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8. Ein Piratenstreich

Wer zu Pferd von Osten nach San Francisco kommt, der muß zunächst in Oakland halten, weil sich ihm die hier elf Kilometer breite San Francisco-Bai in den Weg legt. Das ist aber kein Hindernis, denn für Gelegenheiten, auch mit den Pferden hinüberzukommen, ist mehr als reichlich gesorgt. Reiter setzten damals auf den breiten Oakland-Fährbooten über.

Mit einem dieser Boote landeten zwei Berittene, die selbst während der Ueberfahrt nicht aus dem Sattel gestiegen waren. Ihre Pferde schienen von guter Rasse zu sein, obgleich sie sehr abgetrieben aussahen. Die Reiter hatten das Aeußere von Leuten, die eine geraume Zeit lang nichts mit den Segnungen der Zivilisation zu tun gehabt haben. Die Bärte hingen ihnen wirr bis auf die Brust herab; die breitrandigen Jägerhüte, weit und formlos geworden, ließen ihre Krempen bis tief in das Gesicht herunterschlappen; die ledernen Gewänder schienen aus vertrockneter, rissiger Baumrinde zusammengesetzt zu sein, und die ganze übrige Ausrüstung ließ auf fürchterliche Strapazen schließen, die die Männer überstanden haben mochten.

»Endlich – grace à dieu!« atmete der eine hoch auf. »Da sind wir, Marc, und ich denke, daß die Not nun nichts mehr mit uns zu schaffen haben wird.«

Der andre schüttelte fast trübselig den Kopf.

»Verzeiht, Kapitän, daß ich nicht so zuversichtlich bin. Ich werde mich nur dann erst vollständig sicher fühlen, wenn ich auf einem festen Deck stehe, das einige Meilen von hier da draußen auf dem Wasser schwimmt. Der Teufel soll mich holen, wenn der Colonel mit seinem Volk uns nicht jetzt noch an den Fersen hängt!«

»Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Wir haben ihn ja so in die Irre geführt, daß er glauben muß, wir haben uns nach dem Gebirgsübergang hinauf nach Britisch-Columbien geschlagen. Wir haben diesen ungeheuren Umweg jedenfalls nicht umsonst gemacht.«

»Ich will wünschen, daß Ihr Euch nicht irrt, aber ich traue diesem verteufelten Trappervolk nicht zehn Schritt weit und halte es für das Beste, uns möglichst bald an Bord eines Schiffs zu begeben, das von diesem unglückseligen Land nichts mehr wissen will.«

»Vor allen Dingen ist es nötig, uns wieder ein menschliches Aussehen zu geben.«

»Dazu gehört wieder Geld.«

»Jawohl. Schau da hinüber!«

Er deutete mit der Rechten nach einer Baracke, über deren niederem Dache ein Brett mit der Inschrift »Jonathan Livingstone, Horse-haggler« angebracht war.

»Ein Pferdehändler?« meinte Marc. »Wird für unsre halb verhungerten Tiere nicht viel bieten!«

»Müssen eben zusehen!«

Sie lenkten ihre Pferde dem angegebenen Ort zu. Ein Mann, dem der Pferdejude auf tausend Schritte Entfernung anzusehen war, trat aus der Tür, als sie abstiegen.

»Zu wem wollt ihr, Gentlemen?« fragte er.

»Zu dem ehrenwerten Master Livingstone, Sir.«

»Der bin ich selbst.«

»Ihr kauft Pferde?«

»Hm – ja – solche aber nicht,« anwortete er mit einem geringschätzigen, aber doch aufmerksamen Blick auf die angebotene Ware.

» Well, dann goodbye, Sir!«

Im Augenblick saß Mertens wieder auf und machte Miene, sich zu entfernen.

» Slowly, Master, langsam, langsam; man wird sich die Tiere doch wohl einmal ansehen können!«

»Wenn Ihr ›solche‹ nicht kauft, so sind wir fertig. Ihr habt kein Greenhorn vor Euch!«

»So so! Da steigt einmal wieder herunter! Hm, elend, ungeheuer elend! Ihr kommt wohl aus der Savanne?«

» Yes

»Kann kaum etwas bieten; muß gewärtig sein, sie gehen mir noch drauf,« meinte er, die Tiere eingehend musternd. »Wieviel wollt Ihr haben?«

»Was bietet Ihr?«

»Für alle zwei?«

»Für beide!«

»Hm, dreißig Dollars, nicht mehr und auch nicht weniger.«

Sofort saß Mertens wieder auf und ritt ohne Antwort davon.

» Stop, Sir, wo wollt Ihr denn hin? Ich denke, Ihr wollt die Pferde verkaufen!«

»Ja, aber nicht an Euch.«

»So kommt doch zurück! Ich gebe vierzig.«

»Sechzig!«

»Fünfundvierzig.«

»Sechzig!«

»Fünfzig!«

»Sechzig!«

»Unmöglich! Fünfundfünfzig und keinen Cent mehr!«

»Sechzig und keinen Cent weniger. Lebt wohl!«

»Sechzig? Nein, fällt mir gar nicht ein – doch halt, so wartet doch nur, he; bleibt doch da; Ihr sollt sie haben, die Sechzig, obgleich das Viehzeug so ein Geld gar nicht wert ist!«

Lächelnd kehrte Mertens zurück und stieg wieder vom Pferde.

»Da nehmt sie, und zwar mit Zaum und Zeug!«

»Kommt herein, Master; der andre mag sie einstweilen halten.«

Der Händler führte ihn in einen kleinen Verschlag, der durch einen alten, kattunenen Vorhang in zwei Teile geschieden war. Er verschwand dahinter und trat dann mit dem Geld wieder hervor.

