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7. Kapitel.

Schon begann sich im Osten ein leichter, grauer Streifen zu bilden, um den Horizont anzudeuten, hinter dem die Sonne erscheinen werde, da hörte Cortejo am Eingang der Schlucht ein Steinchen rollen. Sofort sprang er auf und fragte mit halblauter Stimme, indem er zugleich zur Waffe griff:

»Wer ist da?« – »Gut Freund!« antwortete es mit ebenso gedämpfter Stimme. »Grandeprise.« – »Gott sei Dank!«

Diese Worte sprach Cortejo mit einem so tiefen Seufzer, daß man deutlich hören konnte, welche Beklemmung ihn bisher beherrscht hatte. Die anderen waren erwacht und erhoben sich. Grandeprise stand bereits bei ihnen.

»Nun, wie ist es gegangen?« fragte Cortejo. – »Ziemlich gut«, antwortete der Amerikaner. – »Habt Ihr Nachricht?« – »Ich weiß, daß Eure Tochter noch lebt« – »Ach! Welch ein Glück! Wie habt Ihr es erfahren?« – »Ich habe es erlauscht. Aber ich weiß noch viel Wichtigeres.« – »Oh, das wichtigste ist, daß Josefa nicht tot ist. Werden wir sie befreien können?« – »Das ist noch sehr ungewiß, Señor.« – »Sie muß frei werden. Ich werde mein Leben daran setzen. Und Ihr habt mir ja versprochen, auch Euer möglichstes zu tun.« – »Hm, ja!« dehnte der Jäger. »Aber ich habe nicht gewußt, welche berühmten Leute wir gegen uns haben.« – »Berühmte? Doch nur diese Mixtekas.« – »Ja, wenn es nur diese wären! Aber wißt Ihr, unter wem diese Indianer stehen?« – »Nun, doch unter irgendeinem ihrer sogenannten Häuptlinge.« – »Allerdings. Aber dieser Häuptling ist ein ganzer Kerl und wiegt schwerer als mancher mexikanischer General.« – »Ich kenne keinen Mixteka, auf den man diese Worte anwenden könnte.« – »Nicht? Habt Ihr noch nie von Büffelstirn gehört?« – »Büffelstirn? Der ist ja tot.« – »Fällt ihm nicht ein. Er ist auf der Hazienda.« – »Unmöglich! Das ist ein Irrtum! Dieser Mann ist bereits seit beinahe zwanzig Jahren tot.« – »So hat man allerdings gedacht, aber mit Unrecht. Auch ich habe mir sehr viel von ihm erzählen lassen, und stets wurde hinzugefügt, daß er tot sei. Heute aber bin ich eines Besseren belehrt worden. Er ist es, der gestern abend durch die Feuersäulen seine Mixtekas zusammengerufen hat, um die Hazienda zu entsetzen. Übrigens hat Ihr mir sehr viel verschwiegen, Señor! Ihr habt mir Dinge verschwiegen, deren Kenntnis mich jedenfalls abgehalten hätte, Euer Verbündeter zu werden.« – »Was meint Ihr?« – »Ihr habt Señor Arbellez gefangengenommen.« – »Nur scheinbar.« – »Nennt Ihr das scheinbar, wenn Ihr ihn dabei halb totschlagen und dann in einen Keller stecken laßt, wo er verhungern soll?« – »Man hat Euch belogen!« – »Man hat mich nicht belogen, denn man hat gar nicht gewußt, daß ich zugegen war und horchte. Auch die gute Marie Hermoyes, die mich damals so gastfreundlich aufnahm, habt Ihr eingesteckt.« – »Aus Vorsicht!« – »Wozu diese Vorsicht? Warum habt Ihr überhaupt dem alten Señor Arbellez seine Hazienda genommen?« – »Weil sie mir gehört. Er hat ein Dokument gefälscht, mit Hilfe dessen er nachweisen will, daß der Graf de Rodriganda ihm diese Besitzung geschenkt oder als Erbe hinterlassen habe.« – »Was geht Euch das an? Seid Ihr der Erbe des Grafen? Zeigt den Haziendero bei der Behörde an, wenn er ein Fälscher ist, aber nehmt Euch vor Gewalttaten in acht, die Euch selbst mit den Behörden in Konflikt bringen.«

