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V

 

Unsterblichkeit

Atheisten hießen, besonders im 17. und 18. Jahrhundert, auch diejenigen Schriftsteller, die die Unsterblichkeit der Seele leugneten; für noch schlimmer hätten die Leute gehalten werden müssen, die nicht an Geister glaubten, denn die Seele fällt unter den Oberbegriff: Geister; in Wahrheit waren die Theologen nicht so genau, trennten die beiden Ketzereien und sprachen von den Gegnern der Unsterblichkeit mit weit größerer Erbitterung als von den Skeptikern, die das Dasein von bösen und guten Geistern anzweifelten. Der Fall liegt nicht gerade so wie bei der Gottlosigkeit, die nichts von Vorsehung und Wundern wissen will. Diese beiden Erscheinungen gehören zum Wesen des abendländischen Gottes; den konnte sich aber ein ganz verwegener Ketzer, der dann freilich kein bibelgläubiger Christ mehr war, so ausmalen, daß er der einzige Geist war und die Seele des Menschen zugleich mit dem Leibe untergehen ließ. Die Verbindung zwischen der Leugnung der Unsterblichkeit und der Leugnung Gottes wurde nur dadurch hergestellt, daß das mechanistische Weltbild, das nach dem Wiederaufleben der antiken Naturphilosophie langsam die Wissenschaft eroberte, gleichen Schrittes den Begriff Gottes und seiner Eigenschaften, den Begriff der Seele und ihrer Eigenschaften analysierte. So wenig wie mit dem Gottglauben hatte die sogenannte Unsterblichkeit der Seele mit dem Idealismus etwas zu schaffen, der sich, grad oder schief, gegen den Sieg des mechanistischen Materialismus wehrte; es war ein Mißverständnis, den ewigen Geist auf die Hypothese der Menschenseele zu begründen. Aber aus Trotz gegen die Unerträglichkeiten des Materialismus gelangte die idealistische Philosophie dazu, auch wenn sie nicht nach der Kirche schielte, all das beweisen zu wollen, was der Materialismus leugnete; und so kam es, daß bis tief in das 19. Jahrhundert hinein die unhaltbarsten Begriffe der Theologie die Phraseologie der Philosophenschulen beherrschten: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Die Schule von Kant hat auf diesem Gebiete viel gesündigt.

Daß der Glaube an eine unsterbliche Seele nicht notwendig zum Monotheismus gehört, das wird durch die jüdische Religion bewiesen. Die Juden hatten ursprünglich gar keine Verpflichtung, an das hölzerne Eisen eines Lebens nach dem Tode zu glauben. Sie besaßen überhaupt wenige Dogmen, und keines dieser Dogmen beschäftigte sich auch nur mit der Frage, ob die Seele des Menschen sterblich sei oder nicht. Es gab da bei den Juden der Urzeit wie auch sonst im Morgenlande einen weit verbreiteten Animismus und die Vorstellung von einem Schattenreich (Scheol), Die Vorstellungen vom Zustande der Seelen oder Schatten in der Scheol (etymologisch vielleicht ein »Hohlraum«) sind ganz undeutlich; die Juden hatten nicht die künstlerische Phantasie der Griechen, und so glaubten sie nur, die Toten hätten in der Scheol eben nicht mehr das Empfinden und Wollen, das den Lebenden auszeichnet, nur etwa dumpfe Erinnerungen oder Anklänge an Empfinden und Wollen. Spärliche Reste von einem Ahnenkult spielen hinein. Die Totenbeschwörung des Samuel ist ein Ausnahmefall. Die Septuaginta, aber auch Matthäus und Lukas, setzen ganz unbefangen den Hades für die Scheol ein, ein Beweis dafür, daß auch heilige Männer nicht für Aberglauben halten, was sie selber glauben; der Hades gehört zu den Religionsbegriffen der Heiden. aber was den Urvätern für ihre Frommheit versprochen war und was als Drohung oder Belohnung die vielen Gebote des Moses unterstützen sollte, war sehr diesseitiger Natur und setzte ein Leben nach dem Tode nicht voraus. Es ist bekannt, daß zu der Zeit Jesu Christi die starke und eigentlich konservative Partei der Sadduzäer an dieser altjüdischen Vorstellung festhielt und daß nur die Pharisäer von einem jenseitigen Leben sprachen; wobei unbestimmt blieb, ob an eine Unsterblichkeit der Seele oder nur an eine Wiederbelebung durch die Auferstehung zu denken wäre, ob diese Auferstehung allen Menschen oder bloß den Gerechten bevorstünde. Es ist ferner bekannt oder könnte doch bekannt sein, daß Jesus, sonst ein Gegner der pharisäischen Frömmelei, den Auferstehungsglauben übernahm und mystisch vertiefte, daß er aber über alle die Fragen, die der Unsterblichkeitsbegriff aufwarf, Klarheit zu schaffen auch nur den Versuch nicht machte. Erst der kirchlichen Theologie war es vorbehalten, den Glauben an die Unsterblichkeit dogmatisch festzulegen und mit schneidender Scholastik unvorstellbare Sätze auch noch zu beweisen. Im wesentlichen kam diese ganze Scholastik nicht über die Wortmacherei heraus, mit der schon Griechen (der Poet Platon) und Römer (Cicero) schülerhafte Aufsätze über die Unsterblichkeit der Seele geschrieben hatten: die Seele sei ein unstoffliches und überdies ein einfaches Wesen, könne also weder wie ein Stoff vernichtet werden noch wie ein zusammengesetzter Körper in seine Bestandteile zerfallen; andere antike Beweise, die von der Kirche ebenfalls nicht verschmäht wurden, waren noch schlechter. Nur in einem Punkte brachte die christliche Zeit etwas Neues. Im Altertum bestand noch keine unmittelbare, bewußte Verbindung zwischen dem Seelenglauben und dem Götterglauben; man konnte ein Atheist sein und dennoch an der Unzerstörbarkeit der einfachen und unkörperlichen Seelensubstanz festhalten. Das wurde jetzt anders. Die schärfsten Denker unter den Scholastikern ahnten die Schwächen der alten Beweise aus dem Wesen der Seele, sie fügten also den absoluten Beweis aus dem ihnen so genau bekannten Wesen Gottes hinzu. Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele wurde den Menschen in das Gewissen geschoben, das sie ja von Gott auch zu diesem Zweck erhalten hatten. Mit einem Zynismus, der noch niemals genug beachtet worden ist, wurde aus der Elendigkeit der diesseitigen Welt auf die Notwendigkeit einer jenseitigen geschlossen; zwar habe sich der Fromme auf die Vorsehung Gottes zu verlassen, der in seiner Gerechtigkeit die Tugend belohne und das Laster bestrafe, weil aber auf Erden von einer solchen Gerechtigkeit nicht eine Spur zu finden sei, so müsse man drüben auf sie hoffen. Was in dem ganzen bekannten Raum unseres Planeten nicht geschah, was in der ganzen abgelaufenen Zeit nicht geschah, sollte irgendwo und irgendwann eintreffen an einem unbekannten Ort in einer unbekannten Zukunft. Drüben, morgen, nur nicht heute und hier. Diese grobe Jenseitshoffnung ergänzte vortrefflich die diesseitige Weltverachtung des Mittelalters.

