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10. In Hoboken

Wieder war es bei Mutter Dodd in Hoboken. Die gute, brave Frau war noch immer die alte; hatte sie sich verändert, so hatte höchstens ihre umfangreiche Gestalt noch einige Zoll im Durchmesser zugenommen. Es war bereits am Spätnachmittag und es hatte sich eine beträchtliche Anzahl Gäste eingefunden.

Die allgemeine Unterhaltung beschäftigte sich mit den politischen und kriegerischen Neuigkeiten des Tages. Das Glück, das den Sklavenbaronen bis jetzt in auffälliger Weise treu und günstig gewesen war, hatte sie endgültig verlassen. Jeder Erfolg aus dem Kriegsschauplatze wurde mit großem Jubel von jenen aufgenommen, deren Ansichten mit der ebenso menschlichen, wie tatkräftigen Politik des Präsidenten Abraham Lincoln übereinstimmten.

Da öffnete sich die Tür; einige Seeleute traten ein, die sich ganz augenscheinlich in einer angenehmen Aufregung befanden.

»Holla, ihr Mannen, wollt ihr hören, was es für eine Neuigkeit gibt?« fragte einer von ihnen, indem er, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, mit der gewichtigen Faust aus den ihm am nächsten stehenden Tisch schlug, daß es krachte.

»Was ist's –? Was soll es sein –? Was gibt's –? Heraus damit; erzähle!« rief es von allen Seiten.

»Was es gibt, oder vielmehr, was es gegeben hat? Nun, was denn anders als ein Seegefecht, ein Treffen, das seinesgleichen sucht.«

»Ein Seegefecht – ein Treffen –? Wo – wie – wann – zwischen wem?«

»Wo? – auf der Höhe von Charleston. Wie? – verteufelt wacker. Wann? – den Tag weiß ich nicht, vor ganz kurzem jedenfalls. Und zwischen wem? – ratet einmal!«

»Zwischen uns und den Rebellen!« rief einer.

Alles lachte. Der Angekommene lachte mit und rief: »Schau, was du für ein kluger und gescheiter Junge bist, so etwas Schwieriges sofort zu erraten! Daß es zwischen uns und dem Süden sein muß, das ist ja so flüssig wie Seewasser! aber wie die Schiffe heißen, he, das wird deine Weisheit wohl nicht so schnell finden!«

»Welche sind es? Wie heißen sie, und wer hat gesiegt?« klang rund umher die stürmische Aufforderung.

»Was das Widderschiff ›Florida‹ ist – – –«

»Die ›Florida‹ ist's gewesen?« unterbrach ihn Mutter Dodd, indem sie sich mit ihren dicken Armen durch die Gäste Bahn brach, um in die unmittelbare Nähe des Berichterstatters zu gelangen. »Die ›Florida‹ ist das neueste, größte und stärkste Fahrzeug des Südens und soll mit seinem Teufelssporn vollständig unwiderstehlich sein. Es ist aus lauter Eisen gebaut. Wer hat es gewagt, diesen Leviathan anzugreifen?«

»Hm, wer? Ein kleiner Leutnant mit einem ebenso kleinen Schiffe, der noch dazu nur ein Klipper ist und sich um Kap Horn herum müd gesegelt hat. Ich meine die ›Swallow‹, Leutnant Walpole.«

»Die ›Swallow‹ – Leutnant Walpole –? Unmöglich! Gegen die Florida können zehn Linienschiffe nichts ausrichten, wie soll es da einem Klipper in den Sinn kommen, ein solches Ungeheuer–«

»Stopp!« fiel da Mutter Dodd dem Sprecher in die Rede. »Sei still mit deinem Klipper, von dem du nichts verstehst! Ich kenne die ›Swallow‹ und auch den Walpole, der mehr wert ist als alle deine zehn Linienschiffe zusammengenommen. Aber die ›Swallow‹ ist ja in den Gewässern von Kalifornien, he?«

