruder zuckte die Achsel.

»Amtsangelegenheit«, meinte er. – »Nun, so darfst du dich nicht wundern, wenn ich es vorziehe, mich definitiv, anstatt einstweilen zurückzuziehen. Unsere Angelegenheiten sind, denke ich, genugsam besprochen?« – »Ich habe allerdings nichts hinzuzufügen.« – »Nun, so erlaube, daß ich mich verabschiede.«

Damit schritt der Leutnant, ohne ein Wort seines Bruders abzuwarten, stolz erhobenen Hauptes zur Tür hinaus. Es war dem eingefleischten Aristokraten unbegreiflich, daß er einem solchen Vagabunden hatte weichen müssen. Es lag in seinem hochmütigen Charakter, dies seinen Bruder dadurch fühlen zu lassen, daß er sich sofort aus dem Zimmer und dem Haus entfernte.

Dem Kommissar war es anzumerken, daß er sich darüber grimmig ärgerte, doch suchte er dies soviel wie möglich zu verbergen, und er wandte sich an Geierschnabel:

»Ihre Büchse!« gebot er.

Der Angeredete zog die Büchse aus dem Futteral und reichte sie ihm.

»Hier ist sie«, sagte er. – »Ist sie geladen?« – »Nein.« – »Der Waffenpaß!« – »Hier!«

Geierschnabel griff in die Tasche und zog ein Papier hervor, das er dem Beamten reichte. Das Dokument war richtig. Es lautete auf den Inhaber, so daß also der Name Geierschnabel nicht angegeben war.

»Öffnen Sie den Sack!« befahl der Kommissar dem Polizisten, indem er den Waffenpaß seinem Besitzer zurückgab.

Der Polizist kam dieser Aufforderung nach und zog zunächst einen Beutel heraus, der sehr schwer zu sein schien. Als er ihn öffnete, zeigte es sich, daß der Inhalt aus lauter Goldstücken bestand.

»Woher haben Sie dieses Geld?« fragte der Beamte streng. – »Verdient«, antwortete der Jäger kurz. – »Womit?« – »Das ist meine Sache.« – »Oho! Ich muß das wissen, denn dieses Gold läßt sich mit Ihrer Persönlichkeit keineswegs in Einklang bringen.« – »Soll meine Person des Einklanges wegen etwa auch golden sein?« – »Treiben Sie keinen Scherz, er könnte Ihnen teuer zu stehen kommen. Was ist noch in dem Sack?« – »Hier! Zwei Revolver!« meinte der Polizist. – »Ah! Abermals Waffen!« – »Ja. Und hier ein großes Messer.« – »Zeigen Sie her!«

Der Kommissar untersuchte das Messer. Dann fragte er Geierschnabel:

»Was sind das für Flecke hier an der Klinge?« – »Hm. Das sieht doch jedes Kind!« – »Etwa Blutflecke?« – »Ja.« – »Was für Blut?« – »Menschenblut.« – »Donnerwetter. Sie haben einen Menschen damit erstochen?« – Ja. Mehrere.« – »Wo?« – »An verschiedenen Orten.« – »Wer oder was waren sie?« – »Habe mir das nicht sonderlich gemerkt. Der letzte war Offizier.«

Der Beamte blickte den Sprecher ganz starr an.

»Mensch!« rief er. »Das wagen Sie, mir ruhig zu gestehen?« – »Warum nicht?« fragte Geierschnabel, indem er ruhig lächelte. – »Ich werde Sie in Eisen legen lassen!« – »Meinetwegen in Zucker oder Pfefferkuchen!« – »Entweder sind Sie wahnsinnig oder ein hartgesottener Bösewicht.« – »Entweder sind Sie sehr dumm oder ein ausgezeichneter Kriminalist.« – »Auf diese Worte werde ich Ihnen später antworten! Suchen Sie schleunigst weiter nach!«

