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7. Das Versteck

Die erregten Lüfte, die heulend über die Ebene jagen, sie fangen sich an den Felsenmauern der Gebirge und gehen – zur Ruhe. Die Wolken, die entweder majestätisch langsam dahinziehen, oder, vom Sturm gepeitscht, wie wilde, wirre Gespensterscharen am Firmament sich auf- und niederwälzen, sie gießen ihr wärmeloses Blut zur Erde nieder und gehen – zur Ruhe. Der Bach, der Fluß, der rauschende Strom, der ohne Rast und Aufenthalt von dem unerbittlichen Gesetz der Schwere zwischen seinen Ufern fortgetrieben wird, er wälzt sich endlich in das Meer und geht – zur Ruhe. Bewegung und Ruhe ist der Inhalt des ganzen, des besonderen wie allgemeinen Lebens, auch des menschlichen.

Die wilde Prärie kennt keine Heimat, keinen häuslichen Herd, an dem die Familie ihr Glück zu genießen und zu feiern vermag. Wie das Wild, vorsichtig, scheu und heimlich, jagt oder schleicht der Jäger sich über die weiten Savannen, vor, neben, hinter und um sich die Gefahr und den immer drohenden Tod. Aber nicht immer darf dies währen, sonst würden seine riesige Körperkraft, seine mutige Ausdauer, seine unbeugsame Energie endlich doch erliegen. Auch er bedarf der Erneuerung seiner Kräfte, der Erholung und Ruhe. Und dies findet er an den sorgfältig ausgesuchten Orten, die er teils zu diesem Zweck, teils auch zur Aufstapelung seiner Jagdbeute herzustellen pflegt: in den sogenannten Hide-spots oder Hiding-holes. Verstecke, heimliche Niederlagen der erbeuteten Felle. – – –

Es war einige Tage, nachdem Deadly-gun mit seinen Trappern und Gästen in seinem Hide-spot eingetroffen war, als drei Männer durch die Prärie ritten, die einige Maultiere an der Koppelleine führten.

Der eine war kurz und dick, der andere unendlich lang und hager, und der dritte hing auf seinem Pferd, als erwarte er alle Augenblicke einen heftigen Choleraanfall.

» Zounds,« meinte dieser letztere, indem er einen Versuch machte, sich in gerade Stellung emporzurichten, »ich wollte, ich wäre in unserem Loch zurückgeblieben und hätte mich nicht vom Teufel reiten lassen, mit euch hier auf der traurigen Wiese herumzuschlingern wie ein Fahrzeug, das Kompaß und Steuer verloren hat. Machen mir da die verteufelten Jungens weis, daß die Büffel hier herumlaufen wie die Ameisen! Nun sind wir bereits zwei Tage auf dem Kurse, haben weder Ochse noch Kuh, ja nicht einmal ein armseliges Kalb zu Gesicht bekommen. Und dabei schüttelt mich mein Gaul wie eine Medizinflasche auf und nieder, daß ich gewiß noch aus allen Fugen gehe und zuletzt nicht einmal mehr meinen Namen weiß. Macht, daß wir bald wieder vor Anker gehen! Wer Fleisch haben will, mag sich welches holen; ich brauche keins.«

»Ob du Fleisch brauchst oder nicht, Peter, das bleibt sich gleich,« antwortete der Dicke; aber was willst du essen, wenn wir keines bekommen?«

»Wen denn anders als dich, den fetten Hammerdull, he! Oder denkst du etwa, daß ich mich da an Pitt Holbers machen werde, an dem nichts zu finden ist als Knochenzeug und ungegerbte Schwarte?«

»Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?« lachte Dick Hammerdull.

»Wenn du meinst, daß sich der alte Seefisch um sich selber zu bekümmern hat, Dick, so gebe ich dir vollkommen recht. Ich habe nicht den mindesten Appetit, ihn anzubeißen.«

»Das wollte ich mir auch verbeten haben! Wer den Steuermann Peter Polter aus Langendorf anbeißen will, der muß ein anderer Kerl sein als – – – Donner und Doria, guckt doch einmal hier zur Erde. Hier ist irgendwer gelaufen; ob Mensch oder Tier, das weiß ich nicht, aber wenn ihr das Gras untersuchen wollt, so wird es sich wohl zeigen, was für ein Geschöpf es gewesen ist.«

» Egad, Pitt Holbers,« meinte Hammerdull, »es ist wahr; hier ist das Gras zerstampft.«

Die beiden Jäger verließen ihre Pferde und untersuchten den Boden mit einer Sorgfalt, als hinge ihr Leben daran.

»Hm, alter Pitt, was meinst du dazu?« fragte Hammerdull.

»Was ich meine? Wenn du denkst, daß es Rothäute gewesen sind, Dick, so gebe ich dir vollständig recht.«

»Ob es welche gewesen sind oder nicht, das bleibt sich gleich, aber daß es keine andern waren, das ist sicher. Peter Polter, steig ab, daß man dich nicht so weit sieht.«

»Gott sei Dank, ihr Leute, daß wir auf die roten Halunken stoßen, denn auf diese Weise komme ich von meiner Bestie herab!« erwiderte dieser, indem er sich mit einer Miene, als sei er einer fürchterlichen Gefahr entronnen, von dem Gaul herabbalancierte. »Wie viele sind es denn gewesen?«

»Fünf, das ist sicher. Und daß sie zu den Ogellallahs gehören, daran ist auch kein Zweifel.«

»Woran erkennst du das?«

»Weil vier von ihnen neueingefangene Pferde haben. Das Tier des Fünften ist uns entgangen, als wir sie überrumpelten, und zum Fang der andern benutzt worden. Macht euch kampfbereit. Wir müssen ihnen nach, um zu sehen, was sie wollen!«

Die drei Männer sahen nach ihren Büchsen, machten ihre Waffen gebrauchfertig und folgten dann den Spuren, aus deren Richtung ein näherer Zweck des Rittes jedoch nicht zu erkennen war. Sie führten endlich gerade auf ein schmales aber tiefes Flüßchen zu, das die Indianer durchschwommen haben mußten, da man ihre Spur am jenseitigen Ufer erkennen konnte.

Hammerdull musterte, vorsichtig zwischen dem Gesträuch haltend, das drüben sich ausbreitende, hügelige Gelände.

»Wir müssen ihnen auch dort nach. Sie führen nichts Gutes im Schilde, und wenn ich berechne, daß wir ihnen vor – –«

Er konnte nicht weiter sprechen; ein Lasso zischte durch die Luft, schlang sich um seinen Hals und riß ihn zur Erde. So erging es auch den beiden andern; ehe sie an Gegenwehr denken konnten, waren sie von den fürchterlichen Riemen umschlungen, lagen unter den Feinden, wurden ihrer Waffen beraubt und gefesselt. Es waren fünf Indianer.

Mit wahrhaft gigantischen Anstrengungen sträubte sich der Steuermann gegen die Umschlingung; es half ihm nichts; die Büffellederriemen waren zu fest; er erreichte nichts als ein verächtliches Knurren von seiten der Indianer. Dick Hammerdull und Pitt Holbers dagegen nahmen die Sache gelassener. Sie schwiegen und ergaben sich regungslos in ihr Geschick.

Der Jüngste der Wilden trat vor sie hin. Drei Adlerfedern schmückten sein hochgeflochtenes Haupthaar, und das Fell eines Jaguars hing ihm von den Schultern hernieder. Er musterte sie mit drohendem Blick und begann dann mit einer verächtlichen Handbewegung:

»Die weißen Männer sind schwach, wie die Brut des Präriehundes; sie vermögen nicht, ihre Fesseln zu zersprengen!«

»Was sagt der Halunke?« fragte Peter Polter, der die Mundart des Wilden nicht verstand, die beiden Leidensgefährten.

Er erhielt keine Antwort.

