Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Deadly-gun

Wieder ging es vorwärts. Die Tageshelle verschwand schnell, und noch war nicht viel über eine halbe Stunde vergangen, so hatte sich die Dunkelheit des Abends über die weite Prärie gesenkt, und die Sterne begannen, ihre matten Strahlen herabzusenden. Ein wenig Mondschein wäre den Reitern jetzt willkommen gewesen; da er aber später die Annäherung an die Indianer erschwert hätte, so war es ihnen ganz recht, daß der nächtliche Beleuchter der Erde zurzeit unsichtbar war und keine Spur seines magischen Schimmers wahrnehmen ließ.

Bei dem durchdringenden Licht, das die amerikanischen Maschinen mit sich führen, war das Nahen des Zuges in dem flachen Gelände auf eine große Entfernung bemerklich; es mußte also eine Strecke zurückgelegt werden, die diese Tragweite des Lichtes überstieg; darum ließ Dick Hammerdull seine Stute weit ausgreifen, und die andern folgten wortlos seiner Führung.

Endlich hielt er an und sprang vom Pferd; die drei Begleiter taten das gleiche.

»So!« meinte er; »ich denke, daß der Vorsprung nun groß genug ist. Fesselt die Tiere und sucht ein wenig trocknen Grases, damit wir ein Zeichen geben können!«

Dem Gebot wurde Folge geleistet, und bald war ein Haufen dürrer Halme beisammen, die sich mit Hilfe von einigem aufgestreuten Pulver leicht in Brand stecken ließen.

Auf ihre Decken gelagert, lauschten nun die Männer in die stille Nacht hinein und verwandten fast kein Auge von der Richtung, aus der der Zug zu erwarten war. Die beiden Deutschen konnten wohl alles ahnen, was geschehen sollte, waren aber in dem Leben des wilden Westens zu unerfahren, als daß sie an eine Unterbrechung der herrschenden Schweigsamkeit hätten denken wollen. Sie ließen daher die zwei Jäger ruhig gewähren. Außer dem Geräusch, das die grasenden Pferde verursachten, war rings kein Laut zu hören, als höchstens das leise Knispern eines auf Raub ausgehenden Deckflüglers, und die Minuten dehnten sich zu einer immer peinlicher werdenden Länge.

Da, endlich zeigte sich weit draußen ein Licht, zuerst unscheinbar, dann aber rasch wachsend.

»Pitt Holbers, was sagst du zu dem Johanniswurm da vorn, he?« fragte Hammerdull.

»Hm, dasselbe, was du schon gedacht hast, Dick Hammerdull!«

»Wohl die klügste Ansicht, die du in deinem ganzen Leben gehabt hast, altes Coon! Ob es die Lokomotive ist oder nicht, das bleibt sich gleich, aber so viel ist sicher, der Augenblick des Handelns ist bald gekommen. Heinrich Mertens, wenn der Zug naht, so schreit Ihr, so laut Ihr könnt, und auch Ihr, Peter Wolf – verdammt elender Name; er reißt einem ja den Mund entzwei! – Ihr macht Lärm und Hallo nach Herzenslust. Das übrige werden wir schon selbst besorgen!«

Er nahm das Gras zur Hand, das er zu einer langen, starken Lunte zusammengedreht hatte, und schüttete das Pulver aus. Dann zog er seinen Revolver aus dem Gürtel.

Jetzt machte sich das Nahen der Wagen durch ein immer deutlicher werdendes Rollen wahrnehmbar, und nach und nach wuchs es zu einem Geräusch an, das dem Grollen eines entfernten Donners glich.

»Streck' deine ewigen Arme aus, Pitt Holbers, tue die Meilenlippen auseinander und brülle, so laut es geht, altes Coon! Der Zug ist da!« rief Hammerdull, indem er zugleich besorgt nach den Pferden blickte, die bei der ungewohnten Erscheinung schnaubend und stampfend an den Riemen zerrten, mit denen sie an die Erde befestigt waren.

»Peter Wolf – der Teufel hole diesen holprigen Namen! – paßt auf, daß uns die Tiere nicht durchgehen! Schreien könnt Ihr dabei ja auch!«

Der Augenblick war gekommen. Einen blendenden Lichtkeil vor sich herwerfend, brauste der Zug heran. Hammerdull hielt den Revolver an die Lunte und drückte los. Sofort flammte das Pulver auf und setzte das dürre, ausgetrocknete Gras in glimmenden Brand. Er packte die Lunte, schwang sie kräftig, bis sie aufflammte, und rannte, von ihrem flackernden Licht hell beleuchtet, dem Zug entgegen.

Der Maschinist mußte das Zeichen durch die Glastafel des Wetterschutzes sofort bemerkt haben, denn schon nach den ersten Schwingungen des hochlodernden Brandes ertönte ein sich rasch und scharf wiederholender Pfiff; fast gleichzeitig wurden die Bremsen angezogen, die Räder knirschten und schrieen in der Hemmung, und mit donnerndem Dröhnen flog die lange Wagenreihe an den vier Männern vorüber. Diese sprangen dem Zuge nach, der seine Geschwindigkeit nun zusehends verringerte.

Jetzt hielt er. Ohne zunächst die sich von ihren erhöhten Plätzen herabbeugenden Beamten zu beachten, eilte der dicke Hammerdull an den Wagen vorbei bis vor die Lokomotive, warf eine Decke, die er vorhin von der Erde aufgerafft hatte, vorsorglich über die Scheinwerfer und rief mit lauter Stimme:

»Lichter aus – macht den Zug dunkel!«

Sofort verschwanden alle Laternen. Die Angestellten der Pacificbahn sind geistesgegenwärtige Leute. Sie konnten sich denken, daß der Ruf seinen guten Grund habe, und folgten ihm augenblicklich.

»' sdeath!« rief eine Stimme von der Maschine herab; »warum verdeckt Ihr die Lichter, Mann? Wer seid Ihr, und was hat Euer Zeichen zu bedeuten?«

»Wer ich bin oder nicht, das bleibt sich gleich, Sir,« antwortete der umsichtige Trapper »es sind Indsmen vor uns, und ich glaube sehr, daß sie die Schienen aufgerissen haben!«

»Verdammt, schon wieder mal! Mann, wie sollen wir Euch dann danken?!«

Es sprang jemand zur Erde, drückte Dick die Hand und gebot, die Wagen zu öffnen.

Nach kaum einer Minute waren die Jäger von einer Menge Neugieriger umringt und mußten sich fast wundern über die bedeutende Anzahl von Leuten, die den Abteilen entstiegen, um sich über die Ursache des Aufenthalts zu unterrichten.

In kurzen Worten erzählte Hammerdull alles und erzeugte dadurch eine nicht geringe Aufregung.

»Das ist in kurzer Zeit das dritte Mal,« sagte der Ingenieur, »daß sie es wagen, grad auf dieser Strecke Züge zu überfallen und auszurauben, und allemal sind es die verdammten Ogellallahs gewesen, dieser verteufeltste Stamm der Sioux, denen die Wildheit und Feindseligkeit nur durch eine gute Kugel ausgetrieben werden kann. Heut aber sollen sie sich geirrt haben und ihren Lohn gleich in ganzer Summe erhalten! Jedenfalls haben sie geglaubt, daß dieser Zug wie gewöhnlich viele Güter und nur fünf bis sechs Leute mit sich führe. Glücklicherweise aber haben wir einige Hundert Arbeiter geladen, die für den Brücken- und Tunnelbau droben in den Mountains bestimmt sind, und da diese braven Leute fast alle Waffen bei sich tragen, so wird uns die Sache gar nicht schwer werden und nur einigen Spaß bereiten!«

Er stieg zunächst wieder auf die Maschine, um den überflüssigen Dampf abzulassen, der mit gellendem Zischen den Ventilen entströmte und die Umgebung rasch in eine weiße Wolke hüllte. Dann sprang er herab, um die ihm zu Gebot stehenden Kräfte zu mustern, und fragte:

»Zunächst sagt mir einmal, wie Ihr Euch nennt, Mann! Ich muß doch wissen, wem ich die glückliche Warnung zu verdanken habe.«

»Mein Name ist Hammerdull, Sir, Dick Hammerdull, so lange ich lebe!«

»Schön! Und der andre hier?«

»Wie der heißt, das bleibt sich gleich, aber da er zufällig auch einen Namen hat, so schadet es keinem Menschen etwas, wenn Ihr ihn erfahrt. Er nennt sich Pitt Holbers, Sir, und ist ein Kerl, auf den man sich verlassen kann.«

»Und die beiden andern – dieser da und der dort bei den Pferden?«

»Das sind zwei Männer aus Germany da drüben herüber, Sir, und heißen Heinrich Mertens – Harry würde viel besser klingen – und – verdammt elender Name! – Peter Wolf. Sprecht die beiden Worte ja nicht aus, Sir, denn Ihr werdet das Genick dabei brechen!«

» Well!« lachte der Beamte. »Es ist nicht jede Zunge so empfindlich wie die Eurige, Master Hammerdull!«

»Hammerdull? Dick Hammerdull?« rief da eine tiefe, kräftige Stimme, und ein Mann drängte sich durch die Umstehenden herbei. » Welcome, altes Coon! Dachte Euch erst im › Hide-spotwörtlich: »Fell-Versteck« – geheimer Lagerplatz. zu treffen und muß hier an Euch rennen! Welche Angelegenheit hat Euch herausgetrieben?«

»Was mich herausgetrieben hat, Colonel, das bleibt sich gleich, aber ich habe mir ein wenig Pulver, Blei und Tabak geholt. Der lange Pitt ist mitgegangen, wißt's schon, Colonel, zu Master Winklay, dem Irishman, und haben da zwei aus Germany mitgebracht, die Deadly-gun, nämlich Euch, gern sehen wollen.«

»Deadly-gun!« rief der Maschinist, auf den Fremden zutretend. »Seid Ihr das wirklich, Sir?«

»Man nennt mich so!« klang kurz und einfach die Antwort. Der Sprecher war ein Mann von mittelgroßer, aber auffallend breiter Gestalt; er trug die gewöhnliche Trapperkleidung. Die Umstehenden hatten sich beim Nennen seines Namens um weniges zurückgezogen.

» Good-lack, Sir, dann haben wir ja ganz den richtigen Mann bei uns, dem wir das Kommando übergeben können. Wollt Ihr die Sache übernehmen?«

»Wenn es die Gentlemen alle zufrieden sind, warum nicht?«

Ein allgemeiner Ruf der Zustimmung ließ sich ringsum vernehmen. Diesem bekannten Jäger, den kaum jemand, außer der erwählten Schar, die er um sich versammelt hatte, zu Gesicht bekam, und der hier so unerwartet inmitten der Leute stand, konnte man den Oberbefehl vertrauensvoll übergeben.

»Natürlich sind sie es zufrieden. Trefft also Eure Maßregeln so schnell wie möglich! Wir haben keine Zeit zu verlieren und dürfen die roten Mesch'schurs nicht lange auf uns warten lassen,« sagte der Ingenieur.

» Well, Sir, nur laßt mich erst einige Worte mit diesem Manne hier sprechen! Dick Hammerdull, wer aus dem › Hide-Spot‹ ist noch bei euch beiden?«

»Keiner, Colonel! Die andern sind daheim oder hinauf in die Berge.«

»Muß aber doch noch einer bei Euch sein, Dick; denn so wie ich Euch kenne, so seid Ihr nicht von den Roten fortgelaufen, ohne ihnen einen Watchman, einen Wächter, hinzustellen.«

»Wie ich fortgelaufen bin, das bleibt sich gleich, aber wenn Ihr den Dick Hammerdull für so dumm gehalten hättet, nicht an den Watchman zu denken, so hättet Ihr Euch verdammt in ihm geirrt, Colonel! Es steht einer da, wie es keinen bessern gibt, nämlich Winnetou, der Apatsche. Er traf uns da unten bei dem Irishman und warnte uns. Dann hat er die Spur der Ogellallahs verfolgt und ist erst vorhin wieder zu uns gestoßen.«

»Winnetou, der Apatsche?« fragte der Maschinist, während ein Gemurmel der Befriedigung durch die Menge der andern lief. » Heigh-day, ist das heut ein Zusammentreffen! Der Mann ist ja ganz allein ein Stämmchen Jäger wert, und wenn er auf unsrer Seite steht, so werden wir die roten Schufte heimschicken, daß sie an uns denken sollen. Wo steht er?«

»Ob er steht oder nicht, Sir, das bleibt sich gleich, aber er liegt ganz nahe bei den Indsmen auf der linken Seite des Schienenwegs. Es muß dort noch alles in Ordnung sein, sonst wäre er hier, um zu warnen.«

»Gut,« meinte Deadly-gun, »so will ich Euch nun meine Meinung sagen: Wir bilden zwei Abteilungen, die zu beiden Seiten der Bahn sich an die Indianer schleichen. Die eine führe ich, die andre – hm, Sir, geht Ihr mit?«

»Versteht sich!« meinte der Ingenieur. »Zwar darf ich eigentlich meinen Posten nicht verlassen, aber ich mag doch nicht umsonst ein paar gesunde Fäuste besitzen, und der Heizer hier ist Manns genug, einstweilen meine Stelle zu vertreten. Ich würde es auf dem alten Feuerkasten nicht aushalten können, sobald ich eure Büchsen knallen hörte, und gehe also mit!« Und sich zu seinem Personal wendend, fuhr er fort: »Ihr bleibt bei den Wagen, und gebt wohl acht; man weiß zuweilen nicht, was geschehen kann. – Tom!«

»Sir!« antwortete der Feuermann.

»Du verstehst ja, mit der Maschine umzugehen. Damit wir nicht erst wieder zurückzugehen brauchen, kommst du, sobald du ein Feuerzeichen erblickst, mit dem Zug nach. Aber langsam fährst du, so langsam und vorsichtig wie möglich, denn es wird jedenfalls am Gleise auszubessern geben! – Was jedoch den andern Anführer betrifft, Master Deadly-gun, so hoffe ich nicht, daß Ihr grad mich in Vorschlag bringen wollt. Ich will gern mittun, ja, aber ein Westmann bin ich nicht. Sucht Euch also einen andern, dem Ihr die Stelle geben könnt!«

»Gut, Sir,« nickte Deadly-gun; »ich wollte Euch nicht gern vernachlässigen; aber ich weiß hier einen, der seine Sache ebensogut machen wird, wie ich die meine, und Ihr könnt ihm deshalb Eure Männer ruhig anvertrauen. Dick Hammerdull, was meint Ihr?«

»Was ich meine, das bleibt sich gleich, Colonel; aber ich denke, Ihr werdet nichts Unrechtes bestimmen!«

»Denk's auch! Wollt Ihr die andre Hälfte führen?«

»Hm, wenn mir die Männer nachlaufen wollen, so will ich gern vorankriechen! Mein Gewehr hat neues Pulver und Blei und wird ein sehr vernünftig Wort dort mit den Indsmen reden. Aber die Pferde, Colonel, die müssen zurückbleiben; der Mann aus Germany, der Mertens, kann sie halten.«

»Fällt mir nicht ein,« entgegnete dieser kurz; »ich gehe mit!«

»Was Euch einfällt oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wenn Ihr nicht wollt, so kann es ja der andre tun, der Peter Wolf – hol' der Teufel den bockbeinigen Namen –!«

Auch dieser weigerte sich, und so bekam einer der wenigen waffenlosen Arbeiter den Auftrag, die Pferde einstweilen in seine Obhut zu nehmen.

