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2. Die Trappergesellschaft

Jene weiten Prärien Nordamerikas, die sich westlich vom Vater der Ströme, dem Mississippi, bis an den Fuß des Felsengebirges und von dessen jenseitigem Abhang wieder bis an die Küste des stillen Weltmeeres erstrecken, haben nicht bloß in physikalischer Beziehung mancherlei Aehnlichkeiten mit den unendlichen Fernen, die des Ozeans Wogen erfüllen. Es bieten sich zu einem Vergleich zwischen den Weiten der Savanne und der See Punkte dar, die nicht in äußeren Verhältnissen liegen und von denen einer der bedeutendsten in dem Eindruck zu suchen ist, den die See sowohl als auch die Prärie auf den macht, der sich einmal von der heimischen Scholle losgerissen hat, um entweder auf längere Zeit die Fluten des Meeres zu pflügen oder auf dem Rücken eines guten Pferdes die abenteuervollen Hinterländer der Vereinigten Staaten zu durchstreifen.

Ein alter »Swalker«, Seefahrer. dem Zeit seines Lebens die Segel eines stattlichen Dreimasters um den Südwester schlugen, mag von dem Binnenland nichts mehr wissen, und wird er seeuntüchtig, so baut er sich eine enge, kleine Kabine so nahe wie möglich an das Wasser und blickt mit liebevollem, sehnsüchtigem Auge hinaus auf die ewig wechselnden und nimmer ruhenden Wellen, bis die Hand des Todes ihm die müden Lider schließt.

So ist es auch mit dem, der es wagte, den Gefahren des »wilden Westens« kühn die Stirn zu bieten. Ist er auch einmal zurückgekehrt in Gegenden, über welche die Zivilisation ihren Segen und – ihren Fluch ausgeschüttet hat, so zieht es ihn doch immer wieder zwischen die gefährlichen Post-oak-flats wörtlich: »Eichenpfahlflächen«; gemeint ist der Llano estakado. hinein und in die unbegrenzte Wildnis hinaus, wo es der Anstrengung aller körperlichen und geistigen Kräfte bedarf, um im Kampfe mit den tausenderlei und stets neuen Gefahren der Savanne nicht zu unterliegen. Für ihn gibt es im Alter nur selten ein Ruheplätzchen, wie es der »abgetakelte« Seemann doch an der sicheren Küste findet; ihm läßt es weder Ruhe noch Rast, er muß sich auf den Rücken seines Mustangs hängen und immer wieder in die Ferne ziehen, in der er einst spurlos verschwinden wird. Vielleicht findet ein Jäger nach Jahren seine gebleichten Gebeine auf ausgedorrter Ebene oder zwischen den himmelanstrebenden Felsen des Gebirges liegen, aber er reitet vorüber ohne ein Kreuz oder Ave und fragt nicht nach dem Namen dessen, der hier ein vielleicht grauenvolles Ende nahm. Der Westen hat einen rauhen Sinn und duldet weder Zartgefühl noch Schonung; er ist den physikalischen Stürmen widerstandslos preisgegeben, kennt keine andre Herrschaft als die des unerbittlichen Naturgesetzes und bietet darum auch nur Männern Raum, die ihren einzigen Halt in der eigenen knorrigen Naturwüchsigkeit suchen.

Ein trotz aller Verträge immer von neuem aus seinen angewiesenen Wohnsitzen verdrängter, von der Natur reich begabter und dennoch dem unvermeidlichen Untergang geweihter Menschenschlag liegt hier im Verzweiflungskampf mit einer Nation, der alle körperlichen und geistigen, alle künstlichen und natürlichen Mittel zur Verfügung stehen, den todesmutigen Gegner trotz der heldenmütigsten Gegenwehr gewaltsam zu erdrücken. Es ist ein Jahrhunderte langes Ringen zwischen einem sterbenden Giganten und einem von Minute zu Minute sich mächtiger entwickelnden Sohne der »Gesittung«, der dem Feinde die gewaltige Faust immer enger um die Kehle drückt; ein Ringen, wie es die Geschichte sonst wohl auf keinem ihrer Blätter wieder aufzuweisen hat, begleitet von Heldentaten, die dem, was von unsern klassischen Heroen berichtet wird, getrost und vollgültig an die Seite gestellt werden können. Und wer es wagt, die lang- und breitgestreckten Schlachtgefilde zu betreten, dem darf keine einzige der Waffen mangeln, mit denen die äußerlich unscheinbaren und doch bewunderswerten Kämpfer sich auf Tod und Leben bekriegen.

Wer in Fort Gibson am Arkansas die Büchse über die Schulter legt und einige Tagereisen weit stromaufwärts geht, gelangt an ein kleines Settlement, bestehend aus einigen einfachen Blockhütten, einem gemeinsamen Weideplatz und einem etwas abseits liegenden Hause, das sich schon von weitem durch sein einfaches Schild als Store und Boardinghaus Speisehaus. zu erkennen gibt. Der Wirt dieses Hauses ist nicht gewohnt, große Ansprüche zu befriedigen, und stellt also auch selbst keine an diejenigen, die bei ihm eintreten und verkehren. Niemand weiß, was er früher war und woher er kam; darum fragt er auch keinen nach Namen, Vorhaben oder Reiseziel. Man versorgt sich bei ihm mit dem Nötigen, tut einen » Drink« nach Belieben, schlägt, sticht oder schießt sich ein wenig und geht dann seines Wegs. Wer viel fragt, braucht viel Zeit, und dem Amerikaner ist die Zeit kostbarer als eine Antwort, die er am besten sich selbst geben kann.

In dem Boarraum saßen einige Männer, deren Aeußeres keineswegs gesellschaftsfähig zu nennen war. So unterschiedlich die Kleidungsstücke waren, die sie trugen: sämtliche Anzüge ließen auf den ersten Blick den echten, richtigen Trapper oder Squatter erkennen, der kaum jemals davon gehört hat, was ein guter Schneider zu bedeuten hat, sondern sich seinen Bedarf ohne Wahl da und grad so nimmt, wo und wie er ihn findet.