So gestaltete sich der Unsterblichkeitsglaube zu einem notwendigen Folgesatz des neuen Gottglaubens; und so erst konnte es zu einem Zeichen der Gottlosigkeit werden, nicht nur der Unchristlichkeit, wenn ein Freidenker die Unsterblichkeit der Seele leugnete. Daß der Glaube an die Götter und an die Seelengeister wahrscheinlich den gleichen Ursprung gehabt hatte, das konnte jener Zeit gar nicht in den Sinn kommen. Noch weniger die reizvolle Vermutung: die Furcht vor allen möglichen Gefahren habe die Sehnsucht nach hilfreichen Göttern hervorgebracht, die unmittelbare Todesangst des Sterbenden die Sehnsucht nach einer persönlichen Fortdauer. (Noch der Unsterblichkeitsglaube Goethes, nur für sich, nicht für das »Weltgesindel« oder »Monadenpack« war eine solche Sehnsucht des Greisenalters.) Das Mittelalter war nicht so kritisch und die herrschende Kirche ließ die Kritik nicht erst aufkommen. Der Unsterblichkeitsglaube war ein festes Inventarstück der Religion und des Theismus überhaupt geworden. Daran zu rütteln galt für unschicklich. Herbert von Cherbury, der Begründer des Deismus, lehrte Lohn und Strafe im Jenseits; und noch Kant verlangte von den armen Menschen, daß sie in sittlicher Beziehung so leben sollten, als ob ihnen die Unsterblichkeit ihrer Seelen verbrieft wäre. Natürlich kam die Herrschsucht der herrschenden Kirche dazu, die für gut hielt, nicht einen einzigen Satz des alten Glaubens preiszugeben. Das Weltgebäude geriet ins Wanken, aber die Kirche bestand auf der unveränderten Ruhe der Erde und auf der Bewegung der Sonne. Ich möchte die Unnachgiebigkeit der Kirche in der Frage der Unsterblichkeit durch ein freundliches Bild ausdrücken. Die Kirche, die Dienerschaft Gottes, ist wie die militärische Dienerschaft eines Königs. Der König ist tot. Seiner Umgebung liegt daran – meinetwegen aus Liebe zum Ganzen –, den Tod des Königs zu verheimlichen, den Entschlafenen für lebendig auszugeben. Sie zeigt den geschminkten Leichnam dem Heere, hoch zu Roß, feierlich geschmückt, die zerfetzte Fahne in der Hand. Aber so ein König muß auch regieren. Regieren heißt versprechen. Die Dienerschaft teilt also freigebig im Namen des toten Königs Versprechungen und Anweisungen aus, unbekümmert darum, wer sie einlösen wird.

Eine sprachkritische Untersuchung der sogenannten Unsterblichkeitsfrage wäre beinahe mit einem Scherz abzutun. Mit dem gleichen Rechte, mit dem man die Seele unsterblich nennt, könnte man behaupten, die Teufel wären viereckig, die Engel wären ungefiedert. Weil aber solche oder ähnliche Behauptungen nicht nur aufgestellt, sondern sogar geglaubt worden sind, wird es doch gut sein, den Satz »die Menschenseele ist unsterblich« einmal genauer anzusehen. (Ich verweise auch auf mein »Wörterbuch der Philosophie« II, S. 502 ff.)

 

Seele

Das Ding, von dem da ausgesagt wird, daß es unsterblich sei, ist für die gegenwärtige Psychologie, die ohne Psyche auskommt, kein Ding mehr, keine Substanz mehr, oder wie man sonst das Subjekt bezeichnen mag, von welchem man die Sterblichkeit bejahen oder verneinen könnte. Das Wort »Seele« mit seiner kleinen Sippschaft mag in der Gemeinsprache noch hundert und mehr Jahre weiter leben, weil die Gemeinsprache allezeit sehr viele Reste der Religion und sonst veralteten »Wissens« mit sich führt; auch in der wissenschaftlichen Sprache ist das Wort »Seele« noch nicht zu vermeiden, weil es häufig eine überreiche Summe von Vorstellungen durch zwei kurze Silben wie in einer mathematischen Formel vertritt. Was man aber unter diesem Worte durch Jahrtausende verstand, das versteht man nicht mehr darunter; die Seele war einmal ein Stoff, dann eine Kraft, immer ein eigenes Wesen; sie ist uns nicht einmal ein Wesen mehr. Die Seele ist nur noch das Wort für eine »Funktion«. Ein undefinierbares schwankendes Wort für die Ursache der Erscheinungen, die wir ungenau und tautologisch auch unter dem Ausdrucke Seelenleben zusammenfassen. Wobei besonders zu beachten ist, daß eine bestimmte Grenzlinie zwischen Leben und Seele nicht gezogen werden kann; daß der in Frage stehende Satz »die Seele ist unsterblich« im Grenzfalle lauten müßte: »Das Einzelleben (das einzige also, wovon das Sterben ausgesagt werden kann) ist unsterblich.« Die materialistische Wissenschaft hofft immer noch, die Tatsachen des Lebens oder die Physiologie aus den Tatsachen der Physik ableiten zu können; sie hat aber nach einer fruchtlosen Arbeit von Jahrzehnten die Hoffnung aufgegeben, die Psychologie aus der Physiologie herleiten zu können. Unsere Sprache, natürlich auch die wissenschaftliche Sprache, ist immer sensualistisch, ist daher völlig ungeeignet, das Innenleben der sogenannten Seele oder des sogenannten Lebens auch nur zu beschreiben; ich will hier nicht darauf eingehen, daß die Sprache zuletzt auch für das Innenleben der physikalischen Tatsachen ebenso ungeeignet ist. Ich will nur sagen: wir haben keine Psychologie mehr, wir wollten uns denn auf eine Seelenlehre ohne Seelenbegriff beschränken. Und täten übrigens gut daran, anstatt »Seele« etwa »Geseel« zu sagen, nach beinahe schon zu kühner Analogie mit Gesicht oder Gehör, durch welche ursprünglich neuscholastischen Worte wir immerhin das Organ der Gesichts- und Gehöreindrücke bezeichnen. Und haben wir erst das bescheidenere Wort Geseel gebraucht, so entdecken wir sogleich, daß wir ein solches gemeinsames Organ gar nicht kennen. Es steht um die Psychologie wirklich schon so wie um die Theologie, ganz genau so; Wissenschaften von einer Kraft, die hier das Weltganze, dort das Seelenleben hervorgebracht hat, nur daß wir von dieser Kraft nichts wissen.