»Gewesen – gewesen, hat aber Befehl erhalten, um das Kap herum nach New York zu gehen. Sie muß ein ganz vertracktes Fahrzeug sein; ihr habt ja doch alle die Geschichte von der ›l'Horrible‹ gehört, die der Kapitän Kaiman von der Reede von San Francisco weggenommen hatte und die der Walpole so prachtvoll wieder holte. Beide, die ›Swallow‹ und die ›l'Horrible‹, haben von da an zusammengehalten, sind vom Süden herauf, an Brasilien vorüber und bis auf die Höhe von Charleston gesegelt und da auf die ›Florida‹ gestoßen, die sofort die Jagd auf sie begonnen hat. Walpole hat das Kommando der beiden Segler gehabt, die ›l'Horrible‹ scheinbar zur Flucht auf die hohe See hinausgeführt und der ›Swallow‹ die Stangen und Spieren nebst dem Segelwerk heruntergenommen, so daß es geschienen hat, als sei sie von Sturm und Wetter so fürchterlich mitgenommen, daß sie lahm gehe und der ›Florida‹ in die Hände fallen müsse.«

»Ja, ein Teufelskerl, dieser Walpole!« meinte Mutter Dodd. »Weiter, weiter!«

»Das Widderschiff hat sich wirklich täuschen lassen und ist der ›Swallow‹ bis in die Untiefen von Blackfoll gefolgt, wo es sich festgeritten hat. Nun erst hebt Walpole die Stangen und Spieren, zieht die Leinwand auf, ruft die ›l'Horrible‹ herbei und beginnt ein Bombardement auf den hilflosen Koloß, das ihm bald den Rest gegeben hat. Einer der ersten Schüsse hat ihm das Steuer fortgenommen; es ist sogar zum Entern gekommen und dabei teufelsmäßig blutig hergegangen; aber die ›Florida‹ liegt auf dem Grund, und die beiden andern sind bereits unterwegs und können jeden Augenblick hier Anker werfen.«

»Beinahe unglaublich! Wo hast du es her?«

»Hab's auf der Admiralität gehört, wo man es sicher schon seit längerer Zeit wüßte, wenn die Telegraphen nicht von den Rebellen zerstört worden wären.«

»Auf der Admiralität? Dann ist's auch wahr, und ich will es dem armen Jenner von der ›l'Horrible‹ gönnen, daß es ihm auf diese Weise gelungen ist, die Scharte wegen des Kapitän Kaiman so leidlich auszuwetzen.«

»Ja, das ist eine Kunde, die das Herz erfreut und die Seele erhebt,« meinte die Wirtin. »Hört, Jungens, ich werde euch ein Fäßchen Freibier anstecken lassen; trinkt, so lange es euch schmeckt, auf das Wohl der Vereinigten Staaten, des Präsidenten, der ›Swallow‹ und – und – und –«

»Und auf das Wohl von Mutter Dodd!« rief einer, das Glas erhebend.

»Hoch, vivat Mutter Dodd!« antwortete es von allen Ecken und Enden.

»Hoch, Mutter Dodd, vivat, alte Schaluppe!« ließ sich jetzt eine dröhnende Baßstimme unter der geöffneten Tür vernehmen.

Alle wandten sich nach dem Mann um, der eine so außerordentlich kräftige Kehle besaß. Kaum aber hatte die Wirtin ihn erblickt, so eilte sie mit einem Ausruf der freudigsten Ueberraschung auf ihn zu.

»Peter, Peter Polter, tausendmal willkommen in Hoboken! Wo kommst du denn her, alter Junge? Aus dem Westen?«

»Ja, tausendmal willkommen in Hoboken,« antwortete er. »Komm, ich muß dich wieder einmal in meine Arme quetschen; gib mir einen Kuß! Halte-là, heigh-day, – heda, ihr Leute, laßt mich doch einmal hindurch! Komm her an meine Weste, mon bijou

Er warf die im Weg Stehenden wie Spreu auseinander, faßte die Wirtin bei ihrem umfangreichen Gurt, hob sie trotz ihrer Schwere zu sich empor und drückte ihr einen schallenden Schmatz aus die Lippen.

Sie litt diese Liebkosung trotz der vielen Zeugen so ruhig, als sei diese etwas ganz Alltägliches und Selbstverständliches, dann wiederholte sie die schon einmal ausgesprochene Frage nach dem Woher.

