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Achtzehntes Kapitel

An dem nämlichen Tage, dem 13. des Novembers, kam ein Eilbote bei dem Herrn Gerichtsvogt von Lecco an und überbrachte ihm eine Depesche von dem Herrn Stadthauptmann, die einen Befehl enthielt, jede mögliche und tunliche Nachforschung anzustellen, um zu ermitteln, ob ein gewisser junger Bursche, namens Lorenzo Tramaglino, Seidenspinner, den Händen praedicti egregii domini capitanei entronnen, palam vel clam nach seinem Dorfe, ignotum genau welches, verum in territorio Leuci, zurückgekehrt sei: quod si compertum fuerit sic esse, so soll der besagte Herr Gerichtsvogt dahin trachten, quanta maxime diligentia fieri poterit, ihn in seine Gewalt zu bekommen; ihn gehörig gefesselt, videlicet mit guten Handschellen, in Ansehung der an dem genannten Subjekt m probten Unzulänglichkeit der Manschetten, in das Gefängnis abführen zu lassen und daselbst in gutem Gewahrsam zu behalten, um ihn demjenigen auszuliefern, den man dazu abordnen werde, ihn in Empfang zu nehmen; und sowohl im Betretungs- als im Nichtbetretungsfalle accedatis ad domum praedicti Laurentii Tramaglini; et facta debita diligentia, quidquid ad rem repertum fuerit auferatis; et informationes de illius prava qualitate, vita et somplicibus, sumatis, sowie von allem Gesagten und Getanen Befund oder nicht Nichtbefund, Weggenommenem oder Gelassenem diligenter referatis.

Nachdem nun der Herr Gerichtsvogt sich nach Menschenmöglichkeit vergewissert, daß das Subjekt nicht wieder in sein Dorf zurückgekehrt sei, läßt er den Schulzen des Ortes zu sich kommen und begibt sich unter seiner Anführung mit einem großen Troß von Notar und Häschern nach dem bezeichneten Hause.

Das Haus ist verschlossen. Wer die Schlüssel hat, ist nicht da oder läßt sich nicht blicken. Die Schlösser werden losgemacht; man geht mit pflichtmäßiger Geschwindigkeit zu Werke, das heißt, man verfährt wie in einer mit Sturm genommenen Stadt. Das Gerücht von diesem gerichtlichen Unternehmen verbreitet sich unverzüglich in der ganzen Nachbarschaft, kommt dem Pater Cristoforo zu Ohren, der, nicht minder erstaunt wie betrübt, bei dem dritten und vierten nachfragt, um über die Veranlassung zu einer so unerwarteten Tatsache einiges Licht zu erhalten; aber er erfährt nichts anderes als leere Vermutungen und widersprechende Reden und schreibt sogleich an den Pater Bonaventura, von dem er irgendeine bestimmtere Nachricht erlangen zu können erwartet.

Währenddessen werden die Verwandten und Freunde Renzos vorgeladen, um auszusagen, was sie von seiner verderbten Sinnesart wissen können: Tramaglino zu heißen ist ein Unglück, eine Schmach, ein Verbrechen; das Dorf ist in Aufruhr.

Nach und nach bringt man heraus, daß Renzo mitten in Mailand der Gerechtigkeit entronnen und hernach verschwunden ist; man raunt sich zu, er habe etwas Schlimmes begangen; aber die Sache selbst weiß man nicht anzugeben oder gibt man auf hunderterlei Weise an. Je ärger sie gemacht wird, desto weniger wird sie im Dorfe geglaubt, wo Renzo als ein rechtschaffener Bursche bekannt ist; die meisten nehmen an und flüstern einander in die Ohren, daß es eine Anstiftung von dem gewalttätigen Don Rodrigo sei, um seinen armen Nebenbuhler zu verderben. So wahr ist es, daß, wenn man nach Folgerungen und ohne die erforderliche Kenntnis der Tatsachen urteilt, man mitunter sogar den Schurken großes Unrecht tut. Wir aber, mit den Tatsachen gewissermaßen in der Hand, können bezeugen, daß, wenn auch derselbe an Renzos Unglück keinen Anteil gehabt, er doch sein Wohlgefallen daran hatte, als ob es sein Werk gewesen wäre, und mit seinen Vertrauten, und insbesondere mit dem Grafen Attilio darob frohlockte.

Dieser hätte sich, seinen anfänglichen Absichten gemäß, jetzt schon in Mailand befinden sollen; aber auf die erste Kunde von den Unruhen, die daselbst entstanden, und davon, daß der Pöbel in ganz anderer Stellung als der, Stockschläge zu empfangen, einherziehe, hatte er für ratsam befunden, draußen bessere Zeitungen abzuwarten. Und dies zwar um so mehr, als er, da er viele beleidigt, einigen Grund zu fürchten hatte, es möge der eine oder andere derselben, die sich nur aus Ohnmacht ruhig verhielten, infolge der Umstände sich ein Herz fassen und die Gelegenheit benutzen, für alle Rache zu nehmen.

Diese Verzögerung war nicht von langer Dauer; der von Mailand eingelaufene Befehl zu dem gegen Renzo einzuleitenden Verfahren war schon ein Anzeichen dessen, daß die Dinge dort wieder ihren alten Gang genommen hatten; die ausdrücklichen Nachrichten, die fast zugleich eintrafen, machten dies zur Gewißheit.

