Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6. Die Verschwörung

Es gibt Fieber, die ihre Entstehung nicht den in den ärztlichen Verzeichnissen enthaltenen Ansteckungsstoffen verdanken und doch so reißend und übertragbar sind, wie jene körperlichen Krankheitserscheinungen, die sich seuchenartig von Mensch zu Mensch verbreiten und imstande sind, ganze Ort- und Völkerschaften zu dezimieren; Fieber, die ihren Ursprung in außerhalb der menschlichen Leibesbeschaffenheit liegenden Verhältnissen, in politischen, religiösen und ähnlichen Umständen finden, sich der Phantasie der Nationen bemächtigen, die ruhigste Stimmung in hellauflodernde Leidenschaft verwandeln und einen weit um sich greifenden Wahnzustand erzeugen, der nur langsam geordneten und regelrechten Zuständen weicht.

Solche Fieber haben alle Zeiten und Zonen aufzuweisen; fast immer war es der Gedanke des Gewinns, der die Fasern des Einzelnen wie der Gesamtheit in hohe Erregung versetzte und die rohen Kräfte zur möglichsten Geltung und Anstrengung brachte. Man denke an Kalifornien! Die Zahl der eingewanderten Bewohner dieses Landes war nur gering. Da machte ein Glücklicher die Entdeckung, daß seine Schluchten und Täler einen nicht zu berechnenden Reichtum an Gold enthielten. Die Kunde davon machte mit blitzartiger Schnelligkeit die Runde um den Erdball, und in kurzer Zeit wimmelte die Gegend von Abenteurern aus aller Herren Länder, die herbeigeströmt kamen, um das Sesam zu erschließen, in dem die flimmernden Schätze seit Jahrmillionen ungeahnt geruht hatten. Zelt- und Barackenlager entstanden im Handumdrehen, zahlreiche Ortschaften wuchsen aus der Erde, und wo sich deren Lage als gut gewählt erwies, verwandelten sie sich in beinah beispielloser Kürze in Städte, deren Einwohnerzahl in die Hunderttausende ging.

Eine dieser Städte ist San Francisco, die Beherrscherin des Goldlandes und des stillen Weltmeeres.

Wer heutigentags am Hafenkai dieser Stadt steht und das Völkergewühl, das hier in fast unlösbarer Bewegung durcheinanderwirrt, beobachtet, wer die breiten, langgestreckten Straßen, die umfangreichen Plätze, die prächtigen Paläste und Bauten sieht, hinter deren Spiegelscheiben alles aufgestapelt ist, was vom Gold stammt, mit ihm in Beziehung steht und dafür zu haben und zu kaufen ist, der vermag nur schwer an die geringen, ja armseligen Anfänge zu denken, aus denen sich die Weltstadt des schimmernden Metalls entwickelt hat.

Und wie die Wogen da draußen im Hafen und auf der See steigen und fallen, wie die bunt zusammengewürfelte Menschheit in den Straßen, Plätzen und öffentlichen Gebäuden sich ohne Rast und Ruhe schiebt und stößt, drückt und drängt, so steigt und fällt auch das wankelmütige Glück, so schiebt auch das untreue Verhängnis den Spielball, Mensch genannt, zum scheinbar sichern Halt empor und stößt ihn im nächsten Augenblick wieder hinab auf den Grund, wo das ›Ungeziefer der Gesellschaft‹ wimmelt. Wer gestern noch als Millionenmann gepriesen und beneidet wurde, bricht vielleicht schon heut mit Hacke, Spaten und Büchse nach den Diggins auf, um den verlorenen Reichtum wieder zu gewinnen. Diese Menschen sind vorwiegend fraglichen Ursprungs, und manche glänzende Gesellschaftserscheinung entpuppt sich, wenn das Spiel zu Ende ist, als ein haltloses, abenteuerliches Dasein, dessen Bestehen nur von dem Fall des Würfels abhängig war. – – –

Auf dem Kurs von Acapulco nach San Francisco segelte ein Fahrzeug. Es war ein stramm gebautes, schneidiges Dreimasterschiff, das unter dem Spriete und hinten am Stern in goldenen Buchstaben den Namen ›l'Horrible‹ trug. Die Kleidung der Mannschaft bewies, daß das Schiff zur Kriegsflotte der Vereinigten Staaten gehöre, obgleich sich aus mancher Kleinigkeit im Bau und Takelung vermuten ließ, daß es nicht zu diesem Zweck gebaut sei.

Im gegenwärtigen Augenblick stand der Befehlshaber auf dem Quarterdeck und blickte hinauf nach den Wanten, wo einer der Männer hing und mit dem Rohr in der Hand scharfen Ausguck hielt.

»Nun, James, hast du ihn?« fragte er.

»Ay, ay, Capt'n; dort segelt er grad vor dem Glase!« antwortete der Gefragte, mit der Hand windwärts deutend. Er nannte den Befehlshaber Kapitän, obgleich dieser die Abzeichen des Marineleutnants trug. Ein Grad höher kann niemals schaden, zumal wenn der Betreffende den höhern Rang verdient.

»Welchen Lauf hält er?«

»Er sucht unser Kielwasser, Master. Ich glaube, er schlägt von Guayaquil oder Lima, vielleicht gar von Valparaiso herauf, weil er mehr aus dem Westen steuert als wir.«

»Was für ein Fahrzeug ist es, James?«

»Kann es noch nicht sagen, Sir; laßt ihn erst noch etwas näher kommen!«

»Wird er das?«

»Sicher, Capt'n!«

»Möchte es fast nicht glauben,« lautete die Antwort. »Wäre doch neugierig, das Schiff zu sehen, das die ›l'Horrible‹ übersegelt!«

»Hm,« machte der Mann, indem er aus den Wanten niederstieg und dem Leutnant das Rohr übergab; »kenne doch eins, dem es gelingen sollte!«

»Welches?«

»Die ›Swallow‹, Sir.«

»Ja, die; sonst aber weiter keins! Aber wie sollte die ›Swallow‹ in diese Gewässer kommen?«

»Weiß nicht, Capt'n; aber das Schiff da hinten ist keine Bostoner Heringstonne, sondern ein kleiner, rascher Klipper. Wäre er größer, so müßte man ihn auf die Entfernung hin deutlicher sehen. Und die ›Swallow‹ ist auch ein Klipper.«

» Well, wollen sehen!« entschied der Leutnant, den Mann verabschiedend und sich mit dem Rohr nach dem Steuer begebend.

»Ein Segel in Sicht?« fragte der Steuermann.

»Ja. Hinter uns.«

»Möchtet Ihr da nicht ein Reff in die Leinwand ziehen lassen?«

»Ist nicht nötig,« antwortete der Kommandant, jetzt selbst durch das Glas blickend. »Es ist ein ganz ausgezeichneter Segler; er wird uns auch ohne Reff einholen.«

»Pah, Sir; das möchte ich sehen!«

»Es ist so,« klang es mit einem leisen Anflug von verletztem seemännischen Stolz. »Er greift den Raum mit Macht. Seht, Maate, Steuermann. vor drei Minuten war er bloß vom Mars aus zu erkennen; jetzt stehe ich auf Deck und sehe ihn.«

»Soll ich ein weniges vom Wind abfallen?«

»Nein; ich will sehen, wie lange er braucht, um Seite an Seite mit uns zu segeln. Ist's ein Amerikaner, so soll mich's freuen; ist's aber ein andrer, so will ich ihm lieber den Teufel, als ein solches Fahrzeug gönnen.«

Es dauerte nicht lange, so waren die Mastenspitzen und dann auch der schlanke Rumpf des fremden Schiffes schon mit unbewaffnetem Auge zu erkennen.

