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5. Ben Cunning

Die Reise ging ohne Unfall und schnell vonstatten. In New Orleans, der früheren Hauptstadt des Südens angekommen, fanden die Gefährten eine gedrückte Stimmung vor. Vorbei war die Aufregung und Begeisterung, mit der die Südstaaten in den Bürgerkrieg gezogen waren, und man sehnte den baldigen Friedensschluß herbei.

Treskow und Thieme tauschten ihre jetzigen Anzüge mit der praktischen Trapperkleidung, während Polter sich von seiner Körperhülle nicht trennen konnte; dann versahen sich alle drei mit den nötigen Waffen und bestiegen den ersten aufwärtsgehenden Mississippisteamer, der sie bis an die Mündung des Arkansas trug.

Der Mississippi war seit der Eroberung von Vicksbury längst vollständig wieder in den Händen der Union, so daß die Reise den Strom hinauf ohne besondere Erlebnisse verlief. Auf dem Arkansas fuhren sie mit einem kleineren Dampfer bis Fort Gibson, wo sie sich drei wackere Pferde kauften und die Beutel mit einer gehörigen Menge Munition und Mundvorrat füllten. Dann ging es zu Roß mehrere Tage lang am Fluß weiter, bis sie das kleine Settlement erreichten, wo Master Winklay sein »Store and Boardinghouse« aufgeschlagen hatte.

Treskow und Thieme waren beide leidlich gute Reiter; anders aber verhielt es sich mit Peter Polter, der in einer geradezu unbeschreiblichen Stellung auf dem Pferde hockte und die Knie in die Höhe zog, als wate sein Tier bis hinauf zum Sattel im Schlamm. Grad er hatte einen recht widerspenstigen Dakota-Traber erwischt, der ihm gar viel zu schaffen machte, obgleich der brave Steuermann sich bei seinem früheren Aufenthalt in der Prärie wenigstens so viel Geschicklichkeit angeeignet hatte, daß er nicht aus dem Sattel zu bringen war.

Er wollte absteigen, aber sein Pferd schien damit nicht einverstanden zu sein; es ging mit allen Vieren in die Luft.

» Have care – Achtung – attention – hopp, du falscher Racker!« schrie er es zornig an, indem er ihm mit der gewaltigen Faust einen Hieb zwischen die Ohren versetzte. »Da hast du eins, wenn du meinst, daß der Peter Polter ein Seiltänzer sei oder ein ähnliches halsbrecherisches Lebewesen! Wirft mir die Bestie den Schwanz in die Höhe wie die Sternflagge eines Dreimasters und schlägt mit dem Gehör um sich, als wollte sie Seekrebse damit fangen! Hätte ich dich nur zwischen Vor- und Mittelmast eines guten Ozeaners, so wollte ich dir zeigen, was ein Steuermann zu bedeuten hat! Grace à dieu – heigh-day, da ist ja die Kabine, in der Master Winklay, der Irishman, vor Anker liegt. Herunter von der Raae, Peter Polter! Und du, Teufelsgaul, dich werde ich hier mit dem Riemen an die Fenzlatte sorren, Fenz = Umzäunung; sorren = festbinden. damit dich die Strömung nicht hinaus in die See treibt! Steigt ab, Master Treskow und Herr Thieme, wir sind im rechten Hafen!«

Sie schwangen sich aus dem Sattel und banden ihre Pferde draußen an. Polter trat mit weitauseinander gespreizten Beinen auf, als habe er vom Reiten die Seekrankheit bekommen, und schob sich dann vorsichtig durch den Flur und die offenstehende Tür in den Boardraum des Irländers.

» Good day, alter Marsgast!« grüßte er diesen. »Schafft etwas Nasses zur Stelle, sonst segle ich Euch über den Haufen, so liegt mir der Durst in der Kehle!«

Die beiden andern zeigten weniger Redseligkeit; sie nahmen schweigend Platz und überließen ihrem Gefährten die Einleitung zu dem beabsichtigten Gespräch.

» Holà, my good haggler, kennt Ihr den Peter Polter noch?« fragte dieser.

Der Wirt zog sein Gesicht in schmunzelnde Falten und antwortete:

»Kenn' Euch schon noch. Wer so trinken kann wie Ihr, den vergißt man nicht so leicht!«

» Well done – bien! Hätte Euch aber einen solchen Merks kaum zugetraut! Wißt Ihr noch, als ich mit Dick Hammerdull, Pitt Holbers und noch einigen hier Abschied trank und doch zwei Tage länger warten mußte, weil die andern gar nicht wieder aufwachen wollten?«

» Yes, yes, das war ein ›drink‹, wie ich noch keinen erlebt hatte und wohl auch keinen wieder mitmachen werde. Wo seid Ihr denn herumgestiegen?«

»Bin nach dem Osten und zur See, habe hierhin geguckt und dorthin und will nun wieder auf eine Woche oder zwei zum alten Deadly-gun. Ist doch noch vorrätig, der alte Trapper, he?«

»Meine es! Den löscht so leicht kein Indsman aus, und die bei ihm sind, wissen sich und ihn zu halten, Dick Hammerdull ist hier gewesen vor nicht gar langer Zeit; der lange Pitt war auch bei ihm. Sind dann fortgegangen und auf die Roten gestoßen, wie ich mir denke. Man sagt, die Ogellallahs hätten einen Zug überfallen und von Deadly-gun und Winnetou ein gut Teil Blei und Eisen erhalten.«

