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Das sprechende Leder

1. Stehlende Hand

Ihr müßt wissen, Gent's, begann der greise Indianeragent, daß ich über den wilden Westen und die Indianer meine eigenen Ansichten habe, ganz andre, als sie hier landläufig sind; die Roten sind weit besser als ihr Ruf, und ich möchte manchem Weißen wünschen, so zu sein wie sie!

Ja, ich bin eine Reihe von Jahren Indianeragent gewesen, aber nicht einer von der Sorte, die, um sich selbst zu bereichern, die Roten um ihr Recht prellen und um ihr Hab und Gut betrügen. Diese Art von Agenten trägt die meiste Schuld daran, daß der Indianer nie aus dem Zorn gegen die Weißen herauskommt. Gewissenlos bereichern sie sich an der Armut und Nacktheit der bedauernswerten Indsmen und schreien Ach und Weh, wenn diese dann endlich einmal die Geduld verlieren und mit den Waffen in der Hand Gerechtigkeit verlangen.

Gerade, weil ich immer bestrebt war, ehrlich an den roten Männern zu handeln, habe ich auch viele treue und aufopferungsfähige Freunde unter ihnen getroffen und besonders die Apatschen waren und sind mir ans Herz gewachsen. Habe schon manchmal widersprechen müssen, wenn ein Gast hier bei unserer würdigen Mutter Thick behauptete, die Apatschen seien früher durch ihre Feigheit und Hinterlist bekannt gewesen und hätten sich durch sie den Schimpfnamen »Pimo« zugezogen; erst seit Winnetou ihr Häuptling ist, seien geschickte Jäger und tapfere, verwegene Krieger aus ihnen geworden.

Ja, es gibt allerdings einige Stämme unter ihnen, denen die Natur ihrer Wohnsitze nichts, gar nichts zu bieten vermag und die darum nicht bloß körperlich, sondern auch geistig heruntergekommen sind. Daran sind aber die Weißen schuld, die sie von ihren einstigen, besseren Jagd- und Weidegründen verdrängt haben und nun glauben, sie verachten zu dürfen. Von andern Stämmen aber, und besonders von den Mescaleros, darf man das nicht sagen. Ich habe sie längst gekannt, bevor Winnetou geboren war, und schon mit seinem Vater Intschu-tschuna eine vieljährige und innige Freundschaft gehalten. Er war vielleicht nicht so durchgeistigt wie Winnetou, allein auch schon in ihm lagen alle edlen Keime, die bei seinem Sohn so herrlich zur Vollendung kamen. Und, seht ihr, dieser prächtige Indsman wurde von Weißen ermordet, er und Nscho-tschi, seine Tochter, die Schwester Winnetous, diese schönste, beste und seelenreinste Tschargooscha Mädchen. der Apatschen! –

Doch könnt ihr euch ja selbst ein Urteil über die Apatschen bilden aus der Geschichte, die ich euch versprach. Ich will versuchen, sie auch so hübsch und fließend zu machen wie die andern Masters vor mir. Also, es mag beginnen:

Es war ein wunderbar schöner Junimorgen, eine wirkliche Seltenheit in jener weit entlegenen Ecke, die der nordwestliche Winkel des Indianerterritoriums mit den gradlinigen Grenzen von Kansas, Kolorado und Neu-Mexiko bildet. Es hatte während der Nacht ziemlich stark getaut; nun funkelten an Halmen und Zweigen brillantene Tropfen, und der eigenartige Duft des Büffelgrases und der kurzlockigen Grama erhielt eine so erquickende Frische, daß die Lunge das balsamische Cumarin in langen, tiefen Zügen einatmete.

Ein solcher Morgen pflegt auf die Stimmung des Menschen von wohltätiger Wirkung zu sein, und doch ritt ich ziemlich verdrossen in den prachtvollen Tag hinein. Der Grund war ein sehr einfacher: mein Pferd ging lahm. Es war vorgestern beim Galoppieren an einer Wurzel hängen geblieben. Und in der Prärie ein lahmes Pferd zu reiten, das ist nicht nur ärgerlich, sondern es kann sogar verhängnisvolle Folgen haben. Bei den dort täglich drohenden Gefahren hängen Leben und Sicherheit des Jägers nur zu oft von der Brauchbarkeit seines Tieres ab.