Cortejo antwortete im Ton der Ungeduld:

»Es geht dem Lauscher sehr oft wie Euch, nämlich, daß er Dinge, die er behorcht, nur halb vernimmt und daher eine ganz falsche Vorstellung von ihnen bekommt. Ihr seid über diese Angelegenheit ebenso falsch berichtet, wie über das Vorhandensein des Häuptlings Büffelstirn.« – »Pah! Ich habe ihn gesehen.« – »Büffelstirn?« – »Ja. Es war Büffelstirn, denn ich sah ihn an der Seite eines Mannes, mit dem er damals verschwand.«

Jetzt war es Cortejo doch nicht mehr geheuer.

»Wer wäre das?« fragte er. – »Bärenherz, der berühmte Häuptling der Apachen.« – »Unsinn!« – »Haltet es immerhin für Unsinn. Was ich aber sehe, das sehe ich.« – »Ihr hättet Bärenherz gesehen? Habt Ihr ihn denn gekannt?« – »Sehr gut, sehr gut sogar. Ich habe ihn getroffen, als er mit Donnerpfeil, einem deutschen Jäger, der eigentlich Helmers hieß, in den Bergen der Sierra Warana jagte.« – »Donnerpfeil? Helmers? Ah, den hat Ihr auch gekannt?« – »Ja, gekannt und heute wiedererkannt« – »Erkannt? Was wollt Ihr damit sagen?« – »Nichts weiter, als daß Donnerpfeil sich auf der Hazienda befindet.« – »Wollt Ihr mich wirklich glauben machen, daß die Toten wieder auferstehen?« – »Nein; aber ich habe gesehen, daß Totgeglaubte noch leben können.« – »Büffelstirn, Bärenherz und Donnerpfeil sind tot. Ich weiß es ja ganz gewiß von einem Zeugen, der sie sterben sah.« – »So gebt diesem Zeugen eine Ohrfeige, wenn Ihr ihn wieder treffen solltet Leute, die ich einmal gesehen habe, pflege ich nicht wieder zu vergessen. Und dieser berühmte Sternau, den sie den Fürsten des Felsens nannten, er ist gleich gar nicht zu verkennen.«

Jetzt fuhr der Schreck doch dem ungläubigen Cortejo in die Beine.