»Die weißen Männer sind keine Jäger. Sie sehen nicht, sie hören nicht und haben keine Klugheit. Der rote Mann sah sie hinter sich herkommen. Er ging durch das Wasser, um sie zu täuschen, und kehrte zurück. Sie haben keine List gelernt und liegen nun auf der Erde wie Kröten, die man mit dem Stocke zerschlägt.«

» Mille tonnerre, wollt ihr mir wohl endlich sagen, was der Kerl zu schwatzen hat, he?« schrie der Steuermann, sich erfolglos unter seinen Fesseln emporbäumend.

Die Angeredeten schwiegen auch jetzt.

»Die weißen Männer sind feig wie die Mäuse. Sie wagen nicht, mit dem roten Mann zu sprechen; sie schämen sich, vor ihm zu liegen als – –«

»Heiliges Graupelwetter, was er sagt, frage ich euch, ihr Schufte!« brüllte Peter, jetzt über ihr Schweigen noch wütender, als über die Lage, in die sie durch ihre Unvorsichtigkeit geraten waren.

»Ob er etwas sagt oder nicht, das bleibt sich gleich,« meinte Hammerdull; »aber er schimpft dich eine dumme, feige Kröte, weil du so unvorsichtig gewesen bist, dich fangen zu lassen.«

»Dumm – feig – Kröte – mich schimpft er –, mich bloß? Habt ihr euch etwa nicht auch fangen lassen? Wartet, ihr Schlingel, er soll den Peter Polter aus Langendorf kennen lernen und ihr dazu! Mich allein hat er geschimpft, mich allein, hahaha! Na warte, so werde ich ihm auch beweisen, daß nur ich allein mich nicht vor ihm zu fürchten brauche!«

Er zog die sehnigen Glieder langsam zusammen. Die Indianer waren seitwärts getreten, um sich leise zu beraten und bemerkten diese Bewegung nicht.

»Eins, zwei – drei – adjes, Dick Hammerdull – adjes, Pitt Holbers – kommt recht bald hinterdrein gesegelt!«

Das Vertrauen auf seine Riesenkraft hatte ihn bei dieser fast übermenschlichen Anstrengung nicht im Stich gelassen. Die Riemen sprangen; er schnellte empor, stürzte zum Pferd, schwang sich auf und flog davon.

Die Wilden hatten das Entkommen eines ihrer Gefangenen für unmöglich gehalten, und die Bewegungen des Steuermannes waren so blitzschnell gewesen, daß er schon eine ziemliche Strecke zurückgelegt hatte, ehe sie nach den Schießwaffen griffen. Die Kugeln trafen ihn nicht; aber zwei der Indianer saßen auf, ihn zu verfolgen. Die andern blieben bei den beiden Gefangenen zurück.

Während des ganzen Zwischenfalls war kein Wort, kein Ruf zu hören gewesen; jetzt trat der junge Wilde, der vorhin gesprochen hatte, wieder zu den Jägern heran und fragte sie:

»Kennt ihr Deadly-gun, den weißen Jäger?«

Die Gefragten würdigten ihn keiner Antwort.

»Ihr kennt ihn, denn er ist euer Häuptling. Aber ihr habt auch Matto-Sih, die Bärentatze gekannt, dessen Blut von euren Händen geflossen ist. Er weilt in den ewigen Jagdgründen, und jetzt steht sein Sohn vor euch, um seinen Tod an den weißen Männern zu rächen. Er ist mit den Jünglingen den alten Kriegern nachgezogen, die das Feuerroß fangen wollten, und hat zweimal die Leichen seiner Brüder gefunden. Den Entkommenen hat er neue Pferde gefangen und wird nun die Mörder an den Feuerpfahl liefern.«

Er trat zurück. Die beiden Jäger wurden, ohne daß sie sich dagegen wehrten, auf ihre Pferde gebunden; dann ging es über das Flüßchen hinüber dem Walde zu, der sich längs des hügeligen Horizonts hinzog. Die drei Wilden wußten, daß sie wegen der zwei Uebrigen, die dem Steuermann nachgeritten waren, keine Sorge zu haben brauchten.

Als sie den Wald erreichten, war es Abend. Sie ritten an dessen Rande hin und dann ein kleines Stück hinein, bis sie auf eine Schar junger Indianer trafen, die um ein kleines, gedämpftes Feuer saßen. Sie hatten sich, obgleich sie keine erwachsenen Krieger waren, unter der Anführung des Häuptlingssohnes aufgemacht, um ihren älteren Angehörigen nach dem Ueberfall des Zugs entgegenzureiten, und hatten dabei deren Niederlage bemerkt. Sie brannten darauf, den Tod der Ihrigen zu rächen, und waren entzückt, als sie jetzt die Gefangenen sahen. Aufmerksam lauschten sie dem Bericht ihres jungen Anführers, der, hochaufgerichtet unter ihnen stehend, ihnen die Gefangennahme der Weißen erzählte und daran seine weiteren Vorschläge schloß.

Seine Worte schienen Beifall zu finden, wie ein oft eingeschaltetes »Uff!« seiner Zuhörer zeigte. Dann trat der einzige Weiße, der sich unter ihnen befand, hervor und begann:

»Der große Geist öffne die Ohren meiner roten Brüder, damit sie das verstehen, was ich ihnen jetzt zu sagen habe!«

Nach einigem Räuspern fuhr er fort:

»Deadly-gun ist ein großer Jäger; er ist stark wie der Bär des Gebirges und klug wie die Katze hinter dem Stamm der Sykomore; aber er ist ein Feind des roten Mannes und hat ihm mehr als hundert Skalpe genommen. Er hat Matto-Sih getötet, den berühmten Häuptling der Ogellallahs, hat die Hälfte des Stammes niedergeschlagen und sich wieder frei gemacht, als er in unsre Hände fiel. Deadly-gun hat das Gold der Berge in seinem Wigwam aufgestapelt, und niemand darf wissen, wo er wohnte. Er ist mein Feind, und darum nahm ich meine Männer, um sein Wigwam zu finden und ihm das Gold zu nehmen. Da trafen wir auf unsre roten Brüder, verbanden uns mit ihnen und wurden einig: sie das Blut und wir das Gold der Feinde. Aber am Himmel stand für uns kein günstiges Gestirn; die weißen Männer wurden außer mir alle getötet, und von den roten Brüdern behielten nur wenige das Leben. Wir waren ohne Waffen und Pferde, und die Not hätte uns ergriffen, wenn wir nicht auf die jungen Krieger des Stammes getroffen wären, die ausgezogen waren, um zu zeigen, daß sie würdig sind, in den Reihen der Tapfersten zu kämpfen. Sie werden die Getöteten rächen und die Skalpe ihrer Feinde nehmen, aber anders, als der junge Häuptling will.«

Ein Ruf der Spannung ging durch den Kreis der Zuhörer. Der Sprecher fuhr fort:

»Ich habe den Zugang zum Wigwam des Feindes entdeckt. Er wohnt in einer Höhle, in die das Wasser führt, das die Spur seines Fußes und seiner Pferde verdeckt. Meine Brüder wollen in der Dunkelheit der Nacht da eindringen und ihn im Schlaf töten. Aber die roten Männer mögen erwägen, daß er nicht ohne Wächter ist und jetzt einer seiner Leute ihnen entkommen ist, der ihm ihre Anwesenheit verraten wird. Ich weiß einen bessern Weg zu ihm.«

»Der weiße Mann spreche!« ertönte es.

»Das Wasser, das in den Wigwam fließt, bleibt sicher nicht darin, sondern fließt wieder ab. Ich habe den Ort gefunden und will jetzt den jungen Häuptling hinführen, um zu entdecken, ob durch die Erde zu gelangen ist. Man frage die beiden Gefangenen, ob sie davon wissen!«

Der Vorschlag wurde mit allgemeinem Beifall aufgenommen; der Kreis teilte sich, und der Anführer trat auf Pitt Holbers und Dick Hammerdull zu, die gefesselt und geknebelt in der Nähe lagen.