»Woher? Na, woher denn anders als auf der ›Swallow‹ um Kap Horn herum!«

»Auf der ›Swallow‹?« rief es aus aller Lippen.

»Ja, wenn es euch recht ist, ihr Leute.«

»So wart Ihr auch mit gegen die ›Florida‹?«

»Versteht sich! Oder meint ihr etwa, daß der Peter Polter aus Langendorf sich vor der ›Florida‹ fürchtet?«

»Erzählt, Master, erzählt! Was seid Ihr auf dem Schiff? Ist es schon hier oder–«

»Stopp! Euch fahren ja die Fragen aus dem Mund, wie die Jodler dem Schiffsjungen, wenn er Prügel bekommt. Ich werde euch meine Leine ganz nach der richtigen Ordnung abwickeln. Ich bin der Peter Polter aus Langendorf, Hochbootsmannsmaat auf ihrer englischen Majestät Kriegsschiff ›Nelson‹, dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹, dann deutscher Polizeileutnant in der Prärie, nachher wieder Steuermann und zwar par honneur auf der ›Swallow‹, und bin jetzt – – –«

»Gut, gut, Peter,« fuhr ihm Mutter Dodd dazwischen, »das hat nachher auch noch Zeit; vor allen Dingen aber komme ich mit meinen Fragen; die sind notwendiger als alles andre. Wie steht es mit all den Leuten, die bei dir waren? Wo sind sie jetzt? Wie war es mit dem Thieme, dem Heinrich Mertens und Peter Wolf? Was ist's mit der ›l'Horrible‹ und dem Kapitän Kaiman? Ich denke, ihr suchtet ihn im Westen, und doch hörte ich, daß ihn die ›Swallow‹ zur See gefangen hat! Habt ihr den Deadly-gun, oder wie er hieß, getroffen und war es auch der richtige Onkel? Wie steht es mit dem Polizisten? Und in welcher Gegend habt ihr denn eigentlich –«

»Bist du bald fertig, Alte,« rief lachend der Steuermann, »oder hast du noch genug Atem, um in dieser Weise noch einige Stunden fort zu schwadronieren? Gib einen vollen Krug her; eher bekommst du keine Antwort! Vorher aber will ich diesen Gentlemen die Geschichte mit der ›Florida‹ erzählen. Das andre ist nicht für jedermann; das sollst du drin in der andern Stube hören.«

»Nicht einen Tropfen bekommst du, bis ich wenigstens nur ein klein wenig weiß, woran ich bin!«

»Neugierde, die du bist! So frage noch einmal, aber einzeln und kurz!«

»Der Thieme? wo ist er?«

»Auf der ›Swallow‹.«

»Der Polizist?«

»Auf der ›Swallow‹.«

»Der Kapitän Kaiman?«

»Auf der ›Swallow gefangen.«

»Der giftige Marc?«

»Ebenfalls.«

»Der Onkel Deadly-gun?«

»Ist auch da.«

»Leutnant Walpole?«

»Auch, aber verwundet.«

»Verwundet? Mein Gott, ich hoffe doch nicht, daß –«

»Papperlapapp! Ein paar Schrammen, weiter nichts; er wird für einige Zeit Urlaub nehmen müssen. Es ging ein wenig heiß her auf der ›Florida‹, aber wir haben da drinnen in der verdammten Prärie noch ganz andre Dinge durchmachen müssen. Zum Beispiel mein Pferd, der Racker, war ein wahrer Dämon von einem satanischen Drachen und ich kann heut noch nicht sagen, ob ich mir nicht einige Schock Knochen aus dem Leib herausgeritten habe. Doch, du wolltest ja fragen!«

»Wo ist die ›Swallow‹?«

»Sie kreuzt bei widrigem Winde draußen vor dem Lande; der Forster steht am Steuer. Unterdessen ging der Kapt'n auf einem Dampfboot mit mir herein, um seine Meldung zu machen, während ich hier auf ihn warte.«

»Du wartest auf ihn? Hier bei mir? So wird er hier vorsprechen?«

»Versteht sich! Ein braver Seegaste kehrt zu allererst bei Mutter Dodd ein, wenn er in New York vor Anker geht. Und in einer Stunde ist die ›Swallow‹ im Hafen, da kommen noch andre auch herbei, der Pitt Holbers –«

