Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9. Ein Seegefecht

Es war Abend geworden; es wurde zehn Uhr und noch später. Deadly-gun ging immer noch am Kai auf und ab, um sich keines der abstoßenden Boote entgehen zu lassen. Diese Aufgabe war für eine einzelne Person eine schwierige, wo nicht unmögliche, und in Wirklichkeit wurde auch gar mancher Kahn vom Land gerudert, ohne daß der aufmerksame Trapper die rechte Zeit fand, den oder die Insassen zu mustern. Es herrschte ringsum tiefe Dunkelheit, die die Straßenlaternen und Schiffslichter nur spärlich zu durchdringen vermochten, und Deadly-gun stand am Ufer, um von dem anhaltenden Rundgang ein wenig zu verschnaufen, als grad zu seinen Füßen der Führer eines unbesetzten Boots bei den zu dem Wasser führenden Stufen anlangte.

» Good evening, Mann, wo kommt Ihr her?« fragte er ihn.

»Von draußen.«

»Von welchem Schiff?«

»Von keinem.«

»Von keinem? Waret Ihr allein spazieren?«

»Fällt mir nicht ein!« antwortete der Schiffer, neben ihm stehen bleibend und seine vom Rudern angegriffenen Arme dehnend.

Der Trapper wurde aufmerksam.

»So habt Ihr jemand gefahren?«

»Wird wohl nicht anders sein, Master.«

»Aber bei keinem Schiff angelegt und kommt leer zurück. Habt Ihr ihn ersäuft?«

Der Schiffer lachte.

»So ähnlich. Aber wartet noch einige Stunden mit Euren Fragen, dann will ich sie Euch beantworten.«

»Warum nicht eher?«

»Weil ich nicht darf.«

»Und warum dürft Ihr nicht?«

»Weil ich's versprochen hab'.«

Der Mann schien Wohlgefallen daran zu finden, sich nach etwas fragen zu lassen, worüber er nicht bereit war, Auskunft zu erteilen. Der Jäger aber wurde von einem unbestimmten Gefühl getrieben, weiter zu forschen:

»Und warum habt Ihr dies versprochen?«

»Weil, weil – hört, Mann, Ihr fragt verteufelt dringlich – weil sich ein jeder gern ein Trinkgeld geben läßt.«

»Ah so! Also eines Trinkgelds wegen dürft Ihr nicht sagen, wen Ihr gefahren habt?«

»So ist's.«

»Und Ihr werdet es dennoch sagen, wenn ich Euch ein besseres Trinkgeld gebe?«

Der Schiffer warf einen ungläubigen Blick auf das zerfetzte, lederne Kleid des andern.

»Ein besseres? Wird Euch schwer werden!«

»Wie viel bekamt Ihr?«

»Meinen Lohn und einen Dollar obendrein.«

»Bloß?«

»Was, bloß? Euch fallen wohl die Dollars durch den zerrissenen Jagdrock in die Tasche?«

»Dollars? Nein. Geld habe ich nicht, aber Gold!«

»Wirklich? Das ist ja noch besser!«

Der Fischer wußte aus Erfahrung, daß mancher abgerissene Miner mehr bei sich trug, als hundert Stutzer miteinander besitzen.

»Meint Ihr? Da seht Euch einmal dies Nugget an!«

Deadly-gun trat unter eine Laterne und zeigte dem Fischer ein Stück Waschgold, das er aus der Tasche gezogen hatte.

»Alle Teufel, Master, das Stück ist ja seine fünf Dollars unter Brüdern wert!« rief der Mann.

»Richtig! Und Ihr sollt es haben, wenn ihr mir sagt, was Ihr verschweigen sollt.«

»Ist's wahr?«

»Gewiß. Also, wen habt ihr gefahren?«

»Zwei Männer.«

»Ah! Wie waren sie gekleidet? Jäger?«

»Nein. Mehr wie Seeleute, ganz neuer Anzug.«

»Auch möglich. Wie sahen sie aus?«

Der Schiffer gab eine Beschreibung, die ganz auf Camain und Letrier paßte, für den Fall, daß beide ihr Aeußeres verbessert hatten.

»Wo wollten sie hin?«

»Da hinaus, in die Nähe der ›l'Horrible‹, die dort auf den Ankern reitet.«

»Der ›l'Horrible‹?« Deadly-gun wurde aufmerksamer. »Was sprachen sie unter sich?«

»Konnte es nicht verstehen!«

»Warum?«

»Sie fragten mich, ob ich gelernt hätte, französisch zu reden, und als ich nein sagte, parlierten sie ein Mischmasch, daß mir davon die Ohren klangen.«

»Sie sind's! Wo stiegen sie aus?«

»Draußen im Wasser.«

»Unmöglich!«

»Grad so und nicht anders. Sie sagten, sie gehörten zum Schiff und wären ein wenig durchgekniffen, um sich an Land einen Spaß zu machen. Nun wollten sie ihre Rückkehr nicht merken lassen und sind deshalb bis an Bord geschwommen.«

»Und vorher mußtet Ihr ihnen versprechen –«

»Einige Stunden nichts davon zu erzählen.«

Ehe Deadly-gun eine weitere Frage tun konnte, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter.

»Mein Bruder komme mit mir!«

Winnetou war's. Er führte ihn einige Schritte abseits und fragte dann:

»Wie heißt das große Kanoe, das da drüben im Wasser liegt?«

»›l'Horrible‹.«

»Und wie heißt das Kanoe, auf dem der Weiße, der sich Mertens nannte, Häuptling gewesen ist?«

»›l'Horrible‹. Es ist dasselbe.«

»Wird der Weiße nicht hinausrudern, um sein Kanoe wieder zu besitzen?«

Deadly-gun stutzte und fragte:

»Wie kommt mein roter Bruder auf den Gedanken?«

»Winnetou verließ einmal seinen Posten, um nach dir zu sehen. Er kam mit der Fähre herüber, auf der weiße Männer waren, die von dem Kanoe sprachen. Als sie die Fähre verlassen hatten, warteten sie kurze Zeit und stiegen mit andern Männern und einem Koffer in mehrere Boote.«

»Hat mein Bruder alles gehört, was sie sprachen?«

»Sie wollten auf das große Kanoe und dessen Männer töten, weil der Kapitän Kaiman kommen werde.«

»Und sie sind hinaus auf das Wasser?«

»Ja. Sie hatten Messer und Beile im Gürtel.«

Deadly-gun überlegte. »Mein Bruder gehe zurück an seinen Posten; die Jäger müssen kommen, noch ehe der Morgen hereinbricht.«

Der Apatsche folgte der Weisung. Auch der Schiffer hatte sich mit seinem Nugget entfernt, und so blieb der Colonel allein zurück.

Sollte wirklich etwas Ungewöhnliches auf der ›l'Horrible‹ vorgehen? Winnetou hatte sich jedenfalls nicht geirrt; aber wenn das Schiff wirklich überfallen werden sollte, wie konnten diese Leute von der Ankunft des verfolgten Verbrechers so genau unterrichtet sein?

Während er noch sann, ertönten draußen auf der Reede drei Schüsse nacheinander, und trotz der späten Stunde belebte sich der Kai innerhalb kurzer Zeit mit einer beträchtlichen Menschenmenge, die begierig war, die Ursache der Alarmschüsse zu erfahren. Die Dunkelheit gestattete nicht, alle im Hafen und auf der Reede liegenden Schiffe zu unterscheiden, aber die Beweglichkeit der auf ihnen herumgetragenen Laternen war ein sicheres Zeichen, daß irgend etwas Unerwartetes geschehen sei.