Die streitbaren Kräfte wurden geteilt. Deadly-gun und Dick Hammerdull stellten sich an die Spitze der beiden Abteilungen; der Zug blieb zurück; die Männer bewegten sich vorwärts. Nach wenigen Augenblicken lag tiefe Stille über der Gegend, und nicht das leiseste Geräusch verriet, daß der auf der weiten Ebene ruhende, scheinbare Frieden die Vorbereitung eines blutigen Kampfes in sich berge.

Zunächst wurde eine ansehnliche Strecke in aufrechter Stellung zurückgelegt; dann aber, als die Nähe des mutmaßlichen Kampfplatzes erreicht war, legten sie sich nieder und krochen, einer hinter dem andern, auf Händen und Füßen zu beiden Seiten der Böschung entlang.

»Uff!« klang es da leise an das Ohr Deadly-guns. »Die Reiter des Feuerrosses mögen hier liegen und warten, bis Winnetou fortgeht und wiederkommt!«

»Winnetou?« fragte Deadly-gun und richtete sich halb empor. »Hat mein roter Bruder die Gestalt seines weißen Freundes vergessen?«

Winnetou betrachtete ihn, erkannte ihn trotz der Dunkelheit und flüsterte mit freudiger Stimme:

»Deadly-gun! Der große Geist sei gelobt, der dem Apatschen heut dein Angesicht zeigt; er mag deine Hand segnen, daß sie vernichtend auf die Häupter deiner Feinde falle! Ist mein Bruder auf dem Feuerroß geritten?«

»Ja; er hat das Gold, das er der Freundschaft des Apatschen verdankt, nach Sonnenaufgang geschafft und kehrt nun zurück, um mehr zu finden. Warum wollte mein wachsamer Bruder fortgehen und wiederkommen?«

»Die Seele der Nacht ist schwarz und der Geist des Abends dunkel und finster; Winnetou konnte seinen Bruder, der am Boden lag, nicht erkennen. Aber den Mann hat er gesehen, der dort auf dem Hügel steht, um nach dem Feuerroß zu schauen. Der Apatsche wird gehen, um das Auge des Ogellallah zu schließen; dann kehrt er zurück!«

Er war im nächsten Augenblick verschwunden.

Trotz des nächtlichen Dunkels war auf der seitwärts liegenden, wellenförmigen Bodenerhebung eine Gestalt zu erkennen, die sich selbst für das scharfe Auge eines Westmannes nur undeutlich vom sternenbedeckten Horizont abzeichnete. Die Ogellallahs hatten also eine Wache ausgestellt, um nach dem Licht des nahenden Zuges zu schauen. Einem Weißen wäre es wohl schwer oder gar unmöglich geworden, unbemerkt an sie heranzukommen; Deadly-gun aber kannte die Meisterschaft des Apatschen im Beschleichen und wußte, daß der Ogellallah in kurzer Zeit verschwinden werde.

Hart am Bahndamm liegend, behielt er ihn scharf im Auge und wirklich – nur wenige Minuten waren vergangen, so fuhr neben dem Wachehaltenden eine Gestalt blitzschnell in die Höhe, beide lagen im Nu an der Erde! – das Messer des Apatschen hatte seine Schuldigkeit getan.

Dieser kehrte erst nach längerer Zeit zurück; er hatte die Indianer umschlichen und ihre Stellung in Augenschein genommen. Jetzt stattete er Deadly-gun seinen Bericht ab.

Die Ogellallahs hatten einige Schienen herausgerissen und diese samt den Schwellen quer über das Bahngleis gelegt. Der Zug hätte mitsamt seinen Fahrgästen ein fürchterliches Schicksal gehabt, wenn er ungewarnt an diese Stelle gekommen wäre. Die Roten lagen etwas seitwärts davon in lautloser Stille am Boden, während noch eine Strecke weiter zurück ihre Pferde angepflockt waren. Die Gegenwart dieser Tiere machte das Beschleichen der Indianer von dieser Seite fast zu einer Unmöglichkeit, da das Pferd der Prärie an Wachsamkeit den Hund fast übertrifft und die Annäherung jedes lebenden Wesens seinem Herrn durch Schnauben verkündigt.

»Wer führt sie an?« fragte Deadly-gun.

»Matto-Sih, die ›Bärentatze‹. Winnetou ist an seinem Rücken gewesen, er hätte ihn mit dem Tomahawk niederschlagen können.«

»Matto-Sih? Das ist der Tapferste der Sioux; er fürchtet sich vor keinem Krieger und wird uns wohl zu schaffen machen! Er ist stark wie der Bär und listig wie der Fuchs; er hat sicherlich nicht alle seine Männer bei sich, sondern die übrigen in der Prärie zurückgelassen. Ein kluger Krieger wird nicht anders handeln.«

»Uff!« gab Winnetou im tiefen Gaumenlaut seine Zustimmung zu erkennen.

»Mein roter Bruder möge die Hälfte meiner Leute nehmen und mit ihnen Matto-Sih's Reserve aufspüren.«

Winnetou folgte dieser Weisung, während sich Deadly-gun über den Bahnkörper hinüber zu Dick Hammerdull schlich und zu ihm sagte:

»Noch dreihundert Körperlängen vorwärts, Dick, dann seid Ihr den Indsmen gegenüber. Ich habe meine Leute drüben geteilt und schicke die Hälfte mit Winnetou hinaus in die Prärie, um – –«

»Ob Ihr sie geschickt habt oder nicht, das bleibt sich gleich,« fiel ihm der Dicke flüsternd in die Rede: »aber was sollen sie da draußen, Colonel?«

»Die Ogellallahs werden von Matto-Sih angeführt –«

»Von der ›Bärentatze‹? Zounds! Dann haben wir die Tapfersten des Stammes gegen uns, und ich traue es ihm zu, daß er da draußen auf der alten Wiese eine Reserve halten hat.«

»So meine ich auch. Also diese Reserve lasse ich durch Winnetou abschneiden und gehe mit den übrigen geradewegs auf die Pferde los. Gelingt es uns, diese in unsre Gewalt zu bekommen, oder zu zerstreuen, so sind die Roten verloren.«

» Well, well, Colonel, und Dick Hammerdull und seine Büchse werden das ihrige beitragen, daß wir den Zug mit Skalps beladen können!«

»Ihr wartet also mit den Euren, bis drüben der erste Schuß losgeht; die Indsmen werden uns hinter sich wissen, und sich zu euch herübermachen, wo ihr sie empfangt. Aber ruhig warten, Dick, bis sie so weit heran sind, daß ihr sie Mann für Mann sehen könnt. Erst dann schießt ihr los; dann geht keine Kugel fehl!«

»Keine Sorge, Colonel! Dick Hammerdull weiß ganz genau, was er zu tun hat. Nehmt Euch nur vor den Pferden in acht, denn so ein Indianermustang schnobert den Weißen zehn Meilen weit!«

Deadly-gun schlich davon, und der dicke Trapper kroch längs der Reihe der hinter ihm Liegenden hin, um ihnen die erhaltene Anweisung mitzuteilen.

Als er wiederkehrte, nahm er neben Pitt Holbers Platz, der sich während der letzten Stunden schweigsam verhalten hatte. Diesem flüsterte er zu:

»Pitt Holbers, altes Coon, nun geht der Tanz bald los!«

»Hm, wenn du denkst, Dick! Hast du nicht Freude darüber, he?«

Hammerdull wollte eben eine Antwort geben, da – zuckte seitwärts drüben ein flüchtiges Leuchten auf, dem ein lauter Knall folgte – noch ehe der Plan Deadly-guns ausgeführt war, hatte einer der ihm folgenden Arbeiter, wohl durch ein Mißverständnis, zu schießen begonnen.

Sofort standen die Ogellallahs auf den Füßen und eilten nach ihren Pferden. Aber der geistesgegenwärtige Deadly-gun hatte kaum hinter sich den verräterischen Schuß gehört, so eilte er, den Folgen dieser Nachlässigkeit zuvorzukommen.

»Vorwärts, Männer, zu den Pferden!« rief er.

