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XII

 

Römer

Die Gottlosigkeit bei den Römern ist nicht so übersichtlich wie die Gottlosigkeit bei den Griechen etwa im 5. Jahrhundert; wir haben in den tausend Jahren der altrömischen Geschichte keine Epoche, die wir vom Standpunkte der Menschheit als eine Blütezeit des römischen Geistes betrachten könnten, wir glauben nicht mehr an die Legende von der Klassizität des Augusteischen Zeitalters. So erstreckt sich die römische Geschichte von den barbarischen Anfängen bis in die Barbarei des Niedergangs, politisch und welthistorisch bedeutungsvoll und nachwirksam, aber arm an Denken und Dichten. Am Ende dieser tausend Jahre ist das römische Weltreich christlich geworden und hat auch bereits die Verfolgung der Ketzer und Gottesleugner unter seine Gesetze aufgenommen.

Nicht um eine Lücke auszufüllen, nur um auf eine Verbindung hinzuweisen, sei vor einem kurzen Überblicke über den Atheismus der Römerzeit zweier Tatsachen gedacht: der Religionsvorstellungen bei den Spätgriechen und der religiösen Abhängigkeit der Römer von den Griechen. Nur mit wenigen Worten.

Nach Alexander dem Großen gab es auch in Griechenland keine Dichter und nicht viele Denker mehr, die der Welt etwas zu sagen hatten. Daran wird die bessere Kenntnis der lange verschollenen Hellenisten kaum viel ändern. In Wissenschaft und Kunst begann der Betrieb, der nach der Stadt Alexanders noch heute Alexandrinismus heißt. Dieser ganze Hellenismus zehrte von seinem eigenen Fette; und das Licht erlosch, als das Öl verbraucht war. Um die Religion stand es nicht anders, was immer man gefällig in die Mysterien und in den Neuplatonismus hineinzulegen versucht hat. Fürsten und Städte lebten in einer Gedankenlosigkeit dahin, von der es schwer ist zu entscheiden, ob sie mehr Aberglaube oder mehr Unglaube war. Unter Alexander dem Großen zuerst wurde religiöse Weitherzigkeit, die mehr als Duldung war, zu einem Mittel der Weltpolitik. Auch die Vergottung des Herrschers kam nicht aus einem Gefühl der mystischen Einheit, war vielmehr sicherlich eine Anpassung an orientalischen Sprachgebrauch. Und die Vergottung der römischen Kaiser, die den Kirchenvätern als eine Gotteslästerung erscheinen mußte, war nur eine Nachahmung hellenistischer Fürstengewohnheiten. Auch wohl die Beflissenheit römischer Kaiser, Tempel und Priester reich zu beschenken, aber nur so, wie man andere Schmarotzer beschenkte; mit dem Vorbehalte, ihnen die Schätze bei guter Gelegenheit wieder abzunehmen.

 

Invasion des griechischen Geistes

Es ist bekannt, daß die gebildeten Römer nicht nur in diesen Dingen sich mit einer ihnen sonst fremden Bescheidenheit Schüler der Griechen nannten. Vieles erinnert daran, wie in Deutschland Schrifttum und Kunst des 18. Jahrhunderts das Frankreich Ludwig XIV. zum Vorbilde nahm; aber die Abhängigkeit der Römer ging doch noch weit über eine solche bloße Mode hinaus. In Deutschland gab es wenigstens eine religiöse Selbständigkeit, so schlimm es auch gerade damals um den Protestantismus stand; die Römer übersetzten nicht nur Gedichte und Theaterstücke ins Lateinische oder plagiierten sie, sie übersetzten auch Götter und Kulte. Bei dieser ungeheuren Rezeption des griechischen Geistes, die vielleicht besser als mit der Französelei in Deutschland mit der Eroberung Englands durch die Normannen verglichen werden könnte – nur daß Rom in Sprache und Sitte von den Besiegten unterjocht wurde –, bei dieser Invasion der griechischen Kultur darf nicht übersehen werden, daß der römische Philhellenismus wahllos und kritiklos die Philosophen und Künstler aller griechischen Zeiten zu Mustern nahm, zunächst die Männer der elenden Spätzeit und nur nebenbei auch die Großen des 5. Jahrhunderts bewunderte; das Dogma vom klassischen Altertum herrschte schon damals und bezog sich eben nur auf die Griechen. Die geistige Unterwerfung unter Griechenland setzte schon sehr früh ein: man paßte sich der griechischen Mythologie an und führte die Gründung Roms auf einen Helden des Trojanischen Kriegs zurück; man plünderte vom 2. Jahrhundert ab griechische Städte, bewies aber der griechischen Eigenart alle mögliche Schonung; und obgleich Griechenfresser, wie bei uns Franzosenfresser, sich der Fremdländerei entgegenstemmten, machte die griechische Mode just nach der Besiegung Griechenlands reißende Fortschritte. Hellenistischer Aberglaube und Unglaube machten sich in Rom breit; junge Römer der guten Gesellschaft reisten um ihrer Bildung willen nach Griechenland. Burckhardt (Griechische Kulturgeschichte, IV, S. 571) hat darauf aufmerksam gemacht, daß die römischen Lustspiele gewöhnlich in Athen spielten, so wie wir noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Sittenstücke interessant fanden, deren Handlung uns nach Paris versetzte. In allen Dingen der Erkenntnis und des Geschmacks waren und blieben die Römer so unselbständig, so in der Nachahmung von Hellas befangen, wie wir Nachahmer der Franzosen doch nur etwa vom Dreißigjährigen Kriege bis auf Lessing blieben.

Und noch eins möchte ich vorausschicken. Waren schon in den griechischen Kleinstaaten die Atheismusprozesse, für deren Zählung die zehn Finger genügten, Folgen von politischen Strömungen, so war in Rom, bevor das siegreiche Christentum die Verfolgung von Heiden und Ketzern zum Grundsatze erhob, religiöse Duldsamkeit ebenso allgemein wie politische Unduldsamkeit. Der römische Stadtstaat war zu einem Weltreiche von unerhörter Ausdehnung geworden; innerhalb dieses ungeheuren Reiches, das immer schwerer zusammenzuhalten und zu regieren war, bildete sich die Unterdrückung der politischen Freiheit, nur nicht gerade der religiösen, zu einer Erbweisheit der Kaiser aus.

Was ich hier biete, darf sich natürlich nicht rühmen, auf eigenen Forschungen zu beruhen; ich muß schon froh sein, wenn es mir gelingen sollte, die Züge zu einem nicht ganz geläufigen, aber dennoch ähnlichen Bilde zu vereinigen, die ich sichtbar oder versteckt besonders bei Gibbon, Albert Réville, Wissowa, W. Adolf Schmidt und Harnack gefunden zu haben glaube. Um es gleich in einem kurzen Satze zusammenzufassen, der wie immer in solchen Fällen moderne Worte wählen muß und darum nicht durchaus stimmen kann: die weitverbreitete monotheistische Religion der gebildeten Römer der Kaiserzeit erschien ihnen selbst eher wie eine atheistische Philosophie; die Götter waren völlig nach dem Bilde des Menschen geschaffen worden, so erschien der bildlose Glaube leicht als Gottlosigkeit.

Auf die antike Vorstellung, daß Bildlosigkeit Atheismus sein müsse, werde ich noch zurückkommen. Daß aber sowohl die Römer ihre wachsende Neigung zu einer monotheistischen Welterklärung, als auch die Christen (nachdem sie sich endgültig von den Judenchristen getrennt hatten) ihr neues Evangelium für eine Philosophie nahmen und ausgaben, das war gar nicht so wunderlich, wie es unserer durch so viele theologische Jahrhunderte hindurch gegangenen Zeit scheinen muß. Eine Welterklärung, eine Kosmologie war von den antiken Philosophen von jeher gesucht worden; und da war die eine göttliche Kraft kein schlechteres Erklärungsprinzip als etwa das Feuer oder das Wasser oder die Idee oder die Entelechie; eine unoffenbarte Religion unterscheidet sich nicht gar so sehr von einer Philosophie.

Nun vergesse man nicht, daß auch das Christentum der ersten zwei Jahrhunderte und noch darüber hinaus keines der Dogmen kannte, die ein Opfer des Intellekts verlangen; was den Kindern, was den Erwachsenen gelehrt wurde, das war außer der Heilslehre und der neuen Moral eigentlich nur etwas Historisches: das Leben und Sterben des Heilands. Darum hatten sich ja zuerst so viele Juden den Christianern anschließen können, ohne mit dem Judentum zu brechen, weil auch der Judaismus neben seinen vernünftigen und unvernünftigen Gesetzen nur ein einziges Dogma gekannt hatte, das vom Dasein eines Gottes, und dieses Dogma recht gut ein philosophischer Satz heißen konnte, wenn der eine Gott erst aufgehört hatte, der mächtigere Nationalgott neben anderen Nationalgöttern zu sein. Nun hat schon Harnack (»Mission und Ausbreitung des Christentums«, S. 188) darauf hingewiesen, daß die neue Lehre nur im Streite mit den Gegnern eine Philosophie genannt wurde, daß die Gemeinde an ihrer Lehre eine geoffenbarte Gottesweisheit zu besitzen glaubte. Aber auf die ungebildete Masse kommt es bei dieser Frage nicht an. Genug daran, daß die Gelehrten, die den Schriftkampf gegen den Polytheismus aufnahmen, eine neue Philosophie zu verteidigen vorgaben. Die Vorstellung muß tief eingedrungen sein, weil noch später die Bilder des Heilands den Typus eines Philosophen oder Rhetors zeigen.

Außer dem unbewußten Hochmut, in ihrem Glauben eine Welterklärung zu besitzen, mögen die christlichen Streiter zwei bewußte Gründe gehabt haben, ihre Religion als eine Philosophie darzustellen. Genau genommen: nur den einen Grund, den Verfolgungen keine Handhabe zu bieten. Darum beschränkten sie sich darauf, ihre modernste Philosophie den älteren Schulphilosophien gegenüberzustellen, und ließen die römische Staatsreligion womöglich ungeschoren; darum hofften sie, unter solchen Vorspiegelungen die gleiche Duldung vom Staate zu genießen wie andere Philosophenschulen. Hochmütig ist es wiederum und lächerlich dazu, wenn die halbgelehrten Christen jener Tage ihre vermeintliche Philosophie nicht nur für die beste in der Welt erklärten, sondern auch für die älteste; frisch und fröhlich wurde behauptet: was jemals Gutes geschrieben worden wäre, hätten die alten Philosophen (ebenso die Religionsstifter und die Dichter) von irgendwelchen sagenhaften vorchristlichen Christen abgelernt.