»Hier sind die sechzig Dollars. Ihr habt ein Sündengeld bekommen!«

»Pah, macht Euch nicht lächerlich! Doch – hm – Ihr seid hier in der City bekannt?«

»Besser als mancher andre.«

»So könnt Ihr mir wohl eine Auskunft geben –«

»Nach einem Boardinghouse wohl?«

»Nein, nach einem entgegenkommenden Bank- oder Lombardgeschäft.«

»Lombard – hm, was für einen Antrag habt Ihr dort?«

»Ist Nebensache!«

»Ist Hauptsache, Sir, wenn Ihr richtige Auskunft wünscht.«

»Will ein Wertpapier verkaufen.«

»Worüber?«

»Ueber Goldstaub und Nuggets.«

»Donnerwetter! Zeigt einmal her!«

»Hat keinen Zweck!«

»Warum nicht? Wenn das Papier gut ist, kaufe ich es selbst. Mache zuweilen auch diese Art von Geschäften, notabene, wenn etwas dabei zu verdienen ist.«

»Das ist's!«

Er zog die im Hide-spot gefundene Brieftasche hervor und wählte einen der Scheine aus, den er dem Händler überreichte. Dieser machte ein erstauntes Gesicht und warf einen höchst achtungsvollen Blick auf den zerrissenen und zerfetzten Mann, der sich im Besitz eines solchen Reichtums zeigte.

»Zwanzigtausend Dollars, auf den Inhaber lautend, deponiert bei Charles Brockmann, Omaha! Der Schein ist gut. Was wollt Ihr haben?«

»Wie viel gebt Ihr?«

»Die Hälfte.«

Mertens nahm ihm das Papier aus der Hand und schritt nach dem Eingang.

»Lebt wohl, Master Livingstone!«

»Halt! Wieviel wollt Ihr haben?«

»Achtzehntausend zahlt mir jeder Bankier sofort und bar; aber ich bin einmal hier bei Euch und habe Eile. Gebt sechzehn, und Ihr bekommt den Schein.«

»Unmöglich. Ich weiß nicht, ob Ihr der rechtmäßige – –«

» Well, Sir, Ihr wollt nicht, und damit gut!«

Der Mann hielt ihn am Arm zurück; er stieg mit seinem Gebot höher und höher und brachte endlich die verlangte Summe hinter dem Vorhang hervor. Er gehörte zu jener Art von Geschäftsleuten für alles, denen es trotz ihres unscheinbaren Aussehens und ihrer absichtlich ärmlichen Einrichtung an den nötigen Barbeständen doch niemals mangelt.

»Hier habt Ihr das Geld; ich habe heut einmal meinen schwachen Tag. Habt Ihr noch andere Scheine zu verkaufen?«

»Nein. Lebt wohl!«

Er ging. Livingstone begleitete ihn hinaus und nahm die Pferde in Empfang. Die beiden Fremden entfernten sich. Ein Gehilfe kam herbei, um die Tiere von Sattel und Zaum zu befreien.

»Gutes Geschäft gemacht,« brummte der Pferdehändler Livingstone; »prächtige Rasse, schön gebaut; haben viel ausgehalten und werden sich bei guter Pflege bald wieder erholen.«

Noch war er um die eingehandelten Pferde beschäftigt, so ertönte lauter Hufschlag die enge Straße herauf. Zwei Reiter, die mit dem nächsten Fährboot gekommen waren, erschienen im Galopp. Der eine war ein Indianer, der andre ein Weißer mit weit über dem Nacken herabwallendem Haupthaar. Auch ihnen war eine ungewöhnliche Strapaze sehr wohl anzusehen, doch zeigten sie in ihrer Haltung ebenso wie ihre prachtvollen Tiere nicht die geringste Ermüdung.

Im Galopp vorübersprengend, warf der Indianer unwillkürlich einen Blick herüber nach dem Händler und riß in derselben Sekunde sein Pferd herum.

»Mein weißer Bruder blicke diese Pferde an!« sagte er.

Der andre war ihm ebenso schnell bis an die Baracke gefolgt. Ein kurzer Blick genügte, er sah das Schild, ritt bis hart an den Händler heran und grüßte:

» Good day, Sir! Ihr habt soeben diese Pferde gekauft?«

» Yes, Master,« antwortete der Händler.

»Von zwei Männern, die folgendermaßen aussahen?«

Er gab eine sehr genaue Beschreibung von Mertens alias Brétigny und alias Letrier Wolf.

»Das stimmt, Master.«

»Sind die Männer noch hier?«

»Nein.«

»Wo sind sie hin?«

»Weiß nicht; geht mich auch gar nichts an!«

»Ihr müßt aber doch die Richtung wissen, in der sie davongegangen sind?«

»Sie bogen um die Ecke dort. Weiter kann ich nichts sagen.«

Der Frager besann sich einen Augenblick, warf einen scharfen, forschenden Blick auf den Händler und fuhr dann fort:

»Ihr kauft nur Pferde?«

»Pferde und manches andre.«

»Auch Nuggets?«

»Auch. Habt Ihr welche?«

»Nicht hier; sie kommen nach. Darf ich sie Euch anbieten?«

»Wenn es nicht gleich ist, ja. Habe soeben all mein Geld ausgegeben.«

»Den beiden Männern?«

»Dem einen.«

»Er verkaufte Euch etwa einen Wertbrief?«

»Ja.«

»Wie hoch?«

»Zu zwanzigtausend Dollars.«

»Wollt Ihr so gut sein, Sir, und mir den Schein einmal zeigen?«

»Warum?«

»Um zu sehen, ob es der Gentleman gewesen ist, mit dem wir gern zusammentreffen wollen.«

»Hm, so! Den Schein sollt Ihr sehen; aber in die Hand bekommt Ihr ihn nicht.«

Er trat in die Baracke und kam nach kurzer Zeit mit dem Papier zurück. Der Fremde betrachtete es genau und nickte dann vor sich hin.