»Sternau?« fragte er. »Der ist ja tot!« – »Nein, auch er lebt. Ich habe ihn gesehen. Er stand an der Tür der Hazienda.« – »Habt Ihr ihn gekannt?« – »Nein, aber er ist mir beschrieben worden. Er ist derjenige, der den Wachtmeister niedergeschlagen hat, und ich vermutete ganz richtig, als ich ahnte, daß es der riesenhafte Reiter sei, den ich bei Juarez sah.« – »Ihr redet wahrhaftig Dinge, die mir nicht im Traum vorkommen würden!« – »Mir sind sie in der Wirklichkeit vorgekommen.« – »Erzählt das doch ausführlicher!« – »Nun, ich kam ungehindert in der Nähe der Hazienda an, obgleich einzelne Mixtekas noch draußen herumsuchten, um noch etwaige Flüchtlinge abzufangen. Ich schlich mich bis an die Palisaden, mitten durch die Gruppe dort stehender Feinde.« – »Welches Wagnis!« rief einer der Mexikaner bewundernd. – »Nicht so schlimm. Sobald ich sah, daß jemand in meine Nähe kam, streckte ich mich lang hin und stellte mich tot, gerade als ob ich einer der Ewigen sei, der beim Überfall niedergestreckt wurde. So lag ich an den Palisaden und belauschte das Gespräch mehrerer Mixtekas. Dadurch erfuhr ich, daß der Fürst des Felsens, Donnerpfeil, Bärenherz und Büffelstirn anwesend seien. Ich sah diese vier auch, einen nach dem anderen durch eine Lücke in den Palisaden. Drinnen im Hof brannte ein Feuer, das alles beleuchtete.« – »Und doch muß es eine Täuschung sein!« meinte Cortejo. – »Es ist die Wahrheit. Wollt Ihr Euch überzeugen, so könnt Ihr Sternau auch sehen.« – »Ah! Wo?« – »Bei einem Steinbruch hier in der Nähe, ich weiß aber nicht wo.« – »Ist Sternau dort?« – »Jetzt nicht, aber er wird nach dem Anbruch des Tages hinkommen, um die Toten dort zu begraben.« – »Ich muß ihn sehen!« – »Tut das, Señor Cortejo«, sagte der Jäger ein wenig ironisch. – »Ihr werdet mich begleiten!« – »Ich? Fällt mir gar nicht ein. Ich habe jetzt meine Haut riskiert; werde sie aber nicht bei hellem Tag zu Markte tragen.« – »Ist das so gefährlich?« – »Wollt Ihr am hellen Tag diesen Sternau nebst einigen hundert Mixtekas beschleichen? Das bildet Euch um Gottes willen nicht ein!« – »So muß ich darauf verzichten!« – »Ich rate es Euch.« – »Ihr seid vollständig überzeugt, daß die vier genannten Männer leben und auf der Hazienda zugegen sind?« – »Ich habe sie ja gesehen!«

Cortejo wußte nicht, was er denken sollte. Er sagte sich, daß Landola ihn fürchterlich getäuscht haben müsse, wenn es wahr sei, daß diese Personen nicht tot waren, und er beschloß, sich an ihm zu rächen, vor allen Dingen aber die vier unschädlich zu machen. Zugleich sagte er sich, welche Gefahr seiner Tochter drohe, die sich in der Gewalt ihrer ärgsten Feinde befand.

»Ihr sagtet, meine Tochter lebe noch?« fragte er. – »Ja. Sie ist gefangen.« – »Wie behandelt man sie?« – »Das weiß ich nicht.« – »Man wird sie in ihrem Zimmer bewachen.« – »O nein. Man hat sie in dem Keller eingeschlossen, in dem Señor Arbellez verschmachten sollte.« – »Himmel! Woher wißt Ihr das, was Ihr über sie sagt?« – »Die Mixtekas sprachen davon.« – »Sie muß befreit werden! Ist jetzt nichts zu tun, Señor Grandeprise?« – »Gar nichts! Doch müssen wir uns beeilen. Ich sah einige Männer fortreiten und hörte, daß sie bestimmt seien, Juarez Nachricht zu bringen.« – »Alle Teufel! So kommt er vielleicht gar.« – »Das steht zu erwarten. Er wird ein ganzes Heer mitbringen, und dann ist es zu spät, Eure Tochter herauszubekommen.« – »Was tun?« fragte Cortejo voller Angst. – »Das läßt sich noch nicht sagen. Der Tag bricht an. Wir dürfen nicht gesehen werden und müssen uns verbergen. Vielleicht kommt mir während des Tages ein guter Gedanke. Jedenfalls aber werde ich den Abend dazu benutzen, noch einmal zu spionieren, dann wird es sich zeigen, was übermorgen zu tun ist Länger dürfen wir nicht warten.« – »Schon das ist zu lange.« – »Verlangt nichts Unmögliches, Señor Cortejo. Hätte ich Euch nicht mein Wort gegeben und meine Hilfe zugesagt, so würde ich mich hüten, gegen Männer zu intrigieren, denen ich nicht gewachsen bin und denen meine Bewunderung gehört. Kennt Ihr einen Platz, wo man ein Versteck findet?« – Ja. Im Norden der Hazienda liegt ein Wald.« – »Das ist nichts. Wir müßten an del Erina vorüber und wären zu einem großen Bogen gezwungen. Dabei würde es völlig hell, und wir könnten von den umherschweifenden Mixtekas bemerkt werden. Ich entsinne mich, damals, als ich auf der Hazienda war, im Westen einen bewaldeten Berg bemerkt zu haben. Kennt Ihr ihn?« – »Ihr werdet den Berg El Reparo meinen.« – »Er trägt doch viel Wald, in dem man sich verbergen kann?« – Ja. Wollt Ihr hin?« – »Es wird das beste sein. Wir sind in sicherer Entfernung von der Hazienda und doch auch so nahe, daß ich sie am Abend leicht erreichen kann.« – »So wollen wir von hier aufbrechen?« – »Ich schlage es vor. Der Morgen wird immer heller. Steigen wir zu Pferde und machen uns aus dem Staub, ehe es möglich ist, uns zu entdecken.«