Ein von sechs Ruderern bemanntes und von einem Midshipman befehligtes Kriegsboot landete ganz in der Nähe des Jägers. Ein zufällig am Land befindlicher Steuermann, dem der Midshipman Rede und Antwort zu stehen verpflichtet war, trat auf ihn zu und fragte ihn: »Was gibt's da draußen, Sir?«

»Die ›l'Horrible‹ sticht mit vollen Segeln in See.«

»Nun, was ist's weiter?«

»Was weiter? Ihre sämtlichen Offiziere befinden sich an Land; es ist jedenfalls irgend ein Schurkenstreich geschehen, und ich habe Befehl, sie sofort zu benachrichtigen.«

»Wer hat die Schüsse abgefeuert?«

»Wir, auf dem Panzermonitor. Unser Kapitän ist bei den Herren von der ›l'Horrible‹. Good night, Sir!«

Er eilte davon, zu Frau de Voulettre.

Deadly-gun hatte die Worte verstanden, folgte ihm unwillkürlich und gelangte so an das von Frau de Voulettre bewohnte Haus. Auch hier herrschte eine bedeutende Ausregung. Die Herrin war seit längerer Zeit spurlos verschwunden und fast sämtliche Gäste lagen betäubt und besinnungslos im Gesellschaftszimmer; die Folge eines in den Wein gemischten Gifts, wie die schleunigst herbeigeholten Aerzte aussagten. Mit Frau de Voulettre war eine wertvolle Sammlung von Seekarten und nautischen Werkzeugen verschwunden.

Dies alles hörte der Trapper erzählen. Aerzte, Polizisten und Seeleute flogen aus und ein, und ein riesiges Gedränge war vor dem Hause entstanden. Jetzt befand er sich selbst in Aufregung. Er konnte sich nicht erklären, in welcher Verbindung Mertens mit dieser Frau de Voulettre stehe, aber daß jener mit deren Hilfe die ›l'Horrible‹ entführt habe, wurde ihm zur unumstößlichen Gewißheit, obgleich es ihm unmöglich war, die Einzelheiten klar zu durchschauen.

Sollte er die Beobachtung des Apatschen der Polizei mitteilen? Das hätte zu Vernehmungen und Weitläufigkeiten geführt, die seinem Zweck nur schaden konnten. Es gab nur einen einzigen schnellen und sicheren Weg, den die Polizei jedenfalls ganz von selbst einschlug: Die ›l'Horrible‹ mußte verfolgt werden. Deadly-gun beschloß, dies auch auf seine eigene Faust zu tun. Dazu gehörte aber vor allen Dingen Geld zur Miete eines Schnelldampfers, und um dies zu bekommen, mußte er das Eintreffen seiner zurückgebliebenen Leute abwarten, die den gesamten im Hide-spot verborgen gewesenen Goldreichtum mit sich führten. Seine Aufgabe am Kai war erledigt; er konnte zu Winnetou zurückkehren und sah sich gezwungen, seine Ungeduld zu bemeistern.

Er fuhr nach Oakland über, suchte Winnetou auf und legte sich bei ihm nieder. Winnetou schlief; er aber wachte. Der Gedanke, daß der Räuber sich auf der See vielleicht in Sicherheit befinde, während er selbst, der ihm durch die weite Savanne Schritt für Schritt und unter unsäglichen Anstrengungen und Entbehrungen bis hierher gefolgt war, an das Land gebannt blieb und ihn entwischen lassen mußte, folterte ihn, so daß er sich ruhelos hin und her wälzte und die Minuten zählte, die ihn noch von den Seinigen trennten.

Die Habe, die sie mit sich führten, hatte sie aufgehalten und darum war er mit dem Apatschen vorausgeeilt. Nach seiner Berechnung konnten sie am Morgen eintreffen, und so erwartete er mit fieberhafter Ungeduld den Anbruch des Tages.

Die Sterne kehren sich nicht an die Wünsche des Menschenherzens; sie wandern ruhig den ihnen seit Jahrmillionen vorgeschriebenen Lauf; aber endlich gehen sie doch unter, und das siegreiche Licht des Tages wirft seine Strahlenflut über die weite Erde hin. Der Morgen war da. Deadly-gun beneidete den Apatschen um seinen festen, ruhigen Schlaf und überlegte eben, ob es Zeit sei, ihn zu wecken, als Winnetou plötzlich ganz von selbst in die Höhe sprang, mit munteren, scharfen Augen um sich blickte und sich dann wieder lauschend auf die Erde legte. Hierauf richtete er sich wieder empor.

»Mein Bruder neige sein Ohr an den Boden!« sagte er.

Der Trapper tat es und vernahm ein allerdings kaum zu empfindendes Geräusch, das sich der Stadt näherte. Der Sohn der Savanne hatte es sogar im Schlaf gemerkt. Winnetou horchte nochmals.

»Es nahen Reiter auf müden Pferden. Vernimmt mein Bruder das Wiehern eines Tieres? Es ist das böse Pferd des fremden Mannes, der auf dem großen Wasser gefahren ist.«

Er meinte den Dakotatraber, den der Steuermann Peter Polter ritt. Deadly-gun wunderte sich nicht über den außerordentlichen Scharfsinn des Indianers; er war ähnliches und noch erstaunlicheres längst von ihm gewohnt. Er sprang erwartungsvoll von der Erde auf und beobachtete die Ecke eines Gesträuchs, das die Nahenden noch verbarg.

Nach einiger Zeit kamen sie zum Vorschein. Es war Treskow mit dem Neffen des Colonels. Hinter ihnen ritt der Steuermann, der wie gewöhnlich viel mit seinem Pferd zu schaffen hatte. Dann kamen die Jäger, Dick Hammerdull, Pitt Holbers, Ben Cunning; die übrigen waren zum Schutz des Hide-spots zurückgelassen worden. Jeder von ihnen hatte ein oder mehrere Pferde oder Maultiere am Leitzügel, die schwer beladen zu sein schienen.

»Seht ihr das Nest da vorn?« rief Peter Polter. »Ich glaube, es ist endlich dieses San Francisco, das ich von hier aus nicht kenne, weil ich es nur von der See aus gesehen habe.«

»Ob wir es sehen oder nicht, das bleibt sich gleich,« meinte Hammerdull; »aber, Pitt Holbers, altes Coon, was meinst denn du dazu?«

»Wenn du denkst, daß es Frisco ist, Dick, so habe ich nichts dagegen,« antwortete dieser in seiner gewohnten Weise. »Als uns dort am Wasser die Roten überrumpelten und in ihr Lager schleppten, hätte ich nicht gedacht, daß ich diese Gegend einmal zu sehen bekäme.«

»Ja, alte Segelstange,« bemerkte der Steuermann »wenn damals Peter Polter aus Langendorf nicht gewesen wäre, so hätten sie Euch die Haut heruntergeschunden und Ihr lägt jetzt ohne Fell in Abrahams Schoß. Doch, schaut einmal da nach Luv hinüber! Ich lasse mich kielholen und dann mit Teer und Werg kalfatern, wenn das nicht der Colonel ist und –«

»Und Winnetou, der Apatsche!« fiel Treskow ein, sein Pferd zu rascherem Lauf antreibend, so daß er bald neben den beiden Genannten hielt.

