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3. Rache

Klausen erwachte schon früh am Morgen. Schnell war er angekleidet und trat ans Fenster, um nach seinem schönen Gegenüber zu forschen. Er fand drüben alle Fenster geschlossen. Die Balkontür aber war noch wie am Abend offen. Klausen ließ seine Vorhänge zusammenfallen, und zwar so, daß er seine Beobachtung anstellen konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Er hatte noch nicht lange gewartet, so bewegten sich die Vorhänge drüben, das Fenster wurde geöffnet. Marga trat heraus auf den Balkon. Sie blickte auf die Straße. Klausen stand wie festgebannt. Sie war schöner als alles, was er vorher gesehen, sie war lieblicher als alles, was seine Phantasie ihm bisher vorgegaukelt hatte.

Nach dem Frühstück erschien sie wieder und ließ sich ihrem Vater gegenüber auf einem rotsammetnen Armsessel nieder, den ein Negerknabe für sie hinstellte. Dann breitete dieser die Zeitungen aus, mit denen sich die beiden beschäftigten. Klausen stand wieder beobachtend am Fenster.

»Der dicke Gentleman scheint ihr Vater zu sein. Er blickt überrascht empor; er scheint etwas Fesselndes in der Zeitung gefunden zu haben. Jetzt lächelt er und gibt ihr das Blatt. Sollte es mein Gedicht sein? Wenn sie es liest, muß sie sofort wissen, daß es nur an sie gerichtet sein kann!«

Er nahm das Glas ans Auge. Es waren seine Strophen. Er sah an der Stellung des Satzes, daß die Stelle, auf der ihr Auge ruhte, nichts andres als ein Gedicht enthielt. Eine tiefe Röte breitete sich über ihr Gesicht von der Stirn bis zum Nacken herab.

»Sie hat es gelesen!« flüsterte Klausen. »Sie liest es wieder. O, wenn sie doch fühlen könnte, wie des Dichters Puls in diesem Augenblick für sie klopft!«

Da klopfte es an seine Tür; die Terzerone seiner Wirtin brachte ihm das Verzeichnis, aus dem er sich die Speisekarte dieser Woche zusammenstellen sollte. Er war unwillig über diese Störung, ließ sich davon aber nichts merken. Er versprach, die gewünschte Zusammenstellung sofort vorzunehmen. Sie zog sich bis an die Tür zurück, zögerte jedoch, das Zimmer zu verlassen.

»Wünschest du noch etwas?«

»Eine Bitte, Mylord,« antwortete sie errötend. »Ihr habt mich heute nacht an der Tür getroffen mit einem Gentleman – –«

Ihm fiel ein, daß der Mann ihm bekannt vorgekommen war und er beschloß, dem nachzugehen.

»Ein Gentleman? Welcher Gentleman stellt sich des Nachts mit einem Dienstboten unter das Tor?«

»Es ist so, Mylord; er ist ein Gentleman, ich kenne ihn genau, denn er ist mein – mein – –«

»Dein Geliebter?«

»Ja,« antwortete sie leise. »Die Herrin darf aber nichts davon wissen, und da – da wollte ich Euch ersuchen, ihr zu verschweigen, daß Ihr mich mit ihm gesehen habt!«

» Well! Wer ist denn dieser Gentleman, der dir das kleine Herz betört?«

»Ich nenne ihn Fred, Mylord.«

»Und wie heißt er noch?«

»Das soll ich verschweigen; Euch aber will ich es sagen. Er heißt Fred Wilson und ist ein reicher Plantagenbesitzer in Texas. Er ist oft drüben bei Bankier Olbers und hat mich durch das Fenster gesehen und lieb gewonnen.«

»Olbers? Ist das der dicke Herr, der jetzt dort auf dem Balkon sitzt?«

»Ja, und die Lady ist Miß Margareth, seine Tochter, die oft zu meiner Herrin kommt und Marga genannt wird.«

Klausen wußte nun den Namen derer, der seine lebhafte Teilnahme gehörte. Ein Gedanke durchblitzte ihn.

»Hat dein Geliebter eine Narbe über der Stirn?«

»Ja! Ihr kennt ihn, Mylord? Er hat sie von einem Indianer bekommen.«

»Woher weißt du, daß er reich ist?«

»Er hat mich einmal mit in seine Wohnung geführt und mir eine ganze Menge Goldstaub und Nuggets gezeigt, die er von seinen Reisen mitgebracht hat. – Nächstens wird er wieder verreisen.«

Das Mädchen war mitteilsam geworden. Klausen mußte das benutzen; denn was er hier erfuhr, konnte ihm von Wert sein.

»Wohin?«

»Nach Mexiko zu seinem Bruder.«

»Ah, warum so weit?«

»Sein Bruder, der Alkalde in Morelia ist, hat ihm geschrieben, daß er ein großes Geschäft mit ihm machen will. Ich habe den Brief gelesen.«

»Wie heißt der Alkalde? Natürlich auch Wilson!«

»Nein, denn er ist nur der Stiefbruder und heißt Antonio Molez.«

»Was für ein Geschäft soll es sein?«

»Das stand nicht dabei. – Werdet Ihr meine Bitte erfüllen, Mylord?«

»Ja, doch nur unter der Bedingung, daß du auch deinem Geliebten nichts von unserer Unterredung sagst!«

Sie ging und Klausen eilte ans Fenster zurück. Marga und ihr Vater hatten den Balkon bereits verlassen. Er setzte sich an den Schreibtisch und fertigte den Küchenzettel. Dann machte er sich zum Ausgehen bereit; er wollte Summerland besuchen.

Während dieser Beschäftigung hatte er nicht bemerkt, daß die heimlich Geliebte, jetzt in schwarze, rauschende Seide gekleidet, ihre Wohnung verließ, über die Straße herüber ging und das Haus von Mutter Smolly betreten hatte. Diese war eine Freundin ihrer verstorbenen Mutter gewesen, hegte eine große Zuneigung zu dem schönen Mädchen und empfing sie mit freundlichen Vorwürfen.