»Es ist ein Klipper mit Schunertakelage,« meinte der Maate, »ein Dreimast-Marssegelschuner, grad wie unsere ›l'Horrible‹.«

» Yes. Ein prächtiges Fahrzeug, bei allen Teufeln! Seht, wie es schief vorm Wind mit vollem Segelwerk läuft. Der Mann, der es befehligt, scheint sich vor einer Hand voll Wind mehr als gewöhnlich nicht zu fürchten. Jetzt legt er sogar die Braamtücher bereit, so daß der Schuner das Steuer hebt und fast nur auf dem Bug tanzt!«

»Ein wackerer Bursche, Sir. Aber kommt ein entgegengesetzter Windstoß, so legt sich der Klipper in die See, so wahr ich Maate bin und Perkins heiße! Der Mann segelt doch ein wenig zu verwegen.«

»Nein. Seht Ihr nicht, daß die Reffleinen nicht angesorrt sind, sondern nur festgehalten werden? Bei einer Bö läßt man sie fahren, pah!«

»Jetzt zieht er die Flagge. Wahrhaftig, ein Amerikaner! Seht Ihr die Sterne und Streifen? Er frißt das Wasser förmlich, und in fünf Minuten ist er an unsrer Seite.«

»Er frißt das Wasser; ja, das ist der richtige Ausdruck für eine solche Fahrt. By god, der Kerl hat wahrhaftig sechs Kanonenluken auf jeder Seite, eine Drehbasse auf dem Vorderkastell und wohl auch so etwas Aehnliches kurz vor dem Steuer. Könnt Ihr das Bild bereits erkennen, Maate?«

»Noch nicht; aber wenn mich nicht alles trügt, so ist es die ›Swallow‹. Ich habe sie in Hoboken einmal bestiegen und mir jede Talje und Schote, jedes Stückchen Tau und Takelwerk genau angesehen.«

»Wer kommandierte damals auf ihr?«

»Hab' den Namen vergessen, Sir; war ein alter, halb wracker Seehund mit einer rotbraunen Nase, die ganz nach Gin und Brandy aussah. Aber den Maate habe ich gut gekannt; er hieß Peter Polter, stammte aus Germany da drüben und war ein wohlbefahrener Junge, auf den sich jeder wohl verlassen konnte. – Habt Ihr sie jetzt nahe genug am Rohr?«

»Ja. Es ist die ›Swallow‹. Haltet einen oder zwei Striche mehr nach Luv; es ist augenscheinlich, daß sie mit uns reden will!«

Er kehrte auf das Quarterdeck zurück und rief:

»Hallo, Jungens, an die Brassen!«

Die Männer sprangen zu den Leinen.

»Mann am Stock, zieh auf die Flagge!«

Das Stern- und Streifenbanner der Union flog in die Höhe.

»Greift an zum Beidrehen!«

Die Befehle wurden mit vollendeter Pünktlichkeit ausgeführt.

»Geschützmeister!«

Der Gerufene trat an sein Geschütz.

»Laßt fallen. Feuer!«

Die Segel fielen und zugleich krachte der Schuß über die See.

»Achtung, Maate; leg bloß den Wind!«

Augenblicklich gehorchte das Steuer dem Ruf, und mit möglichst wenig Leinwand an den Raaen legte sich die ›l'Horrible‹ herum, um auf die ›Swallow‹ zu warten.

Auch von ihrem Bord krachte ein Schuß. Mit beinahe fabelhafter Geschwindigkeit kam sie herbeigeflogen. Unter ihrem Spriet breitete eine aus Holz gehauene blaue Schwalbe ihre vergoldeten, spitzen Flügel aus. Die Namensinschrift am Stern war jetzt nicht zu bemerken. Die flotte Brise lag voll in ihrem schweren Segelwerk. Zur Seite geneigt, so daß die Spitzen ihrer Nocken fast das Wasser berührten, schoß sie mit einer Sicherheit und Zierlichkeit heran, die ihrem Namen alle Ehre machte. Jetzt war ihr Klüversegel fast in gleicher Breite mit dem Sternwimpel der ›l'Horrible‹, da erscholl die Stimme ihres Befehlshabers, der vorn auf dem Deck seines Schuners stand:

»Hallo, die Reffs!«

Im Nu schlappten die Segel hernieder, das Fahrzeug stieg vorn in die Höhe, erhob sich aus seiner geneigten Lage, schwankte einmal kurz auf die andre Seite und richtete sich dann stolz und kräftig über die gebändigten Wogen.

»Ahoi, was für ein Schiff?« fragte, mit der Hand vor dem Munde, der Befehlshaber der ›l'Horrible‹; er wußte gar wohl, was für ein Fahrzeug er vor sich hatte, mußte aber der gebräuchlichen Form genügen.

»Die ›Swallow‹, Leutnant Walpole, von New York, geradewegs von New Orleans um Kap Horn herum. Und Ihr?«

»Die ›l'Horrible‹, Leutnant Jenner aus Boston, zum Kreuzen in diesen Gewässern, Sir!«

»Ist mir lieb, Sir! Habe Euch etwas zu übergeben. Soll ich mit der Schaluppe hinüberkommen, oder darf ich mich Dahlbord an Dahlbord an Eure Langseite legen?«

»Versucht's, wenn Ihr's zuweg bringt, Leutnant!«

»Pah, die ›Swallow‹ bringt noch Schwereres fertig!«

Er trat zurück und gab den Seinen einen Wink. Die ›Swallow‹ warf sich leicht herum, beschrieb einen kurzen Bogen und legte sich so nahe an das andre Fahrzeug, daß ihre Mannschaft dessen Wanten zu erfassen vermochte, ein Manöver, das bei solchem Wind und mit dieser Sicherheit nur ein kühner und dabei sehr tüchtiger Mann auszuführen den Mut hat.

Während die beiden Schiffe sich auf einem nachbarlichen Wellenpaar wiegten, stand Max Walpole mit einem gewandten Sprung neben dem Leutnant Jenner.

»Habe den Auftrag, Euch diese versiegelte Depesche zu überreichen, Sir!« meinte er, indem sie sich freundschaftlich die Hände schüttelten.

»Ah! Wollt Ihr mit hinab in die Kajüte? Müßt doch einen Trunk am Bord der ›l'Horrible‹ nehmen!«

»Hab' nicht gut Zeit, Leutnant. Laßt einen Schluck heraufbringen!«

Jenner gab den nötigen Befehl und öffnete dann den Briefumschlag.

»Wißt Ihr, was die Depesche enthält?« fragte er.

»Nein; kann mir's aber denken.«

»Ich muß sofort nach San Francisco, wohin ich übrigens schon den Kurs genommen hatte. Ich soll Euch dieses mitteilen.«

» Well, so habe ich Euch diese Depeschen an die dort stationierten Unionskapitäne zu überreichen. Ihr wißt wohl, daß der Süden verspielt hat?«

»Habe davon gehört, obgleich ich erst kurze Zeit in dieser Breite kreuze. Wird aber trotzdem noch schwere Arbeit geben, was?«

»Meine es auch; doch ist der Süden noch immer stark und im Besitz fester Häfen und großer Hilfsquellen. Kampf wird es geben, schweren, harten Kampf, und ungewöhnlicher Anstrengung wird es bedürfen, um ihn niederzuringen. Ich wünsche, daß wir uns wiedersehen, Sir, Seite an Seite, dem Feinde gegenüber!«

»Sollte mich freuen, Master, herzlich freuen, mit einem Schiffe, wie Eure ›Swallow‹ ist, den Gegner packen zu können! Wohin seid Ihr jetzt bestimmt?«

»Auch nach San Francisco, wo ich neue Befehle empfange. Vorher jedoch muß ich ein wenig auf der japanischen Strecke streifen. Farewell, l'Horrible!«

» Farewell, Swallow!«

Die beiden Männer leerten ihre Gläser, dann sprang Walpole auf das Deck seines Fahrzeuges zurück. Die ›Swallow‹ stieß von der ›l'Horrible‹ ab, warf ihre Segel wieder an die Raaen, nahm den Wind voll in die Leinwand und schoß unter einem lauten Abschieds-Hallo der beiderseitigen Mannschaften davon. So schnell wie sie vom südwestlichen Gesichtskreis her erschienen war, so schnell verschwand sie wieder an dem in Glut getauchten westlichen Horizont.