»Gott sei Dank, daß ihr endlich kommt!« rief Deadlygun. »Wir haben auf euch gewartet, wie der Büffel auf den Regen.«

»Es ging nicht schneller, Onkel,« antwortete Thieme. »Wir sind die ganze Nacht geritten. Sieh unsre armen Tiere an; sie können kaum noch stehen.«

»Wie ist's, Colonel,« fragte Treskow; »habt ihr sie erreicht?«

»Nur um einen Augenblick kamen wir zu spät. Sie sind entwischt.«

»Entwischt? Wann, wie und wohin?«

Deadly-gun erzählte das Geschehene. Ein ärgerlicher Fluch entfuhr den Lippen der Trapper.

»Wart Ihr auf der Polizei?« erkundigte sich Treskow.

»Nein; das hätte uns nur Zeit geraubt.«

»Ganz richtig. Es gibt nur einen Weg. Wir mieten sofort einen guten Dampfer und fahren hinter ihnen her.«

»Das war auch meine Ansicht, und darum erwartete ich euch mit Ungeduld. Wir sind ja nicht im Besitz von Münze und müssen schleunigst unser Gold umsetzen.«

»Wird nicht viel helfen!« meinte der Steuermann, im höchsten Grad verdrießlich.

»Warum?«

»Ich mag keinen Dampfer; diese Art von Fahrzeugen sind die elendesten, die es gibt. Ein guter Segler findet stets Wind; so eine Rauchschaluppe aber braucht Kohlen und findet sie nicht überall. Dann liegt man vor Anker oder gar faul auf offener See und kann weder vor- noch rückwärts gehen.«

»So laden wir eine hinreichende Menge.«

»Mit Verlaub, Colonel, ein guter Jäger seid Ihr, das muß man sagen, aber zum Seemann taugt Ihr nichts. Erst müssen wir den Dampfer haben, und es fragt sich, ob gleich so ein Ding zur Hand liegt. Und, paßt auf, diese Yankees handeln und feilschen einen Tag lang mit Euch, ehe Ihr das Fahrzeug bekommt.«

»Ich gebe, was man verlangt.«

»Meinetwegen! Dann wird Mundvorrat, Munition und Kohle geladen, um eine lange Fahrt aushalten zu können. Das Schiff wird endlich besichtigt, ob es seetüchtig ist, und darüber vergehen Stunden und Tage, so daß die ›l'Horrible‹ das Kap umfährt, ehe wir nur zum Auslaufen kommen. Der Teufel hole sie!«

Die andern schwiegen.

»Ich kann das Gesagte wohl kaum bezweifeln,« meinte Treskow endlich; »aber hier halten und das Meer angucken, das führt zu nichts. Jedenfalls hat er schon genug Verfolger auf der Ferse; das ist ein Trost für uns. Und nach müssen wir auf jeden Fall.«

»Aber wohin?«

Die übrigen sahen den Steuermann fragend an.

»Das ist nicht so leicht gesagt,« entschied dieser. »War die ›l'Horrible‹ gut mit Mundvorrat versehen, so haben sie jedenfalls die Strecke nach Japan oder Australien eingeschlagen. Dahinzu ist die See frei und ein Entkommen leicht. War sie aber schlecht ausgerüstet, so sind sie nach dem Süden, um sich an irgend einem Ort der Westküste mit dem Nötigen zu versehen.«

Die Wahrheit dieser Ansicht leuchtete allen ein.

»So werden wir die daraus bezügliche Erkundigung einziehen. Vorwärts!« ermunterte Treskow die Leute.

Sie ritten durch Oakland, fuhren über, und suchten ein Bankhaus auf. Der Colonel verkaufte dort den mitgebrachten Goldvorrat.

»Das wäre abgemacht,« meinte er. »Nun soll zunächst ein jeder den ihm gehörigen Anteil erhalten!«

Da trat Hammerdull hervor.

»Ob wir ihn erhalten oder nicht, das bleibt sich gleich, Colonel; aber was soll ich mit den alten Papieren tun? Ich brauche sie nicht, Ihr aber habt sie jetzt nötig. Pitt Holbers, altes Coon, was meinst du dazu?«

»Wenn du denkst, Dick, daß wir dem Colonel die Wische lassen, so habe ich nichts dagegen; ich mag sie nicht. Eine fette Bärentatze oder ein Stück saftige Büffellende ist mir lieber. Dir nicht auch, Ben Cunning?«

»Bin einverstanden,« nickte dieser. »Ich esse kein Papier und mein Pferd auch nicht, hihihihi. Der Colonel wird es uns schon wiedergeben, wenn er es nicht mehr braucht.«

»Ich danke euch für euer aufopferndes Vertrauen,« antwortete der Genannte; »doch weiß man ja nicht, wie sich die Verhältnisse gestalten werden. Ich zahle euch aus, was ihr zu bekommen habt; mir bleibt mehr als genug übrig. Brauche ich dennoch mehr, so seid ihr ja immer noch da, wenngleich ich euch nicht zumuten will, mir auf die See zu folgen.«

»Ob Ihr es uns zumutet oder nicht, das bleibt sich gleich, Colonel; ich gehe mit!«

»Ich auch!« fiel Holbers ein.

»Und ich!« rief der kleine Ben.

»Das wird sich später entscheiden,« drängte Deadly-gun die treuen Leute zurück. »Jetzt laßt uns zunächst teilen!«

Gleich im Geschäft erhielt ein jeder das ihm Gehörige; dann verließen sie das Haus, stiegen wieder auf und ritten dem Hafen zu.

Außer den hier vor Anker liegenden Segelschiffen waren nur einige schwerfällige Schlepp- oder Güterdampfer zu sehen. Alle leichter gebauten Steamer hatten den Hafen verlassen, um die von den anwesenden Kriegsfahrzeugen auf die ›l'Horrible‹ unternommene Jagd ein Stück weit zu verfolgen. Von den letzteren war nur das Panzerschiff zurückgeblieben, dessen Befehlshaber sich noch immer betäubt am Lande befand.

Es war der rührigen Polizei bereits gelungen, einiges Licht in das Dunkel des nächtlichen Ereignisses zu bringen. Ein Bewohner des Erdgeschosses jenes Hauses, dessen ersten Stock Frau de Voulettre inne hatte, war zufälligerweise im Garten gewesen, als diesen drei Männer mit einem Koffer durchschritten hatten. Auch der Kutscher war ermittelt worden, von dem die drei bis vor die Stadt gefahren worden waren. Der Besitzer der am weitesten abgelegenen Schifferhütte hatte sich freiwillig gemeldet, um auszusagen, daß in voriger Nacht mehrere Kähne in seiner Nähe gehalten hätten. Er hatte sie heimlich beobachtet und gegen vierzig Männer einsteigen sehen, deren Anführer, von noch zweien begleitet, mit einem Koffer eingetroffen war und auf den Zuruf der ausgestellten Wache mit ›der Kapitän Kaiman‹ geantwortet hatte.