Ich hatte mit einigen Trappern droben in der Nähe von Spanish Peaks gejagt und war dann über die Willow-Springs hierher nach dem Nescutunga-Creek gekommen, um an dessen rechtem Ufer mit Will Salters zusammenzutreffen, mit dem ich vor Monaten in Nebraska Biber gefangen und beim Scheiden das gegenwärtige Stelldichein verabredet hatte. Wir wollten das Indianerterritorium bis an die südöstliche Grenze durchreiten und dann gerade nach Westen in den Llano estakado gehen, um diese berüchtigte Wüste kennen zu lernen.

Dazu war vor allem ein gutes Pferd nötig, und das meinige lahmte. Es hatte mich treu durch viele Gefahren getragen; ich wollte es gegen kein andres vertauschen, und so war ich gezwungen, ihm Ruhe zu gönnen, bis der Fuß sich wieder eingerichtet haben würde. Die dadurch entstehende Zeitversäumnis war allerdings höchst unangenehm.

Während mein Mustang langsam über die Prärie hinkte, sah ich mich nach Anzeichen um, aus denen ich die Nähe des Flusses zu erraten vermochte. Da, wo ich ritt, gab es nur vereinzeltes Buschwerk. Nach Norden aber zog sich eine dunkle Linie hin, die mich auf geschlosseneren Baum- und Strauchwuchs schließen ließ. Ich lenkte also nach dieser Richtung ab, denn wo sich mehr Pflanzenleben findet, muß auch mehr Wasser sein.

Ich hatte recht gehabt. Die dunkle Linie bestand aus Mezquite- und wilden Kirschensträuchern, die sich an beiden Ufern des Flusses hinzogen. Dieser war nicht breit und, wenigstens an der Stelle, wo ich auf ihn traf, auch nicht tief.

Ich ritt langsam am Ufer hin und suchte aufmerksam nach einem Zeichen Will Salters, der ja schon vor mir hier angekommen sein konnte.

Und richtig! Im seichten Wasser lagen zwei große Steine hart nebeneinander, zwischen die ein größerer Ast so eingeklemmt war, daß der kleine Zweig, der sich daran befand, flußabwärts wies.

Dies war unser verabredetes Zeichen, das ich in kurzen Unterbrechungen noch viermal bemerkte. Salters befand sich hier und war dem Lauf des Wassers nachgeritten. Da seine Fährte nicht mehr zu erkennen war und die Blätter der Signalzweige sich bereits in welkem Zustand befanden, so war er nicht später als höchstens gestern hier gewesen.

Nach einiger Zeit bog der Fluß noch mehr nach Norden ab; er schien einen Bogen zu machen. An dieser Stelle zeigte der Ast, den Will in den Ufersand gesteckt hatte, in die Prärie hinein. Er war also dem Fluß nicht weiter gefolgt, sondern hatte dessen Bogen auf der Sehnenlinie abschneiden wollen. Ich tat dasselbe.

Nun gewahrte ich gerade vor mir einen nicht sehr hohen, einzeln stehenden und zerklüfteten Berg, der vermöge seiner einsamen Lage ganz geeignet war, einem Westmann als Wegweiser zu dienen. In einer guten halben Stunde hatte ich ihn erreicht. Sein Gipfel war kahl und der untere Teil nur sehr dürftig von Buschwerk bestanden. Darum wunderte ich mich, beim Umreiten an der Ostseite mehrere Gruppen von Platanen zu erblicken, von denen die stärkste sicher über tausend Jahre zählte. Es fiel mir auf, daß das Erdreich hier in einem beträchtlichen Umkreis tief aufgewühlt war. Es gab da Löcher von einigen Metern Tiefe, sichtlich mit Hacke und Schaufel ausgearbeitet. Weilten hier in dieser entlegenen Gegend Menschen? Wozu waren diese Löcher gemacht worden?

Ich ritt weiter, hielt aber bereits nach kurzer Zeit wieder an, denn ich gewahrte eine Fußspur im Grase. Als ich abgestiegen war, um sie genau zu untersuchen, fand ich, daß sie von einem weiblichen oder noch nicht ausgewachsenen männlichen Fuß, der mit indianischem, absatzlosem Mokassin bekleidet gewesen war, herrührte. Gab es hier Indianer? Oder hatte ein Weißer indianisches Schuhwerk getragen? Die Eindrücke beider Füße waren gleichmäßig; jetzt fiel mir dieser Umstand nicht besonders auf; später jedoch sollte ich an ihn erinnert werden.