Ich habe (»Kritik der Sprache« 1², S. 608 ff. und 650 ff.) nachzuweisen versucht, daß auch das Bewußtsein und das Ichgefühl Täuschungen sind, Selbsttäuschungen des großen Zauberers und betrogenen Betrügers Gedächtnis; das Ich ist nicht mehr zu retten. Aber das Bewußtsein und das Ichgefühl sind noch vorstellbare Wirklichkeiten, wenn man sie mit dem Seelengespenste vergleicht, einem hohlen Wortschalle, an welchen die Theologie und eine gefügige Philosophie das Adjektiv »unsterblich« zu knüpfen pflegt.

Für den Materialisten wie für den ehrlichen Idealisten, für den Skeptiker wie für den gottlosen Mystiker ist »unsterblich« ein sinnleeres Wort, noch sinnleerer als das durch seine Abstraktheit gestützte Wort »unendlich«. Nur scheinbar läßt sich jedes Adjektiv durch Vorsetzung der Verneinung »un« in seinen Gegensatz verwandeln; bei »sterblich« z. B. läßt sich diese logische Änderung nicht ausführen. Das negative Adjektiv »unsterblich« schwebt im leeren Raum; wir kennen nichts, wovon wir es aussagen könnten. Man wollte es denn gegen den Sprachgebrauch so deuten, daß es die Anwendung des Todesbegriffs ausschlösse: der Stein ist unsterblich, d. h. er hat keine Beziehung zum Tode, d. h. er ist kein Organismus. In diesem Sinne könnte man am Ende einen logischen oder mathematischen Begriff (Integral, Funktion) zur Not unsterblich nennen: er habe keine Beziehung zu dem, was der Tod etwa ist. Doch auch diese Anwendungsmöglichkeit muß fortfallen, wenn man sich die sogenannte Seele, um nicht zu verstummen, als Integral oder als Funktion der Lebensdifferenziale vorstellig machen wollte; das Integral, die Funktion (die »Seele« ist ja eine »Funktion«) verschwindet mit allen anderen Lebenserscheinungen zugleich, und nur ein Narr könnte nachher von dem Integral oder der Funktion noch irgend etwas aussagen wollen: es ist uneckig, ungefiedert, unsterblich. Nur die Theologie ist nicht närrisch, wenn sie solche Sätze baut; wer seinen Vorteil wahrnimmt, ist niemals närrisch, nicht, wenn er lügt, nicht, wenn er sinnlos Worte aneinander reiht. Die Theologie hatte ein Interesse daran, die Leugner der Seelenunsterblichkeit als Atheisten zu verdammen und zu verfolgen.

So gewiß der gewöhnliche Grieche denjenigen für einen Frevler gehalten hätte, der an den Aufenthalt abgeschiedener Seelen im Hades nicht glaubte, der Inder den Leugner der Seelenwanderung, der alte Jude den Verächter der Scheol oder der Hölle; so gewiß galt in der ganzen christlichen Zeit für gottlos, wer an der persönlichen Fortdauer nach dem leiblichen Tode zweifelte. Wie aber überhaupt erst das zu einer Kirchenmacht organisierte Christentum den Dogmenzwang in die Welt gebracht hat, so spielt auch die Unsterblichkeit der Seele im abendländischen Denken des christlichen Zeitalters eine viel größere Rolle als in der antiken Welt und als im Orient. Der Glaube an die Auferstehung Christi setzt die Unsterblichkeit der Seele nur voraus; aber das apostolische Glaubensbekenntnis spricht ausdrücklich allgemein von »Auferstehung der Toten und dem Leben der künftigen Welt«, wenn auch merkwürdigerweise an dieser Stelle nicht wie vorher »ich glaube« ( credo) steht, sondern »ich erwarte« ( expecto). Man dürfte daraus den Schluß ziehen, daß der Glaube an die Auferstehung und an ein jenseitiges Leben nur als eine psychologische Tatsache erwähnt wird und nicht eigentlich zum Credo gehört; sicherlich aber versteht die Kirche diesen Glauben nicht so, sondern als eine Pflicht, als eine der Bedingungen der Seligkeit.

Da nun die übrigen Glaubensartikel um ihrer Wunderbarkeit und Einzigkeit willen für übervernünftig galten, wurden sie auf die Autorität der Bibel oder der Kirche angenommen, mußten gedeutet, brauchten aber nicht bewiesen zu werden; die Unsterblichkeit der Seele jedoch galt für ein Ergebnis des spekulativen Denkens ebenso wie das Dasein Gottes, und darum erfand man für die Unsterblichkeit der Seele nicht weniger zahlreiche Beweise wie für das Dasein Gottes. Man muß da zwischen der Fortdauer der Seele und der Auferstehung am Jüngsten Tage genau unterscheiden; die Auferstehung kann sich, da die unsterbliche Seele nicht erst wieder erweckt zu werden braucht, nur auf den Leib oder das Fleisch beziehen, und diese Vorstellung widerspricht unseren naturwissenschaftlichen Kenntnissen, die von einer Verteilung der Atome des verwesten Körpers in unzählige Pflanzen, Tiere und Menschen wissen, so durchaus, daß diese Auferstehung wieder nur als ein übervernünftiges Wunder angenommen werden konnte. Die Hypothese von Bonnet, ein Keim des irdischen Körpers hafte an der Seele und entwickle sich nach dem Tode zu einem neuen und vollkommeneren Leibe, war nur ein unglücklicher Versuch, den Glaubensartikel durch scheinwissenschaftliche Gründe zu stützen.