 

Duldung

Was aber die Duldung durch den römischen Staat betrifft, so lag bei den christlichen Schreibern ein Rechenfehler vor. Mochten einzelne Principes Dichter begönnert haben, mochten spätere Kaiser sogar selbst als Philosophen auftreten, der römische Staat als solcher war ehrlich amusisch. Er duldete es von Zeit zu Zeit, daß die ebenso amusischen Römer griechische Dichter und Philosophen plagiierten; wenn es aber in die Politik des Staates oder der Kaiser nicht paßte, dann wurden just die fremden Philosophien härter verfolgt als die fremden Religionen. Eine eigentliche Religionsfeindschaft war den Römern fremd; wo die Juden, die in manchen Städten des Römerreichs verhältnismäßig zahlreicher waren als etwa heute die Juden in Berlin, gehaßt und verachtet wurden, da geschah das um ihrer Sitten und Gebräuche willen; und die Christianer wurden noch lange, nachdem die Judenchristen keine Rolle mehr spielten, für jüdische Sektierer gehalten. Religionen wie philosophische Anschauungen wurden nur aus politischen Gründen verfolgt; Es ist tendenziös und darum übertrieben, wenn Voltaire eine allgemeine Duldsamkeit der Römer behauptet; er schreibt an d'Alembert (14. April 1764): »Müssen Sie nicht Ihr Frankreich aufs tiefste verachten, wenn Sie die griechische und römische Geschichte lesen? Wurde in Rom, von Romulus bis Konstantinus, ein einziger Mensch um seiner Denkungsart willen verfolgt? Hätte der Senat jemals die Enzyklopädie gehindert? Hat es jemals einen so blödsinnigen und zugleich trostlosen Fanatismus gegeben wie den von Ihren Pedanten?« Haß und Verachtung des Volkes wurde politisch ausgenützt, wie auch der Haß der wenigstens im 1. Jahrhundert viel mächtigeren Juden gegen die christlichen Rivalen. Die Beschuldigung, daß die Juden an der Christenverfolgung unter Nero mitschuldig waren, scheint nicht unberechtigt zu sein; die Christen wurden damals und noch bis zur Zeit des Diocletian um ihres angeblichen Atheismus willen verfolgt, nicht ganz so blutig, wie die Märtyrerlegenden und die christlichen Geschichtschreiber glauben machen möchten, aber immerhin hart genug; der Vorwurf des Atheismus, der sich zuerst nur aus den Mangel an Götterbildern und Göttertempeln (bei den Juden) bezogen hatte, hätte sich den Christen gegenüber bald nicht mehr aufrecht halten lassen, wenn nicht in einem für uns schwer faßbaren Bedeutungswandel schließlich die Weigerung der Christen, dem Kaiserbilde zu opfern, für einen Beweis ihres Atheismus ausgegeben worden wäre.

 

Unduldsamkeit

Unter solchen Umständen kann es nicht überraschen, daß die Fragmente zum Kampfe gegen die Gedanken- und Glaubensfreiheit, die ich aus der römischen Kaiserzeit zu bieten habe, durcheinander und ohne Unterschied die Philosophenschulen und die neuen Religionsgemeinschaften betreffen, ja sogar die Literatur und die kümmerlichen Anfänge einer Journalistik. Man kann sagen: der Despotismus der Kaiser, der blutige ebensogut wie der aufgeklärte, verteidigte das einzige Dogma der Zeit, die Göttlichkeit der kaiserlichen Macht. Schon vorher konnte das Verbrechen der Majestät begangen werden, das Verbrechen gegen die Hoheit oder Ehrwürdigkeit, die in den Zeiten der Republik dem römischen Volke zugesprochen wurde und dann schrittweise auf die Dynastie und auf die späteren Principes überging. Das Schwanken zwischen Milde und Härte äußerte sich schon unter den ersten Cäsaren darin, daß zuerst nur die Taten, bald auch die Worte bestraft wurden. Man sieht, da das religiöse Bekenntnis aus Worten besteht, daß die Religion erst bei einer harten Auslegung des Gesetzes bestraft werden konnte. Cicero warf es dem Julius Cäsar schon vor, freilich erst nach dessen Tode, man habe sich unter seiner Tyrannei nicht frei äußern dürfen. Bei den Juliern wiederholte sich die Erscheinung, daß der Princeps zuerst liberal das Wort (es handelt sich nur um das politische Wort) freigab, bald aber in der Sorge um seine Macht gegen anonyme, endlich auch gegen ehrliche Angriffe das Majestätsgesetz geltend machte. Ja, schon unter Augustus begann der Zorn der Machthaber sich gelegentlich gegen die sonst begönnerten schlüpfrigen Dichter zu wenden, unter dem Vorwande der Sittenverderbnis, wodurch denn die Verfolgung von dem politischen Gebiete auf einen Kreis übertrat, der die Religion berührte.

Rascher als bei Augustus meldete sich die »Reaktion« unter Tiberius und Caligula; Caligula zuerst griff auch die Schulen an, also nach dem Sprachgebrauche jener Zeit die Philosophie. Wir haben der Entwicklung nicht nachzugehen und nicht zu untersuchen, ob diese Verfolgungssucht, die schon unter Caligula gegen die antike Bibel, den Homeros, sich zu wenden anschickte, wirklich bei Claudius in Blödsinn, bei Nero in Wahnsinn ausartete; wir haben auch nicht weiter darauf zu achten, wie das primitive Journal Roms, die acta diurna, unter dieser Zensur sich aus einem wahrscheinlich sehr lesenswerten offiziellen Blatte in ein offiziöses Käseblatt mit Hof- und Schauspielnachrichten, Anekdoten und frommen Anzeigen verwandelte. Man stoße sich nicht an diesen modernen Ausdrücken und an dem Worte Zensur. Trotzdem der Buchdruck noch nicht erfunden war, gab es im damaligen Rom einen sehr ausgebreiteten Buchhandel; die Auflagen scheinen groß gewesen zu sein und die Autoren brachten ihre Werke durch Vorlesungen gern selbst ins Publikum. Wenn man von geistigem Eigentum absieht, das die klugen Römer nicht kannten, kann man ihr Bücherwesen recht gut mit dem in unserem 18. Jahrhundert vergleichen. In vielen Äußerlichkeiten, aber auch in seinem Einflusse auf die oberen Schichten; W. A. Schmidt, dem ich (»Geschichte der Denk- und Glaubensfreiheit«) hier folge, weist schon auf die merkwürdige Erscheinung hin, »daß jener große Aufschwung in dem mechanischen Betriebe der schriftlichen Vervielfältigung ebenso dem Christentum, wie die Erfindung der Buchdruckerkunst der Reformation voranging« (S. 138). Bald drohte die Schriftstellerei ein Gewerbe zu werden; Martialis, der unsere Hauptquelle für das Schriftstellerwesen jener Zeit ist, spricht einmal vom Worthandel (der Advokaten und der Poeten). Für die Machthaber war es wichtig, daß das Publikum in den Buchhandlungen und in den Bibliotheken zusammentraf und die Zeitereignisse besprach und daß wohl auch die neuesten Schriften als Schulbücher benützt wurden.

Nun blieb es nicht bei einer politischen und bei einer moralischen Zensur; die Julier übernahmen die Oberpriesterwürde, wurden (modern ausgedrückt) Papstkaiser, wie der russische Zar, und nahmen als solche das Recht in Anspruch, in ihrer Monarchie das Eindringen fremder Religionen und die Ausbreitung von Ketzereien zu unterdrücken; der Schutz der Pfaffen und der althergebrachten Zeremonien schloß sich an. Schon der religiös freidenkende Mäcenas gab dem Augustus den ewig macchiavellistischen Rat, dem Volke die Religion zu erhalten, weil Verächter der Gottheit gewöhnlich auch sonst Rebellen seien oder Neuerer; aber daran knüpfte er den noch viel politischeren Rat, auch die Magier nicht zu dulden; ihre Prophezeiungen könnten gefährlich werden. Unter Umständen richtete sich die Schärfe des Gesetzes am empfindlichsten gegen die Juden und gegen die Christianer. Feindseligkeiten gegen die griechische Religion gab es nicht, weil man die römische und die griechische Religion, wie vielfach heute noch, für identisch hielt; warum auch der ägyptische Kult frühzeitig in Rom geduldet wurde, wissen wir nicht, aber es war so: er wurde zu einer Mode. Der Glaubenseifer der Julier richtete sich also zumeist (vielleicht ist es aber nur ein Zufall, daß wir dies am besten wissen) gegen die Juden, die dem Volke überall verhaßt waren und deren bildloser Monotheismus just als Atheismus oder Götterverachtung erschien; auch waren ja die Cäsaren aus Oberpriestern schließlich so etwas wie kleine Götter geworden Die Vergötterung der Monarchen scheint von Asien ausgegangen zu sein, wo die Erben Alexanders zuerst diese Huldigungen forderten, die dann auf die römischen Statthalter und endlich als eine neue Form der Schmeichelei auf die Kaiser übergingen, mit Altären, Tempeln, Festen und Opfern. Bereits unter den Juliern bildete sich dann die Mode heraus, den Kaiser – aber erst nach seinem Tode und nur, wenn sein Andenken nicht verflucht wurde – unter die Götter zu versetzen. Eigentlich tat man da nur im Lichte der nahen Gegenwart, was die Mythologie wahrscheinlich einst mit Heroen und Fürsten getan hatte. Wie aber schon die Vergötterung des Romulus den Volksglauben der Römer kaum beeinflußt hatte, so gerieten die Vergötterungen der vielen römischen Kaiser bald wieder in Vergessenheit und hatten keine religiösen Folgen. (Man kann dabei meines Erachtens an neuere Heiligsprechungen der katholischen Kirche denken, die seit einigen Jahrhunderten keinen allgemein populären Heiligen mehr hervorgebracht haben.)
Die gleiche Herkunft hatte es und gehört doch auf ein ganz anderes Gebiet, wenn der kluge Diocletianus die Pracht des persischen Hofes und das asiatische Zeremoniell (Diadem, Unnahbarkeit des Kaisers, abscheuliche Titulaturen) im Abendlande einführte. Es war in ungläubiger Zeit eine metaphorische Vergötterung. Sie ist, da gemildert und dort gesteigert, über anderthalb Jahrtausende bis auf unsere Zeit gekommen.
(freilich divi erst nach ihrem Tode, wie die Ahnen bei den Chinesen), und die Juden wie später die Christen weigerten sich, diesen Göttern zu opfern oder ihnen auch nur Bildsäulen zu errichten. So scheint es mir nicht allzu gewagt, die Verfolgung der monotheistischen Juden (und später der Christen) durch die polytheistischen Principes mit den Verfolgungen zu vergleichen, die in den drei Jahrhunderten nach der Reformation die streng monotheistischen Deisten von den Machthabern zu erleiden hatten, die sich zu einem dreieinigen Gotte bekannten.