Sie hatten jedes Wort vernommen. Der Gedanke des feindlichen Trappers hatte jedenfalls seine Berechtigung, doch wußten sie von einem zweiten Eingang zu dem Hide-spot nicht das geringste.

Das Versteck Deadly-guns bestand allerdings aus einer Höhle, die von der Natur im Innern eines kalkfelsigen Berges gebildet worden war. Der Zugang zu ihr war durch das Wasser eines Baches gebrochen worden, der sich im Hintergrund der Höhle brausend in die dunkle Tiefe des Berginnern stürzte und nach der Meinung der Jäger dort verschwand. Deadly-gun hatte diese Höhle selbst entdeckt, sie als Versteck eingerichtet und über ihre Beschaffenheit nie anders gesprochen, als daß sie nur bis an den Rand des Sturzbachs zu betreten sei.

Es wurde den Gefangenen der Knebel aus dem Munde genommen; dann führte man sie in den Kreis, wo der weiße Trapper das Verhör begann:

»Ihr seid Leute von Deadly-gun?«

Hammerdull würdigte ihn keines Blicks, wandte sich aber zu seinem Freund.

»Pitt Holbers, altes Coon, was meinst du, wollen wir dem verräterischen Halunken antworten?«

»Hm, wenn du denkst, Dick, daß wir uns nicht zu schämen und zu fürchten brauchen, so stopfe ihm doch einige Worte in das Ohr!«

»Ob ich sie ihm hineinstopfe oder nicht, das bleibt sich gleich; aber er könnte wirklich denken, wir hätten aus Angst vor ihm und den Indsmen die Sprache verloren; also wollen wir ihm einiges zu hören geben!«

Der Trapper blieb zu dem ›... Halunken‹ ruhig. Er wiederholte seine Frage:

»Ihr gehört zu Deadly-gun?«

»Ja, und Ihr nicht, weil der Colonel nur ehrliche Männer bei sich haben mag.«

»Schimpft, wie Ihr wollt, wenn Ihr meint, daß für Euch etwas dabei herauskommt; für jetzt habe ich nichts dagegen. Wie nennt Ihr Euch?«

»Wäret Ihr vor zwanzig Jahren über den Mississippi hinübergegangen und hättet vierzig Jahre lang gesucht, so wäre Euch vielleicht jemand begegnet, der Euch sagen könnte, wie ich heiße. Jetzt aber ist's zu spät.«

»Mir auch gleich. Ihr habt Gold im Hide-spot

»Viel, sehr viel, jedenfalls aber mehr, als Ihr Euch dort holen werdet.«

»Wo liegt es vergraben?«

»Wo es vergraben liegt, das bleibt sich gleich, Ihr dürft es ja nur finden!«

»Wie stark ist Eure Gesellschaft?«

»So stark, daß jeder einzelne Euch heimleuchten wird.«

»Wer war der Indsman, der Eurem Colonel von den Banden half?«

»Das darf ich Euch schon sagen; er heißt ungefähr Winnetou.«

»Der Apatsche?«

»Ob Apatsche oder nicht, das bleibt sich gleich; aber er wird es wohl sein.«

»Wie viel Ausgänge hat Euer Versteck?«

»Grad so viele, wie Männer da sind.«

»Das sind?«

»Für jeden einen und denselben, nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, Dick, ich habe nichts dagegen!«

»Beschreibt mir einmal die Höhle!«

»Seht sie Euch an, das wird Euch besser bekommen!«

»Gut, wie Ihr wollt! Ihr hättet Euch Eure Lage erleichtern können, aber Ihr wollt es nicht anders haben, als daß Ihr gepfählt und verbrannt werdet. Ihr werdet mit in die Dörfer der Ogellallahs genommen, und was dort geschieht, könnt Ihr Euch denken!«

»Pah! Ob gepfählt oder verbrannt, das bleibt sich gleich; für jetzt jedoch sind wir noch hier, und Ihr mögt Euch vorsehen, daß ich Euch nicht ein wenig klopfe, damit Ihr später besser schmort und bratet, wenn Euch dieses Glück an unsrer Stelle zustößt!«

Der Trapper wandte sich ab.

»Meine roten Brüder mögen diesen weißen Männern noch strengere Fesseln geben als bisher; sie verdienen den Tod am Marterpfahl!«

Hammerdull und Holbers wurden schärfer geschnürt und wieder zur Erde geworfen. Das Feuer brannte, wurde aber so spärlich und langsam genährt, daß der Geruch des Rauches nur auf wenige Schritte zu bemerken war. Der abendliche Schimmer, der vor kurzer Zeit noch über dem Laubdach des Urwaldes gespielt und geschwebt hatte, war verschwunden; es wurde finster und immer finsterer, und gar unter der Blätterdecke herrschte ein so dichtes Dunkel, daß das geübte Auge eines Indianers oder Westmanns dazu gehörte, die nächsten Gegenstände zu unterscheiden.

Da brach der Trapper mit dem jungen Anführer der Indianer auf, um ihm die Höhle Deadly-guns zu zeigen. Die andern blieben zurück. Der junge Häuptling schritt lautlos hinter dem Weißen her. Der Weg, den der Trapper trotz der dichten Dunkelheit nicht verfehlte, führte in gerader Richtung durch den Wald, zwischen den Riesenstämmen tausendjähriger Eichen und Buchen hindurch, bis sie an den Lauf eines Wassers kamen, den sie mit verdoppelter Vorsicht aufwärts verfolgten.

Nach einiger Zeit gelangten sie an die Stelle, wo die Wellen aus dem Fuß des Berges traten. Dichtes Gesträuch bestand diesen Ort. Der Trapper langte in das Gestrüpp, schob es auseinander und verschwand dahinter. Der Indianer folgte ihm. Sie befanden sich in einem niedrigen natürlichen Stollen, dessen Sohle das Bett des Baches bildete, in dessen Wasser sie langsam vorwärts krochen.

Es war ein äußerst beschwerlicher Weg, den sie zurücklegten. Auch der Trapper verfolgte ihn zum erstenmal; er war heut bloß bis an den Eingang gekommen. Sie mochten wohl eine halbe Stunde lang dem durch das Innere des Berges in zahlreichen Windungen und kleinen Schnellen sich arbeitenden Wasser entgegengekrochen sein, als sie ein leises Brausen vernahmen, das von Sekunde zu Sekunde stärker wurde und endlich ein Getöse bildete, das auch den lautesten Schall der menschlichen Stimme unhörbar machte.

Sie standen vor dem senkrechten Fall des Bachs. Oben über ihnen befand sich der Hide-spot Deadly-guns, und vor ihnen lag ein von dem stürzenden Wasser gewiß sehr tief ausgehöhltes Kesselloch, aus dem die Wellen an ihren Füßen vorüberspülten. Wurde der Wasserlauf wirklich als geheimer Ausgang benutzt, so mußte es irgend eine Vorrichtung geben, die die Möglichkeit bot, neben dem stürzenden Bach von oben in die Tiefe zu gelangen.

Der Trapper suchte mit tastenden Händen. Seine Erwartung hatte ihn nicht getäuscht; er ergriff ein Doppelseil, stark und haltbar aus Schlingpflanzenfaser gedreht und in zahlreiche Knoten geschlungen, so daß es keiner großen Anstrengung bedurfte, sich an ihm auf- oder abwärts zu bewegen.

Er unterrichtete seinen Begleiter von diesem Fund und dem daraus hervorgehenden Unternehmen, da zu sprechen nicht möglich war, durch fühlbare Fingerzeige; dann versuchte er, ob das Seil oben auch genügend befestigt sei, und zog sich dann langsam an ihm in die Höhe.

Der Indianer folgte ihm.

Es war für die Uneingeweihten eine gefährliche und mühevolle Arbeit, sich neben dem Wassersturz, dessen Sprühregen sie durchnäßte und dessen Schall in dem engen Raum sie fast betäubte, empor zu turnen, unter sich eine ungekannte Tiefe und über sich einen vielleicht nur allzu wachsamen Feind. Sie schreckten nicht vor ihm zurück, der eine aus Gier nach dem Gold, von dessen Menge man sich Wunderdinge erzählte, und der andre aus jugendlicher Tatenlust.