Dieser Vorschlag wurde sogleich ausgeführt. Die vierzehn Männer stiegen auf und ritten zunächst in nördlicher Richtung davon. Erst als es so hell geworden war, daß man den Berg erblicken konnte, schlugen sie die westliche Richtung ein, in der sie ihn erreichen mußten.

Sie langten an seinem nordöstlichen Fuß an und ritten unter dem Dach des Waldes an seiner Seite empor. Dies ging nicht leicht und wurde noch schwerer, als oben die Bäume dichter zusammentraten.

Man war jetzt gezwungen abzusteigen und die Pferde an den Zügeln zu führen. Es gab hier keinen Weg oder irgend etwas, was einem Pfad geglichen hätte.

»Wollen wir nicht anhalten und hierbleiben?« fragte Cortejo.

Er richtete die Worte an den Amerikaner, dessen ganzes Verhalten die anderen unwillkürlich gezwungen hatte, ihn stillschweigend als Anführer anzuerkennen. Grandeprise sagte:

»Warum hier, Señor?« – »Weil wir hier ebenso sicher sind als oben und den Weg und die Anstrengung nicht haben.« – »Bleibt wo Ihr wollt! Ich reite vollends hinauf. Da oben gibt es jedenfalls eine Weite Aussicht. Vielleicht ist es möglich, eine Stelle zu finden, von der aus man die Hazienda, von weitem wenigstens, beobachten kann.«

Das war ein Grund, den die anderen anerkannten. Sie arbeiten sich also, die Pferde hinter sich führend, immer weiter den Berg hinan.

Endlich hörte die Steigung auf. Das Terrain wurde ebener, und man bemerkte, daß das Plateau erreicht war. Nach kurzer Zeit sah man einen lichten Streifen vor sich durch die letzten Bäume schimmern. Der Amerikaner ging voran und wollte eben zum Rand des Waldes heraustreten, als er schnell wieder zurückfuhr.

»Was gibt es?« fragte Cortejo, der sich hinter ihm befand. – »Pst! Reiter! Dort links kommen sie zwischen den Büschen hervor. Es muß da eine Art von Weg geben. Schafft die Pferde zurück, damit ihr Schnauben uns nicht verraten kann!«

Die Tiere wurden von einigen der Leute genügend weit zurückgeführt und dort angebunden. Die anderen hielten unter den Bäumen, um die Reitergruppe zu beobachten, die jetzt deutlich zu erkennen war.

»Seht Ihr jetzt die zwei vordersten?« fragte der Amerikaner.

Aus Cortejos Gesicht war alles Blut gewichen.