»Den ganzen langen Tag bist du gestern nicht auf einen einzigen kleinen Augenblick zu mir herübergekommen!«

»Ach Tantchen, es gab so viel zu tun. Ich hatte schon am Vormittag für die Abendgesellschaft Vorbereitungen zu treffen und mußte nach Tisch um des garstigen Wilson willen, den Papa so unbegreiflich bevorzugt, mit spazieren reiten. Konnte ich da kommen?«

»Du scheinst diesen Wilson gar nicht gern zu haben!«

»Nein, Tante, noch viel weniger als ungern. Kannst du dir denken, warum? Er hat bei Papa angedeutet, er verweile nur meinetwegen in Stenton, und Papa forderte mich auf, so freundlich wie möglich gegen ihn zu sein; er beabsichtige ein ganz bedeutendes Unternehmen mit ihm und wünsche, ihn durch engere Bande an sich zu fesseln. Soll mich das nicht ärgern?«

»Gewiß! So etwas ist allerdings höchst ärgerlich, wenn man dem Betreffenden keinen Geschmack abzugewinnen vermag. Aber warte nur, Marga, es kommt schon noch die Zeit, daß – –«

»Daß du deine Zimmer vermietest, nicht wahr, Tante Smolly, das wolltest du sagen?«

»Eigentlich nicht, du Schelm; aber da du auf dieses Thema kommst, so sollst du erfahren, daß ich gestern endlich doch vermietet habe.«

»An einen wahren Gentleman?«

»Ja. Sieh her!«

Die Mulattin schlug den Gedichtband auf und hielt Marga das Titelblatt triumphierend entgegen.

»Hier steht sein Name. Lies ihn, aber recht laut!«

»Richard Klausen! Tantchen, ist es möglich? Wohnt er bei dir?«

»Bei mir!« nickte sie mit gewichtiger Miene.

»Aber wie ist das gekommen?« fragte das Mädchen, vor freudiger Verwunderung die Hände zusammenschlagend.

»So ganz unerwartet, daß ich einen geradezu unverzeihlichen Fehler gemacht habe, mein Kind. Denke dir, Tante Smolly ist unhöflich und rücksichtslos gewesen, unhöflich und rücksichtslos zum erstenmal in ihrem Leben, und noch dazu gegen den wahrsten Gentleman, den es geben kann, gegen deinen Lieblingsdichter!«

Das Mädchen kam nicht dazu, zu antworten; denn in diesem Augenblick ertönte die Glocke, und das Dienstmädchen trat ein.

»Mister Klausen bringt die Speisekarte, Ma'am. Soll er herein?«

»Natürlich, sofort, stets, wenn er kommt; merke dir das für immer, Sarah!«

Marga blickte sich um, als suche sie ein Versteck, in dem sie sich verbergen könne; es war zu spät, denn der Angemeldete stand bereits unter der Tür. Ein Freudenblitz zuckte über sein Gesicht, als er Marga erblickte; doch faßte er sich schnell.

» Good morning, Myladies,« grüßte er. »Verzeihung, daß ich mir den Zutritt gestatte!«

»Nicht Verzeihung, sondern Dank schulden wir Euch, Sir. Ihr trefft mich in lieber Gesellschaft,« erwiderte Mutter Smolly, ihre junge Freundin vorstellend; »Miß Margareth Olbers, eine ganz besondere Verehrerin germanischer Poesie.«

»Dann bin ich glücklich, Euch auf einem so herrlichen Gebiet begegnen zu dürfen, Miß,« erwiderte er mit einer gewandten Verbeugung.

»Eine Begegnung, die friedfertiger sein dürfte als die gestrige,« sagte sie leise.

»Wollen wir Frieden schließen?« fragte er, ihr unwillkürlich die Hand entgegenstreckend.

»Gern!«

Sie legte ihr Händchen in seine Rechte, und er zog es an seine Lippen.

»Sie lieben die deutsche Dichtung. Sie sprechen also deutsch?« fragte Klausen das Mädchen.

»Lieber noch als englisch. Ich habe mit Mama fast nur deutsch gesprochen. Jetzt ist mir dieser Genuß seltener gestattet. Vater pflegt zu Hause keinen Verkehr mit Deutschen und spricht selbst nur englisch.«

»So muß ich vielleicht den Gedanken, mich ihm vorzustellen, fallen lassen. Ich bin im Besitz einiger Wertpapiere, die ich bei ihm einlösen wollte, da er mir als der entgegenkommendste Geschäftsmann Stentons empfohlen wurde.«

»Darf ich bemerken, daß ich von seinem häuslichen Verkehr sprach? Und die Ausschließung der Deutschen ist nicht die Folge eines Grundsatzes, sondern des bloßen Zufalls.«

»So darf ich diese Vorstellung wagen?«

Sie sah sich in Verlegenheit versetzt; denn hinter dieser Frage verbarg sich eine andre, die sie weder bejahen konnte, noch verneinen mochte. Es verstand sich ja von selbst, daß eine Einladung die notwendige Folge einer solchen Vorstellung sein würde.

»Sie wird kein Wagnis sein,« klang es als Antwort, während ihr Blick den Boden suchte.

Diese Zustimmung erfüllte ihn mit Entzücken. Gern hätte er die Unterhaltung fortgesetzt, aber er durfte nicht unbescheiden sein, übergab das Speiseverzeichnis und empfahl sich dann. –

Im Hause Summerlands erfuhr er, daß die Brüder sich in den Leseklub begeben hätten. Es war die Stunde, in der dessen Mitglieder sich in die Morgenblätter vertieften und Tom war aus Anhänglichkeit für den Advokaten mitgegangen, obgleich es ihm leichter gewesen wäre, einen Bären zu erlegen, als eine Zeile zu buchstabieren. Klausen folgte ihnen. Er durchschritt langsam die kleinen Räume des Klubs.

In einem dieser Zimmer hingen die Satzungen des Vereins aus. Er trat vor die eingerahmte Schrift, um nachzusehen, ob Fremden der Eintritt gestattet sei. Die dicken Läufer, die den Fußboden bedeckten, hatten seine Schritte unhörbar gemacht, so daß seine Gegenwart in dem Nebenraum, aus dem die halblauten Stimmen zweier Männer durch den dünnen Vorhang klangen, unbemerkt blieb. Ohne es zu beabsichtigen, vernahm er jedes Wort ihrer Unterhaltung.