Eigentlich hätte ich dieser Fährte folgen sollen; aber sie führte nach Norden, dem Fluß zu, während meine Richtung ostwärts ging; ich wollte baldigst auf Salters treffen; darum stieg ich wieder auf und ritt weiter.

Nach einiger Zeit dachte ich, aus gewissen Anzeichen schließen zu müssen, daß diese Gegend nicht so unbesucht sei, wie ich vorher geglaubt hatte. Einzelne zerknickte Halme, an den Zweigen gebrochene Aestchen, hier und da ein wie von einem menschlichen Fuß zu Mehl zertretenes Steinchen ließen vermuten, daß hier irgend ein Nachkomme des ersten Menschenpaares vorübergekommen sei. Darum war ich auch nur erstaunt, nicht aber erschrocken, als ich später, den Fluß wieder erreichend, hart an dessen Ufer ein mit jungen Tabaks- und Maispflanzen bestecktes Feld bemerkte. Jenseits davon erhob sich ein niedriges Blockhaus mit einer hohen, aber sehr beschädigten Fenz um den beträchtlichen Vorplatz.

Also eine Farm hier am Nescutunga-Creek! Wer hätte das denken sollen! Hinter der Fenz rieb sich ein alter, spitzhüftiger Gaul den Kopf an dem leeren Futtertrog, und vor ihr erblickte ich einen jungen Menschen, der beschäftigt war, eine schadhafte Stelle der Umzäunung auszubessern. Er zählte wohl kaum mehr als sechzehn Jahre, obgleich sein kräftig entwickelter Körper auf ein höheres Alter deutete.

Er schien über mein Erscheinen zu erschrecken, blieb aber stehen, bis ich bei ihm anhielt.

» Good morning!« grüßte ich ihn. »Darf ich erfahren, wie der Besitzer dieses Hauses heißt?«

Er strich sich mit der Hand durch das dichte blonde Haar, betrachtete mich forschend mit den prächtigen, germanisch blauen Augen und antwortete:

»Rollins heißt er, Sir.«

»Ihr seid der Sohn?«

»Ja, der Stiefsohn.«

»Ist Euer Vater daheim?«

»Seht Euch um! Da kommt er.«

Er deutete nach der engen, niedrigen Tür. Aus dieser trat soeben ein Mann, der sich bücken mußte, um oben nicht anzustoßen. Er war sehr lang, sehr hager und schmalbrüstig, und zwischen den wenigen Haaren seines dünnen Vollbarts blickte die Haut wie gegerbtes Leder hervor. Sein Yankeegesicht verfinsterte sich, als er mich sah. Er hatte ein altes Gewehr und eine Hacke in den Händen und legte beides nicht weg, als er langsam auf mich zutrat. Feindselig richtete er den stechenden Blick auf mich und erkundigte sich mit heiser klingender Stimme:

»Was wollt Ihr hier!?«

»Zunächst will ich Euch fragen, Master Rollins, ob nicht vielleicht gestern oder vorgestern ein Mann bei Euch vorgesprochen hat, der sich Salters nannte und irgend einen Auftrag zurückgelassen hat.«

Da antwortete der Sohn schnell:

»Das war gestern früh, Sir. Dieser Salters war –«

Er konnte nicht weiter sprechen. Sein Vater stieß ihm den Gewehrkolben in die Seite, daß der arme Junge wimmernd gegen die Fenz taumelte, und rief zornig:

»Willst du schweigen, Kröte! Wir haben keine Lust, einen jeden Landstreicher zu bedienen!« Und zu mir gewendet, fuhr er fort: »Macht Euch von dannen, Mann! Ich wohne weder für Euch, noch für Euren Salters hier!«

Das war einfach grob. Ich hatte meine eigne Hinterwaldsart, solche Leute zu behandeln. Gemütlich stieg ich vom Pferd, band es an die Fenz und sagte:

»Diesmal werdet Ihr doch eine Ausnahme machen müssen, Master Rollins. Mein Pferd geht lahm, und ich werde hier bei Euch bleiben, bis es geheilt ist.«