»Ja«, antwortete er. – »Kennt Ihr sie oder wenigstens einen von ihnen?« – »Mein Gott! Die Toten sind lebendig geworden! Büffelstirn!« – »Und der andere?« – »Helmers.« – »Ja. Donnerpfeil. Und weiter – alle Teufel, die anderen haben ja ein Mädchen bei sich!« – »Heilige Jungfrau!« rief Cortejo beinahe laut. »Das ist Josefa!« – »Eure Tochter?« – »Ja.« – »Welch ein Zufall! Wie gut, daß wir nicht unten geblieben sind.« – »Was wollen sie hier oben? Was wollen sie mit ihr?« – »Das werden wir wohl sehen. Sie reiten da rechts hinüber. Kriechen wir ihnen zwischen den Sträuchern nach, Señor!«

Die Männer legten sich auf den Boden und folgten dem Jäger, der sich wie eine Schlange fortbewegte. Nach kurzer Zeit hielt er an. Von da aus, wo er lag, konnte man die ganze Szene überblicken.

»Ein Teich!« flüsterte er. »Seht Ihr's, Señor Cortejo?« – »Ja. Man wird sie doch nicht etwa ertränken wollen?« – »Nein, sicherlich nicht, töten konnten sie dieselbe auf der Hazienda. Ihr Zweck muß ein anderer sein.«

Sie sahen, daß die Reiter abstiegen, Josefa mit ihnen. Sie sahen auch, daß die letztere gebunden war. Sie bemerkten, daß Büffelstirn mit dem Mädchen sprach, dann an das Wasser trat und einen lauten, klagenden Ruf erschallen ließ. Sofort zeigten sich die Krokodile.

»Gott, mein Gott, jetzt weiß ich, was sie wollen!« versetzte Cortejo, indem ein sichtbares Zittern seinen ganzen Körper durchzuckte. »Sie wollen sie den Krokodilen vorwerfen. Das ist der fürchterliche Krokodilteich der Mixtekas.« – »Kennt Ihr ihn?« – »Ja.« – »Und doch seid Ihr noch nicht hier gewesen, wie ich denke?« – »Mein Neffe war oben. Er sollte auch von den Tieren gefressen werden.« – »Das wäre ja fürchterlich, geradezu unmenschlich.« – »Ja. Seht Ihr jenen Baum? An ihn hatte man ihn aufgehängt, gerade über dem Wasser, damit die Scheusale ihn in Stücke reißen sollten.« – »Sie haben ihn zerrissen?« – »Nein, es ist ihm gelungen, sich zu retten. Seht um Gottes willen, es klettert einer hinauf und hat einen Lasso bei sich!« – »Allerdings. Aber das braucht nicht auf Eure Tochter abgesehen zu sein.« – »O doch, ganz gewiß. Señor, wir müssen sie retten!« – »Gewiß. Aber warten wir es ab!« – »Dann ist es zu spät! Rasch, rasch!«

Cortejos Gesicht war vor Angst verzerrt. Er erlitt jetzt nicht geringere Qualen als seine Tochter, die den fürchterlichsten Tod vor Augen sah.

Über das Gesicht des Amerikaners glitt ein entschlossener und doch zugleich bissiger Zug.

»Keine Sorge, Señor!« sagte er. »Mein Rettungsplan ist fertig.« – »Gott sei Dank! Was wollt Ihr tun?« – »Die Hauptsache ist, daß wir Büffelstirn und Donnerpfeil entfernen. Mit den anderen werden wir leichter fertig.« – »Wie aber fangen wir das an?« – »Ich laufe mit noch zweien von unseren Leuten um die Lichtung bis zu jenem großen Baum. Dort zeigen wir uns ihnen.« – »Was soll dies helfen?« – »Ich wette, daß die zwei Erfahrensten von ihnen, also Büffelstirn und Donnerpfeil, sofort aufbrechen werden, um uns anzuschleichen. Wir weichen zurück und locken sie in den Wald, kommen dann schnell zurück und holen Eure Tochter.« – »Aber die zehn Mixtekas bewachen sie.« – »Wir schießen sie nieder. Ich tue das nicht gern, aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Ich habe Euch mein Wort gegeben und muß es halten.« – »So eilt, geht schnell!« – »Halt! Wir lassen unsere Oberkleider da und werfen die Decken nach Indianerart über. Auch die Hüte lassen wir hier und streichen die Haare in die Höhe. Stecken wir dann ein paar Farne hinein, so sehen wir von weitem wie Indianer aus. Vorwärts. Ihr geht mit. Die anderen warten.«

Grandeprise bezeichnete bei diesen Worten zwei, die sofort, seinem Beispiel folgend, ihre Hüte und Jacken ablegten.