Die meisten Beweise für die Unsterblichkeit der Seele sind, wie die für das Dasein Gottes, Zirkelschlüsse oder gar nur tautologische Definitionen. Der teleologische Beweis, nach dem die Anlagen des kurzlebigen Menschen irgendwie und irgendwo zur Entwicklung kommen müßten, setzt die Möglichkeit einer Fortdauer und eine moralische Weltordnung mit ihrem Sollen und Müssen voraus, die dann wieder durch die Unsterblichkeit der Seele bewiesen wird. Ähnlich ist der theologische Beweis aus den Absichten Gottes. Der moralische Beweis aus einer notwendigen Ausgleichung der irdischen Ungerechtigkeiten setzt wieder eine moralische Weltordnung voraus. Der billige analogische Beweis schließt auf die Unsterblichkeit der Seele daraus, daß auch in der Natur aus dem Tode immer neues Leben entstehe, also aus einer naturwissenschaftlichen Überzeugung, die den Ungläubigen gegen die persönliche Fortdauer einnehmen kann. Der kosmische Beweis ist eine bloße Träumerei über den möglichen Aufenthaltsort der abgeschiedenen Seelen. Der sogenannte historische Beweis ist entweder eine Berufung auf die Bibel oder behauptet fälschlich, wie der entsprechende Gottesbeweis, die Allgemeinheit des Glaubens, wobei auf die Verschiedenheit der Vorstellungen und auf die Vieldeutigkeit der Sprachworte gar keine Rücksicht genommen wird. Der gemeinsame Zirkelschluß aller dieser Beweise ist darin versteckt, daß die Seele als eine geistige Substanz, also gottähnlich aufgefaßt und dann aus dieser Ähnlichkeit von Gott auf die Seele und von der Seele auf Gott geschlossen wird; auch darin steckt schon Tautologie, noch tiefer in dem Vertrauen darauf, daß den Worten »Seele« und »Unsterblichkeit« auch Sachen zu entsprechen haben, eine Substanz und ein accidens.

Eine bessere Form scheint der ontologische, metaphysische oder – richtiger – scholastische Beweis zu haben, der in seinem kürzesten Ausdrucke sagt: die Seele ist eine einfache und unkörperliche Substanz und kann darum nicht zerstört werden. Ich sehe in diesem Zusammenhange völlig von der gegenwärtig herrschenden Ansicht ab, die nicht weiß, was eine unkörperliche Substanz sein sollte, und die unter der Seele, wenn sie das Wort der Gemeinsprache gebraucht, eher die äußerst zusammengesetzte Gesamtheit von Äußerungen des Lebens und des Denkens versteht als ein einfaches Wesen. Aber auch vom Standpunkte der alten und neuen Scholastiker, die diesen Beweis vorbringen, wäre höchstens die negative Eigenschaft der Unzerstörbarkeit dargetan; alle positiven Eigenschaften der Seele, wie die Fortdauer und die Erinnerungsmöglichkeit des persönlichen Ich, werden unbedenklich aus dem Volksglauben hinzugefügt, sagen wir ehrlich: aus dem Glauben an Geister. Wenn nun auch dieser Beweis fortfällt, so bleibt für die Unsterblichkeit der Seele keine andere Grundlage übrig, als eine übervernünftige, man hielte sich denn an die psychologische Grundlage der im Menschenherzen vorhandenen Sehnsucht. Wie bei der Vorsehung. Genau genommen beruhen auch die Berufungen Kants auf die praktische Vernunft in einer solchen Sehnsucht. Wir hoffen auf eine Fortdauer nach dem Tode, wir erwarten sie, wie das Credo sagt.

Weil es nun um die Beweise für das Dasein Gottes ebenso steht, weil die nachkantische Zeit die Trüglichkeit aller anderen Gottesbeweise zugeben muß und den Gott nur noch als ein Postulat der praktischen Vernunft oder einer Sehnsucht auffassen kann, darum ist zwischen dem Dasein Gottes und der Unsterblichkeit der Seele eine noch engere Verbindung hergestellt; es gilt also heute noch mehr als in früheren Jahrhunderten der Satz, daß ein Zweifel an der Fortdauer der Persönlichkeit unmittelbar zum Atheismus führe. Wer das Dasein Gottes leugnet, der wird selbstverständlich auch den Nebenumstand leugnen, daß es eine gottähnliche unsterbliche Seele gäbe; wer nur die Sterblichkeit der Seele behauptet, könnte allerdings an den Gott irgendeiner einmal gewesenen Religion glauben, nicht aber an den Gott der abendländischen Vorstellungsmasse. Der Unsterblichkeitsglaube, der der Lehre von der Seelenwanderung zugrunde liegt, verträgt sich sehr gut mit dem atheistischen Buddhismus, aber weder mit unserem Naturwissen noch mit der abendländischen Verachtung der Tiere. Daß die unsterbliche Seele nach dem Tode ihres Leibes in Gott zurückkehre, ist eher pantheistisch als theistisch. Es ist darum eine Geschichtsfälschung oder richtiger: eine Selbsttäuschung, wenn christelnde Geschichtschreiber der Philosophie (fast alle) die antiken Denker danach in Böcke und Schafe einteilen, ob sie eine Fortdauer der Persönlichkeit nach dem Tode leugnen oder anerkennen.

Von den Griechen wurde die Frage der Unsterblichkeit der Seele vielfach erörtert, aber – wohlgemerkt – nicht eigentlich als eine religiöse Frage. Weil die Verteidiger der Unsterblichkeit immer wieder von unseren Theologen angeführt werden, die Leugner der Unsterblichkeit immer wieder von unseren Materialisten, darum kommt es so heraus, als ob z. B. Platon um solcher Sätze willen ein Theist, Lucretius um solcher Sätze willen ein Atheist zu nennen sei. Richtig ist nur, daß schon in so alter Zeit der Wortaberglaube die vorhandenen Begriffe oder Ideen: Gott, Unsterblichkeit usw. allesamt für Wirklichkeiten hielt, die Neigung zum Zweifel jedoch von der Wirklichkeit aller dieser Begriffe absehen lehrte. Durfte schon über das Dasein der Götter im allgemeinen – wenn man nur die Lokalgötter nicht lästerte – mit einer uns fremden Freiheit geschrieben werden, so war die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele – an dem Dasein von Seelen zweifelte niemand – vollends ein Gegenstand völlig ungehemmter philosophischer Untersuchungen. Dazu kommt, daß die Alten zu ihrem Glücke im schlimmsten Falle Sophisten waren, in keinem Falle Scholastiker oder gar christliche Scholastiker. Es machte ihnen nicht viel aus, ob die Seele eine körperliche oder eine unkörperliche Substanz ist. Den Stoikern z. B. war Gott ungefähr eine Weltseele, aber die Menschenseele war ihnen doch irgendein dünner Körper, ein spiritus; und wenn ein Teil Gottes ein dünner, luftförmiger Körper ist, so muß Gott selbst auch ein solcher Körper sein. Wie denn der billige Scherz, Gott sei ein luftförmiges Wirbeltier, zwar von den Theologen für blasphemisch erklärt wird, aber so ungefähr der Geistervorstellung des Volksglaubens entspricht, also der psychologischen Wirklichkeit der Religion. Platon darf also nicht verchristlicht werden um des einen Zuges willen, daß er begeistert von der Unsterblichkeit der Seele redete; es ist fast eine Äußerung der sogenannten historischen Gerechtigkeit, daß der Logiker Aristoteles zum eigentlich christlichen Philosophen gemacht wurde und daß der Ruhm Platons erst seit dem Anbrechen der antichristlichen Renaissance neu erglänzte; eine spätere Zeit wird Platon als den Begründer des verhängnisvollen Wortrealismus – Seele und Unsterblichkeit sind Prachtstücke des wortrealistischen Irrtums – gering achten und nur noch den Schriftsteller etwa bewundern.