Sie legten ihn glücklich zurück und faßten im oberen Bett des Wassers festen Fuß. Das Getöse des Falls machte es ihnen unmöglich, irgendein Geräusch vor sich zu entdecken; sie tasteten sich langsam vorwärts, bis der Schall sich zu einem leisen Rauschen gemildert hatte. Da blieb der Trapper stehen; es war ihm, als habe er menschliche Laute vernommen. Er zog das Messer, lockerte den wegen des Wassers bisher sorgsam verhüllten Revolver und schlich mit dem ebenso kampfbereiten Indianer langsam und geräuschlos vorwärts. Die Stimmen wurden deutlicher. Die beiden schlichen sich weiter hin, legten sich nieder, lauschten aufmerksam und hörten jemand leise sprechen:

»Verdammt, mir schneiden die Riemen in das Fleisch, als seien sie aus Messerschneiden gedreht. Der Teufel hole diesen Deadly-gun und seine ganze Gesellschaft!«

»Klage nicht, sage ich dir; es wird ja nicht besser dadurch. Wir sind nur selbst an unsrer Lage schuld. Hätten wir besser Wacht gehalten, so wären wir nicht so schmählich überrumpelt worden. Dieser Winnetou ist ein wahrer Teufel, der Colonel ein Herkules und die andern sind alle Männer, die schon manchen guten Messerstich in ihrem Fleische gefühlt haben. Aber einen Trost haben wir: sie werden uns nicht töten, und das gibt Hoffnung. Ich habe bald die Hände frei und dann, sacrebleu, dann werde ich mit ihnen Abrechnung halten, denn wir werden – –«

»Mertens – Master Mertens, seid Ihr es?« klang da eine leise Frage aus dem Hintergrund des Raumes, in welchem Mertens und Letrier gebunden lagen.

»Wer ist da?« antwortete der Gefragte, aufs höchste überrascht.

»Sagt erst, wer ihr seid!«

»Heinrich Mertens und Peter Wolf, weiter niemand. Wir liegen hier gefangen und gefesselt. Unsre Feinde sind weit vorn und können uns nicht hören. Wer aber seid Ihr?«

»Das sollt ihr gleich erfahren. Gebt einmal eure Riemen her; wir wollen sie gleich herunter haben!«

Einige Griffe genügten, um die Gefangenen von ihren Banden zu befreien. Die vier Männer hatten sich nach wenigen Worten erkannt und verständigt.

»Wie kommt ihr in die Höhle?« fragte Mertens. »Sie geht ja nur bis zum Wasserfall!«

»Für einen Schwachkopf, der nicht nachdenken kann, ja; ich aber habe mir die Sache so prächtig zusammengereimt, daß ich diesem alten Deadly-gun schnell hinter die Schliche gekommen bin. Das Wasser kann doch unmöglich hier im Berg verschwinden.«

»Ah!«

»Es muß einen Ausweg, einen Abfluß haben.«

»Natürlich. Daß ich doch an diesen Umstand nicht gedacht habe!«

»Diesen Ausweg habe ich gefunden und das andre dazu.«

»Weiter, weiter!« drängte Mertens.

»An der Seite des Falls führt ein Seil hinab. Mit seiner Hilfe gelangt man wieder in den ruhigen Bach und von da in das Freie. Wollt ihr mit? Natürlich!«

Mertens überlegte einige Sekunden.

»Sehr gern; aber es geht nicht.«

»Warum nicht? Fürchtet ihr euch vor dem bißchen Klettern?«

»Pah! Wir haben vielleicht mit dergleichen Tauen oder Seilen mehr zu tun gehabt als ihr. Aber wenn wir euch folgen, verderben wir euch und uns den ganzen Streich.«

»Wieso?«

»Es ist jedenfalls geratener, ihr bindet uns wieder und laßt uns hier, bis ihr mit allen euern Indsmen wiederkommt.«

»Ich meine doch nicht, daß es euch hier so sehr gefallen kann!«

»Wenn ich mich jemals vor irgendwem fürchten könnte, so würde ich mich hüten, hier zu bleiben. Bedenkt, was für eine Menge Gold hier aufgestapelt liegt. Wenn unsre Flucht vor der Zeit entdeckt wird, so ist es für uns verloren, und wenn wir dann wiederkommen, um es zu holen, dann bereiten wir uns einen Empfang, der uns den letzten Atem nimmt.«

»Beim Teufel, Ihr habt recht; das konnte ich mir eher denken! Wir brauchen einige Stunden Zeit, ehe wir wieder hier sein können, und während dieser Frist würde alles verloren sein. Habt ihr wirklich den Mut, bis dahin zu bleiben, wo ihr seid?«

»Unnütze Frage! Nur setze ich voraus, daß ihr uns nicht etwa im Stich laßt.«

»Fällt uns gar nicht ein! Die roten Gentlemen haben mit dieser Gesellschaft ein notwendiges Wörtchen zu sprechen, und ich bin auch nicht so dumm, das schöne Metall hier liegen zu lassen.«

»Gut, so bindet uns wieder!«

»Kommt her! Fest werde ich es nicht machen; und hier habt ihr für den Notfall ein Messer, mit dem ihr euch helfen könnt. So, das ist getan, und nun fort!«

Die beiden kühnen Männer verschwanden mit unhörbaren Schritten. Die Gefangenen hatten ihre vorige Stellung wieder eingenommen; sie fühlten sich um vieles sicherer und leichter als vor wenigen Augenblicken. – –

Während dies im Innern des Hide-spot geschah, lehnte der kleine Ben Cunning außerhalb des Lagers unweit des Haupteingangs an einem Baumstamm und horchte aufmerksam auf jedes Geräusch, das die nächtliche Stille ihm zu Ohren brachte. Er hatte den Posten übernommen, um für die Sicherheit der Gesellschaft zu sorgen.

Da vernahm er ein Plätschern, wie von eiligen Schritten, die sich im Bache fortbewegten. Er warf sich zur Erde nieder, um den Nahenden besser zu erkennen, ohne selbst bemerkt zu werden. Dieser blieb in seiner Nähe stehen und versuchte, die dichte Dunkelheit zu durchdringen.

» Have-care – attention – Achtung! Ist denn hier kein Mann von der Wacht an Bord?« fragte er.

»Peter Polter, du bist's?«

»Na, wer sollte ich denn sein, wenn ich nicht der Peter Polter aus Langendorf bin, he? Wen hat der Colonel denn eigentlich hergestellt? Man kann ja nicht einmal sein eignes Gesichtsbugspriet erkennen!«

»Wer ich bin? Kennt der Peter Polter den Ben Cunning nicht und steht doch nur zwei Schuh von ihm so lang da wie ein Hickorystamm! Wo sind denn die andern?« »Welche andern denn, alter Swalker?«

»Nun, Hammerdull und Holbers! Und wie ist's mit dem Fleisch, das ihr holen sollt?«

»Das Fleisch holt euch nur selber und den Dicken dazu mit samt dem Dünnen. Ihr findet alles bei den Indsmen draußen am Fluß, wenn sie nicht unterdessen um ein weniges weiter geritten sind.«

»Indsmen – am Fluß? Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, daß ich keine Zeit habe, mit dir ein langes Garn abzuwickeln,« erwiderte Peter Polter dem kleinen Ben Cunning. »Ich muß hinein zum Colonel; von ihm kannst du nachher alles hören.«

Er wandte sich dem Eingang der Höhle zu. Dort saßen die Jäger um das Feuer. Deadly-gun erkannte den Nahenden.

»Schon wieder hier, Steuermann?« fragte er. »Die andern sind wohl mit dem Fleisch noch zurück?«

»Ja, mit dem roten Fleisch, Sir! Sie sind gefangen und werden nun gehenkt oder erschossen oder gefressen – mir ganz gleich.«

Die Männer sprangen empor.

