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Schuld aller Theologie
Als es mehr als hundert Jahre nach Spee namentlich bei den Juristen zu einer Ehrensache geworden war, den Hexenprozeß und die Folter zu verwerfen, wurde auf katholischer Seite das Vorgehen dieses wackeren Jesuiten zu einem Verdienste ihres Ordens gemacht oder gar zu einem Verdienste der römischen Kirche; in Wahrheit ließ diese von ihrem Hexenwahne nicht ab und fügte sich nur widerwillig der öffentlichen Meinung.
Ebenso falsch ist es, wenn man auf protestantischer Seite die Schmach der Hexenverfolgungen durch eine Berufung auf einzelne protestantische Aufklärer tilgen wollte. Der edle Weyer hatte fast umsonst gelebt, der Tübinger Theologe Thummius war, obgleich er (1621) die Strafen herabsetzen wollte, durchaus im Hexenwahn befangen, und auch der Prediger Grevius, der (1622) mit großer Kraft gegen die Folter schrieb, die unverträglich wäre mit dem Naturrecht und mit der christlichen Liebe, überzeugte nicht, und war theologisch vielleicht noch unfreier als der Jesuit Spee. Grevius, im Clevischen geboren, war Arminianer, ein Schüler von Vorstius, hatte diese Gesinnung in langer und schwerer Kerkerhaft zu büßen; er hatte ein sehr menschliches Interesse daran, die Tortur, die ihm selbst drohte, zu bekämpfen. Sein Verdienst ist darum nicht niedriger einzuschätzen; doch sein Buch wurde erst dann allgemein anerkannt, als das Strafrecht sich durch andere Männer, die nicht zunächst eifrige Theologen waren, von der Folter befreit hatte.
Man darf behaupten, daß die Theologie aus sich heraus unfähig war, den Hexenwahn zu überwinden: weil der Hexenwahn eben zur Theologie gehörte; aber auch die Jurisprudenz war dazu unfähig, solange der Geist des Mittelalters auf den Universitäten herrschte und alle Wissenschaften nur als Mägde der Theologie etwas galten. Katholische und protestantische Juristen wetteiferten miteinander in dem Bestreben, das Wirkliche, den Hexenprozeß, als vernünftig zu erweisen; der berüchtigte Carpzov war gar nicht schlimmer als die anderen; unselbständig, gläubig als Lutheraner wie als Rechtsgelehrter, war er stolz darauf, in Theorie und Praxis die Scheiterhaufen geschürt zu haben. Erst das, was man besonders in England und Frankreich Philosophie zu nennen pflegte, eine Befreiung des gesamten Denkens und der Naturvorstellungen von den theologischen Fesseln, konnte die Hexenbrände dadurch auslöschen, daß der Hexenwahn verschwand. Es ist nicht anders: der Glaube an Gott litt sehr darunter, daß der Glaube an den Teufel schwand; und erst mit dem Glauben an den Teufel und seine Hexen konnte die entsetzlichste Form des Religionskrieges aufhören, die Hexenverfolgung. Es verdient eine Hervorhebung, daß die aufgeklärten Despoten früher zur Besinnung kamen als die allzeit gefügigen Juristen; es verdient auch hervorgehoben zu werden, daß das erste Gebiet in Deutschland, das die völlige Abschaffung der Hexenprozesse erlebte, dasjenige war, das seit dem Westfälischen Frieden unter schwedischer Herrschaft stand: 1649 wurde in Pommern die Hexeninquisition aufgehoben. Zögernd folgte Mecklenburg, Brandenburg (unter dem Großen Kurfürsten), sodann Frankreich und England. Holland war lange vorausgegangen. Die Fürsten oder ihre Ratgeber hatten die Schriften von Galilei und Gassendi, Bacon und Hobbes, Spinoza und Leibniz gelesen, fingen an, an den Dogmen und an Gottes Wort zu zweifeln, an den Wundern und an Teufelswerken, und konnten die Mordbrennerei nicht länger mit gutem Gewissen dulden. Die Fürsten und ihre Ratgeber wurden jetzt in der Bekämpfung des Hexenprozesses gründlicher und schärfer als die dazu berufenen Juristen je gewesen waren. Unter dem Schutze von Fürsten oder Ministern erhoben jetzt endlich auch Schriftsteller ihre Stimme gegen die Unterlage beider Formen des Glaubens, des Glaubens und des Aberglaubens, gegen den Zauberglauben. Wer heute das Buch des gelehrten Naudé liest: » Apologie pour tous les grands hommes qui ont été accusés de magie« (1669), der ist geneigt, es für eine geschwätzige Ausstellung von Schulwissen zu halten; es war für die Zeit von Mazarin weit mehr; man erfuhr, daß weder die berühmten Zauberer des Altertums noch die faustischen Naturen der neueren Zeit (Paracelsus, Agrippa von Nettesheim, Roger Bacon usw.) über geheime Kräfte verfügt hätten, daß es immer natürlich zugegangen wäre, daß es also wahrscheinlich auch in der Gegenwart natürlich zugehe, ohne das Eingreifen himmlischer oder teuflischer Mächte.
Glanvile
Der Naturalismus lag in der Luft. Die Gefahr für jede Art von Glauben schien in den Schriften von Gassendi und Hobbes zu liegen; wenn die Welt aus dem Spiel der Atome erklärt werden konnte, wenn die Kirche sich dem Staate zu unterwerfen hatte, dann war die Erde alles und der Himmel nichts. Noch bevor der kleine Bibliothekar Naudé die Zaubergeschichten aus dem Leben berühmter Männer strich, noch bevor der gewaltige Spinoza mit Bibel- und Erkenntniskritik den ganzen Wunderbegriff aufhob, stand schon (1666) in England ein merkwürdiger Mann auf, nicht ganz rechtgläubig, eigentlich ein Skeptiker, ein moderner Geist, aber gottgläubig, der die Gefahr witterte und sich veranlaßt sah, das Dasein von Hexen zu beweisen, wirklich logisch und wissenschaftlich zu beweisen, nur um das bedrohte Dasein Gottes zu retten. Dieser Mann, Joseph Glanvile (geb. 1636, gest. 1680), sah wahrhaftig tiefer als alle. Er kam von Montaigne und Charron her und nur über seinen Skeptizismus führte der Weg, der entweder in der letzten Erkenntniskritik endigen konnte, der von Hume, oder im Idealismus Berkeleys. Glanvile war in seiner Art ein Freidenker; es war ihm aber versagt, den freien Ausblick eines Berkeley oder eines Hume zu gewinnen, weil ihm der Gottesbegriff über jeden Zweifel erhaben blieb. So geriet dieser kühne Denker auf den tollen Abweg, um Gottes willen den Hexenwahn in Kauf zu nehmen: zur Gottesleugnung gehörte auch die Leugnung der Geister und ihrer Erscheinungen; den Glauben an die Geister bewahrte man aber am sichersten, wenn man sich im Glauben an die Hexen und andere Zaubereien nicht beirren ließ. So konnte und mußte der Skeptiker Glanvile, während der Sensualismus und Rationalismus schon im Anmarsche war, zu einem Zeugen für die Wahrheit der wüstesten Spukgeschichten werden. Sein gespenstischer Trommler wirkte noch auf die romantische Dichtung nach; in seinem Jahrhundert fand er ernsthafte Bewunderer in gottseligen, eigentlich unchristlichen Philosophen, dem halben Pantheisten Henry More und dem Platoniker Cudworth. Auch Schopenhauer ließ sich zur Verwertung von Spukgeschichten herab, aber erst im Alter, als ihm jede Unterstützung seines Systems willkommen war; der Fall Glanviles lag ganz anders: der Hexenwahn war noch lebendig und durfte von einem Skeptiker oder Mystiker gegen den wissenschaftlichen Wahn benützt werden, wie etwa heute der Spiritismus gegen den Materialismus benützt wird.