Die Behandlung der Juden (die Christianer mögen im 1. Jahrhundert mitverstanden worden sein) erinnert vielfach an die, die ihnen heutzutage in Rußland zuteil wird. Die Verfolgung ging bald von den gesetzlichen Stellen aus, bald von beutegierigen Beamten; bald wurden sie verjagt, bald durften sie sich gegen ein Kopfgeld an bestimmten Stellen aufhalten. Die gräßlichsten Schandtaten wurden ihnen angedichtet. Als die Christen sich deutlich von den Juden geschieden hatten, und selbst als die Harmlosigkeit oder Ungefährlichkeit ihrer Lehren von Wohlmeinenden erkannt wurde, ließ man von der Gewohnheit nicht ab, sie gelegentlich zu foltern oder zu ermorden. Auch mildere Kaiser und Statthalter ließen die alten Gesetze nicht völlig in Vergessenheit geraten; man wollte aus politischen Gründen keine Neuerer dulden, höchstens wurde unter Trajanus der gemeinsten Denunziation Einhalt getan. Eigentlich religiöser Eifer stachelte zu solcher Unduldsamkeit nicht an; die führenden Männer waren durchaus ungläubig, skeptisch oder geradezu atheistisch; auch das Volk konnte nicht mehr recht gläubig sein, da die Tempel verödet waren. Ja, in Rom waren nicht einmal die Philosophenschulen fanatisch; Lehrer und Schüler nannten sich zwar gern nach irgendeinem der kanonischen Philosophen, aber eigentlich herrschte zumeist unter dem Namen des Eklektizismus eine rationalistische Popularphilosophie, wirklich nicht viel anders als etwa in Frankreich unter Ludwig XV. Dem späteren Deismus entsprach ziemlich genau der Euhemerismus, der denn auch schon von Plutarchos beschuldigt wurde, den Atheismus über die Welt gebracht zu haben. Das niedere Volk war – wie immer – abergläubisch und gleichmäßig geneigt, die infamsten Betrügereien gläubig hinzunehmen. Unterstützten nun die Machthaber Priester und Zeremonien, so ist es nicht zu hart, diesen Standpunkt Frömmelei zu nennen. Es geschah, was in solchen Übergangszeiten immer geschieht; und im Grunde sind alle Zeiten Übergangszeiten. Alter Glaube und Aberglaube wurde ruchlos geschützt, neuer Glaube und Aberglaube ebenso ruchlos verfolgt. Die Hinrichtung Jesu Christi, die Anklagen gegen Apollonius von Tyana, lassen sich auch als Äußerungen dieser religionspolitischen Heuchelei auffassen; man erklärte die alten Wahrsagungen für göttlich und bestrafte die neu auftretenden Wahrsager. Ebenso wurden die alten Priesterkollegien, in denen es von frivolen Freigeistern wimmelte, immer wieder in ihren Privilegien bestätigt. Wo uns das Wort von dem Augurenlachen bei Cicero überliefert wird, sagt der Sprecher, selbst ein Oberpriester, geradezu, daß dem Volke die Religion mit allem Zubehör erhalten werden müsse, daß er aber nicht einmal an das Dasein der Götter glauben könne; in vertrautem Kreise dürfe man das ruhig aussprechen. Noch einmal: wo der Unglaube bestraft wurde, da geschah es gewiß nicht mit dem guten Gewissen des späteren christlichen Eifers; schon unter Tiberius konnte, vielleicht auch schon ironisch, der Grundsatz aufgestellt werden: um Gotteslästerungen mögen sich die Götter kümmern ( Deorum injurias Diis curae). Trotzdem nun die römische Philosophie wahrlich nicht neuerungssüchtig war, richtete sich der Absolutismus der Machthaber bald, wie schon erwähnt, gegen einzelne Philosophen. Es ist nicht richtig, wenn man da bestimmte Philosophenschulen nennt; nicht bestimmte Lehrsätze wurden angeklagt, sondern diejenigen Charaktere unter den Philosophen, die aus dem einen oder anderen Grunde dem Absolutismus gefährlich schienen. Höchstens könnte man sagen, daß es unter den Opfern der Kaiser viele Stoiker gab, doch nur darum, weil die stoische Moral von ihren Bekennern einigen Bekenntnismut verlangte. Der Mut war unbequemer als das Bekenntnis. Ein unklarer Skeptiker wie Cicero, ein viel klarerer Skeptiker wie Cotta durften ihre Verachtung des Volksglaubens lange unbehelligt vortragen; vorsichtige Skepsis, die zuletzt ihre Verbeugung vor Einem Gotte und Einem Kaiser machte, wurde geduldet. Unfreundlicher wurden die Kyniker angesehen, aber nur darum, weil ihr Hang zur Unabhängigkeit und ihre starke und oft witzige Ausdrucksweise sie leicht zu Angriffen gegen die Machthaber verführte; auch haßte man ihre asketische Lebensweise und die Kapuzinerpredigten, die den genußsüchtigen Hofleuten ein immerwährender Vorwurf waren.

Nicht viel anders als im siècle Louis XV. waren die meisten römischen Schriftsteller der Kaiserzeit Epikureer; das Dasein der Götter wurde nicht mehr geradezu in Frage gestellt (wie es noch von Lucretius geschehen war), aber da dogmatisch die Unsterblichkeit der Seele geleugnet wurde, ebenso dogmatisch jeglicher Anteil der Götter an einem Weltregiment, da ferner die Epikureer Feinde des Volksglaubens und insbesondere der Wahrsagerei waren, so hätte diese Schule die ärgste Verfolgung von seiten der Reaktion verdient, wie sie ihr denn fünfzehnhundert Jahre später nach dem Wiederaufleben des Epikureismus von den christlichen Gewalten zuteil wurde. Schon damals galten die Epikureer (sehr mit Unrecht) für Genüßlinge; lebensfreudige Menschen schienen dem Staate nicht gefährlich. Umgekehrt ging es – wie schon erwähnt – den Stoikern oft schlecht, trotzdem sie, in Griechenland und später in Rom, im Prinzip wenigstens eine persönliche Weltregierung lehrten und ein höchstes Wesen anerkannten, freilich die Volksreligion durch rationalistische und skeptische Deutungen und durch ihre Aufstellung eines unbeugsamen Fatums doch wieder gefährdeten. Das hätte man ihnen ebenso durchgehen lassen wie den Epikureern ihren Spott über die Religion, wenn die Stoiker nicht moralische Rigoristen gewesen wären, wenigstens in ihren Worten, und nicht in diesem Sinne auf das Staatsleben hätten einwirken wollen. Sie waren politische Doktrinäre, waren stolz auf den Tyrannenmörder Brutus, und wenn sie nicht geradezu die Wiederaufrichtung der alten Republik verlangten, so verlangten sie doch einen Rechtsstaat. Seneca und alle seine stoischen Gesinnungsgenossen waren Männer der Opposition, kritisierten die Regierung und verteidigten fortschrittliche Neuerungen. Bei einer Vergleichung mit der französischen Aufklärungszeit wäre es einer Bemerkung nicht unwert, daß diese von den meisten Kaisern bestgehaßte Philosophenschule eine Moral predigte, die der besseren Moral der christlichen Zeit ziemlich nahekam, und daß sie gerade darum mit Mißtrauen betrachtet wurde.

Sieht man von der Zugehörigkeit zu einzelnen philosophischen Schulen ab, so darf man wohl sagen, daß die gebildete Oberschicht in der römischen Kaiserzeit entweder atheistisch oder doch sehr lau im Glauben war. Schon tauchte der unhistorische Verdacht auf, der dann im 18. Jahrhundert so breit vorgetragen wurde: die Religionen seien von politischen Betrügern erfunden worden. Vielfach gelehrt wurde (wofür ich mich nicht bloß auf Kirchenväter berufen könnte), daß es eine dreifache Quelle der Religion gebe: die Dichtungen mit ihrer volkstümlichen Mythologie, den natürlichen Verstand und das Staatsgesetz. Man achte darauf, was nicht erst gesagt zu werden braucht und doch einen entscheidenden Unterschied gegen die christliche Zeit bedingt, daß eine Offenbarung als Religionsquelle gar nicht in die Vorstellung kam; daß also, wer den Poeten, den Naturphilosophen und den Gesetzen ihre Götter nicht glaubte, sich viel friedlicher als unter Christen zu einem oberflächlich skeptischen Agnostizismus bekennen durfte. Und weil es eben keine offenbarten Dogmen von einem allweisen und allgütigen Schöpfer gab, darum war auch der Pessimismus und die Berufung auf die Fortuna als die oberste Weltregiererin (man denke nur an den älteren Plinius), war das Verwerfen alles Wunderglaubens noch keine Ketzerei in christlichem Sinne, konnte auch von frömmelnden Kaisern lächelnd geduldet werden, insolange diese gebildeten Aufklärer sich um Politik nicht kümmerten. Auch in der Neuzeit wurde ja die politische Gefährlichkeit der Aufklärung oft zum Vorwande genommen, um Freigeisterei zu unterdrücken; in der Kaiserzeit war es kein Vorwand; in Wirklichkeit galt der Kampf nicht den religiösen, sondern nur den politischen Freidenkern. Den Philosophen und sehr bald auch den Dichtern, die wie gewöhnlich die neuesten philosophischen Gedanken ins Volk trugen, zu einem Epigramm konzentriert oder auch wohl verwässert, je nachdem. Auch bei den Dichtern war Atheismus und Indifferentismus, Pessimismus und Zufallslehre, Spott über Himmel und Hölle in bunter Auswahl zu finden.

Die Kaiser, ob sie nun persönlich ein gutes oder ein schlechtes Beispiel gaben (die Wahrheit über die Charaktere der meisten römischen Kaiser wird schwerlich je zu erfahren sein, es ist nur eine andere Mythologie als die der römischen Könige), wurden nicht müde, die Sitten durch den Glauben zu verbessern. Sie benahmen sich dabei wunderlich genug: gerade die Satiriker, denen es ernst war mit ihrem Kampfe gegen die geschlechtliche Perversität und gegen die Geldkrankheit der Zeit, waren den Kaisern unbequem. Die besten Satiriker rechneten sich zu den Stoikern, waren politische Naturen und richteten ihre Angriffe – offen oder versteckt – gegen den Cäsar, den Monarchen. Die Satiriker waren also verdächtig, wenn sie nicht so feige Schelme waren wie Martialis. Um so wohlgelittener waren die eigentlichen Dichter, Epikureer oder Kyniker, die dem Hofe schmeichelten und zum Ersatz dem Volke hie und da etwas zu lachen gaben. Wollte man sich auf den moralischen Standpunkt stellen, so wäre Horatius tiefer zu stellen als die anderen, weil er die Beräucherung des Hofes und die Verführung des Volkes mit bewußter Überlegenheit geübt zu haben scheint.

Der Hof, in dem sich nun etwa fünfhundert Jahre lang die römische Regierung verkörperte, zeigte in dem ganzen ungeheuren Wechsel dieses Zeitraums, also von dem republikanischen Formelkram des Augustus bis zu der orientalischen und christelnden Despotie des Verfalls, immer wieder das Bestreben, den Schein einer konservativen Gesinnung aufrechtzuerhalten. In Wirklichkeit war die Opposition konservativ, in den Fragen der Sittlichkeit, des Glaubens und der Politik. Hof und Opposition gingen bezüglich der Sittlichkeit und der alten republikanischen Volksrechte schroff auseinander; bezüglich der Religion behaupteten beide solange, das gleiche Ziel zu verfolgen, bis die große Revolution, die man den Sieg des Christentums nennt, allen Versuchen einer Konservierung des alten Glaubens ein Ende machte. Wir werden nachher kurz erwähnen, wie dieser Sieg des Christentums den letzten Heiden als ein Sieg des Atheismus erschien und wie krampfhaft Julianus der Abtrünnige, der richtiger der Getreue heißen sollte, dagegen reagierte.

Wir sind weit vorausgeeilt. Die konservative, der Orthodoxie freundliche Gesinnung der Kaiser unterschied sich schon unter den Juliern dadurch etwa von der Reaktion unserer Zeit, daß z. B. die Offiziösen des 1. Jahrhunderts keinen Anstoß daran nahmen, wenn sie in der einen Zeile das Priestertum verteidigten, in der anderen ihre Zweifel am Dasein der Götter aussprachen. So bekannte sich der Hofhistoriograph Vellejus Paterculus zu einem Glauben an Wunder, Wahrsagungen und Gebete, ließ es aber offen, ob ein Gott oder der Zufall die Welt geschaffen hätte. So predigt dieser Schulmeister nicht viel später den Götterkult, versteigt sich dabei in seinem Servilismus so weit, die Cäsaren für die gewissesten Götter zu erklären (weil die Römer sich diese selbst gegeben haben), hat aber kein Bedenken, die Zusammenkünfte des Königs Numa mit der Göttin Egeria für einen Betrug des Königs auszugeben. In der offiziösen Staatszeitung wurden kirchliche Nachrichten mitgeteilt, an denen die gebildete Oberschicht längst keinen Anteil nahm; in den Staatshaushalt wurden Summen für äußerliche Kirchenzwecke eingestellt, die die Vertreter des Volkes und der Ritterschaft niemals bewilligt hätten. An dem Servilismus gegen die Glaubensheuchelei der Cäsaren hatten nun die Philosophen fast niemals teil; so kam es, daß deren Verfolgung mehr und mehr zur Regierungsmaxime wurde, je mehr diese kaiserlichen Revolutionäre den Schein zu wahren suchten, ihr Despotismus schützte das Alte und müßte darum alle Neuerer austilgen.

