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Neunter Abschnitt
Meister Eckhart und Ockam

Während also die weltlichen und geistlichen Gewalthaber in einem erstaunlichen Maße unchristlich geworden waren, können wir bei den Denkern der gleichen Zeit, und namentlich bei den besten und kühnsten Geistern, ein schweres Ringen feststellen, ein Ringen mit den alten Mächten, das aber weit mehr, als man gewöhnlich weiß, ein Ringen mit der veraltenden Sprache war, mit der Sprache der Scholastik. Noch schien die Kirche nicht unmittelbar bedroht wie hundert Jahre später durch die Erfolge des Hussitismus, noch wurde der einzelne gelehrte Ketzer nicht unweigerlich mit dem Tode bestraft; noch herrschte eine gewisse Freiheit im Gebrauche des scholastischen Handwerkszeugs; aber um so schwieriger war die Befreiung von der Scholastik selbst, von den Begriffen, die unbedingten Glauben zu verlangen schienen. In das Denken der realpolitischen Päpste und Könige können wir uns ohne Mühe einfühlen, weil diese bösen oder amoralischen Menschen frei waren wie wir; in das Denken der beiden größten Männer aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, eines Meister Eckhart und eines Ockam, können wir uns nicht einfühlen, wenn wir für den inbrünstigen Mystiker nicht eigene Mystik mitbringen, für den gewaltigen Papstgegner Ockam nicht inniges franziskanisches Christentum. Das bloße Wissen um Mystik und um dieses Christentum ist ein schlechter Ersatz. Mit diesem bescheidenen Vorbehalte möchte ich es versuchen, dem abgründigen Mystiker Eckhart und dem heldischen Nominalisten Ockam ihre Stellen in den Kämpfen ihrer Zeit auszusparen, aber auch zu zeigen, daß weder der Mystiker noch der Papstgegner bewußt in der Richtung der Aufklärung arbeitete. Von der Kirche wurden beide verdammt, aber beide waren bessere Christen als ihre Richter.

 

Meister Eckhart

Wäre Meister Eckhart so leicht zugänglich, wie er schwer zu erfassen ist, so wäre er gegenwärtig in der Gefahr, ein Modeschriftsteller zu werden. Seine Sprachkraft (von Gustav Landauer oft wunderbar fein in den Sprachgebrauch unserer Tage übertragen) ist so überwältigend, daß wir nicht umhin können, unsere gottlose Mystik in ihn hineinzulesen; aber da fälschen wir ihn; seine Begriffe sind christlich, sind scholastisch, auch wo er Pantheismus oder gar Atheismus zu lehren scheint. Wir lesen das kleine Stück »vom Zorn der Seele« und glauben die Stimme von Faust zu vernehmen; es ist aber noch ein Faust an der Kette und er zerrt an der Kette, deren Glieder unzerreißbare scholastische Wörter sind. Es wäre, um absichtlich ein starkes Wort zu gebrauchen, eine Lüge und eine Gemeinheit, den Meister Eckhart unseren materialistischen Atheisten zuzurechnen, weil er in inbrünstiger Gottüberlegenheit sich gelegentlich bis zu einer wörtlichen Negation des Gottesbegriffs versteigt. Nur müssen wir aber wiederum nicht prüde sein und müssen uns nicht scheuen, zuzugestehen, daß in jeder solchen Negation eine Rebellion liegt, und wäre es auch eine Rebellion aus übergroßer Liebe. Das ist der Fall bei Meister Eckhart, vielleicht nirgends so gewaltig wie in den Stücken, die uns unter der Überschrift »Vom Zorn der Seele« überliefert sind. Die zürnende Seele wünsche, sie wäre Gott und es gäbe überhaupt keine Kreatur; wohlgemerkt, sie wünscht nur das »lautere Wesen« zu sein, so daß es weder Gott noch Kreatur gäbe. Denn alle Dinge sind Gott. Gott kann kein Ebenbild von sich erschaffen. Das gehe über Menschensinn. Was einer Benennung zugänglich ist, das ist für die zürnende Seele nicht mehr Gott. Was irgend der Darstellung fähig ist, das halte ich nicht für Gott. Es gibt keinen Gott mehr »für mich«. Und wie für mich kein Bestimmter und Einzelner mehr da ist, so bin ich auch für niemand eine Seele. Die edle Seele geht aus sich heraus, daß sie gar nicht wieder zurückkommt, geht so weit in Gott hinein, daß sie gar nicht wieder herauskommt. Denn Gott ist noch unwandelbarer als das Nichts. Gott ist dem Begreifen aller Kreaturen ein Nichts.