» Well, Sir, Ihr habt mich vollständig überzeugt, daß bei dem Geschäft ein ungewöhnlich hoher und sicherer Gewinn zu erzielen ist. Texas hat schon öfters die kräftigsten Versuche gemacht, sich von Mexiko loszusagen; immer aber wurde es durch die Uebermacht der Truppen niedergeworfen. Jetzt ist man in Washington entschlossen, ihm nachdrückliche Hilfe zu gewähren, und die Folge wird sein, daß das herrliche, reiche und fruchtbare Land zur Union schwören muß. Ein Strom von Einwanderern wird sich darüber ergießen und der Preis des Bodens wird sich in kurzer Zeit um das Zwanzig- und Mehrfache steigern. Wer die Mittel besitzt, einige Grants von genugsamer Ausdehnung zu bekommen, kann sich Millionen verdienen. Zwar sind die Eurigen bedeutend, aber wenn Ihr mir gestattet, Mister Wilson, eine Summe, die ich gerade verfügbar habe, beizuschießen, so wird Euer Vorteil nur vergrößert werden.«

»Wie hoch ist die Summe?«

»Vierzig-, vielleicht auch fünfzig- oder sechzigtausend Dollars, die ich Euch in guten Wechseln auf Galveston mitgeben werde. Zwar waren mir Eure Verhältnisse bisher unbekannt, aber die Empfehlung, die Ihr mir von Harris Thomson, Jefferson City, vorlegtet, genügte vollständig, Euch mein ganzes Vertrauen zu schenken. Wann werdet Ihr reisen?«

»So bald wie möglich. Es ist keine Zeit zu verlieren, die Verhältnisse, mit denen wir rechnen, sind allgemein bekannt, und es sollte mich wundern, wenn nicht auch noch andere als wir auf die gleiche Spekulation verfielen.«

»Dieser Gedanke liegt allerdings nahe. Verfügt Euch mit in meine Wohnung, wo wir die Angelegenheit sofort in Ordnung bringen können.«

»Und Eure Tochter, Mister Olbers?«

»Ist mir zu lieb, als daß ich mehr als eine Andeutung gegen sie aussprechen sollte. Sie ist vollständig frei, wie ich sicher weiß, und Ihr seid ein Gentleman, dem es nicht schwer fallen kann, die Zuneigung eines Mädchens zu erringen. Meine Zustimmung habt Ihr. Das übrige ist Eure Sache.«

Sie erhoben sich und verließen den Ort, ohne Klausen, der hart an der Wand stand, zu bemerken. Es war der dicke Bankier und der Mann, der gestern den wirkungsvollen Faustschlag erhalten hatte. Wilson also war sein Name. Klausen dachte an die Gestalt in der Tornische.

»Fred Wilson, der Geliebte von Sarah; er ist's; es ist kein Zweifel möglich! Und sollte ich mich irren, wenn ich ihn für jenen Schurken halte, der die Pfahlmänner anführte? Er trägt sich anders, doch dieses Gesicht ist nicht zu verwechseln, und die Narbe erhöht die Gewißheit. Aber wie kommt er zu der Empfehlung von Harris & Thomson? Er kann während der Zeit unmöglich in Jefferson gewesen sein. Und selbst wenn ich mich in allem irrte, ein Schelm ist er, wie sein gestriges Verhalten und die Liebschaft beweist, die er mit der Terzerone unterhält, während er nach der Hand von Marga trachtet. Ich werde ihn entlarven!«

Er durchwanderte die Reihe der Zimmer weiter und fand bald die Gesuchten. Tom Summerland saß, ihm abgekehrt, am Tisch und durchstöberte die Bilder einer Zeitschrift. Er trug eine neue Trapperkleidung. Doch auf dem Kopf, wirklich, da saß die alte Mütze, die ihresgleichen suchte. Er hatte sich nicht von ihr trennen können.

Klausen trat an ihn heran und schlug ihn mit der Hand auf die Schulter. Der Getroffene sprang pfeilschnell in eine kampfbereite Boxerhaltung empor.

»Was schlagt Ihr mich, Master? Wollt Ihr einige gute Stöße sehen?«

Die Veränderung, die mit dem Aeußern seines Gefährten vorgegangen war, ließ ihn Klausen nicht sofort erkennen.

»Eure Stöße kenne ich, Tom Summerland; behaltet sie für Euch, alter Junge!«

Der Trapper riß die Augen auf, sprang auf ihn zu und warf die Arme um ihn, als wollte er ihn zu Mehl zerdrücken.

»Der Dichter, by god, der Dichter! Er ist's so gewiß wie meine Mütze. Hat sich der Mensch herausgeputzt, daß einem ordentlich die Augen übergehen. Hier, Bill, hast du ihn; fang ihn auf und quetsche ihn ein wenig zwischen deinen Pranken, denn ohne ihn hättest du mich nicht wiedergesehen!«

Er schob ihn dem Bruder zu, der ihn mit gleicher Herzlichkeit begrüßte.

An ein Lesen der Zeitung war nicht mehr zu denken. Der Advokat bot Klausen unbeschränkte Gastfreundschaft an; der schlug aus und bat nur um die Erlaubnis, seinen Gefährten nach Herzenslust besuchen zu dürfen, konnte sich aber einer Einladung zum Mittagessen nicht entziehen.

Hierauf verließ man den Klub und trennte sich; Klausen schritt dem Bankierhause zu und ließ sich von einem Gehilfen beim Chef anmelden. Er wurde in das Zimmer geführt, wo Olbers und Wilson noch über ihre Spekulation verhandelten. Beide konnten eine Ueberraschung beim Anblick des jungen Mannes nicht verbergen; nur äußerte sie sich in verschiedener Art. Wilsons Auge flammte auf, doch wandte er sich schnell und trat an das Fenster, um dem Eingetretenen seine Gesichtszüge nicht zu zeigen. Olbers aber blickte noch einmal auf die Karte in seiner Hand, durch die er sich hatte anmelden lassen.

»Euer Name ist Richard Klausen, Sir?«

»Ja. Ich komme, eine Bitte auszusprechen. Wollt Ihr so freundlich sein, diese Papiere zu prüfen?«

Der Bankier ergriff sie und überflog sie mit einem raschen Blick. »Sie sind gut.«

»Ich wünsche einen Teil des Betrags in klingende Münze zu verwandeln, das übrige aber hier niederzulegen, um es später bei meiner Abreise in Wechseln zu erheben.«

»Ich stehe gern zu Diensten, Sir! Ist Euch Master Summerland bekannt?«

»Tom Summerland wohl? Ich traf mit ihm im Llano estakado zusammen und habe ihn soeben hier wieder aufgesucht.«

»So ist auch meine Vermutung richtig, daß Ihr der Verfasser der poetischen Werke seid, unter denen derselbe Name steht, den Eure Karte zeigt?«

Klausen verneigte sich zustimmend.