Auf einen Schlag wurde der Hexenprozeß auch in Brandenburg-Preußen nicht abgeschafft. Der Vater Friedrichs des Großen verordnete 1714, bald nach seiner Thronbesteigung, eine vernünftigere Einrichtung der Sache und daß ihm Anklagen auf Hexerei zu persönlicher Begutachtung vorgelegt werden sollten. Noch 1721 ereignete es sich, daß eine Frau in Nauen durchaus eine Hexe sein mußte, weil Butter, die sie verkauft hatte, sich über Nacht in Kuhdreck verwandelt hätte; der König schrieb unter das freisprechende Erkenntnis: »Soll aboliert sein.« Aber noch 1728 wurde in Berlin ein Mädchen nach den Regeln des Hexenhammers der Hexerei beschuldigt, doch nur zu lebenslänglichem Spinnhause verurteilt, weil sie – sie war melancholisch, übrigens der Hurerei ergeben – sich den Teufelsbund vielleicht nur eingebildet hätte. Doch noch zu Ende des 18. Jahrhunderts, nach der Regierung Friedrichs des Großen, kam es wohl vor, daß ein ostelbischer Guts- und Gerichtsherr etwa die Anwendung des alten Hexenprozesses gegen einen seiner Untertanen verlangte. – Ebenso langsam ging es mit der Abschaffung des Hexenprozesses im katholischen Österreich, nur daß sich hier die Gewalthaber dem Fortschritte widersetzten; immerhin war das Gewissen der Richter nicht mehr fest genug, um die Verbrennung bei lebendigem Leibe ertragen zu können; vielfach wurde trotz eines Foltergeständnisses auf Enthauptung oder Zwangsarbeit erkannt. Erst Maria Theresia begann (seit 1740) mit der Abtragung des Hexenprozesses. In ihren neuen Strafgesetzen (1766) wurde zwar wiederum der Hexenwahn selbst in Kraft gelassen, aber doch zugegeben, daß unter ihrer eigenen Regierung noch keine wirkliche Zauberei entdeckt worden sei und daß gegen Dummheit, Betrug oder Wahnwitz der peinliche Prozeß nicht geführt werden dürfe. Nur nach untrüglichen Kennzeichen solle ein Teufelsbündnis angenommen, dann noch die Bestrafung der Kaiserin vorbehalten werden. Damit hatte Maria Theresia, von ihrem berühmten Arzte van Swieten beraten, zugleich den kirchlichen Standpunkt gewahrt und den Hexenprozeß so gut wie abgeschafft. Immerhin war es kein Anachronismus, daß noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Tirol ein italienischer Freigeist auftrat, der – ungefähr auf dem Standpunkte Weyers – allerlei Magie zugab und nur an der eigentlichen Hexerei zweifelte; er hieß Girolamo Tartarotti (geb. 1702, gest. 1761) und hatte manchen Streit mit Hexenpredigern auszufechten. – In München, in der Akademie der Wissenschaften, mußte noch 1766 der Theatinermönch Sterzinger eine Rede über die »nichts wirkende und nichts tätige« Hexerei mit dem Zusatze schließen, daß ein Bund mit dem Teufel doch mit dem Tode zu büßen sei. Trotz dieser vorsichtigen Schlußwendung erregte die Rede bei den Frommen allgemeine Entrüstung, und Sterzinger wurde als Feind der katholischen Kirche heftig angegriffen. Noch 1768 erschien über den Streitfall die witzige Schrift »Zweifel eines Bayers über die wirkende Zauberkunst und Hexerei«. In Kempten (damals noch ein Stift) gab es noch 1775 einen richtigen Hexenprozeß gegen eine arme Person, die das Verbrechen begangen hatte, nicht katholisch bleiben zu wollen, in Bayern. Sie wurde nicht mehr körperlich gefoltert, doch die tollsten Geständnisse wurden der gebrechlichen Frau moralisch erpreßt, durch Prügel und Hunger; sie wurde wegen Beleidigung der göttlichen Majestät zum Tode durch das Schwert verurteilt. – In der katholischen Schweiz fanden bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts Hexenhinrichtungen durch Feuer und Schwert statt; in Neufchâtel noch 1743, also unter der Regierung Friedrichs des Großen; die letzte Hexe der Schweiz wurde 1785 zu Glarus durch das Schwert hingerichtet, eine arme Dienstmagd, nach einem infamen Prozesse.
Sehr sorgfältig muß man sich hüten, die schon recht früh und wieder nach der Reformation einsetzenden Proteste gegen die Hexenmorde für das zufällige Auftreten moderner Anschauungen zu halten; nichts wäre unhistorischer. Wenn Agrippa und Weyer die Hexen in Schutz nahmen, so waren beide weit entfernt, durch Ablehnung jedes Wunderglaubens zu Märtyrern zu werden. In Deutschland und in Italien hatte sich einfach schon früh da und dort ein natürliches Mitleid mit den Opfern geregt, wahrscheinlich jedesmal in Verbindung mit Aufruhr gegen einzelne geistliche Wüteriche. Ja, es konnte vorkommen (Köln, just 1487), daß wohlmeinende Geistliche das Dasein der Hexen in Zweifel zogen, nur um die verzweifelte Hexenangst des Volkes zu mäßigen. Ich glaube bemerkt zu haben, daß unter den ersten Warnern vor dem Hexenwahnsinn viele Ärzte waren; Agrippa und Weyer trieben das ärztliche Gewerbe. Sie dachten wissenschaftlich. Wir würden da besonders von Suggestion oder Hypnotismus reden. Und für einen so leisen Zweifel wird Weyer schon von einem Manne wie eben Bodin als Gotteslästerer beschimpft.
Nur wenige Jahre nach Bodins, der selbst Hexenrichter war, für den Menschengeist beschämender Schrift, erschienen die skeptischen Essays von Montaigne (1580). Hier begegnen wir zum ersten Male einem modernen Geiste, ja sogar einem so ganz und gar modernen, daß er dem Dogma von übernatürlichen Erscheinungen nicht einmal ein rationalistisches Dogma gegenüberstellt. Nach seiner Gewohnheit entscheidet er sich gar nicht. Er erklärt bloß alle Zeugenaussagen über die Teufelsbündnisse der Hexen für relativ unglaubwürdig gegenüber der Unwahrscheinlichkeit der ganzen Erscheinung. Mit dieser Erklärung, das Unwahrscheinliche glaube er für seine Person nicht, will er den Knoten zerhauen, anstatt seine Fäden gelehrt aufzudröseln. » Après tout, c'est mettre ses conjectures à bien hault prix, que d'en faire cuire un homme tout vif« (III, 11). Man weiß, wie stark Montaigne auf die besseren Köpfe seiner Zeit wirkte, wenn auch nicht unmittelbar auf das Volk. An der Wende des 17. Jahrhunderts gab Charron sein Buch » De la Sagesse« heraus, worin mit größerer Zuversicht und geringerer Überlegenheit als bei Montaigne ein Zweifel an dem Dasein der Hexen ausgesprochen wurde.