Meiner blinden Liebe zu Meister Eckhart habe ich einmal Ausdruck zu geben versucht in dem Stücke »Mystik«, das man in meinem »Wörterbuch der Philosophie« nachlesen mag; ich habe jetzt, zehn Jahre später, nichts zurückzunehmen, habe nur jetzt und hier die Pflicht, eine scharfe Grenze zu ziehen zwischen der ketzerischen Freiheit, mit welcher Eckhart, der beste aller Christen, das Urwunder aller Religion, die Vereinigung mit dem All-Einen, erlebte und mitzuteilen verstand – eine Grenze zu ziehen zwischen dieser Freiheit und seiner übrigen Unterwerfung unter die Begriffe der christlichen Scholastik. Und wieder müßte ich verstummen, wollte mir ein noch rücksichtsloserer Skeptiker als ich entgegenhalten: vielleicht beruht die Zaubergewalt, die Meister Eckharts Sprache auf dich ausübt, nur auf einer akustischen Täuschung, vielleicht scheint dir Meister Eckhart so stark, weil er groß und hilflos stammelt wie ein geniales Kind.

Auf die gelehrten Fragen nach dem Verhältnisse der lateinischen und der deutschen Schriften Eckharts brauche ich mich um so weniger einzulassen, als ich den tiefsinnigen Mystiker in keiner Weise für die Aufklärung in Anspruch nehmen will. Mehr noch: es kann eine Geschichte der Aufklärung geben, der Gottlosigkeit – sofern es überhaupt eine Geschichtwissenschaft gibt –, weil da wie im Verlaufe eines Kampfes eine Schanze nach der anderen erstürmt worden ist und jeder folgende Soldat den vom Vorgänger eroberten Boden behaupten will; eine solche Geschichte der Mystik kann es nicht geben. Auch in der Aufklärung oder Gottlosigkeit ist viel Stimmung oder Gefühl mit am Werke, aber ein Ziel ist doch vorhanden, die Abtragung eines unschönen und schädlichen Baus. Die Mystik ist nur persönliche Stimmung, nur individuelles Gefühl, läßt sich nur erleben, nicht mitteilen; darüber täuscht nur die Tatsache hinweg, daß die Schlagworte der sprachgewaltigen Mystiker mitgeteilt, vererbt werden konnten, also scheinbar eine Geschichte hatten; in Suso spüren wir kaum einen Hauch mehr von Meister Eckhart, wenn die Sätze beider auch noch so ähnlich klingen; und Luther glaubte noch die schwächliche Mystik der »Theologia deutsch« festzuhalten, als er schon über die amtliche Stiftung der neuen Pfaffenreligion einen Kuhhandel mit den deutschen Fürsten abgeschlossen hatte. Meister Eckhart hat Schwärmer und Verehrer hinterlassen, aber keine Schule. Es ist darum weniger ein logischer Schluß als eine Tautologie, wenn man die Ketzerei Eckharts aus der Eigenheit seines Glaubens erklärt. Ein Ketzer ist, wer sich der Disziplin seiner Kirche nicht fügt; von der Kirche hängt es ab, ob diese Disziplin sich etwa nur auf den Fahneneid oder gar bis auf die Griffe erstrecken soll, mit denen der letzte Uniformknopf zugemacht wird; die Kirche entscheidet darüber, was wichtig genug ist, um für einen Beweis der Ketzerei zu gelten. Meister Eckhart aber war ein Erzketzer, weil er sich mit seiner ganzen Seelenkraft der Entwicklung der Kirche entgegenstemmte. Man braucht nur die Persönlichkeiten des Richters und des Angeklagten miteinander zu vergleichen; um den Gegenstand der Klage braucht man sich gar nicht zu bekümmern. (Meister Eckhart, um 1260 bei Gotha geboren, 1327 gestorben, wurde zwei Jahre vor seinem Tode von Köln aus in Untersuchung gezogen, vielleicht in Zusammenhang mit der Verfolgung, die damals gegen die Beguinen und Begharden anging; die Verurteilung, durch eine päpstliche Bulle, erfolgte erst zwei Jahre nach Eckharts Tode, zum Teile wenigstens auf Grund seiner lateinischen Schriften.) Gerade der Papst, der so frivol den frommen Meister verdammte und seltsamerweise um die gleiche Zeit einen förmlichen Kreuzzug gegen den kaiserlichen Beschützer Ockams predigen ließ, der greise und unschöne Johannes XXII., hatte mit all seiner Vielgeschäftigkeit die Kirche durch Veräußerlichung erniedrigt; unter ihm zumeist war an die Stelle eines großen Kampfes um die Weltherrschaft eine kleine und gemeine Machtgier getreten, von der damit verbundenen noch gemeineren Geldgier (Johannes XXII. hat nach den vielleicht übertreibenden Berichten der Zeitgenossen Schätze hinterlassen, die bis dahin unerhört waren) gar nicht zu reden; der Erzketzer Eckhart aber wollte die Religion verinnerlichen und mochte an der äußeren Kirche wenig Interesse haben.