»So wird es mir ein Vergnügen sein, Euch auch anders als geschäftlich begegnen zu können. Bitte, betrachtet meine Wohnung als die Eurige! Meine Tochter wird sich freuen, Euch kennen zu lernen.«

»Ich hatte bereits die Ehre, der Miß bei Mutter Smolly, meiner Wirtin, vorgestellt zu werden.«

»Ah! Ihr wohnt bei der Mutter Smolly? Das ist mir angenehm. So sind wir Nachbarn und können uns ohne große Schwierigkeit besuchen. Seid Ihr etwa für den heutigen Abend bereits verpflichtet?«

»Nein.«

»So bitte ich um Eure Gegenwart. Wir werden ganz unter uns sein: ich, Marga und dieser Herr, den ich mir erlaube Euch vorzustellen – – Mister Fred Wilson, Plantagenbesitzer in Texas.«

Er hatte jede Erwähnung des gestrigen Ereignisses vermieden. Wilson wandte sich mit einer halben Bewegung zurück und machte eine gemessene Verbeugung. Klausen erwiderte sie in frostiger Weise.

»Ich werde kommen, Sir, wenn es mir gelingt, mich von dem guten Tom zu trennen, der sehr ernsten Beschlag auf mich legen wird.«

»So bringt ihn mit; er wurde gestern bereits bei mir eingeführt und wird mir willkommen sein.«

Das war es, was Klausen gewünscht hatte.

Er wurde von Olbers zum Kassierer begleitet, erhielt das Bargeld und den Depositenschein und verließ das Geschäft.

»Ein verteufelter Schnitzer, den Ihr gestern begangen habt, Mister Wilson,« meinte der Bankier, als er wieder in das Zimmer zurückgekehrt war. »Dieser Mann ist kein andrer als der Jäger, den Ihr angegriffen habt; er muß eine geradezu scheußliche Ansicht über uns bekommen haben!«

»Ist mir gleich! Habe niemals nötig gehabt, um die Freundschaft eines Reimeschneiders zu buhlen und werde das auch hier nicht tun. Daß Ihr ihn für heut Abend geladen habt, ist mir nichts weniger als angenehm. Ich glaubte Marga allein zu haben, um mit ihr ins Reine zu kommen, und nun werden diese beiden Menschen mir die Gelegenheit verderben.«

»Diese Besorgnis ist unnötig, denn ich werde sie so in Beschlag nehmen, daß Euch vollkommen Freiheit bleibt, Eure Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Jetzt nun zu unserer Spekulation zurück!«

Es wurde beschlossen, daß Wilson schon morgen reisen sollte. Nachdem der Vertrag gefertigt und unterzeichnet war, erhielt er die Papiere und verließ das Haus.

Er hatte bereits einige Straßen durchschritten, um seine Wohnung zu erreichen, als er Sarah aus einem Laden treten sah. Nach einigen Schritten stand er bei ihr.

»Ich habe sehr notwendig mit dir zu sprechen. Willst du mir heut die Tür zu deinem Room wieder offen lassen?«

»Wann?«

»Sobald es dunkel ist. Ich komme nur auf einige Augenblicke, kehre aber später wieder.«

»Ich werde den Schlüssel anstecken.«

Er nickte und ging. Zu Hause zog er die Papiere aus der Tasche und warf sie mit triumphierender Miene auf den Tisch.

Dann ging er mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.

»Dieser Klausen ist ohne allen Zweifel der Kerl, dem ich meine Narbe verdanke. Und er hat mich ebensogut wieder erkannt wie ich ihn, das ist aus seiner gestrigen Anspielung auf den Llano estakado und die Nuggets zu ersehen. Er wird sich alle Mühe geben, mir zu schaden. Aber es soll ihm nicht gelingen! Ehe ich fortgehe, werde ich Abrechnung mit ihm halten und ihm die beiden Hiebe bezahlen, die er gegen mich geführt hat.«

»Und dieser Tom Summerland, der heut mit erscheinen wird,« fuhr er nach einer Pause fort, »ist jedenfalls der andere, der uns damals die Tiere und einen Teil des Goldes raubte. Ich bin begierig, ob auch er mich erkennen wird. Aber ich bin auf alle Fälle gesichert. Noch ist keine Anzeige gegen mich erfolgt, und wenn ich ja gezwungen bin zu verschwinden, so wird man mich doch nur in Texas suchen, wo ich durch meine Abwesenheit glänzen werde. Wenn es mir dann mit Hilfe meines Bruders gelingt, die Grants zu erwerben, verkaufe ich sie an Ort und Stelle wieder und gehe mit Sarah nach Brasilien. Dort mag sie bei mir sein, bis mir eine andere besser gefällt!«

Er packte Verschiedenes ein und durchwanderte dann die Stadt, um die zu seinem Vorhaben nötigen Einkäufe zu machen. Sobald es dunkel geworden war, begab er sich, in einen weiten Reisemantel gehüllt, unter dem er ein Paket trug, zum Hause der Mutter Smolly. Er trat ohne weiteres ein, stieg zwei Treppen empor und öffnete eine Tür, die zu einem kleinen Raum führte, der Sarah angewiesen war und alle ihre Habseligkeiten enthielt. Es war dunkel darin, aber Wilson fand sich sehr gut dort zurecht.

Nach kurzer Zeit trat das Mädchen ein. »Bist du da?« flüsterte sie.

»Ja, mein süßes Herz,« antwortete er, sie umarmend und an sich drückend. »Ich bin gekommen, dir eine frohe Botschaft zu bringen.«

»Welche?« fragte sie, seine Liebkosung stürmisch erwidernd.

»Ich gehe fort. Willst du mit?«

»O wie gern! Mit dir gehe ich, wohin du mich nur immer führst. Wann reisest du ab?«

»Schon heut.«

»Das ist zu schnell. Ich muß doch Zeit haben, mich vorzubereiten und auch mit der Herrin sprechen.«

»Du brauchst keine Vorbereitung, denn ich habe bereits für alles gesorgt. Und der Herrin darfst du gar nichts sagen, sonst läßt sie dich nicht fort.«

»Aber sie ist so gut; ich darf doch nicht so undankbar sein und sie heimlich verlassen!«

»So ist sie dir wohl lieber als ich?« fragte er in vorwurfsvollem Ton.