In weiten Sätzen stürmte er auf die Tiere los und erreichte sie mit den Seinen noch vor den Indianern. Mit Gedankenschnelle waren sie von den Pflöcken befreit und jagten wiehernd und schnaubend in die weite, dunkle, Savanne hinaus.

Die den jetzt eintreffenden Indianern entgegenkrachenden Schüsse machten diese stutzig. Ihre Pferde waren fort; sie konnten in der Finsternis die geringe Zahl ihrer Gegner nicht erkennen und hielten einige Augenblicke vollständig ratlos still, sich den Massen der Weißen preisgebend. Dann aber ertönte der laute Ruf ihres Anführers; sie wandten sich und stürmten zurück, um jenseits des Damms Deckung zu suchen und die zu ergreifenden Maßregeln zu beraten.

Kaum aber hatten sie den Bahndamm erreicht, so stieg nur wenige Fuß vor ihnen eine dunkle Linie wie aus der Erde empor; der Blitz aus über fünfzig Büchsen erhellte für eine Sekunde die Nacht, und das Geheul der Getroffenen zeigte, daß Dick Hammerdulls Abteilung gut gezielt hatte.

»Alle Kugeln heraus und dann drauf!« rief der wackere Dicke, schoß den zweiten Lauf seiner Büchse ab, warf sie, die ihm nun nichts mehr helfen konnte, fort, riß den Tomahawk, dieses furchtbare Kriegsbeil des Westens, unter dem langen Jagdhemd hervor und stürzte sich, gefolgt von Pitt Holbers und den Mutigsten unter den Arbeitern, auf die vor Entsetzen stockenden Wilden.

Diese hatten vor Ueberraschung über den unerwarteten Ueberfall die Besinnung verloren; vor und hinter sich den Feind, gab es für sie nur Rettung in der Flucht. Wieder erschallte ein lauter Ruf Matto-Sih's und gleich darauf war kein Wilder mehr zu sehen. Sie hatten sich mitten unter den Angreifern auf die Erde geworfen und suchten, zwischen ihnen hindurchkriechend, das Weite zu erreichen.

»Zur Erde, ihr Männer, und die Messer zur Hand!« rief Deadly-gun mit donnernder Stimme und eilte nach dem verlassenen Lagerplatz der Indianer.

Er dachte sich, daß diese sicher eine hinreichende Menge von allerlei Brennstoff gesammelt hatten, um für den Fall, daß ihr Vorhaben gelungen sei, die nötige Beleuchtung zu erhalten. Er hatte sich nicht geirrt. Einige große Haufen Dürrzeuges waren aufgeschichtet. Mit Hilfe des Pulvers machte er Feuer; die Nacht wurde erleuchtet, und im Scheine der Flammen sah er eine Menge zurückgelassener Speere und Decken liegen. Diese boten eine willkommene Nahrung für das Feuer. Er überließ die Sorge für die Unterhaltung des Brandes einigen herbeieilenden Arbeitern und kehrte an die Stelle zurück, an der sich der nächtliche Angriff in fürchterliche Einzelkämpfe aufgelöst hatte.

Die Schar der Bahnarbeiter bestand begreiflicherweise zwar meist aus Leuten, die ihre Kräfte in den Stürmen des Lebens geübt hatten; aber der Kampfart der Indianer, die jetzt beim Schein der Feuer ihre Lage überblicken konnten und dabei bemerkten, daß sie an Zahl den Gegnern vollständig gewachsen seien, konnte wohl keiner von ihnen nachhaltigen Widerstand leisten. Wo nicht mehrere von ihnen gegen einen vereinzelten Indsman standen, behielt dieser gewiß die Oberhand, und die Stätte bedeckte sich immer mehr mit den unter dem wuchtigen Hiebe des Tomahawk Gefallenen.

Nur drei von den Weißen waren mit dieser Waffe versehen: Deadly-gun, Dick Hammerdull und Pitt Holbers, und es zeigte sich da allerdings, daß bei gleichen Waffen der zähere und geistig höher stehende Weiße meist im Vorteil ist.

Mitten unter einem Haufen Wilder hielt Deadly-gun; in seinem von dem flackernden Licht beschienenen Angesicht sprach sich ein Gefühl von jener Kampfeswonne aus, die vom verfeinerten Urteil geleugnet wird, nichtsdestoweniger aber doch eine oft bewiesene Wahrheit bleibt. Mit blitzschnellen Hieben seines Schlachtbeils wehrte er die immer wieder auf ihn einstürmenden Rothäute ab. Gar mancher Feind lag bereits mit zerschmettertem Schädel zu seinen Füßen.

Seitwärts von ihm stand ein fast drollig zu nennendes Heldenpaar, trotz der Verschiedenheit ihrer Gestalt mit dem Rücken gegeneinander gekehrt, ein Verfahren, das die beiden eigenartigen aber erfahrenen Jäger vor einem Angriff von hinten beschützte: Dick Hammerdull und Pitt Holbers. Der kleine Dick, der in seinem Anzug auf jeden Fremden den Eindruck der Unbehilflichkeit machen mußte, zeigte sich hier von einer wahrhaft katzenartigen Behendigkeit. In der Linken das scharfe, zweischneidige Bowiemesser und in der Rechten das schwere Schlachtbeil schwingend, hielt er jedem Gegner tapfer Stand. Sein langer Rock, Flick auf Flick und Fleck auf Fleck, ließ die auf ihn gerichteten Messerstiche völlig unschädlich abprallen. Pitt, der Lange, stand hinter ihm und fuhr mit seinen Armen in der Luft herum wie ein Polyp, der die gefährlichen Fänge ausstreckt, um seine Beute an sich zu ziehen. Sein Körper, der nur aus Knochen und Sehnen zusammengesetzt schien, entwickelte eine außerordentliche Kraft und Ausdauer; das Beil fiel bei ihm aus doppelter Höhe; er griff weiter von sich als jeder andre, aber seine großen Füße rührten sich keinen Zoll breit von der Stelle, und wer ihm so nahe kam, daß er gefaßt werden konnte, der war rettungslos verloren. Durch diese Kampfesweise, sich gegenseitig Rücken an Rücken zu decken, wurden die beiden auch wohl die »verkehrten Toasts« genannt. Toasts sind bekanntlich geröstete, mit den Butterseiten zusammengelegte Butterbrote. Hammerdull und Holbers kehrten sich im Kampf die Rücken zu, also die verkehrten Seiten; daher ihr Name.

Und noch zwei ragten unter den weißen Kämpfern hervor: die beiden Deutschen. Sie hatten die Tomahawks gefallener Indianer aufgerafft und handhabten sie mit einer Leichtigkeit und Sicherheit, als hätten sie sich auf diese Art des Fechtens besonders eingeübt.

Auch unter den Arbeitern gab es genug Mutige, die den Indianern, die überhaupt nicht gern Mann gegen Mann zu kämpfen pflegen, viel zu schaffen machten. Der Sieg neigte sich bereits stark auf die Seite der Weißen, und die Wilden wurden immer enger und enger zusammengetrieben. Da aber donnerte es aus dem Dunkel der Prärie heran und mitten unter sie hinein. Deadly-gun hatte recht gehabt: Matto-Sih, der kluge Anführer der Ogellallahs, hatte eine beträchtliche Anzahl der Seinen in der Savanne zurückgelassen, die jetzt mit frischen Kräften herbeigesprengt kamen und dem Gefecht augenblicklich eine andre Wendung gaben. Auch die bereits entflohenen Indianer eilten, den Umschwung bemerkend, mit erneutem Mut herbei, und so verwandelte sich der Angriff der Jäger und Arbeiter in eine Verteidigung, die von Minute zu Minute weniger Erfolg erwarten ließ.

»Hinter den Damm zurück!« gebot Deadly-gun, schlug sich mit wuchtigen Hieben durch und folgte seiner Weisung mit eigenem Beispiel.