Soweit war es schon unter Nero gekommen; Nero, als Prinz ein Schüler der Stoiker, als junger Regent ihr boshafter Genosse, wurde langsam der Todfeind seiner Lehrer. Bekannt ist der »Märtyrertod« des geistreichen und immerhin seiner Rolle getreuen Seneca; der Geist der antiken Welt umschwebt dieses nach dem Vorbilde des Sokrates theatralisch eingerichtete und trotzdem eindrucksvolle Sterben. Wie bedenklich es ist, die Moralpredigten der vorchristlichen Zeit in die christliche Sprache zu übersetzen, wäre aus der Behandlung deutlich zu machen, die Seneca durch christliche Beurteiler erfuhr; nur daß die ganze Geschichte noch mehr grotesk als belehrend ist. Atheistenriecher und Aufklärer haben den Seneca, der ein Stoiker war, übrigens aber auch andere philosophische Richtungen gelten ließ, um einiger pantheistischer Redensarten willen zu einem Atheisten gemacht, allerdings erst im 17. und 18. Jahrhundert; den Enzyklopädisten gar galt Seneca für einen großen Denker. Im 4. Jahrhundert jedoch glaubte man dem Gerede, dieser selbe Seneca wäre ein heimlicher Christ gewesen, wäre vom heiligen Paulus getauft worden, glaubte sogar an die Echtheit der zwischen Paulus und Seneca gewechselten Briefe. Es gibt eine ganze widerliche Literatur über die Christlichkeit des Seneca und über seinen Briefwechsel mit dem Apostel Paulus; für den Glauben war nichts zu dumm. Der heilige Hieronymus selbst zweifelte nicht an der Echtheit dieser plumpen Fälschung, welche die Romreise des heiligen Paulus beweisen sollte. Für eine Zeit, die mit fast kindlicher Verlogenheit auch Briefe von Jesus Christus und von Maria fälschte, kann ein solcher Briefwechsel zwischen Paulus und Seneca gar nicht auffallen; wer es für einen bloßen Zufall erklären wollte, daß diese gefälschten Briefe nicht in den Kanon gekommen sind, daß Seneca nicht ein christlicher Märtyrer und Heiliger geworden ist, der würde auch von den freisinnigsten protestantischen Theologen getadelt werden. Ich wollte auch nur hervorheben, daß das Moralpredigen der Stoiker dem christlichen Moralpredigen zum Verwechseln ähnlich war und sich dennoch recht gut mit einer kosmischen Anschauung vertrug, die anderthalb Jahrtausende später bei Freidenkern und Orthodoxen den Eindruck von Pantheismus oder Atheismus machte. Bald darauf wurde einfach jedes Philosophieren in Rom verboten. Immer wieder kamen für die Bekenner der Philosophie mildere Zeiten, immer wieder wurden sie verfolgt oder vertrieben; unter Domitianus gab es eine kurze Zeit der äußersten Bedrängnis, unter Nerva setzte eine längere Epoche der Duldung ein.

 

in Tyrannos

Aber auch im 2. Jahrhundert und auch unter philosophischen Kaisern hörte die Bedrängnis der Gedankenfreiheit selten auf, nur daß die Angriffe sich weniger gegen die philosophischen Lehrmeinungen richteten als gegen die Rhetoren, die nach griechischem Muster in der Beredsamkeit unterrichteten als in einer Kunst, die in einem freien Staate jedem Staatsbürger Ehre machte. Man hat zwischen dem Rednerstil etwa eines Cicero und dem Stile des Quintilianus unterscheiden zu müssen geglaubt; ganz richtig, wenn es sich um die Geschichte des Geschmacks oder der Sprache handelt. In der Hauptsache waren aber diese Rhetorenschulen, vom Standpunkte unserer Zeit beurteilt, in pädagogischer Beziehung gleich abscheuliche Lehranstalten. Die Gemeinplätze, um die herum der Jüngling damals seine Rede aufbauen mußte, waren denn doch noch gekünstelter und dümmer als die oft verspotteten Themen unseres deutschen Aufsatzes, der übrigens geradeswegs von jenen abgeschmackten Übungen herstammt. Da gab es aber unter den weltfremden Redeübungen eine Gruppe, die wenigstens mit der Vergangenheit, mit der römischen Geschichte in enger Beziehung stand und die nach altem Herkommen in den Schulen als letzter Rest des Römergeistes ausrechterhalten wurde: die Lobpreisung des Tyrannenmordes. In der Geschichte der Gedankenfreiheit ist diese Erscheinung unerhört, daß nämlich zu gleicher Zeit jedes Scherzwort gegen den just lebenden Cäsar mit der äußersten Gefahr verbunden war und doch in der Schule solche allgemeine Aufsätze geduldet und gepflegt wurden. Die Seltsamkeit der Erscheinung vermindert sich nicht dadurch, daß die Themen mit hervorragender Geschmacklosigkeit ausgeklügelt waren. Ich will einige Beispiele geben. Soll ein vom Blitze getroffener Tyrann nach dem Gesetze über Blitzschläge auf der Stelle beerdigt oder soll die Leiche nach dem Gesetze gegen die Tyrannen über die Grenze geworfen werden? Ein Tyrann flüchtet in ein Privathaus; der Verfolger zündet das Haus an und erhält für den Tyrannenmord den Ehrenpreis; wird der Hauseigentümer den Mörder mit Erfolg auf Schadenersatz verklagen können? Ein Tyrann hat sich selbst getötet; soll für ihn das Ehrenbegräbnis für Tyrannenmörder gefordert werden? Ein Arzt reicht dem Tyrannen Gift; der Tyrann wünscht von einem zweiten Arzte ein Gegenmittel, erhält aber ein noch stärkeres Gift; welcher von den beiden Ärzten verdient den Ehrenpreis? Ich mache da wieder auf einen Unterschied zwischen der römischen und der christlichen Welt aufmerksam. Als der Tyrannenmord im 16. Jahrhundert wieder ein beliebtes Thema wurde und die sogenannten Monarchomachen in Frankreich, Schottland und Spanien den politischen Mord verteidigten, legten sie zwar den Grund zu den demokratischen Revolutionen in England und in Frankreich; aber ihre Gründe waren kirchliche Gründe, ihre Beispiele holten sie vielfach aus der Bibel; im Rom der Kaiserzeit war es einfach eine politische Frage.

Da nun aus den Rhetorenschulen, in denen ein solcher Geist herrschte, die führenden Männer der Armee und der Verwaltung hervorgingen, war es kein Wunder, daß die öffentliche Meinung ein Gemisch von Tyrannenmordlust und Feigheit wurde. In kritischen Augenblicken pflegte die Mordlust über die Feigheit zu siegen. Darum ließen es sich die Kaiser angelegen sein, auch schon die Julier, den Rhetoren das Handwerk zu legen; und zwischen Rhetoren im besonderen und Philosophen im allgemeinen wurde nicht genau unterschieden. Augustus bereits war gegen den Historiker Labienus vorgegangen; war doch die jüngste Vergangenheit, die Ermordung Julius Cäsars, in objektiver Darstellung gar bedenklich. Caligula und Nero duldeten die Deklamationen gegen die Tyrannen nicht, ohne eigentlich ein Gesetz gegen die Gedankenfreiheit vorzuschlagen oder durchzusetzen. Erst Vespasianus kam auf den ganz modernen Einfall, den tyrannenmörderischen Schulaufsätzen oder Deklamationen auf einem Umwege ein Ende zu machen. Den Rhetoren, die bis dahin in Elend und darum in Verachtung gelebt hatten, sollte eine Besoldung ausgesetzt werden. Quintilianus schon war ein solcher ordentlicher Professor ohne subversive Tendenzen. Die hergebrachten Anspielungen auf die große Zeit und die großen Männer der römischen Republik hörten zwar niemals ganz auf, aber philosophisch gebildete Kaiser konnten ohne jede Furcht die Vorlesungen selbst besuchen und sich, wie sie von jeher die Beschützer des Kultus waren, auch noch zu Beschützern des Unterrichts aufwerfen. Etwa von der Mitte des 2. Jahrhunderts an war der Sieg der Monarchie über die Philosophie, die Schule und die Denkfreiheit entschieden, vielleicht gerade durch die besseren Kaiser; hatte man vorher in Schulaufsätzen über den Tyrannenmord gewetteifert, so wetteiferte man jetzt in Schmeicheleien, die von Jahrhundert zu Jahrhundert mehr die niedrigsten orientalischen Formen annahmen.

 

Christenverfolgungen

Es gab am Ende keine Philosophen mehr, die zu verfolgen gewesen wären. Die Christenverfolgungen setzten ein. Sie unterschieden sich durch nichts von den früheren politischen Verfolgungen der Philosophen und Rhetoren: weder durch Konsequenz, noch durch Massenhaftigkeit. Auch ist es für den politischen Charakter dieser fast immer falsch dargestellten Verfolgungen beachtenswert, daß den Christen gerade in der schlimmsten Zeit ja besonders ihre Weigerung zum Vorwurfe gemacht wurde, dem lebendigen Kaiser eine religiöse Verehrung zu bezeugen; in diesem Punkte war nämlich ein gründlicher Wandel eingetreten, und die Kaiser, welche einst erst nach ihrem Tode mit mehr Höflichkeit als Andacht unter die Götter versetzt worden waren, wurden etwa zu der Zeit der Christenverfolgungen nur noch bei Lebzeiten vergottet, so sehr, daß es (wie nach der Ermordung (?) des Maximinianus) nach dem Tode eines Kaisers sofort zu einer schimpflichen Zertrümmerung seiner Götterbilder kam.

Was nun die Inkonsequenz der Kaiser gegen die Christen betrifft, den Wechsel zwischen Strenge und Duldung, so ist wieder an die Verhältnisse der Juden im heutigen Rußland zu erinnern. Unter den Nachfolgern des Severus besaßen die Christen länger als ein Menschenalter volle Religionsfreiheit. Wie schon unter Commodus eine kaiserliche Mätresse die Christen beschützt hatte (die Mätressen sind auch in Frankreich oft fortschrittlich gewesen), so wurde unter Alexander Christus selbst durch weibliche Einflüsse zum Range eines der großen Philosophen erhoben. Auf Jahre der Begünstigung folgten dann in der Regel Jahre der Bedrückung; ja, man kann die romantische Rückkehr zum Heidentum unter Julianus, die aber keine Christenverfolgung war, auch als eine solche Reaktion gegen die letzte und entscheidende Christlichkeit des Constantinus auffassen. Und diese Reaktionen hatten ihren Rückhalt bei der römischen Oberschicht, besonders bei den recht gottlosen Philosophen, die über die Ausbreitung der christlichen Gemeinden oder über ihre staatsgefährliche Organisation oder über ihre ganz fremdartige Moral von Zeit zu Zeit in Schrecken gerieten. Selbst die vielberufene Verfolgung unter Diocletianus war nur eine dieser Reaktionen, diesmal eine vom Mitregenten durchgesetzte Reaktion gegen die vorhergegangene Duldung durch diesen Kaiser. Und auch diese Verfolgung war nicht allgemein, war nicht in allen Provinzen gleich heftig, und eben der Mitregent Galerius, der die Unterdrückung der Christen angeordnet hatte, nahm in einem sehr diplomatischen Edikte die Strafbefehle wieder zurück; ja dieses Edikt gab den Christen schon so gut wie völlige Religionsfreiheit, so daß Constantinus fast nur durch seine späte Annahme der Taufe in der Begünstigung noch weiter ging; schon nach dem Edikte des Galerius durften und sollten die Christen zu ihrem Gotte für den Kaiser und für das Reich beten.