Katholiken und Protestanten
Der starke wie der schwache Skeptiker, beide waren Katholiken, wenn auch natürlich nicht recht kirchenfromme Katholiken; solche Skeptiker fehlten in der ersten Zeit des Protestantismus gerade darum, weil die Reformation eine Halbheit geblieben war und ihre Geistlichkeit eigentlich noch unduldsamer und beschränkter war als die katholische; man vermeinte auf den Antipapismus eine neue Unfehlbarkeit begründen zu dürfen und war um ein gutes Teil dümmer und unkultivierter als der Gegner; Rom hatte sich den Luxus gönnen dürfen, ohne eigenen Glauben den Pöbel durch den Glauben zu beherrschen, die protestantischen Päpstlein waren demokratisch in dem Sinne, daß sie ehrlich alles selber glaubten, was sie lehrten. So konnte es kommen, daß die Hexenverfolgungen in protestantischen Ländern womöglich noch verruchter wüteten als in katholischen, daß neuerdings ein sehr gelehrter Sophist des Katholizismus den Protestantismus für den Hexenwahn verantwortlich machen durfte. Es war Janssen, dessen Einseitigkeit freilich manche Unwahrheiten der protestantischen Geschichtschreibung richtiggestellt, aber gerade im Falle des Hexenglaubens die Wahrheit einfach umgekehrt hat. Der Hexenwahn war im katholischen Volke durch Jahrhunderte geduldet worden und wurde durch eine päpstliche Bulle sanktioniert, bevor die Reformation begann oder gar eine Macht wurde. Luther und Calvin allerdings waren zum Glauben an die Hexen und zur Strenge gegen sie sehr geneigt, der erste durch seinen plumpen Teufelsglauben, der zweite durch seine alttestamentarische Verbohrtheit; und ihre Jünger waren noch schlimmer, weil sie zwar in dogmatischen Fragen die Vernunft einige Kritik üben ließen, im übrigen aber nur bestrebt waren, in der neuen Kirche die alte Kirchengewalt wieder aufzurichten. Daß ihnen dieses nicht gelang, daß die fürstliche Landeshoheit ihnen über den Kopf wuchs, daß an Stelle der Theologen schließlich die Juristen die einflußreichsten (und bestbezahlten) Staatsdiener wurden, das hat erst, und spät genug, in protestantischen Ländern zu dem heute noch immer nicht ganz siegreichen Ansturm gegen allen Aberglauben geführt. Es ist also nicht ganz richtig, wenn der holländische Kirchenhistoriker Rauwenhoff sagt: »Die Wahrheit fordert zu bekennen, daß der Protestantismus in dieser Hinsicht nicht im geringsten hinter dem Katholizismus zurücksteht, ja daß der Aberglaube dort noch mehr einen dogmatischen Charakter getragen hat, wodurch er noch schwerer drückte.« Was den gebildeten Protestanten die Röte ins Gesicht treibt, ist gerade die Schamlosigkeit der Orthodoxie, die den protestantischen Grundgedanken verleugnen muß, wenn sie das Volk zu dem Wortlaute eines Bekenntnisses zwingen will. Wer die unerhörte Konsequenz im Dogmengebäude der katholischen Kirche bewundert, mag geneigt sein, auch den Hexenglauben als einen Quaderstein dieses Gebäudes hinzunehmen; die protestantische Kirche, die ihre Gläubigen mit gutem Gewissen nicht einmal auf die Buchstaben des sogenannten apostolischen Glaubensbekenntnisses festlegen dürfte, war nicht nur dumm, war inkonsequent bis zum Selbstmord, als sie sich zum Werkzeuge der Volksverdummung gebrauchen ließ.
Während also der Zweifel sich langsam in den Köpfen kühner Schriftsteller (in Frankreich und England, besonders in Holland) festsetzte, aber doch noch etwas über hundert Jahre brauchte, um offener Spott gegen den Hexenwahn zu werden, gingen die Justizmorde an den Hexen weiter. Man kann sagen, daß die Gerichte (in Frankreich die Parlamente, also die höchsten Gerichtshöfe) rückständiger waren als die Staatsmänner. Mazarin war zwar noch so höflich, einen Bischof (1642) zu einer Massenhinrichtung zu beglückwünschen, aber schon Colbert begann (1672) die Hexenverfolgungen auf dem Verordnungswege einzuschränken. Dabei ist es genau genommen bis zur Stunde geblieben, aber in neueren Strafgesetzen wird die Hexerei unter den Verbrechen endlich doch nicht mehr aufgeführt. Die Halsgerichtsordnung von Karl V. (1533), die doch eine Arbeit guter Juristen und für ihre Zeit ein Fortschritt in der Gerechtigkeit war, behandelt in besonderen Paragraphen sowohl den Prozeß gegen die Hexen (Zauberei) als deren Strafe. Natürlich wird der Feuertod angedroht, aber nur in solchen Fällen, wo ein erweisbarer Schaden zugefügt worden ist (in der Praxis genügte freilich ein geringer Schaden); die bloße Zauberei ohne erweislichen Schaden, also das eigentliche Verbrechen gegen die Religion, wurde nicht so hart bestraft, die Sühne vielmehr dem Ermessen des Richters anheimgestellt. Die Kirche aber, insonderheit die katholische Kirche, ging von ihrer Lehre, zu der doch auch der Hexenglaube gehörte, durchaus nicht ab und bequemte sich höchstens zu einem vorsichtigen Stillschweigen. Aufs Gewissen befragt, müßten orthodoxe Geistliche beider Konfessionen heute noch erklären, wie es Sir Thomas Browne (übrigens selbst des Atheismus verdächtig) in seiner Religio Medici (1642) tat: daß die Leugner des Hexenwesens nicht nur Ungläubige, sondern auch Atheisten wären. Und hätten sicherlich nicht übel Lust, wenn sie die neue öffentliche Meinung nicht scheuten, von den Regenten die Wiedereinführung der Hexenprozesse zu erschleichen mit dem gleichen »Beweisgrunde«, den der anglikanische Bischof Jewel vor der Königin Elisabeth anwandte: er bitte zu Gott, die Zauberer möchten ihre Kraft niemals auf höhere Kreise anwenden als auf die der Untertanen. Übrigens war in England die Hexenverfolgung nie ärger als zur Zeit der Republik. Auch dort fing man über die Hexengeschichten erst zu lachen an, als die Philosophie des ungläubigen Hobbes mit ihrem Naturalismus und ihrer Staatsomnipotenz die Religion zu einer Angelegenheit zweiten Ranges gemacht hatte. Das Lachen aber hätte mit dem Glauben an anderen Supranaturalismus auch den Hexenglauben schneller beseitigt, wenn nicht eben auch in England (man war sich der Herkunft dieser Gedankenrichtung von Montaigne und Charron bewußt) ein überaus logischer Skeptizismus aufgekommen wäre, der sich gleicherweise gegen den Aberglauben und den Unglauben richtete und allzusehr geneigt war, das Dasein von Hexen für möglich zu halten. Der Hauptvertreter dieser bedenklichen Logik war der schon genannte Prediger Glanvile, der in seiner Unabhängigkeit vom Zeitgeiste (er starb 1680) scholastischer war, als er ahnte.
Man hat mit Recht darauf hingewiesen, daß zwar der Glaube an den Teufel und an die bösen Geister sich vornehmlich auf das Neue Testament berufen durfte, daß aber die Unmenschlichkeit, mit der ein bloßes Erwürgen der Hexen schon für eine gotteslästerliche Milde erklärt wurde und die furchtbare Marter des Feuertodes für allein gottgefällig, dem Alten Testamente entsprach, daß darum kaum irgendwo schauerlicher gewütet wurde als von den Puritanern. Diese Bemerkung trifft jedoch nicht die Hauptsache: daß nämlich, wie die christliche Religion sich nun einmal entwickelt hatte, der Teufelsglaube und der Hexenglaube mit zu ihr gehörte, daß der Hexenmord erst mit der unbeschränkten Herrschaft der positiven Religionen nachließ.