Pitt Holbers brauchte nur wenige Schritte, um sich neben ihm einzufinden. Dick Hammerdull zog, um sich Luft zu machen, nun erst den Revolver, gab sämtliche Schüsse ab und eilte dann dem Damm zu. Schon hatte er ihn fast übersprungen, so stolperte er, stürzte kopfüber zur Erde und kugelte jenseits des Dammes hinab und grad vor die Füße Deadly-guns hin. Dort raffte er sich empor und betrachtete den Gegenstand, den er in der Hand hielt. Er war über ihn gestürzt, hatte ihn unwillkürlich ergriffen und festgehalten. Es schien ein alter Prügel zu sein.

»Meine Flinte, wahrhaftig, es ist meine Flinte, die ich vorhin hier weggeworfen habe! Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?« rief er erfreut aus.

»Wenn du denkst, Dick, daß es gut ist, deine – –«

Er konnte nicht weiter sprechen, denn die Ogellallahs waren ihnen gefolgt, und der Kampf begann von neuem. Die Feuer leuchteten über den Damm herüber und erhellten eine Szene, die mit dem Untergang der Weißen zu endigen schien. Schon wollte deren Anführer den Seinen raten, in die Dunkelheit hineinzufliehen, da krachten Schüsse im Rücken der Wilden, und eine Anzahl Männer sprang mit hoch geschwungenen Waffen mitten unter sie hinein.

Es war Winnetou mit seiner Abteilung.

Da die Finsternis ihm hinderlich gewesen war, etwaige Spuren zu entdecken, so hatte sein Suchen nach dem vermuteten Hinterhalt zu keinem Ergebnis geführt, und da er die Flammen bemerkt und daraus geschlossen hatte, daß seine Anwesenheit auf dem Kampfplatz nötig sei, so war er herbeigeeilt und brachte nun grad noch im letzten Augenblick die entscheidende Hilfe.

Im dichtesten Knäuel der Kämpfenden stand Matto-Sih, der Ogellallah. Seine breit gebaute, untersetzte Gestalt steckte in dem gewöhnlichen, weißgegerbten Jagdhemd, das jetzt von oben bis unten vom vergossenen Blut bespritzt war, über dem Rücken hing ihm ein Fell des Präriewolfes, dessen Schädelteile seinen Kopf bedeckten. Den gewölbten Büffelhautschild in der Linken, führte er mit der Rechten den Tomahawk, und wen sein großes, dunkles, stechendes Auge anglühte, den traf der vernichtende Hieb, daß er tot zur Erde stürzte.

Schon hatte er geglaubt, den Sieg zu erringen und mit eigner Stimme die Losung zum Triumphgeheul gegeben, als Winnetou am Platz erschien. Matto-Sih wandte sich um und erblickte ihn.

»Winnetou, der Hund von Pimo!« rief er. Aus seinem Auge leuchtete ein Strahl glühenden, tödlichen Hasses, aber sein schon erhobener Fuß zögerte, und der Arm, der das Schlachtbeil zum Wurf erhoben hatte, sank nieder, ohne es zu schleudern. Es war, als habe der Anblick dieses Feindes seinen Mut gelähmt und ihm die so nötige Umsicht und Geistesgegenwart geraubt.

Auch Winnetou bemerkte ihn und antwortete:

»Matto-Sih, die Kröte der Ogellallahs!«

Wie in eine Wasserflut, so tauchte seine schlanke, geschmeidige und dabei außerordentlich kraftvolle Gestalt in die Menge der Kämpfenden unter und reckte sich nach kaum einer Sekunde grad vor Matto-Sih in die Höhe. Beide holten zugleich zum Tod bringenden Hieb aus; die Beile krachten aneinander, und dem Ogellallah sank das seinige zerschmettert aus der Hand. Er wandte sich blitzschnell um und brach sich mit den gewaltigen Beinen Bahn zur Flucht.

»Matto-Sih!« rief Winnetou, sich nicht von seiner Stelle bewegend. »Ist der Hund von Ogellallah eine feige Hündin geworden, daß er vor Winnetou, dem Apatschen, davonläuft? Der Mund der Erde soll sein Blut trinken, und die Kralle des Geiers soll sein Herz und seinen Leib zerreißen!«

Dieser Aufforderung mußte der Gegner standhalten. Er kehrte um und drang auf den Feind ein.

»Winnetou, der Sklave der Bleichgesichter! Hier ist Matto-Sih, der Häuptling der Ogellallah! Er tötet den Bär und wirft den Büffel nieder; er folgt dem Elen und zertritt der Schlange den Kopf; ihm hat noch niemand widerstanden, und er wird jetzt das Leben fordern von Winnetou, dem Feigling von Pimo!«

Einem der Seinen das Beil entreißend, stürzte er sich auf den Apatschen, der ihn stehenden Fußes erwartete. Die Augen der beiden starken Männer bohrten sich mit grimmigem Blick ineinander; das Beil des Ogellallah schwirrte um sein Haupt und fuhr dann mit fürchterlicher Wut hernieder. Winnetou wehrte den Hieb geschickt ab. Nun auch seine Waffe schwingend, wollte er den Schlag erwidern, wurde aber von hinten gepackt und daran verhindert. Zwei Ogellallahs hatten sich auf ihn geworfen. Blitzschnell drehte er sich um; die Feinde sanken, von ihm getroffen, nieder, aber schon schwebte das Beil Matto-Sihs wieder über seinem Haupte.

Deadly-gun hatte den Freund in Gefahr gesehen. Die Indianer wie Grashalme auseinanderschlagend, sprang er mitten durch sie, faßte mit den beiden Fäusten ihren Anführer bei Hüfte und Genick, hob ihn hoch in die Luft empor und schmetterte ihn zur Erde nieder, daß es krachte. Sofort kniete er über dem Besinnungslosen und senkte ihm das Messer in die Brust.

Als die Ogellallahs den Tod ihres Häuptlings gewahr wurden, stießen sie ein erschütterndes Geheul aus und wandten sich zur Flucht.

Dick Hammerdull stand wieder bei Pitt Holbers; sie, die beiden Unzertrennlichen, suchten jetzt die Fliehenden zurückzuhalten.

»Pitt Holbers, altes Coon, siehst du, wie sie laufen, he?« rief Hammerdull.

»Hm, wenn du denkst, Dick, so sehe ich es!«

»Ob ich es denke oder nicht, das bleibt sich gleich, aber ich möchte – Zounds, Pitt, guck dir einmal den Kerl an, der dort zwischen den beiden Männern aus Germany hindurch will! Holla, der Mensch wird ausgelöscht!«

Mehr sich kugelnd als laufend, eilte er hinzu, wo mehrere der Indianer sich anstrengten, an den beiden Deutschen, die sie aufhalten wollten, vorbei zu kommen. Holbers folgte ihm; sie warfen sich auf die Roten und schlugen sie nieder.

In kurzem war der Sieg vollständig errungen, und was vom Feind nicht tot oder verwundet am Boden lag, das hatte fliehend das Weite gesucht.

Am östlichen Horizont wurde nun auch das scharfe Licht der nahenden Maschine sichtbar. Der Heizer hatte den Schein der Feuer bemerkt, sie für das verabredete Zeichen gehalten und nun den Zug in langsame Bewegung gesetzt.

Der Ingenieur, der zur Abteilung Winnetous gehört hatte, trat zu dem Apatschen und fragte ihn:

»Ihr seid Master Winnetou?«

Der Indianer neigte zustimmend das Haupt.

»Wir haben Euch die heutige Rettung zu verdanken. Ich werde einen Bericht schreiben, der bis hinauf zum Präsidenten geht; dann wird der Lohn nicht ausbleiben!«

»Der Apatsche bedarf des Lohns nicht; er liebt alle guten Menschen und gibt ihnen seinen Arm im Kampf, aber er ist stark und reich, reicher als der große Vater der Bleichgesichter. Er bedarf weder Gold noch Silber, weder Hab noch Gut; er will nicht nehmen, sondern er gibt. Howgh!«

Der Zug hielt kurz vor den aufgerissenen Schienen an.