»Winnetou? Ist der Apatsche auch wieder zu haben?«

Der Irländer nickte. »Freilich; war sogar hier bei mir und hat mich bei der Gurgel gehabt, daß mir beinahe der Atem ausgegangen ist.«

» Alas, old friend, seid ihm wohl quer durch den Kurs gerudert?«

»War so etwas! Kannte ihn nicht und wollte ihm keine Munition verkaufen, kam aber da verdammt an den Unrechten. Wollt Ihr Ben Cunning sehen?«

»Ben Cunning? Ist er hier an Bord?«

»Meine es! Ist nur ein wenig in den Wald gegangen und hat sein Pferd hinter dem Hause stehen.«

» Lack-a-day, das paßt sich gut! Wie segelt er, von oder zu dem Colonel?«

»Zu – zu ihm; ist einige Zeit da unten in Missouri gewesen, wo er Verwandte hat, und will nun wieder hinauf nach den Bergen.«

»Wann macht er sich an die Ankerwinde?«

»Wie? Redet doch so, wie einem ehrlichen Manne der Schnabel gewachsen ist. Wer soll denn dieses schauderhafte Zeug verstehen?«

»Seid ein dull-man, ein Dummkopf, wie er im Buche steht, und werdet auch einer bleiben! Wann er fortgeht von hier, meine ich!«

»Kann es nicht sagen, wird aber nicht in alle Ewigkeit hier liegen bleiben.«

»Hat er abgesattelt?«

»Nein.«

»So wird er sich vielleicht noch heut in die Ruder legen, und wir machen mit!«

Der Wirt schien wirklich sehr freundschaftliche Gesinnungen für den merkwürdigen Kauz zu hegen, denn der sonst so schweigsame und zurückhaltende Mann hatte sich wohl seit Jahren zu keinem so langen Gespräch herbeigelassen, wie das gegenwärtige war.

Jetzt machte sich Treskow zu einer Frage bereit. Er griff in die Tasche und zog eine Photographie hervor.

»Wollt Ihr mir nicht sagen, ob vor kurzem bei Euch zwei Männer vorgesprochen haben, zwei Deutsche, die sich Heinrich Mertens und Peter Wolf nannten?«

»Heinrich Mertens – Peter Wolf? Hm, ich will mein ganzes Schießpulver verschlucken und Schwamm und Feuerzeug dazu, wenn das nicht die beiden Greenhorns waren, die zu Deadly-gun wollten!«

»Wie sahen sie aus?«

»Grün, sehr grün, Mann; mehr kann ich nicht sagen. Der eine – Heinrich Mertens war es, glaube ich – machte uns den Spaß und ging mit seiner Mückenflinte dem dicken Hammerdull zu Leibe, wurde aber ganz gehörig heimgeschickt. Ich glaube, Dick hätte ihm einige Zoll Eisen zu kosten gegeben, wenn er nicht gesagt hätte, daß der Colonel sein Oheim sei.«

»Gefunden!« meinte Treskow freudig. »Wo sind die beiden dann hin?«

»Fort mit dem Langen und dem Dicken, hinaus in die Savanne. Mehr weiß ich nicht.«

»Seht Euch doch einmal dieses Bild hier an, Master! Kennt Ihr den Mann?«

»Wenn das ein andrer ist, als der Heinrich Mertens, so sollt Ihr mich auf der Stelle teeren und federn!«

Dann aber trat er, wie unter einem plötzlich in ihm auftauchenden Gedanken, um einen Schritt zurück und fragte in zurückhaltendem Ton: »Sucht Ihr den Mann, Sir?«

»Warum?«

»Hm! Ein Westmann trägt niemals so ein Konterfei mit sich herum, und Ihr seht – seht so nett und sauber aus, daß – daß – –«

»Nun, daß – –«

»Daß ich Euch einen guten Rat geben möchte!« verbesserte er den beabsichtigten Satz.

»Welchen?«

»Was hier bei mir vorgeht, das kümmert mich nichts; so lange man mir meine guten Hausrechte läßt. Ich frage niemanden und antworte auch keinem. Euch aber habe ich Rede gestanden, weil Ihr mit Peter Polter gekommen seid, sonst hättet Ihr nichts von mir erfahren. Aber zeigt niemand das Bild wieder vor, und erkundigt Euch nicht eher nach irgendwem, als bis Ihr ein wenig mehr nach der Savanne ausseht; denn sonst – sonst –«

»Weiter! Sonst –?«

»Sonst hält man Euch gar für einen Policeman, für einen Detektiv, und das ist oft schlimm. Der Westmann braucht keine Polizei; er richtet selber, was es zu richten gibt, und wer sich da hineinmengt, den weist er mit dem Bowiekneif zurück!«

Treskow wollte eben antworten, da aber öffnete sich die Tür, und ein Mann trat ein, bei dessen Anblick Peter Polter sich mit lautem Zuruf erhob.

»Ben Cunning, alter Swalker, bist du's wirklich? Komm her und trink! Ich weiß noch ganz genau, daß deine kleine Kehle ein ganz verteufelt großes Loch ist.«

Der Angeredete war ein winziges, dürftiges Männlein, an dessen Körper sich kaum ein halbes Pfund Fleisch vermuten ließ. Er sah den Sprecher verwundert an, wobei sich sein kleines Gesichtchen in hundert lachende Falten und Fältchen legte.