Diese Worte galten dem Polizisten, der wieder in den Sack griff und verschiedene Kleidungsstücke hervorzog. Sie waren aus den feinsten Stoffen gearbeitet und mit goldenen und silbernen Schnüren und Tressen besetzt

»Was ist das?« fragte der Kommissar. – »Ein Anzug!« antwortete Geierschnabel. – »Das sehe ich! Wem gehört er?« – »Mir!« – »Woher haben Sie ihn?« – »Gekauft!« – »Wozu?« – »Alle Teufel! Zum Anziehen! Wozu sonst?« – »Diese Schnuren und Tressen sind echt; sie kosten viel Geld. Ein Musikant hat nicht die Mittel, sich einen solchen Maskenanzug zu kaufen.« – »Wer sagt, daß es ein Maskenanzug ist?« – »Das sieht ein jeder.« – »Pah! Dieser Jeder müßte sehr dumm sein. Und wer sagt Ihnen denn, daß ich ein Musikant bin?« – »Diese Ihre Posaune.« – »Oh, diese Posaune hat nichts gesagt, sie hat noch keinen einzigen Ton von sich gegeben. Ich habe sie mir erst vor einer halben Stunde von einem Juden hier gekauft.« – »Wie hieß er?« – »Levi Hirsch. Auch der Anzug, den ich trage, ist von ihm.« – »Aber Mensch, wie kommen Sie denn dazu, sich mit einer so auffälligen Kleidung zu behängen?« – »Es gefällt mir so, das ist genug.« – »Wie heißen Sie?« – »William Saunders.« – »Woher?« – »Aus Saint Louis.« – »In den Vereinigten Staaten?« – »Ja.« – »Was sind Sie?« – »Gewöhnlich Präriejäger. Zu Kriegszeiten aber bin ich Kapitän oder vielmehr Rittmeister der US-Dragoner.« – »Das glaube Ihnen der Teufel!« – »Der glaubt es, denn er ist gescheiter als andere, die es nicht glauben.« – »Keine Beleidigung! Können Sie Ihre Angaben beweisen?« – »Wodurch müßte dies geschehen?« – »Durch gute Legitimationen.« – »Gilt ein Paß?« – »Ja.« – »Hier!«

Geierschnabel zog nun aus seinem Sack eine alte Ledertasche hervor, nahm eines der darin befindlichen Papiere heraus und reichte es dem Beamten. Dieser blickte hinein, prüfte es und sagte dann erstaunt:

»Wirklich ein gültiger Paß, lautend auf Kapitän William Saunders, der sich von New Orleans nach Mexiko begeben will.« – »Hoffentlich stimmt auch das Signalement.« – »Allerdings; in dieser Nase kann man sich nicht irren. Aber wie kommen Sie nach Deutschland anstatt nach Mexiko?« – »Ich war bereits dort.« – »Können Sie das beweisen?« – »Ich denke. Haben Sie vielleicht einmal von einem gewissen Sir Henry Lindsay, Graf von Nothingwell, gehört?« – »Ich glaube. War es nicht jener englische Bevollmächtigte, der den Auftrag hatte, Juarez Waffen zu bringen?« – »Ja. Hier ist ein Zeugnis von ihm.«

Geierschnabel gab ein zweites Papier hin. Der Beamte las es durch und sagte dann mehr enttäuscht als erstaunt:

»Sie sind der Führer und Begleiter dieses Mannes gewesen?« – »Ja.« – »Und kennen Sie diesen Juarez, von dem Sie soeben sprachen?« – »Wer sollte den Präsidenten Juarez von Mexiko nicht kennen!« – »Haben Sie einen Beweis?« – »Nun, hier haben Sie noch so ein Papier.«

Geierschnabel reichte ein drittes Papier hin. Darauf wurde der Kommissar ganz verlegen und rief aus:

»Mann, das ist ja eine ganz warme Empfehlung des Präsidenten, geschrieben in englischer und französischer Sprache.« – »Allerdings.« – »Kennen Sie ihn persönlich?« – »Sehr gut. Aber kennen Sie vielleicht auch einen gewissen Señor oder vielmehr einen gewissen Herrn von Magnus?« – »Meinen Sie etwa den preußischen Geschäftsträger in Mexiko?« – Ja.« – »Was ist mit ihm?« – »Hier!«