Es war, als sei eine anmutige Fee aus den Fluten aufgetaucht, um den einsamen Schiffer zu begrüßen und dann wieder in ihr nasses, geheimnisvolles Reich zurückzukehren.

Auch die ›l'Horrible‹ setzte jetzt alle Segel bei, um die unterbrochene Fahrt mit vergrößerter Geschwindigkeit wieder aufzunehmen. Zwar währte die Fahrt noch ewige Tage, dann aber mehrte sich die Zahl der ihr begegnenden oder zu gleichem Ziel mit ihr zusammentreffenden Fahrzeuge, und endlich ging sie auf der Reede der ›Goldkönigin‹ vor Anker.

Hier überließ Jenner das Ordnen der polizeilichen und hafenbehördlichen Angelegenheiten seinem Steuermann und begab sich sofort an Bord eines neben ihm liegenden Panzerschiffs, an dessen Kapitän eine der ihm anvertrauten Depeschen gerichtet war. Die andern der ihm bezeichneten Fahrzeuge mußten erst noch aufgesucht werden oder befanden sich auf kurzem Ausflug in See.

Der Kapitän nahm die Depesche in Empfang und führte ihn in die Kajüte hinab, wo sich ein kameradschaftliches Gespräch entwickelte.

»Ihr werdet einige Zeit hier zu verweilen haben,« meinte zum Schluß der Kommandant des Panzerungeheuers. »Habt Ihr Bekanntschaften in der Stadt?«

»Leider nicht. Ich werde in gesellschaftlicher Beziehung nur auf die Wirtschaften und Gasthäuser angewiesen sein.«

»Dann erlaubt mir, Euch meine Verbindungen zur Verfügung zu stellen.«

»Wird mit Dank und Vergnügen angenommen.«

»Ich kenne da zum Beispiel eine vornehme Dame, die sich das ganze Stockwerk eines der feinsten Häuser gemietet hat. Sie ist eine Pflanzerswitwe aus Martinique, nennt sich de Voulettre und gehört zu den Frauen, die ewig jugendlich bleiben und deren Alter nie bestimmt werden kann, weil Bildung, Geist und Liebenswürdigkeit die Macht der Jahre unwirksam machen. Sie führt ein großes Haus, scheint unerschöpflich vermögend, sieht bei sich nur die Vertreter der Aristokratie des Geistes, des Geldes und der politischen Macht und ist grad mir außerordentlich anziehend, weil sie große Seereisen gemacht und sich Kenntnisse über unsern Beruf angeeignet hat, um die sie mancher wackere Seebär beneiden möchte.«

»Dann bin ich wirklich begierig, sie kennen zu lernen.«

»Ich werde Euch schon heut die Gelegenheit dazu bieten. Bin für heut abend zu ihr geladen; wollt Ihr mit?«

»Sicher, Kapitän.«

»Gut. Ich werde Euch vorstellen, und dann dürft Ihr Euch so frei bewegen, als befändet Ihr Euch an Bord Eurer ›l'Horrible‹. Ist übrigens ein prächtiges Fahrzeug, Leutnant, und ich kann Euch zu diesem Kommando aufrichtig Glück wünschen. Das war so nett, so sauber, so gewandt, als Ihr herbeigestrichen kamt und Ruck und Zuck die Segel und der Anker fielen. Kam es nicht von den Englishmen in den Besitz der Vereinigten-Staaten-Flotte?«

»Ja. Vorher aber war er das gefürchtetste Fahrzeug zwischen Grönland und den beiden südlichen Kaps. Oder habt Ihr nie vom Kapitän Kaiman gehört?«

»Wie sollte ich nicht? Vielleicht mehr noch als Ihr. Ich wußte nur nicht gleich, wohin ich den Namen ›l'Horrible‹ tun sollte; jetzt aber besinne ich mich. Das Fahrzeug wurde auf einer Ebenholzfahrt Negerhandel. betroffen und daher weggenommen. Die Bemannung hing man an die Raaen und den Kapitän Kaiman – ah, wie war es nur mit ihm?«

»Er befand sich nicht an Bord, so hieß es wenigstens. Seit jener Zeit aber hat man nie wieder etwas über den Piraten gehört. Entweder hat die Lehre gefruchtet oder er ist doch mit an Bord gewesen und im Kampf getötet oder als gewöhnlicher Vormarsgast mit gehangen worden.«

»Wäre ihm recht geschehen! Also heut abend bei der Frau de Voulettre! Ich werde Euch abholen, Leutnant, ja?«

»Ich werde diese Ehre – –«

» Pshaw, ich bitte nur, mir Euer braves Fahrzeug einmal ansehen zu dürfen, ehe wir an Land rudern.«

Während dieses Gesprächs kam ein Mann gemächlich am Kai herabgeschlendert, ganz in der Haltung eines Menschen, der über sich und seine Zeit vollständig Herr ist. Von kaum mittlerer Gestalt und dabei schlank gebaut, trug er die Kleidung eines Diggers, der von den Minen kommt, um von der anstrengenden Arbeit auszuruhen und sich ein wenig in der Stadt umzusehen. Ein breitkrempiger, vielfach zerknitterter Hut hing ihm ins Gesicht hernieder; doch vermochte er nicht, das große, häßliche Feuermal zu verdecken, das sich von dem einen Ohr quer über die ganze Wange bis über die Nase zog.

Wer ihn sah, wandte sich mit Grauen von dem abstoßenden Antlitz weg. Der Mann bemerkte dies sehr wohl, schien sich aber nicht darüber zu grämen und ließ sich sogar durch gelegentliche laute Aeußerungen in seiner offenbaren Seelenruhe nicht stören.

Da blieb er stehen und ließ sein Auge hinaus aus die Reede schweifen.

»Wieder einer vor Anker,« murmelte er; »ein Segelschiff und, wie es scheint, nicht schlecht gebaut. Wenn nur – –«. Er hielt plötzlich in seinem Selbstgespräch inne und beschattete das Auge mit der Hand, um schärfer sehen zu können. » Sacré nom du dieu, das ist, – ja, das ist sie, das ist die ›l'Horrible‹. Endlich, endlich sehe ich sie wieder, und – – doch, sie liegt zu weit vom Land, und ich könnte mich täuschen. Ich werde mich überzeugen!«

Er schritt die Stufen hinab, vor denen mehrere Boote lagen, und sprang in eines hinein.

»Wohin?« fragte der Besitzer, der sich auf der Ruderbank sonnte.

Der Fahrgast deutete leicht nach der Reede hinaus und antwortete: »Spazieren!«

»Wie lange?«

»So lange es mir gefällt.«

»Könnt Ihr bezahlen?«

Der Frager musterte seinen Fahrgast mit nicht sehr vertrauensvollen Blicken.

»Nach der Fahrt mit gutem Geld, vor der Fahrt mit guten Fäusten. Wähl also!«

»Hm, hm,« brummte der Schiffer, offenbar eingeschüchtert durch den drohenden Blitz, der aus dem dunklen Auge des Fremden leuchtete, »steckt Eure zehn Finger, wohin es Euch beliebt, nur nicht in mein Gesicht. Könnt Ihr das Steuer führen?«

Ein kurzes Nicken war die Antwort, dann wurde der Kahn gelöst und suchte durch das Gewirr der umherliegenden Fahrzeuge aller Gattungen seinen Weg hinaus in das freie Wasser.