»Ben Cunning –? Swalker –? – trinken –? großes Loch –? Hihihihi, wo hab' ich nur den Kerl gesehen, der mir so bekannt vorkommt!«

»Wo du mich gesehen hast? Hier, natürlich hier. Streng nur dein Gehirnchen ein bißchen an!«

»Hier? Hm! Kann mich doch nicht gleich besinnen. Bin so oft hier gewesen und mit so verschiedenen Männern, daß ich den einzelnen nicht so schnell aus dem Haufen finden kann. Wie klingt dein Name, he?«

»Donnerwetter, hat der kleine Junge hier bei Master Winklay an meiner Seite gesessen und dabei getrunken, daß er zwei Tage lang mit keinem Finger wackeln konnte, und fragt mich jetzt, wie mein Name klingt! Und noch dazu bin ich mit ihm in den Bergen gewesen, wo wir bei Deadly – –«

»Stopp, Alter! Hihihihi, jetzt kenne ich dich!« fiel ihm der Kleine hier in die Rede. »Heißest Peter Folter oder Molter, oder Wolter, oder – –«

»Polter, Peter Polter, Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹, wenn du dir's merken willst! Sodann wurde ich ein wenig Westmann und bin – – –«

»Weiß – weiß! Bist ja mit bei uns gewesen und hast mir zu guter Letzt beinah noch den Tod an den Hals getrunken. Hihihihi, hast eine Gurgel, wie ich noch keine gesehen habe, und kannst trinken wie – wie – wie der alte Vater Mississippi selber. Wo warst du denn nachher, und wo willst du hin?«

»War ein weniges in der Welt herum, und will jetzt wieder zu euch, wenn es dir recht ist.«

»Zu uns? Weshalb?«

»Diese Gentlemen hier haben mit eurem Kapitän oder Colonel zu reden. Wird er auch daheim zu finden sein?«

»Denke es. Wann wollt ihr fort von hier?«

»So bald als möglich. Reitest doch mit, he?«

»Möchte schon, wenn ihr mich nicht zu lange warten laßt!«

»Je eher, desto lieber ist es uns. Iß und trink, alter Schießprügel, und dann mag es vorwärts gehen!«

Der Weg, den sie einschlugen, war ganz genau derselbe, den Dick Hammerdull mit seinen Begleitern einige Tage vorher geritten war, doch konnte deren Spur allerdings nicht mehr erkannt werden.

Peter Polter, der Steuermann, war diese Strecke auch schon geritten, vermochte aber nicht, sich genau auf sie zu besinnen. Ben Cunning erwies sich als ein desto besserer und ausgezeichneter Führer. Das kleine, so zart und schwächlich scheinende Männchen entwickelte einen Scharfsinn, eine Ortskenntnis, eine Ausdauer und Beweglichkeit, die ihm aller Vertrauen gewann.

Sie beeilten sich so viel wie möglich; aber Thieme und Treskow waren nicht allzu gute Reiter, und dem Steuermann machte sein Dakota-Traber soviel zu schaffen, daß er aus dem Aerger gar nicht herauskam. So hatte der Ritt schon einige Tage gedauert, als sie den Schienenstrang der Bahn erreichten, an dem der Ueberfall der Ogellallahs stattgefunden hatte. Es war am frühen Morgen, da hielt Ben Cunning plötzlich sein Pferd an und schaute aufmerksam in die Ferne.

»Schaut, Mesch'schurs,« rief er, indem er mit dem Arm vorwärts deutete. »Schaut dort in die Luft und dann nieder auf die Erde! Dort oben fliegen die Totengräber Aasgeier. und unten sitzen die Coyotes Schakale, Savannenwölfe. in der Nähe des Gleises. Dort hat irgendwer den letzten Stich oder die letzte Kugel erhalten. Wollen hoffen, daß es kein Weißer, sondern eine Rothaut gewesen ist, hihihihi. Kommt, laßt uns einmal nachsehen!«

Die vier Reiter setzten ihre Pferde in Trab und gelangten auf den Kampfplatz. Die Leichen der Erschlagenen lagen, von Geiern und Wölfen zum Teil ihres Fleisches beraubt, noch da, wie sie gefallen waren. Die Bahnzüge waren vorübergefahren, ohne daß deren Insassen die Stätte beachtet hatten. Ben Cunning untersuchte jede Kleinigkeit genau.

» Lack-a-day,« meinte er endlich; »hier hat ein fürchterlicher Kampf stattgefunden. Seht ihr diese Schienen hier? Sie sind ausgebessert worden. Die roten Halunken haben den Zug überfallen wollen, sind aber von den Weißen daran verhindert worden. Es waren die Ogellallahs; ich sehe es an der Tätowierung. Und diese zerspaltenen Schädel – einen solchen Hieb vermag nur der Colonel, Deadly-gun, zu führen. Dick Hammerdull ist dabei gewesen und Pitt Holbers auch. Hier haben sie gestanden, wie gewöhnlich Rücken an Rücken; ich sehe es an den Fußspuren, die tief in die Erde gegraben sind. Dort haben die Feuer gebrannt; da drüben hatten die Indianer ihre Pferde angepflockt – seht ihr die Löcher im Boden? Und hier, kommt, von hier aus führt die Spur der Weißen weiter. Laßt uns dieser nachgehen!«

Nach zwei Stunden erreichten sie auch wirklich den Lagerplatz der Weißen, den Ben Cunning einer genauen Besichtigung unterzog. Plötzlich rief er:

»Seht her, hier sind zwei geflohen und verfolgt worden!«

Er zog sein Pferd hinter sich her und folgte den Spuren, die bei der Flucht Heinrich Mertens' und Wolfs in den weichen Boden so tief eingegraben worden waren, daß man sie jetzt noch zu erkennen vermochte.