»Wie darfst du so denken! Du bist mir lieber als alles, was ich kenne, und für dich will ich alles tun, was du von mir verlangst. Ich gehe mit, auch heut!«

»Das habe ich nicht anders erwartet, Sarah. Und du wirst es nie bereuen; denn erst jetzt beginnst du zu leben und die Freuden des Daseins kennen zu lernen, die dir hier versagt bleiben würden. Doch nicht als Mädchen darfst du mich begleiten; das würde uns hindern, in steter Nähe miteinander zu verkehren und unser Glück bis auf die Neige zu genießen.«

»Nicht als Mädchen? Wie sonst?«

»Als Knabe. Hier in diesem Paket befindet sich alles Erforderliche. Der Anzug wird dir prächtig stehen.«

»Als Knabe!?« meinte sie, geschmeichelt und erfreut. »O, wie hübsch wird das sein. Ich werde dein Diener sein und dich keinen Augenblick allein lassen.«

»Aber ein großes Opfer wirst du mir bringen müssen, mein liebes Kind!«

»Befiehl! Es ist mir keins zu groß!«

»Dein Haar, dein herrliches Haar werde ich dir verschneiden müssen; denn es würde verraten, daß du kein Knabe, sondern das schönste Mädchen der Vereinigten Staaten bist.«

»Schneide es nur immer ab. Ich gebe es gern hin für das Glück, von dir geliebt zu sein.«

»Wie lange mußt du heut bei Mutter Smolly sein?«

»Bis zehn Uhr; dann bin ich frei.«

»So sorge, daß ich von da an das Haus offen finde, und kleide dich sorgfältig um, damit ich nicht zu warten brauche. Es wohnt seit gestern ein Mister Klausen bei euch?«

»Ja, ein sehr schöner und auch sehr lieber Gentleman.«

»Ah, ich merke, daß es Zeit ist, dich von hier fortzunehmen. Du mußt auch ihn bedienen?«

»Ja. Seine Zimmer sind mir von der Herrin übergeben worden, und ich führe einen besonderen Schlüssel zu ihnen, damit ich während seiner Abwesenheit meine Arbeit darin verrichten kann.«

»Sorge dafür, daß dieser Schlüssel hier ist, wenn ich komme.«

»Warum? Mußt du in die Zimmer?« fragte sie arglos.

»Ja. Man kann von ihnen hinüber zu Olbers schauen, und ich muß einiges da drüben beobachten, ehe ich das Haus verlasse. Jetzt aber leb wohl, Sarah, und führe alles genau aus, was ich dir gesagt habe!«

Nach einer langen Umarmung stieg er, den Mantel zurücklassend, die Treppen wieder hinab und stand nach wenigen Augenblicken im Empfangszimmer des Bankiers.

Er war der erste der Geladenen und fand Marga allein vor.

» Good evening, Miß. Master Olbers hat mir erlaubt, den letzten Abend, der mir für Stenton zugemessen ist, in Eurer Nähe zu verbringen. Darf ich mir einbilden, daß meine Gegenwart Euch nicht ganz unangenehm ist?«

»Die Einbildung ist eine schlimme Angewohnheit, Sir, und mein Gewissen läßt mir niemals zu, sie zu unterstützen.«

Er zog die Spitze seines Schnurbarts durch die Zähne und entgegnete:

»Kein Mensch lebt von etwas anderem, als von dem, was er sich einbildet. Nur der ist glücklich, der den Augenblick ausbeutet. Der jetzige ist einer der schönsten meines Lebens, und ich darf ihn nicht vorübergehen lassen, ohne Euch das gestanden zu haben.«

Marga wurde einer Antwort durch den Eintritt ihres Vaters enthoben. Zugleich mit ihm erschienen Summerland und Klausen. Der Dichter hatte jenem kein Wort über Wilson mitgeteilt; das Verhalten des Gefährten sollte ihm sagen, ob sein Verdacht berechtigt sei.

Der Trapper eilte auf das Mädchen zu und ergriff mit einfacher Herzlichkeit ihre Hand.

»Da habt Ihr mich wieder, Miß, und bin ich Euch nicht willkommen, so dürft Ihr mich fortjagen, ohne daß ich Euch böse darüber bin!«

»Bleibt nur da, mein lieber Mister Summerland; ich sehe Euch herzlich gern!«

Sie reichte auch Klausen ihre Hand.

»Ein deutsches Willkommen, ohne Schmeichelei und Phrase, Sir!«

Er wollte sich auf die zarten Finger niederbeugen, fuhr aber auf halbem Wege wieder empor. Neben ihm war ein Wort erklungen, das in dieser Umgebung verpönt war.

» Zounds! Donnerwetter! Wer ist denn das?« Tom Summerland hatte sich von Marga hinweg zu Wilson gewandt und bei dessen Anblick diese Worte ausgestoßen. »Mister Klausen, seid so gut und seht einmal diesem Mann ins Auge. Kennt Ihr ihn?«

»Wer ist es, Tom?«

»Ich will mich auf der Stelle zerhacken und einpökeln lassen, wenn das nicht der Pfahlmann ist, der uns überfiel und dem Ihr später den Tomahawk über den Schädel zogt! Was hat der Mensch bei Euch zu schaffen, Mister Olbers?«

Ehe der Bankier antworten konnte, kam ihm Wilson zuvor.

»Ist dieser Mann wahnsinnig?« donnerte er. »Noch ein einziges solches Wort, und ich sorge dafür, daß er die Zwangsjacke erhält!«

»Oder Ihr die Handschellen!« erwiderte der Trapper in demselben Ton. »Hätte ich Euch an einem anderen Ort gefunden, so wäret Ihr in fünf Minuten in den Händen des Sherifs.«

»Laßt Euch nicht abhalten! Trotzdem mich Master Olbers geladen hat, soll Euch der Sherif begreiflich gemacht werden. Da, nehmt hin!«

Marga stieß einen Angstruf aus, und der Bankier zog sich in die Ecke des Zimmers zurück. Wilson hatte die Faust erhoben; er trug bereits die Reisewaffen bei sich; ein Bowiemesser blitzte in seiner Rechten, während die Linke in die Brusttasche fuhr, um den Revolver hervorzunehmen. Aber schon stand Klausen hinter ihm, faßte ihn bei den Hüften und schmetterte ihn mit solcher Gewalt an die Flügeltür, daß diese aufsprang und er in den Flur stürzte. Ehe noch jemand bei ihm sein konnte, hatte Wilson sich wieder aufgerafft und sprang die Treppe hinab.

Niemand machte Miene ihn zu verfolgen. Marga lag auf dem Sofa, und Klausen kniete bei ihr. Der Bankier zitterte am ganzen Körper und hielt sich an der Lehne eines Stuhles fest. Tom Summerland war nach dem Tisch gesprungen, auf dem die Wasserflasche stand; die Besorgnis um die liebenswürdige Miß war bei ihm größer als der Wunsch, seinen Feind in die Hände zu bekommen.