»Ihr habt bloß diesen einen Schein von ihm erhalten?«

»Nur diesen.«

»Danke, Sir! Die Männer werden nicht wiederkommen, sollte es aber dennoch geschehen, so kauft ihnen nichts mehr ab, sondern laßt sie festnehmen. Die Geldanweisungen gehören mir und sind mir von ihnen gestohlen worden. Ich werde vielleicht wieder bei Euch vorsprechen!«

Er zog sein Pferd herum, der Indianer tat desgleichen, dann sprengten beide wie vorher im Galopp die Straße entlang.

Es wurde kein Wort zwischen ihnen gewechselt, bis sie am Kai des Hafens anlangten. Dort fragte der Weiße:

»Mein roter Bruder ist mir auf der Fährte der Räuber über die weiten Länder der Savanne gefolgt. Wird er bei mir bleiben, wenn ich gezwungen bin, ein Schiff zu besteigen?«

»Winnetou geht mit Deadly-gun über die ganze Erde und auch auf das große Wasser. Howgh!«

»Die Räuber wollen wahrscheinlich über das Meer entfliehen; sie werden sich nach den abgehenden Schiffen erkundigen. Das tun wir auch und bewachen die Fahrzeuge; da erwischen wir sie.«

»Mein Bruder tue das und halte sich immer hier am Wasser auf, damit ich ihn wiederfinde. Winnetou aber wird zurückkehren vor die Häuser der großen Stadt da drüben, um die Jäger zu erwarten und herzuführen, die zurückgeblieben sind, weil ihre Pferde müde waren.«

Deadly-gun neigte zustimmend den Kopf: »Mein Bruder ist klug; er tue, wie er gesagt hat!«

Er stieg vom Pferd, das er dem Hausknecht eines in der Nähe befindlichen Gasthauses übergab. Der Apatsche aber kehrte allein den Weg zurück, den sie miteinander gekommen waren. –

Während dieses geschah, hatten Brétigny und Marc Letrier ihren Weg fortgesetzt. Langsam dahinschlendernd, bemerkten sie einen Mann, der aus einem engen Seitengäßchen hervortrat und, ihrer nicht achtend, in einiger Entfernung quer über die Straße schritt. Von kaum mittlerer Gestalt, und dabei schlank gebaut, trug er die Kleidung eines Diggers, der aus den Minen kommt, um von der anstrengenden Arbeit auszuruhen und dabei sich ein wenig in der Stadt umzusehen. Ein breitkrempiger und vielfach zerknitterter Strohhut hing ihm in das Gesicht hernieder, doch vermochte er nicht, das große, häßliche Feuermal zu verdecken, das sich von dem einen Ohr quer über die ganze Wange bis über die Nase zog.

Ueberrascht blieb Brétigny stehen und faßte seinen Begleiter am Arm.

»Marc, kennst du den?« fragte er hastig.

»Den? Nein, Kapitän.«

»Wirklich nicht?«

»Nein.«

»Ich habe falsch gefragt. Es sollte heißen: kennst du die?«

»Die? Alle Wetter, die Gestalt, die Haltung, der Gang, Kapitän, es ist doch wohl kaum möglich!«

»Sie ist's, sage ich dir, sie und keine andre! Wir sind vollständig verwildert; aus dieser Entfernung erkennt sie uns nicht. Ein glücklicher Zufall führt sie uns vor die Augen; wir müssen ihr folgen!«

Sie schritten hinter dem Mann her, der nach kurzer Zeit in eine Bretterbude trat, über deren Tür mit einfachen Kreidezügen die Inschrift › Taverne of fine brandy‹ angebracht war. Vor und hinter diesen Buchstaben hatte man auch mit Kreide je eine Schnapsflasche auf das rissige Holz gemalt.

»Was tut sie in dieser Butike? Sie hat genug Geld und wohnt jedenfalls anständig. Ihr jetziges Aeußeres ist also eine Verkleidung, und ihr gegenwärtiger Gang hat irgendeinen geheimnisvollen Zweck.«

»Wir müssen ihr hineinfolgen, Kapitän.«

»Das geht nicht, Marc. Sie würde uns trotz unseres verwilderten Zustands doch sofort erkennen. Die Bude besteht aus einfachen Brettern; von vorn dürfen wir uns nicht nahen; vielleicht finde ich an ihrer Rückseite ein Astloch oder irgendeine Spalte, durch die es mir möglich ist, das Innere zu überblicken. Du bleibst zurück und beobachtest den Ausgang. Sollte sie den Ort verlassen, ehe ich zurückkehre, so kommst du schleunigst, um mich zu benachrichtigen.«

Er wandte sich zur Seite. Die Gelegenheit war günstig. Die Hütte hatte keinen Ausgang nach hinten und wurde da durch einen kaum drei Fuß breiten Zwischenraum von einem ganz ähnlichen Bauwerk getrennt. Brétigny schob sich hinein und fand bald ein Astloch, durch das er einen großen Teil des Schankraums, in dem zahlreiche Gäste saßen, zu überblicken vermochte.