Diese Aussagen, verbunden mit der allgemeinen Sage, daß der Segelmeister des Kapitäns Kaiman ein Frauenzimmer gewesen sei, und endlich verschiedene in der Wohnung der Frau de Voulettre vorgefundene Papiere und sonstige Anzeichen gestatteten einen beinahe sichern Einblick in den Zusammenhang des erst so undurchsichtigen Ereignisses. Dies alles erfuhren die Jäger von der am Kai auf und ab wogenden Menschenmenge, die sich über die Nachricht, daß der einst so furchtbare Seeräuber mitten aus einem sichern und außerordentlich belebten Hafen ein wohlbesetztes Kriegsfahrzeug geraubt habe, in wilder Aufregung befand.

Der Steuermann musterte die anwesenden Schiffe.

»Nun?« fragte der Colonel ungeduldig.

»Keins, was für uns paßt; lauter Salztonnen und Heringsfässer, die in zehn Monaten kaum zwei Meilen zurücklegen. Und da draußen –«

Er hielt inne. Jedenfalls hatte er sagen wollen, daß weiter draußen auch kein geeignetes Fahrzeug zu bemerken sei, aber sein scharfes Auge mußte bei seiner Beobachtung auf etwas gefallen sein, was ihm die begonnene Rede abschnitt.

»Da draußen – – was ist da draußen?« fragte der Colonel.

»Hm, ich will nicht Peter Polter heißen, wenn ganz da hinten nicht ein kleiner, weiter Punkt zu sehen ist, der nichts andres als ein Segel sein kann.«

»Also hier im Hafen finden wir wirklich kein passendes Fahrzeug?«

»Keins. Diese Holztröge schleichen wie die Schnecken und sind selbst für Geld nicht zu haben. Seht Ihr nicht, daß sie ihre Ladung löschen?«

»Und das da draußen?«

»Müssen es ruhig abwarten. Vielleicht geht es vorüber, vielleicht kommt es herein. Macht Euch keine Hoffnung! Auf ein Kriegsschiff kommen dreißig Kauffahrer, und diese Dinger taugen den Teufel zur Verfolgung eines Kapers, selbst wenn der Patron bereit wäre, uns das Fahrzeug zu vermieten. Der Punkt, daß es in den Grund gebohrt werden kann, wiegt schwer, macht viele Umstände und kostet ungeheures Geld.«

»Und dennoch wird's versucht; es ist das einzige, was uns übrig bleibt. Wie viel Zeit kann vergehen, ehe das Schiff einläuft?«

»Eine Stunde, vielleicht auch zwei oder drei, je nachdem es gebaut ist und befehligt wird.«

»So haben wir Zeit. Finden wir ein Fahrzeug, so gehen wir in See; finden wir keins, so müssen wir allerdings das Ergebnis der Verfolgung ruhig abwarten, ehe wir uns darüber entschließen können, was ferner zu tun ist. Wären wir nur zehn Minuten eher eingetroffen, so hätten wir die Halunken festgehabt. Jetzt laßt uns vor allen Dingen unsre Pferde einstellen und ein Store aufsuchen, um unsre abgerissenen Fetzen mit etwas Besserem zu vertauschen!«

Sie begaben sich in ein Gasthaus, wo sie ihre Tiere versorgten und ihren eignen Durst und Hunger stillten? dann traten sie in ein Store, wo sie alles fanden, was ihnen notwendig war.

Darüber war einige Zeit vergangen, so daß sie nach dem Hafen zurückkehrten, um nach dem Segel auszuschauen, das vorhin zu sehen gewesen war.

Der Steuermann schritt voran. Als er an eine Stelle gelangte, die einen freien Blick auf den Hafen und die Reede bot, blieb er mit einem lauten Ausruf der Ueberraschung stehen.

» Behold, welch ein Segler! Da schießt er eben in den Hafen herein wie ein – mille tonnere, sacre bleu, heiliger Schiffsrumpf, ein Klipper mit Schonertakelage, es ist die ›Swallow‹, die ›Swallow‹, hurrrrrrjeh, juchheisassassassa!«

Er schlug vor Freude die sehnigen Hände zusammen, daß es wie ein Böllerschuß knallte, packte mit dem einen Arme Hammerdull, den Dicken, mit dem andern Pitt Holbers, den Dünnen, und tanzte mit ihnen im Kreise herum, daß die Menge aufmerksam wurde und die Gruppe der Jäger neugierig umringte.

»Ob juchheisassassassa oder nicht, das bleibt sich gleich,« brüllte der sich gegen den unfreiwilligen Tanz sträubende Hammerdull; »laß mich los, du wahnsinniges Seeungeheuer. Was haben wir mit deiner ›Swallow‹ zu schaffen!«

»Was ihr damit zu schaffen habt? Alles, alles, sage ich,« erklärte Peter Polter, die beiden Bedrängten frei gebend. »Die ›Swallow‹ ist ein Kriegsschiff und noch dazu das einzige, das im Segeln der ›l'Horrible‹ überlegen ist. Und wer ist sein Kommandant? Leutnant Walpole, den ich kenne. Ich sage euch, jetzt können uns die beiden Halunken nicht mehr entgehen; jetzt sind sie unser!«

Die Freude des Steuermanns teilte sich nun auch den andern mit. Es war ja gar kein Irrtum möglich, denn unter dem Spriet des nahenden schmucken Fahrzeugs breitete eine aus Holz geschnitzte blaue Schwalbe ihre spitzen, vergoldeten Flügel aus. Leutnant Walpole mußte ein kühner und gewandter Seemann sein und sich vollständig aus jeden einzelnen seiner gut geschulten Leute verlassen können, denn er hatte noch nicht ein einziges Reff geschlagen, obgleich er sich schon am Eingang des Hafens befand. Tief auf der Seite liegend, flog das scharf gebaute Fahrzeug unter der schweren Last seiner Segel, wie vom Dampf getrieben, herbei. Ein leichter Rauch stieg an seinem Vorderkastell empor; die üblichen Salutschüsse ertönten; vom Hafen aus wurde die Antwort. Dann hörte man die laute, klangvolle Stimme des Befehlshabers:

»Mann am Steuer, nach Back fall ab!«

Das Schiff beschrieb einen kurzen, anmutigen Bogen.

»Die Reffs, Jungens. Laßt los!«

Die Leinwand ließ den Wind fahren und fiel laut schwappend an die Masten. Das Schiff stieg vorn, dann hinten in die Höhe, legte sich tief auf die andre Seite, stand wieder auf und lag dann ruhig auf den breiten Ringen, die von der hereingebrochenen Flut gegen die mächtigen Quader des Kais gespült wurden.

»Hurra, die ›Swallow‹, Hurra!« klang es aus tausend Kehlen. Man kannte das prächtige Schiff, oder hatte wenigstens von ihm gehört und wußte, daß es die Jagd aufnehmen werde, auf die sich die Aufmerksamkeit von ganz San Francisco richtete.

Zwei Männer in Seemannsuniform drängten sich durch die Menge. Sie sahen erregt und angegriffen aus. Der eine trug die Kleidung eines Marineleutnants, der andre die Steuermannsabzeichen.

Ohne erst zu fragen, sprangen sie in ein leeres Boot, lösten es von der Kette, legten die Ruder ein und schössen auf die ›Swallow‹ zu. Deren Befehlshaber stand am Reling und blickte den Nahenden entgegen.

»Ahoi, Leutnant Jenner, seid Ihr es? Wo habt Ihr die ›l'Horrible‹?« rief er herab.

»Schnell ein Tau oder das Fallreep, Sir,« antwortete dieser; »ich muß zu Euch an Bord!«

Die Treppe fiel nieder; die beiden Männer legten an und stiegen empor.