»Pitt Holb–«

»Der Dick Hammerdull –«

»Dick Hammerd –«

»Der Colone! Deadly-gun –«

»Colonel Deadly-gun.«

»Der Thieme, Treskow, der kleine Ben Cunning, Winnetou, der Apatsche und –«

»Winnetou, der A–«

Die Namen blieben der guten Mutter Dodd im Mund stecken, so überrascht war sie, eine so ungewöhnliche Gesellschaft von Männern bei sich zu sehen. Plötzlich aber besann sie sich auf ihre Pflicht als Wirtin.

»–patsche,« fuhr sie daher in ihrem Ausruf fort. »Aber, da stehe ich und faulenze, und in einer Stunde habe ich die Sirs zu bedienen! Ich eile, ich fliege, ich gehe, Peter, um mich auf sie vorzubereiten. Erzähle einstweilen diesen Leuten hier die Geschichte von der ›Florida‹, die ihr in den Grund gebohrt habt!«

»Ja, das werde ich, aber sorge dafür, daß ich immer etwas im Krug habe, denn ein Seegefecht muß auch in der Erzählung feucht gehalten werden!«

»Keine Angst, Steuermann,« wurde er von den andern getröstet; »wir werden Euch schon mit begießen helfen!«

»Schön, gut! Also hört, ihr Mannen, wie es mit der ›Florida‹ zuging: Wir hatten den Aequator und nachher die Antillen längst hinter uns, umfuhren den Finger vor ›Florida‹ und näherten uns dann Charleston. Natürlich hielten wir uns so weit wie möglich in die See hinaus, denn Charleston gehört den Südstaaten, die ihre Kaper und Kreuzer weit hinausschicken, um jeden ehrlichen Nordländer wegzufangen.«

»War die ›l'Horrible‹ mit?«

»Versteht sich. Sie war von Anfang an uns stets in unserm Kielwasser gefolgt, weshalb wir immer nur halbe Segel nehmen dursten, da wir besser fuhren. So kamen wir glücklich und ungesehen vorwärts und hatten endlich auch Charleston hinter uns, weshalb wir wieder mehr auf Land zuhielten.«

»Da traft ihr nun auf die ›Florida‹?«

»Wart's ab, Grünschnabel! Da stehe ich eines Morgens am Steuer – ihr müßt nämlich wissen, daß ich vom Kapt'n die Stelle eines Steuermanns par honneur bekam, wie ich euch schon vorhin sagte – und denke eben an Mutter Dodd und was für Freude sie haben werde, wenn ich wieder einmal bei ihr sein darf; wir segeln ein weniges voraus, während die ›l'Horrible‹ uns mit voller Leinwand folgt, da ruft der Mann vom Ausguck:

›Rauch Nordost bei Ost!‹

Ihr könnt euch denken, daß wir sofort alle Mann auf Deck waren, denn mit einem Dampfer, wenn er die feindliche Flagge trägt, ist nicht gut spaßen. Der Kapt'n ist auch sofort oben am Masthead und zieht das Rohr; dann schüttelt er den Kopf, steigt wieder herab und läßt ein Reff legen, damit die ›l'Horrible‹ in Sprachweite an uns komme. Als dies geschehen ist, ruft er hinüber:

›Dampfer gesehen, Leutnant?‹

›Ay, Sir!‹

›Was wird's für einer sein?‹

›Weiß nicht,‹ antwortete Leutnant Jenner; ›das Fahrzeug hat weder Mast noch Rumpf; es geht tief, sehr tief, Sir.‹

›Wird eins von den südstaatlichen Widderschiffen sein. Wollt Ihr ihm aus dem Weg gehen?‹

›Ich tue, was Ihr tut.‹

›Gut; sehen wir uns den Mann ein wenig an!‹

Well, Sir; aber wir sind um das Zehnfache zu schwach.‹

›Schwächer, aber schneller. Wer kommandiert?‹

›Ihr.‹

›Danke! Wir lassen ihn heran; zieht er die feindliche Flagge, so flieht Ihr langsam vor ihm in See; ich sorge dafür, daß er sich an mich hält und führe ihn auf den Sand. Dann kommt Ihr und laßt ihn Eure Kugeln schmecken!‹