Er trat einen Schritt zurück, maß mich mit zornblitzenden Augen vom Kopf bis zu den Füßen herab und schrie:

»Seid Ihr toll? Mein Haus ist kein Boardinghaus, und wer sich hier breit machen will, dem brenne ich sehr einfach eine Ladung Schrot auf den Pelz. Zounds! Da ist ja auch dieser elende Indsman wieder! Warte, Bursche, dich will ich forträuchern!«

Ich folgte schnell mit meinem Blick dem seinigen, der bei den letzten Worten auf ein in der Nähe gelegenes Buschwerk gerichtet war. Von dorther kam ein junger Indianer herbeigeschritten. Rollins erhob das Gewehr und legte auf ihn an. Er drückte gerade in dem Augenblick ab, als ich ihm den Lauf zur Seite schlug. Der Schuß krachte, ging aber fehl.

»Hund! Du vergreifst dich an mir?« brüllte mich der Yankee an. »Da, nimm das dafür!«

Er drehte schnell das Gewehr um und holte zum Kolbenhieb aus. Die Hacke hatte er vorher, um schießen zu können, weggelegt. Ich stieß ihm die Faust unter den erhobenen Arm und schleuderte ihn so kräftig gegen die Fenz, daß sie unter ihm zusammenbrach. Die Büchse entfiel ihm und ich griff sie auf, ehe er sich wieder erhoben hatte. Er riß im Aufstehen das Messer aus der Scheide und gurgelte mit vor Zorn erstickter Stimme:

»Mir das! Auf meinem Grund und Boden! Das kostet Blut und Leben!«

Ich hatte ebenso schnell meinen Revolver in der Hand, hielt ihm diesen entgegen und antwortete:

»Ihr meint wohl Euer Blut und Leben? Steckt sofort das Messer ein! Meine Kugel ist schneller als Eure Klinge, Mann!«

Er ließ den bereits erhobenen Arm sinken und hielt die Augen nicht gegen mich, sondern nach der andern Ecke des Blockhauses gerichtet. Dort hielt ein Reiter, der unbemerkt von uns herbeigekommen war und mir lachend zurief:

»Schon bei der Arbeit, alter Bursche? Recht so! Schlage den Kerl nieder; er hat es verdient. Aber gib ihm keine Kugel, denn einen Schuß Pulvers ist er nicht wert.«

Dieser Reiter war Will Salters. Er kam vollends herbei, gab mir die Hand und fuhr fort:

» Welcome, Kamerad! Wenn es nach diesem scurvy fellow gegangen wäre, hättest du mich nicht wiedergefunden. Ich schätze, er hat dich grad so empfangen, wie gestern mich. Dafür erhielt er einige Nasenstüber, für die er mir eine Kugel nachschickte, die aber höflicher war als er; sie wich mir weit zur Seite aus. Ich wollte dich hier bei ihm erwarten, durfte aber nicht. Ich sagte seinem Sohn, daß ich heut zurückkehren würde, um zu sehen, ob der Mann bei besserer Laune sei. Wenn es dir recht ist, geben wir ihm eine Belehrung im Umgang mit unsersgleichen. Ich will mich einstweilen seiner Persönlichkeit versichern!«

Er stieg ab. Da raffte Rollins die Hacke vom Boden auf und floh in weiten Sprüngen davon. Wir blickten ihm verwundert nach. Sein Verhalten war befremdend. Erst rücksichtslose Grobheit und nun feige Flucht! Wir kamen nicht dazu, eine Bemerkung darüber zu machen, denn aus der Tür trat jetzt eine Frau, die bisher ängstlich dahinter versteckt gewesen war. Sie hatte Rollins hinter den Büschen verschwinden sehen und sagte, froh aufatmend:

»Gott sei Dank! Ich glaubte schon, es werde zum Blutvergießen kommen. Er ist betrunken. Er hat während der ganzen Nacht phantasiert und dann die letzte Flasche Brandy ausgetrunken!«

»Ihr seid seine Frau?« fragte ich.