Mit diesem Wechsel zwischen Strenge und Duldung hängt es zusammen, daß die Opfer der Christenverfolgungen bei weitem nicht so zahlreich waren, wie die Kirchenschriftsteller einander nachschrieben. Die zeitgenössischen christlichen Autoren waren so unkritisch und so leichtgläubig, waren endlich so parteiisch, daß es unhistorisch wäre, ihnen bei jeder Unwahrheit eine bewußte Fälschung vorzuwerfen. Sicherlich wurden viele Christen hingerichtet, viele nach den brutalen Sitten der Zeit auch gemartert; aber die Zahl der Opfer und auch die Furchtbarkeit der Todesqualen reicht nicht entfernt an das heran, was tausend Jahre später die christliche Kirche gegen Andersgläubige zu unternehmen begann. Von den Erkenntnisgründen gegen die Wahrheit der Verfolgungsgreuel will ich nur einen erwähnen; es wurden zahllose Wunder berichtet, welche abgehauene Glieder der Märtyrer nachwachsen ließen; wir sind geneigt, es für wahrscheinlicher zu halten, daß solche Glieder gar nicht abgehauen worden waren. Wir erleben es in Kriegszeiten auch noch in unserer kritischeren Zeit, wie jede Partei die Greueltaten des Feindes maßlos übertreibt.

Der antichristliche Gibbon ließ es sich angelegen sein, die Anzahl aller Märtyrer in sämtlichen Christenverfolgungen ungefähr zu berechnen, und gelangte zu einer erstaunlich geringen Ziffer; bei der Unsicherheit solcher Angaben ist es besser, auch an seine Ziffer nicht zu glauben; die Überzeugung aber, daß die von der Kirche angenommene Zahl der Märtyrer viel zu groß, unsinnig groß sei, läßt sich seit Gibbon nicht mehr erschüttern.

Für das Vorgehen der alten christlichen Geschichtschreibung ist es da bezeichnend, daß sogar die Zahl der Verfolgungen, über die seit dem 5. Jahrhundert wie kanonisch berichtet wird, eine Erfindung war, eine Konstruktion, wenn man lieber will. Nicht nach Tatsachen, sondern nach einem beliebten rhetorischen Vergleiche mit den zehn ägyptischen Plagen und mit den zehn Hörnern bei Daniel wurde die runde Zahl von zehn Verfolgungen angenommen.

Kaiser und Statthalter gingen gegen die Christen oft mit mehr Verachtung als Strenge vor; es gab viele Verurteilungen zu Gefängnis oder Verbannung, und auch diese Strafen wurden oft bei allgemeinen Amnestien wieder aufgehoben; die feierliche Bestattung christlicher Opfer wurde gelegentlich geduldet; Trajanus schützte die Christen durch einen gesetzlichen Prozeß, durch den jedes »inquisitorische« Verfahren verboten wurde. Dieser Prozeß gegen Andersgläubige war bei den Römern recht human, wenn man ihn mit den christlichen Prozessen gegen Ketzer und Hexen vergleicht. Eine Rückfrage des jüngeren Plinius, des Statthalters von Bithynien, beweist mindestens, daß es zu dieser Zeit noch keine strengen Gesetze gegen die Christen gab, und daß Plinius rücksichtsvoll vorgehen wollte.

Diese bei so rauhen Sitten oft überraschende Milde der Behörden ist um so erstaunlicher, als die Kaiser sich da zu Zeiten der Wut der öffentlichen Meinung entgegenstemmen mußten (Hadrianus, Antoninus Pius); das Volk benützte nicht nur Unglücksfälle, wie Pest und Hungersnot, sondern auch die großen Festspiele, um blutgierig nach christlichen Opfern zu schreien. Die milde Festigkeit der Kaiser erscheint um so erstaunlicher, als die sinnlosesten Anklagen gegen die Christen nicht nur vom Pöbel ausgingen, sondern es immer mehr Brauch wurde, daß eine christliche Sekte die andere perverser Verbrechen anklagte; Promiskuität des Geschlechtsgenusses und Ermordung von Kindern zum Zwecke eines abergläubischen Blutkultus (heute in Rußland gegen die Juden ausgenützt) spielten bei diesen gegenseitigen Hetzereien eine bedeutende Rolle. Oberflächliche Richter hätten leicht glauben können, daß bei solchen gegenseitigen Vorwürfen die Wahrheit herauskäme; es ist anzuerkennen, daß sie diesen Fehler selten begingen. Die Kirchenschriftsteller aber setzten bei den polytheistischen Kaisern und Statthaltern den Haß voraus, der sie selbst gegen andere Sekten ihres eigenen Glaubens beseelte; und so berichteten sie ebenso leichtfertig wie über die Perversitäten der Ketzer über nie erlebte Greuel der Verfolgung.

 

Vernunft in der Geschichte

Bei dieser kurzen Rückschau über die Glaubenskämpfe der Römerzeit mag mancher Leser sich der beiden Sätze erinnert haben, mit denen eine christelnde und dann wieder eine antichristelnde Kulturgeschichtsschreibung diese Dinge zusammenzufassen liebt: daß der antike Polytheismus einem allgemeinen Unglauben gewichen war und dadurch der leere Raum vorbereitet war für die Aufnahme des jüdisch-christlichen Monotheismus; und daß wir heute wieder in einer solchen Zeit leben und das Christentum einer neuen Religion Platz zu machen habe. Ich glaube vorurteilslos genug zu sein, um beide Sätze für falsch oder doch bedenklich erklären zu dürfen; beide Sätze verraten die Neigung, den Zweifel an einem alten Glauben als eine rein zerstörende Geistestätigkeit zu verachten und die Forderung eines Neubaus aufzustellen. Beide Sätze legen in die geschichtliche Entwicklung eine Vernunft hinein, eine vernünftige Absicht, eine Philosophie der Geschichte, also doch wohl den Willen eines weisen Gottes, eine Vorsehung, die eben von der antiken und jetzt von der gegenwärtigen Freidenkerei geleugnet worden ist.

Was den griechischen und römischen Atheismus betrifft, so konnte er gar nicht, weil es im Altertum eine Kirchenlehre nicht gab, eine bloße Negation von Dogmen sein; er war nur die Kehrseite, die negative Nebenwirkung des langsam erstarkten wissenschaftlichen Denkens. So kritiklos, so kindlich Geistes- und Naturwissenschaften damals im Vergleiche mit den unseren waren, so reichten sie dennoch in den Jahrhunderten um den Beginn unserer Zeitrechnung bereits hin, um die Volksreligionen zu überwinden, die veralteten Märchen und Träumereien, mit denen man vor jeder Wissenschaft Ursprung und Einrichtung der Welt zu erklären gesucht hatte. Ein leerer Raum, der auszufüllen gewesen wäre, war gar nicht vorhanden. In unaufhörlichem Wechsel entstanden, von den Naturphilosophen des 6. Jahrhunderts v. Chr. bis auf den heutigen Tag, immer neue Hypothesen, nicht so sehr den Ursprung der Welt zu verstehen, als die sittlichen Einrichtungen der Welt zu begründen; und wie das zu geschehen pflegt, erbten sich die Worte der letzten Hypothese in der nächsten Hypothese fort. Auch die im Ausgang des Altertums bei den Gebildeten vielfach verbreitete Meinung, die vielen Götter der Volksreligion seien durch die Vorstellung von einem einzigen Göttlichen zu ersetzen, waren so ein ererbtes Wort, das man für den Ausdruck einer angeborenen Idee hielt. Doch selbst über die Wirklichkeit dieser Idee, wir sagen jetzt: des Daseins Gottes, konnte frei gestritten werden ohne Haß und ohne Eifer. Der Agnostizismus, dieser mühsam erkämpfte letzte Standpunkt unserer Aufklärung, war den Römern eigentlich ohne Kampf zur Überzeugung geworden, war ihnen selbstverständlich, seitdem sie eklektische Bildung aus allen philosophischen Schulen naschten. Die Philosophie, welche von den christlichen Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte gelehrt wurde, knüpfte an die Hypothese von dem einen Göttlichen an und unterschied sich von der Hypothese etwa der Stoiker zunächst nur dadurch, daß dieses Göttliche seinen Namen von dem leidenden Heros empfing, überhaupt wieder einen Namen empfing und dadurch aus dem philosophischen Denken wieder hinaustrat. Es lag nicht in einer Vernunft der Geschichte, daß diese christliche Hypothese zu der neuen Weltreligion werden mußte. Die römische Kultur hätte sich gradlinig fortentwickeln können, auch nachdem der Polytheismus durch das bißchen Philosophie und Moral verdrängt wurde, das von den Griechen auf die Römer gekommen war. Nur ein Zufall der Weltgeschichte hat das römische Reich vernichtet, hat die Barbaren zu Herren der alten Kulturländer gemacht; und erst die Barbaren haben die christliche Hypothese als eine Erklärung der Welt und der Unterwelt schwärmerisch ergriffen und dann zu dem System einer neuen Weltreligion ausgebaut. Die hohe Kultur der römischen Kaiserzeit hatte sich recht gut fast ohne Religion beholfen.

Damit habe ich schon ausgesprochen, warum auch der zweite Satz trügt, der die Ähnlichkeit zwischen der alten und der jetzigen Religionslosigkeit behauptet. Heute leben wir in einer Heuchelei, derengleichen die Menschheit niemals gekannt hat. Auf der einen Seite steht eine namenlose Macht, die Kirche, die von einem ganzen Heere mittelbar oder unmittelbar besoldeter Anhänger verteidigt wird; Nichtheuchler sind allein die Gläubigen; die kirchlichen Politiker, zu denen auch die meisten weltlichen Staatsmänner gehören, reden immer von der überirdischen Kirche, um die irdische Kirche aufrechtzuerhalten. Auf der anderen Seite stehen vielzuviele Freigeister, die sich als Antichristen aufspielen, jedoch das Erbe aller christlichen Moralbegriffe angetreten haben und großen Zulauf gewinnen durch ihre wortreichen Versprechungen, einen Religionsersatz zu schaffen, eine neue Religion aus der Tiefe des Gemütes zu erfinden. Man gilt für einen schlechten Menschen, wenn man nicht verspricht, wenigstens den lieben Gott aus dem alten Glauben in den neuen hinüberzuretten. Die Religionsstifter sind zahlreich geworden, in Bezirksvereinen und auf Universitäten; sie lehnen mit mehr oder weniger Tapferkeit das Wort Gottes ab, aber sie halten sich mit mehr oder weniger Klarheit an das Wort Gott. Gottlosigkeit zu bekennen ist heute nur noch demjenigen gefährlich, der vom Staate versorgt werden will; die Heuchelei ist aber noch die gleiche wie im 18. Jahrhundert, wo das Bekenntnis zum Atheismus zwar nicht mehr den Feuertod, aber doch Gefängnis zur Folge haben konnte. Diese Heuchelei, nämlich das unehrliche Bekenntnis zu kirchlichen Dogmen, war dem gesamten Altertume fremd; wenn da von der Heuchelei einer bestimmten philosophischen Sekte geredet werden kann – wie es oft den Stoikern gegenüber geschah –, so handelt es sich um etwas ganz anderes: um die Proklamierung eines Tugendideals, das zu erreichen über Menschenkraft geht; die berühmten römischen Stoiker, und die meisten politischen Persönlichkeiten Roms sind Stoiker gewesen, mochten ihre Rednerei übertreiben bei der Verkündigung ihrer sittlichen Grundsätze, sie mochten in Theatralik verfallen, wenn das Schicksal die Anwendung dieser Grundsätze von ihnen verlangte, aber sie wußten doch mit einem gewissen Anstande für ihre Überzeugung zu sterben.