»Gefangen? Von wem? Erzähle!« riefen sie.

»Das soll geschehen. Aber langt mir einmal einen Schluck und einige Bissen von dem Zeug dort her. Ich bin gesegelt wie ein Avisokutter und krache in allen Fugen wie ein Wrack, das den Kalfater verloren hat. Der Teufel soll mich holen, wenn ich jemals wieder in diese unselige Prärie komme, und mich auf den Rücken einer solchen Bestie verteie, die mit mir in die Lappen geht, so daß ich den richtigen Kurs verliere und in alle Ewigkeit nicht wiederfinden kann. Hätte das Viehzeug nicht ganz von selbst den Hide-spot gewittert, so flöge ich noch in zehn Jahren draußen im Grase herum!«

Das Verlangte wurde ihm gegeben, und er begann seinen Bericht, der eine nicht geringe Aufregung hervorbrachte, obgleich sich diese bei den an Schweigsamkeit und Selbstbeherrschung gewöhnten Jägern nicht in heftiger und geräuschvoller Weise zeigte.

»Hammerdull und Holbers gefangen?« fragte der Colonel. »Sie müssen befreit werden, und zwar so bald wie möglich, denn die Roten werden kurzen Prozeß mit ihnen machen.«

»Wir brechen sofort auf!« meinte Treskow, der die beiden originellen Trapper lieb gewonnen hatte und ihnen daher schleunigste Hilfe gönnte.

»Ja,« stimmte Thieme bei; »wir müssen uns sofort aufmachen, sonst erhalten die Indsmen einen Vorsprung, den wir ihnen nicht wieder abgewinnen können!«

Deadly-gun lächelte.

»Ihr werdet doch warten müssen bis zum Anbruch des Morgens, da es in der Dunkelheit unmöglich ist, eine Spur zu erkennen. Ich glaube kaum, daß uns der Steuermann jetzt an das Wasser zu führen vermag, wo er von ihnen überrumpelt worden ist.«

»Ich –? An das Wasser –?« rief Peter Polter erbost. »Was geht mich das armselige Wasser an, wo wir einen so elenden Schiffbruch erlitten haben? Ich lasse mich von oben bis unten durchsägen, wenn ich sagen kann, ob die Pfütze rechts oder links von hier liegt. Ich habe weder Kompaß noch Logleine mitgehabt und bin von dem Dicken und Langen ins Schlepptau genommen worden, so daß ich mir nicht die geringste Mühe gegeben habe, auf den Kurs zu merken, den wir gesteuert sind. Und später ist die verteufelte Bestie mit mir davongestrichen, daß mir Hören und Sehen vergangen ist. Was soll ich von eurem Wasser wissen? Laßt mich in Ruh damit!«

»Hihihihi,« lachte der herbeigetretene kleine Ben Cunning in seiner gewöhnlichen Weise, »reitet der große Mensch draußen in der Prärie herum und weiß nicht, wo er gewesen ist! Nun werden wir erst seiner Fährte folgen müssen, ehe wir die Spuren der Redmen finden. Ist das nicht lustig, he?«

»Willst du wohl den Schnabel halten, du winziges Geschöpfchen du?« donnerte ihm der ob dieses Spotts ergrimmte Steuermann entgegen. »Wenn ich an Bord eines guten Schiffs stehe, so weiß ich auch die Linie, wo ich mich befinde; aber hier in der Savanne und noch dazu auf dem Rücken eines solchen Pestilenzviehzeugs ist es einem ja so fürchterlich schlimm zumute, daß man sich vor Herzeleid nicht einmal auf den eigenen Verstand besinnen kann. Willst du deine Redmen haben, die Halunken, so suche sie dir selber!«

»Ich denke, wir brauchen weder der Spur des Steuermanns zu folgen, noch die Fährte der Indianer zu suchen,« meinte Deadly-gun. »Die jungen Leute der Ogellallah sind in kriegerischem Tatendurst den erfahrenen Männern entgegengeritten, haben deren Leichen gefunden und dürsten nun nach Rache. Ganz sicher haben sie sich einen verborgenen Lagerplatz aufgesucht, zu dem man die beiden Gefangenen schleppt. Dort wird man sie nach unsrem Hide-spot ausforschen; aber Hammerdull und Holbers sterben lieber, als daß sie uns verraten. Darum würde es den Indsmen schwer werden, ihn zu entdecken; aber ich meine, daß ihre entkommenen Genossen zu ihnen gestoßen sind, und da diese die Gegend unsers Verstecks so ziemlich wissen, so wird man einen Ueberfall beschließen und zwar einen baldigen, damit uns der ihnen entflohene Steuermann nicht zeitig genug zu warnen vermag. Aus ebendiesem Grund sind sie sicher schon unterwegs und wir haben sie zu erwarten, ohne sie erst aufsuchen zu müssen. Der Posten mag daher wieder an seinen Platz gehen und wird verdoppelt. Wir andern halten uns schlagfertig. Also, das Feuer aus vor der Höhle, Kinder! Die Kienfackeln im Innern können weiter brennen. Ich werde einmal nach unsern beiden Gefangenen sehen.«

»Ich gehe mit, Onkel,« meinte Thieme; »ich habe die meiste Veranlassung, mich zu überzeugen, daß wir sie festhaben.«

Er ergriff einen der brennenden Kienäste und leuchtete dem voranschreitenden Colonel.

Bei den Gefangenen angekommen, warf der letztere einen forschenden Blick auf sie. Sein Auge fiel dabei auf den feuchten und infolgedessen etwas weichen Kalkboden der Grotte. Ueber sein Gesicht zuckte ein gedankenschneller Blitz der Ueberraschung, der allerdings kaum zu bemerken war, da die düster rote Flamme nur von seitwärts auf ihn fiel.

»Alles sicher; komm!« meinte er ruhig und verließ mit seinem Begleiter den Platz. Aber zu den Seinigen zurückgekehrt, genügte ein halblauter Ruf, sie schleunigst um sich zu versammeln.

»Hört, Leute, ich habe recht geraten. Die Indsmen sind nicht nur unterwegs, sondern sogar schon im Hide-spot gewesen. Sie haben es entdeckt!«

Eine dem Schrecken nahe Verwunderung zeigte sich auf den Gesichtern der sofort nach Messer und Revolver greifenden Leute. Der Colonel fuhr fort:

»Ich muß euch ein Geheimnis mitteilen, von dem ich bisher aus Rücksicht auf die allgemeine Sicherheit kein Wort verlauten ließ. Die Höhle hat nämlich einen verborgenen Ausgang.«

»Ah!« klang es leise rundum.

»Ich fand ihn an demselben Tag, an dem ich die Höhle entdeckte. Das Wasser des Baches fällt hinten in die Tiefe und hat sich da einen Kessel gegraben, aus dem es durch das Innere des Berges seinen Ausweg findet. Ich befestigte damals an der Seite des Falls ein festgedrehtes Doppelseil, ließ mich hinab und fand, daß der Durchgang am Wasser entlang und hinaus ins Freie möglich ist. Das Seil hängt noch und befindet sich in gutem Zustand. Als ich nun jetzt nach unsern Gefangenen sah, bemerkte ich fremde Fußtapfen im Boden; ein rascher Blick auf die beiden Männer überzeugte mich, daß ihre Banden gelockert sind.«

»Wie geht das zu?« fragte Treskow. »Ich habe sie selbst gefesselt und zwar so, daß sie nur mit Hilfe andrer befreit werden können.«

»Die Indianer haben einige Kundschafter ausgeschickt, denen die Entdeckung des Ausgangs gelungen ist. Sie sind hineingedrungen, an dem Seil emporgestiegen, haben die Gefangenen gefunden, ihnen die Bande gelockert und sie jedenfalls auch mit einigen Waffen versehen. Dann sind sie zurückgekehrt, um die Ihrigen zu holen.«

»Warum haben sie da den Kapitän und Marc Letrier nicht mitgenommen?« fragte Thieme.