Der Mann mit dem Feuermal hatte in der Nähe eines breiten Ofens Platz genommen, war dann aber plötzlich nach rückwärts verschwunden. Weiter nach dieser Seite hin, schloß Brétigny, befand sich vielleicht ein abgetrennter Raum, der für private Zwecke dienen konnte. Er schob sich leise in dieser Richtung weiter, bis er hart hinter der dünnen Wand, an der er lehnte, mehrere Stimmen erklingen hörte. Er legte das Ohr an das Brett und lauschte.

»Wo treffen wir uns, Sir?« hörte er fragen.

»Nicht hier, das wäre unvorsichtig, auch nicht am Kai, sondern in der kleinen Bucht oberhalb der letzten Fischerhütte.«

»Und wann?«

»Wann ich kommen kann, ist noch unbestimmt, aber um elf müßt ihr versammelt sein, dürft jedoch vor meiner Anwesenheit nichts unternehmen.«

»Schön. Es wird einen tüchtigen Kampf geben, ehe das Fahrzeug unser ist.«

»Nicht so sehr, als ihr denkt. Die Offiziere und Subalternen sind heut abend an Land geladen, und an Bord selbst wird ein Festgelage stattfinden, das uns bestimmt in die Hand arbeitet.«

»Das läßt sich hören. Gibt es keinen Freund an Bord?«

»Der lange Tom ist da mit noch einigen, die uns erwarten.«

»Alle Teufel, Ihr habt das Ding fein eingeleitet! Also der Kapitän Kaiman wird wirklich mit dabei sein?«

»Sicher. Es werden die Anker sofort gelichtet; der Wind ist gut; die Ebbe fällt passend, und wenn nicht ein unvorhergesehenes Hindernis eintritt, so wird man von der ›l'Horrible‹ bald dieselben Geschichten wie früher erzählen.«

»Auf uns könnt Ihr rechnen, Sir. Wir werden gegen dreißig Mann sein, und mit tüchtigen Offizieren und einem solchen Segler braucht man die ganze Marine der Welt nicht zu fürchten.«

»Das meine ich auch. Hier habt ihr euer Draufgeld und noch einiges darüber, um zu trinken. Aber haltet euch nüchtern, damit der Handstreich uns nicht etwa mißlingt!«

Ein Stuhl wurde gerückt; der letzte Sprecher entfernte sich. Brétigny hatte ihn auch an der Stimme erkannt, obgleich sie eine verstellte und in die tieferen Tonlagen hinabgedrückte war. Das Gehörte war so außerordentlich, daß er eine ganze Weile vollständig bewegungslos stand und auch wohl noch länger so verblieben wäre, wenn ihn nicht ein leises »Pst!« aus seiner halben Erstarrung aufgeschreckt hätte. Marc Letrier stand vor dem Zwischenraum und winkte.

»Sie ist fort, wieder zurück; schnell, schnell!«

Der Kapitän drängte sich aus der Enge hinaus, gerade noch zur rechten Zeit, um den Gegenstand seiner Beobachtung hinter der nächsten Ecke verschwinden zu sehen. Die beiden Männer eilten ihm nach und verfolgten ihn durch die schmutzigen Gäßchen der Vorstadt und die breiten Straßen der besseren Stadtteile bis an das Gitter eines einsam gelegenen Gartens. Hier blickte er sich prüfend um und schwang sich, als er nichts Verdächtiges bemerkte, mit einem katzenartigen Sprung hinüber. Die Lauscher hielten wohl gegen eine Stunde Wacht, aber vergebens; er kehrte nicht zurück.

»Sie muß hier wohnen, Marc. Laß uns das Haus suchen, zu dem dieser Garten gehört!«

Um dies zu tun, mußten sie eine Seitengasse durchschreiten. Als sie aus dieser traten, bemerkten sie einen prächtigen Wagen, der vor der Tür eines Hauses hielt, das kein andres als das gesuchte sein konnte. Eine Dame war soeben eingestiegen und gab dem Kutscher das Zeichen. Die beiden traten in die Gasse zurück; das vornehme Fahrzeug rollte vorüber, so daß die Gesichtszüge der Inhaberin zu erkennen waren.

»Sie ist's!« rief Marc.

»Ja, sie ist's; hier ist eine Täuschung ganz unmöglich. Ich bleibe hier; du aber gehst in das Haus und suchst ihren jetzigen Namen zu erfahren.«

Letrier gehorchte dem Gebot und kehrte schon in kurzer Zeit mit der gewünschten Auskunft zurück.

»Nun?«

»Frau de Voulettre.«

»Ah! Wo wohnt sie?«

»Sie hat das ganze erste Stockwerk inne.«

»Komm nach dem Hafen; dort werde ich dir weitere Mitteilungen machen!«

Sie schritten der genannten Gegend zu und kehrten auf diesem Weg in einem ›Store of dressing‹ ein, den sie in Beziehung auf Wäsche, Kleidung und sonstige Ausstattung vollständig verändert verließen. Langsam schritten sie durch das Menschengewühl des Kais. Plötzlich zuckte es wie ein heftiger Schreck über das Gesicht Letriers; er faßte den Kapitän und zog ihn hinter einen großen Haufen aufgestapelter Warenballen.

»Was gibt's?« fragte dieser.

