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Der Kanada-Bill

1. Der Falschspieler

Der »Kolorado-Mann« schob sich in eine bequeme Stellung, und während die übrigen Trapper mit Spannung seinen Worten folgten, erzählte er:

»Ja, es ist so, wie ich sage: Es hat in den Vereinigten Staaten niemals einen größeren Schurken gegeben als den Kanada-Bill.

Habe eine Rechnung mit ihm, ein ganzes, großes, vollgeschriebenes Schuldbuch. Er ist ja so berüchtigt, daß sogar drüben im alten Lande die Zeitungen über ihn schrieben, wie ich erfahren habe. Keinem aber hat er so mitgespielt wie mir.

Man läßt am liebsten solch blutige Sachen ruhen; aber da wir hier bei Mutter Thick einmal beim Erzählen sind, so will ich euch den Willen tun. Wißt ihr, Gent's, die Staaten sind ein eigentümliches Land, wo das Größte hart neben dem Kleinsten, das Gute gleich beim Schlimmen steht, und ich sage euch, alle drei Male, die ich mit diesem berüchtigten Mann zusammengekommen bin, ist auch stets der berühmteste dabei gewesen, den wir aufzuweisen haben: Abraham Lincoln, der Präsident. –

Eigentlich bin ich in Kentucky zu Hause, war aber noch ein Bube, der die Büchse kaum zu halten versteht, als wir hinunter nach Arkansas gingen, um zu sehen, ob das Land dort wirklich so gut sei, wie es beschrieben wurde. Ich sage: wir, und meine damit die Eltern, mich, und den Nachbar Fred Hammer mit seinen beiden Töchtern Mary und Betty. Er war ein Deutscher und erst vor einigen Jahren aus Germany herübergekommen. Ich will auf der Stelle geteert und gefedert werden, wenn es in den ganzen Staaten ein schöneres und besseres Mädchen gibt, als diese deutschen Ladies waren. Wir wuchsen zusammen auf, taten einander allen möglichen Gefallen, und als ich mich eines Tages besinne, finde ich, daß die Mary zu nichts anderem geschaffen ist, als zu meiner Frau.

Na, ihr könnt euch denken, daß ich diesen Gedanken nicht an die Wand klebte, sondern ihn so eilig wie möglich in die Welt hineinposaunte, und richtig, es stimmte ganz genau: die Mary dachte gar nicht daran, daß ich etwas anderes sein könne, als ihr Mann. Die Eltern waren einverstanden, und nun wurde gesorgt und geschafft, uns in die gehörige Ordnung zu bringen.

Das war ein Leben wie im Himmel, Mesch'schurs, und ich will es jedem von euch herzlich gönnen, der solch glückliche Tage aufzuweisen hat; nur mögen sie bei ihm länger gedauert haben als bei mir.

Eines Tages war ich in den Wald gegangen, um mir eine gute Zahl Fenzstangen zu zeichnen. Da kam einer durch die Tannen geritten und hielt seinen Gaul bei mir an.

» Good day, Boy! Ist da herum eine Farm zu finden?« fragte er.

»Zwei für eine, wo jeder gern einen Unterschlupf findet,« antwortete ich.

»Wo liegt die nächste?«

»Kommt; ich werde Euch führen!«

»Ist nicht nötig. Ihr seid hier beschäftigt, und wenn ich die Richtung erfahre, werde ich nicht fehl gehen.«

»Ich bin fertig. Kommt!«

Der Mann war noch jung, vielleicht kaum zwei oder drei Jahre älter als ich, trug ein fast neues Jagdgewand aus Hirschleder, hatte vorzügliche Waffen und ein Pferd, das so munter war, als sei es eben erst aus der Umzäunung genommen. Große Anstrengungen konnte er nicht hinter sich haben, sonst hätten er und sein Tier weniger frisch ausgesehen. Es wäre ganz gegen den Gastgebrauch gewesen, wenn ich ihn nach seinem Namen und andern Dingen gefragt hätte; ich schritt also schweigsam neben seinem Pferde hin, bis er selbst begann:

»Wie weit habt Ihr bis zum nächsten Nachbar, Boy?«

»Nach den Bergen hin fünf und über den Fluß hinüber acht Meilen.«

»Seid Ihr schon lange hier im Lande?«

»Nicht allzusehr. Wir wohnen noch in der ersten Blockhütte.«

»Und Euer Name, Boy?«

Was hatte er nur mit seinem Boy? War ich etwa ein Knabe, der seine Strümpfe noch trägt? Ich machte die Sache so kurz wie möglich: »Kroner.«

»Kroner? Schön! Ich heiße William Jones und bin da oben in Kanada zu Hause. Wer ist der Besitzer der zweiten Farm, von der Ihr sprecht?«

»Ein Deutscher, der sich Fred Hammer nennt.«

»Hat er Söhne, Boy?«

»Zwei Töchter.«

»Hübsch?«

»Weiß nicht, Boy. Seht sie Euch selber an!«

Es ärgerte ihn, daß ich ihn auch Boy genannt hatte, das konnte ich deutlich sehen. Er sprach nicht wieder, bis wir vor dem Tor des Farmhauses anlangten.

»Wen bringst du hier, Tim?« fragte der Vater, der grade im Hofe stand und die Truthühner fütterte. »Weiß nicht, was er ist; ein Master William Jones aus Kanada, glaube ich.«

»Welcome, Sir! Steigt herunter und kommt herein!«

Er gab ihm die Hand, führte ihn in die Stube und überließ es mir, für das Pferd zu sorgen. Als ich damit fertig war und nachfolgte, stand der Fremde vor Mary, die während meiner Abwesenheit auf Besuch herüber gekommen war, und kniff sie in die Wangen, indem er zu ihr sagte: »Damn, seid Ihr eine allerliebste, hübsche Miß!«

Sie errötete über diese Dreistigkeit, hatte aber sofort das rechte Wort auf der Zunge: »Habt Ihr vielleicht einen Schluck Whisky zu viel, Sir?«

»Wohl kaum, denn in der Prärie ist dieses Labsal nicht zu finden.«

Er wollte den Arm um sie legen, bekam aber einen Stoß von ihr, daß er zurücktaumelte und den Stuhl, an dem er sich zu halten versuchte, beinahe umgerissen hätte.

» Zounds, seid Ihr ein tapferes Weibsbild! Mögt wohl ein andermal zahmer sein!«

Das ging mir an die Galle. Ich trat ihm näher und ließ ihn meine Fäuste ein ganz klein wenig sehen. »Diese Miß ist meine Braut, und wer sie ohne meine Erlaubnis anrührt, kann sehr leicht einige Zoll Bowiekneif zu kosten bekommen. Hier zu Lande gilt das Gastrecht heilig, und wer dies vergißt, wird danach behandelt, Boy!«

»Alle Wetter, versteht Ihr eine Rede zu halten, mein Junge! Also eine Braut habt Ihr schon? Well, so trete ich zurück!«

Er hing seine Büchse an die Wand und machte es sich so bequem, als ob er zur Familie gehörte. Der rothaarige Bursche gefiel weder mir noch dem Vater, und auch die Mutter machte sich nicht viel mit ihm zu schaffen. Das schien ihn aber nicht zu kümmern; er tat, als habe ihm kein Mensch etwas zu sagen, und als am Abend Fred Hammer mit Betty auf eine Stunde kam, führte er das große Wort und erzählte von den Abenteuern, die er in der Prärie erlebt haben wollte.

Ich wette zehn Bündel Dickschwanzfelle Biberhäute gegen einen einzigen Kaninchenbalg, daß der Mensch mit keinem Fuß in der Savanne gewesen war, denn dazu war seine ganze Kleidung zu sauber. Wir ließen ihn das auch merken und um sich aus der Klemme zu ziehen und das Gespräch auf etwas andres zu lenken, griff er in die Tasche und zog ein Päckchen Spielkarten hervor.