»Weil dann alles verraten war, wenn wir deren Abwesenheit vor der Zeit entdeckten. Vor allen Dingen müssen wir die zwei gefährlichen Burschen unschädlich machen, indem wir sie wieder binden. Vorwärts, Neffe; wir gehen voran! Die andern folgen leise nach, um sich, sobald der Widerstand, den sie leisten werden, beginnt, auf sie zu werfen. Wir müssen alles Blutvergießen zu vermeiden suchen!« –

Während dieser Unterredung war in der Grotte auch ein leises Gespräch geführt worden.

»Marc, hast du den Blick gesehen?« fragte Mertens flüsternd, als sich Deadly-gun und Thieme entfernt hatten.

»Welchen Blick?«

»Den der Colonel auf den Boden warf.«

»Nein; ich habe den Kerl gar nicht angesehen.«

»Er hat alles entdeckt.«

»Nicht möglich! Er ging ja ganz beruhigt fort.«

»Nichts als schlaue Verstellung! Er sah die Fußspuren des Jägers und Indianers; ich habe es ihm trotz des halben Lichtes augenblicklich angemerkt. Es zuckte ganz verdächtig über sein Gesicht. Dann warf er einen kurzen, aber dolchscharfen Blick auf unsre Fesseln, und der Klang, den sein ›Alles sicher‹ hatte, vervollständigte mir nur den Beweis, daß er alles durchschaut hat.«

»Teufel! Wenn er nun fort wäre, um die Leute zu holen und uns wieder binden zu lassen. Es wäre zum verrückt werden!«

»Er bringt sie sicher.«

»So wehre ich mich bis auf den letzten Blutstropfen. Denn wenn sie uns wieder fesseln, ist alles verloren. Sie werden uns in einen andern Raum stecken und die Indsmen an unsrer Stelle empfangen.«

»Sicher! Aber eine Gegenwehr ist gar nicht notwendig.«

»Wieso?«

»Der einfachste und zugleich der einzige Weg zu unsrer Rettung ist der, daß wir sofort fliehen.«

»Aber wenn Ihr Euch irrt, Kapitän, wenn der Alte gar nichts bemerkt hat?«

»So wäre es einerlei. Sie kämen dann vor der Ankunft der Indianer gewiß nicht wieder hierher, so daß unsre Flucht entdeckt und der Plan des Ueberfalls verraten würde. Ich mache mich davon; wir haben ja gehört, welcher Weg zu nehmen ist. Rasch, ehe es zu spät ist!«

Sie befreiten sich von den Riemen und erhoben sich; dann folgten sie dem Rauschen des Falls und fanden, allerdings erst nach einem längeren und hastigen Suchen, das Seil, an dem sie sich hinunterließen. An der wallenden und brausenden Oberfläche des Beckens angelangt, untersuchte der vorangekletterte Mertens, sich mit den Händen fest am Seile haltend, die engen Felsenwände mit den Füßen und fand die niedere Seitenöffnung, durch die sich die abfließenden Wellen drängten. Ein Schwung brachte ihn in diese hinein; er zog das Seil fest an sich, um seinem Begleiter die Richtung zu geben. Es war ein gefährlicher Augenblick für die beiden Flüchtlinge, die sich wegen des Tobens des Falls keine hörbare Mitteilung machen konnten; aber das mutige Unternehmen gelang, und in tief gebückter Stellung im Wasser fortwatend, kamen sie nach einiger Zeit zwar vollständig durchnäßt, aber sonst ganz wohlbehalten ins Freie.

Hier reckten sie sich in die Höhe und blieben, von der Anstrengung einen Augenblick ausruhend, mit keuchendem Atem halten.

»Hier müssen wir warten, bis die Indsmen kommen,« meinte Letrier.

»Das geht nicht. Der Colonel wird uns verfolgen lassen, sobald er ja unsre Flucht entdeckt. Wir müssen weiter fort.«

»Aber wir kennen das Lager der Indianer nicht!«

»Tut nichts. Wir brauchen uns ja nicht weit zu entfernen, sondern suchen ein Versteck hier in der Nähe und warten das Weitere ab.«

»Das Richtige ist es eigentlich, Kapitän; denn wenn wir jetzt auf die Roten treffen, so müssen wir wieder zurück, und dazu habe ich verteufelt wenig Lust. Jedenfalls ist es geratener, wir schicken die guten Leute für uns in das Feuer und sehen dann zu, wie wir auf eine praktische Weise zu den Kastanien gelangen.«

»Ganz meine Meinung! Komm!«

Sie drangen einige Schritte weit in das Gesträuch ein und verbargen sich in dessen wirrem Dickicht. Hier verhielten sie sich so regungslos wie möglich und lauschten mit angestrengter Aufmerksamkeit in die Nacht hinaus.

Da klang ein leises Geräusch, ähnlich dem Rascheln eines kleinen Insekts, an ihr Ohr.

»Die Indianer!« flüsterte Mertens.

Er hatte sich nicht getäuscht. Mit dem weißen Jäger und dem Sohn des Häuptlings Matto-Sih an der Spitze, nahten sie sich, einer hinter dem andern, in einer langen, mit großer Behutsamkeit sich vorwärts bewegenden Linie. An dem verborgenen Ausgang Halt machend, hielten sie eine kurze Beratung; dann verschwand einer nach dem andern in der kleinen Oeffnung des Wasserlaufs. Zwei aber blieben zurück, um Wache zu halten.

Es verging eine lange, lange Zeit. Der Himmel, den man in der Finsternis vorher nicht von dem Laubdach des Waldes zu unterscheiden vermochte, begann, davon abzustechen; erst ließen sich die einzelnen Stämme erkennen, sodann auch die Aeste und Zweige; hier und da erhob ein erwachender Vogel seinen noch schläfrigen Morgenruf – die Nacht begann dem Tag zu weichen, und die Dämmerung brach herein.

Die zwei wachthabenden Indianer standen regungslos am Ufer des Bachs, da, wo dieser aus dem Berg trat. Sie fühlten gewiß nicht geringe Ungeduld über das unerwartet lange Verbleiben der Ihrigen, aber kein Zug ihrer jugendlichen, bronzenen Gesichter verriet dies. Sie hatten ganz das Aussehen zweier auf den Lauf ihrer Büchsen gestützter und mit allen indianischen Waffen versehener Standbilder.

Da krachten plötzlich zwei Schüsse zu gleicher Zeit, so daß sie wie ein einziger Schuß erklangen; die beiden Wachen stürzten, durch die Köpfe getroffen, zur Erde. Im nächsten Augenblick hoben sich neben ihnen zwei Gestalten empor, die von ihnen unbemerkt die enge Wasserpforte durchschritten hatten. Es waren Deadly-gun und der kleine Ben Cunning.

»Hihihihi!« lachte dieser, »sind zu früh flügge geworden, die kleinen Jungens; haben noch nicht gelernt, die Augen und Ohren aufzutun. Seht Ihr's, Colonel, daß ich recht hatte? Sie haben vergessen, ihre Spuren zu verwischen, und nun können wir den Lagerplatz suchen, wo der Dicke mit dem Dünnen angehobbelt liegt.«

»Getraust du dich allein wieder zur Höhle emporzuarbeiten, Ben?«

»Warum nicht? Glaubt Ihr etwa, Ben Cunning fürchtet sich vor den zwei Tropfen Wassers, die er zu schlucken bekommt?«

»So kehre zurück, während ich inzwischen diesen Spuren folge, und bringe die andern um den Berg herum zu dieser Stelle. Es braucht nur die gewöhnliche Wache zurückbleiben, denn der Platz ist völlig gesäubert. Ich gehe euch voran und ihr kommt mir nach. Sputet Euch aber, mich bald einzuholen!«

Der kleine Trapper verschwand nach einer zustimmenden Gebärde in der Oeffnung, und Deadly-gun begann, die Fährte aufzunehmen. Diese war so deutlich, daß er, wenigstens für den Beginn ihrer Verfolgung, keine übermäßige Aufmerksamkeit auf sie zu verwenden brauchte und sie nur flüchtig nebst dem umherliegenden Gelände überblickte. Daher entgingen dem sonst so scharfsinnigen Manne die Spuren, die von den beiden Flüchtlingen wegen des nächtlichen Dunkels notwendigerweise zurückgelassen waren, und er verschwand, den Fußtapfen der Indianer folgend, gar bald zwischen den Bäumen des Waldes.