»Perkins, mein Maate,« stellte Jenner seinen Begleiter vor. »Herr, Ihr müßt mir augenblicklich Euer Schiff geben!« setzte er atemlos und in höchster Aufregung hinzu.

»Mein Schiff geben? Wieso – warum?«

»Ich muß der ›l'Horrible‹ nach.«

»Ihr müßt – – ich verstehe Euch nicht.«

»Sie ist mir gestohlen, geraubt, entführt worden.«

Walpole blickte ihm in das Gesicht, wie man einen Wahnsinnigen beobachtet.

»Ihr treibt sonderbaren Scherz, Leutnant!«

»Scherz? Der Teufel hole Euern Scherz! Mir ist es nicht wie Spaß. Vergiftet, vom Arzt gequält, von der Polizei gemartert und von der Hafenbehörde gepeinigt, ist es einem nicht wie Fastnacht spielen.«

»Ihr sprecht in Rätseln.«

»Laßt Euch erzählen!«

Mit fürchterlicher Wut, die ihm die Glieder erbeben machte, trug er das Geschehene vor; er schloß mit der Wiederholung:

»Wie gesagt, Ihr müßt mir Euer Schiff geben!«

»Das ist nicht möglich, Sir.«

»Was, nicht möglich,« rief Jenner mit funkelnden Augen. »Warum?«

»Die ›Swallow‹ ist mir, dem Leutnant Walpole, anvertraut; ich kann sie nur auf höhern Befehl einem andern überlassen.«

»Das ist schändlich, das ist feig, das ist –«

»Herr Leutnant – –!«

Jenner fuhr bei dem drohenden Klang dieser Stimme zurück. Er gab sich Mühe, seine Erregung zu bemeistern. Walpole fuhr in ruhigerem Ton fort:

»Ich will die Beleidigung als ungeschehen betrachten; der Zorn überlegt nicht, was er spricht. Ihr kennt die Gesetze und die Anweisung ebensogut wie ich und wißt genau, daß ich das Kommando meines Schiffes aus eigner Macht niemand anvertrauen darf. Doch will ich Euch beruhigen. Ich werde die Verfolgung der ›l'Horrible‹ schleunigst aufnehmen. Wollt Ihr mich begleiten?«

»Ob ich will? Ich muß ja mit, und wenn es durch tausend Höllen geht!«

»Gut! War die ›l'Horrible‹ wohl verproviantiert?«

»Auf höchstens noch eine Woche.«

»So ist ihr nichts andres übrig geblieben, als Acapulco anzulaufen; schon Guayaquil oder gar Lima kann sie unmöglich erreichen.«

»So werden wir sie bald haben. Ihr habt mir ja selbst den Beweis geliefert, daß die ›Swallow‹ der ›l'Horrible‹ überlegen ist. Zieht die Anker wieder auf, Sir; vorwärts, fort, fort!«

»Nicht so hastig, Kamerad! Allzuviel Eile ist oft schlimmer als allzu langsam sein. Zunächst habe ich hier einige Geschäfte zu erledigen.«

»Geschäfte? Mein Gott, wer kann in solcher Lage an Geschäfte denken? Wir müssen augenblicklich in See stechen.«

»Nein, ich muß erst an Land, um meine Anweisungen in Einklang mit unsrer Aufgabe zu bringen. Sodann habe ich nicht den nötigen Mundvorrat; auch Wasser und Munition fehlt; ein Dampfer muß besorgt werden, der mich gegen die Flut aus dem Hafen bugsiert und – – – wie viel Kanonen hat die ›l'Horrible‹?«

»Acht auf jeder Seite, zwei im Stern und eine Drehbasse vorn.«

»So ist sie mir im Gefecht überlegen. – Forster!«

»Ay, Sir!« antwortete, näher tretend, der Steuermann, dem von seinem bisherigen Platz aus kein Wort der Unterredung entgangen war.

»Ich gehe zur Meldung an Land und werde bis auf den Kai besorgen, was wir brauchen. Schickt einen Mann dort nach dem Schlepper; er scheint Zeit zu haben und soll sich in einer Stunde vor uns legen. Länger werde ich nicht abwesend sein.«

» Well, Sir!«

»Fällt Euch vielleicht etwas ein, was nötig wäre?«

»Wüßte nicht, Kapt'n. Weiß ganz genau, daß Ihr selbst an alles denkt!«

Walpole wollte sich jetzt wieder an Jenner wenden, als einer der Leute meldete:

»Ein Boot am Fallreep, Sir!«

»Was für eins?«

»Zivil, acht Personen, auch ein Indianer dabei, wie es scheint.«

Der Leutnant trat an die Reeling, blickte hinab und fragte:

»Was soll's, Leute?«

Treskow bat in aller Namen, an Bord kommen zu dürfen. Es wurde ihnen gewährt. Als sie sich an Deck befanden, erklärte Deadly-gun sein Anliegen. Obgleich Walpole eigentlich keine Zeit hatte, hörte er ihn ruhig an und gewährte ihm dann die Bitte, die Jagd mitmachen zu dürfen. Es waren acht Personen: der Colonel, sein Neffe, der Steuermann, Holbers, Hammerdull, Cunning, Winnetou und Treskow.

»Laßt euch vom Maate Plätze anweisen!« sagte Walpole. »Ich gehe zwar jetzt von Bord, aber in einer Stunde lichten wir die Anker.«

»Nehmt mich mit,« bat Leutnant Jenner. »Ich kann Euch bei Euren Besorgungen unterstützen und würde hier vor Ungeduld vergehen!«

»So kommt!«

Beide stiegen in das Boot, das Jenner zum Schiff gebracht hatte, und ruderten dem Land zu. Sie waren kaum von dem Fahrzeug abgestoßen, als sich auf diesem eine possierlich-rührende Szene abspielte.

Peter Polter war vor- und auf den Maate zugetreten.

»Forster, John Forster, alter Swalker, ich glaube gar, du bist Maate geworden!« rief er aus.

Der Angeredete sah dem schwarzgebrannten und jetzt vollbärtigen Mann verwundert in die Augen.

»John Forster –? Alter Swalker –? Der weiß meinen Namen, obgleich ich ihn nicht kenne. Wer bist du, he?«

» Heigh-day, kennt der Kerl seinen alten Steuermann nicht mehr, von dem er doch so manchen guten Hieb auf die Nase bekommen hat und – was der Teufel!«

Er trat auf Perkins zu, den er erst jetzt von Angesicht zu sehen bekam.

»Da ist ja auch Master Perkins, oder wie der Mann hieß, den ich damals in Hoboken auf der ›Swallow‹ herumgeführt habe, und der mich dann zum Lohn dafür bei Mutter Dodd fast unter den Tisch getrunken hat!«

Auch dieser sah ihn staunend an. Es war kein Wunder, daß sie ihn nicht erkannten. Die ganze Schiffsmannschaft stand um die Gruppe, und Peter fuhr voll Freude von einem zum andern.

»Da ist der Plowis, der Miller, der Oldstone, der krumme Baldings, der – – «

»Steuermann Polter!« rief da einer, der es endlich herausgebracht hatte, wer der riesenhafte Fremde sei.

»Polter – Polter, – Hurra, Peter Polter – juch, in die Höhe mit dem alten Kerl, hoch, hoch, hurra!«

So rief, schrie und brüllte es durcheinander; sechzig Arme streckten sich aus; er wurde gefaßt und emporgehoben.