Eine einzige Frage, die aber weder philologischer noch biographischer Art ist, sei doch wenigstens kurz erwähnt und durch einen einfachen Hinweis beiseite geschoben. Man hat einen Widerspruch darin gefunden, daß Meister Eckhart in dem, was man seine Philosophie nennen mag, wirklich so etwas wie Pantheismus lehrt, daß er aber sonst, und nicht nur in seinen lateinischen Schriften, ganz fest auf dem Boden des allerorthodoxesten Doktors steht, auf dem Boden des heiligen Thomas von Aquino. Der Pantheismus schien sich mit der Mystik besser zu vertragen als das System des doctor Angelicus. Das wahre Verbindungsglied zwischen der pantheistischen Ketzerei und der thomistischen Rechtgläubigkeit ist jedoch anderswo zu suchen, als in der Mystik; wir finden es bald in der Abhängigkeit Eckharts von der herrschenden Scholastik, von dem Wortrealismus, von der Lehre, daß die obersten Begriffe Wirklichkeiten seien, Substanzen. Dieser Wortrealismus täuscht nur über seine Konsequenzen, weil er uns gewöhnlich in engster Verbindung mit dem christlichen Dogmatismus entgegentritt; denken wir das Christentum weg von ihm, so muß just der verstiegenste Wortrealismus zu Vorstellungen führen, über die sich der heilige Thomas hätte entsetzen müssen. Da ist der abstrakteste Begriff auch der allerrealste, eigentlich der einzig reale, da ist Gott der Inbegriff aller Wirklichkeiten, Gott also mit der Welt identisch. Bei Thomas finden sich nur ganz schwache Anklänge an solche Verwegenheiten; aber auch bei Eckhart kommt es nicht zu einem Bruch mit den Vorstellungen der Kirche, weil die Sprache, die zuletzt auch die heimlich zugrunde liegende Sprache seiner deutschen Predigten war, die Sprache der Scholastik blieb, die Schulsprache der christlichen Theologie. Wohl bekümmert sich Meister Eckhart fast nur um die Seele des Menschen, zu einer Zeit, als es die moderne Wissenschaft der Psychologie noch nicht gab; wohl unterscheidet er sich durch sein Bekenntnis zum Nichtwissen von dem Alleswisser Thomas; aber die Fragestellungen der Erkenntniskritik sind ihm noch fremd: nur das Heil der Seele bekümmert ihn, das durch die Geburt Gottes in der Seele erworben wird. Man hat die Gottsucherei Eckharts – wie die des Dionysius – eine negative Theologie genannt, weil sie, von Stufe zu Stufe alle Bestimmungen des Endlichen verneinend, zu dem absoluten Dunkel der namenlosen Gottheit emporführt; Eckhart hat sogar gelegentlich (wieder nicht dogmatisch) zwischen dem wirkenden Gotte und der höheren, wirkungslosen Gottheit unterschieden. Dann aber lebt er doch in der Anschauung und hat sich zu ihr nicht erst hinabgelassen, daß alle geheimnisvollen Begriffe der scholastischen Theologie – die Dreifaltigkeit – wesenhafte Substanzen sind, daß Gott sein Wesen allen Kreaturen eingeflößt habe und daß alle Kreaturen in ihren schaffenden Mittelpunkt zurückfließen wollen. Für dieses »Entwerden« der Seele ist die Einheit von Gott und Kreatur zugleich ein Ziel und eine Bedingung. Die Seele kann ihren Gott nur erkennen, weil sie Teil hat an Gott; das »Fünklein« hat Teil an der Flamme. In der praktischen Theologie geht Eckhart so weit, die Werkheiligkeit (Fasten, Wachen) für eine Eingebung des Teufels zu halten; aber dieser Teufel hat Wirklichkeit, ebenso wie alle anderen Begriffe der Religion, nur daß sie etwa in das Geistige oder Gemütliche – je nachdem – umgebogen werden. Die Menschheit Christi schwebt vor uns her, damit wir die Gottheit Christi ergreifen; Maria ist selig, aber nur, weil sie Jesum geistig geboren hat. Die gesamte Eckhartforschung hat gründlich umlernen müssen, seitdem der gelehrte Dominikaner Denifle die lateinischen Schriften des Meisters wiederentdeckt und die zahlreichen Fehler in den Monographien über Eckhart nachgewiesen hat. Nicht als ob man nun den Ansichten Denifles unbedingt folgen müßte. Bewahre! Er ist auf den heiligen Thomas eingeschworen, ist ein orthodoxer Scholastikepigone und glaubt ein frommes Interesse daran zu haben, daß Meister Eckhart kein selbständiger Mann gewesen sei, vielmehr ein mittelmäßiger Schüler der Scholastik, ein unklarer Kopf, daß übrigens seine Lehre mit Recht verdammt worden sei. Es kommt ihm darum sehr zu Paß, daß seine Vorgänger in der Eckhartliteratur den Meister für einen Pantheisten erklärt haben; er schimpft zwar auf diese Forscher gröber, als es sonst heute üblich ist, aber den »Vorwurf« des Pantheismus läßt er doch gern gegen den Ketzer Eckhart erheben, verstärkt ihn sogar, und wirklich mit ungleich größerer Sachkenntnis als die Geschichtschreiber des mittelalterlichen Pantheismus. Er geht überall auf die lateinischen Schriften zurück (deren Menge viel größer war als die von Pfeiffer etwas leichtsinnig gesammelten deutschen Predigten und Fragmente) und führt uns in die Gedankenwelt des Scholastikers Eckhart eigentlich zum ersten Male ein. Für die Freude an Eckhart genügt es, wenn wir uns in sein Verständnis hineinzufühlen glauben; für die geschichtliche Forschung jedoch kommt es meines Erachtens gar nicht darauf an, ob wir in die veraltete Sprache einen uns verständlichen Sinn hineinlegen können, sondern nur darauf, daß wir feststellen: Eckhart hat die Sprache seiner Zeit gesprochen. Und diese Feststellung ist ohne Zweifel eine bleibende Leistung Denifles.
Was wir – wirklich selber unklar – unter dem Pantheismus Meister Eckharts verstehen, das läuft auf die scholastische, metaphysische Lehre heraus: Gott ist das Sein oder das Wesen der Welt. Die alten Herren unterschieden da freilich noch zwischen Sein und Wesen, oder wie man – im Dunkel tappend – den Unterschied zwischen esse und essentia übersetzen will; wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Mit der Schöpfung der Welt, wie das Volk sich das vorstellt, mit der Schöpfung aus dem Nichts, ist es nichts; die Schöpfung ist ewig wie Gott. Im Sinne unserer materialistischen Monisten ist Eckhart kein Pantheist gewesen und hat nicht gelehrt (wie der Cusaner es ausdrückt), das Geschöpf sei der Schöpfer; wohl aber im Sinne der Scholastik, der wortrealistischen, die ja auch die »Weißigkeit« ( albedo) zur Ursache des »Weißseins« der weißen Gegenstände machte. Die Abstraktion von der Welt wurde zur Ursache der Welt gemacht; und diese Weltursache wurde – darin steckte tiefste Mystik – im einzelnen Christen als Gott geboren.