»Mister Summerland, was habt Ihr getan!« klagte Olbers. »So ein Verdacht war wirklich nichts als Wahnsinn!«

Er erhielt keine Antwort; die beiden Männer waren zu sehr mit Marga beschäftigt, als daß sie seine Worte hätten beachten mögen. Diese schlug die Augen auf. Sie war sonst nicht so leicht einer Schwäche zugänglich. Was hatte sie ohnmächtig gemacht? Ganz ohne Wollen gab sie Antwort auf diese Frage. Ihr Blick fiel auf Klausen.

»Ihr lebt, er hat Euch nicht verwundet?«

Freudig durchrieselte es ihn bei diesen Worten. War sie nur aus Besorgnis um ihn so schwach gewesen? Er konnte nicht anders, er mußte ihre beiden Hände nehmen und seine Stirn auf einen Augenblick darüber neigen.

»Wir sind alle unverletzt, Miß, und nur in Besorgnis um Euch!«

»O, nun ist alles gut! Ich sah das Messer blinken und hatte fürchterliche Angst.«

»Die dir wohl ohne Grund bereitet wurde,« fiel ihr Vater ein.

»Ohne Grund, Sir?« fragte Summerland beleidigt. »Glaubt Ihr etwa, ich wüßte eine Savannenspiegelung nicht von der Wirklichkeit zu unterscheiden? Ich weiß nicht, wie der Kerl sich bei Euch nennt und eingeschlichen hat, aber daß er nicht nur ein Pfahlmann, sondern sogar ihr Hauptmann war, von dem ich Euch gestern erzählte, das ist so sicher wie meine Mütze. Fragt da den Dichter; der muß ihn gerade so wie ich erkannt haben.«

Olbers blickte den Genannten fragend an.

»Tom hat die Wahrheit gesagt, Sir,« bestätigte dieser. »Ich habe ihn gleich gestern erkannt, als ich Euch begegnete. Ihr werdet Euch meiner Antwort erinnern, die von Nuggets und der Todessteppe sprach, und Miß Marga wird mir bezeugen, daß ich sie einer besseren Gesellschaft wert hielt.«

»Beweise, gebt mir Beweise, Gents! Ich habe Gründe, Wilson mein volles Vertrauen zu schenken. Und Eure Anklage ist so schrecklich, daß ich sie nicht zu fassen vermag.«

»Ihr habt heut mit ihm ein Geschäft abgeschlossen, das die Erwerbung texanischer Empressarios betrifft?«

»Woher wißt Ihr das?«

»Und ihm die Erlaubnis erteilt, sich der Zuneigung von Miß Marga zu versichern?«

»Seid Ihr allwissend?«

»Wenigstens so weit, daß ich der Person dieses Mannes durchaus sicher bin. Er wirbt um Eure Tochter und unterhält zugleich ein zärtliches Verhältnis mit Sarah, dem Dienstmädchen meiner Wirtin. Nun sagt, ob er Eures Vertrauens wert ist!«

»Könnte das möglich sein?«

»Ich selbst habe die beiden gestern abend mit meinen eigenen Augen beieinander gesehen, und gleich heute morgen bat sie mich um Verschwiegenheit. Ist Euch mein Wort genug?«

»Allerdings! Mein Gott, wenn Ihr Euch nicht irren solltet, so droht mir ein schwerer Verlust! Ich habe heute mit ihm einen Vertrag geschlossen und ihm fünfzigtausend Dollars überwiesen.«

»Vielleicht kommt unsere Warnung nicht zu spät. Wißt Ihr genau, daß die Empfehlung von Harris Thomson, Jefferson City, echt gewesen ist?«

»Auch davon seid Ihr unterrichtet? Sie ist echt. Ich habe sie genau geprüft.«

»Aber keine besondere Anfrage gehalten? Ein Mann wie er schreckt vor keiner Fälschung zurück. Wir müssen ihn festnehmen lassen!«

»Seid Ihr wirklich Eurer Sache so gewiß?«

»Ja. Und um Euch Gelegenheit zu geben, meine Worte zu prüfen, bin ich bereit, einige Stunden zu warten. Schickt nach dem Telegraphen; die Antwort wird in Kurzem hier sein und Euch Gewißheit bringen.«

»Ihr habt recht, Sir! Aber ich werde nicht schicken, sondern selbst gehen und die Antwort gleich erwarten. Bei einer so bedeutenden Summe muß ich Vorsicht walten lassen.«

»So werde ich gehen und seine Wohnung bewachen; er wird zur Flucht entschlossen sein und darf uns nicht entgehen.«

»Stopp, Mister Klausen,« fiel Summerland ein. »Dazu bin ich ebenso der richtige Mann wie Ihr. Bleibt nur hier! Oder wollt Ihr die liebe Miß verlassen, da auch der Vater geht?«

»Ja, bleibt!« bat Olbers. »Marga darf in solchen Verhältnissen nicht ohne Schutz sein!«

Sie gingen; der Bankier nach dem Telegraphenamt und Summerland nach der Wohnung Wilsons, die er sich von Olbers bezeichnen ließ. – –

Der Gesuchte war, als er das Haus verließ, eine Strecke die Straße hinabgeeilt, dann über diese hinübergegangen und an der andern Seite zurückgekehrt. Es war noch zu früh, als daß er Sarah in ihrer Kammer hätte antreffen können. Dennoch stieg er hinauf und wartete, bis sie kam. Er war ihr bei der Verwandlung in einen Knaben und beim Einpacken der Gegenstände, die sie mitnehmen wollte, behilflich und fragte, als alles beendet war:

»Ist Mutter Smolly noch wach?«

»Nein.«

»Und die Haustür?«

»Ist offen. Außerdem habe ich den Schlüssel hier.«

»Auch den für Klausens Zimmer?«

»Ja.«

Er nahm beides und gebot ihr dann: »Geh jetzt, Sarah; man darf uns nicht beisammen sehen. Oberhalb des Fährhauses in den Weiden erwartest du mich!«

»Ich gehorche dir, aber bitte, komm bald!«

Sarah sah in ihrem Anzug wirklich allerliebst aus. Er nahm sie in die Arme und küßte sie wiederholt auf die Lippen.

»Ich komme bald. Nun aber geh!«

Als sie fort war, blies er das Licht aus, schloß den Raum ab und schlich sich zum ersten Stock hinunter. Dort öffnete er Klausens Tür, schloß von innen wieder zu und begann die Zimmer zu untersuchen. Es war dies ohne Lampe recht gut möglich, da das Licht der Gaslaternen hell durch die Fenster fiel und auch die Kronleuchter in Olbers' Gesellschaftszimmer ihren Schein herüberwarfen.