»Hallo, hier ist's aus gewesen; hier sind ihre Pferde von den Lariats niedergerissen worden, und egad, Mesch'schurs, es sind zwei Weiße gewesen, aber nicht verfolgt von Roten, sondern drei Weißen und einem Roten. Hihihihi, diese Fußstapfen sollte ich wohl kennen. Ich lasse mir vom ersten besten Grizzly die Hirnschale einbeißen, wenn das nicht der Colonel war mit Dick Hammerdull und Pitt Holbers und – und – wahrhaftig, das ist kein andrer gewesen als Winnetou, der Apatsche!«

Die andern mußten über den Scharfsinn und die Sicherheit staunen, mit der der kleine Jäger aus den verworrenen und schon vielfach verwischten Spuren seine Schlüsse zog.

»Zwei Weiße sind es gewesen, die von ihnen verfolgt wurden?« fragte Treskow gespannt.

»Zwei Weiße, Sir, das ist sicher, denn ihre Tapfen gehen hier, wo sie gestanden haben, mit den Zehen auseinander, während die Roten mit den Zehen einwärts laufen. Sie haben da hinten gelagert. Ich glaube, die beiden sind am Morgen gebunden auf die Pferde geschnallt worden, weil die Tiere von hier aus paarweise gegangen sind. Die Sieger haben die Mähren der beiden an die Zügel genommen.«

Obgleich die stillen Vermutungen Treskows der Wahrheit ziemlich nahe kamen, konnte sich doch keiner diese Vorgänge recht erklären. Man sprach die verschiedensten Meinungen aus, bis Ben Cunning dem vergeblichen Grübeln ein Ende machte:

»Sie haben die Richtung nach dem Hide-spot eingeschlagen, doch will ich wetten, daß die Indsmen sich gesammelt haben und sie nun verfolgen. Das beste ist, Mesch'schurs, wir bleiben auf der Spur!«

Die Drei stimmten bei und trabten dann munter hinter dem Kleinen her.

» Behold,« rief er nach Verlauf von kaum einer halben Stunde, »habe ich nicht recht gehabt? Hier sind zwei Trupps Pfeilmänner von rechts und links gekommen. Sie haben den Kampfplatz umritten, um die Richtung zu finden, in der die Weißen fortgegangen sind, und sich hier vereinigt, um ihnen zu folgen. Der Sand behält die Spuren lang, so daß ich vermute, sie haben einen Vorsprung von mehreren Tagen. Doch sind unsre Pferde gut, und sie haben jedenfalls Verwundete bei sich, die einen schnellen Ritt nicht vertragen können. Wir holen sie vielleicht noch ein, ehe sie das Lager Deadly-guns erreichen.«

Wieder ging es vorwärts, nicht bloß stunden-, sondern tagelang und immer auf der gefundenen Spur, die bald deutlicher erkennbar war, bald sich wieder auf dem harten Gestein oder im weichen Grase verlor, stets aber von Ben Cunning wiedergefunden wurde.

So gelangten sie in jene Gegend, wo der Arkansas-River einen weiten Bogen nach den Smoky Hills beschreibt und zahlreiche Bäche ihm von den Bergen herab entgegenströmen.

Die offene Prärie ging durch weit ausgebreitetes Gebüsch nach und nach in den hochstämmigen Urwald über. Der Führer der kleinen Gesellschaft wurde von Minute zu Minute vorsichtiger, da die Spur, der man folgte, sich immer jünger zeigte und man hinter jedem Baum auf einen der Wilden stoßen konnte.

Da plötzlich hielt Ben Cunning an und unterwarf den weichen, moosigen Boden einer sehr sorgfältigen Prüfung.

»Wahrhaftig, hier kommen die Spuren weißer Männer aus dem Wald. Sie sind mit den Wilden zusammengetroffen, ohne daß ein Kampf stattgefunden hat. Seht her, hier in diesem Kreise haben die beiden gegenseitigen Anführer gestanden und miteinander verhandelt. Dann ist das Kalumet, die Friedenspfeife, herumgegangen; ihr seht es hier an dem kleinen Rest von Punks, Präriefeuerzeug. der halb verkohlt am Boden liegt. Es ist jedenfalls eine Schar Bushhawkers Buschklepper. gewesen, die sich mit den Roten vereinigt hat, um unser Lager ausfindig zu machen, es zu überfallen und sich in die Beute zu teilen.«

» Mille tonnere – Millionen-Schock-Backborddonnerwetter!« fuhr Peter Polter auf; »da werde ich einmal mit diesen meinen guten Fäusten dreinfahren, daß die Weißen rot und die Roten vor Schreck weiß werden! Wenn mich die Luft nicht trügt, so haben wir gar nicht mehr weit zu segeln, um in dem Lager vor Anker zu gehen. Aber was tun wir hier mit unsern vierbeinigen Fahrzeugen? Ich habe das meinige satt bis an den Hals herauf; es schüttelt und schlingert mich hin und her, daß mir der Verstand im Kopfe wehe tut und meine zweihundertachtunddreißig Knochen alle einzeln hinunter in die Stiefel rutschen!«

Cunning lachte über dieses klägliche Lamento des wackeren Seemanns und antwortete:

»Will's gern glauben, Master; du sitz'st ja auch zu Pferd, als solltest du zu Eierkuchen verbacken werden! Die Tiere können wir allerdings nicht weiter mitnehmen; sie sind uns hinderlich. Aber ich weiß einen Ort, wo wir sie verstecken können, ohne daß ein Indsman sie zu finden vermag. Kommt, Mesch'schurs!«

Er wandte sich seitwärts in den Wald. Nach vieler Mühe, die ihnen das Durchdringen des dichten Unterholzes bereitete, gelangten sie auf eine kleine, freie und tief versteckte Blöße, auf der sie die Pferde anhobbelten. Dann kehrten sie zu der Stelle zurück, wo sie die Spur verlassen hatten.