»Nun rasch fort.«

Mehr rennend als schleichend, eilten die drei Männer unter den Bäumen fort, bis sie die angegebene Stelle erreichten.

»Halt!« gebot hier Grandeprise. »Ich trete zuerst hervor. Folgt mir einzeln und gravitätisch, wie Indianerhäuptlinge. Aber wir dürfen nicht so tun, als ob wir hinüber zu ihnen blickten.«

Damit verließ er die schützende Baumdeckung und trat langsam hervor.

»Ah, sie sehen mich!« sagte er. »Kommt jetzt einzeln nach.«

Die beiden anderen taten es. Alle drei schienen nach der entgegengesetzten Richtung zu blicken, doch hielt Grandeprise sein Auge auf die Gruppe der Mixtekas gerichtet.

»Der Häuptling und Donnerpfeil haben sich niedergeworfen«, sagte er. – »Man zieht die Señorita empor«, bemerkte der andere. – »Ich werde sie herunterholen. Überlaßt das mir«, meinte der Amerikaner. »Jetzt legen sich auch die anderen nieder.« – »Ich sehe, daß das Gras sich bewegt«, sagte der dritte. – »Wohin?« – »Nach rechts und links.« – »Richtig, ich bemerke das auch. Sie haben sich geteilt. Der eine kommt von hüben und der andere von drüben auf uns zu. Hinter uns werden sie aufeinandertreffen wollen. Ich kenne diese Weise. Sie werden in gegen zehn Minuten hier sein. Ebensolange bringen sie zu, um aus unseren Spuren klug zu werden. Das gibt uns genug Zeit, um den Schlag auszuführen. Tretet langsam wieder unter die Bäume zurück.«

Sie taten dies, und Grandeprise folgte ihnen.

»So«, meinte er. »Und jetzt im Galopp zu Cortejo zurück.«

Sie rannten, so schnell sie konnten, den Weg zurück, den sie gekommen waren, und trafen Cortejo ängstlich wartend noch auf derselben Stelle. »Ging es gut?« fragte er. – Ja«, antwortete der Amerikaner. Jetzt schleichen wir uns hin. Sobald wir in sicherer Nähe sind, schießen wir die Mixtekas nieder. Ich klettere auf den Baum und hole das Mädchen herab. Dann bemächtigen wir uns ihrer Pferde, steigen auf und sprengen davon, den Weg hinab, den sie gekommen sind. Zwei von uns bleiben zurück. Sie gehen zu unseren Pferden, nehmen sie bei den Zügeln und folgen uns nach, sobald sie sehen, daß der Streich gelungen ist Auf diese Weise bleibt Büffelstirn und Donnerpfeil kein Pferd, um uns zu verfolgen. Behalten sie ein einziges, so sind wir verloren. Also jetzt rasch!«

Sie gaben sich keineswegs große Mühe, den Schall ihrer Schritte zu dämpfen, dennoch kamen sie ziemlich nahe an die Mixtekas heran, ehe sie von diesen bemerkt wurden.

Ein Kopf hob sich vorsichtig aus dem Gras empor, und sofort erklang der Ruf:

»Feinde kommen! Zu den Waffen!«

Auch die anderen Mixtekas fuhren empor, im höchsten Grade überrascht durch diesen Warnungsruf. Sie hatten die Feinde da drüben vermutet, wo die Indianer gesehen worden waren.

»Jetzt! Nieder mit ihnen!« gebot Grandeprise.