»Spielt ihr gern, Mesch'schurs?« fragte er dabei.

»Zuweilen,« meinte der Vater. »Der Nachbar Fred stammt aus Germany, wo man ein schönes Spiel macht, das Skat genannt wird. Er hat es uns gelehrt, und da gibt es des Abends einen Zeitvertreib, wenn man sonst nichts Besseres vorzunehmen weiß.«

»Habt Ihr auch von dem Spiel gehört, das man da drüben ›Kümmelblättchen‹ nennt, Master Hammer?« fragte Jones.

»Nein.«

»Hier im Lande heißt es ›Three carde monte‹ und ist das schönste Spiel, das es gibt. Habe es zwar nur ein einziges Mal gesehen und bin ein Lehrling dabei; aber ich werde es Euch doch einmal zeigen.«

Es ist wahr, dieses › Three carde monte‹ gefiel uns allen, und bald hatten wir uns darein vertieft, und selbst die Frauen wagten einige Cents zu setzen. Es schien wirklich so, daß Jones nichts davon verstand; wir gewannen, und es dauerte nicht lange, so mußte er in die Goldstücke greifen, deren er eine ganze Menge bei sich trug. Wir wurden mutiger, und setzten mehr; das Glück begann zu wanken, so daß wir das Gewonnene verloren und zum eigenen Geld greifen mußten. Einzelne Treffer lockten uns immer weiter. Die Frauen hatten längst wieder aufgehört, und auch ich zog mich zurück. Vater und Fred Hammer wollten ihr Geld wieder gewinnen; sie setzten immer größere Summen, und trotz meiner Mahnungen und der Bitten der Ladies gewann das Spiel für beide immer größere Gefährlichkeit.

Da bemerkte ich plötzlich eine eigentümliche Bewegung von Jones: im Nu hatte ich seinen linken Arm ergriffen und zog ihm das Treffblatt aus dem Aermel heraus. Er hatte mit vier Blättern gespielt und war ein Falschspieler. Er sprang empor.

»Was geht Euch meine Karte an, Boy?« rief er zornig.

»Ebensoviel wie uns unser Geld, Sir!« antwortete der Vater und strich sofort den ganzen Gewinn, den Jones vor sich liegen hatte, zu sich herüber.

»Her mit den Dollars! Sie gehören mir, und wer sich daran vergreift, ist ein Dieb!«

»Stopp, Sir! Wer die Karte fälscht, ist ein Betrüger, der wieder hergeben muß, was er nahm. Geht zu Bett, und macht Euch morgen früh von dannen! Nur das Gastrecht verhindert mich, Euch zu zeigen, wie man ehrlich › Three carde monde‹ spielt.«

»Euer Gast? Ich bin es keinen Augenblick länger. Werde sofort Euer Haus verlassen, nachdem ich das geraubte Geld zurückbekommen habe!«

» Well! Ich lege Eurem Gehen nicht das mindeste in den Weg. Geht dorthin, woher Ihr gekommen seid; die Prärie ist es sicher nicht. Eure Kasse sollt Ihr zurückerhalten, von dem Unsrigen aber nicht einen Penny. Tim, führe sein Pferd vor das Tor!«

» Damn, wollt ihr so? Dann sollt ihr den Kanada-Bill kennen lernen!«

Er griff zum Messer. Da erhob sich auch Fred Hammer und legte ihm die Hand schwer auf die Schulter. Er war eine gewaltige Figur, und liebte zu schweigen; aber wenn er einmal ein Wort sagte, so wußte man auch genau, was seine Meinung sei.

»Tut den Kneif weg, Mann, sonst zerdrücke ich Euch hier zwischen meinen zehn Fingern wie Pfefferkuchen,« warnte er. »Nehmt Eure Kasse, packt Euch von hinnen und kommt uns nicht wieder unter die Augen! Wir sind ehrliche Leute und verstehen gar Wohl, einem Menschen Eures Gelichters zu zeigen, wohin der Weg zum Paradies geht.«

Jones merkte, wie sein Stecken zu schwimmen begann. Er mußte auf alle Fälle den kürzeren ziehen und gab nach.