Sie folgten ihr weiter, und zwar mit größter Vorsicht und Behutsamkeit, das Bowiemesser gelockert und die Büchse zum Schuß bereit. Da plötzlich hielt Cunning still und lauschte.

»Horcht, ihr Männer! Klang das nicht wie das Schnauben eines Pferdes?«

Auch die andern hielten die leisen Schritte an und horchten in die tiefe Stille des Urwalds hinein. Ein leises Wiehern erklang von der Seite her.

»Entweder haben sie sich dort gelagert, oder die Tiere zurückgelassen, um schneller vorwärts zu kommen. Das verteufelte Viehzeug wird uns wittern und verraten. Wir müssen ihm den Wind abgewinnen!«

Er legte sich zur Erde und bewegte sich kriechend in einem weiten Bogen. Die andern folgten seinem Beispiel. Nach einiger Zeit gab er ihnen ein Zeichen, alles Geräusch zu vermeiden, und deutete zwischen die Büsche hindurch nach einem freien Platz, der vor ihnen lag. Dort weideten gegen dreißig Pferde, bewacht von zwei Indianern.

»Seht ihr die roten Halunken, Mesch'schurs? Ich hätte große Lust, sie mein Messer fühlen zu lassen und die Pferde in alle Winde zu jagen, hihihihi. Aber es geht nicht. Wir dürfen uns nicht verraten. Vorwärts; wir müssen so bald als möglich an sie herankommen, aber nicht auf der Fährte, sondern von der Seite!«

Der kleine Mann wand sich mit der Geschicklichkeit und Geräuschlosigkeit einer Schlange durch das Dickicht. Der Weg war ein furchtbar beschwerlicher. Stunden vergingen; der Abend begann unter den hochgewölbten Baumkronen eher zu dunkeln, als draußen in der offenen Prärie, und es wurde immer schwerer, die eingeschlagene Richtung einzuhalten. Da hob Cunning den Kopf und sog mit weitgeöffneten Nüstern die Luft ein.

»Das riecht nach Brand und Rauch. Sie haben Lager gemacht. Vorwärts, aber leise, leise, denn wir sind jetzt ganz nahe bei ihnen!«

Das Unterholz war jetzt gewichen, und die gigantischen Stämme ragten frei, wie die Säulen eines gewaltigen, grünbedachten Doms, zu der dichten Kronendecke empor. Die vier Männer krochen auf dem Bauche von einem Baum zum andern und suchten dann stets so lange hinter den dicken Baumstämmen Deckung, bis sie sich überzeugt hatten, daß man sie nicht bemerkt habe und ihre nächste Umgebung noch frei von Gefahren sei.

So gelangten sie an den Rand eines Gutter, wie der Hinterwälder die rißartigen Vertiefungen nennt, die, lang, schmal und tief geschnitten, sich oft im dichtesten Urwald zeigen. Cunning schob vorsichtig den Kopf vor und blickte hinab. Grad unter ihnen, in einer Tiefe von ungefähr fünfzehn Metern brannte ein Feuer, um das wohl an die dreißig rote und weiße Männer saßen, während seitwärts von ihnen und von ihren scharfen Blicken bewacht, drei Gestalten lagen, die an Händen und Füßen gebunden waren.

» At length, da haben wir sie!« meinte der kleine Trapper. »Und sie ahnen nicht, daß sie von oben so prächtig beguckt werden, hihihihi! Aber wer sind denn die drei Leute dort? Schiebt euch ein wenig weiter vorwärts, Mesch'schurs, bis dort zu den Farnkrautbüscheln; da können wir die Gesichter sehen!«

Ein dichtes Farngesträuch trat bis an den Rand des Gutter heran und gestattete ihnen, sich so vollständig zu verbergen, daß sie unmöglich gesehen werden konnten.

» Zounds,« flüsterte Cunning, als er jetzt den Blick wieder hinabwarf, »es ist der Colonel mit Pitt Holbers und Dick Hammerdull, die sie überfallen und gefangen genommen haben!«

»Der Colonel?« fragte der Steuermann, indem er den Kopf zwischen die breiten Blätter hindurchsteckte; » heavens – vraiment – wahrhaftig! Soll ich hinunterspringen und ihn mit meinen beiden Fäusten aus der Patsche herausfischen, Ben?«

»Warte noch ein wenig, Alter; wollen erst sehen, was da eigentlich vorgehen soll! Siehst du nicht, daß die Schufte sich nur so eng zusammengetan haben, um über das Schicksal der Gefangenen zu beraten? Dort der schwarzbärtige Jäger führt den Vorsitz; die Ogellallahs dulden das; ihr Häuptling muß also dort an der Bahn mit gefallen sein. Schaut, jetzt sind sie fertig, und der Anführer erhebt sich!«

Es war so, wie er sagte. Einer der weißen Jäger, der allem Anschein nach den Anführer machte, war aufgestanden und zu den Gefangenen getreten. Er löste die Fesseln, die ihre Füße umschlungen hielten, und gab ihnen einen Wink, sich zu erheben. Dann gebot er den Gefangenen in befehlendem Ton:

»Steht auf, und vernehmt, was über euch beschlossen ist!«

Die drei Männer folgten dieser Ausforderung.