 

Cicero

Ich habe für den Zustand der allgemeinen Bildung der griechischen Blütezeit den Theaterschriftsteller Euripides zum Beispiele wählen können, weil sich an ihm besser als an den lehrhaften Philosophen die öffentliche Meinung beobachten ließ; noch näher liegt es, für die allgemeine Bildung der Römer, die niemals einen selbständigen Philosophen hervorgebracht haben, den sprachlich gewandtesten und durch seine Sprache nachwirksamsten Popularschriftsteller zum Vertreter zu wählen: den weltberühmt gewordenen Wortkünstler Marcus Tullius Cicero. Er starb, ebenfalls durch Mord, nur ein Jahr nach der Ermordung Cäsars; aber in den folgenden Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit hat sich, eben weil es einen philosophischen Geist in Rom nicht gab, an dem Verhältnisse der Vornehmen zu den letzten Fragen nicht viel geändert, auch dann eigentlich nicht, als die ersten Kirchenväter schon mit den Schlagworten der alten Philosophenschulen arbeiteten. Von der Rezeption der griechischen Philosophie durch Rom bis zum ersten Aufkommen einer dogmatischen christlichen Theologie, also über fünfhundert Jahre lang, gehörte es in Rom zum guten Tone, sich von griechischen Lehrern in der griechischen Philosophie unterrichten zu lassen, doch auf keines Meisters Worte zu schwören, vielmehr mit scheinbarer Überlegenheit alles zu prüfen und das Beste zu behalten. Von einer Sudelküche sollte man nicht sprechen, denn die verwöhnten Römer sahen auf Güte der Zutaten; immerhin lief der Eklektizismus auf ein solches Küchenrezept hinaus. Und weil die Beschäftigung mit der Philosophie mehr Mode als Herzenssache war, hielten sich die römischen Schriftsteller lieber an die Nachfolger der ausgezeichneten griechischen Philosophen als an diese selbst. So war es nach der Eroberung Griechenlands, so war es unter den Antoninen, so war es ungefähr in der Mitte dieses Zeitraums, als Cicero den kühnen Plan faßte, die ganze griechische Philosophie ins Lateinische zu übersetzen. Die sogenannten Schulen, aus denen die Römer ihre Weisheit holten, waren die späten Epikureer, die späten Stoiker und die späten Skeptiker; die Epikureer mit ihrer Anpreisung eines vernünftigen Lebensgenusses und die Stoiker mit ihrer Verherrlichung eines verstiegenen Tugendbegriffs waren einander spinnefeind, obgleich beide Richtungen mit Verzicht auf tiefere Erkenntniskritik den gesunden Menschenverstand zum Ausgangspunkte nahmen; nur die Skeptiker hatten sich etwas von der alten philosophischen Methode bewahrt, wenn auch ihre Fragen von der Abgründigkeit der modernen Skepsis, der von Hume, weit entfernt waren. Doch nur die Lehrer, die aus der Philosophie eine Profession machten, nannten sich entschieden nach einer dieser Schulen; die gefeiertsten Dichter und Schriftsteller, wie Horatius und Cicero, waren Eklektiker, bei aller Vorliebe für den Skeptizismus.

Wir haben es nur mit der Stellung zu tun, welche diese Schulen zu der Religion hatten; und da herrschte zwischen den ungleichen Schulen, wenn man sich nur von den falschen Übersetzungen einer christelnden Philosophiegeschichte nicht täuschen lassen will, doch eine merkwürdige Übereinstimmung. Ich möchte diese Übereinstimmung durch die dreimalige Änderung eines gegenständlichen Bildes deutlich machen. Alle drei Schulen wollten sich in der Welt wie in einem ungeheuren Gebäude zurechtfinden. Die Epikureer leugneten die Götter nicht geradezu, lachten aber über die Vorstellung, die Götter wären die Herren des unübersehbaren Palastes; wenn die Götter überhaupt existierten, so saßen sie müßig irgendwo in einem unzugänglichen Festsaale oder in einer versteckten Bodenkammer, in ihrem Austragstübl. Die Stoiker sprachen viel und gern von den Göttern oder schon ganz deistisch, um nicht zu sagen pantheistisch, von dem Gotte; der aber trieb sein Wesen irgendwo in dem Gebäude, bei hellem Tageslichte unsichtbar, als ein Geist oder Gespenst, schreckte die Bösewichter, wies den Tugendbolden geheime Schätze und hatte gar keine Ähnlichkeit mit irgendeinem Gotte der Volksreligion. Die Skeptiker endlich zerstörten das ganze Gebäude der Welt und ihrer Erkenntnis von Grund aus und beachteten es kaum, ob bei dieser Vernichtungsarbeit neben den Prunkräumen der Wissenschaft und der Moral auch die unscheinbare Götterkapelle zusammenfiel. Keine dieser Schulen konnte in dem Gebäude eine Kirche erblicken, ein Haus Gottes, das andächtige Unterwerfung oder grimmigen Haß verlangte. Ich glaube nicht zu weit zu gehen, wenn ich eine solche Stellungnahme zur Religion in dem Buche finde, das Cicero »über die Natur der Götter« oder über das Wesen der Gottheit um die Zeit von Cäsars Ermordung geschrieben hat.

In einer Geschichte der Philosophie würde Cicero keinen Platz verdienen, höchstens in einer Geschichte der Geschichte der Philosophie und in einer Geschichte der philosophischen Kunstausdrücke; er, dessen Eitelkeit beinahe noch größer war als sein Nachruhm, hatte ja zugestanden, daß er von den Griechen abhängig war, arm an eigenen Gedanken, reich nur an ungeprägten Worten. Und als Aufklärer würde Cicero erst recht nicht genannt werden, wenn er erst nach dem Siege des Christentums gelebt hätte; er war nicht Charakter genug, um sich zu einer gefährlichen Wahrheit zu bekennen; wobei ich die Frage gar nicht erörtern will, ob Cicero, seit der Renaissance vielleicht der meist gefeierte römische Schriftsteller, namentlich in Deutschland als tiefer Denker angestaunt, von den Historikern Drumann und Mommsen nicht über Gebühr herabgesetzt worden ist. Cicero war ein äußerst gebildeter, meinetwegen gelehrter Schönredner, der das Unglück hatte, eine politische Rolle spielen zu wollen, über Politik Reden halten zu wollen, während Julius Cäsar unerhörte Politik machte; an seiner Schwäche ist Cicero zugrunde gegangen, wie sechzehnhundert Jahre später sein Bewunderer Erasmus.

Gerade die Schwäche oder Feigheit Ciceros müssen wir uns aber vor Augen halten, wenn wir seine Stellung zur Atheismusfrage richtig beurteilen wollen. Daß eine so ängstliche Seele so frei über das Dasein der Götter plaudern konnte, ist mir ein neuer Beweis dafür, daß im Altertum selbst in den Zeiten, da die politische Freiheit Roms unterdrückt wurde, religiöse Gedankenfreiheit herrschte. Man stelle sich die Sachlage einmal vor und vergleiche sie mit den Möglichkeiten in einem christlichen Staate: der Herr der Welt ist ermordet worden und noch ist es ungewiß, ob die Regierung den Rebellen oder den Erben Cäsars zufallen wird; der Klug- und Schönredner Cicero ist ängstlich bemüht, sich nicht zu kompromittieren und für eine Weile vom politischen Schauplatze zu verschwinden; wie schon früher in einer kritischen Zeit flüchtet der politische Dilettant zu seiner anderen Liebhaberei, der philosophischen Schriftstellerei; und in dieser Gefahr veröffentlicht er nicht etwa irgendein harmloses Buch über die Rednerkunst oder über das höchste Gut oder über den Briefstil, sondern just eine Untersuchung über die Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht. Er mußte ganz sicher sein, er konnte ganz sicher sein, daß ihm weder die Partei des Cäsar noch die Partei des Brutus ein Bekenntnis zum Atheismus übel deuten würde. Daß jedoch Cicero sich in seiner Schrift »über die Natur der Götter« offen zum Atheismus bekennt, möchte ich noch zeigen und wieder hervorheben, daß dieser Atheismus im Altertum selbstverständlich nicht ein dogmatischer, d. h. antidogmatischer Atheismus war, sondern die völlige antike Gleichgültigkeit gegenüber der Frage nach der Wirklichkeit der sogenannten Götter. Das Buch Ciceros ist nach der beliebten Sitte der Alten als ein Bericht über ein Gespräch abgefaßt, über eine Art von Disputation zwischen einem Epikureer, einem Stoiker und einem Skeptiker; ich will mit Verzicht auf die sehr geringe dramatische Bewegung und auf die für uns ganz ungenießbaren mythologischen Anspielungen die Ansichten der drei Herren hintereinander im Zusammenhange vortragen; ich versichere, daß der Leser nichts dabei verlieren wird als etwa die Freude an schön gebauten lateinischen Perioden. Cicero glaubt übrigens, seine drei Religionsphilosophen als Häupter ihrer Schulen einführen zu müssen, mit liebenswürdiger Allerweltsgefälligkeit.

Der Epikureer behandelt leichten Herzens die ganze Volksreligion als einen Aberglauben. Er weiß von keiner Schöpfung, von keiner Vorsehung. Er erkennt Götter nur an, weil das Wort einmal vorhanden ist und der Sprachgebrauch das Vorurteil des Gottglaubens in uns erzeugt hat. Wenn aber Götter sind, so müssen sie auch körperliche Wesen sein, weil ein körperloses Etwas keine Sinne und keine Empfindungen haben kann, also auch keinen Verstand; wir können uns die Götter nicht anders als menschenähnlich vorstellen. Wollen wir diese Götter jedoch verehren, so müssen sie anders sein als die Menschen, die, von ihren Leibern abhängig, in unruhiger Geschäftigkeit dahinleben. Die Besonderheit der Götter besteht nun darin, daß sie keinen wirklichen Leib besitzen, kein wirkliches Blut, daß sie nur Scheinkörper sind, nur Schatten; und daß sie – im Gegensatze zu dem Tun der Menschen und zu den Fabeln der Dichter – in seliger Ruhe, unbekümmert um den Weltlauf, untätig, völlig müßig, ihr zweckloses Dasein genießen. Wirklich wie ein alter Bauer im Austragstübel die Arbeit eines neuen Geschlechts betrachtet.

Auch der Stoiker, der aber mit Pathos und mit dem Brusttone der Überzeugung redet, will auf den Ausdruck »Gott« nicht verzichten, und wenn er die Welt vergotten müßte; daß man eine ganze Menge von Gedankenwesen wie die Concordia oder Victoria zum Range von Göttern erhoben hat, stört ihn durchaus nicht, weil alle diese Allegorien ihn nur auf das Göttliche hinweisen, das als eine Weltseele im Weltall verborgen ist. Soweit klingt die stoische Lehre recht pantheistisch. Aber der immanente Weltgott gefällt sich nicht in dieser unpersönlichen Rolle; er will sich verzeigen, wirklich wie ein Gespenst in einem alten Gemäuer, und nimmt Persönlichkeit an, eine gespenstische Persönlichkeit, die Vorsehung spielt, die bösen Menschen schreckt, die guten durch allerlei Gaben erfreut, trotzdem jedoch feierlich die ausnahmslose Notwendigkeit des Naturgeschehens behauptet. Man glaubt oft, einen Aufklärer des 18. Jahrhunderts (etwa den offiziellen, seinen Zeitgenossen allein bekannt gewordenen Reimarus) über Teleologie und das Dasein eines menschenfreundlichen Gottes schwatzen zu hören. Und bei dieser Gelegenheit wird von Cicero, wenig frei nach Epikuros und Lucretius, der Beweis dafür erbracht, daß die Welt nicht durch einen blinden Zufall entstanden sein könne; so wenig wie ein großes Gedicht durch zufälliges Durcheinanderwerfen der Buchstaben. Ich habe an anderer Stelle (Wörterbuch der Philosophie, II, S. 577) die Torheit dieses ehrwürdigen Beweises deutlich zu machen gesucht.