Dem Harlemer Arzt Anton van Dale wird zu viel Ehre erwiesen, wenn man ihn unter den Auslöschern der Hexenbrände in erster Linie anführt. Seine grundgelehrten Abhandlungen über die Orakel der Heiden und über den Götzendienst beschäftigen sich so ausschließlich mit der vorchristlichen Zeit, daß nur selten die Leichtgläubigkeit eines christlichen Schriftstellers kritisiert wird. Sein Verdienst um die Aufklärung bestand zumeist darin, daß die späteren englischen Deisten die kritischen Waffen, die er gegen die Wahrsagerei und gegen den Aberglauben der Griechen und Römer geübt und erprobt hatte, bald gegen die sibyllinischen Bücher der Christen richten konnten. Er wird von den Deisten oft genannt, noch öfter wird er von ihnen ausgeschrieben. Noch in den beiden Abhandlungen » de Oraculis Ethnicorum« (1683) ist schon der beigegebene, durch Häufung unentwirrbare Kupferstich ein Zeichen, daß es dem Verfasser um eine Verherrlichung des Christentums und seiner wahren Geheimnisse, um einen Sieg dieser Geheimnisse über die Betrügereien der Götzendiener zu tun war. Nur läßt er sich auf manche, mehr äußerliche Bibelkritik ein, zweifelt an der Inspiration der siebzig Dolmetscher, weist eine berühmte Prophezeiung auf den Heiland (aus den Zeiten des Augustus) mit gelehrten Gründen zurück, will die Orakel als Erfindungen gewinnsüchtiger Priester und nicht als Werke des Teufels erklärt wissen.
Wohl aber hat er sich mit voller Schärfe gegen den Hexenwahn ausgesprochen, aber erst 1696, in seinen » Dissertationes de Origine ac Progressu Idolatriae et Superstitionum etc.«; und da unzweideutig nur in der Widmung an den sehr berühmten und gelehrten Arzt und Literaturkenner Theodor Jansson. Hier spricht er wie ein Ketzer von dem Glauben an Zauberer und Hexen, besonders aber von dem Glauben an das Teufelsbündnis. Delrio wird getadelt. Es sei sehr zu beklagen, daß böse und abergläubige Menschen Tausende von unschuldigen Leuten, die Zauberer genannt wurden, ohne je ein solches Verbrechen begangen zu haben, mit List und Grausamkeit um Gut und Leben brachten. Leider habe auch die Reformation diesen Unfug der Mönche nicht abgeschafft. Als die Hauptabsicht seines Buches nennt van Dale nach diesem Ausfalle: den Urtext der Bibel über alle Übersetzungen zu stellen, die Deutung der Bibelworte auf Dämonen und Teufel zu verhindern, den Verderb der Schrifterklärung durch Fälschungen überhaupt hintanzuhalten, die Teufelsgeschichten, die sich durch das Studium der alten Schriftsteller in die christliche Lehre eingeschlichen haben, wieder auszumerzen. (Bei dieser Gelegenheit wendet sich van Dale gegen die geschmacklose Gewohnheit humanistischer Dichter, den alten Juden die Namen der griechischen Gottheiten in den Mund zu legen und so Christus mit Belial zu mengen.) Er leugne nicht das Dasein böser Dämonen; er wisse nur nicht, wie weit ihre Macht gehe. Er scheine damit von dem allgemeinen Glauben abzuirren, berufe sich aber auf den weisen Gassendi.
Schlechtes Gewissen
Die Hexenbrände erloschen erst dann, langsam genug, als es bei den mordlustigen Fakultäten wie beim behaglich zuschauenden Volk zu Ende ging mit dem guten Gewissen, als die Weltanschauung sich gewandelt hatte. Beachtenswert ist es, wie sich das schlechte Gewissen auch bei denjenigen Juristen zu regen begann, die aus äußeren oder inneren Gründen den ganzen Hexenwahn nicht anzuzweifeln wagten; sie stellten sich auf den Standpunkt des geschriebenen Gesetzes, etwa der Carolina, erklärten wenigstens den Hexensabbat und die Teufelsunzucht für Träumereien oder Selbsttäuschungen; die Strafe des Feuertodes sollte nur für erwiesene Schädigungen vollzogen werden. So der Frankfurter Jurist Fichard (1564), so der Mecklenburger Godelmann (1584), der rationalistisch zwischen möglichen Behexungen von Menschen und Vieh und unmöglichen Dingen (Luftfahrt, Teufelsbündnis) unterschied; er berief sich auf den Canon Episcopi und glaubte nicht einmal an Wetterhexen; so der Heidelberger Lerchheimer (1585); es gab zu Ende des 16. Jahrhunderts sogar schon einzelne Ketzerrichter, die nach der Carolina urteilten und Hexenfahrten, Teufelsbuhlschaften und dergleichen nicht mehr als Tatsachen behandelten. Ja, der schlimmste Erneuerer des Hexenhammers, der für den späteren Hexenprozeß auch in Deutschland eine Autorität wurde, der spanische Jesuit Delrio (geb. 1551, gest. 1608), der sein ganzes Leben in den Niederlanden verbrachte und als Ketzerverfolger noch mehr Menschenleben auf dem Gewissen hatte als sein Bruder im Blutrate des Herzogs Alba, selbst dieser Mann hielt es für klug, in einigen Punkten dem Zeitgeiste nachzugeben, so daß er kurzsichtigen Augen ein billiger Richter scheinen konnte; er tadelte die Wasserprobe und die Nadelprobe und empfahl mit glatten Worten das bekannte »Maßhalten« in der Folter. Auf Delrio aber konnten sich seitdem dennoch die Jesuiten berufen, die »spanischen Priester«, die namentlich von den Bischöfen und den geistlichen Kurfürsten zu Hilfe gerufen worden waren, um die deutsche Ketzerei als Hexerei auszubrennen und die Verteidiger so oder so zum Schweigen zu bringen. Man mag bei Soldan-Heppe (II, S. 32 ff.) nachlesen, wie in den geistlichen Fürstentümern Deutschlands Geldgier und Ketzerfurcht zusammenwirkten, so daß sogar Ferdinand II. einschreiten mußte.
In dem Jahrhundert, das seit Erlaß der Hexenbulle verflossen war, hatte nun die geistliche Übung für Strafrecht und Strafprozeß es erreicht, daß das Volk wie die Gewalthaber sich trotz des Einspruchs aufklärender Menschen an die Hexenbrände als eine Selbstverständlichkeit gewöhnten. Selbst die tapferen Männer, die mit langsamem Erfolge den Wahnsinn zu heilen suchten, mußten um ihrer Sicherheit willen oder unter einer Zwangsvorstellung das Dasein von Hexen und manchen anderen Aberglauben anerkennen. Erst als die Wahnsinnsepidemie wie andere Seuchen nachgelassen hatte, kam es wieder vor, daß der Pöbel – wie in den ersten Jahrzehnten der Hexenbrände – an den Henkern Lynchjustiz übte, wie es dem »Generalhexenfinder« Matthias Hopkins in England geschah.