»So gebt her! Aber merkt euch dieses › Tree carde monte‹; ihr werdet den Gewinn doch noch bezahlen!«

»Eure Drohung gilt uns gerade so viel wie der Spinnenfaden in der Luft. Zähl ab, Nachbar; dann mag er sich trollen!«

Er bekam, was er zu fordern hatte, und ging. Unter der Tür wandte er sich noch einmal um und drohte:

»Also denkt daran! Das Geld hole ich mir, und – und spreche auch noch mit dieser hübschen Miß!«

Hätten wir ihm doch aus der Stelle eine Kugel gegeben! –

Einige Zeit später mußte ich hinunter nach Little Rock, um Verschiedenes für die Hochzeit einzukaufen. Ich hatte es bei der Rückkehr sehr eilig und war sogar des Nachts geritten, so daß ich am Morgen auf der Farm anlangte. Sie war verschlossen und weder Pferd noch Rind zu sehen. Ich eilte voll Besorgnis hinüber zu Fred Hammer und fand es bei ihm ebenso. Mich erfaßte eine entsetzliche Angst; ich gab dem Pferd die Sporen und jagte hinauf zu Nachbar Holborn. Er wohnte, wie ich schon dem Kanada-Bill gesagt hatte, fünf Meilen entfernt. Ich legte diese Strecke in nicht ganz einer Stunde zurück. Als ich an der Fenz abstieg, kamen Betty und die Mutter aus dem Hause geeilt.

»Um Gottes Willen, ihr weint! Was ist vorgefallen?« fragte ich sie.

Unter vielem Jammern und Schluchzen erzählten sie nur, was geschehen war.

Betty hatte mit ihrem Vater Maiskolben geknickt, und Mary war allein daheim geblieben. Das Feld lag in ziemlicher Entfernung von dem Hause, dennoch aber war es ihnen gewesen, als ob sie von dort her den unterdrückten Schrei einer weiblichen Stimme gehört hätten. Sie sprangen hinzu und kamen grade zur rechten Zeit, um zu sehen, daß ein Trupp Männer davonsprengte, von denen einer das gefesselte Mädchen vor sich quer über dem Sattel liegen hatte. Sie waren am hellen Tag eingebrochen und hatten meine Braut entführt. Im Hause lag alles durcheinander; das Geld, Kleider und Waffen nebst der vorhandenen Munition waren verschwunden und die Pferde aus der Umzäunung getrieben worden, um eine sofortige Verfolgung unmöglich zu machen.

Fred Hammer lief zu meinem Vater. Auch hier fehlten die Pferde. Mit Mühe fing man zwei ein und die beiden Männer bewaffneten sich; Mutter und Betty mußten aufsteigen; die Farmen wurden verschlossen und sämtliche Rinder und sonstige Tiere hinüber zu Holborn getrieben, wo sie bis auf weiteres bleiben sollten. Auch der Nachbar nahm seine Kentuckybüchse zur Hand und stieg zu Pferd; dann machten sich die drei Männer ungesäumt hinter den Räubern her. Für mich ließen sie die Weisung zurück, ihnen nach meiner Rückkehr sofort zu folgen.

»Welche Richtung haben sie eingeschlagen?« fragte ich.

»Den Fluß hinauf. Sie wollen dir deutliche Zeichen zurücklassen, damit du sie nicht verfehlen kannst.«

Ich nahm ein frisches Pferd und jagte davon. Es war schon öfters von einer Bande Bushheaders erzählt worden, die von dem Mittellaufe des Arkansas bis hinauf zum Gebiet des Missouri ihr Wesen trieben, doch hatten sie sich niemals in unserer Nähe gezeigt. Sollte der Kanada-Bill sie beredet haben, ihm zur Befriedigung seiner Rache behilflich zu sein?