Seine Nachforschung war gleich im Anfang vom Glück begünstigt. Er begann mit der Bibliothek, sah den Schreibtisch, an dessen Schubladen die Schlüssel steckten, und öffnete ihn. Eine geschlossene Brieftasche lag auf einigen Geldrollen in einem der Fächer. Er nahm sie und trat näher an das Fenster.

»Gefunden! Hier der Depositenschein nebst einigen unvermuteten Schecks und dort das Bargeld, das er von Olbers bekommen hat. Ich habe genug. Nun habe ich nur noch mit ihm abzurechnen!«

Er verschloß alles wieder und trat hinter die Gardinen, um das gegenüberliegende Haus zu beobachten. Im Gesellschaftszimmer waren die Lichter erloschen; an ihrer Stelle brannte in dem Balkonzimmer des untern Stocks eine Lampe. Die Personen, die sich hier befanden, mußten hinter dem Licht sitzen, da er keine Spur eines Schattens bemerkte.

»Ob er noch drüben ist?«

Seine Frage sollte sofort beantwortet werden. In der Helle des Lichtes erschien Marga und hinter ihr Klausen. Sie traten heraus auf den Balkon und stützten sich dicht nebeneinander auf dessen Geländer. Sie schienen nach jemand auszuschauen.

»Teufel, wie vertraut sie sind, so allein, so nahe! Da, bei Gott, er legt den Arm um sie, leise zwar und verzagt, aber doch! Und sie leidet es! Ist's so gemeint? Warte, Bube. Hast du zu viel Feuer in den Adern, so soll dir geholfen werden. Ich werde dich ein wenig schröpfen! – Wer ist der dicke Mensch, der dort gelaufen kommt? Wahrhaftig Olbers! Wo ist er gewesen? Auf der Polizei? Und wo steckt dieser armselige Tom Summerland, der sich nicht sehen läßt? Jetzt treten sie zurück!«

In dem Balkonzimmer mußte jetzt ein lebhaftes Gespräch stattfinden; die Schatten zeigten eine ungewöhnliche Beweglichkeit. Dann verließen Olbers und Klausen das Haus; der eine schritt dem Innern der Stadt zu; der andre ging in der Richtung fort, in der Wilsons Wohnung lag.

»Was haben sie vor? Jedenfalls meine Verfolgung. Sie sollen sich verrechnen!«

Es verging eine beträchtliche Zeit, ehe sich einer von den Genannten wieder sehen ließ. Da kam eine Droschke, hielt vor dem Hause drüben und lenkte dann herüber. Klausen war ausgestiegen. Er verschwand in dem Bankierhause, verließ es aber bald wieder und schritt über die Straße herüber.

»Er kommt. Nun ist es Zeit!«

Er bog sich nieder und kroch unter den Schreibtisch. Draußen wurde die Tür aufgeschlossen; Klausen trat ein und setzte die Lampe in Brand. Er zog die Wäsche hervor, öffnete den Kleiderschrank und ging ans Einpacken. – –

Die Abwesenheit Olbers' und Summerlands hatte ihm selige Augenblicke geschenkt.

Marga war vom Diwan aufgestanden und auf ihn zugetreten.

»Ist wirklich keine Täuschung möglich, Sir?«

»Nein. Er selbst hat ja durch seine Flucht den Beweis gegeben, daß wir uns nicht irren.«

»Welch ein Mensch! Und in so gefährlicher Nähe haben wir uns so lange Zeit befunden ohne alle Ahnung des Schlimmen, das uns drohte! Dieses Messer, es war fürchterlich!«

Die Erinnerung an die blitzende Klinge hatte beinahe dieselbe Wirkung wie der furchtbare Augenblick selbst. Sie wankte, suchte mit der Hand nach einer Stütze und fand sie nicht. Er trat näher und hielt sie mit seinem Arm aufrecht. Sie sank mit ihrem Köpfchen an seine Schulter und schloß die Augen. Er legte den Arm fester um sie und bog sich zu ihrem Gesicht herab. Seine Pulse schlugen heftig.

»Miß Marga! So möchte ich Euch halten und stützen jetzt und immerdar, so lang ein Gedanke mich bewegt und ein Hauch des Lebens in mir ist!«

Sie hatte die Augen wieder geschlossen; die Blässe ihres Gesichts wich. Die Schwäche war verschwunden; sie bedurfte der Stütze nicht mehr, und dennoch verweilte sie regungslos in ihrer jetzigen Stellung und ein wonniges Lächeln lag auf ihren Lippen.

Da beugte er sich nieder und küßte diese Lippen, und sie gab den Kuß zurück.

Kurz darnach trat der Bankier bei ihnen ein. Er war so aufgeregt, daß er die ungewöhnliche Bewegung der beiden gar nicht beobachtete.

»Ihr habt recht gehabt, Sir!« keuchte er mit fliegendem Atem. »Die Empfehlung war gefälscht. Wir müssen den Schurken haben!«

»Wir werden ihn bekommen, selbst wenn es ihm gelungen wäre, für jetzt zu entwischen. Ist er aber nach seiner Wohnung gegangen, was er sicher getan hat, wenn er nicht vorher auf das Geschehene vorbereitet war, so wird Tom Summerland ihn nicht aus dem Auge lassen. Ihr wart doch jedenfalls schon beim Prokurator oder auf der Polizei?«

»Nein, noch nicht. Ich habe in meinem Grimm und in der Eile gar nicht daran gedacht!«

»So müßt Ihr das Versäumte sofort nachholen. Ich gehe unterdessen zu Tom, um Euch dort zu erwarten. Wir dürfen keine Zeit verlieren!«

Sie gingen, und Marga blieb allein zurück. Sie nahm auf dem Sofa Platz und öffnete ihr Album. Hier war das Gedicht verborgen, das sie aus der Zeitung geschnitten hatte. Sie las es wieder und immer wieder.

So lag sie lange, lange. Da erklangen draußen Schritte; es klopfte, und ehe sie sich noch erhoben hatte, stand der Geliebte vor ihr. Er sah den Zeitungsausschnitt in dem geöffneten Album liegen und wußte nun, daß sie sich nur mit ihm beschäftigt hatte.