Wo mehrere Westmänner beisammen sitzen, da ist ein guter Schluck in der Nähe und ebenso sicher eine gute Erzählung im Gang. Daß die Anwesenden grad jetzt still vor sich niederblickten, hatte jedenfalls seinen Grund darin, daß eine jener »dunklen und blutigen Geschichten«, wie man sie in den Grenzländern zu hören bekommt, soeben erst zu Ende gegangen war und nun jeder in seiner Erinnerung nach einer zweiten forschte. Da wurde plötzlich einer von ihnen, der in der nächsten Nähe des kleinen Blockhausfensters saß, laut:

»Auf, ihr Leute, und hinausgeschaut, da hinüber nach dem Wasser!« meinte er. »Täuschen mich meine alten Augen nicht, so kommen da zwei Green-beaks, zwei Grünschnäbel, wie sie im Buche stehen. Seht nur, wie sie zu Pferde sitzen, so nett und so fein, grad wie vom heil'gen Christ beschert! Was tun solche Leute hier in unseren guten Wäldern?«

Alle außer einem Einzigen erhoben sich, um die Ankömmlinge zu mustern: der Sprecher aber legte sich mit breitgespreizten Ellbogen wieder auf den Tisch zurück. Er hatte seine Schuldigkeit getan und brauchte sich um weiter nichts zu kümmern. Er war eine eigentümliche Figur. Die Natur schien im Sinne gehabt zu haben, mit ihm ein Seilerstück anzufertigen, so unendlich hatte sie ihn in die Länge gezogen; alles an ihm, das Gesicht, der Hals, die Brust, der Unterleib, Arme und Beine waren lang, unendlich lang und dabei scheinbar so schwach und dürftig, daß man befürchten mußte, den ganzen Mann beim ersten besten Windstoß zerrissen und in Fäden davonwirbeln zu sehen. Seine Stirn war frei; auf dem Hinterkopf aber baumelte ein namenloses Ding, das vor vielen Jahren vielleicht einmal ein Zylinderhut gewesen war, jetzt aber geradezu aller Beschreibung spottete. Das hagere Gesicht zeigte einen Bart, ja, aber dieser Bart bestand aus kaum hundert Haaren, die einsam und zerstreut die beiden Wangen, Kinn und Oberlippe bewucherten und von da lang und dünn bis fast auf den Gürtel herabhingen. Der Jagdrock, den er trug, schien noch aus seiner frühesten Jugendzeit zu stammen, denn er bedeckte kaum die obere Hälfte des Leibes, und die Aermel reichten nur wenige Zoll über die Ellbogen herab. Die zwei unglückseligen Schalen, in denen die Beine steckten, konnten früher einmal Schäfte von einem Paar riesiger Schifferstiefel gewesen sein, hatten aber jetzt das Aussehen alter, durchgeglühter Ofenrohre und stießen in der Knöchelgegend auf zwei sogenannte horse-feet, wie man sie besonders in Südamerika aus den noch lebenswarmen Häuten der Pferdefüße bereitet.

»Hast recht, Pitt Holbers,« entschied einer der Hinausblickenden; »es sind Green-beaks, die uns nicht viel angehen werden. Laßt sie machen, was sie wollen!«

Die Neugierigen kehrten an ihre Plätze zurück. Draußen ließ sich Pferdegetrappel vernehmen; eine kurze barsche Stimme ertönte, die grad so klang, als sei sie das Befehlen gewohnt, und dann öffnete sich die Tür, um die beiden einzulassen, von denen die Rede gewesen war.

Während von dem zuletzt Eintretenden nicht viel zu sagen war, wäre die Persönlichkeit dessen, der den Vortritt genommen hatte, in anderer Umgebung sicher nicht ohne Eindruck geblieben.

Ohne auffallend stark gebaut zu sein, erhielt er durch eine eigentümliche Weise der Haltung und Bewegung ein ungemein kraftvolles und gebieterisches Aussehen. Sein regelmäßig, ja schön gezeichnetes Gesicht war von der Sonne tief gebräunt und wurde von einem dichten, dunklen Bart umrahmt. Seine Kleidung war vollständig neu, und seine Waffen konnten ebenso wie die seines Begleiters erst vor kurzem den Laden des Händlers verlassen haben, so blank und sauber sahen sie aus.

Der echte Trapper oder Squatter hegt einen unüberwindlichen Widerwillen gegen alle auf die äußere Erscheinung gerichtete Sorgfalt. Ganz besonders ist ihm das Putzen der Waffen verleidet, deren Rost ihm ein sicheres Zeichen ist, daß sie nicht zur Zierde getragen wurden, sondern in Kampf und Todesnot ihre guten Dienste geleistet haben. Da, wo der Wert eines Menschen nach etwas ganz anderem, als nach seinem Kleide bestimmt wird, enthält ein stutzerhaftes Aeußeres fast eine Art von Herausforderung, und es bedarf nur einer geringen Veranlassung, um scharfe Reden zu Gehör zu bringen.

» Good day Mesch'schurs!« grüßte der Ankömmling, indem er seine Doppelbüchse von der Schulter nahm, um sie in die Ecke zu lehnen, was einem erfahrenen Westmanne auf keinen Fall eingefallen wäre. Und sich an den Wirt wendend, der ihn mit halb neugierigem, halb spöttischem Blick musterte, fragte er: »Ist hier der ehrsame Master Winklay zu finden?«

»Hm, der bin ich vielleicht selber!« meinte nachlässig der Gefragte.

»Vielleicht?« klang es in etwas beleidigtem und daher spitzem Ton. »Was soll das heißen?«

»Das heißt, daß ich allerdings der Master Winklay bin, zuweilen aber auch nicht, je nachdem es mir beliebt.«

»So! Und wie beliebt es Euch denn jetzt?«

»Das kommt wohl nur darauf an, was Ihr von dem Master wollt, Sir!«

»Zunächst einen anständigen Schluck für mich und diesen Mann und dann eine Auskunft, um die ich Euch zu fragen habe.«

»Der Schluck ist da; hier nehmt ihn hin! Und die Auskunft könnt Ihr ja auch haben, so gut ich sie zu geben verstehe. Ich weiß, was ich einem Gentleman schuldig bin.«

»Laßt den Gentleman weg, Winklay; er wird an diesem Ort nicht sehr viel gelten!« befahl der Fremde, indem er das Glas mit unbefriedigter Gebärde vom Munde nahm. »Meine Frage betrifft Deadly-gun.«

»Deadly-gun?« Tödliche Büchse. fragte überrascht der Wirt. »Was wollt Ihr mit dem?«

»Das ist wohl meine Sache, wenn's Euch beliebt! Ich hörte, er sei hier bei Euch zuweilen zu finden?«

»Hm, ja und nein, Sir. Was Euch beliebt, kann ja auch mir belieben. Gebt Ihr mir auf meine Frage keine Antwort, so könnt Ihr auch von mir nicht viel erwarten. Hier sitzen Leute, die Euch vielleicht auch einen Bescheid geben. Es sind zwei dabei, die den ganz genau kennen, nach dem Ihr Euch erkundigt.«

Der Mann drehte sich um und war nicht mehr zu sprechen. Der auf so echt amerikanische Weise Zurechtgewiesene wandte sich ruhig zu den übrigen:

»Ist das wahr, was Winklay sagte?«

Er bekam keine Antwort. Etwas klüger wandte er sich an Pitt Holbers:

»Wollt Ihr wohl die Güte haben, mir eine Antwort zu geben, Master Schweigsamkeit?«

»Hört, Sir, mein Name lautet Holbers, Pitt Holbers, wenn Ihr's merken könnt; und wenn Ihr dreihundert Männer zugleich fragt, so weiß keiner, ob grad er es ist, der antworten soll. Was wollt Ihr von Deadly-gun?«

»Nichts, was ihm unangenehm sein könnte. Ich heiße Heinrich Mertens und bin mit meinem Freunde Peter Wolf aus dem Osten herübergekommen, um mich ein weniges im Walde umzusehen. Nun brauche ich einen Mann, bei dem man etwas unter die Hand bekommt. Dazu ist Deadly-gun der Richtige, und ich will Euch daher fragen, wohin man sich zu wenden hat, um mit ihm zusammenzutreffen.«

»Möglich, daß er der Richtige wäre? aber ob er's auch sein will, das ist eine andre Frage. Ihr seht mir nicht grad aus, als ob Ihr zu ihm paßt!«

»Meint Ihr? Kann sein, aber auch nicht. Also sagt, ob Ihr eine Auskunft geben könnt und wollt!«

Der Aufgeforderte drehte sich langsam nach dem Winkel herum, in dem derjenige saß, der vorhin bei der Ankunft der Fremden ruhig sitzen geblieben war.