Der Fremde verstand zu steuern wie nur irgendeiner, das hatte der Schiffer schon nach den ersten Ruderschlägen bemerkt. Er ließ kein eigentliches Ziel erraten, umkreiste in weitem Bogen das Panzerschiff und die ›l'Horrible‹ und führte dann das Boot an seinen Platz zurück, wo er die Fahrt auf eine Weise bezahlte, die seine äußere Erscheinung allerdings nicht hatte vermuten lassen.

»Sie ist's,« seufzte er erleichtert, indem er die Stufen emporstieg; »nun soll die Frau de Voulettre bald ebenso spurlos verschwinden, wie damals die Miß Admiral. Jetzt aber in die Taverne!«

Er lenkte seine Schritte einer Gegend der Stadt zu, wo die dunkelsten Gestalten ihr elendes und oft auch verbrecherisches Leben fristen. Dabei mußte er durch ein Gewirr enger Gassen und Gäßchen schreiten, deren Häuser kaum diese Bezeichnung verdienten. Der wüste, holperige Boden bildete ein besonders für die Nacht halsbrecherisches Gelände, und die Hütten, Baracken und Zelte glichen eher einem wilden Zigeunerlager, als dem Teil eines wohlgeordneten Stadthaushaltes, wo die mächtige Hand einer kräftigen Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei jeden schädlichen und verdächtigen Stoff auszuscheiden oder wenigstens unter scharfer Bewachung zu halten verpflichtet ist.

Endlich hielt er vor einer langgestreckten Bretterbude, über deren Tür mit einfachen Kreidezügen die Inschrift › Taverne of fine brandy« angebracht war. Vor und hinter diesen Buchstaben war mit Kreide je eine Schnapsflasche auf das rissige Holz gemalt.

Er trat ein.

Der lange Raum war mit Gästen gefüllt, denen man es ansah, daß sie nicht zu den Kreisen der Gesellschaft gehörten, von der die Bezeichnung gentlemanlike in Anspruch genommen wird. Ein unbeschreiblicher Spiritusdunst und Tabaksqualm warfen den Eintretenden förmlich zurück, und der Lärm, der hier herrschte, schien eher tierischen, als menschlichen Kehlen zu entstammen.

Der Mann mit dem Feuermal kehrte sich nicht im mindesten an diese Unannehmlichkeiten. Er trat an den Schenktisch und wandte sich zu dem dahinter thronenden Wirt.

»Ist der lange Tom hier, Master?«

Der Gefragte musterte ihn mit einem mißtrauischen Blick und antwortete nicht eben freundlich:

»Warum?«

»Weil ich mit ihm zu sprechen habe.«

»Wer ist der lange Tom, he?«

»Pah! Spielt nicht Versteckens! Ich kenne den Mann ebenso gut wie Ihr und bin von ihm hierher bestellt worden.«

»Wer seid Ihr?«

»Das geht Euch den Teufel an. Hab Euch auch noch nicht nach der Geburtsliste gefragt, auf der Euer Name verzeichnet sein mag!«

»Hoho, wenn Ihr so kommt, so könnt Ihr lange fragen, ehe Ihr die Antwort bekommt, die Ihr haben wollt. Eher ist es möglich, daß Ihr einen guten Faustschlag oder zwei von hier mit fortnehmt!«

»Darüber ließe sich vielleicht auch noch sprechen. Aber ich will Euch wenigstens so viel sagen, daß es Euch der lange Tom verteufelt anrechnen wird, wenn Ihr mich nicht mit ihm sprechen laßt.«

»So? Nun, ich will einmal so tun, als ob ich ihn kenne; versteht Ihr, Sir? Wenn er Euch wirklich bestellt hat, so hat er Euch jedenfalls ein Wort gesagt, ein kleines Wörtchen, ohne das man nicht zu ihm kommt.«

»Das hat er. Hört!«

Er neigte sich über den Tisch hinüber und raunte dem Wirt einige Silben zu. Dieser nickte zustimmend.

»Richtig! Jetzt darf ich Euch trauen. Tom ist noch nicht hier; es ist eben jetzt die Zeit, wo gewöhnlich die Polizei kommt, um sich ein weniges unter meinen Gästen umzusehen. Ist sie fort, so gebe ich ein Zeichen, und in fünf Minuten ist er da. Setzt Euch bis dahin nieder!«

»Hier nicht, Master. Tom sagte mir, daß es bei Euch einen kleinen Raum gibt, wo man nicht von jedermanns Auge belästigt wird.«

»Den gibt es, ja; aber er ist eben auch nicht für jedermann da.«

»Nicht für jedermann? Aber für wen denn?«

»Wenn ich Euch das erst sagen muß, so scheint es unter Eurem Hute ganz niederträchtig finster zu sein!«

»So sehr doch nicht, wie Ihr denkt!«

Er zog ein Goldstück hervor und schob es dem gewinnsüchtigen Mann zu.

»Gut! Es steht mit Euch doch nicht ganz so schlimm, wie ich dachte. Aber wißt Ihr, wenn man jemandem den Gefallen tut, die Spürnasen von ihm abzuhalten, so ist ganz natürlich eine Liebe der andern wert. Wollt Ihr etwas trinken?«

»Ein Glas Wein.«

»Wein? Seid Ihr verrückt? Was soll ich hier mit diesem albernen Getränk machen? Ihr bekommt eine Flasche Brandy, wie es hier Sitte und Gewohnheit ist. Hier, und auch ein Glas dabei. Jetzt setzt Ihr Euch an den Tisch dort hinter dem breiten Ofen. Gleich daneben ist eine Tür, die niemand sehen kann. Ich werde sie aufstoßen; dann paßt Ihr auf, und beim ersten Augenblick, wo es kein anderer bemerkt, schlüpft Ihr schnell hinein.«

»Soll geschehen.«

»Es ist jetzt leer in jener Stube. Aber es werden bald Gäste kommen, und ich rate Euch, sie nicht zu belästigen. Es sind rasche Burschen, bei denen Wort und Klinge nicht weit voneinander liegen!«

Es geschah, wie er gesagt hatte, und bald saß der Fremde in dem verborgenen Raum. Dieser faßte nur zwei Tische mit vielleicht einem Dutzend Stühlen, die jetzt leer standen. Aber, wie der Wirt gesagt hatte, kamen bald Gäste, einer nach dem andern, herbeigeschlüpft und nahmen in einer Weise Platz, die erraten ließ, daß sie gewohnt seien, hier in dieser Abgeschlossenheit zu verkehren.

Die Kenntnis, die sie von dem bereits Anwesenden nahmen, bestand nur in einem kurzen, musternden Blick; sonst aber beachteten sie ihn nicht im mindesten und führten ihr halblautes Gespräch so zwanglos, als ob kein Fremder zugegen sei. Sämtliche Männer schienen Seeleute zu sein, wenigstens zeigten sie sich während ihrer Unterhaltung in dem Schiffswesen sehr bewandert und in allen nautischen Vorkommnissen der jüngeren Vergangenheit außerordentlich gut unterrichtet. Auch die im Hafen und auf der Reede liegenden Fahrzeuge wurden besprochen.