»Blickt gradaus, Kapitän, und seht, ob Ihr den Mann kennt, der unter dem großen Kran steht!«

»Ah – alle Teufel, der Colonel, Deadly-gun! Sie haben sich also nicht irre führen lassen und sind uns auf dem Fuß gefolgt. Wo mögen die andern stecken?«

»Die hat der verdammte Polizist gewiß in der Stadt verteilt, um uns aufzulauern und unsern Aufenthalt zu erforschen.«

»Jedenfalls. Hat uns der Alte schon bemerkt?«

»Ich glaube nicht. Sein Gesicht war seitwärts gerichtet, als ich ihn sah, und bei unsrem jetzigen Anzug sollte es ihm auch schwer werden, uns zu erkennen, wenn wir ihm nicht allzu nahe kommen.«

»Richtig. Jetzt blicke einmal da hinüber auf die Reede! Kennst du das Schiff, das in der Nähe des Panzerschiffs liegt?«

»Hm – ja – das – das ist – Donner und Wetter, das ist kein andres als unsere ›l'Horrible‹; die kenne ich sofort, und wenn sie noch so sehr an seinen Segeln und Stangen herumgemodelt haben!«

»So komm!«

Sie nahmen ihren Weg durch das dichteste Gewühl und suchten sich ein entfernt liegendes Schankhaus, wo sie sich ein abgesondertes Zimmer geben ließen. Hier konnten sie ungestört verhandeln.

»Also du hast unsere ›l'Horrible‹ erkannt?« fragte Brétigny-Mertens.

»Sofort, Kapitän.«

»Weißt du, wer ihn jetzt befehligt?«

»Nein.«

»Und weißt du, wer ihn morgen um diese Zeit befehligen wird?«

»Jedenfalls derselbe wie heut.«

»Nein.«

»So tritt ein Dienstwechsel ein?«

»Allerdings. Der heutige muß ›aus der großen Tasse trinken‹ Wird ersäuft. und an seine Stelle wird ein gewisser Camain treten oder, wenn du lieber willst, der Kapitän Kaiman.«

Marc Letrier lächelte.

»Dann wird die Miß Admiral wohl wieder Segelmeister?« meinte er, auf den mutmaßlichen Scherz eingehend.

»Gewiß.«

»Und fegt mit der neunschwänzigen Katze das Verdeck wie vor alten Zeiten?«

»Oder auch nicht. Dieser Panther wird gezähmt; darauf kannst du dich verlassen!«

»Und der treue Marc Letrier: welche Stelle wird der haben?«

»Wird sich schon etwas Passendes finden lassen.«

»Schade um das hübsche Kartenhaus!«

»Und wenn es nun kein Kartenhaus, sondern ein festes, sichres und unumstößliches Gebäude wäre?«

Letrier war wirklich betroffen von dem ernsten, zuversichtlichen Ton. Er blickte dem Kapitän forschend ins Gesicht und brummte:

»Hm, in der Welt ist manches Unmögliche möglich, wenigstens für unsereinen.«

»Allerdings. – Höre, Marc, was ich dir sagen werde!«

Er erzählte ihm, was er an den Brettern der Branntweinbude erlauscht hatte, und fügte die Vermutungen und Schlüsse bei, zu denen ihn das gehörte Gespräch berechtigte. Marc staunte.

»Teufel! Diesem Frauenzimmer ist wahrhaftig so etwas zuzutrauen.«

»Sie wird es ausführen, darauf kannst du dich verlassen.«

»Und wir?«

»Sagte ich dir nicht, daß ich heut abend die ›l'Horrible‹ befehligen werde?«

»Gut! Sie wird sich aber wehren.«

»Pah! Ich bin früher ihr Vorgesetzter gewesen und werde es auch jetzt sein. Sie ist noch immer die Alte. Ein Schiff zu stehlen! Mitten aus dem Hafen von San Francisco heraus! Es ist ungeheuer! Aber uns kommt es vortrefflich zustatten. Welch ein Glück, daß wir sie gesehen und trotz ihrer Verkleidung erkannt haben!«

Während sie in eifrigem Gespräch beieinander saßen, wurden in der Wohnung der Frau de Voulettre Anstalten zu einer glänzenden Abendgesellschaft getroffen. Die Leckereien aller Länder, die Weine aller Zonen waren vertreten, und die Dame des Hauses, die von ihrer Spazierfahrt schon längst zurückgekehrt war, machte sich mit den letzteren persönlich viel zu schaffen. Sie öffnete eine Anzahl der Flaschen, schüttete in jede ein feines, weißes Pulver und versiegelte sie dann sorgfältig wieder.

Der Abend nahte heran; es wurde dunkel, und aus den Fenstern ihrer Wohnung glänzte eine Lichtflut, die den Schein der Straßenlaterne weit überstrahlte.

Die Gäste, auch der Kommandant des Panzerschiffes nebst den geladenen Offizieren der andern Fahrzeuge hatten sich bei ihr eingefunden und schwelgten in den gebotenen Genüssen. Eine Menge vornehmer Pflastertreter und gewöhnlicher Leute belagerte den Eingang, um einen Blick in das geschmückte Innere zu werfen oder den Geruchssinn an den ausströmenden Wohlgerüchen zu weiden.

Unter ihnen befanden sich zwei Männer in Matrosentracht. Sie standen schweigend nebeneinander und warfen gleichgültige Blicke auf die andern. Ihr Augenmerk schien vorzugsweise auf eines der erleuchteten Fenster gerichtet zu sein. Lange, lange harrten sie. Da endlich wurde der Vorhang herabgelassen, der Schatten einer erhobenen Hand strich einigemal hinter ihm auf und nieder; dann verlöschte das Licht.

»Das ist das Zeichen,« flüsterte der eine.