 

Ockam

Wilhelm von Ockam, der jüngere Zeitgenosse Meister Eckharts (er wurde wahrscheinlich um 1280 geboren und dürfte 1349 gestorben sein), könnte ohne Zwang als sein Gegenspieler aufgefaßt werden. Eckhart stand auf der äußersten Rechten des Wortrealismus, Ockam (er heißt so nach seinem Geburtsorte) war der Erneuerer des Nominalismus und führte als solcher ja den Ehrennamen des inceptor venerabilis. Eckhart, in seiner Lehre auf das Erleiden des Heils bedacht, im Leben ein allzeit getreuer Diener des Papstes, war eigentlich weltfremd; Ockam eine Kampfnatur, ein Politiker, der den Papst in irdischen Dingen dem Kaiser unterordnen wollte, in geistlichen Dingen der Kirche. Es ist vielleicht nicht Geschichte, nur Treppenwitz der Geschichte, aber gut erfunden, was zum Jahre 1328 erzählt wird, und was ich in andrem Zusammenhange (S. 290) schon angeführt habe, das Wort Ockams an den deutschen Kaiser Ludwig den Bayer: »Du wirst mich mit dem Schwerte verteidigen, ich dich mit der Feder.« Der unermüdliche Gegner des rechtgläubigen Wortrealismus, der unversöhnliche Bekämpfer der päpstlichen Ansprüche muß auf uns zunächst den Eindruck machen, als wäre er ein Aufklärer gewesen, ein Unchrist, wie Kaiser Friedrich II. Für diese Auffassung könnte es auch sprechen, daß die römische Kirche ihn eifrig verfolgte und daß die philosophische Fakultät von Paris Vorlesungen über seine nominalistische Lehre verbot. Und dennoch war Ockam ebensowenig ein Aufklärer wie Eckhart; auch er war nicht imstande, sich mit Hilfe seines Nominalismus aus den Banden der Scholastik zu lösen. Merkwürdig ist nur, daß der Dominikaner Eckhart und der Franziskaner Ockam in ihrer Zugehörigkeit zur Scholastik einander so ähnlich sein konnten.