»Ihr seid Deadly-gun, der Anführer der Jäger, die hier im Wald ihr verborgenes Lager haben?«

Der Angeredete nickte zustimmend.

»Ihr habt Matto-Sih, den Häuptling dieser braven redmen, erschlagen?«

Ein gleiches Nicken war die Antwort.

»Man sagt, daß Ihr viel Gold von den Bergen herab in Euer Versteck geschafft habt. Ist das wahr?«

»Sehr viel!«

»Und daß Ihr mehrere Tausend Biberfelle in Euren Caches liegen habt?«

» Well, Master, Ihr seid gut unterrichtet.«

»So hört, was ich Euch zu sagen habe: diese roten Männer verlangen Euren Tod. Ich habe ihnen diesen zwar zugestanden, aber sie verstehen nicht genügend Englisch, um meinen Worten folgen zu können; ich will Euch daher einen Vorschlag machen.«

»Redet!«

»Ihr führt uns in Euer Hide-spot, gebt uns das Gold und die Häute und seid dann frei!«

»Ist das alles, was Ihr von uns wollt?«

»Alles. Entscheidet schnell!«

»Ihr scheint verteufelt wenig von Deadly-gun gehört zu haben, Master, daß Ihr mir einen so albernen Vorschlag machen könnt. Ihr habt Euch mit den roten Schuften, die Ihr an Schurkerei noch übertrefft, nur verbunden um meines Goldes willen – ein Weißer mit Roten gegen Weiße; verdammt soll Eure Seele sein für diese Schlechtigkeit in alle Ewigkeit! Oder haltet Ihr mich wirklich für so dumm, zu glauben, daß Ihr uns frei lassen werdet, wenn Ihr habt, was Ihr begehrt?«

»Ich halte mein Wort und verbitte mir jede Beleidigung!«

»Das macht einem Greenhorn weis, aber nicht mir! Ihr wißt nur zu gut, daß ich meine Freiheit nur benutzen würde, um Euch vor die Büchse zu bekommen und den Raub wieder abzunehmen. Schießt uns nieder, wenn Ihr das Herz dazu habt!«

Vielleicht wußte Deadly-gun, weshalb er so verwegen reden durfte. Sein Auge hatte sich, während er sprach, zum Rand der Schlucht erhoben, ihn mit einem blitzschnellen und scharfen Blick gemustert und sich dann ebenso rasch wieder gesenkt. Ein kaum bemerkbares, befriedigtes Lächeln glitt um seine Lippen.

Dieser Blick war dem aufmerksamen Polizistenauge Treskows nicht entgangen; er sah hinüber nach der Stelle, wo das Auge des Colonels zuletzt gehangen hatte, und fuhr unwillkürlich zusammen.

»Schaut da hinüber,« flüsterte er Ben Cunning zu, der neben ihm lag; »ich sehe den Kopf eines Wilden!«

Der Angeredete folgte der Weisung und flüsterte dann:

» Good-lack, das ist bei Gott Winnetou, der Apatsche! Dachte ich es doch, daß er mit bei dem Colonel gewesen ist! Er wurde nicht mit gefangen und ist ihnen gefolgt, um sie zu befreien. Ich muß ihm unser Zeichen geben!«

Er nahm ein Blatt an die Lippen und ließ das Zirpen der amerikanischen Grille vernehmen. Dieser Laut konnte den Feinden unmöglich auffallen, da diese Art von Heimchen sich sehr oft hören läßt. Winnetou aber warf einen erstaunten Blick herüber und war dann verschwunden. Auch die drei Jäger hatten aufgehorcht, verrieten sich aber nicht durch die geringste Bewegung ihrer Mienen.

»Schießen?« fragte der Jäger, die Achsel zuckend. »Was bildet Ihr Euch ein! Ich muß Euch den Indsmen übergeben, und die werden Euch an den Marterpfahl binden. Euer Gold und die Felle bekommen wir trotzdem. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht eine Spur von Euren Leuten entdeckten. Also nehmt Verstand an, Master, und sagt Ja!«

»Fällt mir nicht ein! Ich mag nichts, auch das Leben nicht, von einem Mann geschenkt haben, der seine Brüder hinterrücks überfällt und an die Feinde verkauft, von einem Mann, der sich für meinen Neffen ausgibt und uns dann überfällt. Ihr seid ein Halunke, Master, merkt Euch das!«

»Wahrt Eure Zunge, sonst hole ich sie mit meinem Messer heraus, noch ehe ich Euch den Roten übergebe!«

»Beweist, daß Ihr besser seid, als ich denke! Gebt uns die Waffen zurück und laßt uns kämpfen, drei gegen dreißig, wenn Ihr Mut habt!«

»Ist nicht notwendig, Master, wir blasen Euch auch ohne Kampf die Seele aus der Haut. Und was den ›Halunken‹ betrifft, so wollen wir darüber nicht streiten! Also, kurz und bündig: Nehmt Ihr meinen Vorschlag an oder nicht?«

»Nein!«

»Und ihr andern beide?«

»Hm,« antwortete Dick Hammerdull mit verächtlichem Blinzeln seiner kleinen Aeuglein, »ob wir ihn annehmen oder nicht, das bleibt sich gleich; für Euch kommt auf keine Weise etwas Gutes heraus, das könnt Ihr glauben. Hätte ich nur meine Hände frei und meine Büchse in der Faust, so sollte Euch der Teufel holen! Oder meinst du nicht, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, Dick, daß er ihn holen soll,« antwortete der Lange, »so habe ich nicht das mindeste dagegen!«

» Well done,« antwortete der Jäger mit zornigem Leuchten seiner Augen; »so mögen euch die Roten spießen und braten, ganz wie es euch beliebt!«

Er ließ sich bei den Indianern nieder, um ihnen das Ergebnis der Verhandlung mitzuteilen.