»Hol–la, hol–la, hol–la,« begann einer mit kräftiger Baßstimme; »hol–la, hol–la,« fielen die andern im Marschtakt ein; der Zug setzte sich in Bewegung und »hol–la, hol–la« wurde der beliebte Mann mehrere Male rund um das Deck getragen.

Er fluchte, wetterte und schimpfte; er bat, ihn doch herabzulassen; es half nichts, bis endlich der Maate sich unter herzlichem Lachen in das Mittel legte und ihm zum freien Gebrauch seiner Arme und Beine verhalf.

»Steig herab vom Thron, Peter Polter, und komm vor nach dem Kastell! Du mußt erzählen, wo du herumgesegelt bist, du alter Haifisch!«

»Ja, ja, ich will, ich will ja erzählen; so gebt mich doch nur endlich frei, ihr verteufelten Jungens!« rief er und schlug mit den gewaltigen Armen um sich, daß die Leute wie schwache Kinder zur Seite flogen.

Unter lautem Lachen und Jubeln ward er von der lustigen Rotte Korah, Dathan und Abiram nach dem Vorderdeck gestoßen, geschoben und gezogen und mußte dort wohl oder übel wenigstens in kurzen Umrissen seine Erlebnisse zum besten geben.

Dabei wurde aber der Dienst nicht im geringsten versäumt. Der Maate erfüllte den ihm gewordenen Auftrag, und die für die laufenden Arbeiten nötigen Männer sonderten sich von der fröhlichen Gruppe ab, obgleich sie gern bei dem »Tau« gewesen wären, das Polter abzuwickeln hatte.

Die Jäger waren stille Zeugen dieses Auftritts gewesen. Sie gönnten dem braven Seemann, den alle liebgewonnen hatten, den Triumph und machten es sich auf dem Deck so bequem, wie es die ihnen ungewohnten Verhältnisse gestatteten.

Der Indianer war noch nie auf einem Schiff gewesen. Er hatte sich auf die Büchse gestützt und ließ sein Auge langsam und gleichgültig über die ihm fremde Umgebung gleiten. Aber wer ihn kannte, der wußte, daß diese Gleichgültigkeit eine tiefe Anteilnahme verbergen sollte, der selbst der kleinste Gegenstand nicht entgehen konnte.

Es war noch nicht die Hälfte der anberaumten Stunde vergangen, so wurden drüben am Kai die Proviant- und Munitionsvorräte aufgestapelt, die der Leutnant bestellt hatte. Sie wurden in Booten abgeholt und an Bord gewunden. Als Walpole zurückkehrte, war man mit dieser Arbeit fertig und der Dampfer rauschte bereits heran, um die ›Swallow‹ in Schlepptau zu nehmen.

Jetzt waren Kapitän und Mannschaft vollständig in Anspruch genommen, doch als die hohe See erreicht war, der Dampfer sich verabschiedet hatte und die Segel gehißt und gestellt worden waren, konnte man sich einer ungestörteren Unterhaltung hingeben.

Was die beiden Leutnants miteinander zu besprechen hatten, war schon während ihrer Abwesenheit vom Schiff erledigt worden. Jetzt trat Walpole zum Steuer, an dem Peter Polter neben Forster stand.

»Ihr seid Peter Polter?« fragte er ihn.

»Peter Polter aus Langendorf, Kapt'n,« erwiderte der Gefragte in strammer, dienstlicher Haltung, »Hochbootsmannsmaat auf Ihrer englischen Majestät Kriegsschiff Nelson, dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten Klipper ›Swallow‹ –«

»Und jetzt Steuermann par honneur auf demselben Schiffe,« fügte der Leutnant hinzu.

»Capt'n!« rief Polter erfreut und schickte sich an, eine Dankesrede zu halten, der Kommandant aber winkte ihm abwehrend zu.

»Schon gut, Steuermann! Was meint Ihr zu dem Kurs, den die ›l'Horrible‹ eingeschlagen haben wird?«

Peter Polter merkte recht gut, daß der Leutnant diese Frage nur aussprach, um seine seemännische Umsicht einer kleinen Prüfung zu unterwerfen. Er fühlte sich vollständig in seinem Element und antwortete daher kurz, wie es sich einem Offizier gegenüber schickt:

»Wegen Mangel an Mundvorrat nach Acapulco.«

»Werden wir sie bis dahin erreichen?«

»Ja, der Wind ist günstig und wir segeln mehr Meilen als sie.«

»Wollt Ihr Euch mit Forster in das Steuer teilen?«

»Gern.«

»So seht gut nach Kompaß und Karte, damit wir genaue Richtung haben!«

Er wollte sich abwenden, wurde aber durch eine ganz unerwartete Frage Peter Polters davon abgehalten:

»Nach Acapulco oder Guayaquil, Sir?«

»Warum Guayaquil?«

»Um sie zu überholen und von vorn zu nehmen. Sie ist uns dann sicherer, weil sie die Verfolger nur hinter sich vermuten kann.«

Walpoles Augen blitzten auf.

»Steuermann, Ihr seid kein übler Maate. Ihr habt recht, und ich werde Euch ohne Zögern folgen, obgleich die ›l'Horrible‹ auf den Gedanken kommen kann, von Acapulco aus uns auf der Sandwich-Strecke zu entgehen.«

»So müssen wir zwischen dem Süd- und Westkurs kreuzen, bis wir sie haben.«

»Richtig! Legt zwei Strich nach West hinüber, Forster. Ich werde alle Tücher hissen. Meine Anweisung lautet ungesäumt nach New York zurück; der Handel mit der ›l'Horrible‹ kann nur als kurzes Zwischenspiel gelten.«

Er sprach das so gelassen, als sei der Weg um Kap Horn bis New York und die Wegnahme eines Piraten eine ganz alltägliche Kleinigkeit. Dann trat er zu der Gruppe der Jäger, denen er sein Willkommen aussprach und dann ihre Plätze anweisen ließ. Der Indianer schien ihn sehr anzuziehen.

»Hat Winnetou nicht Sehnsucht nach der Heimat der Apatschen?« fragte er ihn.

»Die Heimat des Apatschen ist der Kampf,« lautete die stolze Antwort.

»Der Kampf zur See ist schlimmer, als der Streit zu Lande.«

»Der Häuptling des großen Kanoe wird Winnetou nicht zittern sehen!«

Walpole nickte; er wußte, der Indianer hatte die Wahrheit gesprochen.

Die Aufregung, die der Tag mit sich gebracht hatte, legte sich allmählich, und das Leben an Bord kam gar bald wieder in das gewöhnliche, ruhige Gleis. Tag um Tag verging; einer glich so vollständig dem andern, daß die an die unbeschränkte Freiheit der Prärie gewöhnten Jäger nach und nach Langeweile fühlten.

Die Breite von Acapulco lag schon seit gestern hinter ihnen und Walpole befahl, herumzulegen, um beide Kurse, nach Guayaquil und den Sandwich-Inseln, im Auge behalten zu können.

Eine sehr stramme Brise hatte sich erhoben und die Sonne sank zwischen kleinen, aber dunklen Wölkchen im Westen.

»Werden morgen eine ganze Handvoll Wind haben, Kapt'n,« meinte Peter Polter zu Walpole, als dieser auf einem Spaziergang über das Deck am Steuer vorbeikam.