»Was meinst du, Dick Hammerdull?«

Der Mann hatte bisher den Kopf geneigt gehalten und dem Inhalt seines Glases eine so anhaltende Aufmerksamkeit erwiesen, daß seine Augen noch gar nicht auf die zwei Fremden gefallen waren. Jetzt drehte er sich herum und schob die Kopfbedeckung nach hinten, als wolle er seinem Verstand die nötige Freiheit zu einer vernünftigen Antwort geben.

»Was ich meine, das bleibt sich gleich. Er soll den Colonel finden!« sagte er.

Er drehte sich wieder ab, um von neuem in sein Glas zu blicken. Der Schwarzbärtige aber schien mit diesem kurzen, mangelhaften Bescheid nicht zufrieden zu sein, sondern trat näher zu ihm heran.

»Wer ist der Colonel, Master Hammerdull?« fragte er.

Der Gefragte sah langsam und erstaunt empor.

»Wer der Colonel ist, das bleibt sich gleich. Colonel heißt Oberst; Deadly-gun ist unser Oberst, folglich nennt man ihn den Colonel.«

Der Frager konnte sich über den logischen Trapper eines Lächelns nicht erwehren. Er legte ihm die Hand wie herablassend auf die Schulter und forschte weiter:

»Nur nicht hitzig, Master! Wenn man gefragt wird, so steht man Rede und Antwort; so ist es überall, und ich sehe nicht ein, warum es hier am Arkansas anders sein soll. Wo ist der Colonel zu finden?«

»Wo er zu finden ist, das bleibt sich gleich. Ihr werdet zu ihm kommen, und damit Schluß!«

»Hoho, Mann, das ist mir nicht genug. Ich muß doch wissen, wo und wie dies geschehen soll!«

Dick Hammerdull machte ein noch viel erstaunteres Gesicht als vorhin. Er, ein freier Mann der Savanne, sollte hier zum Reden gezwungen werden? Das konnte er sich unmöglich gefallen lassen. Er nahm das Glas empor, tat einen nicht enden wollenden Zug und erhob sich dann. Erst jetzt war es möglich, ihn von Kopf bis Fuß in Augenschein zu nehmen.

Er schien als Gegenstück zu Pitt Holbers gearbeitet zu sein. Er war ein kleiner und außerordentlich dicker Kerl, wie sie Amerika nicht sehr häufig aufzuweisen hat, und von dem man nicht recht wußte, ob man sich vor ihm fürchten oder ob man über ihn lachen solle. Sein kurzer, runder Körper steckte in einem aus Büffelleder gefertigten Sack, dessen ursprünglicher Stoff jedoch nicht mehr gegenwärtig war, denn eine jede Wunde des alten Kleidungsstückes war durch Aufheften des ersten besten ungegerbten Fells oder irgendeiner andern fraglichen Sache derartig geheilt worden, daß mit der Zeit Flick an Flick und Fleck an Fleck gekommen war und die Ausbesserungsstücke wie die Ziegel eines Daches über- und aufeinander lagen. Die Beine steckten in zwei Hüllen, die man weder Stiefel oder Schuhe, noch Strümpfe und Gamaschen nennen konnte, und auf dem Kopf trug er einen formlosen Gegenstand, der vor Zeiten einmal eine Pelzmütze gewesen sein konnte, jetzt aber vollständig haarlos war. Das wetterharte Gesicht, aus dem zwei kleine Aeuglein hervorblinzelten, zeigte nicht die geringste Spur eines Bartwuchses und war von zahlreichen Schmarren und Narben durchzogen, die seinen pfiffigen Zügen einen kriegerischen Beigeschmack gaben. Die Hände zeugten von derbem Zufassen. Seine Waffenausrüstung war ganz die gewöhnliche des Westens; sie zeigte nichts Außerordentliches; aber die Büchse, die er vor sich auf dem Tisch liegen hatte, verdiente es, näher betrachtet zu werden. Sie hatte die Gestalt eines alten Knüttels, der aus dem Dickicht gebrochen war, um bei der ersten besten Schlägerei eine Rolle zu spielen. Das Holzzeug hatte seine ursprüngliche Gestalt und Form verloren, war zerschnitten, zerkerbt und zerspalten, als hätten die Ratten ihr Spiel damit gehabt, und zwischen ihm und dem verlaufenen Rohre hatte sich eine solche Menge von Schmutz und Ungehörigkeit angesetzt, daß Holz, Schmutz und Eisen ein vollständiges Ganzes bildeten und gar nicht voneinander zu unterscheiden waren. Selbst der beste europäische Schütze hätte es nicht gewagt, aus dem alten Prügel einen Schuß zu tun, aus Angst, das Ding müsse sofort zerspringen; und doch stößt man noch heut in der Prärie auf derlei unscheinbares Schießzeug, aus dem ein andrer nie eine gute Kugel bringt, obgleich der Besitzer sicher nie sein Ziel verfehlt.

Er stand jetzt aufrecht vor dem Fremden, sah mit unbeschreiblichem Augenzwinkern zu ihm empor und sagte:

»Wo und wie dies geschehen soll, das bleibt sich gleich. Glaubt Ihr denn, Sir, Dick Hammerdull ist zehn Jahre lang auf dem Kolleg herumgelaufen, um Reden zu studieren? Was ich sage, das sage ich; mehr nicht, und wem es zu wenig ist, der mag sich seine Predigt von einem andern halten lassen. Wir sind hier auf Savannenland, wo man den Atem zu notwendigeren Dingen als zum Schwatzen braucht. Merkt's Euch!«

»Dick Hammerdull, Ihr seid auf dem Kolleg gewesen, denn Ihr könnt reden wie der beste Mormonenprediger. Aber mir zu sagen, was ich wissen will, das habt Ihr doch vergessen. Ich frage noch einmal: Auf welche Weise und wann und wo soll ich auf Deadly-gun treffen?«

»Beim Teufel, Mann, nun hab ich's satt! Ihr habt gehört, daß Ihr ihn finden werdet, und das ist vollauf genug. Setzt Euch zu Eurem Glase und wartet die Sache ab. Ich lasse mir meinen Katechismus von keinem Greenhorn abexaminieren!«