»Ja. Ich hoffe, daß ich es nicht zu entgelten habe, Mesch'schurs. Ich kann ja nichts dafür.«

»Das wollen wir glauben. Fast möchte man annehmen, daß Euer Mann geistig gestört sei.«

»Das ist er leider auch. O Gott, ihr glaubt gar nicht, wie unglücklich ich bin! Er bildet sich ein, daß ein Schatz hier in der Nähe vergraben liege. Den will er heben. Kein andrer soll ihn finden, und darum duldet er keinen Menschen in dieser Gegend. Hier dieser junge Indsman ist schon seit vier Tagen hier. Er konnte nicht weiter, weil er sich den Fuß vertreten hat, und wollte bei uns bleiben, bis er wieder richtig zu laufen vermag; aber Rollins jagte ihn fort. Nun muß der arme Teufel im Freien übernachten.«

Sie deutete auf den Indianer, der herbeigekommen war. Es war alles so schnell geschehen, daß ich ihn noch nicht wieder hatte beachten können.

Er mochte achtzehn Jahre alt sein. Sein Anzug war aus mit Gehirn gegerbter Hirschhaut gefertigt und an den Nähten ausgefranst. Diese Fransen waren nicht mit Menschenhaaren geschmückt; er hatte also noch keinen Feind getötet. Sein Kopf war unbedeckt. Seine Waffen bestanden aus einem Messer und Bogen mit Köcher. Er durfte wohl noch kein Feuergewehr tragen. Um den Hals trug er eine messingene Kette, woran das Rohr einer Friedenspfeife hing; ihr Kopf fehlte. Das war das Zeichen, daß er sich auf der Wallfahrt nach den heiligen Steinbrüchen befand, aus denen die Indianer den Pfeifenton beziehen. Während dieser Reise ist ein jeder unverletzlich. Selbst der blutgierigste Gegner muß ihn da unbeschädigt ziehen lassen, ja ihn nötigenfalls sogar beschützen.

Die offenen, klugen Züge dieses Jünglings gefielen mir. Das Gesicht hatte einen fast kaukasischen Schnitt. Die Augen waren sammetschwarz und mit dem Ausdruck des Dankes auf mich gerichtet. Er streckte mir die Hand entgegen und sagte:

»Du hast Ischarshiütuha beschützt. Ich bin dein Freund!«

Diese letztere Versicherung klang sehr stolz; das gefiel mir ebenso wie der Sprecher selbst. Sein Name aber verblüffte mich. Ischarshiütuha ist ein Apatschenwort und heißt so viel wie ›kleiner Hirsch‹, darum fragte ich:

»Bist du ein Apatsche?«

»Ischarshiütuha ist der Sohn eines großen Kriegers der Mescalero-Apatschen, der tapfersten roten Männer.«

»Sie sind meine Freunde, und Intschu tschuna, der größte ihrer Häuptlinge, ist mein Bruder.«

Sein Blick fuhr rasch und scharf an meiner Gestalt empor. Dann fragte er: »Intschu tschuna ist der tapferste der Helden. Wie nennt er dich?«

»Yato-inta.«

Da trat er um mehrere Schritte zur Seite, senkte den Blick und sagte: »Die Söhne der Apatschen kennen dich. Ich bin noch kein Krieger; ich darf nicht mit dir sprechen.«

Das war die Demut eines Indianers, der den Rang eines andern offen anerkennt, den Kopf aber nicht um einen Zehntelzoll niederbeugt.

»Du darfst mit mir sprechen, denn du wirst einst ein berühmter Krieger sein. Du wirst in kurzer Zeit nicht mehr Ischarshiütuha, der kleine Hirsch, heißen, sondern Pehnulte, der große Hirsch. Du hast einen kranken Fuß?«

»Ja.«

»Und bist aus deinem Wigwam ohne Pferd gegangen?«

»Ich hole den heiligen Pfeifenton. Ich laufe.«

»Dieses Opfer wird dem großen Geist gefallen. Komm mit ins Haus!«

»Ihr seid Krieger, und ich bin noch jung. Erlaubt, daß ich bei meinem kleinen weißen Bruder bleibe!«

Er trat zu dem hübschen blonden, blauäugigen Knaben, der still und traurig dagestanden hatte, die Hand auf die Stelle gelegt, wo ihn der Gewehrkolben seines Vaters getroffen hatte. Die beiden wechselten ganz unbewußt einen Blick, der mir aber sofort auffiel. Sie standen jedenfalls jetzt nicht zum erstenmal nebeneinander. Der ›kleine Hirsch‹ war nicht ohne Absicht hier; er verbarg ein Geheimnis, vielleicht gar ein für die Bewohner des Blockhauses gefährliches. Ich fühlte das Verlangen, dahinter zu kommen, ließ mir aber nichts merken.