Wieder verging eine längere Zeit, dann flüsterte der Kapitän:

»Das ist Pech, sehr großes Pech! Diese braven, kleinen Indianer sind glücklich an dem gefährlichen Seile hinauf in die Höhle gekommen, aber sofort alle niedergemacht worden. Es ist jammerschade um sie! Nun stehen wir wieder allein gegen Deadly-gun und seine Leute!«

»Wäre es nicht besser, Kapitän, wenn wir ihm heimlich folgten?« fragte Marc Letrier. »Wenn wir glücklich entkommen wollen, müssen wir unbedingt Pferde haben und können uns nur an die Tiere der Roten halten.«

»Das geht unmöglich. Die Jäger kommen nach und würden unsre Spur sofort entdecken.«

»Was hindert uns, den Alten für immer unschädlich zu machen? Wir haben Messer.«

»Marc, wir haben gar Vieles und Schweres möglich gemacht, aber Westmänner sind wir nicht. Der Colonel hat ein feines Gehör und ist uns mit seinen Waffen überlegen. Selbst wenn es uns gelänge, einen guten Stich anzubringen und zu den Pferden zu gelangen, so hätten wir kaum einige Minuten später die ganze wütende Horde im Rücken.«

»Wenn der Alte weg ist, brauchen wir die übrigen nicht zu fürchten. Der unsinnige Steuermann, Thieme, der harmlose Polizeispion, sie verstehen von der Prärie nichts und sind – –«

»Und Winnetou, der Apatsche?« fiel ihm Mertens in die Rede.

»Teufel, ja, an den habe ich gar nicht gedacht. Cher dieu, der wäre ganz allein imstande, uns einzuholen und mit seinem verdammten Tomahawk zu zerschmettern. Aber, was tun? In Ewigkeit hier liegen bleiben können wir doch nicht.«

»Du bist ein Schwachkopf, Marc. Im Hide-spot liegt ein ganzer Reichtum an Gold aufgestapelt. Wir warten, bis die Jäger fort sind ...«

»Und dann?«

»Dann,« flüsterte der Kapitän, obgleich kein Lauscher in der Nähe war, »dann kehren wir auf demselben Weg zurück, den wir gekommen sind.«

»Teufel! Nach der Höhle?«

»Versteht sich!«

»Und lassen uns drin abschlachten!«

»Oder auch nicht. Du hast ja gehört, daß bloß ein einziger Jäger als Wache zurückbleiben soll. Er wird eine ganze Strecke von der Höhle entfernt am Bache stehen und uns gar nicht bemerken.«

»Ah – richtig! Der Colonel hat einen großen Fehler begangen, daß er hier am Wasser keinen Posten aufstellte.«

»Natürlich. Also wir kehren in die Höhle zurück.«

»In die Höhle zurück!« wiederholte der andre eifrig, dem das neue Abenteuer zu gefallen begann.

»Suchen nach dem Gold –«

»Nach dem Gold –?«

»Nehmen es fort und –«

»Und?«

»Bewaffnen uns, denn im Hide-spot gibt es allerlei Schieß- und Stechzeug.«

»Das ist wahr, eine ganze Rüstkammer voll.«

»Dann stechen wir den Posten nieder.«

»Das ist allerdings notwendig.«

»Holen uns jeder ein gutes Pferd.«

»Wo stecken die Tiere, Kapitän?«

»Ich weiß es allerdings noch nicht; sie werden aber schon zu finden sein. Die Jäger reiten stets im Bach empor; es muß in dessen Nähe irgendein Platz sein, wo man die Tiere anhobbelt. Wenn wir die Ufer aufmerksam untersuchen, so finden wir ihn ganz gewiß.«

»Und dann?« fragte Marc Letrier.

»Dann geht es fort. Wohin, das wird sich finden, jedenfalls aber westlich. Wenn wir Geld oder Gold bekommen, sehen wir, daß wir nach San Francisco – –«

Er hielt mitten in seiner Rede inne. Ein knisterndes Geräusch, das von der Seite her an ihre Ohren drang, hatte ihn verstummen lassen.

Leise Schritte erklangen. Ben Cunning drang durch die Büsche, hinter ihm außer dem zurückgelassenen Posten die sämtlichen Bewohner des Hide-spot. Auch Winnetou war dabei. Ohne Aufenthalt folgten sie den Spuren, die Deadly-gun ihnen mit Vorbedacht deutlich zurückgelassen hatte. Die beiden Versteckten hielten den Atem an; ein einziger Blick aus dem scharfen, geübten Auge des Apatschen konnte die allerdings jetzt kaum mehr bemerkbaren Eindrücke wahrnehmen, die sie zurückgelassen hatten. Die Gefahr ging glücklich vorüber, da Winnetou sich auf den vorangehenden Trapper verließ und den Boden nicht weiter beachtete.

» Grace à dieu!« meinte Letrier, als das Knistern der Zweige in der Ferne verklungen war. »Jetzt stand wahrhaftig alles auf dem Spiel; und trotzdem ich naß bin bis auf die Haut, habe ich geschwitzt, als steckte ich im Bade.«

»Jetzt ist es Zeit; aber wir müssen nun vorsichtig sein und jede Spur hinter uns verwischen.«

Dieses machte ihren ungeübten Händen so viel Mühe, daß eine bedeutende Weile verging, ehe sie im Bett des Baches verschwanden. Sie kannten den Weg, den sie schon einmal gemacht hatten, und gelangten trotz dessen Beschwerlichkeit glücklich oben an. Der hinter seinem Herrn emporkletternde Letrier hatte eben das Seil verlassen und festen Fuß gefaßt, als er sich von Mertens zurückgehalten fühlte. Sie standen vor einer ganzen Menge herumliegender menschlicher Körper. Durch Betasten überzeugten sie sich, daß es die getöteten jungen Indianer seien. Sie stiegen über die Leichen hinweg und kamen so in die Grotte, wo sie vorher gefesselt gelegen hatten. Hier konnten sie wieder miteinander sprechen.

Letrier schüttelte sich.

»Brrr, Kapitän, die armen Burschen sind einer nach dem andern ruhig abgefangen und ausgelöscht worden, sobald sie in der Höhle ankamen. Ein Glück, daß wir uns verborgen hielten, sonst hätten wir mitgemußt und ganz dasselbe Schicksal erlitten!«

»Wir haben jetzt keine Zeit zu solchen Betrachtungen. Vorwärts, zu den Waffen!«

Sie kehrten wieder in den Hide-spot zurück, der von den Trappern verlassen war. Nur ein einziger Mann stand als Wächter draußen auf der anderen Seite.

In den Hauptraum der Höhle mündeten mehrere kleine Kammern. Eine davon war ringsum mit allen möglichen Kriegswerkzeugen, die das Leben in der Prärie erfordert, behangen. Auch Pulver, Blei und Kugelformen waren in Menge vorhanden. Lebensmittel, wenn auch nicht in einem großen Vorrat, zeigten sich im Nebenraum. In der Haupthöhle brannte eine Talglampe, die ihnen zur Beleuchtung diente.

Die beiden Männer versahen sich zunächst mit allem Nötigen; dann begannen sie, nach den verborgenen Reichtümern zu suchen.

Aber alle ihre Bemühungen waren vergebens. Die kostbare Zeit verging und ihr Forschen wurde von Minute zu Minute hastiger, ohne daß sie etwas fanden.