Ockams feindliche Stellungnahme zur römischen Kurie wurde aber auch nicht durch philosophische Überzeugungen entschieden oder durch seine kirchenpolitische Parteinahme, sondern durch eine Ordensangelegenheit, die freilich aufs engste mit der tiefsten Reform des Christentums zusammenhing, mit der Sehnsucht des Franz von Assisi nach der Armut der urchristlichen Kirche. Innerhalb des Franziskanerordens tobte der Kampf eigentlich schon seit seiner Begründung. Jetzt hatten die Dominikaner und der Papst Johannes XXII. die strengere, christlichere Richtung verurteilt, und eben darum waren Ockam und seine Gesinnungsgenossen ins Gefängnis geworfen, nach ihrer Flucht mit dem Banne belegt worden. Für den Papst war natürlich der Armutstreit der Franziskaner nur eine unbedeutende Angelegenheit im Verhältnisse zu dem Streite über die Weltherrschaft: ob der Kaiser oder der Papst Herr der Welt sei. Gerade damals hatte das Papsttum seine Ansprüche maßlos gesteigert, bis zur Geschmacklosigkeit, wie heute selbst gut katholische Schriftsteller zugeben: der Papst darf ein Verbrecher sein, wenn er nur kein Ketzer ist; er ist die Quelle aller Rechte, selbst also an keine Rechtsvorschrift gebunden. Beim Papste ist das alte römische Imperium; der deutsche König als Kaiser des heiligen römischen Reichs macht ihm das Imperium streitig, darum besteht eine erbitterte Feindschaft zwischen Deutschland und Rom: der Papst nimmt das Recht in Anspruch, den Deutschen ihr Oberhaupt zu geben und sogar die Kurfürsten abzusetzen. In diesem niemals ruhenden, damals wieder heftiger entflammten Kriege um die sogenannte Weltherrschaft trat Ockam in die Dienste des deutschen Kaisers, getrieben von seiner Idee – die Kirche müßte arm sein –, die eigentlich innerlicher, religiöser war, als zweihundert Jahre später der Ausgangspunkt Luthers, der Ablaßhandel. Ockam und sein Kreis bekämpften als strenge Franziskaner die Macht und Geldgier des Papstes; so kamen sie dazu, den deutschen Kaiser zu unterstützen. Was für uns in den kirchenpolitischen Sätzen Ockams modern und aufklärerisch klingt, war im Grunde nur antipäpstlich, nicht antikirchlich. In allen weltlichen Fragen sei der Kaiser der oberste Herr. Das wird so scharfsinnig bewiesen, daß wir Bibelkritik und Rechtskritik zu vernehmen glauben; aber vor wirklich religiösen Fragen, vor dem Dogma, macht Ockam, der verwegene Nominalist, regelmäßig Halt, und kann darum nicht einmal ein Ketzer genannt werden, geschweige denn ein Freidenker. In der Predigt der evangelischen Armut geht Ockam freilich noch einige Schritte weiter: der Wortlaut der Bibel und die menschliche Vernunft, beide von Gott, seien zusammen unfehlbar, der Papst aber könne irren; das gesamte Christentum sei in Frage gestellt, wenn der Papst unfehlbar wäre; Neuerungen seien nicht grundsätzlich zu verwerfen; ein Franziskaner habe dasselbe Recht der Kritik wie ein Dominikaner. (Nicht eben freundlich ist eine Berufung auf Meister Eckhart, den Magister Aycardus Theutonicus; der Dominikanerorden war der rechtgläubigere und stellte überall die Glaubensrichter.)