Unklare Wortmacherei ist es, wenn Aristoteles in der Seele zwischen Leben und Geist unterscheidet, das Lebensprinzip sterben läßt, den Geist allein dauern; aber diese Unterscheidung hat bei vielen Stoikern nachgewirkt, während andere Stoiker, wie Epiktetos und der Kaiser Marcus Aurelius, die individuelle Unsterblichkeit leugnen. Ja diese gedankenlose Wortmacherei wird neuerdings von deutschen Darwinisten gern wiederholt, wie wenn Carneri ausdrücklich sagt: »Der Geist ist unzerstörbar wie die Materie; aber der einzelne Geist ist zerstörbar wie der einzelne Körper;« selbst bei Feuerbach finden sich, trotz der entschiedenen Leugnung einer unsterblichen Seele, so verschwommene Redensarten von der Ewigkeit des Geistes. Als ob der Geist etwas anderes wäre als ein Gesamtwort für Äußerungen des Innenlebens, als ob der Geist der substantivischen Welt angehörte und nicht einzig und allein der verbalen Welt.

Überhaupt liegt es in der Natur der Sprache, daß die Versuche, etwas Bestimmtes über die Unsterblichkeit der Seele durch spekulatives Denken auszumachen, in alter und neuer Zeit oft übereinstimmen. Nur wo das christliche Dogma einfach geglaubt wird, reißt der Faden der Tradition ab. Feuerbach erblickt in dem Glauben an die Unsterblichkeit nur den Ausdruck eines Wunsches; dasselbe sagt der heilige Thomas, nur daß er fromm hinzufügt, ein natürlicher Wunsch könne nicht eitel sein. Dazu kommt, daß die Überzeugung von der Sterblichkeit der Seele ebenso wie der Atheismus von vielen freien Denkern des Mittelalters und der folgenden Jahrhunderte vorsichtig verschwiegen wurde. Die Averroisten und auch die italienischen Alexandristen hatten zwar die individuelle Unsterblichkeit geleugnet und der Alexandrist Pomponatius wenigstens die Beweise für die Unsterblichkeit für ungenügend erklärt, aber Campanella, Bruno, Cardanus, sodann Descartes, Gassendi und Charron kehrten zum Dogma zurück, ob ehrlich oder nicht, ist im einzelnen Falle schwer zu entscheiden. Anders liegt der Fall bei Spinoza; bei ihm scheint der menschliche Geist insofern unsterblich zu sein, als er ein Teil des göttlichen Geistes ist; da aber Spinoza einen außerweltlichen und persönlichen Gott nicht kennt, wird er auch schwerlich an eine persönliche Fortdauer der Menschenseele gedacht haben.

Wie entschieden Hume die Unsterblichkeit leugnete, sehen wir an anderer Stelle. Mit weniger guten Gründen, aber mit der ganzen Kraft einer gottlosen Weltanschauung lehrten die französischen Materialisten (nicht in der Enzyklopädie) das gleichzeitige Sterben der Seele und des Leibes. Kant, wie wieder viel später ausführlich zu lesen, machte es mit der Unsterblichkeit der Seele wie mit dem Dasein Gottes: er ließ die alten Beweise durch die logische Vernunft aus dem Tempel hinauswerfen, bis auf einen, den er durch die praktische Vernunft wieder einführte. Und er sah ebensowenig wie die früheren Prediger des moralischen Beweises, daß wenigstens für die ausgleichende Gerechtigkeit oder für Lohn und Strafe ein Dutzend Seelenjahre nach dem leiblichen Tode genügen würden und die Ewigkeit in Lohn und Strafe eine Ungerechtigkeit wäre. Bei Schopenhauer ist die Unvergänglichkeit des Wesens durchaus nicht als eine persönliche Fortdauer zu verstehen. Für die Gegenwart kann man wohl sagen, daß die Verbreitung des Atheismus sich ungefähr mit der Verbreitung des Zweifels an der Unsterblichkeit deckt. Ohne Gott hat die Unsterblichkeit keinen Sinn, ohne Unsterblichkeit hat der Gottesbegriff keinen Zweck. An Stelle der rechtgläubigen oder der deistischen Theologie ist bei allen neuen Denkern, die nicht rückständig sind an Kopf oder Herz, die vergleichende Religionswissenschaft getreten, die das Entstehen und die Entwicklung religiöser Vorstellungen erforschen möchte; ebenso sind die Beweise für die Unsterblichkeit der Seele verdrängt worden durch die Frage nach der psychologischen Entstehung dieses Glaubens. Vom Standpunkte der Sprachkritik ist es – wie gesagt – ganz und gar verkehrt, auch nur den Begriff »Unsterblichkeit der Seele« zu fassen, also eine unbegreifliche Eigenschaft von etwas auszusagen, das niemals der substantivischen, sondern immer nur der verbalen Welt angehört. Der Sprachkritiker denkt gar nicht daran, den Satz, »die Seele des Menschen ist unsterblich« für falsch erklären zu wollen; er versteht ihn nur nicht, wie er auch den Satz »das Davonlaufen des Hasen ist rosenrot« durchaus nicht verstehen würde.