Well, well! Noch etwas?‹

›Nein!‹

Darauf ziehen wir die großen Segel auf, nehmen das kleine Werk samt Stangen und Spieren herab, so daß es aussieht, als hätten wir im Sturm Havarie erlitten und könnten nicht von der Stelle, und lassen den Mann auf Schußweite an uns herankommen. Er gibt das Signal zum Hissen der Flagge; wir ziehen die Sterne und Streifen, er aber läßt die südstaatlichen Fetzen sehen. Es war das neue Widderschiff ›Florida‹, mit Doppelpanzer und einem Spießhorn, mit dem es die beste Fregatte in Grund und Boden rennen kann.«

»Und an den habt Ihr Euch gewagt?«

»Pah, ich bin der Peter Polter aus Langendorf und habe mich mit den schuftigen Ogellallahs herumgehauen. Weshalb sollte ich mich da vor so einer Blechkanne fürchten? Ein gutes Holzschiff ist besser als so ein Eisenkasten, von dem man sich nicht einmal einen elenden Zahnstocher herunterschnitzen kann. Unser Admiral Farragut sagt auch so. Also er fordert uns auf, uns zu ergeben, wir aber lachen und schießen unter seinen Kugeln vorüber. Er wendet, um uns nachzukommen und uns den Sporn in das Holz zu rennen; ich werfe das Steuer herum und weiche ihm aus; er wendet abermals; ich halte von ihm ab; so geht es unter Wenden und Ausweichen fort, bis er in die Hitze kommt und die Klugheit vergißt. Seine Kugeln haben uns nichts getan; sie gingen über uns hinweg; er aber ist uns unbesonnen bis in die Nähe der Küste gefolgt und läuft dort auf eine Sandbank, an der wir vorüberschlüpfen, weil wir nicht so tief gehen.«

»Bravo, hallo; die ›Swallow‹ soll leben!«

»Ja, sie soll leben, Jungens, trinkt!«

Nachdem er selbst einen unvergleichlichen Zug getan hatte, der den Boden des Kruges zum Vorschein brachte, fuhr er fort:

»Jetzt gehen wir an seinen Stern, und während seine Mannen sich alle im Raum unter dem Wasserspiegel befinden, schießen wir ihm das Steuer weg, so daß er vollständig verloren ist. Die ›l'Horrible‹ kommt auch herbei; die ›Florida‹ kann sich nicht verteidigen; sie scheuert sich im Sand wund; das Wasser dringt ein; wir helfen nach – dann streicht sie die Flagge. Sie muß sich ergeben; wir nehmen ihre Leute an Bord, und kaum ist dies geschehen, so legt sie sich auf die Seite: die Wogen haben sie gefressen.«

»Hallo, so ist's recht! Dreimal hoch die ›Swallow‹!«

»Danke euch, Jungens, aber vergeßt auch die ›l'Horrible‹ nicht; sie hat das Ihrige auch getan.«

»Schön. Ein Hoch der ›l'Horrible‹. Stoßt an!«

Die Krüge klirrten zusammen. Da ertönten draußen einige Salutschüsse, ein Zeichen, daß ein Schiff in den Hafen laufe, und gleich darauf vernahm man ein vieltöniges Stimmengewirr und ein Rennen durch die Straße, als ob ein außerordentliches Ereignis bevorstehe. Peter Polter erhob sich, trat an das Fenster und öffnete es.

»Holla, Mann, was gibt's hier zu laufen?« fragte er, indem er einen Vorübereilenden beim Arme erfaßte.

»Eine frohe Botschaft, Master: Die ›Swallow‹, die den prächtigen Zusammenstoß mit der ›Florida‹ gehabt hat, läuft soeben in den Hafen. Alle Schiffe haben gewimpelt und geflaggt, um den tapferen Kapitän zu ehren, und jedermann eilt, die Landung zu betrachten.«

»Danke, Master!«

Er schlug das Fenster zu und bemerkte im Umdrehen, daß sämtliche Gäste auf die erhaltene Auskunft hin sofort ihre Plätze verlassen hatten und sogar das Freibier vergaßen, um der Landung des berühmten Schuners beizuwohnen.