»Greenhorn? Habt Ihr etwa Lust, mit meinem Messer Bekanntschaft zu machen?«

» Psahw, Sir! Was geht mich Euer Kneif an? Nehmt ihn zum Käferstechen oder rasiert meinetwegen Laubfrösche damit; Dick Hammerdull aber ist nicht der Mann, sich vor Eurer Spicknadel zu fürchten. Euer Auftreten ist nicht das eines Westmanns; ich sage es also noch einmal. Ob es Euch gefällt oder nicht, das bleibt sich gleich: Ihr seid ein Greenhorn; sorgt dafür, daß es anders wird!«

» Well, so soll es auf der Stelle anders werden!«

Er trat in die Ecke zurück, in der seine Büchse lehnte, ergriff sie, zog den Hahn zurück und gebot:

»Master Hammerdull, wo ist Euer Colonel zu finden? Ich gebe Euch nur eine Minute Zeit; ist meine Frage dann noch nicht beantwortet, so antwortet Ihr überhaupt nicht mehr. Wir sind auf Savannenland, wo jeder sich das Gesetz selbst zu machen hat!«

Der Angeredete blickte mit der gleichgültigsten Miene in sein Glas; es war ihm nicht im mindesten anzumerken, daß er die Aufforderung wirklich vernommen habe. Die andern freuten sich des willkommenen Streites, der ihnen Unterhaltung bot, und blickten erwartungsvoll von einem der Gegner zum andern. Nur Pitt Holbers schien im voraus von der Art und Weise des Ausgangs überzeugt zu sein, schob die hageren Finger gemütlich zwischen Leib und Gürtel und streckte die unendlichen Beine weit von sich, als seien sie ihm bei der Beobachtung seines Freundes im Wege. Der Fremde fuhr fort:

»Nun, Master, die Minute ist vorüber! Bekomme ich Antwort oder nicht? Ich zähle: Eins – – zwei – – dr – – –«

Er vermochte nicht, die gefährliche ›Drei‹ auszusprechen. Bis zur ›Zwei‹ hatte Hammerdull regungslos und gleichgültig dagesessen, dann aber mit Gedankenschnelle, die ihm ein Unbekannter wohl nicht zugetraut hätte, die alte Büchse ergriffen; in demselben Augenblick war sie gerichtet; es blitzte auf, der Schuß krachte mit hundertfacher Stärke in dem engen Raum, und das zerschmetterte Gewehr des Fremden flog aus dessen Hand auf die Diele nieder. Und schon im nächsten Augenblick lag dieser selbst am Boden, und Dick kniete mit gezücktem Messer auf seiner Brust.

»Nun, Greenhorn, sagt ›Drei‹, damit ich Antwort gebe!« gebot er ihm höhnisch.

»Zum Teufel, Master, laßt mich auf; es war ja gar nicht so ernst gemeint. Ich hätte nicht geschossen!«

»Das kann man hernach gut sagen. Nicht geschossen? Also ein Theaterstreich mit dem alten Trapper, den sie Dick Hammerdull nennen? Lächerlich! Aber ob Ihr geschossen hättet oder nicht, das bleibt sich gleich, mein Junge. Ihr habt die Büchse auf einen Westmann gerichtet und damit nach Savannenrecht die Klinge erworben. Jetzt zähle ich: Eins – – zwei – –«

Der Ueberwältigte machte eine kraftvolle, aber vergebliche Anstrengung, loszukommen. Dann bat er:

»Stecht nicht, Master; der Colonel ist mein Oheim!«

Der Trapper nahm das Messer zurück, doch ohne den Gegner frei zu geben.

»Der Colonel – –? Euer Ohm – –? Das sagt, wem Ihr wollt; ich aber will mich bedenken, ehe ich es glaube!«

»Es ist so. Er würde es Euch wenig Dank wissen, wenn er hörte, was Ihr mir getan!«

»So! Hm! Na, ob Ihr wirklich sein Neffe seid oder nicht, das bleibt sich gleich; ich hätte Euch doch bloß ein wenig gekitzelt, um Euch eine gute Lehre zu geben. Einem Greenhorn geht mein Messer nicht ans Leben, dazu ist's zu gut. Steht auf!«

Er erhob sich und trat zu seinem Tisch zurück, auf den er vorhin die Büchse geworfen hatte. Sie aufnehmend, begann er, den abgeschossenen Lauf von neuem zu laden. Sein Gesicht glänzte vor Liebe und Sorgfalt, mit der er dieses Geschäft vornahm, und seine kleinen, leuchtenden Augen waren mit einem Blick auf das alte Schießzeug gerichtet, der deutlich bekundete, wie die Waffe ihm an das Herz gewachsen war.

»Ja, ein Gewehr wie dieses gibt's nicht gleich wieder!« meinte der Wirt, der dem Vorgang in aller Seelenruhe zugeschaut hatte und sich wenig um den Rauch kümmerte, der das Gemach erfüllte.

»Will es meinen, alter Brandythiner,« Schnapsverdünner. meinte Hammerdull wohlgefällig. »Es ist gut und stets bei der Hand, wenn ich es brauche.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür geräuschlos, und ohne daß die an den Fenstern Sitzenden das Kommen irgend jemands bemerkt hatten, trat unhörbaren Schrittes ein Mann ein, den man trotz der Trapperkleiduug sofort als Indianer erkennen mußte.

Sein Gewand war sauber und sichtlich gut gehalten, eine Seltenheit bei einem Angehörigen seiner Rasse. Sowohl der Jagdrock als die Leggins waren von weichgegerbtem Büffelkalbleder, in dessen Bereitung die Indianerfrauen Meisterinnen sind, höchst sorgfältig gearbeitet und an den Nähten zierlich ausgefranst; die Mokassins waren aus Elenhaut und nicht in fester Fußform, sondern in Bindestücken gefertigt, was dieser Art von Fußbekleidung neben erhöhter Dauerhaftigkeit auch eine größere Bequemlichkeit verleiht. Die Kopfbedeckung fehlte; an ihrer Stelle war das reiche, dunkle Haar in einen Knoten geschlungen, der turbanartig auf dem stolz erhobenen Haupte thronte. Der Sohn der Wildnis hatte verschmäht, seine kühne Stirn zu bedecken.

Nachdem sein dunkles, scharfes Auge mit adlerartigem Blick über die Gesellschaft geflogen war, schritt er zu dem Tisch, an dem Dick Platz genommen hatte. Er kam grad zu dem Unrechtesten, denn dieser fuhr ihn zornig an:

»Was willst du hier bei mir, Rothaut? Dieser Platz ist mein. Geh, such dir einen andern!«

»Der rote Mann ist müd; sein weißer Bruder wird ihn ruhen lassen!« antwortete der Indianer mit sanfter Stimme.

»Müd oder nicht, das bleibt sich gleich. Ich kann dein rotes Fell nicht leiden!«

»Ich bin nicht schuld daran; der große Geist hat mir's gegeben.«

»Von wem du es hast, das bleibt sich gleich; geh' fort; ich mag dich nicht!«

Der Indianer nahm die Büchse von der Schulter, stemmte den Kolben auf den Boden, legte die gekreuzten Arme über die Mündung des Laufs und fragte, jetzt ernster werdend.