 

Geister

Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele ist aber aufs engste mit dem Glauben an das Vorhandensein sogenannter Geister verbunden; der alte Animismus steckt in beiden Vorstellungen, die von der subtilsten Form des Animismus, dem Gottglauben, nicht zu lösen sind. Denn der liebe Gott ist ein »Geist«. Wie derjenige, der die Vorsehung und das Vorkommen von Wundern nicht glaubte, nur eine Eigenschaft oder eine Wirkungsart des abendländischen Gottes zu leugnen schien, nicht aber geradezu sein Dasein, so stand es auch um die Denker, die an der Unsterblichkeit der Seele oder an dem Seelenbegriffe selbst Kritik übten; nur daß der Gegner der Vorsehung mehr in den Verdacht der Unchristlichkeit, der Gegner der Seele mehr in den Verdacht der Gottlosigkeit geriet. Wer sich nun aber gegen das Dasein von guten und bösen Geistern aussprach, wurde zwar, weil die Bibel von beiden voll war, für einen argen Ketzer gehalten, für einen Unchristen, für einen Adämonisten, aber ein Atheist brauchte er nicht gleich zu sein, solange er nur die erschaffenen Geister leugnete, nicht aber den unerschaffenen Geist, welcher Gott allein war. Kümmern wir uns aber nicht um solche scholastische Haarspaltereien, die sich im Kreise drehen müssen, weil der Begriff der Schöpfung den abendländischen Gottesbegriff schon voraussetzt, weil der unerschaffene Geist also bereits eine Erschleichung ist, so steht und fällt allerdings der Gottesglaube mit dem Geisterglauben. Gibt es keine Geister mehr, so gibt es eben die Gattung nicht, zu welcher das unvergleichliche Individuum Gott gehört.

Die neuere vergleichende, d. h. geschichtliche Religionskunde ist im Grunde darin einig, daß der Mensch durch seinen Geisterglauben zu seiner Gottesvorstellung gekommen sei. Der katholische Gelehrte, der solche Untersuchungen ablehnt und den Gottesbegriff auf eine Offenbarung zurückführt, scheint mir wieder einmal viel verständiger und folgerichtiger zu denken als der protestantische, der die Vielgötterei ganz modern aus dem Geisteraberglauben herleitet, nachher aber für den wahren Glauben an den einzigen Gott der Juden und Christen treulich die Offenbarung bemüht. Daß die vergleichende Religionswissenschaft verschiedene Ursprünge des Gottesbegriffs anzunehmen genötigt ist, darf uns weder überraschen noch irremachen. Sie unterscheidet zwar zwischen Fetischdienst, Seelendienst und Sternendienst als zwischen ungleichen Formen des ältesten Volksaberglaubens; wenn wir uns aber durch ungleiche Wörter also nicht täuschen lassen, werden wir sofort sehen, daß überall ein und derselbe Geisterglaube zugrunde liegt, der sogenannte Animismus. Ich brauche wohl nicht erst zu erwähnen, daß ich da berechtigt bin, die Wörter »Seele« und »Geist« als gleichbedeutend zu gebrauchen; ich darf daran erinnern (»Wörterbuch der Philosophie« I, S. 376), daß fromme Katholiken noch heutzutage der gleichen Meinung sind, wenn sie z. B. das merkwürdige Gebilde, das als Seele im Fegfeuer leidet, als Geist erscheinen lassen. Wenn die Seele »sich verzeigt«, wird sie zum Geist.

 

Animismus

Die Herkunft der Gottesvorstellung aus dem Geister- oder Seelenglauben wird von der Wissenschaft gelehrt, seitdem Tylor in seinem Buche » Primitive culture« (1871) das Schlagwort »Animismus« geprägt hat; schlecht geprägt, weil das Wort eher die Anschauung vermittelt, ein Seelisches sei das Prinzip des Lebens, die Seele baue sich den Körper auf, wie das seit den ältesten Zeiten von gottlosen und gottgläubigen Naturphilosophen immer wieder behauptet worden ist und auch nicht widerlegt werden kann, wenn man nicht etwa sprachkritisch den Seelenbegriff in Frage stellt und so nicht nur die Lösung, sondern die Problemstellung selbst ablehnt. Lippert hat für Animismus den besseren Ausdruck »Seelenkult« gebraucht.

Der Animismus oder der Seelenkult scheint vielen Frommen so gefährlich, daß sie gern wieder eine Uroffenbarung an seine Stelle setzen und selbst die Vielgötterei aus einer Entartung eines uroffenbarten Monotheismus erklären möchten; die Halben lassen nur die Vielgötterei aus dem Animismus entstehen und gründen den »wahren« Glauben auf Offenbarung. In Wahrheit unterscheidet sich meines Erachtens der Seelenkult der wilden Völker ganz und gar nicht von der Gemeinpsychologie und der Gemeinfrömmigkeit unserer hochgebildeten Zeit. In dem einen wie dem anderen Falle handelt es sich um die uralte und scheinbar unausrottbare Neigung des Menschen, seine Welt zweimal zu setzen, einmal als Erscheinung und noch einmal als Ding-an-sich, als Ursache oder wie man »Das hinter der Erscheinung« nennen mag. Man begnügt sich nicht mit den elektrischen Erscheinungen, man redet überdies noch von der Elektrizität; man begnügt sich nicht mit den Lebenserscheinungen, man redet überdies noch von einer Seele oder gebildeter vom Vitalismus. Wie der Hund Darwins, der einen vom Winde ( animus, πνευμα) bewegten Schirm für lebendig hielt und anbellte, wie das Kind die Ursache des Spiegelbildes hinter dem Spiegel sucht, so benahm sich der natürliche Mensch ähnlichen Erscheinungen gegenüber: beseelte alle Naturgegenstände, die er sich nach dem Stande seiner Kenntnisse nicht zu erklären vermochte. Heute glaubt man nur noch an ein Dutzend Naturkräfte, in alter Zeit sah man unzählige Kräfte oder Geister oder Seelen hinter Flüssen, Felsen, Bäumen und Tieren; heute glaubt nur noch der Pöbel mit den nekromantischen Spiritisten an die Erscheinungen abgeschiedener Menschenseelen, einst war dieser Glaube noch weiter verbreitet; heute ist der Ahnenkult zu einer symbolischen Macht abgeblaßt, einst war er als Penatendienst und Totemismus sehr lebendig. Eine feste Grenze zwischen Seelenkult und Götterglauben ist nicht zu ziehen. Die Geister hinter den Flüssen, Felsen, Bäumen und Tieren waren als Dämonen halbe oder dreiviertel Götter; auch die Geister der Ahnen waren als Heroen Halbgötter. Wir sagen so: Halbgötter und bilden uns etwas auf diese Unterscheidung ein; für die Gläubigen hatten aber diese Halbgötter recht viele von den Eigenschaften, die wir dem Gotte zuschreiben. Insbesondere die Dämonen sind von den christlichen Engeln und Teufeln kaum zu unterscheiden; und der berühmte Monotheismus hinderte die Christen nicht einmal, an das leibhaftige und wirksame Dasein der antiken Hauptgötter, nicht nur der Halbgötter, fest zu glauben und sie als böse Geister umgehen zu lassen. Der Gottglaube ist wirklich nur ein Spezialfall des allgemein verbreiteten Geisterglaubens, des sogenannten Animismus. An dieser Tatsache wird nicht viel geändert durch den Sprachgebrauch, der von dem Gotte als einem der Geister eher in philosophischen oder poetischen Schriften redet als in Äußerungen ungelehrter Frömmigkeit; der Grund mag darin liegen, daß der Begriff Gott zu hoch emporgeschraubt worden ist, der Begriff »Geister« durch tausendjährige Gespensterwirtschaft zu tief heruntergekommen, um eine Zusammenstellung der beiden Begriffe für den Theologen erfreulich zu machen.