»Immer lauft,« lachte er; »werdet nicht gar viel zu sehen bekommen. Der Kapt'n ist schon am Land, und die vom Bord gehen, das sind keine echten Seegasten, obgleich sie mitgemacht haben, daß es gewettert hat. Ich bleibe bei meiner Mutter Dodd, wo ich den Mr. Walpole erwarten muß.«

Es verging doch eine geraume Zeit, ehe der Genannte kam, und noch hatte er die Tür nicht verschlossen, so nahte sich ein lärmendes Rufen und Jauchzen dem Hause. Eine Menge Volks kam vom Hafen her, voran die Männer, die von der ›Swallow‹ an Land gegangen waren. Sie traten gleich hinter Walpole in die Stube, und das Volk drängte hinter den Helden des verwegenen Seegefechts her, daß der Raum die Gäste gar nicht zu fassen vermochte. Die entschlossene Wirtin, die unterdessen mit ihren Vorbereitungen zu Ende gekommen war, wußte sich schnell zu helfen. Sie öffnete das Ehrenzimmer, schob sich mit den Erwarteten hinein und verschloß dann die Tür, die Bedienung der andern ihrem Personal überlassend.

» Welcome, Sir!« begrüßte sie Walpole, der ihr als alter Bekannter freundlich die Hand reichte.

Auch die andern wurden mit einem herzlichen Handschlag begrüßt. Sie mußten Platz nehmen und brauchten bloß zuzugreifen, so umsichtig war in der kurzen Zeit für alles Wünschenswerte gesorgt worden.

»Mutter Dodd, du bist doch die trefflichste Brigantine, der ich jemals in die Arme gesegelt bin!« rief der Steuermann. »In dieser armseligen Prärie gab's nichts als Fleisch, Pulver und Rothäute. Auf der See ging es auch knapp her, da wir zu viel hungrige Magen geladen hatten; bei dir aber ißt und trinkt sich's wie beim großen Mogul oder wie der Kerl heißen mag, und wenn ich nur eine Woche hier vor Anker liege, so lasse ich mich hängen, wenn ich nicht einen Schmerbauch habe, wie da dieser fette Master Hammerdull.«

»Ob fett oder nicht, das bleibt sich gleich,« meinte dieser, wacker zulangend, »wenn man nur einen guten Bissen zwischen die Zähne bekommt. Ich hab's nötiger als ihr andern alle, denn seit ich meine alte, gute Stute in Francisco lassen mußte, bin ich vor Sehnsucht nach dem lieben Viehzeug ganz vom Fleisch gefallen. Ist's nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, Dick, daß dich die Stute dauert, so habe ich nichts dagegen. Es geht mir ja mit meinem Tier ganz ebenso. Wie ist's bei dir, Ben Cunning?«

»Bei mir? Wo mein Pferd steckt, ist mir gleichgültig, hihihihi; die Hauptsache ist, daß mir's bei Mutter Dodd gefällt.«

»So ist's recht,« stimmte die Wirtin bei; »greift zu, so viel und so lange es euch beliebt. Aber vergiß dabei auch dein Versprechen nicht, Peter!«

»Welches?«

»Daß du erzählen wolltest.«

»Ach so! Na, wenn du tüchtig einschenkst, so soll es mir auf einige Worte mehr nicht ankommen; dir erzähle ich immer gern.«

Während er kauend von den erlebten Abenteuern berichtete, saß Winnetou an seinem Platz und sprach den ihm ungewohnten Speisen der Bleichgesichter mit höchster Mäßigkeit zu. Den Wein rührte er gar nicht an. Er wußte, daß das ›Feuerwasser‹ der schlimmste Feind seines Volkes war; darum haßte und verschmähte er es. Seine Aufmerksamkeit war auf die lebhafte Unterhaltung gerichtet, die von den andern in jenem halblauten Ton geführt wurde, der stets ein Zeichen von der Wichtigkeit des Gegenstands ist.