»Ist mein weißer Bruder der Herr von diesem Hause?«

»Das geht dich nichts an.«

»Du hast recht gesagt; es geht mich nichts an und dich nichts, darum darf der rote Mann grad so sitzen, wie der weiße.«

Er ließ sich nieder. Es lag in der nachdrücklichen Art und Weise, wie er dies sagte, etwas, was auf den mürrischen Trapper seinen Eindruck nicht verfehlte. Er ließ ihn jetzt gewähren.

Der Wirt trat herbei und fragte den Roten:

»Was willst du hier in meinem Hause?«

»Gib mir Brot zu essen und Wasser zu trinken!« antwortete dieser.

»Hast du Geld?«

»Wenn du in meinen Wigwam kämst und um Speise bätest, würde ich sie dir ohne Geld geben. Ich habe Gold und Silber.«

Das Auge des Wirtes blitzte auf. Ein Indianer, der Gold und Silber hat, ist eine willkommene Erscheinung an jedem Ort, wo das verderbliche Feuerwasser zu haben ist. Er ging und kehrte bald mit einem mächtigen Krug Branntwein zurück, den er nebst dem bestellten Brot vor den Gast setzte.

»Der weiße Mann irrt; solch' Wasser habe ich nicht begehrt!«

Erstaunt blickte ihn der Wirt an. Er hatte noch niemals einen Indianer gesehen, der dem Geruch des Spiritus zu widerstehen vermocht hätte.

»Was denn für welches?«

»Der rote Mann trinkt nur das Wasser, das aus der Erde kommt.«

»So kannst du hingehen, wo du hergekommen bist. Ich bin hier, um Geld zu verdienen, nicht aber, um deinen Wasserträger zu machen! Bezahl das Brot und troll dich fort!«

»Dein roter Bruder wird bezahlen und gehen, doch nicht eher, als bis du ihm verkauft hast, was er noch braucht.«

»Was willst du noch?«

»Du hast ein Store, wo man kaufen kann?«

»Ja.«

»So gib mir Tabak, Pulver, Kugeln und Feuerholz.«

»Tabak sollst du haben; Pulver und Kugeln aber verkaufe ich an keinen Indsman.«

»Warum nicht?«

»Weil sie euch nicht gehören.«

»Deinen weißen Brüdern aber gehören sie?«

»Das will ich meinen!«

»Wir alle sind Brüder; wir alle müssen sterben, wenn wir kein Fleisch schießen können; wir alle müssen Pulver und Kugeln haben. Gib mir, um was ich dich gebeten habe!«

»Du bekommst sie nicht!«

»Ist dies dein fester Wille?«

»Mein fester!«

Sofort hatte ihn der Indianer mit der Linken bei der Kehle und zuckte mit der Rechten das blitzende Bowiemesser.

»So sollst du auch deinen weißen Brüdern nicht mehr Pulver und Kugeln geben. Der große Geist läßt dir nur einen einzigen Augenblick noch Zeit. Gibst du mir, was ich will, oder nicht?«

Die Jäger waren aufgesprungen und machten Miene, sich auf den roten Mann zu stürzen, unter dessen eisernem Griff sich der Wirt stöhnend wand. Er aber hielt sich rückenfrei und rief, den Kopf stolz emporwerfend, mit dröhnender Stimme:

»Wer wagt es, Winnetou, den Apatschen, anzutasten?!«

Das Wort hatte eine überraschende Wirkung.

Kaum war es ausgesprochen, so traten die Angriffsbereiten mit allen Zeichen der Achtung und Ehrerbietung von ihm zurück. Winnetou war ein Name, der selbst dem kühnsten Jäger und Fallensteller Achtung einflößen mußte.

Der Indianer war der Sohn von Intschu tschuna, dem berühmtesten Häuptling der Apatschen. Feigheit und Hinterlist hatten seinem Stamm früher unter seinen Feinden den Schimpfnamen ›Pimo‹ zugezogen; doch seit Intschu tschuna der Anführer geworden war, hatten sich die Feiglinge nach und nach in die geschicktesten Jäger und verwegensten Krieger verwandelt; ihr Name wurde gefürchtet weit über den Kamm des Gebirges herüber, ihre mutigen Unternehmungen waren stets vom besten Erfolg begleitet, obgleich sie nur in geringer Männerzahl und mitten durch feindliches Gebiet hindurch ihre Streifzüge bis in den fernen Osten hinein ausdehnten. Hierbei hatte sich Intschu tschunas Sohn, Winnetou, durch kühne Taten einen Namen gemacht. Trotz seiner Jugend – er zählte damals kaum fünfundzwanzig Jahre – war er bereits an allen Lagerfeuern der Gegenstand der Unterhaltung. –

»Laß los!« rief der Wirt. »Wenn du Winnetou bist, so sollst du alles haben, was du verlangst!«

»Howgh!« tönte es im befriedigten Gutturalton. »Der große Geist läßt sich dies Wort sagen, du Mann mit den roten Haaren; sonst hätte ich dich zu deinen Vätern versammelt und jeden dazu, der es verhindern wollte!«

Er gab ihn frei und trat, während Winklay hinausging, um im Vorratsraum nach dem Verlangten zu suchen, zu Hammerdull heran und fragte diesen:

»Warum sitzt der weiße Mann hier und feiert, während rote Feinde sein Wigwam bedrohen?«

Dick sah vom Glase auf und antwortete verdrossen:

»Ob ich hier sitze oder wo anders, das bleibt sich gleich. Kennt mich der Apatsche?«

»Winnetou hat dich noch nicht gesehen, aber er erblickt an deinem Wams das Zeichen seines tapferen Freundes und weiß nun, daß du einer seiner Männer bist. Soll Deadly-gun, der große Jäger, allein kämpfen um die Skalps der Ogellallahs, die nach ihm suchen?«

»Ogellallah?« Dick Hammerdull schnellte in die Höhe, als habe er eine Klapperschlange unter dem Tische erblickt, und auch Pitt Holbers stand mit einem einzigen Schritt seiner langen Beine vor dem Indianer. »Was weiß der rote Mann von den Ogellallahs?«

»Eile zu deinem Häuptling, du wirst es von ihm erfahren!«

Er wandte sich nun zu dem Wirt, der wieder eingetreten war, knüpfte die Pulver-, Kugel- und Vorratsbeutel vom Gürtel los, ließ sie sich füllen und fuhr dann mit der Hand unter das weißgraue Jagdhemd.

»Winnetou wird dem Mann mit den roten Haaren auch rotes Metall geben!«

Winklay nahm die Bezahlung in Empfang und betrachtete das schwere Stück mit unverkennbarem Entzücken.

»Gold, echtes, blankes Gold, vierzig Dollars unter Brüdern wert! Indsman, wo hast du es her?«

» Pshaw

Er sprach das Wort mit geringschätzigem Achselzucken aus und war im nächsten Augenblick aus der Stube verschwunden.

Der Wirt sah die andern mit offenem Mund an.