»Komm!« antwortete der andre.

Sie schritten fort und bogen um die Ecke. An der Gartenpforte stand ein Koffer, neben ihm eine männliche Gestalt. Es war hier so dunkel, daß man die Einzelheiten nicht genau zu erkennen vermochte, doch war so viel zu sehen, daß der Mann kaum die Mittelgröße erreichte und einen dunklen Vollbart trug. Es war Frau de Voulettre, die sich wieder verkleidet hatte. Der Koffer enthielt ihre nautischen Werkzeuge.

»Ist der Wagen bestellt?« fragte der Mann mit dem dunklen Vollbart.

»Ja,« lautete die Antwort.

»Vorwärts!«

Seine Stimme klang befehlend, als sei er das Kommandieren von Jugend auf gewöhnt. Die Männer faßten den Koffer und schritten voran. Er folgte ihnen. An der Ecke einer Straße stand ein Wagen. Der Koffer wurde auf den Bock gehoben; die drei stiegen ein, und das Gefährt rollte im Trab zur Stadt hinaus. Im Freien angekommen, hielt es an. Die Fahrgäste stiegen aus, ergriffen den Koffer wieder und wandten sich, während der Wagen zurückkehrte, dem Strand zu.

Sie hatten diesen noch nicht erreicht, so ertönte hinter einem Busch eine Stimme.

»Halt, wer da!«

»Kapitän Kaiman.«

»Willkommen!«

Eine Schar dunkler Gesellen eilte herbei und umringten ehrfurchtsvoll den bärtigen Mann.

»Die Boote in Ordnung?« fragte er.

»Ja.«

»Die Waffen?«

»Alles recht.«

»Fehlt jemand?«

»Keiner.«

»Dann come on; ich nehme den ersten Kahn!«

Der Koffer wurde eingehoben, die mit Lappen sorgfältig umwickelten Ruder eingelegt, und die Fahrzeuge strichen geräuschlos durch die Wellen.

Zunächst strebten sie grad auf die Höhe hinaus, dann legten sie scharf nach Steuerbord über und näherten sich auf diese Weise von der Seeseite aus mit außerordentlicher Vorsicht der mitten in tiefer Dunkelheit liegenden ›l'Horrible‹, an deren Spriet und Stern nur je eine einsame Schiffslaterne brannte.

Sie waren jetzt so nahe an das Fahrzeug herangekommen, daß man sie bei der gewöhnlichen Aufmerksamkeit ganz sicher bemerken mußte. Derjenige, der sich Kapitän genannt hatte, stand aufrecht am Steuer und hielt sein scharfes Auge forschend auf die dunkle Gestalt des Schiffes gerichtet. Es war ein Augenblick, in dem sich alles entscheiden mußte und der seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Da ertönte der halblaute, heisere Schrei einer Möwe.

Die Leute in den Booten atmeten auf; es war das mit dem langen Tom verabredete Zeichen, daß an Bord alles gut gehe. Einige Taue hingen am Hinterteil herab.

»Legt an, und dann hinauf!« ertönte das leise Kommando.

Einige Augenblicke später standen sämtliche Männer an Deck. Tom hatte sie erwartet.

»Wie steht es?« fragte der Bärtige.

»Gut. Ich und die Unsrigen haben die Wache. Die andern schmausen unten in der Vormarskoje oder liegen schon betrunken am Boden.«

»Hinunter! Doch schont sie. Sie werden gefesselt und in den Raum geschlossen; später müssen sie zu uns schwören. Je mehr Arme wir bekommen, desto besser für uns.«

Dieser Befehl wurde schnell und ohne Lärm ausgeführt. Die nichts ahnende, vom Grog berauschte Mannschaft wurde leicht überwältigt, gebunden und in dem Kielraum geborgen. Dann zog man den Koffer empor, der in die Kapitänskajüte getragen wurde, und löste die Boote, die man mitgebracht hatte, von den Tauen. Sie konnten schwimmen – das Schiff befand sich in der Gewalt der Korsaren.

Jetzt versammelte der Schwarzbärtige seine Leute um sich und wies jedem seine Stelle an.

»Wir stechen in See. Schmiert die Ankerwinde und die Takelrollen mit Oel, damit kein unnötiges Geräusch entsteht. Kommandieren darf ich nicht, sonst hört man mich da drüben auf dem Panzerschiff; aber ich hoffe, daß jeder weiß, was er zu tun hat!«

Die Mannschaft verteilte sich. Der Kommandant eilte von Ort zu Ort, um seine Befehle leise auszusprechen; der Anker hob sich, die Segel rollten empor und der günstige Wind begann, sie zu blähen. Das Schiff gehorchte dem Steuer; es legte sich langsam herum, teilte die widerstrebenden Wogen und schoß der offenen See entgegen.

Da erst erscholl von dem Deck des Panzerschiffes ein Schuß – ein zweiter – ein dritter. Man wußte dort, daß die Offiziere der ›l'Horrible‹ an Land gegangen waren, hatte, allerdings zu spät, die Bewegung des Schiffes bemerkt, mußte natürlich sofort etwas Ungewöhnliches oder gar Gesetzwidriges vermuten und gab nun durch die drei Alarmschüsse das Zeichen zur allgemeinen Aufmerksamkeit.

Der neue Befehlshaber der ›l'Horrible‹ hatte sich auf das Quarterdeck begeben. Der lange Tom stand an seiner Seite.

»Horch, Tom, sie haben bemerkt, daß wir uns davonmachen!« sagte er.