Ich fand die versprochenen Zeichen: es war von Zeit zu Zeit ein Ast abgebrochen oder ein Schnitt in die Baumrinde gemacht worden, und ich kam also ohne großen Aufenthalt immer schnell vorwärts. So ging es bis zum Abend, wo mich die Dunkelheit zwang, Halt zu machen. Ich pflockte mein Pferd an und wickelte mich in die Decke. Die Wipfel des Waldes rauschten über mir, und in mir tobte der Sturm; ich konnte weder Schlaf noch Ruhe finden. Schon beim Tagesgrauen nahm ich den Weg wieder unter die Hufe und kam noch am Vormittag an die Stelle, wo der Vater mit den andern beiden gelagert hatte. Die Asche ihres Feuers war feucht vom Morgentau, ein sicheres Zeichen, daß auch sie sich Früh erhoben hatten.

So ging es bis zur Mündung des Kanadian. Der Wald ward hier dichter; die Zeichen wurden immer deutlicher und frischer. Ich drang in größter Eile vorwärts, und mein gutes Tier zeigte trotz des angestrengten Rittes noch keine Spür von Ermüdung.

Da vernahm ich plötzlich eine laute tiefe Männerstimme, die mit mächtigem Schall in den Forst hineinsprach. Die Worte waren englisch; es mußte also ein Weißer sein, der sich so unvorsichtig vernehmen ließ. Ich lenkte mein Tier der Stelle zu, an der er sich befand. Was denkt ihr Wohl, was ich erblickte?

Auf einem alten Baumstumpf in der Mitte einer kleinen Lichtung stand ein Mann, fuhr mit den Händen in der Luft herum und hielt den Sykomoren- und Hickorystämmen eine Rede, die er bei einem Campmeeting nicht besser und schöner hätte anbringen können. Ich bin ein ziemlich eigener Kopf und gebe nicht viel auf das, was mir vorgesprochen wird; aber dieser Mann hatte eine Stimme und eine Art des Ausdrucks, die mir das Lachen benahm, in das ich beinahe ausgebrochen wäre, weil es mir ganz verteufelt wunderlich vorkam, daß einer mitten im Urwald den Käfern und Moskitos eine Predigt hielt.

Ich konnte schon in der Ferne sein Gesicht deutlich erkennen. Er war lang und stark, frisch, derb und zähe, wie ein echter, richtiger Yankee, hatte eine scharf hervorspringende Nase, spiegelblanke Augen ohne Lug und Trug, einen breiten, scharfen Mund, ein eckiges, kräftiges Kinn und konnte trotz der Gutmütigkeit, die ihm anzusehen war, doch vielleicht auch ein wenig verschmitzt und listig sein, wenn er es für gut hielt.

Vor dem Stumpf, auf dem er stand, lagen eine gewaltige Axt, eine gute Büchse und noch einiges andre, was man in jenen Gegenden vonnöten hat. Es war augenscheinlich, daß sich der Mann im Reden übte, und er schien mir ganz zu einem Self-man gemacht zu sein, der es versteht, sich durch Not, Kampf und Arbeit zu einer besseren Stelle, als sie der Westen bietet, emporzuringen.

Ich vernahm jedes seiner Worte:

»Was meint ihr? Die Sklaverei sei eine heilige und notwendige Sache, die weder durch Gewalt noch Gründe abzuschaffen sei? Ist die Bedrückung eines Menschen, die Verachtung und Peinigung einer ganzen Menschenrasse heilig? Ist es notwendig, ein abscheuliches Eigentumsrecht aus Menschenkräfte zu legen, die für guten Lohn weit besser und weit treuer arbeiten würden? Ihr wollt weder Gründe hören noch irgend eine Gewalt anerkennen? Nun wohl, ich werde euch dennoch Gründe sagen, und laßt ihr sie nicht gelten, so wird sich dennoch eine unwiderstehliche Gewalt erheben, die euch die Negerpeitsche zerbricht, den Eigennutz aus dem Herzen reißt und alles zermalmen und vernichten wird, was sich ihr in den Weg zu stellen wagt. Ich sage euch, es wird eine Zeit kommen, in – – –«

Er hielt mitten in seiner Rede inne; er hatte mich bemerkt. Im nächsten Augenblick war er vom Baumstumpf herunter, hatte die Büchse zum Schuß erhoben und rief:

»Stopp, Mann, keinen Schritt weiter! Wer seid Ihr?«

» Pshaw! Legt das Schießzeug nur immer beiseite. Habe keine Lust, Euch aufzufressen oder ein rundes Stück Blei in den Leib zu bekommen,« antwortete ich.