»Wißt Ihr,« fragte einer, »daß die ›l'Horrible‹ draußen vor Anker gegangen ist?«

»Die ›l'Horrible‹, das frühere Kaperschiff?«

»Ja, Befehlshaber Leutnant Jenner. Ein prächtiges Schiff, ganz unvergleichlich in Bau und Ausrüstung; der Kapitän Kaiman hat es bewiesen.«

»Schade um den armen Kerl, daß er den Strick hat schmecken müssen! Oder nicht, he?«

»Jammerschade; er wußte etwas aus sich und seinen Jungens zu machen.«

»Er vielleicht weniger, aber er soll einen ausgezeichneten Segelmeister gehabt haben, der das eigentliche Kommando führte.«

»Hab auch davon gehört. Der Kerl soll gar nicht einmal ein Mann, sondern ein Weib gewesen sein, ein wahrer Satan. Will's auch gern glauben, denn wenn sich der Teufel ein besonderes Vergnügen machen will, so fährt er in ein Frauenzimmer.«

»Richtig,« meinte ein dritter, »ein Frauenzimmer ist es gewesen, und Miß Admiral wurde sie geheißen; ich weiß es genau. Sie soll die Tochter eines alten Seelöwen gewesen sein, der sie auf allen seinen Fahrten mitgenommen hat. Dadurch ist sie das reine Mannsbild geworden, hat sich nur auf dem Wasser wohl befunden und es nach und nach so weit gebracht, ein Schiff noch besser als mancher erfahrene Kapt'n zu führen. Jeder Seemann weiß, daß es dergleichen Frauenzimmer gegeben hat und wahrscheinlich auch heute noch gibt. Und wer noch mehr erfahren will, der mag nur den langen Tom fragen, der weiß Bescheid. Ich glaube, der Halunke ist schon einmal mit dem Kapitän Kaiman gefahren und kennt die ›l'Horrible‹ besser, als er gestehen will.«

»Möglich; zuzutrauen ist es ihm. Und wenn es wirklich so gewesen ist, so fällt mir gar nicht ein, es ihm übel zu nehmen; denn so ein Hundeleben wie auf einem elenden Kauffahrer gibt es natürlich auf einem wackeren Kaper nicht. Ich will nicht weiter reden, aber, na, ihr wißt schon, was ich meine!«

»Papperlapapp, heraus damit! Oder wenn du dich fürchtest, so will ich es sagen: Wenn der Kapitän Kaiman noch lebte und die ›l'Horrible‹ noch hätte, ich ginge auf der Stelle zu ihm an Bord. Da hört ihr's, und ich meine, daß ihr mir recht gebt!«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür von neuem und ein Mann trat in gebückter Stellung ein, den alle als alten Bekannten begrüßten.

»Der lange Tom! Komm her, alter Swalker, und verteie an den Ankern festlegen. dich hier auf diesen Stuhl. Weißt du, daß wir soeben von dir gesprochen haben?«

»Ja, von dir und der ›l'Horrible‹!« bestätigte ein andrer.

»Laßt die ›l'Horrible‹ nur immer draußen auf dem Wasser, ihr alten Schwatzratten,« antwortete er, sich niedersetzend und dem Manne mit dem Feuermal unbemerkt zublinzelnd. »Was geht euch das Fahrzeug an, he?«

»Uns nichts, aber dich desto mehr. Wir meinen, daß du es besser kennst als wir; oder bist du nicht einmal auf seinen Planken herumgelaufen?«

»Ich sage nicht ja und nicht nein, aber möglich wäre es. Es sind wohl einige hübsche Dutzend guter Schiffe, die den Tom gesehen haben, und wer kann da etwas dawider haben, wenn die ›l'Horrible‹ mit dabei gewesen ist?«

»Niemand. Doch sag, ist es wirklich wahr, daß der Segelmeister des Kapers ein Weibsbild gewesen ist?«

»Wie ich gehört habe, ja.«

»Hm, da muß doch trotz alledem eine elendige Wirtschaft auf dem Fahrzeuge geherrscht haben!«

»Wieso?«

»Na, wenn ein Frauenzimmer das Kommando eines Schiffes führt, so möchte ich nicht dabei sein. Ich meine, daß grad dies und nichts andres daran schuld ist, daß die ›l'Horrible‹ genommen worden ist.«

»Meint Ihr – – –?« ließ sich da mit gedehnter Stimme der Fremde mit dem Feuermal vernehmen.

»Ja, ich meine es. Oder habt Ihr vielleicht etwas dagegen?«

»Geht Euch nichts an; wollte bloß wissen, ob Ihr das wirklich meint!«

»Geht mich nichts an, he? Wenn sich ein Fremder in das mengt, was ich sage, so geht es mich nichts an? Nehmt Eure Zunge etwas fester hinter die Zähne, sonst schlage ich Euch eins auf das Maul, daß sie Euch hinunter bis auf die Zehen fährt!«

»Seht ganz danach aus!«

»Wie – was? Da – da habt Ihr, was Euch gehört!«

Mit einem raschen Schritt stand er vor dem schmächtigen, um Kopfeshöhe kürzeren Mann und holte zu einem Schlag aus, der sicher keine wohltuende Liebkosung sein konnte. Der Bedrohte aber hatte ihn im Nu gefaßt, hob ihn in die Höhe und schmetterte ihn mit solcher Wucht zu Boden, daß er sich kaum aufzuraffen vermochte.

Sofort sprang der ihm am nächsten Sitzende herbei, um die schmähliche Niederlage seines Kameraden zu rächen. Es wurde ihm ganz dasselbe Schicksal: mit wahrhaft katzenartiger Geschwindigkeit wich der Gegner seinen Streichen aus, unterlief ihn und warf ihn zur Erde nieder, daß es dröhnte.

Schon wollte der dritte dem Beispiel folgen, als der lange Tom sich in das Mittel legte.

»Stopp!« meinte er, ihn beim Arm packend und zurückhaltend. »Mach keine Dummheit, alter Bursche! Mit dem dort nimmst du es nicht auf und zehn andre ebensowenig!«

»Oh! das will ich sehen!«

»Versuch's, wenn du durchaus nicht anders willst, aber ich meine, daß ihr einen Offizier von der ›l'Horrible‹ achten werdet.«

»Von der ›l'Horrible‹!«

Auch die beiden andern, die sich jetzt vom Boden erhoben hatten und Miene machten, den Angriff von neuem zu beginnen, stimmten überrascht in diese Frage ein.

»Vom früheren oder jetzigen?«

»Vom früheren natürlich; oder glaubt ihr etwa, daß sich so ein Schwachkopf von Vereinigte-Staaten-Marineoffizier hier in unsre Kabine wagen möchte?«

»Ist's wahr?«

Der Mann mit dem Feuermal nickte leichthin mit dem Kopf und sagte:

»Wird wohl wahr sein, ihr Männer. Der lange Tom kennt mich ein weniges von früher her, wo wir einige Zeit lang auf denselben Planken herumgestiegen sind und manchen guten Streich ausgeführt haben.«

»So; das ist etwas anderes! Wenn es so steht, so seid Ihr sicher bei uns, und wir werden Euch unsre Fäuste nicht weiter zu schmecken geben.«

»Pah,« klang die geringschätzige Antwort; »vor euren Fäusten ist mir ganz verteufelt wenig bange, wie ihr gesehen habt. Doch seid ihr keine üblen Maaten, denke ich, und so will ich die Sache nicht nur gut sein lassen, sondern mich sogar ein wenig bei euch auf den Stuhl verteien.«

»Gut sein lassen? Ich denke, der Streit ist nicht von uns, sondern von Euch ausgegangen. Als Fremder ging Euch das, was wir sprachen, nichts an!«

»Hm, ihr mögt nicht so ganz unrecht haben, aber ich bin gewohnt, meine Leute auf die Probe zu stellen, ehe ich den Handschlag von ihnen nehme.«

»Eure Leute?« meinte der eine.

»Auf die Probe stellen?« der andre.

»Den Handschlag nehmen?« der dritte.