»Hört, Gentlemen, der rote Halunke scheint mehr Gold zu besitzen, als wir alle miteinander. Habe mein Pulver noch nie so gut bezahlt erhalten, wie von ihm. Wäre doch der Mühe wert, ihm einmal nachzugehen, denn daß er von dieser Sorte noch mehr bei sich führt und sein Pferd hier irgendwo stecken hat, das ist so sicher, wie die Klinge am Griff!«

»Wollt's Euch nicht raten, Mann,« antwortete Dick Hammerdull, indem er sich zum Gehen rüstete. »Winnetou, der Apatsche, ist nicht der Mann, der sich auch nur einen Schrot nehmen läßt. Ob er Gold hat oder nicht, das bleibt sich gleich, aber bekommen tut es keiner!«

Auch Pitt Holbers warf seine Rifle über die Schulter und meinte:

»Müssen fort, Dick, fort, so rasch wie möglich. Der Indsman ist allwissend, und mit den Hunden von Ogellallahs, hol sie der Teufel, muß es also seine Richtigkeit haben. Aber was wird nun mit den Männern dort, he?«

Er zeigte bei diesen letzten Worten auf die Fremden.

»Hab' gesagt, daß sie mitgehen, und wird auch so bleiben!« antwortete der Dicke und wandte sich zu dem Schwarzbärtigen: »Wenn Ihr Deadly-gun sehen wollt, so ist's jetzt Zeit aufzubrechen, Master Mertens. Klingt wie deutsch, Euer Name, heh?«

Der Gefragte erhob sich, um sich mit seinem Begleiter den beiden Trappern anzuschließen.

»Ja, mein Gefährte und ich sind Deutsche von Geburt.«

»Deutsche? Hm, ob ihr Chinesen seid oder Großtürken, das bleibt sich gleich; da ihr aber Deutsche seid aus Germany da drüben, so ist es mir um so lieber und auch besser für euch, denn die Deutschen sind brave Männer; kenne sie und bin manchem von ihnen begegnet, der die Büchse so zu halten verstand, daß er den Büffel ins Auge traf. Vorwärts also, Mann! Wir müssen lange Beine reiten!«

Die vier Männer traten ins Freie. Dort steckte Hammerdull die Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus, auf den zwei aufgezäumte Pferde hinter der Fenz hervorgetrabt kamen.

»So, da sind die Tiere. Nun hinauf und fort, Master Mertens, und – ja, wie habt Ihr Euch doch genannt?« fragte er den andern.

»Peter Wolf heiße ich,« antwortete dieser.

»Peter Wolf? Verteufelt elender Name! Es ist zwar ganz gleich, ob Ihr John oder Tim oder meinetwegen Bill heißt, aber Peter Wolf, das bricht einem ja die Zunge entzwei und schiebt die Zähne auseinander. Na also, steigt auf und macht, daß wir in den Wald und dann in die Prärie hineinkommen!«

»Wo ist denn der Indianer hin?« fragte Mertens.

»Der Apatsche? Wo der hin ist, das bleibt sich gleich. Er weiß am besten, wohin er zu gehen hat, und ich wette meine Stute gegen einen Ziegenbock, daß wir ihn grad da wiedertreffen, wo er es für gut hält und wir ihn am nötigsten brauchen.«

Die Wette hätte ihre lustige Seite gehabt, denn es wäre wohl kaum jemand bereit gewesen, einen guten, wohlgehaltenen Ziegenbock gegen die alte, steifbeinige Stute zu setzen, die jedenfalls eine ansehnliche Reihe von Jahren auf dem messerscharfen Rücken trug und eher einem Bastard zwischen Ziege und Esel, als einem brauchbaren Pferd ähnlich sah. Ihr Kopf war unverhältnismäßig groß und dick; von einem Schwanze war keine Rede mehr, denn wo früher vielleicht ein kräftiger Haarschweif herabgehangen hatte, da ragte jetzt ein kurzer, spitziger und knochiger Stummel in die Höhe, an dem man selbst bei Anwendung eines Mikroskops nicht eine einzige Haarspur entdeckt hätte. Ebenso fehlte die Mähne vollständig. An ihrer Stelle war ein wirrer, schmutziger Flaumfederstreifen zu erkennen, der zu beiden Seiten des Halses in langzottige Wolle überging, mit der der knochendürre Leib bedeckt war. An den mühsam zusammengehaltenen Lippen konnte man erkennen, daß das liebe Tier wohl keinen einzigen Zahn mehr besitze, und die kleinen, tückisch schielenden Augen ließen einen nicht sehr liebenswürdigen Charakter vermuten.

Doch hätte nur der im Westen Unbekannte über die alte Rosinante lächeln können. Diese Art von Tieren hat gewöhnlich ein halbes Menschenalter hindurch dem Reiter in Not und Gefahr gedient, in Wind und Wetter, in Sturm und Schnee, in Hitze und Regen treu und mutig zu ihm gehalten, ist ihm daher an das Herz gewachsen und besitzt selbst noch im hohen Alter schätzenswerte Eigenschaften, die ihn nicht leicht zu einem Wechsel schreiten lassen. So wußte jedenfalls auch Dick Hammerdull, warum er seine Stute beibehielt und nicht einen jungen, kräftigen Mustang an ihrer Stelle unter den Sattel nahm.

Auch Pitt Holbers war nicht sehr prachtvoll beritten. Er saß auf einem kleinen, kurzen und dicken Hengst, der so niedrig war, daß die langen, unendlichen Beine des Reiters fast an der Erde schleiften. Doch waren trotz der nicht geringen Last die Bewegungen des Tieres so leicht und zierlich, daß man ihm schon etwas zutrauen durfte.

Was die Pferde der beiden andern betraf, so stammten sie offenbar aus einer ruhigen Farm des Ostens und hatten also die Aufgabe, ihre Brauchbarkeit im Laufe der Zeit erst noch zu beweisen.

Der scharfe Ritt ging bis gegen Abend hin durch den hohen Wald. Sodann erreichte man die offene Prärie, die, von gelbblühendem Helianthus bedeckt, sich wie ein prachtvoller Teppich nach allen Seiten hin erstreckte und in einer weiten, unendlichen Ebene gegen den graugefärbten Horizont verlief.

Die Pferde hatten sich heut ausgeruht, und so konnte man noch ein gutes Stück in die Savanne hineinreiten, ehe ein Nachtlager errichtet wurde. Erst als die Sterne schon am Himmel standen und der letzte Strahl der Sonne längst verschieden war, hielt Hammerdull sein Pferd an.

»Stop,« meinte er; »hier hat der Tag ein Ende, und wir können uns ein wenig in unsre Decken wickeln! Meinst du nicht, Pitt Holbers, altes Coon?«

Coon ist die gebräuchliche Abkürzung von Racoon, der Waschbär, und wird zwischen den Jägern unter allerlei Bedeutung gern als Anrede gebraucht.