Zwölf Büchsen krachten fast zu gleicher Zeit, und sämtliche Mixtekas stürzten nieder, alle zu Tode getroffen.

»Gut so«, rief der Amerikaner. »Nun ihre Pferde, die Hauptsache!«

Während sich die Mexikaner der Pferde bemächtigten und sofort aufstiegen, kletterte er selbst wie ein Eichhörnchen am Baum empor. Er hatte kein Auge für die unter ihm gähnenden Krokodilrachen. Sich verkehrt auf den Ast setzend, zog er Josefa zu sich heran und trennte mit einem raschen Schnitt seines Messers den Lasso von dem Baum. Dann schlang er sich den Riemen, dessen Schlinge noch unter den Armen Josefas lag, um den Leib und faßte diese Schlinge mit den Zähnen. Nun hing sie halb an seinen Zähnen und halb war sie mit ihm zusammengebunden. So wurde ihm die Last erleichtert, mit der er schnell hinabkletterte.

»Lebt sie?« fragte Cortejo, der eines der Pferde am Zügel hielt und noch gar nicht aufgestiegen war. Da rief von weitem her eine laute, dröhnende Stimme: »Halt, Räuber! Herab vom Pferd!« – »Um Gottes willen, das ist Büffelstirn!« sagte der Amerikaner. »Rasch auf das Pferd und mir nach, Señor!«

Damit sprang er auf Büffelstirns Pferd und Cortejo auf das seinige. Im nächsten Augenblick aber krachte ein Schuß. Die Kugel pfiff dem kühnen Jäger am Kopf vorüber und traf einen anderen, der neben ihm ritt. Dieser wurde vom Pferd noch eine Strecke getragen und stürzte dann herab.

Die übrigen entkamen mit Josefa, auch die zwei, die die Pferde in ihre Obhut genommen hatten. Grandeprise voran, stürmten sie den Berg hinab. Unten angekommen, bogen sie rechts ab und hetzten in raschestem Galopp nach Süden, immer der Richtung des Höhenzuges nach, der ihnen zur Rechten blieb.

So ging es eine ganze Stunde fort, während der man fast zwei deutsche Meilen zurückgelegt hatte. Da endlich hielt der Amerikaner sein Pferd an, und die anderen folgten seinem Beispiel. Er hatte Josefa bei sich auf dem Pferd gehabt; jetzt stieg er ab und legte sie in das Gras, durch welches ein kleines Wasser floß.

»Ah, das war ein Ritt!« keuchte Cortejo. »Wie ist's, Señor, lebt sie noch?« – »Ja«, antwortete Grandeprise. – »Aber sie regt sich doch nicht.« – »Sie ist unterwegs einige Male aufgewacht, aber immer wieder ohnmächtig geworden. Wir wollen es hier einmal mit dem Wasser versuchen.« – »Haben wir Zeit dazu?« – »Ja. Unser Vorsprung ist groß genug. Ehe Büffelstirn und Donnerpfeil die Hazienda zu Fuß erreichen, wo sie Pferde erhalten können, sind wir längst über alle Berge.«

Auch die anderen stiegen ab. Cortejo und Grandeprise knieten neben Josefa nieder und bespritzten ihr Gesicht mit Wasser. Nach einiger Zeit öffnete sie die Augen. Ihr Blick fiel auf Cortejo.

»Vater, die Krokodile!« lispelte sie. – »Du bist gerettet, mein Kind!« antwortete er. – »Wo sind sie?« – »Noch auf dem Berg. Wir aber sind weit fort.«

Jetzt erst begann ihr Blick selbstbewußter zu werden.

»Santa Madonna!« stammelte sie. »Wo ist Büffelstirn?« – »Du bist in Sicherheit, Josefa!« erklärte ihr Vater abermals.

Josefa richtete sich empor und blickte ihre Begleiter an.