Geierschnabel reichte ein viertes Schreiben hin. Als der Beamte es durchgelesen hatte, betrachtete er sich den Mann noch einmal und sagte verwundert:

»Das ist ja ein Paß dieses königlichen Beamten. Wie kommen Sie dazu?« – »Er hat ihn mir ausgestellt.« – »Nein, ich meine, wie Sie zu Herrn von Magnus kommen?« – »Ich habe bei ihm gespeist.« – »Als eingeladener Gast?« – »Natürlich.« – »Aber, Kapitän, das muß ich sagen, Sie haben mich da förmlich an der Nase herumgeführt.« – »Inwiefern?« – »Diese Waffen sind Ihre Jagdwaffen?« – »Allerdings.« – »Mit diesem Messer sind Menschen erstochen worden? Indianer?« – »Oh, auch Weiße.« – »Das ist da drüben allerdings nichts Ungewöhnliches. Uns geht es freilich nichts an. Und dieser Anzug ist eine mexikanische Kleidung, die Sie in jenem Reich getragen haben?« – »Ja, ich gehe gewöhnlich mehr als einfach, aber wenn man beim preußischen Geschäftsträger zu erscheinen hat, so legt man etwas Besseres an. Das werden Sie einsehen.« – »Erlauben Sie mir die Frage, was Sie nach Deutschland führt?« – »Familien- und politische Angelegenheiten.« – »Familiensachen? Haben Sie denn Verwandte hier?« – »Nicht Verwandte, sondern Bekannte.« – »Wo?« – »In Rheinswalden.« – »Ah, ich kenne die dortigen Bewohner. Wen meinen Sie?« – »Alle.« – »Alle, wie habe ich das zu verstehen?« – »Na, den Herzog von Olsunna nebst allen seinen Verwandten.« – »Wetter! Wie kommen Sie zu dieser Bekanntschaft?« – »Ich? Gerade so, wie Sie dazu gekommen sind.« – »Ah, Verzeihung! Es mag sein, daß ich nach diesen Privatsachen keine Berechtigung zu fragen habe. Aber Sie sprachen da auch noch von politischen Angelegenheiten. Was habe ich darunter zu verstehen?« – »Dinge und Verhältnisse, auch Aufträge, von denen ich natürlich hier nicht zu reden habe. Das werden Sie einsehen.« – »Gut. Aber darf ich nicht vielleicht erfahren, wohin Sie von hier aus reisen werden.« – »Nach Berlin.« – »Ah! Mit geheimen Aufträgen?« – »Möglich. Sie sehen also ein, daß ich mich nicht in Gegenwart Ihres Bruders vernehmen lassen konnte.« – »Allerdings.« – »Und daß ich nicht der Mann bin, mir von einem Polizisten Prügel anbieten zu lassen.« – »Ich bitte um Entschuldigung.«

Der Beamte war jetzt fest davon überzeugt, daß Geierschnabel wirklich das sei, wofür er sich ausgab. Die Papiere waren unzweifelhaft echt. Er sagte sich, daß eine Beschwerde dieses merkwürdigen Mannes ihn selbst und seine Untergebenen in Ungelegenheiten bringen könne; daher bequemte er sich zu einer Bitte um Entschuldigung.