»Wie war es auf der Admiralität?« fragte Deadly-gun den Leutnant.

»Ganz nach Erwartung,« antwortete dieser, der den einen Arm in der Binde trug, wie auch die andern verschiedene Zeichen von Verwundung aufzuweisen hatten. »Ernennung zum Kapitän und Beurlaubung bis nach vollendeter Genesung.«

»Was wird mit der ›Swallow‹?«

»Sie hat gelitten und geht zur Ausbesserung in die Trockendocks.«

»Und unsre Gefangenen?«

»Denen geschieht nach ihrem Verdienst.«

»Das heißt?«

»Sie werden gehängt, wie es Korsaren nicht anders zu erwarten haben.«

»Korsaren? Dieser Camain behauptet doch, die ›l'Horrible‹ nur deshalb genommen zu haben, um für die Südstaaten Kaperei zu treiben. Kommt er damit nicht durch?«

»Nein, denn er hat keinen Kaperbrief. Und wenn er einen hätte, so ist er eben der Kapitän Kaiman, der wegen seines früheren Sklavenhandels und der dabei betriebenen Piraterie aufgehangen wird.«

»Und die ›Miß Admiral‹?«

»Wird auch gehängt, darauf dürft ihr euch verlassen. Auch alle Gefangenen, die behilflich waren, die ›l'Horrible‹ zu nehmen, und dann, als wir sie enterten, mit dem Leben davon kamen, werden wahrscheinlich denselben Tod erleiden, denn sie sind als Seeräuber zu betrachten. Sie werden mit ihrem Schicksal wohl nicht so zufrieden sein wie ihr mit der Nachricht, die ich euch von der Admiralität bringe.«

»Also eine gute?«

»Eine sehr gute. Erstens wird die große Summe, die wir bei der ›Miß Admiral‹ fanden und mit der sie fliehen wollte, als Prise betrachtet, die uns gehört. Zweitens soll eine sehr hohe Belohnung dafür ausgesetzt werden, daß wir die ›l'Horrible‹ dem Kapitän Kaiman wieder abgenommen haben. Und drittens erhalten wir ganz bedeutende Prisengelder für unsern Sieg über die ›Florida‹. Sie liegt zwar jetzt auf dem Grund, wird aber später gehoben werden. Dieses Geld teilen wir unter uns, und es wird dabei auf jede Person so viel kommen, daß –«

»Auf mich nicht,« unterbrach ihn Deadly-gun.

»Warum nicht?«

»Weil ich kein Geld nehme, was mir nicht gehört.«

»Ihr habt es aber verdient!«

»Nein. Ich bin nur Gast auf Euerm Schiff gewesen; die Prisengelder gehören der Bemannung.«

»Ihr waret nicht Gast, sondern Mitkämpfer und habt also Teil daran.«

»Mag sein; aber ich nehme nichts. Ich habe dem Kapitän Kaiman die Anweisungen wieder abgenommen, die er mir im Hide-spot stahl. Die eine hatte er zwar schon verkauft, aber nur wenig davon ausgegeben; ich bin also vollständig zufriedengestellt. Winnetou nimmt erst recht nichts; und was meine braven Trapper betrifft, so wird es ihnen auch nicht einfallen, Eure Seegasten um ihre Prisengelder zu bringen. Wir haben es im Gegenteil nur Euch und ihnen zu verdanken, daß wir wieder zu unserm Geld gekommen sind. Sagt einmal, Dick Hammerdull, wollt Ihr das Geld haben?«

»Ob ich es haben will oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich nehme es nicht,« antwortete der Dicke. »Was sagst denn du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?«

Der Lange erwiderte gleichmütig:

»Wenn du denkst, daß ich es nicht nehme, Dick, so habe ich nichts dagegen. Es wird's überhaupt keiner von uns nehmen. Und wenn man es uns etwa mit Gewalt aufnötigen will, so bekommt Peter Polter meinen Anteil, und wenn es auch nur wäre, um ihm Lust zu machen, wieder einmal zu uns nach dem Westen zu kommen. Ich sehe ihn gar zu gern zu Pferd sitzen.«