Inzwischen hatte im Schutz des Farngestrüpps ein leises aber außerordentlich bewegtes Gespräch stattgefunden.

»Also, der jetzt spricht, ist Euer Colonel?« wendete sich Thieme an Ben Cunning.

»Ja, Sir, Euer Onkel, wenn das wahr ist, was Ihr mir erzählt habt.«

»Er ist's, Ihr könnt es glauben. Er ist dem Vater so ähnlich, daß kein Zweifel übrig bleibt. Und nun ich ihn endlich treffe, ist er verloren! Gibt es keine Hilfe, Ben?«

»Hört, Sir, wenn Ihr denkt, daß ich meinen Colonel stecken lasse, so habt Ihr Euch in mir verrechnet. Kann ich auf Euch zählen, Mesch'schurs?«

Sie nickten nur; Peter Polter aber meinte:

»Ich will hier liegen bleiben und verhungern wie ein altes Wrack, wenn ich den Kerl da unten, der mit dem Colonel spricht, nicht zwischen meine zehn Finger nehme und zu Hafergrütze quetsche! Aber nehmt doch einmal die Photographie aus Eurem Beutel, Master Detektiv! Das Feuer brennt hell genug zu einem Blick darauf. Ich lasse mich auf der Stelle kielholen, wenn er nicht genau so ein Gesicht macht wie Euer Bild!«

»Ich brauche die Photographie nicht, Peter; er ist's; ich habe ihn gleich erkannt,« antwortete Treskow. »Sehen Sie sich die Kerls einmal an, Herr Thieme, ob es nicht Mertens und Letrier sind!«

»Sie sind es! Es ist kein Zweifel möglich; aber so nahe am Ziel, werden sie uns doch entgehen!«

»Das wartet ab, Sir!« antwortete Cunning. »Der Colonel hat mein Zeichen gehört und weiß, daß Hilfe in der Nähe ist. Hat er nur erst die Hände frei, so sollt Ihr sehen, was die Schurken zu schmecken bekommen!«

Da raschelte es leise hinter ihnen. Die geschmeidige Gestalt des Apatschen schob sich zwischen die Vier.

»Winnetou hat vernommen die Grille und erkannt das Gesicht von Ben, dem Mann seines weißen Bruders. Er wird zum Gutter schleichen und die Banden seiner Freunde lösen. Dann mögen meine Brüder hier hinunterspringen und sich auf die Jäger und Ogellallahs stürzen, und dann Deadly-gun nach seinem Wigwam folgen.«

So schnell er gekommen, so behend war er auch wieder fort. Mit scharfem Auge bewachten die Männer das feindliche Lager und hielten sich zum eigentlichen Angriffe bereit.

Jetzt erhob sich Mertens wieder und mit ihm die sämtlichen Weißen und Wilden. Aber ehe er noch ein Wort gesprochen hatte, schnellte sich eine dunkle Gestalt durch das ringsum wuchernde Gestrüpp und Gedorn bis zu den Gefangenen. Das war Winnetou.

Drei Schnitte – und ihre Hände waren von den Fesseln befreit – vier Schüsse krachten von oben herab – noch vier. Deadly-gun hatte keine Zeit, das weitere zu beachten; er entriß dem ihm zunächst stehenden Indianer den Tomahawk und stürzte sich in den Schwarm der tödlich überraschten Feinde.

» Come on, drauf, drauf!« klang seine Stimme, während Winnetou an seiner Seite unter den Ogellallahs mähte.

»Pitt Holbers, altes Coon, siehst du den Kerl dort, der meine Büchse hat?« rief Dick Hammerdull triumphierend. »Komm, ich muß sie haben!«

Die beiden Unzertrennlichen drangen vor, bis der Dicke seinen geliebten Schießprügel zurückerobert hatte. Peter Polter, der Steuermann, war wie eine Lawine mitten unter die erschrockenen Gegner hineingekracht. Er wollte sein Wort halten. Mit seinen Bärenfäusten faßte er ihren Anführer bei Schenkel und Genick, hob ihn hoch in die Luft empor und schmetterte ihn zur Erde, daß es dröhnte.

» Bounce, abgetan! Weiter, ihr Männer, schlagt, haut, stecht, schießt, prügelt sie, werft sie über Bord, daß sie ersaufen, quetscht sie tot, hurra – hurra!«

Die Feinde waren an Zahl fast dreifach überlegen, aber durch die Ueberraschung zu Schaden gekommen; denn ehe sie sich auf den Widerstand besannen, lag bereits die Hälfte von ihnen am Boden. Wie in jener Nacht des Ueberfalls an der Eisenbahn wütete der Tomahawk Deadly-guns unter den Gegnern; Winnetou fand nicht weniger Opfer, und Rücken an Rücken im dichtesten Gewühl standen die »verkehrten Toasts«, Dick Hammerdull und Pitt Holbers. Der Steuermann fuhr in der Schlucht herum wie eine losgelassene Furie; der kleine Ben Cunning endlich hatte sich an deren Eingang zwischen die Büsche gesteckt, aus denen er, jede Flucht zurückweisend, seine Schüsse sandte.