Die Knaben blieben im Freien; ich folgte mit Will Salters der Frau in das Haus oder vielmehr in die Hütte, deren Inneres aus einem einzigen Raum bestand.

Da sah es denn höchst ärmlich aus. Ich war schon in mancher Blockhütte gewesen, deren Bewohner sich auf das Notwendigste zu beschränken hatten; hier aber war es schlimmer. Das Dach war sehr schadhaft und die Verstopfung der Zwischenräume in den Blockwänden verschwunden. Durch diese Löcher und Ritzen kroch das Elend ein und aus. Ueber dem Herd hing kein Kessel. An Speisevorrat erblickte ich nur eine geringe Anzahl von Maiskolben, die in einer Ecke lagen. Die Kleidung der Frau bestand aus dünnstem, verschossenen Druckkattun. Sie ging barfuß. Ihr einziger Schmuck war die Sauberkeit, die trotz dieser Aermlichkeit wohltuend an ihr auffiel. Ihr Sohn ging ebenfalls dürftig gekleidet, doch war jede zerrissene Stelle sorgfältig ausgebessert.

Als ich auf das nur aus Laub bestehende Lager in der Ecke und dann in das bleiche, abgehärmte Gesicht dieser braven Frau blickte, kam mir, ohne daß ich es eigentlich wollte, die Frage über die Lippen:

»Ihr habt Hunger, liebe Frau?«

Sie errötete schnell und wie beleidigt; dann aber brachen plötzlich die Tränen aus ihren Augen, und sie antwortete, mit der Hand nach dem Herzen greifend:

»O Gott, ich wollte gar nicht klagen, wenn nur Joseph sich satt essen könnte! Unser Feld trägt nichts, weil mein Mann es verwildern läßt; so sind wir also auf die Jagd angewiesen, die aber auch nichts bringt, weil Rollins den Wahnsinn hat, nur immer nach dem Schatz zu graben.«

Ich eilte hinaus zu meinem Pferd, um meinen Vorrat an Dürrfleisch herein zu holen, den ich ihr gab. Der gute Will Salters war ebenso schnell bei seinem Tier und brachte auch seinen Vorrat herein.

»O Mesch'schurs, wie gut ihr seid!« sagte sie. »Man möchte euch gar nicht für Yankees halten.«

»Da habt ihr, wenigstens in Beziehung auf mich, nicht unrecht,« antwortete ich. »Ich bin ein Deutscher. Master Salters aber hat zwar nur von mütterlicher Seite deutsches Blut in den Adern, ist aber ein noch viel besserer Kerl als ich. Seine Mutter war eine Oesterreicherin.«

»Herrgott! Und ich bin in Brünn geboren!« rief sie aus, die Hände froh zusammenschlagend.

»Also eine Deutsche! So können wir uns ja der Muttersprache bedienen.«

»Ach ja! Ich darf mit meinem Sohn nur heimlich deutsch reden. Rollins leidet es nicht.«

»Ein schrecklicher Kerl!« sagte Salters. »Ich will Sie nicht kränken; aber es ist mir ganz so, als ob ich ihm schon vor Jahren einmal, unter für ihn nicht ehrenvollen Umständen, begegnet sei. Er hat eine große Aehnlichkeit mit einem Kerl, den man nur unter einem indianischen Namen kannte. Ich weiß nicht, was dieser Name bedeutet. Wie lautete er doch nur? Ich glaube, so ähnlich wie Indano oder Indanscho.«

»Inta-'ntscho!« klang es vom Eingang her.

Dort stand der junge Indianer. Er hatte zwar nicht die deutschen Worte, aber doch den Namen verstanden. In seinem Auge glühte es flackernd auf. Als da mein Blick forschend auf ihn fiel, drehte er sich um und verschwand von der Tür.