Grandier
Auch in Frankreich brannten die Scheiterhaufen, selbst wenn ein Indifferentist wie Heinrich IV. oder ein Staatsmann wie Richelieu regierte. Es scheint besonders bezeichnend für Frankreich, daß dort ein Pfarrer, Urbain Grandier zu Loudun, wegen Hexerei verurteilt werden konnte, weil er viele Frauen und Mädchen, auch wohl im Beichtstuhl, verführt hatte; die beleidigten Ehemänner und Väter machten ihm den Prozeß, und besessene Nonnen, mit denen er niemals etwas zu tun gehabt hatte, sagten gegen den schönen, geistreichen, wohl auch wählerischen Priester aus, was immer man von ihnen verlangte; Grandier ließ sich durch keine Folter zu einem Geständnisse oder zur Angabe seiner Zaubergenossen bewegen. Er sollte vor dem Flammentode, wie das häufig gestattet wurde, zur Abkürzung der Qualen mit einem Stricke erwürgt werden; die Geistlichen setzten es aber durch, daß er lebendig verbrannt wurde (1634). Er muß ein ehrlicher Mann gewesen sein; er hatte ein Buch gegen den Zölibat geschrieben und seine fleischlichen Vergehungen nicht geleugnet. Eine deutliche Parteinahme für den armen Grandier findet sich, wo man sie kaum suchen würde: in einem der hübschen, kecken Aufsätze des verschollenen, erst durch Rostands Theaterstück wieder aufgeweckten Cyrano de Bergerac. Der Aufsatz ist betitelt » Contre les sorciers«; ein gespenstisches Gegenstück (der Held ist Agrippa von Nettesheim) war vorausgegangen. Wir werden dem schwer klassifizierbaren Cyrano wieder begegnen, als einem Atheisten aus dem Freundeskreise Gassendis.
Bis zur französischen Revolution wurde verbrannt. In der Schweiz wurde die letzte Hexe 1785 umgebracht, in Posen erst 1793. Der Zusammenhang zwischen Teufelsglauben und Gottesglauben äußerte sich auch darin, daß der Hexenprozeß in sehr vielen Fällen gegen Ketzer in Anwendung kam, nach der Sprache der Zeit also gegen Atheisten; daß also im Namen Gottes zum Teufel geschickt wurde, wer weder an Gott noch an Teufel glaubte. Doch muß noch einmal hervorgehoben werden, daß die Ausdehnung der Hexenprozesse auf Ketzer und Atheisten, womöglich auf vereinzelt lebende Protestanten (die erwähnte Hexe zu Kempten, die von 1775, lebte in gemischter Ehe und war heimlich zum protestantischen Glauben ihres Mannes übergetreten), erst dann erfolgte, als es mit dem schlichten Hexenglauben vorüber war, als Hexenverbrennungen wie etwa Verkauf von Landeskindern an fremde Heere Geld einbrachte. Den Bischöfen von Mainz, Bamberg und Würzburg wurde nachgerechnet, daß sie im 17. Jahrhundert um ihres Vermögensvorteils willen Treibjagden auf Hexen veranstalteten. Die Zeit der unverschämtesten und bereits unehrlichen Hexenverfolgungen war der Dreißigjährige Krieg; die Glaubensmorde blühten in der Zeit des allgemeinen Religionskrieges.
Will man den Anteil der Katholiken und der Protestanten an dem Verbrecherwahnsinn der Hexenverbrennungen durchaus gegeneinander abwägen, so kommt Rom moralisch schlechter weg, Wittenberg intellektuell; der Katholizismus hörte mit dem Morden nicht auf, da am päpstlichen Hofe schon ein frivoler Zweifel an der Hexerei und an den anderen Dogmen herrschte; im Protestantismus mordete man nur so lange frisch und fromm weiter, als man vom Dasein der Hexerei überzeugt war. Darum eben ist die Kritik des Hexenwahns erst im protestantischen Deutschland geübt worden, ganz gründlich erst im 19. Jahrhundert, während die katholische Kirche grundsätzlich bis heute auf Teufel und Hexen nicht verzichtet hat. Beachtenswert ist es, daß auch auf diesem Gebiete innerhalb des Protestantismus die Herzensfrömmigkeit der Pietisten, nur weil sie dem starren Dogmenglauben entgegentrat, wider Willen der Aufklärung vorarbeitete; in Preußen war es Friedrich Wilhelm I., der unter pietistischen Einflüssen den Hexenprozessen dadurch praktisch ein Ende machte, daß er sie den Patrimonialgerichten entzog.
Wiederkehr der Hexenbrände
Wir sind durch eine optimistische Geschichtschreibung daran gewöhnt worden, so zu leben, als ob diese grauenhaften Feuermorde, denen im Laufe der Jahrhunderte nicht Hunderttausende, sondern wahrscheinlich Millionen zum Opfer fielen, Gespenster aus finsterer Vergangenheit wären, die ebensowenig wiederkehren können wie etwa die völkermörderischen Seuchen der Pest oder des Aussatzes. Wir sollten uns nicht so sicher fühlen. Wir wissen wenig über die Bedingungen, unter denen Pest oder Aussatz wieder über die Welt kommen kann, wir wissen leider nicht genug von den Mächten, die ein Wiederaufleben der Hexenverfolgungen heimlich wünschen. Die Logik des Fanatismus ist die alte geblieben und der Hexenglaube, wenn er nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet ist, kann logisch neuerdings zu Massenmorden führen. Wie die Logik des Kriegshasses. Und der Hexenglaube ist nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet; dafür sorgt die unbelehrbare Tradition der römischen Kirche und die verdammenswerte Halsstarrigkeit der protestantischen Orthodoxie. Solange die Kirchen an dem Teufelsglauben festhalten, solange bleibt die Bahn frei für den wildesten Hexenglauben und für die Wiedereinführung der Hexenverfolgungen.
Nippold hat zur Zeit des Kulturkampfes einen Warnungsruf ausgestoßen unter dem Titel »Die gegenwärtige Wiederbelebung des Hexenglaubens« (1875); die Schrift ist von der damaligen Zeitströmung ungünstig beeinflußt, verrät zuviel Jesuitenfurcht, vermischt Hexenglauben vielfach mit dem neu geweckten Glauben an Wunder und ekstatische Zustände, ist der katholischen Gefahr gegenüber mehr auf der Hut als gegenüber der protestantischen, bleibt aber dennoch beherzigenswert durch den gelungenen Nachweis, daß ein System in der Wiederbelebung des Hexenglaubens liege, mag nun ein bewußtes System, wie Nippold meint, vorhanden sein oder nicht. Schon 1843 hatte Soldan, der Geschichtschreiber der Hexenprozesse, eine ähnliche Warnung ausgestoßen. Und wahrlich, in der Nachgiebigkeit der Staatsregierungen gegen die Kirchen haben die letzten siebzig Jahre keine dauernde Besserung gebracht. Noch der blinde König Georg von Hannover versuchte seinem Volke einen Katechismus aufzuzwingen, welcher Teufelsbündnisse, also die Grundlagen aller Hexenprozesse zu glauben befahl; dieser Teufelskatechismus hatte zwar in Hannover keinen Bestand, wurde aber nachher in einigen amerikanischen Kirchen eingeführt. So klipp und klar wird das häufige Vorkommen von Teufelsbündnissen augenblicklich und offiziell weder von der römischen noch von der protestantischen Orthodoxie gelehrt; man schämt sich vor der öffentlichen Meinung; man versteckt den Teufels- und Hexenglauben hinter einer vorsichtigen Metaphysik; man tadelt wohl gar unter vier Augen den plumpen Teufels- und Hexenglauben des Volkes und geht vielleicht so weit, den leibhaftigen persönlichen Teufel mit Pferdehuf und Bockshörnern zu leugnen; man hütet sich aber, dem Teufels- und Hexenglauben der zurückgebliebensten Volksteile das bestimmte Nein der Kirche entgegenzusetzen. Wie könnte man auch? Der Teufel gehört so oder so zum Katechismus der christlichen Kirchen; und wenn es einen handlungsfähigen Teufel gibt, so sind auch Verträge mit ihm möglich.