Der Vertreter des Skeptizismus, in dessen Hause das Gespräch stattfindet, ist in einer eigentümlichen Lage, weil er selbst ein Geistlicher ist, ein Pontifex. Er würde sich hüten, öffentlich die Frage zu erörtern, ob es einen Gott gibt; in kleinem Kreise gibt er seine Zweifel zu und seine Überzeugung, daß dem Volke die Religion erhalten werden müsse. Des Cato Wort, ein Pfaffe könne den anderen nicht ohne Lachen ansehen, wird (wie mehr als einmal bei Cicero) angeführt, freilich hier auch auf die Philosophen angewendet. Epikuros selbst sei nur zu feige gewesen, das Dasein der Götter einfach zu leugnen. Gegen die Epikureer meint der Skeptiker, das Vorhandensein des Wortes Gott in der Menschensprache beweise nicht das Dasein der Sache, und die Annahme – der Epikureer und der Stoiker –, alle Menschen seien im Gottglauben einig, zur Stütze der Religion machen, heiße einen wichtigen Gegenstand nach dem Urteile der dummen Mehrheit entscheiden. Die Frage gehe ja nach dem Dasein der Götter und nicht nach dem Dasein von Leuten, die an Götter glauben. Übrigens werden als Gegeninstanz die bekanntesten Atheisten des Altertums aufgezählt. Endlich wisse er gar nicht, was er mit einem Gotte anfangen solle, der sich um die Welt und die Menschen nicht kümmert; ein solcher Gott könne ihn gern haben ( valeat).

Gegen das pantheistische Gespenst des Stoikers richtet der skeptische Geistliche eine feinere Ironie. Der Aberglaube der Volksreligion ist ihm nicht so unfaßbar wie der Widerspruch in den Lehren der Stoa. Wer mit allegorischen Künsten den Himmel und die Gestirne als göttliche Wesen verehre, der müsse auch den Regenbogen und die Wolken vergotten. Concordia, Victoria usw. seien doch offenbar nur Gedankenwesen. Übrigens habe ihn die Erfahrung gelehrt, daß der Weltlauf nicht für die Güte eines Schöpfers und nicht für eine göttliche Vorsehung zeuge; gerade durch die Beobachtung, wie schlecht es den edelsten Menschen gehe, werde man zum Unglauben geführt.

Der gelehrte Streit darüber, ob Cicero sich in diesem Buche ganz und gar auf die Seite seines Skeptikers gestellt habe, scheint mir müßig; in vielen seiner Schriften und auch besonders in der »über die Natur der Götter« (I, 5) hat sich Cicero zu der Schule der neuen Skeptiker bekannt; und in den Schlußworten des Gesprächs scheint er mir dem Stoiker eine diplomatische Höflichkeit zu sagen, während er die Meinung des Skeptikers für die wahre erklärt. Wichtiger noch als die ganze Disputation der drei Religionsphilosophen scheint mir die Stimmung zu sein, in welcher ein so ängstlicher Mann wie Cicero das Gespräch erzählt; wir haben gesehen, daß der Gott der Epikureer nur ein Scheingott ist, ein fünftes Rad am Weltwagen, daß der Gott der Stoiker, wenn er sich nicht damit begnügt, eins zu sein mit der Natur, zu einer Gespenstererscheinung wird, die sich mit den übrigen Lehren der Stoiker nicht recht verträgt. Auch Cicero, der Schüler des Skeptizismus (der sogenannten neuen Akademie) ist nicht gerade ein theoretischer Gottesleugner; doch was er vorträgt, das ist freier und überlegener, als was seitdem in fast zweitausendjährigem Kampfe gegen das Dogma vom Dasein Gottes vorgebracht worden ist: jeder gebildete Mensch solle darüber denken, wie er mag; die ganze Frage sei zu gering, als daß die Philosophie sich mit ihr zu beschäftigen hätte. Und daß die Volksreligion ein roher Aberglaube sei, darüber sind die streitenden Parteien einig. Solche Gedanken konnte der wahrlich nicht heldenhafte Cicero wenige Jahrzehnte vor Christi Geburt in einem hübsch geschriebenen Buche darlegen, ohne eine Verfolgung befürchten zu müssen.

Die Übersicht über die römische Aufklärung wäre gar zu unvollständig, wollte ich nicht den meist genannten und meist berüchtigten Religionsspötter der Kaiserzeit erwähnen, den scheinbar schon ganz modernen, oft mit Voltaire verglichenen Lukianos. Fromme Christen haben sich, als die Heidengötter erst auch als Teufel oder Dämonen ausgespielt hatten, an seinen Gassenbübereien ergötzt; aber auch Humanisten bewunderten ihn und meinten heimlich die neuen Gottheiten, wenn sie mit Lukianos über die armen Götter des Olympos lachten.

 

Lukianos

Unter den Religionsspöttern der römischen Kaiserzeit erscheint uns keiner so modern wie dieser berüchtigte Lukianos; er war ein Liebling der Humanisten, nicht nur des ganz antichristlichen Erasmus, sondern auch des beinahe noch frommen Thomas More; noch Wieland benützte seine Anmerkungen zu der Lukianosübersetzung, um allerlei antikatholische oder gar antichristliche Scherze unter der Maske eines Philologen vorzubringen. Aber der Atheismus des Lukianos ist wiederum ein ganz anderer als der der christlichen Zeit; wir vergleichen den alten Satiriker viel besser etwa mit einem Aufklärer oder Kritiker, der im 18. Jahrhundert den Volksglauben an Gespenster und Sagen unter dem Beifall der Gebildeten verlacht hätte. Das ist ja wieder mit ein Unterschied zwischen der heidnischen und der christlichen Religion, daß heute die meisten Glaubensartikel von katholischen oder protestantischen Kirchenbehörden ziemlich genau festgelegt sind, besonders genau die Verhältnisse der drei göttlichen Personen zueinander, während damals nicht nur über die Halbgötter, sondern auch über die Genealogie der Hauptgottheiten Streit war und sein durfte wie bei uns etwa nur über die Ausdeutungen des zweiten Teils von Goethes Faust. Lukianos war noch kein Gottesleugner nach antiker Auffassung, wenn er in den Göttergesprächen die unzähligen Metamorphosen verspottete, kaum dann, wenn er über die Sittenlosigkeit der Götter lachte. Die Gedichte des alten Homeros galten eben nur für das Werk eines begeisterten Dichters, nicht als vom heiligen Geiste inspiriert. Solange man die Kultgewohnheiten seiner Stadt nicht störte, mochte man ungestraft an den von Dichtern immer wieder umgestalteten Sagen Kritik üben. Poeten waren die eigentlichen Religionsstifter.

Es ist nicht ohne Bedeutung, daß dieser Lukianos (ungefähr von 120 bis 190) wirkte, in der glücklichsten Zeit des römischen Staates, unter den Antoninen, daß er trotz aller Blasphemien unbehelligt blieb und wahrscheinlich gegen Ende seines Lebens ein ansehnliches Staatsamt bekleidete. Da er sich über die verschiedenen Philosophenschulen mit der gleichen Freiheit lustig machte wie über die Märchen und Sagen der Volksreligion, so kann man bei ihm nicht einmal von einer philosophischen Religionskritik reden; er war einfach der Vertreter des gesunden Menschenverstandes und verlangte von seinen Lesern wahrlich nicht die geistige Anstrengung, ohne welche eine Kritik der christlichen Theologie nicht denkbar ist.

Als eine Probe von des Lukianos Schriftstellerei wähle ich ein Stück, das nicht tiefer und nicht belustigender sein mag als viele andere, das mir aber den Unterschied zwischen antiker und moderner Freidenkerei besonders deutlich zu machen scheint. Ich möchte dieses Stück (Ζευς Τραγῳδος), um den parodistischen Titel nicht verloren gehen zu lassen, mit »Zeus der Kulissenerschütterer« oder noch einfacher »Zeus der Wolkenschieber« überschreiben; will aber übrigens nach der Wielandschen Übersetzung zitieren. Zeus ist in heller Verzweiflung darüber, daß zwei Philosophen über das Dasein, eigentlich nur über die Weltregierung der Götter disputieren; der Stoiker, der so etwas wie eine Vorsehung behauptet, schwitze und schreie mächtig, scheine aber von dem Epikureer besiegt zu werden; in diesem Falle jedoch sei es vorüber mit der Würde, mit der Ehre, besonders mit dem Einkommen der Götter. In dem breiten Vorspiele des Gesprächs, das sich übrigens recht gut für eine Aufführung in sogenannten Kammerspielen einrichten ließe, wird Zeus weiter geärgert durch das Benehmen seiner Mitgötter. Momos, wie Mephisto ein Sohn der Nacht, einer von den ganz alten Göttern, findet die Gottlosigkeit der Menschen nur zu begreiflich; Zeus habe niemals daran gedacht, die Guten zu belohnen und die Bösen zu bestrafen; er habe gar keine Ursache, den Gottesleugnern zu zürnen; er müsse froh sein, daß von unverständigen Menschen immer noch geopfert werde. Apollon, der als Wahrsager den Ausgang der Disputation voraus wissen soll, macht sich lächerlich. Herakles erfährt, daß der Wille aller Götter – also auch der seine – unter dem Schicksal oder unter der Naturnotwendigkeit stehe, und erklärt daraufhin, er pfeife unter solchen Umständen auf die göttlichen Ehren und auf den Bratengestank der Opfer. Die Beratung der Götter, wie die Disputation der Philosophen zu beeinflussen sei, schließt mit dem abgründigen Spaße, daß Zeus, da er den stoischen Götterfreund nicht anders zu stärken weiß, ausruft: »Da wir sonst nichts für ihn tun können, wollen wir aus allen Kräften für ihn beten.« Lukianos hat unter seinen Schriften sehr viel oberflächliches Zeug geboten; dieser Einfall allein hätte aber seinen Ruhm begründen können.