Bringt man also die Beobachtungen, die Rudimente eines alten Seelenkults in so vielen Religionen nachgewiesen haben, in hergebrachter Weise auf eine Formel – etwa auf die: »der Animismus ist das Prinzip aller Religion« –, so liegt es auf der Hand, aus welchem Grunde ein Atheist genannt wurde und wird, wer die Geister leugnet. Wer das Prinzip verwerfe, der verwerfe auch seine höhere Form, hier also die Religion usw. Aber die Formel ist gar nicht so eindeutig, wie sie dem Wortaberglauben vorkommt. Zunächst müßte man sich darüber klar werden, ob man unter »Prinzip« den geschichtlichen Anfang oder nur den logischen Ausgangspunkt versteht. Sodann, und in beiden Fällen, dem der historischen und dem der begrifflichen Entwicklung, macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man in dem letzten Ergebnisse der Reihe, also in der gegenwärtigen Landesreligion des Fragers, eine tiefe Wahrheit oder eine neue Form des alten Aberglaubens erblickt, ob man fromm oder gottlos ist. Der Gottlose hält es für sein gutes Recht, alle Geister zu leugnen; und nur der Fromme erklärt es für ein Unrecht, dem Gottglauben durch Leugnung des geschichtlichen oder begrifflichen Anfangs den Boden zu entziehen; was freilich nicht erst zu beweisen war.

Die begriffliche Entwicklung der Religionen aus der Annahme einer selbständigen Seelensubstanz oder eines Geistes ist nun ebenso gewiß eine spätere und bewußte Gedankenarbeit wie die geschichtliche Entwicklung aus dem primitiven Seelenkult ein unbewußtes Wachsen und Werden gewesen sein mag. Ich neige also zu der Ansicht, daß der sogenannte Animismus wirklich die älteste Form jedes supranaturalistischen Glaubens oder Aberglaubens war; für das uralte Vorkommen des Animismus sprechen – um es ganz kurz zu sagen – die beiden Entdeckungen: daß die Menschensprache ihrem Wesen nach auf Metaphern beruht, also sicherlich zunächst auf Personifikationen, und daß auch das Tier (der Hund) nicht ganz frei ist von der religiösen Versuchung, die Ursache von Bewegungen zu personifizieren. Ich habe nur noch zu erklären, warum ich – wie vorhin angedeutet – auch die beiden anderen Hypothesen der Religionsbildung, den Sternenaberglauben und den Fetischaberglauben, für Erscheinungen halte, die dem Animismus verwandt sind.

 

Sternenkult

Der Sternenkult, der ohne Zweifel sehr alt ist, aber doch schon einige astronomische Beobachtungen voraussetzt, würde richtiger Sonnen- und Planetenkult heißen; denn die Beschäftigung mit den übrigen Sternen und mit den phantastischen Sternbildern kann erst später hinzugekommen sein, während das ehrfürchtige Staunen über die Regelmäßigkeit des Sonnensystems über uns, die einem Kant noch eine Andacht einflößte wie vor dem moralischen Gesetze in uns, sich schon in der Urzeit jedem Hirten und dann jedem Schiffer aufdrängen mußte. Die Entwicklung des Sternendienstes ging bald in zwei Richtungen auseinander; die menschliche Neigung zur Welterklärung mag eine Befriedigung darin gefunden haben, hinter der Ordnung des Sternenlaufs eine ordnende Hand zu erblicken, hinter dem Uhrwerk einen Uhrmacher, so daß man wohl sagen kann, die Einheitlichkeit der Himmelsordnung habe die Vorstellung von einer einheitlichen Leitung nahegelegt, den sogenannten Monotheismus; die andere menschliche Neigung, die zu Zauber- und Wunderwerken, mag die einzelnen Planeten mit mächtigen Geistern beseelt und so wiederum zu einem beschränkten Polytheismus und zu den wüsten Vorstellungen der Astrologie geführt haben. Wie dem auch sei: die Personifizierung einer Ursache der regelmäßigen Planetenbewegung fällt ebenso unter den Begriff des Animismus wie die Vorstellung, daß jeder der alten fünf oder sechs Planeten von einer besonderen Gottheit gelenkt werde. Der hübsche Aberglaube, daß hinter jedem Flusse, Felsen, Baume oder gefährlichen Tiere eine beseelte Macht stecke, konnte begreiflicherweise mit gesteigertem Verwundern auf die Sonne und die Planeten ausgedehnt werden. Es war gar kein Anlaß, diesen Sternendienst, den meines Wissens Dupuis zum erstenmal aufklärerisch zum Ursprung aller Religionen machte, dem Animismus ausschließend entgegenzustellen. Nur die Gewohnheit der Gelehrten, ihre eigene große oder kleine Entdeckung auf Kosten früherer Hypothesen zu überschätzen, machte die seit Beginn des 19. Jahrhunderts immer zahlreicheren Verteidiger der Astrolatrie zu Gegnern des Animismus; vielleicht auch darum, weil die Grundlage des Seelenkults leichter geleugnet werden konnte als die Grundlage des Sternenkults, weil also die Regelmäßigkeiten unseres Sonnensystems sich bequemer der Landesreligion anpassen ließen.