Auch äußert sich die Scheu vor der öffentlichen Meinung eigentlich nur in den europäischen Kulturstaaten, deren Bevölkerung wenigstens mittelbar durch die Aufklärung und durch die große Revolution hindurchgegangen ist. In unzivilisierten Ländern wird wieder verbrannt, ohne daß die Kirche Einspruch erhübe; es ist einfach nicht wahr, daß die letzten vereinzelten Hexenverbrennungen gegen das Ende des 18. Jahrhunderts stattgefunden haben. In Mexiko ist I860 eine Hexe verbrannt worden, 1874 eine Hexe mit ihrem Sohne; auch sonst wurden dort Mädchen und Kinder wegen Zauberei kirchengesetzlich ermordet. In Europa sind solche Fälle nicht gut möglich, solange die Gerichte sich an das geltende Strafrecht zu halten haben; es kommen da aber Prozesse vor, die sich gegen Privatleute richten, die auf eigene Faust Hexenverfolgungen veranstaltet haben. Zu Tarbes in Frankreich wurde 1850 ein Ehepaar verurteilt (übrigens zu einer geringeren Strafe als etwa ein Wilddieb), welches eine angebliche Hexe zu Tode gemartert hatte; in Aachen beschuldigte man eine arme Person der Verhexung einer Kuh. Solche und ähnliche Vorkommnisse würden an sich nur das Fortbestehen des Hexenglaubens beim Volke beweisen, in Frankreich wie in Deutschland; daß die Verbrecher in Tarbes sich auf die Meinung eines Priesters berufen konnten, daß die verhexte Kuh von Aachen durch kirchliche Prozeduren geheilt wurde, könnte unerheblich scheinen, wenn die obersten Kirchenbehörden, trotz ihrer Scheu vor der öffentlichen Meinung, nicht immer wieder das Dasein des Teufels und die Möglichkeit lehrten, er könne von einzelnen Menschen Besitz ergreifen. Doch noch weit schlimmer als um die immerhin vorsichtige offizielle Lehre steht es um die meist verbreiteten Handbücher, die offiziös empfohlen werden. Was den jungen Studenten der Theologie vorgetragen wird, was gar die geweihten römischen Priester in ihrem Brevier täglich aus dem Leben der Heiligen zu lesen haben, das bereitet fromme Seelen darauf vor, mindestens an Prügeleien mit Dämonen und überhaupt an dämonische Einflüsse als an ganz gewöhnliche Erscheinungen zu glauben. Ein so vielfach approbiertes Lehrbuch wie die theologische Moral des Jesuitenpaters Gury, seit 1858 auch in Deutschland eingeführt, enthält nicht nur selbstverständlich ein Kapitel über die Austreibung des Teufels (denn die römische Kirche will aus die Anwendung ihrer exorzistischen Gewalt nicht verzichten), sondern geradezu die mittelalterlichen Vorstellungen über Zauberei und Hexerei; es verlangt besonders den Glauben an die beiden Formen der Liebeshexerei und der Gifthexerei. Doch nichts wäre ungerechter, als die Jesuiten allein für diese Richtung verantwortlich zu machen. Der Franziskaner Andreas Gaßner (nicht zu verwechseln mit dem Teufelsbanner J. J. Gaßner, der hundert Jahre vorher – wie erzählt – sein Unwesen trieb, bis er von Kaiser Joseph zur Ruhe verwiesen wurde) hat noch 1869 mit Gutheißung seines Ordensgenerals ein Buch veröffentlicht, das sich fast ausschließlich mit der kirchlichen Behandlung von Besessenen beschäftigt. Und der Weg vom priesterlichen Exorzismus bis zu der Folterung der Hexenprozesse ist nicht so weit, wie gutartige Katholiken vielleicht meinen; da und dort handelt es sich darum, unbekümmert um den Leib, die Seele vor dem Teufel zu retten.
Gaßner warnt nur davor, die Klagen der Besessenen, besonders die der Weiber, allzu leichtgläubig für wahr zu halten; er warnt aber noch dringender vor der Ketzerei, an der exorzistischen Gewalt der Kirche zu zweifeln. Er entnimmt der Psychiatrie einige Ausdrücke, redet ganz modern von physischen und moralischen Ursachen der Krankheiten, hält aber daneben an dämonischen »Infestationen« fest. Er urteilt milder über die mehr oder weniger unschuldigen Opfer des Teufels und unterscheidet sie von den eigentlich Besessenen, die sich (genau wie im Hexenhammer) dem Teufel verschrieben haben und mit einem Inkubus oder einem Sukkubus verkehren. Wie im Hexenhammer werden auch geschlechtliche Abnormitäten dem Dämon zugeschrieben, namentlich perverse Phantasien bezüglich Christus und der Jungfrau. An die Art, wie im 17. Jahrhundert von deutschen Bischöfen Ketzerausrottung unter dem Vorwande von Hexenverfolgung getrieben wurde, erinnern die Vorschriften, unter welchen Umständen eine Person der kleinen oder der großen Besessenheit verdächtig wäre; verdächtig ist zum Beispiel, wer vor geweihten Speisen Abscheu hat, wer vor Reliquien Furcht verrät, wer die Heiligen lästert, wer den Geistlichen nicht anzuschauen vermag. Die Austreibung selbst erfolgt nach dem uralten Ritual, und es wäre falsch, wollte ich einzelne Vorschriften (wie das Verstecken eines Zettels mit der aufgeschriebenen Beschwörungsformel oder die Angst vor der Rache des ausgefahrenen Teufels) als besonders abergläubisch bezeichnen. War die Beschwörung wirksam, d. h. hatte der Kranke Schmerzen, so konnte diese Folter erst recht durch viele Stunden ausgedehnt werden. Wenn die Besessene während der Beschwörung den Priester zu beschimpfen begann, so sollte sie für eine Betrügerin gehalten werden; denn ein Dämon wage so etwas nicht leicht.
Zur Kennzeichnung des heutigen Standpunkts der katholischen Kirche kann die Bemerkung genügen, daß die fürchterliche Bulle von 1484 niemals zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Noch das Vaticanum hat jeden Angriff gegen Teufels- und Hexenglauben als eine Ketzerei in den Bann getan. Entgegen der Volksmeinung, die – wenigstens in Deutschland – vom ganzen Hexenwahn als von einem Aberglauben redet, auch in den Kreisen guter Katholiken. Rom benützt die Wundersucht seiner romanischen Gläubigen, um den Hexenwahn grundsätzlich fortbestehen zu lassen.
Die zielbewußte Wiederbelebung des Wunderglaubens, namentlich in Frankreich und in Deutschland, darf schwerlich unmittelbar mit den Bestrebungen in Verbindung gebracht werden, die Hexenverfolgungen wieder einführen möchten. Doch ein Zusammenhang besteht; in einer bestimmten politischen Lage ist die Jungfrau von Orleans als eine Hexe verbrannt worden, in einer ähnlichen politischen Lage wird sie wie eine Heilige verehrt, mit der offiziösen Billigung der Kirche.