Nun beginnt, während die Götter zuschauen und zuhören, die allzu kurze Disputation, die von dem Epikureer gelassen und sicher, von dem Stoiker mit Schreien und Schimpfen geführt wird. Zeus lobt diese Taktik seines Verteidigers. »Bravo! Nur tüchtig geschimpft, darin liegt deine Stärke. Lässest du dich auf Gründe ein, er würde dich bald stumm wie einen Fisch gemacht haben.« Der fromme Stoiker greift auch bald zu dem noch wirksameren Argumente, das Volk zur Steinigung des Gottlosen aufzufordern. Zur Sache bringt der Stoiker zuerst vor, die Ordnung in der Natur beweise das Dasein von waltenden Göttern; der Epikureer erkennt den Schluß nicht an: was da Ordnung heiße, sei vielleicht nur Naturnotwendigkeit. Er beruft sich auf naturalistische oder atheistische Aussprüche des Euripides. Der Stoiker ruft die Orakel zu Zeugen für das Dasein und das Vorwissen der Götter an; der Epikureer verhöhnt die Orakel, was ja dem Lukianos sehr geläufig ist. Der Epikureer geht nun zur Offensive über; sein ernsthaftester Grund gegen den Götterglauben ist die Ungerechtigkeit des Weltlaufs, wo doch (in unserer Sprache ausgedrückt) die Tüchtigsten im Zwischendeck fahren müssen, während die Lumpen die erste Klasse oder gar die Kommandobrücke besetzt halten; sein übermütigster Grund ist – Zeus klappert vor Angst mit den Zähnen –, daß auf Kreta allen Reisenden das Grab des Zeus gezeigt werde; und eine kirchliche Sage habe doch den gleichen Wahrheitswert wie die andere. Schließlich kommt der fromme Stoiker mit einer Deduktion, die den Ewigkeitsgedanken aller Religionen enthält, so albern sie uns in der nackten Fassung des stoischen Philosophen erscheinen mag. »Wenn es Altäre gibt, so müssen auch Götter vorhanden sein: nun gibt es Altäre, also gibt es auch Götter.« (Genau die gleiche nichtswürdige Schlußfolgerung läßt schon Cicero, Nat. Deor. II, 4, einen Stoiker vortragen: die Zeichendeuter seien Dolmetscher der Götter, also müsse es auch Götter geben.) Vorher bereits hat der Stoiker die Ruchlosigkeit des Epikureers darin zu finden geglaubt, daß er nicht nur die Götter leugne, sondern sogar die Sitze und Altäre der Götter über den Haufen werfe. Der niedrige und darum ewige Gedanke dieser letzten Zuflucht des Gottesfreundes ließe sich so ausdrücken: die Götter sind wirklich, weil der Glaube an die Götter in der Seele des Volkes vorhanden ist.

Der Schluß des kleinen Dramas zeigt den alten Griechen in seiner ganzen Freiheit und Keckheit. Der Epikureer hat unbekümmert das Dasein der Götter geleugnet; aber auf den Vorwurf, daß er die Schlußfolgerung von den Altären auf die Götter nicht anerkenne, wagt er nicht eigentlich zu antworten; er darf die Götter angreifen, nicht die Kirche. Nur lachen tut der Epikureer, lachen, als ob er nicht mehr aufhören wollte. Er verspricht sogar lachend, künftighin über solche Dinge nicht mehr zu disputieren. Ich meine, wir können den Mann heute noch lachen hören.

Die Götter aber, denen es nur um ihr kleines Einkommen zu tun ist, sind mit dem Ausgang des Religionsgesprächs gar nicht unzufrieden. Hermes faßt die Moral des Ganzen in den Spruch zusammen: »Tu, als ob dir nichts geschehen sei, so ist dir nichts geschehen.« Es macht nichts, wenn eine Minderheit nicht mehr an die Götter glaubt; der große Haufe und die Hefe des Pöbels, alle barbarischen Völker, die Mehrheit der Menschen also, bleiben auf der Seite der Götter.

Und Lukianos hat mehr als ein halbes Dutzend ähnlicher Späße veröffentlicht; man halte dagegen die Ängstlichkeit, mit welcher die englischen Deisten, die französischen Enzyklopädisten jeder Kritik des Gottesbegriffs auswichen. Sie wagten es, die Altäre umzustürzen, opferten aber auf den Trümmern dem unbekannten Gotte.

Lukianos, unter allen Religionsfeinden alter und neuer Zeit wahrlich nicht der tiefste, sicherlich aber der ungezogenste, war inkonsequent genug, einmal in einem sehr bösen Satze gegen die »Christianer« den damals landläufigen Vorwurf des Atheismus zu erheben. Es geschah das in dem oft, aber lange noch nicht gründlich genug untersuchten Briefe über das grauenhafte Lebensende des Peregrinos Proteus. Dieser Peregrinos stürzte sich freiwillig in einen glühenden Scheiterhaufen, aus religiösem oder aus philosophischem Wahnsinn, einerlei; der Bericht des Lukianos, der vielleicht wirklich Augenzeuge war, ist furchtbar, und der heutige Leser erschrickt über die Lustigkeit, mit der das Entsetzliche vorgetragen wird. Das gehört nicht hieher. Wohl aber die Frage, wie Lukianos, der die Christengemeinden von Syrien offenbar recht gut kannte, dazu kam, den Christianer Peregrinos in beschimpfender Absicht einen Atheisten zu nennen. Wir kommen wohl nicht um die Meinung herum, daß Lukianos damit allerdings eine häßliche Gesinnung verriet, dem anderen aus seinem eigenen Unglauben ein Verbrechen machte, daß er aber in der Hauptsache doch im Rechte zu sein glauben konnte; die Christen um das Jahr 160 konnten und mußten dem freidenkenden Griechen als Gottesleugner erscheinen, weil sie die unzähligen Götterbilder auf Märkten und Straßen nicht verehrten und weil sie vielleicht in dem Helden ihrer eigenen Mysterien noch nicht alle einen Gott erblickten, sondern eher einen weltlichen Befreier. So mag Lukianos mit einem bemerkenswerten Mangel an Logik sich selbst, weil er im Glauben an die alten Götter erzogen war, das Recht zu Götterlästerungen eingeräumt haben, nicht aber der neuen Sekte: die sollte nicht spotten dürfen, weil sie nicht dazu gehörte. Wie etwa heute noch recht liberale Protestantenvereinler selbst eine rücksichtslose Kritik an der Christologie üben, einem Juden oder Mohammedaner jedoch seinen Anteil an dieser wissenschaftlichen Arbeit nicht gern gestatten.

Ein theoretischer Gottesleugner im christlichen Sinne ist auch Lukianos nicht gewesen. Das ausklingende Heidentum war in dieser Beziehung nichts anderes als sechshundert Jahre vorher das Griechentum der Blütezeit: nicht gegen ein abstraktes Dogma richteten sich die Freidenker, sondern nur gegen die Volksreligion, aus welcher sie nach freiem Ermessen, und gewöhnlich ungestraft, irgendeinen Bestandteil für einen Aberglauben erklärten.

 

Dion Cassius

Wie das Verhältnis zwischen Religion und Politik etwa in der römischen Kaiserzeit aufgefaßt wurde – in der Sache ähnlich wie bei uns, aber in der Form so ganz anders –, dafür nur ein Beispiel aus dem Geschichtschreiber Dion Cassius, dem unbedeutenden Exzellenzherrn a. D., der zu Anfang des 3. Jahrhunderts (er starb 235) den Plan faßte, für seine griechischen Landsleute eine ausführliche römische Geschichte zu schreiben. Er besaß keinen Geist und keine Spur von Kritik, aber seine Beziehungen zu einigen Kaisern setzten ihn doch in den Stand, die Regierungsgrundsätze kennen zu lernen, die er dann Männern aus viel älterer Zeit in den Mund legte. So wenn er (im 52. Buche) ein Gespräch zwischen Octavianus Augustus, Agrippa und Mäcenas erfindet, das die beliebte Schulfrage behandelt, ob ein Tyrann seine Macht in die Hände des Volkes zurücklegen solle und ohne Gefahr könne. Octavianus denkt nach seinem Siege über Antonius ernsthaft daran, ins Privatleben zurückzutreten. Agrippa redet ihm zu. Mäcenas, dessen Name zu einem Worte der Gemeinsprache geworden ist, weil Mäcenas für die Dichter eine offene Hand hatte und weil die Dichter Verteiler des Ruhms und Bildner der Sprache sind, – Mäcenas trägt alle Gründe vor, die den Octavianus zur Aufrichtung einer Monarchie und zur Bewahrung seiner Macht bestimmen können. Für die Kaiserpolitik, nicht für die des Augustus, aber für die etwa des Severus, läßt sich mancherlei aus dieser Rede lernen. Mäcenas setzt genau auseinander, wie man es einzurichten habe, daß der Schein einer Republik bestehen bleibe und der Cäsar dennoch das Haupt einer Monarchie sei. Ganz nebenbei, anknüpfend an den Rat, keine göttlichen Ehren zu verlangen, kommt der konservative Politiker auf die Religion zu sprechen. Augustus solle die Götter nach Landesbrauch ehren und Gotteslästerungen nicht dulden. Wer die Landesgötter verachte, der habe auch vor anderen Einrichtungen keine Ehrfurcht und könne durch Parteibildungen die Monarchie in Gefahr bringen. Doch in gleichem Atem wird Augustus vor den Wahrsagern und den Philosophen gewarnt. Und dann geht es unmittelbar weiter zu dem Rechte und der Pflicht des Augustus, ein starkes Heer zu seiner Verfügung zu haben. Kein Wort über irgendeinen Einfluß der Götter auf den Staat, über irgendeine Beziehung des Augustus zur Religion; der Volksglaube ist zu einem Mittel der Regierung geworden wie die Zusammenstellung des Senats oder wie die reichliche Bezahlung der Soldaten. Dion Cassius war – wie das ganze Altertum – sehr wortabergläubig, aber gar nicht religiös.

Anstatt noch einmal und zusammenfassend zu wiederholen, was über die Kluft zwischen antiker und jüdisch-christlicher Weltanschauung zu sagen wäre, also auch über die Unvereinbarkeit von antikem und jüdisch-christlichem Atheismus, will ich am Ende dieser Einleitung nur noch diese einzige Bemerkung machen: die antike Weltdeutung stellte sich in Religion, in Philosophie und in Poesie ahnungsvoll oder bewußt auf die bildliche Anwendung der Sprachwörter, auf die Einsicht, daß das Wort anders aufgefaßt werden müsse als wortwörtlich, auf die Allegorie, wie man das nannte; die jüdisch-christliche Weltdeutung dagegen unterwarf sich den überlieferten Wörtern und glaubte sie immer buchstäblich verstehen zu müssen. Das beinahe heilige Buch des Homeros stand am Eingange des Zeitraums, den wir als die antike Welt zusammendenken, und für diesen Homeros waren seine Götter so sehr Allegorien – trotz aller lebendigen Schönheit –, daß Wilamowitz-Möllendorff behaupten durfte: Homer trage die Schuld, daß der Rationalismus die Götter als Phantasmen der Dichter fassen konnte. Und am Ausgange des Zeitraums, weit über tausend Jahre später als Homeros, erleben wir es abermals, daß die Vertreter der antiken Bildung einfach nicht zugeben wollen, ihre Götter seien mehr als Allegorien, seien ernsthaft, pedantisch und buchstäblich Götter. Ich denke an den kleinlichen, aber für unsere Frage sehr merkwürdigen Streit, der im verchristelten Rom im Jahre 382 um die Victoria-Statue entstund, die seit Catos Zeiten im Sitzungssaale des Senats ihren Platz hatte. Victoria, die sogenannte Siegesgöttin, hatte natürlich beim Volke ihre genealogischen und kalendermäßigen Legenden, ihre Kapellen und ihre Priester, ihr Einflußgebiet, wie andere Gottheiten. Als aber der Bischof Ambrosius, der der heilige heißt, im Einverständnisse mit der Hofpartei, die Entfernung der Bildsäule durchsetzen wollte, als der tapfere Symmachus, beinahe schon als ein Vorläufer des rinascimento, die edle Victoria wie ein Wahrzeichen der Stadt Rom verteidigte, da drehte sich der hitzige Kampf (Symmachus mußte nach seiner Niederlage in die Verbannung gehen) immer noch um die Frage: sind die religiösen Vorstellungen buchstäblich zu nehmen oder allegorisch. Der Christ Ambrosius sah in der Göttin Victoria buchstäblich, albern, rückständig eine Göttin, eine Feindin des buchstäblich verstandenen Einen Gottes und verlangte darum ihre buchstäbliche Vernichtung oder Entfernung; der Heide Symmachus erblickte in der Göttin Victoria nur eine Allegorie, ein Symbol der siegreichen Stadt Rom, und schlug so eine Brücke von dem antiken zu dem modernen Empfinden.


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