»Donnerwetter, Sir,« rief der herabspringende Feuermann dem herbeitretenden Vorgesetzten entgegen, »muß es hier Arbeit gegeben haben. Das ist ja, bei Gott, die reine Schlächterei!«

»Sollst recht haben, Mann, – ist heiß hergegangen heute abend, und ich habe mir auch ein kleines Loch geholt, wie du hier sehen kannst. Aber nun vor allen Dingen das Werkzeug herunter und die Schienen in Ordnung, damit wir baldigst weiter können! Versorge das; ich will jetzt mit nach den Gefallenen sehen!«

Er wollte eben zurücktreten, da schnellte hart neben ihm aus dem tiefen Gras der Dammböschung eine dunkle Gestalt empor und eilte an ihm vorüber. Es war einer der Ogellallahs, der keine Gelegenheit zur Flucht gefunden und sich hier versteckt hatte, um einen geeigneten Augenblick abzuwarten.

Der Arbeiter, dem die Pferde anvertraut waren, war natürlich dem Zug gefolgt und stand jetzt mit ihnen in der Nähe der haltenden Wagen. Der Indianer, dem der Anblick der Tiere Hoffnung auf das Entkommen gegeben hatte, eilte auf ihn zu, riß ihm den Zügel eines der Pferde aus der Hand, schwang sich in den Sattel und wollte davonjagen.

Hammerdull hatte die flüchtige Gestalt des Roten sofort bemerkt. Er rief seinem unzertrennlichen Kameraden zu:

»Pitt Holbers, altes Coon, siehst du den Roten springen? Alle Teufel, er geht nach den Pferden!«

»Wenn du denkst, Dick, daß er eins bekommen wird, so habe ich nichts dagegen, denn der Mann, der sie hält, sieht mir grün genug dazu aus!«

»Ob er grün aussieht oder nicht, das bleibt sich gleich, denn – – Pitt Holbers, schau – er reißt ihm die Zügel aus den Fingern, er springt auf, er – – good lack, es ist meine Stute, auf die er sich gesetzt hat! Na, Bursche, das ist der gescheiteste Einfall, den du in deinem ganzen Leben gehabt hast, denn nun wirst du das Glück haben, mit meiner Flinte reden zu können!«

Wirklich hatte sich der Indianer auf die alte Stute geworfen und schlug ihr die Fersen in die Seiten, um so schnell wie möglich das Weite zu gewinnen. Er hatte sich jedoch verrechnet, denn Dick Hammerdull schob den gekrümmten Zeigefinger in den Mund und ließ einen schrillen, weithin tönenden Pfiff erschallen. Sofort fuhr das gehorsame Tier herum und galoppierte trotz aller Anstrengung des Wilden grad auf seinen Herrn zu. Der Indianer sah keine andre Rettung, als sich noch zurzeit herabzuwerfen. Da aber nahm der dicke Trapper die Büchse an die Backe; der Schuß krachte, und der Indsman fiel, durch den Kopf getroffen, zu Boden.

»Hast du es gesehen, Pitt Holbers, was die Stute für ein wackeres Viehzeug ist? Ich möchte nur wissen, ob er auch ohne sie glücklich in seine ewigen Jagdgründe kommen wird! Was meinst du, he?«

»Ich habe nichts dagegen, Dick, wenn du denkst, daß er den richtigen Weg gefunden hat. Willst du dir nicht seine Haut nehmen?«

»Ob ich sie nehmen will oder nicht, das bleibt sich gleich, aber herunter muß sie, das ist sicher!«

Um zu dem Gefallenen zu gelangen, mußte er an den zwei Deutschen vorüber, die, von der Anstrengung des Kampfes ausruhend, nebeneinander standen.

»So wahr ich Marc Letrier heiße, Kapitän, das war ein Gemetzel, wie man es nur im wilden Westen erlebt!« hörte er französisch sagen. Aber er war zu sehr mit seiner Absicht beschäftigt, als daß er für den Augenblick auf diese Worte einen Wert gelegt hätte.

Als er dem Toten den Skalp abgezogen hatte und wieder in die Nähe des haltenden Zugs zurückkehrte, sah er Deadly-gun in der Nähe dieser beiden Männer.

»Dick Hammerdull,« fragte dieser, »ist's nicht so, daß Ihr die zwei deutschen Gentlemen bei Master Winklay getroffen habt?«

» Well, so ist es, Colonel.«

»Sie haben sich gut gehalten und machen Euch Ehre. Aber wie kommt es, daß Ihr sie mitgenommen habt? Ihr wißt ja: ich liebe es nicht, neue Gesichter bei uns zu sehen.«

» All right, Sir, aber der eine, der sich Heinrich Mertens nennt, meinte, daß Ihr sein Oheim wäret.«

»Sein Oheim? Seid Ihr toll?«

»Hm, ob ich toll bin oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wir kamen in einen kleinen Handel und ich hatte da schon die Messerspitze an seiner Kehle, als er sagte, Ihr würdet es mir schlecht danken, wenn ihm die Klinge um ein weniges zu tief in die Wolle gehe. Machts mit ihm selber ab, Colonel!«

Der berühmte Tracker Pfadfinder. trat an die Deutschen heran und fragte sie:

»Ihr seid von drüben herüber aus Germany, wie man mir sagt?«

»Ja,« antwortete Mertens.

»Was sucht ihr in der Prärie?«

»Oheim, willst du noch fragen?« tönte es ihm da auf deutsch entgegen.

Deadly-gun trat um einen Schritt zurück.

»Oheim? Ich kenne keinen Verwandten mit Namen Mertens!« erklärte er erstaunt.

»Das ist richtig! Doch nannte ich mich so, weil ich nicht wußte, ob dir der Name Thieme lieb sein würde. Es handelt sich um Geld, um viel Geld, wie du schriebst. Da muß man vorsichtig sein, und darum habe ich mir einen andern Namen beigelegt.«

»Thieme – –. Ist es denn möglich, daß du es bist, Heinrich?!«

»Nicht möglich, sondern wirklich, Onkel. Hier ist dein Brief, in dem du schreibst, daß ich kommen soll. Die andern Papiere kannst du ja morgen lesen!«

Er langte unter den Jagdrock und zog ein sorgfältig verwahrtes Papier hervor, das er ihm überreichte. Der alte Jäger warf bei dem noch immer hellen Feuerschein einen Blick auf die Zeilen, zog ihn dann an seine Brust und rief aus:

»Es ist wahr! Gott segne meine Augen, daß es ihnen noch vergönnt ist, einen der Meinigen zu sehen! Wie geht es deinem Vater? Warum schrieb er mir nicht? Ich hatte ihm doch die Anschrift für Omaha angegeben!«

»Ja, aber du beschriebst in diesem Briefe zugleich auch den ganzen Weg am Arkansas hinauf nach Fort Gibson, nach dem Haus des Irländers Winklay und weiter westlich aufwärts bis zu der Stelle, wo du mit der Schar deiner Westmänner für längere Zeit lagerst. Da wir dachten, du könntest diesen Ort verlassen, hielten wir es für das Beste, daß ich mich selbst auf den Weg machte und dir den Brief des Vaters überbrachte. Morgen früh, wenn es hell ist, werde ich ihn dir geben. Du hast mich, seit du in Amerika bist, nicht gesehen und wirst mich also nicht mehr kennen; desto besser aber kenne ich deine Güte, mit der du die Eltern früher unterstützt und mich nun schließlich gar eingeladen hast, herüber zu kommen.«

» Well! Es freut mich, daß du dieser Einladung so schnell gefolgt bist. Ich habe in den Big-horn-Bergen Gold gefunden, das ich euch geben wollte, denn ich brauche es nicht. Mit dem Schicken ist es eine sehr unsichere Sache, und so wünschte ich, daß du persönlich kommen möchtest. Was ich dir geben will, ist ein Reichtum für euch, und ich hoffe, daß es euch glücklich macht. Aber du kommst nicht allein. Wer ist denn dein Begleiter?«

»Auch ein Deutscher. Er heißt Peter Wolf und wollte gern nach dem Westen. Da schloß ich mich ihm an.«

»Schön! Wir sprechen weiter über unsre Angelegenheit, lieber Heinrich. Jetzt gibt es keine Zeit dazu. Du siehst, daß ich anderweit gebraucht werde.«

Es erscholl nämlich jetzt die Stimme des Zugführers, der zum Aufbruch drängte, denn durch den unerwarteten Aufenthalt hier war viel Zeit verloren gegangen, die wieder eingeholt werden mußte.