»Laßt mich in Ruhe mit euern Pferden!« rief da der Steuermann. »Lieber laß ich mich zerstampfen und Schiffszwieback aus mir machen, als daß ich mich noch einmal auf so eine Bestie setze, wie der Traber war, auf dem ich dieses letzte Mal zu euch gesäuselt kam. Weiter will ich euch nichts sagen, denn was ich noch sagen könnte, mag lieber unausgesprochen bleiben, so übel ist mir dabei zu Mute gewesen.«

»Hast's auch nicht nötig, wieder den Westmann zu machen,« sagte Walpole. »Ich habe auf der Admiralität erwähnt, was wir dir verdanken und wie brav du dich gehalten hast. Man wird bei der nächsten freien Stelle an dich denken und dir einen Posten anvertrauen, auf den du stolz sein kannst.«

»Ist's wahr? Wirklich? Ihr habt bei den hohen Gentlemen an mich gedacht?«

»Ja.«

»Und man will mir einen solchen Posten geben?«

»Es wurde mir ganz bestimmt versprochen.«

»Ich danke, Sir, ich danke Euch! Ich werde schnell befördert werden! Heisa, hurra, hurra! Der Peter Polter – – –«

»Was hast du denn so gewaltig zu schreien, alter Seelöwe?« unterbrach ihn die Wirtin, die soeben zur Tür hereintrat.

»Das fragst du noch?« antwortete er. »Wenn ich ein Seelöwe bin, muß ich doch brüllen! Und ich habe auch allen Grund dazu. Weißt du, alte Mutter Dodd, ich soll nämlich für meine großen Verdienste Admiral werden!«

»Admiral?« lachte sie. »Das glaube ich wohl, denn du hast das Zeug dazu, und ich gönne es dir. Wie steht es denn aber mit deinem neuen Beruf, auf den du so stolz bist und an dem du mit ganzer Seele hängst?«

»Neuer Beruf? Welcher denn?«

»Westmann, Waldläufer, Biberjäger – – –«

»Schweig! Kein Wort weiter, wenn du es nicht ganz und gar mit mir verderben willst! Wenn ich mich auf ein Pferd setze, weiß ich nie, wohin es laufen wird. Stehe ich aber auf den Planken eines guten Schiffs, so kenne ich den Kurs genau und kann nicht aus dem Sattel fallen. Also Westmann hin, Westmann her, ich habe ein Haar drin gefunden und bleibe der alte Seebär, der ich stets gewesen bin!« – – –

Es war Abend geworden und man dachte daran, sich zur Ruhe zu begeben. Mutter Dodd hatte ihre besten Zimmer hergerichtet.

Deadly-gun erging sich mit seinem Neffen noch ein wenig in dem Garten, der zu Mutter Dodds Gasthaus gehörte. Eben sprach er:

»Lange habe ich geschwankt, aber da ich nun doch schon einmal hier im Osten angelangt bin, so soll es sein: ich begleite dich hinüber.«

»Und bleibst für immer bei uns, lieber Onkel?«

Der Colonel schüttelte langsam den Kopf.

»Wen die Prärie einmal gepackt hat, mein Junge, den läßt sie nie wieder los. Ich werde eine Spanne Zeit drüben bleiben und dann wieder zu meinen Trappern zurückkehren. Die Savanne bietet uns den unendlichen Raum zum freien Leben, sie hat auch Platz genug für uns im Tod.«

Eben waren die beiden in eine Ecke des Gartens gelangt, in der einige hohe, dicht belaubte Linden standen, als sie eine dunkle Gestalt bemerkten, die ausgestreckt im Grase lag.

»Wer ist das?« fragte Deadly-gun.

Sie traten näher.

»Wer ist hier?« fragte auch Thieme.

Die Gestalt löste sich aus der Decke, die sie umhüllte, und erhob sich. Es war Winnetou.

»Der Wigwam, in dem meine weißen Brüder schlafen, ist sehr schön, aber der Sohn der Prärie liebt die freie Luft und den Glanz der Sterne. Der Apatsche wird in den Halmen des Grases ruhen und sich mit den Wolken des Himmels bedecken, wie es die Kinder seines Volkes von Jugend auf tun. Howgh!« – – –


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