»So ist's! Habt ihr nicht vorhin gesagt, daß ihr nach der ›l'Horrible‹ möchtet?«

»Das war so eine Rede. Ihr werdet Euch wohl die Beifügung gemerkt haben: wenn der Kapitän Kaiman noch lebte und ihn befehligte.«

»Wißt ihr denn so genau, daß er tot ist?«

»Alle Wetter! Wollt Ihr damit etwa sagen, daß er noch lebt?«

»Er lebt noch. Verlaßt euch drauf.«

»Alle Wetter! Und wo steckt er denn, he?«

»Das ist nicht eure, sondern meine Sache.«

»Auf der ›l'Horrible‹ jedenfalls nicht!«

»Nein; da habt ihr recht. Aber – – hm, wenn er sie nun wiederbekäme?«

»Wiederbekäme? Holla, Sir, das wäre ja ein verdammt guter Streich von ihm!«

»Und von euch!«

»Von uns? Wieso?«

»Weil ihr mit dabei sein könnt, wenn ihr wollt,« erklang es leise und vorsichtig.

»Was wollt Ihr damit sagen, Master?«

»Ich will damit sagen, daß man Männern, die der lange Tom seine Freunde nennt, wohl ein wenig Vertrauen schenken darf. Oder nicht, he?«

»Bei allen Teufeln, da habt Ihr recht und geht nicht fehl! Wir sind überall gern dabei, wo es ein gutes Geld oder einen hübschen Sold zu verdienen gibt. Tom mag uns Euch empfehlen!«

»Ist schon geschehen,« antwortete der Genannte. »Dieser Sir kennt euch so wie ich, und ich hatte ihn herbestellt, damit er euch einmal sehen und mit euch sprechen könne. Wißt ihr etwas Neues?«

»Nun?«

»Ich werde Bootsmann auf der ›l'Horrible‹.«

»Bootsmann? Willst du uns kalfatern?«

»Fällt mir gar nicht ein! Auch ihr könntet eine gute Stelle finden, wenn ihr wolltet.«

»Ob wir wollen! Aber das Schiff gehört ja den Blaujacken.«

»Jetzt, aber lange nicht mehr; das ist sicher.«

»Wieso?«

Tom neigte sich über den Tisch herüber und flüsterte: »Weil wir es ihnen nehmen werden.«

»Donnerwetter, das wäre ja ein Streich, wie er noch gar niemals dagewesen ist. Man würde in den ganzen Staaten und wohl auch noch weiter darüber hinaus davon sprechen.«

»Fürchtet ihr euch davor?«

»Fürchten? Pah! Was kann uns das Gerede schaden? Mit der ›l'Horrible‹ unter den Füßen braucht man sich vor der ganzen Welt nicht zu scheuen!«

»Ja, und könntet ein Leben führen wie der große Mogul oder wie der Kerl heißt, der so viel Dollars besitzt, daß die See voll würde, wenn er einmal so dumm sein wollte, sie hineinzuwerfen. Es liegt nur an euch, es so zu haben!«

»An uns? Sprecht weiter, Sir!«

Der Rotmalige langte in den Rock, zog eine wohlgefüllte Brieftasche hervor, entnahm ihr einige Banknoten und legte jedem eine davon hin.

»Wollt ihr diese Wische haben?« fragte er.

»Werden nicht so albern sein, sie zurückzuweisen! Aber was sollen wir dafür tun?«

»Nichts; ich schenke sie euch umsonst. Aber wenn ihr die Richtigen seid, so könnt ihr morgen oder übermorgen fünfmal soviel haben!«

»Inwiefern?«

»Wollt ihr eine Spazierfahrt hinaus auf die Reede mitmachen?«

»Warum nicht?«

»Um den Blaujacken einen Besuch abzustatten?«

»Warum nicht?«

»Es wird wohl einige Hiebe oder Messerstiche dabei geben.«

»Tut nichts!«

»Ihr bleibt natürlich dann auf dem Schiff.«

»Versteht sich! Aber wer wird uns befehligen?«

»Wer anders als Kapitän Kaiman?«

»So lebt er wirklich noch?«

»Er lebt noch, und ihr sollt mit ihm zufrieden sein, wenn ihr das Eurige tut.«

»Wird an nichts fehlen, Sir, darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

»Gut; so hört, was ich euch sage!«

Sie rückten erwartungsvoll zusammen.

»Ihr kauft euch bessere Kleider, denn so wie jetzt darf euch niemand sehen!«

»Soll geschehen.«

»Ihr geht des Abends nicht aus, sondern bleibt hier, um auf mich oder einen Boten zu warten!«

»Ist uns lieb. Die Spürnasen machen uns ja draußen genug zu schaffen.«

»Sobald ich schicke, kommt ihr mit Tom zu – zu – in die Wohnung der Frau de Voulettre.«

»Alle Teufel! Das ist eine verdammt vornehme und reiche Lady. Ich habe von ihr sprechen hören. Was haben wir mit ihr zu schaffen?«

»Die Offiziere der ›l'Horrible‹ werden bei ihr zu finden sein.«

»Ah!«

»Ihr wollt Heuer auf dem Schiff nehmen, und sie wird euch den Herren empfehlen.«

»Donnerwetter – uns empfehlen – die reiche, vornehme Miß? Seid Ihr klug, Sir?«

»Ich denke es!«

Die Männer sahen ihn halb zweifelnd, halb achtungsvoll forschend an.

»Dann seid Ihr wohl ein wenig gut mit ihr bekannt?«

»Möglich! Ihr werdet jedenfalls geheuert werden und geht sofort an Bord.«

»Ganz wie Ihr befehlt, Sir.«

»Es wird dafür gesorgt werden, daß die Offiziere und Subalternen an Land gehen. Kapitän Kaiman wird dann mit seinen Leuten bei euch anlegen und – – na, das übrige ist nicht meine Sache; ich bin bloß sein Agent. Was ihr noch wissen müßt, wird euch Tom schon sagen.«

Die Männer nickten zustimmend. Der Plan des scheinbaren Agenten nahm ihre Köpfe so sehr in Anspruch, daß sie keine Zeit zu langen Reden hatten. Dieser fuhr fort:

»Und nun noch eins: Tom ist Bootsmann, und ihr habt ihm von diesem Augenblick an in allen Stücken Gehorsam zu leisten, versteht ihr?«

» Yes, Sir!«

»Seid ihr treu und verschwiegen, so könnt ihr auf den Kapitän rechnen; bei dem geringsten Zeichen von Verrat aber seid ihr verloren, dafür ist gesorgt. Also nehmt euch zusammen!«

»Keine Sorge! Wir wissen, was wir vorhaben; so etwas ist schon längst unser Wunsch gewesen; und da er nun so schön in Erfüllung geht, werden wir uns das Vergnügen nicht selbst verderben.«

»Hier habt ihr noch ein weniges, um zu trinken; ich muß nun fort. Auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen, Sir!«

Während die andern sich in achtungsvolle Stellung erhoben, reichte er Tom herablassend die Hand und verschwand dann durch die Tür.

»Alle Teufel, konnte der Kerl zugreifen!« bemerkte der eine.

»Und was die Hauptsache ist, mit diesen kleinen Händen,« fügte der andre hinzu. »Man sieht es ihm nicht an, aber er hat wahrhaftig den Satan im Leibe!«

»Setzt euch,« mahnte Tom; »ich habe euch noch mancherlei zu erklären.«

Die Männer saßen noch lange beisammen und lauschten den Reden ihres Kameraden. Er war ein erfahrener und gewiegter Maate und verstand es, sie vollständig davon zu überzeugen, daß grad jetzt während des Krieges zwischen den Nord- und Südstaaten ein gut geführter Kaper, der nebenbei heimlich Piraterie treibe, vortreffliche Geschäfte machen könne. – – –

Die Gemächer der Frau de Voulettre waren am Abend hell erleuchtet. Sie hatte große Gesellschaft. Im Empfangszimmer wurde zum Piano getanzt; an den Anrichtetischen nahm man die feinsten Leckerbissen und Erfrischungen zu sich; die älteren Herren hatten sich in die Nebenzimmer zurückgezogen, wo man allerlei besprach oder sich einem ›kleinen Spielchen‹ hingab, bei dem die Dollars zu Hunderten gesetzt, gewonnen und verloren wurden.