»Ich komme als Bote. Wilson ist, seit er hier war, nicht in seiner Wohnung gewesen. Die Polizisten suchen ihn an den Orten, wo er zu verkehren pflegte, und da er ihnen persönlich unbekannt war, muß sich Papa an der Nachforschung beteiligen. Er läßt bitten, nicht in Sorge um ihn zu sein. Auch ich werde mit Summerland nach ihm suchen, vermute jedoch, daß er Stenton bereits verlassen hat. In diesem Fall weiß ich genau, wohin er sich wendet und werde ihm noch in der Nacht folgen. Darf ich dann um die Freundlichkeit bitten, mich bei Mutter Smolly zu entschuldigen, von der ich doch unmöglich Abschied nehmen kann?«

»Ihr wollt fort, ihm nach, wollt Euch in die Gefahr begeben, von ihm – nein, nein, das kann ich unmöglich zugeben! Bleibt, Sir, und überlaßt die Verfolgung des Bösewichts der Polizei!«

Er lächelte glücklich und überlegen zugleich.

»Im Kampfe gegen einen erklärten Feind, und das ist er mir nun, kenne ich keine Gefahr. Auch ist meine Abreise ja noch nicht bestimmt; möglicherweise hat er die Stadt noch nicht verlassen; dann fällt er gewiß in unsere Hände, und ich bleibe hier.«

»So versprecht mir, auf alle Fälle noch einmal hier vorzusprechen! Ich bleibe wach, bis Papa kommt, und bis ich genau Nachricht habe.«

»So werde ich wiederkommen. Bis dahin aber – gute Nacht!«

Er reichte ihr die Hand. Sie sah seinen bittendfragenden Blick und fühlte seinen leisen Versuch, sie an sich zu ziehen. Da schlang sie aus eigenem Antrieb die Arme um ihn.

»Richard, erhalte dich mir! Schone dich, wenn du ihn triffst!«

Ihre Lippen berührten die seinen in einem leisen, schnellen Kuß, dann schlüpfte sie in das Nebengemach.

Dort vertauschte sie ihr Gesellschaftskleid mit einem bequemen Hausgewand und war eben damit fertig, als sie bemerkte, daß die Fenster seiner Wohnung erleuchtet waren. Er mußte also hineingegangen sein. Jedenfalls verließ er diese bald wieder; sie wollte ihn sehen und begab sich auf den Balkon.

Nach einiger Zeit öffnete sich auch drüben die Tür zum Altan, und Klausen trat heraus, um nach Summerland zu blicken, der ihn abholen sollte. Er winkte grüßend mit der Hand herüber und sie erhob die ihrige zur Antwort, stockte aber mitten in der Bewegung. Ein Schatten glitt an den zwei Fenstern des Studierzimmers vorüber und im nächsten Augenblick sah sie im Innern des nach dem Balkon offenen Raums das Gesicht Wilsons erscheinen.

Ein jäher Schreck durchzuckte sie, aber sogleich hatte sie sich wieder gefaßt, erhob den Arm und rief:

»Wilson hinter dir!«

Er wandte sich um, keinen Augenblick zu früh, denn schon stand der Genannte hinter ihm und hatte das Messer zum Stoß gezückt.

»Hilfe, Hilfe!« schrie Marga in ihrer Todesangst. Sie sah nur noch, daß die beiden Männer auf dem Altan miteinander rangen, dann sprang sie in das Zimmer zurück, die Treppe hinab, über die Straße hinüber und flog atemlos zu seiner Wohnung empor. Sie trat gerade in dem Augenblick ein, als Klausen den Balkon verließ.

»Richard, wo ist er?«

»Fort. Ein Sprung vom Altan hat ihn gerettet, während ich ihn loslassen mußte, um das Messer zu entfernen.«

»Du blutest! Er hat dich verwundet! Um Gottes willen zeig schnell her!«

»Es ist nichts, Marga, zwei kleine Fleischwunden. Laß mich, ich muß ihm nach!«

»Nicht um die ganze Welt!«

Er wollte ihr enteilen; sie aber hing sich so fest an ihn, daß er Gewalt hätte brauchen müssen, um loszukommen.

»Bitte, Marga, er wird mir entgehen!«

»Laß ihn! Ich müßte vor Sorge sterben, wenn ich dich so von mir ließe. Komm, entferne den Rock; laß mich die Wunden sehen!«

Er sah, daß hier jeder Widerstand vergeblich sei, und folgte ihrem Gebot. Wilson hatte ihm einen Schnitt in die Linke und einen Stich in den Arm versetzt. Beide waren nicht gefährlich, verursachten aber eine heftige Blutung. Er blickte ihr lächelnd zu, als sie diese zu stillen versuchte und dann einen kunstgerechten Verband anlegte.

»So,« meinte sie, als sie fertig war; »jetzt ist keine Besorgnis mehr nötig, du böser, lieber Mann! Aber ohne deine Marga wärst du ihm nachgesprungen und hättest dich unterwegs vielleicht verblutet.«

»Nein, ohne meine Marga wäre ich schon früher ein Kind des Todes gewesen, denn ohne deinen Warnungsruf hätte mich sein Messer hinterrücks getroffen. Wie soll ich dir danken?!«

Er zog sie mit Innigkeit an sich.

»Damit, daß du mich immer, immer so lieb behältst wie jetzt!« flüsterte sie, sich zärtlich an ihn schmiegend.

Bald ertönten draußen Schritte und Summerland trat ein. Er machte nicht wenig erstaunte Augen, als er das Mädchen erblickte, und es wurde ihm in kurzen Worten alles mitgeteilt.

»Er ist hier gewesen? Damn! Hat er Euch bestohlen, Sir?«

»Weiß nicht, Tom; habe auch keine Zeit mehr, darnach zu forschen. Hat er es getan, so werde ich es schon noch bemerken. Jetzt aber müssen wir hinter ihm her.«

»Gewiß. Aber nehmt einen Revolver mit oder so etwas ähnliches; der Kerl darf nicht mit Seide angefaßt werden!«

Sie verließen die Wohnung. Klausen begleitete Marga bis in die ihrige und schloß sich dann dem Gefährten an, der auf ihn wartete.

»Wohin jetzt?« fragte dieser.

»Nirgendshin als wieder in mein Haus. Ich werde nach dem Dienstmädchen sehen. Das ist mir soeben eingefallen. Ohne Sarah hat er nicht zu mir gekonnt; sie muß uns Aufschluß geben. Das weitere wird sich dann schon finden.«

» Allright, Sir! Dieser Gedanke ist nicht schlecht. Wilson mag einstweilen laufen, meinetwegen bis Babylon, wo die Weiden standen, die von den sieben fetten Kühen des Königs Pharao weggefressen wurden. Wir holen ihn doch noch ein und helfen ihm zu einem guten Strick. Das ist so sicher wie meine Mütze!«


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