Diese kritische Haltung Ockams wird in ihrer Wirkung nicht überschätzt, wenn man sagt, daß er eine »moderne« philosophische Partei gegründet habe, die nicht mehr streng scholastisch dachte; die Scholastik herrschte nach wie vor in Paris und auf den neuen Universitäten, wie sie auch nach dem populären Siege der Humanisten die Lehrstühle noch lange besetzt hielt, aber es gab doch seit Ockam eine moderne Faktion, die von der Nutzlosigkeit der scholastischen Dialektik überzeugt war; noch Luther, der sich selbst ahnungslos für einen Nominalisten hielt, rechnete sich zur Faktion der Ockamisten. Aber der Nominalismus oder vielleicht besser Terminismus Ockams ist weder antichristlich, wie wahrscheinlich der Nominalismus in seinen Anfängen gewesen war, noch gar atheistisch, wie der Nominalismus in seiner sprachkritischen Gestalt werden mußte; doch er ist schon psychologistisch, und das ist das Neue an der Erscheinung Ockams. Man darf sich nur von der Einkleidung seiner Gedanken nicht irremachen lassen; Ockam hat die Scholastik totgeschlagen, aber seine einzige Waffe war die Sprache der Scholastik. Es ist oft recht schwer, seine Behauptungen so in unsere Sprache zu übersetzen, daß wir sie als die Lehren des Psychologismus wiedererkennen: alle Begriffe sind nur im menschlichen Geiste zu finden, nicht in der Außenwelt, die Wissenschaft hat es immer nur mit Begriffen zu tun, nicht unmittelbar mit den Sachen. Es mahnt an Sprachkritik, wenn Ockam mit der tollen Logik der Scholastik zu grotesken Parodien der Dogmen gelangt (der heilige Geist ist aus Maria geboren; Gott ist ein Stein, ein Esel; Gott ist der Fuß Christi) und dann die Unvernunft solcher Sätze (und ähnlicher aus der Moral) scharfsinnig nachweist. Nur daß Ockam vielleicht belustigen, aber niemals Gotteslästerungen ausstoßen will, daß er sich – wie Luther im ersten Jahre seines Auftretens – unbedingt den Entscheidungen der Kirche unterwirft, mit dem einzigen Vorbehalte, daß die Kirche an die Worte der Schrift und an ihre logische Auslegung gebunden sei. Vollen Ernst macht er aber mit dem Grundsatze, die Autorität der Schrift stehe über der Autorität der Kirche, nur in der Angelegenheit, die ihn ganz erfüllte, in dem Streite über die evangelische Armut; sonst läßt er keinen Zweifel darüber, daß er sich überall der Kirche unterwirft, auch wo – wie wir das auffassen – das Dogma auf kein Bibelwort gestützt werden kann: in den Geheimnissen der Christologie und der Sakramente.

Bei einem weniger tapferen Manne als Ockam könnte man an der Ehrlichkeit dieser Unterwerfung zweifeln, könnte man daran denken, daß der Erneuerer des Nominalismus bereits alle Folgerungen gezogen und in seinem Herzen ein Unchrist gewesen wäre; just aber seine Unvorsichtigkeit und Heftigkeit in dem Kampfe, der ihm seine Lebensaufgabe, weil Herzenssache, war, in dem Kampfe um die evangelische Armut, scheint mir dafür zu sprechen, daß es ihm heiliger Ernst war um die Autorität von Gottes Wort; einem Skeptiker hätte diese Frage nicht so wichtig sein können. Und in seiner Gegnerschaft gegen den Papst scheint Ockam bis zu seinem Tode fest geblieben zu sein. Er folgte dem Kaiser Ludwig, als dessen Römerzug einen schlimmen Ausgang nahm, nach München und blieb seiner Überzeugung auch nach dem Tode des Kaisers (1347) treu. In München wurde es immer einsamer um den heldischen Mann. Seine Gesinnungsgenossen unter den Franziskanern starben weg, ein Kaiser nach dem Wunsche des Papstes war gewählt worden, der ganze Franziskanerorden bemühte sich, den alten kranken Ockam zum Widerrufe zu bewegen. Aber die Nachricht, daß Ockam wirklich widerrufen habe und absolviert gestorben sei, ist sehr unwahrscheinlich; viel wahrscheinlicher, daß ihn der Tod von der moralischen Marter erlöste, die man seit Jahren anwandte, um seinen Widerruf durchzusetzen.

Die Kirche hat ihre Rache genommen. Die Ehre, die so vielen kleinen Geistern der Zeit widerfuhr, ist dem stärksten scholastischen Philosophen versagt geblieben: die Kirche hat die Werke Ockams bis heute nicht gesammelt herausgegeben, und die wissenschaftlichen Akademien haben die Lücke nicht ausgefüllt.