»Es ist zu sorgfältig versteckt, Marc,« meinte endlich Mertens, als sie vor der letzten Kammer anlangten, die ihnen noch übrig blieb. »Und selbst wenn wir es entdeckten, wie wollen wir es fortbringen? Das Gold ist schwer, und ich wüßte mir keinen Rat.«

»Wir packen es auf Reservepferde.«

»Das wäre das einzige, würde aber unsre Flucht bedeutend verzögern und unsern Marsch sehr verlangsamen. Aber sieh, das muß die Wohnung des Colonels sein!«

Der Raum war an seinen Wänden mit ungegerbten Fellen behangen, um die Feuchtigkeit der Wände abzuhalten, und enthielt einige roh gearbeitete Sessel und Kästen, über welch letztere die Suchenden sofort begierig herfielen. Auch sie enthielten nichts von dem gehofften Golde, sondern nur einen Vorrat von Kleidungsstücken und allerlei sonstigen Gegenständen. Die Sachen wurden in der Eile rings auf dem Boden umhergestreut. Da stieß der Kapitän einen halblauten Ruf der Freude aus. Er hatte eine alte, abgegriffene Brieftasche gefunden, die als letzter Gegenstand, sorgfältig eingewickelt, auf dem Boden eines der Kästen gelegen hatte.

»Kein Gold, aber vielleicht doch von Wert!« sagte er.

Er trat in die Haupthöhle zurück, weil es da lichter war, und öffnete die Tasche.

»Was ist drin, Kapitän?« fragte Letrier mit Spannung.

»Nichts, gar nichts; ich habe mich auch hier getäuscht,« antwortete der Gefragte ruhig; aber in seinem Innern wogte es gewaltig auf und nieder. Der Inhalt bestand in höchst wertvollen Depositenscheinen. Deadly-gun hatte bedeutende Mengen Gold bei verschiedenen Bankhäusern des Ostens abgeliefert und sich über die umgerechneten Summen diese Scheine ausstellen lassen. Der gegenwärtige Besitzer konnte sie bei jeder Bank in Münze umsetzen. Doch, das brauchte Letrier ja nicht zu wissen.

Die Summen, auf welche diese Scheine lauteten, gehörten nicht dem Colonel allein, sondern der ganzen Gesellschaft; darum waren sie so hoch. Jedenfalls gab es noch eine Menge von Goldstaub und Nuggets, sie konnte aber nicht gefunden werden. Eben als sie darüber ihre unmutigen Bemerkungen austauschten, hörten sie ein Geräusch. Es war der Posten, der in die Höhle kam. Mertens, der einen der vorgefundenen Revolver geladen hatte, schoß ihn nieder.

»Nun aber fort!« sagte er dann. »Wir müssen Pferde haben. Hoffentlich finden wir welche!«

Sie nahmen alles an sich, was sie für sich ausgesucht hatten, und gingen nach dem vordern gewöhnlichen Eingang der Höhle. Draußen folgten sie dem Bach und kamen bald an einen schmalen Weg, der auf eine grasbewachsene Lichtung führte, wo sich die Pferde der Gesellschaft befanden.

Sie sattelten schnell zwei Tiere, denn Sättel und Zäume hingen da an den Bäumen, stiegen auf und ritten davon. – –

Inzwischen waren die Jäger alle, mit Ausnahme dieses Postens, den sie zu seinem Verderben allein zurückgelassen hatten, den Spuren der jungen Indianer gefolgt, um Dick Hammerdull und Pitt Holbers zu befreien. Deadly-gun, der vorausgegangen war, wurde bald eingeholt. Er hatte alle mitgenommen, weil man nicht wissen konnte, mit wieviel Roten man es zu tun bekam. Er ging, die Fährte lesend, mit Winnetou voran. Sie war, weil die Roten ihren Marsch des Nachts gemacht hatten, sehr deutlich ausgetreten, und es machte also keine Mühe, sie nicht zu verlieren. Dennoch sahen sie erst nach Stunden den Wald vor sich liegen, wo die Roten gelagert hatten und wohin Hammerdull und Holbers von dem Häuptlingssohn gestern geschafft worden waren. Sie durften nicht geradewegs hin, weil sie sonst von dort aus gesehen werden mußten; darum wichen sie jetzt von der Fährte ab und hielten sich mehr seitwärts, so daß sie den Wald an einer Stelle erreichten, die wohl eine Viertelstunde von der Einmündung der Spur in den Wald entfernt war.

Unter den Bäumen angekommen, wurde dann wieder in einem Winkel in die beabsichtigte Richtung eingelenkt, so daß man sich nun dem Lagerort nicht von vorn, sondern von der Seite näherte. Mit jedem Schritt, der jetzt weiter gemacht wurde, mußte man vorsichtiger sein. Die Männer huschten, immer gute Deckung suchend, von Busch zu Busch, von Baum zu Baum, bis Winnetou, stehen bleibend, den ihm Folgenden ein Zeichen gab. Er hatte Stimmen gehört und schlich sich mit Deadly-gun allein weiter. Bald sahen sie den Ort, den sie suchten, vor sich liegen. Zugleich bemerkte der Colonel, daß er zu vorsichtig gewesen war, als er alle seine Leute mitnahm, denn bei den zwei Gefangenen, die gefesselt an der Erde lagen, befanden sich nur drei Personen, nämlich zwei Indianer und der Weiße, der gestern die Roten zum Ueberfallen des Hide-spot aufgefordert hatte. Es bedurfte nur einiger Minuten, so war die Stelle umringt. Die drei Leute hätten sich ohne Gegenwehr ergeben müssen, sie wurden aber, freilich gegen den Willen Winnetous und des Colonels, niedergeschossen, dann schnitt man den Gefangenen die Riemen durch.

»Aber müßt ihr unvorsichtig gewesen sein, Dick Hammerdull, daß ihr Euch von solchen Knaben habt fangen lassen!« sagte Deadly-gun.

»Ob vorsichtig oder nicht, das bleibt sich gleich,« antwortete der Dicke, indem er seine Glieder reckte; »sie haben uns eben erwischt. Dagegen war nichts zu machen. Was meinst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Hm!« antwortete der Lange. »Wenn du meinst, Dick, daß nichts dagegen zu machen war, so hast du recht, denn wir haben eben nichts dagegen gemacht.«

»Und ein Weißer war dabei!« wunderte sich der Colonel.

»Ja,« nickte Hammerdull; »und grad dieser Kerl hat unser Hide-spot entdeckt. Er führte den jungen Häuptling hin, um es ihm zu zeigen, ist aber dann, als es überfallen werden sollte, nicht mitgegangen, sondern hier geblieben. Wie steht es dort? Die Roten kamen nicht zurück.«

»Sie sind alle ausgelöscht worden; auf welche Weise, das laßt Euch unterwegs erzählen. Jetzt wollen wir gleich fort, denn wir haben nur einen Mann daheim gelassen.«

Was für einen Fehler er damit begangen hatte, das sah er nur zu deutlich, als sie wieder im Hide-spot ankamen. Da fanden sie die Leiche des Postens und sahen sofort, daß alle Abteilungen der Höhle durchsucht worden waren, von wem, darüber konnte es keinen Zweifel geben. Zu seiner Beruhigung überzeugte sich der Colonel zunächst, daß der höchst wertvolle Vorrat von Goldstaub und Nuggets nicht entdeckt worden war; um so mehr aber erschrak er, als er sah, daß die Brieftasche mit den Depositenscheinen fehlte. Der Grimm, den er darüber empfand, teilte sich allen andern mit, und es gab nun nur eine einzige Stimme, nämlich die, daß Mertens und sein Genosse sofort zu verfolgen seien.

Das Geld mußte diesen das Entkommen erleichtern, wenn sie nur erst einen bewohnten Ort erreichten. Darum galt es, mit der Verfolgung keinen Augenblick zu säumen; aber die Trapper mußten sich auch mit den nötigen Mitteln versehen, um nicht ohne Geld zu sein, wenn es zum schnellen Fortkommen nötig sein sollte. Es war also bei allem Unglück noch ein Glück, daß die Entflohenen die Nuggets nicht auch gefunden hatten! – – –


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