Aber vieles war ihm an dem Fremden geradezu unbegreiflich. Darum fragte er:

»Sie waren bereits in Rheinswalden?« – »Ja. Auch in Rodriganda.« – »Und haben mit den Herrschaften gesprochen?« – »Mit allen.« – »Auch mit den Damen?« – »Das versteht sich.« – »Mein Gott! Etwa auch in dieser Kleidung?« – »Fällt mir nicht ein. Ich habe mir diese Sachen erst vorhin bei dem Juden gekauft.« – »Ah! Sie haben sich in mexikanischer Nationaltracht vorgestellt?« – »Bewahre. Solchen Prassel habe ich nicht gemacht.« – »Was hatten Sie denn an?« – »Dieses Habit, oder wenigstens ein ähnliches.«

Geierschnabel griff jetzt in den Sack und zog Sachen hervor, die denen, die er in Rheinswalden und Rodriganda getragen hatte, vollständig ähnlich waren: eine alte baumwollene Jacke und Hose, die seit mehreren Jahren nicht in die Hand einer Wäscherin gekommen war.

Der Beamte trat erschrocken mehrere Schritte zurück und rief:

»In diesen Lumpen?« – »Ja.« – »Die Frau Herzogin hat Sie so gesehen?« – »Natürlich.« – »Die Gräfin Rodriganda?« – »Ja, und auch Ihre Tochter, das Waldröschen.« – »Sind Sie gescheit?« – »Hm. So ziemlich.« – »Aber Sie haben ja Geld genug, sich andere Kleidung zu kaufen!« – »Das habe ich auch getan.« – »Die Sie anhaben? Die ist ja noch viel lächerlicher!« – »Pah! Mir gefällt sie. Sie sollten einmal sehen, wie die Apachen und Komantschen staunen würden, wenn ich so vor sie hintreten könnte. Sie würden mich für den größten Häuptling der Welt halten, und zwar dieses famosen Frackes wegen.« – »Wieso?« – »Weil an demselben so große Knöpfe sind, wie sie solche in ihrem ganzen Leben nicht gesehen haben.« – »Aber Sie befinden sich hier doch weder bei den Komantschen, noch bei den Apachen.« – »Das ist egal. Ein tüchtiger Apache ist zehnmal gescheiter als ein Mainzer Polizist.« – »Herr, Sie werden witzig!« lachte der Beamte. »Es mag sein, daß Sie von einem Wilden nicht arretiert worden wären. Hier aber kann ich Ihnen nicht garantieren, daß es nicht noch einmal geschieht. Ich rate Ihnen wirklich, den Anzug zu wechseln.« – »Er bleibt. Ich tue nichts Böses. Wer mich arretiert, blamiert sich selbst. Hat der Deutsche nicht die Freiheit, sich zu kleiden, wie es ihm beliebt, Herr Kommissar?« – »O doch.« – »Nun, so will auch ich von dieser Freiheit Gebrauch machen. Wie steht es, werde ich noch in die Zelle gesteckt?« – »Nun, da Sie sich legitimiert haben, keineswegs.« – »Ich bin auch bereit, zu warten. Schicken Sie, wenn Sie noch zweifeln sollten, einen Boten nach Rheinswalden, um sich nach mir zu erkundigen.« – »Das ist nicht nötig. Sie sind entlassen.« – »Schön. Da will ich Ihnen für angenehme Unterhaltung meinen Dank sagen. Wissen Sie nun, warum ich mich nicht anders kleide?« – »Nun warum?« – »Nur der Unterhaltung wegen. Ich bin so eine Art von Spaßvogel, und nichts macht mir mehr Vergnügen, als wenn ich zuletzt über andere Leute lachen kann. Adieu, Señor Kommissario!«

Während der letzten Worte hatte Geierschnabel alles wieder in seinen Sack zurückgesteckt und diesen nebst der Büchse über die Schulter geworfen. Dann schritt er zur Tür hinaus.

»Welch ein Mensch«, meinte der Kommissar zu dem erstaunten Polizisten. »So ein Heiliger ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen.« – »Waren denn die Papiere wirklich echt?« – »Natürlich.« – »Aber die Menschen werden wieder hinter ihm herlaufen.« – »Leider! Aber ihm macht das Spaß.« – »Würde es nicht besser sein, einen Kollegen in Zivil nachzusenden, um wenigstens einen allzugroßen Auflauf zu verhüten?« – »Das können wir tun. Man muß ihm bis zum Bahnhof nachgehen.«

Dies geschah.


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