Auch darin waren Meister Eckhart und Wilhelm von Ockam Schicksalsgenossen; die Bücher beider Männer waren von der Kirche verdammt worden und wurden nur ängstlich von heimlichen Anhängern aufbewahrt und abgeschrieben. Nur darf uns die Ähnlichkeit des Schicksals nicht zu dem Irrtume verleiten, verwandte Seelen in ihnen zu erblicken. Verwandt waren sie nur in der Abkehr von der veräußerlichten, verweltlichten Kirche ihrer Zeit, der sie eine oft unkirchliche, innerliche Religiosität entgegenstellten. Aber diese Religiosität war bei Eckhart und bei Ockam so verschieden, wie weltfremder und politischer Geist, wie – fast möchte ich es so fassen – weiblicher und männlicher Geist. Staat und Kirche hatten, rund heraus gesagt, kein Christentum mehr; da traten Meister Eckhart und die sogenannten »Gottesfreunde« auf, ließen den Sohn Gottes in ihrer Liebe wiedergeboren werden (der Meister mit mehr Scholastik, die Gottesfreunde mit mehr mystischer Wundersucht), da traten Wilhelm von Ockam und die anderen Frühreformatoren, die Prediger eines armen Urchristentums, auf und wollten die Kirche aus der Sünde des Reichtums retten.

 

Frauen

Nebenbei bemerkt: es ist mehr als ein Bild, wenn ich eben die deutschen Mystiker von einem weiblichen Geiste ihrer besten Prediger hergeleitet habe. Man könnte mit einiger Übertreibung – und ohne jede Bosheit – sprechen: die deutsche Mystik des 14. Jahrhunderts war eine Scholastik für Frauen. Ganz sicher in den deutschen Predigten des Meister Eckhart. Gerade Denifle hat (Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte 1886, S. 641 f.) gezeigt, wie diese Predigtweise zuerst in den Frauenklöstern aufkam; unter den Nonnen, besonders unter den Dominikanerinnen, waren viele gebildete Frauen aus vornehmen Häusern; deren Beichtväter und Prediger mußten »moderne« Geistliche sein, und Scholastik war damals noch das Modernste. Wenn man die metaphysischen Verstiegenheiten der Scholastik für Frauen gemütlich zu übersetzen, zu popularisieren suchte, so entstand aus der Scholastik wie von selber die Mystik. Eckhart scheint einer der ersten dieser Frauenprediger gewesen zu sein. Wer Sinn dafür hat, mag freundlich des Umstandes gedenken, daß auch die Person Jesu Christi bei Frauen begeisterte Gefolgschaft fand, daß die Auferstehung Christi zuerst von einer Frau geglaubt und verkündet wurde. Auch an die Frauen unter den Blutzeugen könnte erinnert werden, die nicht so sehr für ein Dogma in den Tod gingen, als für ihre magdliche Zugehörigkeit zu ihrem Heiland.

Wir sehen also bei Eckhart wie bei Ockam, die aus so entgegengesetzten Kreisen herkamen, das gleiche oder doch verwandte, nur sie selbst befreiende Ringen zwischen dem Geiste und der Kirchenlehre; ebenso sehen wir auf der anderen Seite bei den Oberhäuptern des Staates die gleiche Abkehr von religiösen Interessen. Ludwig der Bayer und der von Rom den Deutschen aufgenötigte Gegenkaiser Karl waren Politiker, für die die Kirche eine Macht war wie andere Mächte, die großen Prälaten Fürsten wie andere Fürsten. Die deutschen Kaiser waren so profan geworden wie die Könige von Frankreich und England oder wie die schwächeren und stärkeren Tyrannen Italiens. Nicht einmal das ist ganz richtig, daß die deutschen Kaiser auf die legendäre Innerlichkeit ihres Volkes Rücksichten nehmen mußten; die Nachfolger von Karl IV. hatten es nur in den unruhigsten Jahren mit den Stimmungen des Volkes zu tun, übrigens hatten sie sich bloß mit den Standesherren auseinanderzusetzen.


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