Ein zweiter, schärferer Blick mußte ihn von der Friedfertigkeit meiner Person überzeugt haben. Er nahm das Gewehr nieder, nickte mit dem Kopf und forderte mich auf:

» Well! So kommt einmal her und sagt, wer Ihr seid!«

»Heiße Tim Kroner, Sir, und komme seit gestern längs des Flusses herauf, um eine Bande Bushheaders zu verfolgen, die mir die Braut geraubt haben.«

»Und mein Name ist Lincoln, Abraham Lincoln. Ich komme von den Bergen herunter und will mir hier ein Floß zimmern, um das Holz im Süden zu belaufen. Ich bin erst seit einer Stunde hier. Eine Bande Bushheaders, die Eure Braut geraubt haben, sagt Ihr? Wie stark sind sie wohl?«

»Zehn bis zwölf Köpfe.«

»Zu Pferd?«

»Ja.«

» Bounce«! Ich habe vor ganz kurzer Zeit eine Spur von grade so viel Pferden quer durchschnitten und eine ähnliche hier ganz in der Nähe wiedergefunden; doch schien es mir, als ob diese letztere ein Dutzend Hufe weniger gezeigt hätte.«

»Das ist mein Vater mit zwei Nachbarn, die ihnen schon vor mir gefolgt sind.«

»Stimmt! Ihr seid also vier gegen zwölf. Wollt Ihr meine Arme haben?«

»Gern, wenn Ihr sie mir leiht.«

»Gut. Come on

Er nahm seine Sachen zu sich, hing die Büchse auf die eine und warf die Axt über die andere Schulter. Dann schritt er vorwärts, als ob es sich von selbst verstehe, daß ich ihm folgen müsse.

»Wohin, Sir?« fragte ich, da er eine Richtung einschlug, die meine frühere im Winkel schnitt.

»Den Männern nach; was sonst? Ein Stück weiter oben haben sich die Bushheaders vom Fluß weg nach Norden gewandt, und wir kürzen den Weg, wenn wir schon jetzt dasselbe tun.«

Er hatte eine so eigene, sichere Art und Weise, daß es mir gar nicht einfiel, ihm zu widersprechen. Ich ließ ihn daher voranschreiten und hielt mein Pferd hart hinter ihm. Sein Schritt war lang und ausgiebig, wie man ihn selten findet, und wäre ich nicht beritten gewesen, so hätte es mich sicher nicht wenig Mühe gekostet, ihm zu folgen. So ging es fort, bis er an einer Stelle halten blieb und auf den Boden zeigte.

»Hier ist die Fährte wieder. Zwei, sechs, neun, elf, fünfzehn Pferde! Als ich die Spur vorhin überschritt, waren es nur zwölf. Die Eurigen sind also auch vorüber, und das kaum vor einer Viertelstunde, denn die niedergebogenen Halme haben sich noch nicht wieder emporgerichtet. Laßt Euer Tier ausgreifen, damit wir sie bald erreichen!«

In gewaltigen Schritten eilte er vorwärts. Wahrhaftig, ich mußte mein Tier in einen kurzen Trab setzen, um nicht zurückzubleiben.

Der Wald hatte schon längst ausgehört und war in ein niedriges, durchbrochenes Gebüsch übergegangen. Jetzt kamen wir auf eine lichte, offene Bucht, die sich von der Prärie tief in das Gehölz hineinschob; in der Ferne jedoch bemerkten wir wieder einen dichten Streifen starken Holzes, und zwischen ihm und uns bewegten sich drei Reiter, nach Indianersitte einer hinter dem andern. Die Sonne war verschwunden, und der Tag neigte sich, doch konnten wir sie deutlich erkennen. Lincoln hob den Arm.