»Wenn du denkst, Dick,« antwortete brummend der Gefragte, indem er unternehmend in die Ferne schaute. »Aber wäre es nicht besser, wir legten noch eine Meile hinter uns oder drei oder fünf? Beim Colonel sind jedenfalls vier tüchtige Arme und zwei gute Büchsen notwendiger, als hier auf der Wiese, wo die Käfer summen und die Nachtfalter einem um die Nase streichen, als gäbe es in der ganzen Welt keine Rothaut auszulöschen.«

»Das mit den Käfern und Rothäuten, das bleibt sich gleich. Wir haben hier zwei Männer, die von der Savanne noch nichts gekostet haben, und müssen ihnen Ruhe gönnen. Sieh nur, wie hier der Braune von Peter Wolf – verdammt schwerer Name – also, wie der Braune schnauft, als hätte er den Niagarafall in der Kehle! Und der Fuchs, auf dem der Mertens hängt, dem tropft ja das Wasser aus dem Bart. Herab also; mit Tagesgrauen geht's weiter!«

Die beiden Deutschen waren des langen Reitens ungewohnt und also wirklich müde geworden. Sie leisteten dem Aufruf daher augenblicklich Folge. Die Pferde wurden an den langen Lassos angepflockt, und nachdem man ein einfaches Abendbrot zu sich genommen und die Wachen bestimmt hatte, legte man sich auf den weichen Rasen.

Am Morgen ging es weiter. Die beiden Trapper waren schweigsame Männer, die nicht gern ein Wort mehr sprachen, als unumgänglich notwendig war; man befand sich ja jetzt nicht mehr im sichern Store, wo man diese oder jene Geschichte unbesorgt vom Stapel lassen konnte, sondern in der Savanne, wo man keinen Augenblick ohne Vorsicht und sorgfältige Umschau vergehen lassen durfte, und die Nachricht, die Winnetou gebracht hatte, war geeignet genug, selbst redseligere Zungen im Zaume zu halten. So kam es, daß Mertens die Erkundigungen, die er während des ganzen Tages auf den Lippen gehabt hatte, zurückhielt, und als er sie am Abend auf dem Lagerplatz aussprechen wollte, fand er so verschlossene Ohren, daß er sich unbefriedigt in seine Decke wickelte und den Schlaf suchte.

So ging es mehrere Tage fast wortlos, aber in immer gleicher Eile in die Prärie hinein, bis am fünften Tage gegen Abend Hammerdull, der an der Spitze ritt, plötzlich sein Pferd anhielt und im nächsten Augenblick im Grase kauerte, um den Boden mit sichtlicher Aufmerksamkeit zu betrachten. Dann rief er aus:

» Have care, Pitt Holbers, wenn hier nicht einer vor noch ganz kurzer Zeit geritten ist, so lasse ich mich von dir auffressen. Steig ab, und komm herbei!«

Holbers trat mit dem linken Beine auf die Erde, zog dann das rechte über den Rücken seines dicken Hengstes herüber und bückte sich, um die Spur zu prüfen.

»Wenn du denkst, Dick,« brummte er zustimmend, »so meine ich, daß es ein Indianer gewesen ist.«

»Ob es eine Rothaut gewesen ist oder nicht, das bleibt sich gleich, aber das Pferd eines Weißen gibt eine andre Spur als diese da. Steig wieder auf und überlasse mir das weitere!«

Er verfolgte zu Fuß die Hufeindrücke, während seine erfahrene und verständige Stute freiwillig langsam hinter ihm hertrollte. Nach einigen hundert Schritten blieb er halten und wandte sich zurück:

»Steig wieder ab, altes Coon, und sage mir, wen wir da vor uns haben!«

Er deutete mit dem Zeigefinger auf die Erde. Holbers bog sich herab, unterwarf die Stelle einer sehr genauen Prüfung und sagte dann:

»Wenn du denkst, Dick, daß es der Apatsche ist, so sollst du recht haben. Dieselben ausgezackten Fransen, wie hier eine an dem Kaktus hängt, trug er damals im Store an den Mokassins. Ich habe dergleichen noch bei keiner Rothaut bemerkt, da sie gewöhnlich nur grad ausgeschnitten werden. Er ist hier abgestiegen, um sich irgend etwas anzusehen, und dabei haben ihm die Stacheln die Franse abgerissen. Ich denke – – – behold, Dick, schau hier rechts! Was für Füße sind das wohl gewesen?«

»Bei deinem Bart, Pitt, das ist ein scoundrel, Schurke. so ein Schuft von Indsman, der von dort seitwärts kam und hier abgebogen ist; was meinst du?«

»Hm! Der Apatsche hat ein heidenmäßig scharfes Auge; ihm ist wahrhaftig gleich die erste Spur des Mannes ins Gesicht gefallen, und wer weiß, wie lange wir schon auf der seinigen herumgeschnobert sind, ohne sie zu bemerken.«

»Ob wir sie bemerkt haben oder nicht, das bleibt sich gleich. Wir haben sie ja gefunden, und das ist genug. Aber ein Roter läuft nicht so einzeln hier mitten in der Savanne herum. Er wird in der Nähe seine Mähre stehen haben, und nicht weit davon hält sicher eine ganze Anzahl Pfeilmänner und führt irgendeine Teufelei im Schilde. Laßt uns einmal Umschau halten, ob nicht dieses oder jenes zu bemerken ist, an das wir uns halten können!«

Er suchte den Horizont sorgfältig ab und schüttelte dann unbefriedigt mit dem Kopf.

»Hört, Mertens, Ihr habt da ein Gehäuse an der Seite hängen. Warum macht Ihr es nicht auf? Steckt etwa ein Vogel drin, der Euch nicht fortfliegen soll?«

Mertens öffnete die Hülse, zog ein Fernrohr hervor und reichte es dem Trapper vom Pferde herab. Dieser stellte es, brachte es vor das Auge und begann seine Untersuchung von neuem.

Nach kurzer Zeit zog er die Augenbrauen zusammen und meinte mit listigem Blinzeln:

»Hier hast du einmal das Glas, Pitt Holbers. Sieh da hinauf, und sage mir, was das für eine lange, grade Linie ist, die sich von Osten her längs des nördlichen Horizonts bis hinüber nach Westen zieht!«

Holbers folgte der Weisung. Dann nahm er das Rohr vom Auge und rieb sich bedachtsam seine lange scharfe und spitzige Nase.