Selbst der Neid mußte gestehen, daß unter allen anwesenden Damen der Herrin des Hauses die Krone gebühre. Sie verstand es, jedes Wort so auszusprechen und jede, auch die kleinste Bewegung so auszuführen, daß der Beobachter selbst gegen seinen Willen angezogen und dann dauernd gefesselt wurde.

Jetzt eben ruhte sie in nachlässiger Haltung auf dem sammeten Diwan und wehte sich mit dem perlenbesetzten Fächer Kühlung zu. Ihr dunkles Auge ruhte mit sichtbarer Anteilnahme auf dem Gesicht des Marineleutnants Jenner, der von dem Kapitän des Orlogschiffes vorgestellt worden war.

»Sie kommen um Kap Horn, Leutnant?« fragte sie ihn.

»Nicht geradewegs. Ich kreuze schon längere Zeit gegenüber der Landenge.«

»Ah, ein langweiliges Geschäft, nicht? Hatten Sie nicht Zeit, schon längst einmal hier anzulegen?«

»Leider nicht. Der Dienst zur See ist streng.«

»Wissen Sie, Leutnant, daß ich mich trotzdem außerordentlich zum Seewesen hingezogen fühle?«

»Ah! Die See hat allerdings etwas Anziehendes selbst für Damen; aber das, was man unter ›Seewesen‹ gewöhnlich zu verstehen pflegt, ist so trocken und – gefährlich, daß ich kaum einer Lady im Ernst zumuten möchte, sich –«

»Pah,« fiel sie ihm in die Rede; »nicht jede Dame fürchtet die Gefahr, ebenso wie nicht jeder Herr ein Herkules ist. Meine Heimat ist eine Insel, rings vom Wasser umgeben; ich habe zahlreiche Verwandte drüben auf dem Festland, bin viel hin und her gefahren, oft droben in New York und Boston gewesen, habe sogar einmal das Kap der guten Hoffnung besucht und mir dabei eine Teilnahme für die See angeeignet, die sich auf alles erstreckt, was mit dieser in Beziehung steht. Sogar den nautischen Wissenschaften, die für den Laien doch so schwer und trocken sind, wie Sie sagen, habe ich einige Teilnahme schenken dürfen, und wenn Sie mein Arbeitszimmer betreten wollten, so könnte ich Ihnen den sichersten Beweis für diese Behauptung liefern.«

»Für ein solches Heiligtum dürfte mein Fuß doch vielleicht zu weltlich sein.«

»Meinen Sie! Man lebt hier so zwanglos und unabhängig von den sonstigen Regeln der Gesellschaft, daß ich meinen Gästen gegenüber sicherlich keinen Fehler begehe, wenn ich Sie ersuche, mir Ihren Arm zu geben!«

Sie legte ihren Arm in den seinen und schritt mit ihm durch mehrere Gemächer bis in einen Raum, der allerdings die Bezeichnung ›Arbeitszimmer‹ wenig oder gar nicht verdiente. Er war klein und traulich und mit einer ausgesuchten Pracht ausgestattet.

Hier trat sie an einen kostbaren Schreibtisch, öffnete einen Kasten und entnahm ihm eine vollständige Sammlung der zuverlässigsten und wertvollsten Seekarten. Die andern Kästen enthielten sämtliche Werkzeuge, die zur Führung eines Schiffes erforderlich sind.

Jenner konnte seine Verwunderung über diesen unerwarteten Schatz nicht verbergen. Er gestand aufrichtig:

»Ich muß sagen, madame, daß ich in meiner Kajüte keine besseren Karten und Werkzeuge besitze!«

»Möglich; ich pflege nie etwas Unbrauchbares zu meinem Eigentum zu machen.«

»Aber diese Gegenstände sind nur nach tiefen Studien und nur in der Praxis zu verwenden!«

»Und diese Studien trauen Sie einer Dame nicht zu?«

»Ich fand noch keine, die mich zu einer andern Ueberzeugung bekehrt hätte.«

»So bitte ich, mich zu prüfen!«

Ihr Auge hing mit einem belustigten Blick, in dem ein aufmerksamer Beobachter jedenfalls etwas wie Hohn oder Verachtung bemerkt hätte, an seinen offenen, ehrlichen Zügen.

»Prüfen?« lachte er. »Wer vermöchte es, hier Ihnen gegenüber die zu einem solchen Vorhaben nötige Ruhe zu bewahren! An Bord meines Schiffes würde ich weniger befangen sein.«

»Diese ›l'Horrible‹ ist ein prächtiges Schiff, Sir, das prächtigste, das ich kenne; aber wissen Sie, daß ich Sie dieses Fahrzeugs wegen hassen sollte?«

»Hassen? Weshalb?«

»Weil ich auf ihm die schlimmsten und bittersten Stunden meines Lebens durchlitten und durchjammert habe.«

»Sie waren auf der ›l'Horrible‹?« fragte er erstaunt.

»Ja. Sie kennen die Geschichte dieses berühmten oder vielmehr berüchtigten Fahrzeugs?«

»So ziemlich.«

»So hörten Sie auch von einer Dame, die sich an Bord befand, als es genommen wurde?«

»Gewiß.«

»Sie war mit einem Kauffahrer vom Kap gekommen und in die Hände des Kapitän Kaiman geraten?«

»So ist es!«

»Nun, diese Frau war ich!«

»Waren Sie? Welch ein Zusammentreffen, madame! Sie müssen mir später von diesem großartigen Abenteuer erzählen!«

»Darf ich einen Wunsch äußern, Sir?«

»Sprechen Sie!«

»Ich möchte die ›l'Horrible‹ sehen, darf ich sie nochmals besteigen, um die Stätte, an der ich so viel verlor, durch meine Gegenwart zu – zu – entsündigen?«

»Sie dürfen!« erwiderte er erfreut, sie in seinem kleinen, wohlgeordneten Reiche umherführen zu können.

»Und wann?«

»Wann Sie befehlen!«

»Dann morgen, Sir, morgen am Vormittag!«

»Gern, sehr gern, madame. Ihr Fuß soll die Stätte heiligen, die meine gegenwärtige Heimat ist!«

»Dann werden wir Gelegenheit finden, die Prüfung anzustellen,« lächelte sie schalkhaft. »Doch wünsche ich, Leutnant, daß mein Besuch Ihnen keinerlei Unbequemlichkeit verursache. Ich bin weder Admiral noch Kommodore und habe nicht das mindeste Recht, einen seemännischen Aufwand zu beanspruchen.«

»Keine Sorge, madame! Selbst wenn ich wollte und es mir überhaupt gestattet wäre, die ›l'Horrible‹ im Paradekleide auf Sie warten zu lassen, würde ich mit einigen kleinen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Grad morgen früh gehen einige meiner Männer auf Abschied von Bord, und ich muß, um wieder vollzählig zu sein, mich nach Ergänzung umsehen.«

»Ah! Darf ich Ihnen dabei dienen, Sir?«

»Ich würde eine solche Liebenswürdigkeit mit Dank anzuerkennen wissen!«

»O bitte, nein, zum Dank würde dann nur ich verpflichtet sein! Ihre Bemerkung erinnert mich an einige brave Männer, die in meinen Diensten standen und auf ein gutes Schiff zu kommen wünschen. Sie sämtlich sind sehr wohlbefahrene Seeleute, denen ich das beste Lob erteilen kann. Darf ich sie Ihnen empfehlen?«

»Ihre Empfehlung überhebt mich der Mühe, mich nach geeigneten Persönlichkeiten umzusehen. Darf ich um das Nähere bitten?«

»Sie wohnen in der Nähe. Ich werde sie in das Vorzimmer rufen lassen, wo Sie die Prüfung vornehmen können.«

»Ihre Güte drückt mich förmlich nieder, Miß. Ich bin überzeugt, daß keiner Ihrer Schützlinge zurückgewiesen wird.«

»Ich danke! Gestatten Sie mir, den betreffenden Befehl zu erteilen!«

Sie kehrte in die Gesellschaftsräume zurück.