»Dort sind sie. Go on

Er warf sich in weiten Sprüngen vorwärts, indem er den Schwerpunkt immer auf das eine Bein legte und, wenn dies müde wurde, ihn auf das andere überwechselte. Das ist die einzige Art, einen solchen Lauf lange auszuhalten. So wurde die Entfernung zwischen uns und ihnen schnell kleiner, und da sie uns bemerkten und nun stehen blieben, hatten wir sie bald erreicht.

»Endlich, Tim!« rief uns der Vater entgegen. »Wer ist dieser Mann?«

»Ein Mister Abraham Lincoln, den ich am Fluß traf und der uns helfen will. Aber erzählt nichts? ich weiß schon alles. Macht nur vorwärts, daß wir die Räuber einholen!«

»Sie sind nicht mehr weit und werden dort im Wald ihr Lager aufschlagen wollen. Vorwärts, ehe es dunkel wird und wir ihre Spur verlieren!«

Es ging weiter, ohne Worte, aber das Messer locker und die Büchse schußgerecht in der Hand. Als wir die ersten Bäume erreichten, bog sich Lincoln nieder, um die Fährte genau zu untersuchen. Dabei sagte er:

»Laßt uns noch einmal sehen, woran wir sind, Gentlemen! Im Dunkel des Forstes läßt sich das nicht mehr sehen. Hier diese Hufeindrücke sind die tiefsten; das Pferd hat eine schwerere Last zu tragen als die andern; es wird also das sein, das den Reiter und das Mädchen zu schleppen hat. Und seht, es lahmt; der linke Hinterfuß stößt nur mit der vordern Schärfe auf den Boden. Sie werden ihm Ruhe gönnen müssen und bald absteigen.«

» Well, Sir, ich gebe Euch recht,« meinte der Vater. »Macht rasch weiter, Leute!«

»Stopp, Mann! Das wäre ein ganz gewaltiger Fehler. Ich rechne, daß sie höchstens eine Viertelstunde vor uns sind, und vielleicht haben sie sich schon gelagert. Wollt Ihr Euch durch die Pferde verraten und uns den schönen Spaß verderben?«

»Richtig, wir müssen die Tiere zurücklassen. Aber wo?«

»Da drüben ist ein Wildkirschengebüsch; dort sind sie sicher, wenn Ihr sie fest anhobbelt.« Mit einem Riemen die Vorderbeine so zusammenbinden, daß sie zwar grasen, aber nicht fortlaufen können.

So geschah es, und dann gingen wir zu Fuß wieder vorwärts. Lincoln schritt voran; wir mußten ihn ganz unwillkürlich als unfern Führer anerkennen. Seine Vermutung hatte ihn nicht getäuscht, denn wir waren noch nicht weit vorgedrungen, so witterten wir einen brenzlichen Geruch und sahen dann auch einen hellen Rauch, der sich droben zwischen den Kronen der Bäume einen Ausweg suchte.

Jetzt galt es, auch das kleinste Geräusch zu vermeiden. Hinter jedem Baum Deckung suchend und die Zwischenräume blitzschnell überspringend, schlichen wir uns immer näher und bemerkten nun das Feuer und elf Männer, die sich darum gelagert hatten. Zwischen ihnen saß Mary, totenbleich, an den Händen gefesselt und mit tief gesenktem Kopf.

Diesen Anblick konnte ich nicht ertragen. Ohne nach der Ansicht der andern zu fragen, erhob ich das Gewehr.

»Halt,« warnte Lincoln, »es fehlt einer und – –«

Da krachte aber schon mein Schuß. Die Kugel war dem Mann, auf den ich gezielt hatte, mitten in die Stirn gedrungen. Im Nu standen die andern auf den Füßen und hatten die Waffen ergriffen.

»Feuer und dann drauf!« kommandierte Lincoln.