»Wenn du denkst, Dick, daß es der Railway ist, die Eisenbahn, die sie da hinüber nach Kalifornien legen, so bist du nicht so dumm, als man denken sollte.«

»Dumm –? Dick Hammerdull und dumm! Kerl, ich kitzle dich mit meiner Klinge zwischen den Rippen, daß dir der lange Atem wie ein morsches Schiffstau aus dem großen Maule läuft! Dick Hammerdull und dumm! Hat man jemals so etwas gehört? Uebrigens, ob er dumm ist oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wer ihn für billiger kaufen will, als er ist, der mag wohl zusehen, daß er sich nicht verrechnet. Was aber hat denn eigentlich der Railway mit der Rothaut zu tun, die von da hinübergeschlichen ist, Pitt Holbers, du Ausbund von allen möglichen Arten der Weisheit, he?«

»Hm, wann kommt wohl der nächste Zug, Dick?«

»Weiß nicht genau, denke aber, daß er noch heut hier vorübergeht.«

»Dann haben es die Roten sicher auf ihn abgesehen.«

»Sollst recht haben, altes Coon. Aber von welcher Seite wird er kommen – von hüben oder drüben?«

»Da mußt du nach Omaha oder Cheyenne gehen, wo man dir Auskunft geben wird; auf meinem Rock aber klebt kein Fahrplan!«

»Will's dem alten Fetzen auch nicht zumuten. Doch, ob er vom Osten kommt oder vom Westen, das bleibt sich gleich; wenn er nur kommt, dann haben sie ihn. Ob wir aber ruhig zugeben, daß sie ihn anhalten und den Reisenden Skalp und Leben nehmen, das ist eine andre Sache. Was sagst du dazu?«

»Halte es für unsre Pflicht, ihnen einen Strich übers Gesicht zu machen.«

»Ganz meine Meinung. Also abgestiegen und vorwärts! Ein Mann hoch zu Roß wird von den Spürnasen eher bemerkt als einer, der fein demütig den Weg unter die eigenen Füße nimmt. Wollen doch sehen, in welchem Loch sie stecken. Aber schußfertig halten, ihr Männer, denn wenn sie uns bemerken, dann ist die Büchse das erste, was wir brauchen!«

Sie schlichen sich langsam und mit großer Bedachtsamkeit vorwärts. Die Spuren, denen sie folgten und denen sich auch die des Apatschen beigesellt hatten, führten erst an den Bahndamm und dann diesen entlang, bis man von fern einige wellenförmige Erhöhungen des Bodens bemerkte.

Jetzt hielt Dick Hammerdull wieder an.

»Wo die Schufte stecken, das bleibt sich natürlich gleich, aber ich lasse mich so lange braten, bis ich so hart und dürr geworden bin wie Master Holbers, wenn sie sich nicht dort hinter das Zwerggebirge zurückgezogen haben. Wir können nicht weiter, denn – –«

Das Wort blieb ihm im Munde stecken, aber in demselben Augenblick hatte er auch seine alte Büchse an der Wange, senkte sie jedoch sofort wieder herab. Ueber der jenseitigen Böschung des Bahndamms hatte sich eine Gestalt erhoben, schnellte sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit über den Schienenweg herüber und stand in der nächsten Minute vor den vier Männern. Es war der Apatsche.

»Winnetou hat die Bleichgesichter kommen sehen,« sagte er. »Sie haben die Spur der Ogellallahs entdeckt und werden das Feuerroß retten vor dem Untergang!«

» Heigh-day,« meinte Hammerdull; »ein Glück, daß es kein andrer war, denn er hätte meine Kugel geschmeckt, und wir hätten uns durch den Schuß verraten! Aber wo hat der Apatsche sein Pferd? Oder befindet er sich ohne Tier im wilden Lande?«

»Das Pferd des Apatschen ist wie der Hund, der sich gehorsam niederstreckt und wartet, bis sein Herr zurückkehrt. Er hat die Ogellallahs vor vielen Sonnen gesehen und ist gegangen an den Fluß, den seine weißen Brüder Arkansas nennen. Er glaubte dort seinen Freund Deadly-gun zu sehen, der nicht im Wigwam war. Dann ist er wieder den roten Männern gefolgt und wird nun das Feuerroß warnen, damit es nicht auf dem Pfade stürzt, den sie ihm zerstören wollen.«

» Lack-a-day!« dehnte Pitt Holbers. »Ei seht doch, wie klug die Halunken es anfangen! Wenn man nur wüßte, von welcher Seite der nächste Zug kommt!«

»Das Feuerroß wird von Osten kommen, denn das Roß von Westen ging vorüber, als die Sonne dem Häuptling der Apatschen über dem Scheitel stand.«

»So wissen wir, nach welcher Richtung wir uns zu wenden haben. Aber wann wird der Zug diese Gegend durchfahren? Pitt Holbers, wie steht es?«

»Hm, wenn du denkst, Dick, daß ich trotzdem einen Fahrplan habe, so sage mir vor allen Dingen, wo er eigentlich stecken soll!«

»In deinem Kopf sicher nicht, altes Coon, denn da sieht es aus wie in dem Llano estakado, wie sie da unten die Gegend nennen, in der es nichts gibt, als Staub und Stein und höchstens einmal Stein und Staub. Doch schaut, ihr Leute, dort geht die Sonne unter; in einer Viertelstunde ist es finster, und wir können die roten Spitzbuben beobachten, was sie –«

»Winnetou ist hinter ihrem Rücken gewesen,« unterbrach ihn der Apatsche, »und hat gesehen, wie sie den Pfad von der Erde rissen und ihn quer über den Weg des Feuerrosses legten, damit es stürzen solle.«

»Sind ihrer viele?«

»Nimm ihrer zehnmal zehn und du hast noch nicht die Hälfte der Krieger, die an der Erde liegen, um auf das Kommen der Bleichgesichter zu harren. Und der Pferde sind noch viel mehr, denn alles Gut, das sich auf dem Feuerwagen befindet, soll auf die Tiere geladen und fortgeführt werden.«

»Sie sollen sich verrechnet haben! Was gedenkt Winnetou zu tun?«

»Er wird hier bleiben und die roten Männer bewachen. Meine weißen Brüder sollen dem Feuerroß entgegenreiten und seinen Lauf in der Ferne hemmen, damit die Kröten von Ogellallahs nicht sehen, daß es sein Feuerauge schließt und stehen bleibt.«

Der Rat war gut und wurde sofort befolgt. Es war den Männern unbekannt, zu welcher Zeit der Zug kommen mußte; das konnte in jedem Augenblick geschehen, und da zur Warnung, wenn die Ogellallahs nichts bemerken sollten, ein bedeutender Vorsprung nötig war, so war Gefahr im Verzug. Winnetou blieb also zurück, und die vier andern saßen wieder auf und bewegten sich längs des Schienengleises in scharfem Trab nach Osten zu.

Sie waren wohl fast eine Viertelstunde geritten; da hielt Hammerdull seine Stute an und blickte seitwärts.

» Good lack,« meinte er; »liegt dort nicht etwas im Gras, grad wie ein Hirsch, oder – ah, Pitt Holbers, sage doch einmal, was für ein Viehzeug es wohl sein wird!«

»Hm, wenn du denkst, Dick, daß es das Pferd des Apatschen ist, das hier wie angespießt liegen bleibt, bis es von seinem Herrn abgeholt wird, so will ich dir beistimmen!«

»Erraten, altes Coon! Aber kommt, wir wollen den Mustang nicht aufscheuchen, denn wir haben Besseres zu tun. Ob wir den Zug treffen oder nicht, das bleibt sich gleich, aber warnen müssen wir ihn, und je weiter hinaus dies geschieht, desto besser ist es. Die roten Schufte dürfen nicht an den Lichtern sehen, daß er hält und daß also ihr Vorhaben verraten ist!«


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