Der Angeredete warf einen forschenden Blick empor zu den sich von dem Himmel hervorhebenden Segeltüchern.

»Wird ihnen nichts helfen. Sie haben die Augen zu spät aufgetan. Aber – Ihr kennt meinen Namen, Sir?«

»Ich dächte, der Kapitän Kaiman müßte ihn doch kennen; bist ja mit mir genugsam herumgesegelt.«

»Mit Euch? Nichts für ungut, Sir, ein tüchtiger Offizier seid Ihr, das habe ich schon in der kurzen Zeit bemerkt, aber der Kaiman, der seid Ihr nicht, den kenne ich.«

»Pah, ich werde es aber sein.«

»Wird nicht gut gehen. Die Leute wollen nur unter ihm dienen, und der Rotmalige, ich meine den Agenten, der uns angeworben hat, versprach uns ja, daß er noch lebe und heut abend am Deck sein werde.«

»Der Rotmalige? Hast du ihn wirklich nicht erkannt?«

»Erkannt –? ihn –? Habe den Kerl in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen!«

»Tausendmal schon, Tom; tausendmal, sage ich, hast du ihn oder vielmehr sie gesehen. Besinne dich!«

»Ihn –? Sie –? Donnerwetter, sie – sie –? Sollte – sollte es die Miß Admiral gewesen sein?«

»Sie war es. Und glaubst du nicht, daß sie ganz das Zeug hat, den Kapitän Kaiman zu spielen?«

Der Lange trat überrascht einige Schritte zurück.

»Alle Wetter, Sir – Miß, wollte ich sagen, das ist ja eine ganz außerordentliche Geschichte. Ich denke, Ihr seid aufgehangen worden, als die Teerjacken die ›l'Horrible‹ nahmen!«

»Nicht ganz. Aber höre: du bist an Bord der einzige, der den Kapitän wirklich kennt; du verschweigst, daß ich und der Agent ein und derselbe sind, und läßt sie dabei, daß ich der Kaiman bin. Verstehst du?«

»Vollständig!«

»Nun, du sollst dich nicht schlecht dabei stehen!«

»Hm, mir ist es sehr gleich, ob ein Sir oder eine Miß das Kommando führt, wenn es nur immer eine gute Prise gibt. Ihr könnt Euch auf mich verlassen.«

»Gut. Doch schau, die Lichter im Hafen und auf der Reede werden lebendig. Man schickt sich zur Verfolgung an. Pah, in zwei Stunden sind wir ihnen, selbst bei hellem Tag, aus den Augen.«

Der Bärtige ließ alle Leinwand aufziehen, so daß das auf der Seite liegende Schiff mit verdoppelter Geschwindigkeit die Wogen teilte, und hing sich mit dem Arm in die Wantensprossen, um die lang entbehrte Genugtuung, den prächtigen Segler unter den Füßen zu haben, in vollen Zügen zu genießen.

Erst als der Tag zu grauen begann und seine Anwesenheit an Deck nicht mehr notwendig war, stieg er herab und schritt zur Kajüte. Dort stand sein Koffer. Eine Lampe brannte.

»Hm,« schmunzelte er, sich mit sichtlicher Befriedigung in dem netten Raum umsehend, »der Jenner ist so übel nicht, wie ich dachte; er hat sich hier ganz prächtig eingerichtet. Doch, ich muß vor allen Dingen sehen, ob mein geheimes Fach noch vorhanden ist, von dem selbst Kaiman nichts wußte.«

Er schob einen Spiegel beiseite und drückte auf ein dahinter befindliches und kaum sichtbares Knöpfchen. Ein Doppeltürchen sprang auf und ließ eine Vertiefung bemerken, in der allerlei Papiere aufgeschichtet lagen. Er griff nach ihnen.

»Wahrhaftig, alles unberührt! Das Versteck ist gut; ich werde es sofort wieder benutzen.«

Er zog einen Schlüssel hervor und öffnete den Koffer. Ein Fach darin enthielt nichts als Geldrollen und Pakete Banknoten.

Er barg es in das Versteck, verschloß dieses und schob den Spiegel wieder vor. Hierauf entnahm er dem Koffer allerlei Wäsche und Kleidungsstücke, die in dem Kajütenschrank Platz fanden, und zog dann dieselben kostbaren nautischen Werkzeuge hervor, die Leutnant Jenner bei der Frau de Voulettre gefunden hatte.

»Wenn dieser Leutnant gewußt hätte, weshalb seine schöne Dame sich mit diesen ›langweiligen‹ Dingen befaßte! Bei allen Heiligen, es ist der beste Streich meines Lebens, den ich heut ausgeführt habe, und ich möchte nur wissen, was der Kapitän dazu sagte, wenn er hier stände und – –«

»Er sagt Bravo, Clairon!« ertönte es hinter ihr, während sich eine Hand auf ihre Schulter legte.

Entsetzt fuhr sie herum und starrte mit weit aufgerissenen Augen in das Gesicht des soeben Genannten.

»Kai – Kai – Kaiman!« stammelte sie beinahe kreischend.

»Der Kapitän Kaiman!« nickte dieser mit ruhigem, überlegenem Lächeln.

»Nicht möglich! Sein Geist – sein – sein – –«

»Papperlapapp! Glaubt der Segelmeister der ›l'Horrible‹ an Geister?«

»Aber wie – wo – wann – wie kommst du nach Frisco und wie hier an Bord?«

»Das ›Wie‹ werde ich dir später erklären; das ›Warum‹ aber weißt du wohl?«

»Nichts weiß ich!«

»Auch von meiner Kasse weißt du nichts, die verschwunden war, als du es vorzogst, mich als elendes Wrack in New York liegen zu lassen?«

»Nichts.«

»So! Leider bin ich in der glücklichen Lage, mit vollständigen Beweisen vor dir zu stehen. Aber zunächst wollen wir dem Augenblick Rechnung tragen. Du hast die ›l'Horrible‹ entführt.«

Sie schwieg.