Jenner war bezaubert von der Liebenswürdigkeit dieser Frau, die ihm eine solche Freundlichkeit erwies. Er, der einfache, in gesellschaftlicher Beziehung anspruchslose und in Hinsicht der Frauen noch vollständig unerfahrene Seemann konnte keinen Argwohn hegen. Als ihm gemeldet wurde, daß die Betreffenden im Vorzimmer seiner harrten, trat er am Arm der Gastgeberin hinaus; er warf Tom, denn dieser war es, den die Dame mit seinen Gefährten aus der Taverne hatte kommen lassen, einige leicht zu beantwortende Fragen hin, gab ihnen das gebräuchliche Angeld und gebot ihnen, schon am nächsten Morgen am Bord der ›l'Horrible‹ einzutreffen.

»Nun, Leutnant,« fragte ihn der Kapitän des Panzerschiffes, als sie später miteinander heimgingen. Wie gefällt Ihnen die Dame?«

»Ausgezeichnet!« antwortete Jenner. »Sie will meiner ›l'Horrible‹ einen Besuch abstatten.«

»Ah! Und wann?«

»Schon morgen am Vormittag.«

»Hm, wünsche Glück, Leutnant! Der Empfang wird ein gebührender sein.«

»Höflich, nicht mehr!«

»Soll ich mich dazu einladen?«

»Darf ich Sie ersuchen, Kapitän?«

»Nein, nein,« lachte dieser; »ich will ein rücksichtsvoller Kamerad sein und Sie in Ihrer Herrlichkeit nicht stören, allerdings nur unter einer gewissen Bedingung.«

»Sie lautet?«

»Sie bringen Ihren Besuch auf eine Viertelstunde herüber zu mir!«

»Zugestanden!«

»Topp?«

»Topp!«

Die beiden Offiziere bestiegen das ihrer harrende Boot, um sich nach ihren Fahrzeugen zu begeben. –

Am andern Morgen herrschte am Bord der ›l'Horrible‹ ein regeres Leben als gewöhnlich. Die Mannschaft war unterrichtet worden, daß eine hochgestellte Dame das Schiff zu besichtigen wünsche. Die peinliche Ordnung und Reinlichkeit, die auf einem Kriegsschiff zu herrschen pflegt, ließ zwar alle Vorbereitungen in dieser Richtung als überflüssig erscheinen, dennoch aber unterwarf Jenner sein Fahrzeug einer sorgfältigen Prüfung und verordnete hier und da einen Handgriff oder traf eine kleine Anordnung, um seine schwanke Wohnung in einem möglichst vorteilhaften Licht erscheinen zu lassen.

Er hatte diese Tätigkeit eben erst beendet, als die neu angeworbenen Matrosen an Bord erschienen und sich ihm vorstellten. Er nahm sie in Pflicht, ließ ihnen ihren Raum anweisen und bekümmerte sich dann nicht weiter um sie. Die Beaufsichtigung der Leute war nicht seine, sondern die Sache des Maate.

Als später Frau de Voulettre erschien, empfing er sie mit ausgesuchter Artigkeit.

»Ein prächtiges Schiff!« meinte sie, als sie von der Besichtigung mit Jenner unter das auf dem Deck errichtete Zeltdach zurückgekehrt war, wo der Koch mit den gewähltesten Leckerbissen auf sie wartete. »Ich muß gestehen, Sir, daß es sich sehr zu seinem Vorteil verändert hat. Die gegenwärtige Takelung ist ausgezeichnet, so daß ich glaube, seine Geschwindigkeit habe um ein Beträchtliches gewonnen, seit es in die Hand der Vereinigten-Staaten-Marine gelangt ist.«

»Ich kenne die Zahl der Knoten nicht, die es früher zurückgelegt hat, aber ich bin dennoch in der Lage, mich Ihrer Meinung anzuschließen, wenn auch nicht aus dem Grunde, um dabei mir ein Verdienst beizulegen. Die Verwaltung der Staaten-Marine besitzt eben mehr als ein Privatmann die Geistes- und Geldmittel, die zur Ausrüstung eines Schiffs erforderlich sind.«

»Es will mir scheinen, als ob die ›l'Horrible‹ einen Vergleich mit jedem andern Schiff getrost aufnehmen könne.«

»Auch hier stimme ich bei, obgleich ich eine Ausnahme kenne, allerdings nur eine einzige.«

»Und diese wäre?«

»Die ›Swallow‹, Leutnant Walpole.«

»Die ›Swallow?‹ Mir ist, als hätte ich von ihr gehört. Was für ein Schiff?«

»Klipper mit Schunertakelage.«

»Wo ist sie zurzeit?«

»Mit Depeschen unterwegs nach hier. Ich stieß einige Grade südlich von hier auf sie, wo ich von Walpole Anweisungen in Empfang nahm. Er legte nach der japanischen Linie hinüber, wird aber bald hier vor Anker gehen.«

»Dieses ausgezeichnete Fahrzeug möchte ich sehen!«

»Ihr Wunsch kann Ihnen vielleicht schon bald in Erfüllung gehen. Doch bitte, nehmen Sie von dem kleinen Imbiß, der Ihrem Geschmack allerdings nicht angemessen sein dürfte. Der Koch eines Kriegsschiffes ist nur selten auf ein Essen für Damen vorbereitet.«

»Aber eine Dame auf ein Essen für brave Seegasten. Darf ich eine Einladung aussprechen, Herr Leutnant?«

»Ich füge mich dankbar Ihren Bestimmungen.«

»Dann möchte ich Sie heut abend bei mir sehen und darf wohl erwarten, daß Sie auch die übrigen Chargen mitbringen?«

»So weit der Dienst es gestattet, ja.«

»Ich danke. Es wird ein Abendessen entre nous, bei dem ich mich bestreben werde, Ihren freundlichen Empfang nach Kräften zu erwidern.«

»Dieser Empfang ist der Frau de Voulettre überall gesichert. So habe ich zum Beispiel den Auftrag, Ihnen, wenn auch nur für einen Aufenthalt von wenigen Minuten, eine Einladung hinüber nach der Panzerfregatte auszusprechen. Der Kapitän würde sich Ihnen für diese Aufmerksamkeit sehr verbunden fühlen.«

»Ich sage zu, doch nur unter einer Bedingung.«

»Welche ist dies?«

»Ihre Begleitung, Herr Leutnant.«

»Zugestanden, von Herzen gern!«

Als das Frühstück eingenommen war, ließ er sich mit ihr nach dem Panzer hinüberfahren. Der arglose Offizier hatte keine Ahnung von dem heimlichen Zweck, der diesem Besuch zugrunde lag. Ebenso wenig wußte er, daß die Matrosen, die auf die Empfehlung der Dame heut zu ihm an Bord gekommen waren, es auf sein Fahrzeug abgesehen hatten. Es wäre ihnen sicher ganz unglaublich erschienen, wenn jemand ihnen gesagt hätte, daß Frau de Voulettre jener Mann mit dem großen Feuermal sei, der sie gestern in der Taverne angeworben hatte.


 << zurück weiter >>