Die toten und verwundeten Weißen wurden in die Wagen gebracht und die umherliegenden Waffen zusammengelesen. Die Reisenden sagten ihren Rettern herzlichen Dank, und da der Schaden im Gleise nun ausgebessert war, konnte der Zug die Weiterfahrt antreten. Die Zurückbleibenden sahen ihm nach, bis seine Lichter in der Ferne verschwunden waren.

Nun war die Frage, ob sie während der Nacht hier Lager machen sollten oder nicht. Es war anzunehmen, daß die flüchtigen Ogellallahs sich bald wieder sammeln und nach dem Ort des Kampfes zurückschleichen würden. Das konnte gefährlich werden, und darum wurde beschlossen, von hier aufzubrechen und an einem entfernten Ort zu übernachten, wo von seiten der Indianer kein Ueberfall zu erwarten war. Deadly-gun bestieg eins der erbeuteten Indianerpferde, und dann wurde aufgebrochen.

Während der Colonel mit seinem ›Neffen‹ sprach, hatte Hammerdull in der Nähe gestanden und fast alles gehört. Nun, als die Reiter den Ort des Ueberfalls schon weit im Rücken hatten, ersah er einen Augenblick, an dem dieser Neffe nicht neben dem Onkel ritt, lenkte seine Stute neben Deadly-guns Pferd und sagte mit vorsichtig unterdrückter Stimme:

»Wenn Ihr es mir nicht übel nehmt, möchte ich Euch etwas sagen, Sir.«

»Uebel nehmen? Sprich nicht so dummes Zeug! Was ist's?«

»Was Ihr jedenfalls für eine Dummheit halten werdet, Sir. Es betrifft die beiden Männer, die behaupten, von drüben aus dem alten Germany zu sein.«

»Das sind sie doch auch!«

»Ob sie es sind oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich denke, daß sie es nicht sind.«

»Unsinn! Mein Neffe ist ein Deutscher; das muß ich doch wissen!«

»Ja, wenn er wirklich Euer Neffe ist, Sir!«

»Zweifelst du daran?«

»Hm! Kennt Ihr Euern Neffen?«

»Ich konnte ihn nicht erkennen, weil er noch ein Knabe war, als ich ihn zum letztenmal sah.«

»Ich glaube, Ihr habt ihn überhaupt noch nicht gesehen. Euer deutscher Name ist Thieme. Warum hat er diesen Namen nicht beibehalten und sich anders genannt?«

»Aus Vorsicht, nämlich weil er – – –«

»Ich weiß, ich weiß!« fiel ihm der Dicke in die Rede. »Ich habe ja gehört, welchen Grund er dafür angab; aber mir scheint dieser Grund ein wenig fadenscheinig zu sein. Sagt mir einmal, ist er Kapitän?«

»Nein.«

»Aber der andre hat ihn doch so angesprochen!«

»Wirklich? Was du sagst!«

»Ja, er hat ihn Kapitän genannt; ich habe es ganz deutlich gehört, sogar mit allen beiden Ohren. Sie sprachen nämlich französisch.«

»Französisch?« fragte der Colonel verwundert. »Das wäre freilich auffällig!«

»Ob es auffällig ist oder nicht, das bleibt sich gleich; aber mir ist es zunächst nicht aufgefallen. Doch als ich dann hörte, daß es sich um Euer Gold handelt, da kamen mir Bedenken. Warum nennt sich der andre uns gegenüber Peter Wolf – ein schrecklicher Name, bei dem man die Zunge brechen kann! – und zu Heinrich Mertens sagte er, daß er Marc Letrier heiße?«

»Bezeichnete er sich mit diesem Namen?«

»Ja. Ich ging grad an ihnen vorüber und hörte es; ich verstand es auch, obgleich er französisch sprach. Zunächst achtete ich nicht darauf, weil ich grad Eile hatte, mir den Skalp eines Roten zu holen; aber später fiel es mir wieder ein und machte mich mißtrauisch. Spricht dieser Mertens die deutsche Sprache gut und rein?«

»Allerdings mit einer fremden Betonung; aber wahrscheinlich kommt mir das nur so vor; ich habe kein Urteil mehr darüber, weil es so lange Jahre her ist, daß ich Deutschland verlassen habe.«

»Ob Ihr es verlassen habt oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich sage Euch, daß mir die Sache nicht gefällt. Wir nennen Euch als unsern Anführer Colonel, obgleich Ihr diesen militärischen Grad nicht besitzet. Warum wird dieser Mertens Kapitän genannt? Ist er der Anführer von irgendwelchen Leuten? Wer und was sind diese Leute? Ehrliche Menschen wohl kaum! Seht Euch vor, Colonel, und verübelt mir meine gut gemeinte Warnung ja nicht!«

»Fällt mir nicht ein, sie zu verübeln, obgleich ich weiß, daß Ihr Euch irrt. Dennoch werde ich die Augen und Ohren offenhalten; das verspreche ich Euch.«

» Well! Will wünschen, daß ich mich irre; aber da Ihr Euern Neffen nicht persönlich kennt und es sich um eine so große Summe handelt, so ist die Vorsicht wenigstens nicht überflüssig.«

»Er hat sich mir gegenüber als Neffen legitimiert.«

»Durch Euern Brief, den er vorzeigte?«

»Ja. Und morgen will er mir noch andre Briefe geben.«

»Das beweist noch nichts, denn diese Briefe können auf unrechtlichem Weg in seine Hand gekommen sein.«

»Muß man gleich das Allerschlimmste denken?«

»Ob man es denkt oder nicht, das bleibt sich gleich; ich traue diesen beiden Menschen nicht, und wenn Ihr ihnen glaubt, so werde ich um so schärfer auf sie achten.«

Sie brachen diese Unterredung ab, weil Mertens sich jetzt wieder zu Deadly-gun gesellte. Hammerdull entfernte sich von ihnen und ritt nun mit dem langen Pitt Holbers, an dessen Seite er sich stets am wohlsten fühlte.

Ungefähr zwei Stunden, nachdem sie die Eisenbahn verlassen hatten, kamen sie an eine Stelle, die sich sehr gut zum Lagerplatz eignete. Es gab da Gras für die Pferde, Wasser für die Menschen und Tiere und ziemlich dichtes Gebüsch, das vortrefflich als Deckung diente. Da wurde abgestiegen. Man konnte sich hier sicher fühlen, denn es war zwar nicht ganz finster, aber auch nicht hell genug, daß es einem oder mehreren Ogellallahs möglich gewesen wäre, den Weißen hierher zu folgen.