Nur der Staat hat gegenwärtig den Hexenwahn in seinen Strafgesetzen überall beseitigt. Die protestantische Kirche ist verschämter als die katholische, abgesehen davon, daß ihre freisinnigen Richtungen sogar auf den Teufel selbst verzichtet haben; doch ein so angesehener Gelehrter wie August Vilmar gab noch 1856 eine »Theologie der Tatsachen« heraus, in der nicht nur der symbolische, sondern auch der leibhaftige Teufel als eine Tatsache der Erfahrung vorgetragen wurde. Noch in Vilmars Dogmatik (1874, nach seinem Tode herausgegeben) ist zu lesen, daß es einen Teufel gibt, daß er ein organisiertes Reich auf Erden hat, daß man einen Besessenen sofort von einem Wahnsinnigen unterscheiden kann, daß Menschen, die sich dem Teufel ergeben haben, auf die Natur zum Schaden ihrer Mitmenschen einwirken können. Was Vilmar über die Geschichte des Hexenwesens vorbringt, könnte als ein Irrtum freundlich hingenommen werden, um so eher, als er sich auf Irrtümer eines Jakob Grimm und geringerer Forscher stützen durfte: daß wirklich einmal so etwas wie eine Hexen zunft bestand, eine Genossenschaft von Menschen, die dem alten deutschen Heidentum anhingen und die alten Bräuche und Künste übten. Goethe hatte diese ungeschichtliche Vorstellung schon in seiner »Ersten Walpurgisnacht« poetisch und humoristisch geadelt, lange vor Grimm. So ließe sich Vilmars Verteidigung der Hexenprozesse vom christlichen Standpunkt aus entschuldigen; er sah in dem Kampfe gegen die Hexenzunft den noch nicht geendeten Streit zwischen Anerkennung und Verleugnung Christi, in dem Mordbrennen eine berechtigte Abwehr der Abfallskrankheit. Aber er ließ keinen Zweifel darüber, daß er nicht nur die Ausrottung der Ketzerei gebilligt, sondern daß er auch die Zauberkünste der Hexen, eben ihre Einwirkung auf die Natur, für real hielt. So gelangte er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dazu, die Hexenbulle mit allerlei Fälschungen und unbewußten Verdrehungen als eine gute Tat anzupreisen. Erst wenn die evangelische Kirche, die aber bei ihm der katholischen verteufelt ähnlich sieht, in allen Volkskreisen siegreich geworden ist, sollen Ketzer- und Hexenbrände aufhören. Das dürfte seine schlecht versteckte Anschauung sein. Es scheint mir nicht ganz unerheblich, es scheint mir bezeichnend für das Verhältnis zwischen Staatsgewalt und Jugendunterricht, daß wir als Schüler eines katholischen Gymnasiums in Österreich, soweit wir von deutscher Literaturgeschichte überhaupt etwas erfuhren, auf das bekannte Lehrbuch dieses Protestanten verwiesen wurden, der sich durch seine Gottes- und Hexenfurcht empfohlen hatte.
Ganz allein stand Vilmar mit der Wiedererweckung des Hexenwahns im protestantischen Deutschland denn doch nicht. Carl Haas erblickt (1865) in der Hexerei wie in der Ketzerei parallele Verstöße gegen die gottgeordneten Schranken der menschlichen Natur und der höheren Autorität. »Es gab und wird stets Zauberkreise geben, welchen der Mensch nicht ungestraft nahen darf, Geister, deren man sich bemächtigen möchte und deren Herr man nicht werden kann.«
Daß auch die neue Geisterseherei, der Spiritismus, an das wirkliche Dasein von Hexen glauben machen will, versteht sich von selbst. Maximilian Perty nennt es Magie oder, mit einem ungehörigen Sprachgebrauch, Mystik, wenn er viele von den angeblichen Erscheinungen des Hexenwesens auf geheime Geisterkräfte zurückführt und darum einem Teil der Hexenprozesse Berechtigung zuspricht.
Das Abwarten der katholischen Kirche, die den Hexenwahn nicht von sich abgeschüttelt hat, die Unvorsichtigkeiten einzelner orthodoxer Protestanten, die ehrlichen Verdummungsversuche der Spiritisten, und endlich die von Zeit zu Zeit immer wieder irgendwo aufflackernden Feuer des alten Aberglaubens (nicht nur in Mexiko, in Ungarn und in Rußland) lassen es mir nicht überflüssig erscheinen, zum Schlusse dieses Abschnittes noch einmal auf den Zusammenhang zwischen Gottesfurcht und Teufelsfurcht als auf den Urgrund des ganzen Hexenwahns hinzuweisen. Man hat die unabweisbare Tatsache, daß überall in der Christenheit der gleiche Glaube an die Macht und die Schädlichkeit der Hexen herrschte und zu den gleichen grauenhaften Abwehrmaßregeln führte, mit bedenklichem Historismus aus einzelnen Zufallserscheinungen erklären wollen, die gerade die Einheitlichkeit des Hexenwahns hätten stören müssen: aus orientalischem, aus germanischem, aus slawischem Aberglauben; man hat in der ganzen Christenheit auf das Christentum Rücksicht genommen und rücksichtsvoll die Augen geschlossen vor der einfachen Wahrheit: daß der Hexenwahn in der Kirche entstanden und gewachsen ist wie andere Dogmen; daß die Kirche den fertigen Hexenwahn dann erst durch die Folter in die Christen hinein und aus den Christen heraus preßte, ihn einheitlich, also katholisch zur Ausrottung der Ketzerei zu benützen suchte, und daß die protestantische Kirche hierin wie auch sonst eine gelehrige Schülerin der römischen war. Das Dogma vom Dasein der Hexen hat der Protestantismus von der älteren Kirche unbesehen mit herübergenommen. Nun scheint es mir aber von äußerster Wichtigkeit zu sein, daß die Aufklärung, die gottgläubig nur den robusten Gottesbegriff der positiven Religionen bekämpfte, und die Aufklärung, die das arme Volk von der positiven Hexenangst erlösen sollte, die gleichen Wege gingen und bei ähnlichen Ergebnissen anlangten. Wortabergläubisch klammerte sich der Rationalismus an die Bezeichnung Deus und glaubte in seinem abstrakten Deismus die allzu menschlichen Vorstellungen von dem höchsten Wesen frei überwunden zu haben. Man wußte es bisher nur nicht, es war aber der gleiche Rationalismus, der gleiche Wortaberglaube, wenn ältere und neuere Aufklärer von dem Hexenbegriff nicht loskommen konnten und irgend etwas Sachliches hinter dem Worte suchten: Heidentum, Giftmischerei, Unzucht. Es schien den treuherzigen Rationalisten ganz unausdenkbar, daß hinter so alltäglichen Sprachwörtern wie Hexe, Teufel (um vor dem Gegenteufel auch meinerseits Halt zu machen) nichts, aber auch gar nichts stecken sollte. Daß die gleichen Folterqualen, von gleichgesinnten Inquisitoren angewandt, den armen Weiblein das Bekenntnis zu den sinnlosen Redensarten des gleichen Dogmas erpressen mußten. Schon Cardanus war so ein rationalistischer Aufklärer gewesen und hatte (wie nach ihm viele andere), wenn nicht die Teufelsbündnisse und die Luftfahrten, so doch den eigenen Glauben der Hexen an solche Zaubereien für bare Wirklichkeiten gehalten. Man wird mich hoffentlich richtig verstehen, wenn ich diese Gedankenhexen mit dem Gedankengotte des Deismus in eine Reihe stelle.