 

Fetischismus

Nicht ganz so einfach liegt die Verbindung mit dem Animismus bei der dritten unter den Hypothesen der Religionsbildung, dem Fetischismus. Auch dieser Ableitungsversuch wurde zunächst in aufklärerischer Absicht unternommen, nicht ohne böswillige Anspielungen auf den Katholizismus, um der Religion eine möglichst niedere Abkunft vorwerfen zu können. Der Fetisch schien unter den Göttern aller Völker und aller Zeiten der erbärmlichste zu sein: ein alter Spieß, eine elende Puppe, ein Kuhschwanz. Mit viel Gelehrsamkeit wurde das Altertum des Fetischdienstes zuerst von de Brosses nachgewiesen (1760); mit seiner ganzen erstaunlichen Gedankenbaukunst hat dann Auguste Comte den Stufengang vom Fetischismus durch den Polytheismus zum Monotheismus dargestellt; Lubbock ist ihm gefolgt und hat nur irgendeinen Atheismus (welchen?) an den Anfang anstatt an das Ende der Entwicklung gestellt. Und seitdem Hegel den Fetischismus die niedrigste Religionsform genannt hatte, fehlte es auch in Deutschland nicht an Kulturforschern, die den Fetischismus, und nichts den Animismus, zum Urphänomen der Religion machten. Dabei wurde immer der psychologische Vorgang übersehen, der den Gläubigen allein dazu bringen konnte, von dem alten Spieß, der Puppe oder dem Kuhschwanz eine erfreuliche Zauberwirkung zu erwarten. Eine Vergeistung oder Beseelung, kurz eine Vergottung des Dings muß vorausgegangen sein, bevor der arme Neger zu dem Ding als zu einem übernatürlichen Helfer betet; hat das Gebet keinen Erfolg gehabt und schmeißt der Neger nun das Ding beiseite, so hat der Neger nicht etwa seinen Gott verächtlich behandelt, sondern nur ein totes Ding, das die Probe auf Göttlichkeit nicht bestanden hat. So scheint mir der Neger mit seinem Fetisch nicht ganz so tief zu stehen wie etwa der italienische Räuber, von dem so oft erzählt worden ist, daß er das Heiligenbild, das ihm beim letzten Anschlage nicht geholfen hat, durchprügelt, es aber vor seiner nächsten Unternehmung wieder um Beistand bittet.

 

Geister

Die Aufklärung hatte bei der Bekämpfung des Geisterglaubens eine noch gefährlichere Aufgabe als bei der Bekämpfung der Unsterblichkeits- und Vorsehungslehre; das Wort »Geist« hatte in einem schwer entwirrbaren Bedeutungswandel das und jenes auszudrücken übernommen, der ursprüngliche Sinn aber, der einer belebenden Kraft, war niemals völlig verschwunden. Dazu kam der heimliche Materialismus, der sich nur schlecht hinter dem Supranaturalismus des Volksglaubens versteckte; mochten die Theologen noch so geschickt den Gott als einen reinen Geist definieren, die unverkünstelte Frömmigkeit stellte sich den großen Geist, der die Welt hervorgezaubert hatte, genau so sinnlich-übersinnlich vor wie die kleinen Geisterchen, die ihr Spukwesen auf der Erde trieben: so ungefähr als nicht grob körperliche, also als fein körperliche, luftförmige, schattenartige (der Schatten ist da ein Ding) Menschen oder Übermenschen, jedesfalls als menschenähnliche Verursacher von Geschehnissen, die nach dem ordentlichen Naturlauf nicht geschehen. Wer nun das Dasein von Geistern überhaupt leugnete, leugnete wirklich das Dasein des luftförmigen Zauberers, der die Ursache der Welt war. Genau genommen wurde das dadurch nicht anders, daß die Aufklärer das zweideutige Wort »Geist« zu meiden anfingen und »Gespenst« sagten, wenn sie die Erscheinungen abgeschiedener Seelen für Trugbilder erklären wollten. »Gespenst«, nur zufällig an »Hirngespinst« erinnernd, scheint eine alte Lehnübersetzung für Versuchung oder Verlockung des Teufels zu sein; von althochdeutsch » spanan« = locken, reizen. Aus der ersten Bedeutung der Beredung oder Versuchung entwickelte sich ganz natürlich die des Blendwerks oder Trugs. Wenn man also »Gespenst« sagte, so war mit der Bezeichnung zugleich auch schon der Unglaube an die Wirklichkeit der Erscheinung gegeben, wobei freilich die Frage offen blieb, mit welchen Mitteln der Teufel solche Trugbilder herstellte. Denn – und wer das nicht zugab, machte sich unbedingt wiederum des Atheismus verdächtig, nicht nur der Unchristlichkeit – der Teufel selbst war ein Geist und kein Gespenst, wurde sogar noch viel körperlicher vorgestellt als andere Geister.

Daher die ängstliche Scheu, mit welcher auch entschiedene Aufklärer der Leugnung der Geister aus dem Wege gingen. Der Geisterwahn war Zauberwahn. Der Teufel und seine Hexen waren Zauberer wie Gott und seine Engel; die Verbindung war eine so enge, daß auch die prächtigen Bekämpfer des Hexenwahns, von Weyer und Bekker bis Spee und Thomasius, es nicht wagten, den Teufel und seine Hexen für Gespenster, für Trugbilder einer schlechten Phantasie zu erklären. Wurden erst solche Geister zu Gespenstern, dann konnte die Reihe auch an Gott und seine Engel kommen.

Bei der Vorsicht, die von den meisten Aufklärern in der Ausdrucksweise geübt wurde, ist es schwer auszumachen, wer zu der Vernichtung des alten Geisterwahns das meiste beigetragen habe. Entschieden wurde der Sieg jedenfalls erst, in der öffentlichen Meinung wenigstens, durch die Ausbreitung des Materialismus oder Sensualismus im 18. Jahrhundert; dieses Verdienst soll dem harten Schädel des Materialismus nicht abgesprochen werden. Nur daß ein neuer Aberglaube an Stelle des alten trat, ein neues Dogma, nur daß also jetzt der »Stoff«, von dem wir nicht mehr wissen als vom Geiste, in alter Weise geisterte und zauberte; der widernatürlichen Zauberei wurde freilich ein Ende gemacht, doch die ganze Natur wurde darüber zu einem Gespenst.

Eine Lösung dieser Fragen konnte nur die Erkenntniskritik bringen, eigentlich erst die Sprachkritik. Der Geisterwahn war in vorwissenschaftlicher Zeit ganz von selbst entstanden und wurde in der Sprache der christlichen Scholastik zu einem System ausgearbeitet. Alle Geister wurden – Gott nicht ausgenommen – für immaterielle Substanzen erklärt, auf gut deutsch: für unkörperliche Körper. Nicht erst die eigentlichen Aufklärer, vielmehr schon die freien Denker Spinoza und Hobbes wiesen dieses Gerede zurück; Spinoza durch die immer noch scholastische, aber grundstürzende Annahme einer einzigen Substanz, Hobbes durch seinen überlegenen Spott über die unkörperliche Körperlichkeit.


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