»Dieser Name ist der Apatschensprache entnommen,« erklärte ich dem Gefährten. »Er bedeutete so viel wie ›böses Auge‹.«

»Böses Auge!« fragte die Frau. »Dieses Wort sagt mein Mann sehr oft, wenn er im Traum spricht, oder in der Betrunkenheit dort in der Ecke sitzt und sich mit unsichtbaren Personen zankt. Er ist zuweilen über eine Woche lang fort. Da bringt er sich aus Fort Dodge drüben am Arkansas Brandy mit; ich weiß nicht, wovon er ihn bezahlt. Dann trinkt und trinkt er, bis er nicht mehr denken kann, und spricht von Blut und Mord, von Gold und Nuggets, von einem Schatz, der hier vergraben liegt. Wir getrauen uns dann Tage und Nächte lang nicht in die Hütte aus Angst, daß er uns umbringen werde.«

»Sie unglückliche Frau! Wie sind Sie denn zu der Kühnheit gekommen, einem solchen Mann nach diesem Winkel der Wildnis zu folgen?«

»Ihm? O, mit ihm wäre ich niemals hierher gegangen. Ich kam mit meinem ersten Mann und dessen Bruder nach Amerika. Wir kauften Land und wurden von dem Agenten betrogen. Die Urkunde, die wir über den Kauf erhielten, war gefälscht. Als wir nach dem Westen kamen, hatte der rechtmäßige Eigentümer die Stelle schon seit Jahren bewohnt und bebaut. Unser Geld war alle; es blieb uns nichts übrig, als vom Ertrag der Jagd zu leben. Dabei gingen wir immer weiter nach dem Westen. Mein Mann wollte nach Kalifornien. Er hatte von dem Gold gehört, das dort gefunden wird. Wir kamen bis hierher, da ging es nicht weiter; ich war krank und erschöpft. Wir lagerten im Freien, fanden aber zum Glück nach kurzer Zeit diese Blockhütte. Sie war verlassen. Wem sie gehört hat, wissen wir nicht. Wir behalfen uns so, wie es eben gehen wollte. Aber der Gedanke an Kalifornien ließ meinem Manne keine Ruhe. Er wollte hin. Ich konnte nicht, und sein Bruder wollte nicht, denn er hatte Sehnsucht nach der Heimat. Gott allein weiß es, nach welch schweren Kämpfen ich die Erlaubnis gab, daß mein Mann allein nach dem Goldlande gehen möge, um sein Glück zu versuchen, während der Schwager bei mir bleiben solle. Er ist nie zurückgekehrt. Ein halbes Jahr nach seinem Weggang wurde mir mein Joseph geschenkt. Er hat seinen Vater nie gesehen. Er war drei Jahre alt, als der Schwager einst des Morgens auf die Jagd ging und nicht wiederkam. Einige Tage später fand ich ihn am Ufer des Flusses liegen. Er hatte eine Schußwunde im Kopf. Vielleicht ist er von einem Indianer ermordet worden.«

»War er skalpiert?«

»Nein.«

»So ist der Mörder ein Weißer. Wie aber haben Sie leben können?«

»Von dem kleinen Maisvorrat, den wir hier nebenan erbaut hatten. Dann kam mein jetziger Mann in diese Gegend. Er wollte jagen und dann weiter gehen, blieb aber länger und länger und zuletzt für immer da. Ich war froh, ihn zu haben; ohne ihn wäre ich mit meinem Kind verhungert. Er ging hinüber nach Dodge City und ließ meinen Mann für tot erklären. Ich brauchte einen Beschützer und mein Sohn einen Vater. Rollins ist beides geworden. Einst hatte ihm von einem Schatz geträumt, der hier vergraben sei. Sonderbarerweise wiederholte sich dieser Traum so oft, daß Rollins nicht nur fest an das Dasein dieses Schatzes glaubt, sondern in einen förmlichen Wahn verfallen ist. Des Nachts phantasiert er von dem Gold, und des Tages gräbt er nach dem Gold.«

»Wohl an dem Berg, an dessen Fuß die alten Platanen stehen?«

»Ja. Aber ich darf nicht mit hin und mein Sohn ebensowenig. Ich kann keinem Menschen sagen, wie unglücklich ich bin. Ich bete täglich und stündlich um Errettung. Wenn Gott doch helfen wollte!«

»Er wird helfen, wenn auch seine Hilfe Ihnen anfänglich Schmerz bereiten sollte.«


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