Inquisition
Ich bin der Darstellung weit vorausgeeilt, beinahe um ein halbes Jahrtausend, bis zur Gegenwart, um den Kampf gegen die Hexenreligion, der sich uns als ein Teil des Kampfes gegen die Religion überhaupt erwiesen hat, im Zusammenhang vortragen zu können. Nicht ebenso ausführlich darf ich das Werkzeug behandeln, dessen sich die katholische Kirche bei ihrer Verteidigung der Gottes-, Teufels- und Hexenreligion bediente, der Inquisition; schweigend vorübergehen darf ich aber nicht an dieser Einrichtung, weil der Atheismus letzten Endes diejenige Geistesrichtung ist, zu deren Bekämpfung die Inquisition durch Jahrhunderte im Abendlande brannte und mordete; wohl wagte sich ein Zweifel am Dasein Gottes zur Blütezeit der Inquisition kaum schüchtern hervor, aber was das heilige Gericht der Kirche als »Ketzerei« mit unmenschlicher Grausamkeit zu unterdrücken suchte, war doch sehr häufig nur der Anfang der Gesamtbewegung, die sich vom Zwange des rechtgläubigen Christentums befreien wollte und stufenweise zum Deismus, zur Aufklärung, zum Atheismus führte.
Wieder muß die Tatsache festgehalten werden, daß das geistliche Ketzergericht, die Inquisitio hereticae pravitatis, von der Kirche erst dann eingeführt wurde, als dem Bestande der allgewaltigen mittelalterlichen Kirchenmacht durch das Anwachsen einer ketzerischen Gegenmacht Gefahr drohte. Vorher hatte zwar etwa Augustinus und mancher römische Kaiser die eine oder die andere ketzerische Sekte mit Gewalt oder Todesdrohung zu bekehren versucht, für die Bekehrung auch schon den Zufallssatz des Neuen Testaments » compelle intrare« (den erst Bayle zurückgewiesen hat) in ruchlose Anwendung zu bringen; der heilige Thomas noch hatte eine noch härtere Verfolgung der Ketzer mit der grauenhaften Logik begründet: man solle ja einen hartnäckigen Ketzer meiden, und man meide ihn am besten, wenn man ihn hinrichte; aber zu einer vollen Ausbildung des Sanctum officium, wie die Inquisition auch hieß, kam es doch erst unter dem politischen und blutigen Papste Innocenz III. (1198-1216). Ein ebenso gelehrter wie praktischer Herr übrigens, der mit außerordentlicher Tatkraft die unmittelbare Herrschaft des römischen Bischofs über den Kirchenstaat, die mittelbare über Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien, sogar über das entfernte England zielbewußt durchsetzte; der sich mit dem Titel eines Statthalters Petri nicht mehr begnügte und sich Statthalter Christi und Gottes nannte. Er konnte sich rühmen, das Entsetzen der Religionskriege über die Welt gebracht zu haben; vor ihm hatte die Christenheit zwar auch schon Kreuzzüge unternommen, aber nur gegen die vermeintlichen Barbaren, gegen die vermeintlichen Ungläubigen, d. h. Nichtchristen, die das sogenannte Heilige Land im Besitze hatten; Innocenz III., dem ein richtiger Kreuzzug gegen die Türken nicht mehr gelang, hatte als der erste die Vermessenheit, das Kreuz gegen Christen zu predigen, den Religionskrieg zu einem Bürgerkrieg zu machen, Fürsten und Völker zur Ausrottung von andersgläubigen Christen aufzufordern. Das Dogma an sich, auch das strengste, verlangte nicht die Ausrottung der Menschen, die das Dogma anzweifelten oder leugneten; Athanasius noch verwarf jeden Zwang. Erst als das Papsttum in seinen stärksten Trägern den Traum einer Weltmonarchie für sein Rom zu träumen begann und zu verwirklichen glaubte, schuf es das Recht auf Führung von Religionskriegen und bildete die Inquisition zu einem juristischen Werkzeug dieser Verwirklichung aus. Zu einem Werkzeuge in den Händen des Papstes.
Dieses Ziel konnte nur erreicht werden durch einen Bruch mit dem Herkommen, das die weltliche Gerichtsbarkeit den Fürsten, die geistliche den Bischöfen überlassen hatte. Es war verhältnismäßig leicht, die außerordentlichen Machtbefugnisse der Inquisitoren über die Gewalt der nur schwächlich widerstrebenden Bischöfe zu stellen; das war nur ein Zug mehr in der Entwicklung der Papstkirche zur absoluten Monarchie. Der weltliche Staat sträubte sich länger, fügte sich aber am Ende in die schmachvolle Rolle, das Henkeramt des »Ketzersieders« zu übernehmen, während die Kirche die Verantwortung für das Richteramt trug. In Italien selbst, dem Lande der päpstlichen Residenz, blieben die Päpste zurückhaltend, weil sie Rücksichten nehmen mußten auf die wechselnde Volksstimmung und auf die Parteien der Republiken und Fürstentümer. In Frankreich, wo die Inquisition im 13. Jahrhundert die blutigste Arbeit leisten durfte, unterlag später Rom einer national-französischen Kirche und noch später für immer – trotz gelegentlicher Rückschläge – dem Geiste der Aufklärung. In Deutschland, wo Volk und Geistlichkeit sich gegen die ersten Inquisitoren empörten und einen Konrad von Marburg ermordeten (1233), siegte das Papsttum schließlich durch Einführung des Hexenhammers, weil alle Gewalthaber und, im Wettbewerb mit ihnen, leider auch die Kaiser ihre Rechnung zu finden glaubten in einem Bündnisse mit Rom, d. h. in der Unterwerfung unter Rom. England stimmte den Ketzerverbrennungen zu, bestand jedoch auf der Oberhoheit des Staates über die Inquisition. In Spanien, wohin die Ketzerei aus Südfrankreich und die Unchristlichkeit der Araber und Juden aus Afrika eingedrungen war, glaubte das erstarkende Königtum allen Grund zu haben, das kirchliche Werkzeug der Inquisition zu benützen; und es wird schwer auszumachen sein, ob nicht just in Spanien, wo die geistlichen Ketzergerichte länger und blutiger wüteten als anderswo, die Könige dennoch die Herren der Inquisitoren waren.
Der Traum einer päpstlichen Universalmonarchie wurde nicht Wirklichkeit; wohl wurden in Frankreich, Spanien, Italien und England unzählige Ketzer gebrannt, wohl wurde der Religionskrieg gegen die Hussiten schließlich beinahe ganz siegreich durchgeführt, aber dann erlitt Rom seine erste Niederlage gegen die mit Luther verbündete weltliche Macht. Rom wurde genötigt, sich mit der Tatsache einer siegreichen Ketzerei abzufinden. Von da ab, etwa seit dem Kardinal Caraffa und dem Tridentinum, hört die Inquisition auf, die ehrliche oder doch gutgläubig geführte Waffe des einheitlichen Glaubens zu sein; sie wird zum politischen Werkzeug der Gegenreformation, sie hilft Polen, Ungarn, Süddeutschland und Frankreich zurückerobern, aber sie kann ernsthaft nicht mehr daran denken, die Ketzerei im christlichen Abendlande auszurotten. Der Dreißigjährige Krieg, der letzte große Religionskrieg, endet, nachdem Europa bis zum Weißbluten erschöpft ist, mit einer Anerkennung des Protestantismus. Die Aufklärung wird über den Protestantismus hinaus zu einem Schlagworte auch der Fürsten, und dann macht die große französische Revolution dem absoluten Fürstenrecht und der Inquisition zugleich ein Ende. In der Praxis: dreimal wurde die Inquisition in Rom abgeschafft, 1809 durch die Invasion der Franzosen, 1848 durch die kleine Revolution, 1870 durch die Aufhebung des Kirchenstaates. In der Theorie hält Rom, das nichts vergessen und nichts gelernt hat, an der Einrichtung der Inquisition fest und gewiß auch an ihrer Aufgabe, durch Verbrennung aller Ketzer und Hexen, aller Zauberer und Freigeister, aller Indifferenten und aller Atheisten, also durch Ausrottung der Kulturmenschheit, die Katholizität oder Allgemeinheit der Kirche wiederherzustellen.