Treskow und Thieme hatten gleich beim Beginn des Kampfes ihr Augenmerk auf Mertens und Wolf geworfen. Treskow hatte seinen Reserveriemen von der Hüfte gelöst und in eine Schlinge geknüpft.

»Machen Sie es ebenso! Unsere Schüsse werden sie verblüffen. Ich nehme den Vicomte und Sie den Diener. Ehe sie an Verteidigung denken, müssen sie die Schlinge um den Hals haben und besinnungslos am Boden liegen!«

Diese Aufforderung des Polizisten hatte sich bewährt. Nach wenigen Minuten des Kampfes waren die Angreifer Sieger. Der vom Steuermann zu Boden geschmetterte Mertens sowie Wolf waren gefesselt; fast sämtliche Gegner lagen tot an der Erde, und nur einem Weißen und einigen Indianern war es gelungen, zu entkommen.

Deadly-gun war nicht der Mann, lange Fragen über seine wunderbare Rettung auszusprechen, wo es jetzt galt, den Sieg zu benutzen.

»Vorwärts, Leute, zu den Pferden,« rief er, »damit sie uns nicht verloren gehen! Die Indsmen haben Wächter bei den Tieren, die wir überrumpeln müssen. Aber nicht alle sind nötig; einige von euch können hier bleiben.«

Er eilte mit denen, die ihm folgten, fort. Treskow, Thieme und der Steuermann blieben bei den Gefangenen zurück. Sie setzten sich nieder. Ihre Lage war keineswegs sicher, denn die entflohenen Roten konnten zurückkehren und sich aus sicherer Entfernung mit Schüssen rächen. Aber es geschah nichts dem Aehnliches. Gespannt horchten sie in die Nacht hinaus; es ließ sich nichts Verdächtiges vernehmen, und das erste Geräusch, das die nach dem Kampf eingetretene Stille störte, war ein freundliches: Die Büsche raschelten, Aeste krachten und Zweige knickten; die Gefährten kehrten mit ihren und den erbeuteten Pferden zurück, nachdem sie deren Wache überwunden hatten. Ben Cunning hatte auch sein eignes Tier und die der Kameraden nicht vergessen und sie mit herbeigebracht.

»Pitt Holbers, altes Coon, siehst du, daß ich meine alte Stute wieder habe?« fragte der glückliche Hammerdull.

»Hm, wenn du denkst, daß ich sie sehe, so habe ich nichts dagegen; aber by god, es hätte nicht viel gefehlt, so wäre es mit dir und ihr ausgewesen!«

»Ob aus oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich möchte doch nur wissen, wer die Männer sind, die mit dem kleinen Cunning uns – –' sdeath, ist das nicht der verteufelte Steuermann aus Germany da drüben, der so große Fäuste hat und so fürchterlich trinken kann?«

»Freilich bin ich's, alte Schmertonne du! Kennst mich also doch noch, he? Bin mit Master Treskow und Master Thieme wieder herübergekommen, weil – –«

»Master Thieme?« fragte da rasch Deadly-gun. »Ah, Peter Polter! Wahrhaftig, du bist's wieder! Was willst du wieder in der Savanne, und was ist es mit deinem Master Thieme?«

»Das ist dieser Mann hier, Colonel, der mit dem Herrn Treskow gekommen ist, um seinen Onkel aufzusuchen!«

»Dieser –?«

Er trat einen Schritt zurück, warf einen langen, forschenden Blick auf seinen Neffen, streckte ihm dann beide Arme entgegen und rief aus:

»Das ist kein Falscher, nein; ich kenne diese Züge. Heinrich, mein Neffe, willkommen, tausendmal willkommen!«

Die beiden lagen sich lange in den Armen, und die andern standen schweigend in der Nähe, bis der Colonel, der für sich keine Furcht kannte, durch die Gegenwart des teuren Verwandten auf die Gefahr hingewiesen wurde, in der sie noch immer standen. Er ließ ihn frei und gebot:

»Hier ist nicht der Ort zu Fragen und Erklärungen. Auf, nach dem Hide-spot, das ganz in der Nähe liegt! Dort können wir das Willkommen samt unsrer Rettung feiern und die Wunden verbinden, die wir davongetragen haben.«

Sie nahmen die Pferde bei den Zügeln, jeder so viele, daß sie alle fortbrachten. Es ging in der Dunkelheit zunächst zwischen den weit auseinanderstehenden Riesenstämmen und unter dem dichten Wipfeldach dahin. Dann kamen sie zwischen vielgewundenen Felsenkrümmungen hindurch, die ein Labyrinth bildeten, worin sich selbst am Tage nur jemand, der es genau kannte, zurechtfinden konnte. Endlich folgten sie dem Lauf eines kleinen Gießbaches und gelangten in einen runden Felsenkessel, der den geheimen Lagerplatz der Trapper- und Goldsuchergesellschaft des Colonel bildete. Es brannten da mehrere Feuer, um die eine ganze Anzahl von Westmännern saß, die zur Gesellschaft Deadly-guns gehörten.


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