»Wäre gut für uns, wenn uns dabei der Kaper in die Hände liefe. Er vermag im Sturm nicht zu manövrieren wie wir.«

»Segel in Sicht!« ertönte es da vom Mast herab, wo einer auf dem Ausguck saß.

»Wo?«

»Nordost bei Nord.«

Im Nu war der Leutnant oben und nahm dem Mann das Glas aus der Hand, um das gemeldete Schiff zu beobachten. Dann kletterte er in sichtbarer Hast herab und trat auf das Quarterdeck, wo Jenner ihn erwartete.

»Hand an die Brassen!« ertönte sein Befehl.

»Was ist's?« fragte Jenner.

»Ist noch nicht genau zu sehen, jedenfalls aber ein Dreimastenschiff wie die ›l'Horrible‹. Wir sind kleiner und unter dem Blendstrahl der Sonne; sie hat uns also noch nicht gesehen. Ich werde die Segel tauschen.«

»Wie?«

Walpole lächelte.

»Eine kleine Einrichtung, die geeignet ist, einen auf größere Entfernung hin unsichtbar zu machen. Hinauf zu den Raaen!«

Wie die Katzen waren die wohlgeschulten Matrosen sofort oben.

»Weg mit Klüver-, Stangen- und Vorstangensegel. Refft und beschlagt!«

Im Nu wurde das Kommando ausgeführt. Das Schiff lief nun mit halber Geschwindigkeit.

»Das schwarze Tuch. Gebt acht!«

Einige dunkle Segel wurden auf dem Deck parat gehalten.

»Tauscht um das Haupt-, Fock- und Bugsegel!«

In wenigen Minuten befand sich dunkle Leinwand an Stelle der lichten. Die ›Swallow‹ war jetzt für das nahende Schiff unsichtbar.

»Maate, leg um nach Südwest bei Süd!«

Die ›Swallow‹ ging langsam vor dem andern Fahrzeug her. Ihre Besatzung hatte sich auf dem Deck versammelt. Walpole aber stieg wieder empor, um zu beobachten. Es war über eine halbe Stunde vergangen und die Dunkelheit brach herein, als er wieder herabkam. Sein Gesicht drückte vollkommene Befriedigung aus.

»Alle Mann an Deck!«

Dieses Kommando war eigentlich gar nicht nötig; die Leute standen schon alle um ihn herum.

»Jungens, es ist die ›l'Horrible‹. Paßt auf, was ich euch sage!«

Mit gespannter Erwartung drängten sie sich näher.

»Ich will den Kampf Bord gegen Bord vermeiden. Ich weiß, daß keiner von euch sich fürchtet, aber ich muß sie unbeschädigt haben. Kapitän Kaiman hat sich außer Völkerrecht gestellt und soll als Räuber behandelt werden. Wir werden die ›l'Horrible‹ mit List nehmen.«

»Ay, ay, Kapt'n, so ist's recht!«

»Wir haben Neumond und die See ist schwarz. Wir treiben bloß mit dem Hauptsegel vor ihr her; sie muß uns für notleidend halten, wird beidrehen und uns als gute Prise betrachten.«

»So ist's!« klang es zustimmend.

»Ehe sie uns ansegelt, setzen wir die Boote aus. Der Maate behält die ›Swallow‹ mit nur sechs Mann. Wir andern gehen fertig zum Entern in die Boote, und während sie vom Back sich mit dem Schiff beschäftigt, steigen wir vom Steuer auf sein Deck. Jetzt macht euch fertig!«

Während die ›Swallow‹ in langsamer Fahrt durch die Wogen strich, schoß die ›l'Horrible‹ mit ihrer gewöhnlichen Geschwindigkeit vorwärts. Es war Nacht geworden, kein Segel zu erblicken gewesen und die Besatzung fühlte sich vollständig sicher. Der Piratenkapitän hatte soeben eine Unterredung mit seiner Gefangenen gehabt, ergebnislos wie immer, und schickte sich nun an, die Ruhe zu suchen, als plötzlich aus ziemlicher Entfernung ein matter Schuß ertönte.

Schnell war er an Deck. Ein zweiter Schuß ließ sich hören; ein dritter folgte.

»Notschüsse, Kapt'n,« meinte der lange Tom, der in seiner Nähe stand.

»Wäre es hinter uns, so könnte es eine Kriegslist sein, vor uns aber ist das ganz unmöglich. Jedenfalls ist es ein verunglücktes Fahrzeug ohne Masten, sonst hätten wir vor Abend seine Segel sehen müssen. Geschützmeister, eine Rakete und drei Schüsse!«

Die Rakete stieg empor und die Schüsse krachten. Die Notzeichen des andern Fahrzeugs wiederholten sich.

»Wir kommen näher, Tom; es wird eine Prise, nichts weiter.« Er zog das Nachtrohr an das Auge. »Schau, dort liegt es; es trägt nur ein altes Hauptsegel. Die Luft ist etwas steif, aber ich werde beidrehen, um mit ihm zu sprechen!«

Er gab die nötigen Befehle; die Segel fielen; das Schiff drehte sich herum und trieb dann in geringer Entfernung neben der ›Swallow‹ her.

»Ahoi, welch ein Schiff?« tönte es herüber.

Fast die ganze Besatzung der ›l'Horrible‹ hatte sich nach Backbord gedrängt.

»Vereinigte-Staaten-Kreuzer. Was drüben für eins?«

»Vereinigte-Staaten-Klipper ›Swallow‹, Leutnant Walpole,« ertönte es statt von drüben an der Steuerbordseite der ›l'Horrible‹.

Eine wohlgezielte Salve krachte mitten unter die Seeräuber hinein, und dann stürzte sich eine Schar dunkler Gestalten auf sie, die einen Ueberfall für unmöglich gehalten hatten und nicht einmal notdürftig bewaffnet waren. Walpole hatte seinen Plan ausgeführt.

Nur eine einzige Person hatte das Nahen der Kähne bemerkt – die Miß Admiral. Kaum hatte der Kapitän die Tür hinter ihr verschlossen, so richtete sie sich trotz ihrer Fesseln unter unsäglicher Mühe empor und trat an die Wand der Koje, in der sie einen langen, scharfkantigen Nagel entdeckt hatte. Seit mehreren Nächten lang hatte sie gearbeitet, um daran ihre Banden zu durchreiben, und heut, so weit war ihr Plan bereits gediehen, mußte sie frei von ihnen sein. Schon befand sie sich in voller Tätigkeit, als die drei Schüsse ertönten; dann vernahm sie das Rauschen nahender Ruderschläge.

Was gab es? Einen Ueberfall? Einen Kampf? Die Rettung Notleidender? Jeder dieser Fälle war geeignet, ihr Vorhaben zu unterstützen. Fünf Minuten fürchterlicher Anstrengung machten ihr die Hände frei und schon fielen die Bande auch von ihren Füßen, als droben aus dem Verdeck Revolverschüsse krachten und sich das Getrampel eines Nahkampfes erhob. Sie fragte sich nicht nach dessen Ursache; sie wußte, daß Kapitän Kaiman noch oben sei. Mit einem kräftigen Tritt sprengte sie die Tür zur Kajüte auf und riß von den an der Wand hängenden Waffen so viele herunter, als sie brauchte, um für alle Fälle gerüstet zu sein. Dann warf sie einen forschenden Blick durch die Steuerbordluke hinaus auf das Wasser. Drei Boote hingen an einem Tau, das man unvorsichtigerweise bei Einbruch der Nacht nicht eingezogen hatte.