»Ah, gerettet!« rief sie. »Habt ihr sie erschossen?« – »Ja.« – »Alle? Auch Büffelstirn und Helmers?« – »Nein, diese nicht.« – »Sie sollen sterben, eines fürchterlichen, schauderhaften Todes, so wie ich sterben sollte!« – »Das werden sie auch, mein Kind. Erst aber müssen wir in Sicherheit sein.«

»Wie kommst du hierher?« fragte sie. »Ich denke, du bist am Rio Grande in Fort Guadeloupe!« – »Was soll ich dort?« – »Ah! Du hast meinen Brief nicht erhalten?« – »Nein.« – »Die fünfzig Mann, die ich dir sandte, sind nicht zu dir gekommen?« – »Nein.« – »Sternau hatte meinen Brief. Er hat ihn aufgefangen und die Leute getötet.« – »So lebt er wirklich noch?« – Ja. Du weißt das noch nicht?« – »Ich wollte es nicht glauben.« – »Oh, Vater, sie leben alle.«

Vater und Tochter sprachen jetzt leise miteinander und wurden von den anderen nicht gehört, daß diese sich rücksichtsvoll zurückgezogen hatten.

»Alle? Wen meinst du noch damit?« – »Mariano, Emma Arbellez, Karja, die Indianerin, und auch Don Ferdinando«

Cortejo wurde so weiß wie eine getünchte Wand. Er vermochte für den Augenblick kein Wort hervorzubringen.

»Don Ferdinando?« fragte er endlich.

Aber Josefa mußte das Wort mehr von seinen blutleeren Lippen lesen, als daß sie es zu hören oder zu verstehen mochte.

»Ja«, nickte sie. – »Wo sind sie?« – »Die vier sind auf Erina, die anderen bei Juarez, und Don Ferdinando ist auf Fort Guadeloupe, wo er krank darniederliegt.« – »Welch ein Unheil! Wir sind verloren!«

Da leuchteten Josefas Eulenaugen grimmig auf.

»Verloren, sagst du? O nein! Ich bin gerettet. Das soll mir ein sicheres Zeichen sein, daß wir doch noch triumphieren werden. Alle unsere Leute sind zwar tot, aber wir werben andere. Hast du Geld?« – »Genug.« – »Das ist die Hauptsache. Wir müssen fliehen. Schaffe uns zunächst einen sicheren Schlupfwinkel. Das übrige wird sich finden.« – »Wie fühlst du dich? Du hast Fürchterliches ausstehen müssen.« – »Ich denke nur daran, mich zu rächen. Schmerzen fühle ich nur noch hier. Ich habe einige Rippen gebrochen.« – »Donnerwetter! Wann?« – »Das erfährst du noch. Jetzt stehen zu viele Lauscher da. Ich muß zu einem Arzt, sonst gehe ich zugrunde.« – »Gut; das werde ich besorgen. Alles andere besprechen wir noch.«

Cortejo wandte sich von seiner Tochter weg zu Manfredo.

»Du denkst, daß wir bei deinem Oheim Aufnahme finden würden?« – »Ganz sicher«, antwortete der Gefragte. – »Er versteht wirklich, Kranke zu behandeln?« – »Er ist ein erfahrener Arzt.« – »Weißt du den Weg nach Santa Jaga genau?« – »Sehr genau. Aber ich denke, wir machen einen Umweg, weil wir jedenfalls verfolgt werden.« – »Du hast recht. Wann werden wir dort anlangen können?« – »Übermorgen am Abend.« – »So mag unser Ritt nach Santa Jaga gehen. Ihr werdet uns doch begleiten, Señor Grandeprise?« – »Das versteht sich von selbst. Ich verlasse Euch nicht eher wieder, als bis Ihr mir gesagt habt, wo ich Landola treffen kann.« – »Das sollt Ihr ganz bestimmt erfahren. Jetzt aber wollen wir versuchen, aus Decken eine Hängematte zwischen zwei Pferden zustande zu bringen. Meine Tochter ist krank. Sie darf nicht reiten.«


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