Mir galt dieser Ruf nicht mehr, denn ich hatte schon die Büchse fortgeworfen, war zu Mary hingesprungen und kniete bei ihr, um den Riemen zu durchschneiden, der ihre Hände umschlungen hielt.

»Tim, ist's möglich!« rief sie und schlug vor Entzücken die befreiten Arme um mich, daß ich mich kaum zu rühren vermochte.

»Laß los, Mary, es gibt jetzt mehr zu tun!« bat ich sie.

Ich zog das Messer und sprang auf. Neben mir schlug Lincoln einem die Axt über den Kopf, daß der Mann lautlos zusammenbrach. Es war der letzte der Elf. Man hatte von beiden Seiten nur einmal geschossen und dann zur Klinge gegriffen.

»Tim, um Gottes willen!« rief in diesem Augenblick Mary und stürzte sich, nach einem Baum zeigend, an meine Brust.

Ich warf den Blick hinüber und gewahrte den Lauf eines Gewehrs, das gerade gegen uns gerichtet war. Der Schütze stand hinter dem Stamm verborgen.

»Das ist für das ›Three carde monte!‹ rief eine Stimme.

Noch ehe ich eine Bewegung machen konnte, blitzte es auf; ein schneller Ruck ging mir durch die Muskel des Oberarmes, ein Schrei von Marys Lippen: ihre Arme ließen mich los, und sie glitt zu Boden. Die Kugel war mir durch den Arm und ihr in das Herz gegangen.

»Drauf!« knirschte es neben mir.

Es war der Vater. Mit erhobenem Büchsenkolben stürzte er sich gegen den Stamm, ich ihm nach. Da blitzte es aus dem zweiten Lauf; eine Gestalt, die ich nicht genau erkennen konnte, eilte von dannen; der Vater lag, durch die Brust getroffen, zu meinen Füßen. Fast wahnsinnig vor Wut, stürzte ich mich dem Entfliehenden nach. Zu sehen vermochte ich ihn nicht mehr, aber die Richtung wußte ich doch. Schon nach wenigen Sprüngen kam ich an den Platz, wo sie die Pferde angehobbelt hatten. Die Tiere waren weg, und nur die Enden der rasch durchschnittenen Lassos steckten an den Pflöcken in der Erde. Ich mußte erkennen, daß ich den Mann nun nicht mehr erreichen könne; er war beritten und ich nicht.

Als ich zum Kampfplatz zurückkehrte, hatte man die beiden Leichen nebeneinander gelegt, und Lincoln war beschäftigt, sie zu untersuchen.

»Kein Leben mehr, Mesch'schurs, keine Spur von Leben!« sagte er.

Ich konnte kein Wort hervorbringen, auch Fred Hammer nicht; es gibt eine Qual, die das Herz verkohlt, ohne daß nach außen ein einziger Laut zu hören ist. Lincoln erhob sich, bemerkte, daß ich wieder zurück war, und sagte zürnend zu mir:

»Das wäre nicht geschehen, wenn Ihr mit dem Schuß bis zur rechten Zeit gewartet hättet. Ich rechne, das wenige Pulver und die kleine Kugel kosten Euch die Braut und den Vater, und es wird gut sein, wenn Ihr ein andres Mal die Vorsicht mehr zu Rate zieht.«

»Könnt Ihr es beweisen, Sir?« fragte ich.

»Beweisen? Pshaw! Nach dem Tod hört der Beweis auf. Wir mußten sie umzingeln und auf ein Zeichen unsere Büchsen alle zugleich losdrücken. Jeder von uns hatte einen Doppellauf, macht zehn Mann, ehe sie nur an Widerstand hätte denken können. Und Euren › Three carde monte-Mann‹ hätten wir während des Umschleichens sicher auch abgefangen, so daß er nicht zum Schuß gekommen wäre!«

Das war die rechte Lehre, im rechten Augenblick gegeben, Gentlemen. Ich habe sie und diesen Augenblick niemals vergessen, darauf könnt ihr euch verlassen!« – – –


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