»Ueberfallen,« murmelte sie. »Von wem? Ha, das ist die Strafe! Die ›l'Horrible‹ ist wieder verloren, und ich werde den Kapitän selbst an das Messer liefern. Noch sind die Gefangenen nicht übergetreten! Ich werde sie befreien und dann fliehen. Wir befinden uns unter der Breite von Acapulco. Komme ich unbemerkt in ein Boot, so bin ich in zwei Tagen am Land!«

In einer Ecke der Kajüte stand ein kleiner Handkoffer. Sie nahm einen Teller voll Biskuits und zwei Flaschen Limonade auf, die auf dem Tisch standen; dann öffnete sie das geheime Fach und entnahm ihm seinen Schatz, den sie im Koffer verbarg. Nun schlich sie sich nach oben bis zur Luke, um zu erkunden, wie es stand. Die Räuber waren überfallen und auf das Hinterdeck gedrängt; sie mußten unterliegen.

Rasch tauchte sie wieder unter das Deck, begab sich nach dem Kielraum und riß den Riegel von der Luke, die ihn verschloß.

»Seid ihr wach?« fragte sie die gefangene vorige Bemannung der ›l'Horrible‹.

»Ja, ja. Was ist oben los?«

»Die Piraten sind überfallen. Seid ihr gefesselt?«

»Nein.«

»So eilt nach oben, und tut eure Schuldigkeit! Doch, halt, wenn der Kapitän Kaiman diesen Abend überlebt, so sagt ihm, die Miß Admiral läßt ihn grüßen!«

Sie sprang voraus, eilte in die Kajüte zurück, ergriff den Koffer und stieg an Deck. Unbemerkt erreichte sie die Reeling. Die eine Hand zwischen die Griffe des Koffers steckend, wollte sie sich an dem Tau zu den Booten hinabturnen; da wurde sie gefaßt. Peter Polter hatte sie gesehen, sprang herbei und packte sie von hinten.

»Halt, Bursche!« rief er. »Wohin willst du mit diesem Koffer segeln? Bleib noch ein wenig da!«

Sie antwortete nicht, gab sich aber alle Mühe, sich ihm zu entreißen, jedoch vergeblich. Gegen seine Riesenkraft konnte sie nicht aufkommen. Er hielt sie so fest, daß sie sich nicht rühren konnte, und rief einige Kameraden herbei, von denen sie gebunden wurde.

Der Piratenkapitän war durch den Ueberfall überrascht worden, hatte sich jedoch rasch gesammelt.

»Herbei zu mir!« schrie er, zum Hauptmast springend, um für sich und die Seinen eine feste Stellung zu gewinnen.

Die Untergebenen folgten seinem Ruf.

»Wer Waffen trägt, hält stand; die andern durch die Hinterluke nach den Enterbeilen!«

Es war der einzige Rettungsweg, den diese Worte vorschrieben. Während die wenigen, die zufälligerweise mit Waffen versehen waren, sich dem andringenden Feind entgegenwarfen, eilten die übrigen nach unten und kehrten im Handumdrehen zurück, mit Dolch und Enterbeil bewaffnet.

Obgleich der erste Angriff seine Opfer gefordert hatte, waren die Räuber der Besatzung der ›Swallow‹ an Zahl noch weit überlegen, und es entspann sich ein Kampf, der um so fürchterlicher war, als seine Einzelheiten und der Schauplatz nicht zu überblicken waren.

»Fackeln herbei!« brüllte Camain.

Auch dieser Befehl wurde ausgeführt. Kaum aber verbreitete sich der Schein des Lichts über die blutige Szene, so fuhr der Kapitän zurück, als habe er ein Gespenst erblickt. War's möglich? Grad vor ihm, den Tomahawk in der Rechten, das Skalpmesser in der Linken, stand Winnetou, der Apatsche, und an seiner Seite wehte das mähnenartige Haar von Deadly-gun.

»Die Weiße Schlange wird ihr Gift hergeben!« rief der erstere, warf die im Weg Stehenden auf die Seite und faßte den Seeräuber an der Kehle. Dieser wollte den Feind abschütteln; es gelang ihm nicht; auch der Colonel hatte ihn ergriffen und im Nu schlangen sich starke Fesseln um seine Arme.

Die Ueberrumpelung war über die Piraten gekommen wie ein wirrer, angstvoller Traum; die Ueberraschung hielt ihre Kräfte gefangen, und der Fall ihres Anführers raubte ihnen den Zusammenhalt und den letzten Rest von Mut.

In diesem Augenblick öffnete sich die Luke und spie die gefangene Mannschaft der ›l'Horrible‹ aus. Der erste, den der vorderste von diesen Leuten erblickte, war Leutnant Jenner.

»Hurra, Leutnant Jenner, Hurra, drauf auf die Halunken!« schrie er.

Ein jeder raffte von den umherliegenden Waffen auf, was ihm in die Hand kam; die Räuber gerieten zwischen zwei Treffen; sie waren verloren.

Zwei standen, Rücken an Rücken, mitten unter ihnen; wer ihnen zu nahe kam, büßte es mit dem Tod. Es waren die ›verkehrten Toasts‹, Hammerdull und Holbers. Da drehte letzterer den Kopf zur Seite, damit er von dem Gefährten verstanden werde.

»Dick, wenn du denkst, daß dort der Schuft, der Peter Wolf steht, so habe ich nichts dagegen.«

»Der Peter – verdammter Name, ich bringe ihn niemals fertig. Wo denn?«

»Dort an dem Hickorybaum, den diese wunderlichen Leute Mast nennen.«

»Ob Mast oder nicht, das bleibt sich gleich. Komm, altes Coon, wir fangen ihn lebendig!«

Noch ein andrer hatte Letrier bemerkt, nämlich Peter Polter, der Steuermann. Dieser hatte Messer, Revolver und Enterbeil zur Seite getan und eine Handspeiche ergriffen, die ihm geläufiger war. Jeder Hieb damit streckte einen Mann nieder. So hatte er sich eine Strecke in den dicht zusammengedrängten Haufen der Räuber hineingekämpft, als er Letrier erblickte. Im nächsten Augenblick stand er vor ihm.

» Mille tonnerre, der Marc! Kennst du mich, Spitzbube?« rief er.

Der Gefragte ließ den erhobenen Arm sinken und wurde leichenblaß, er hatte einen Gegner erkannt, dem er nicht zur Hälfte gewachsen war.

»Komm her, mein Junge, ich will dir sagen, was die Glocke geschlagen hat!«

Er faßte ihn beim Schopf und bei den Hüften, riß ihn empor und schleuderte ihn mit solcher Macht an den Besanmast, um den das Handgemenge jetzt tobte, daß es laut krachte und er wie zerschmettert und zermalmt zur Erde stürzte. Die beiden Jäger kamen zu spät.

Nun endlich sahen die Piraten ein, daß nicht die leiseste Hoffnung mehr für sie vorhanden sei und streckten die Waffen, obgleich sie dadurch ein Anrecht auf Gnade nicht erlangen konnten.

Ein vielstimmiges Hurra scholl über das Deck; die ›Swallow‹ antwortete mit drei Kanonenschüssen; sie hatte ihren Ruf gerechtfertigt und ihren bisherigen Ehren eine neue, größere hinzugefügt.– – –


 << zurück weiter >>