»Und dir dazu Leute angeworben –«

Sie schwieg auch jetzt.

»Denn du versprachst, daß der Kapitän Kaiman die Führung übernehmen werde.«

Sie rang sichtlich noch unter dem Schreck, den ihr sein Erscheinen verursacht hatte.

»Um dir Gelegenheit zu geben, dein Wort zu halten, bin ich schon vor euch an das Schiff geschwommen und habe mich an den Sorrleinen und Puttingen versteckt, bis ich es an der Zeit fand, mich dir vorzustellen. Du bist wahrhaftig ein ganz verteufeltes Frauenzimmer, und weil du deine Sache so gut gemacht hast, werde ich dir, allerdings nur für einstweilen und bis wir abgerechnet haben, deine frühere Stellung als Segelmeister wieder einräumen. Tu' also immerhin den Bart herab! Er ist dir lästig und den ›Kaiman‹ kannst du ja doch nicht nachmachen.«

Er hatte in einem ruhigen, überlegenen Ton gesprochen, der ihr das Blut in die Wangen trieb und ihre Augen katzenartig funkeln ließ.

»Segelmeister, ich? Und wenn ich dich nun nicht kenne?« zischte sie.

»So kennt mich der lange Tom und Marc Letrier. Sie hängen beide mehr an mir, als an dem grausamen Panther, der sich Miß Admiral nannte.«

»Marc Letrier? Wo ist er?«

»Hier an Bord. Er kam mit mir und spricht oben mit dem langen Tom, um ihm zu sagen, daß ich wirklich anwesend bin.«

»Es wird dir und ihm nichts helfen,« raunte sie ihm grimmig entgegen.

Sie riß den Revolver von der Seite und schlug auf ihn an. Ein blitzschneller Schlag seines Armes schleuderte ihr die Waffe aus der Hand; dann faßte er sie bei den Schultern und drückte ihre schlanke, geschmeidige Gestalt an die Wand, als sei sie daran angenagelt.

»Miß Admiral, hör', was ich dir ein für allemal sage! Du hast meinen Tod gewollt, und mein Leben stand in Gefahr, so lang ich dir vertraute. Ich bin Kapitän meines Schiffes, und du – du wirst unschädlich gemacht!«

Ein Schlag seiner geballten Faust traf ihren Schädel, so daß sie bewußtlos zusammenbrach. Er fesselte sie mit denselben Stricken, mit denen ihr Koffer eingeschnürt gewesen war, und stieg dann nach oben.

Der Morgen war jetzt hereingebrochen, so daß man mit einem Blick die Lage zu übersehen vermochte. Die Mannen hatten sich alle an Deck versammelt und einen Kreis um den langen Tom und Letrier gebildet, die ihnen zu erzählen schienen. Da fiel der Blick des letzteren auf den Kapitän. Er sprang vor, schwenkte den Südwester und schrie:

»Das ist er, ihr Leute. Vivat, der Kapitän Kaiman!«

Die Hüte flogen in die Luft; der Ruf wurde von jeder Kehle wiederholt.

Der Pirat winkte ihnen gnädig zu und trat mit stolzem Schritt in ihre Mitte. In kurzer Zeit war allen der Eid abgenommen und jeder erhielt ein hoch bemessenes Segelgeld. Die Waffen und Wachen wurden verteilt, die Schiffsordnung einstweilen mündlich bestimmt, und als das alles in Ordnung war, begab sich der Kapitän mit Letrier wieder in seine Kajüte, um nach der Miß Admiral zu sehen.

Die Besinnung war ihr wiedergekehrt, doch schloß sie sofort die Augen, als sie ihn eintreten sah. Er bog sich über sie und fragte:

»Wo ist das Geld, das du mir raubtest?«

Ihre Lider öffneten sich; ein haßerfüllter Strahl schoß zwischen ihnen hervor.

Er wiederholte seine Frage.

»Frag', so oft du willst; eine Antwort bekommst du nicht,« erklärte sie.

»Ganz nach Belieben!« lächelte er. »Ein großer Teil ist natürlich fort; die Frau de Voulettre hat jedenfalls kostspielige Bedürfnisse gehabt; das übrige aber ist hier an Bord, ich kenne dich.«

»Suche es!«

»Das werde ich tun. Und finde ich nichts, so gibt es Mittel, dich zum Sprechen zu bringen, Marc!«

»Kapitän?«

»Das Frauenzimmer bleibt gefesselt wie bisher und erhält ihren Platz in meiner eignen Koje. Ihr Wärter bin nur ich; kein andrer hat bei ihr Zutritt, auch du nicht. Und wer den kleinsten Versuch macht, sich ihr zu nähern, bekommt die Kugel. Uebrigens darf außer dir kein andrer wissen, wo sie sich befindet. – Jetzt bring die frühere Mannschaft des ›l'Horrible‹ einzeln an Deck! Ich werde sehen, was aus den Leuten zu machen ist.«

Marc ging. Der Kapitän zog seine Gefangene in die Nebenkoje und verdoppelte hier ihre Fesseln. Er wußte, daß er die Wahrheit gesagt habe: sie hatte keine Macht mehr über ihn. – – –


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