Mertens hatte seit heute nachmittag nicht unbelauscht mit Wolf sprechen können. Jetzt, da es zum Schlafen ging, legte er sich mit diesem etwas entfernt von den andern, was, wie er glaubte, niemandem auffiel. Als sie annahmen, daß ihre Gefährten eingeschlafen seien, flüsterte Mertens seinem Kumpan zu:

»Bisher hat alles geklappt. Deadly-gun hält mich für seinen Neffen. Wenn wir nur erst das Gold hätten! Dann auf nach San Francisco, wo die ›l'Horrible‹ jetzt liegen soll! Wir werden uns das schöne Schiff wieder holen und noch gar manchen Piratenstreich ausführen. Ha, wenn dieser Colonel wüßte, wie fein es mir gelang, als Vicomte de Brétigny seinen Bruder, den Juwelier, zu entreichern! Und wie mir sein Neffe in New York in die Finger lief: just im rechten Augenblick, als uns die Clairon, das Satansweib, mit unserem Geld durchgegangen war. Die soll mir noch einmal in die Finger kommen! Na, der alte Trapper scheint ja auch kein schlechter Bissen zu sein. Der muß wieder einbringen, was die Miß Admiral genommen hat. Ich hoffe, daß es noch mehr wird.«

»Sicher! Welche Menge von Gold Deadly-gun und seine Gesellschaft zwischen den Big-Horn-Bergen gesammelt haben, das habt Ihr ja als sein lieber ›Neffe‹ von ihm selbst gehört. War das ein großes Glück, daß Ihr mit dem echten Neffen des Colonel zusammengetroffen seid! Habt freilich einen großen Fehler begangen, Kapitän!«

»Welchen?«

»Daß Ihr ihn nicht kalt gemacht habt.«

»Das war allerdings eine Schwäche von mir; aber er war so aufrichtig und vertrauensselig. Er beantwortete mir alle, alle meine Fragen und gab mir so bereitwillig Auskunft über seine Familienverhältnisse, deren Kenntnis mir nötig war, wenn ich seine Stelle einnehmen wollte. Da wurde ich schwach und ging mit seinem Geld und seinen Papieren davon, ohne ihm das Leben zu nehmen.«

»Ich an Eurer Stelle hätte ihn unschädlich gemacht.«

»Das ist er auch so schon.«

»Er ist Euch sicher gefolgt!«

»Nein. Er ist ein Neuling im Lande, hier vollständig unbekannt und – was die Hauptsache ist – hat kein Geld, keinen einzigen Cent mehr. Er ist also hilfloser und verlassener als ein Waisenknabe und kann mir weder folgen noch uns in irgendeiner Weise schaden. Die Hauptsache war, daß ich im gleichen Alter mit ihm stehe und daß Deadly-gun mich noch nie gesehen hat. Er glaubt wirklich – – – doch horch! Es muß jemand hinter uns im Gebüsch sein!«

Sie lauschten und vernahmen nach einiger Zeit ein leises Rascheln, das sich von ihnen entfernte.

»Alle Teufel! Wir sind belauscht worden!« flüsterte Mertens seinem Kumpan zu.

»Es scheint so,« antwortete dieser ebenso leise. »Aber von wem?«

»Entweder von Deadly-gun selbst oder von einem andern. Ich werde gleich erfahren, wer es gewesen ist.«

»Auf welche Weise?«

»Ich schleiche mich zu Deadly-gun. Liegt er nicht an seinem Platz, so war er es.«

»Und wenn es ein andrer war?«

»So geht er zu Deadly-gun, um ihm zu sagen, was er gehört hat. In beiden Fällen erfahre ich, was ich wissen will. Alle Wetter! Wenn diese Kerls mißtrauisch geworden wären! Bleib still liegen, und warte, bis ich wiederkomme!«

Er dehnte sich lang aus und wand sich behend und unhörbar durch das Gras hinüber nach der Stelle, wo der Colonel sich niedergelegt hatte. Dieser lag noch dort; aber da kam von der andern Seite leisen Schrittes Dick Hammerdull, bog sich zu ihm nieder, weckte ihn auf und sagte:

»Wacht auf, Colonel; aber seid still, ganz still!«

So leise er gesprochen hatte, Mertens lag nahe und hatte ein so scharfes Gehör, daß ihm kein Wort entgangen war.

»Was ist's? Was gibt's?« fragte Deadly-gun.

»Leise, leise, daß die da drüben es nicht hören! Ich habe Euch gesagt, daß ich aufpassen will, Sir. Es fiel mir auf, daß Heinrich Mertens und Peter Wolf – verteufelt klapperiger Name für die Zunge eines nicht-deutschen Gentleman! – also es fiel mir auf, daß diese beiden sich so entfernt von uns niederlegten. Ich faßte Verdacht und schlich mich hin. Es gelang mir, ganz nahe an sie zu kommen, so daß mein Kopf fast zwischen ihren Köpfen lag, und da hörte ich sie flüstern.«

»Hast du verstanden, was sie sagten?«

»Ob ich sie verstanden habe oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich hörte, daß dieser Mertens nicht Euer Neffe ist, sondern ein Seeräuberkapitän; und der andre heißt Marc Letrier. Mertens hat Euren wirklichen Neffen getroffen und ihm alles abgenommen, was er – – –«

Mehr wollte und brauchte Mertens nicht zu hören; er wußte genug und kroch schleunigst zu seinem Gefährten zurück.

»Wir sind verraten!« raunte er ihm zu. »Nimm dein Gewehr, und folge mir schnell zu unsern Pferden! Aber leise, ganz leise!«

Sie huschten fort, zwischen den Büschen hinaus nach dem kleinen, freien Platz, wo die Pferde angepflockt waren. Sie machten die ihrigen los und zogen sie langsam, sehr langsam fort, damit die Huftritte nicht gehört würden. Als sie sich so weit entfernt hatten, daß sie sich nun sicher fühlten, stiegen sie aus und wollten davonreiten.

Da ertönte hinter ihnen sausender Hufschlag. Mertens gab seinem Pferd den Stachel zu kosten, daß es vor Schmerz in die Höhe ging, riß es herum und jagte, von Wolf gefolgt, im gestreckten Galopp davon. Bald erkannte er zwei Reiter, die ihnen nachsetzten. Immer näher kamen sie. Er spornte sein Tier zur höchsten Eile; da aber tauchte nur wenige Schritte hinter ihm die vorgebeugte Gestalt des Apatschen empor. Jetzt erhob sie den Arm mit dem gefährlichen Lasso – ein kurzer, feiner Laut, wie wenn ein Riemen durch die Luft streicht – ein fürchterlicher Ruck – und Roß und Reiter stürzten zu Boden.

Hinter ihnen erscholl ein Schrei. Hammerdulls alte Stute hatte ihre Schuldigkeit getan; der Dicke stand über dem auf der Erde liegenden Peter Wolf und schnürte ihm die Arme zusammen. Deadly-gun und Pitt Holbers hatten sich auf die Geschicklichkeit der beiden Verfolger verlassen und waren ihnen langsam nachgeritten. Als sie den Platz erreichten, waren die Ereilten schon gefesselt.

»Pitt Holbers, altes Coon, schau her,« meinte Hammerdull, »ob das Greenhorn wieder loskommen wird? Ist der Riemen fest genug, he?«

»Wenn du denkst, Dick, daß er fest genug ist, so habe ich nichts dagegen. Zieh nur die Schlinge von seinem Pferd, damit es nicht erstickt!«

»Ob es erstickt oder nicht, das bleibt sich gleich, aber da wir das Viehzeug noch brauchen können, so wollen wir es losmachen.«

Auch der Apatsche hatte bereits die Schlinge von Mertens Pferd gelöst. Dieser war niedergerissen und gefesselt worden, ehe es ihm nur möglich war, ein Glied zur Gegenwehr zu rühren. Nun stand er wie ein verurteilter Verbrecher vor Deadly-gun.

»Herr Vicomte und Kapitän, Ihr seid ein schlechter Reiter. Versucht das Stück nicht wieder, sonst lassen wir anstatt des Lassos die Büchse sprechen! Durch Eure Flucht habt Ihr Euch selbst als schuldig bekannt. Sollt erfahren, wie ein Tracker zu strafen weiß! Dick Hammerdull und Pitt Holbers, ich übergebe Euch diese Männer. Nehmt ihnen zunächst alle Papiere und Ausweise meines Neffen ab! Die Nacht über bewachen wir sie abwechselnd. Morgen in aller Frühe brechen wir auf, dann bindet sie im Sattel fest und seht zu, daß wir sie gut ins Hide-spot bringen! Gute Nacht, der Weg ist noch weit und die Indsmen können uns noch gehörig zu schaffen machen. Der Schlaf ist uns nötig!« – – –


 << zurück weiter >>