Der Graf Attilio reiste auf der Stelle ab, indem er seinen Vetter ermunterte, in dem Unternehmen zu beharren, seinen festen Vorsatz durchzuführen und ihm versprach, seinerseits alsbald sich ans Werk zu machen, ihn von dem Mönche zu befreien; wobei der Glücksfall mit dem Lump von Nebenbuhler außerordentlich gut zustatten kam.

Attilio war kaum fort, so langte der Graue frisch und gesund von Monza an und hinterbrachte seinem Herrn, was er hatte auskundschaften können, daß Lucia in dem gewissen Kloster unter dem Schutze des gewissen Fräuleins eine Zuflucht gefunden und daselbst so verborgen lebe, als ob sie selber eine Nonne wäre, indem sie niemals einen Fuß über die Schwelle setze und dem kirchlichen Gottesdienste hinter einem vergitterten Fensterchen beiwohne, was gar vielen nicht gefiel, die wer weiß was alles von ihren Abenteuern hatten munkeln, von ihrem Gesichte Wunderdinge sagen hören, und nun gern gesehen hätten, was daran wäre.

Dieser Bericht trieb Don Rodrigo den Teufel in den Leib, oder besser zu sagen, machte denjenigen, den er schon darin seßhaft hatte, noch wilder. So viele seiner Absicht günstige Umstände entflammten nur desto mehr seine Leidenschaft: das Gemisch von Ehrfurcht, Grimm und Bosheit, woraus seine Leidenschaft zusammengesetzt war.

Renzo abwesend, entlaufen, verbannt, so daß gegen ihn alles erlaubt war, und auch seine Verlobte gewissermaßen wie das Eigentum eines Aufrührers behandelt werden konnte; der einzige Mensch auf der Welt, der sich ihrer annehmen und einen Lärm machen konnte und wollte, den man in der Ferne und in der Höhe vernommen haben würde, der wütige Mönch, sollte wahrscheinlicherweise gleichfalls binnen kurzem außerstande sein zu schaden. Und siehe, da mußte nun ein neues Hindernis alle jene Erleichterungen nicht sowohl aufwiegen als vielmehr, man kann sagen, nutzlos machen. Ein Kloster in Monza, und wenn selbst keine Prinzessin darin gewesen wäre, war für Don Rodrigos Zähne eine zu harte Nuß; und wie er auch immer in der Einbildung um jene Zufluchtstätte herumschwärmte, er konnte weder Mittel noch Wege erdenken, so wenig mit List wie mit Gewalt hineinzudringen.

Er war drauf und dran, von dem Unternehmen abzustehen, er wollte sich schon entschließen, nach Mailand zu gehen und einen Umweg zu nehmen, um nicht durch Monza zu kommen, und sich in Mailand mitten unter Freunde und in Zerstreuungen zu stürzen, um vermöge heiterer Umgebung den ihm nunmehr zur wahren Pein gewordenen Gedanken zu verscheuchen. Aber, aber, die Freunde, nur ein wenig behutsam mit diesen Freunden! Anstatt einer Zerstreuung konnte er gewärtig sein, in ihrer Gesellschaft einen unaufhörlichen Tadel und eine Erneuerung seines Schmerzes zu finden; denn Attilio hatte sicherlich schon in die Posaune gestoßen und sie alle erwartungsvoll gemacht. Von allen Seiten würde man ihm Nachricht von der Bergbewohnerin abverlangt haben; er hätte Auskunft erteilen müssen. Er hatte sie haben wollen, er hatte sie versucht; was hatte er erlangt? Er hatte eine Verpflichtung übernommen, eine ein wenig unrühmliche Verpflichtung, die Wahrheit zu sagen, aber, was da! man kann nicht immer seine Lüste zügeln; es handelt sich darum, sie zu befriedigen; und wie diese Verpflichtung lösen? Wie? Von einem Bauer und einem Mönche geschmäht! Hu! Und wenn schon ein unerwartetes gutes Glück halb den einen und ein gewandter Freund den anderen ohne Zutun des Gimpels beseitigt hatte, so hatte doch der Gimpel diese Vorteile nicht geltend zu machen gewußt und zog sich mit Schmach aus der Sache zurück. Er hätte danach unter Männern von Stande nimmer wieder das Auge aufgeschlagen, oder die Hand keinen Augenblick vom Schwertgriffe abziehen dürfen. Und dann, wie würde er haben nach dem Landsitze zurückkehren, oder wie daselbst, wie in der Gegend verweilen können, wo er, von den unablässigen und stechenden Erinnerungen der Leidenschaft abgesehen, die Schmach eines fehlgeschlagenen Streiches hätte erdulden müssen? wo auf einmal der allgemeine Haß zu- und der Ruf seines Ansehens abgenommen haben würde? wo er auf dem Angesichte jedweden Lumps, selbst mitten unter den Verneigungen, ein bitteres: »Hast du es hinuntergeschluckt; das freut mich,« hätte lesen können?

Der Weg der Ruchlosigkeit, sagt hier das Manuskript, ist breit; aber das will nicht auch sagen, daß er bequem sei; er hat seine gehörigen Anstöße und seine Drangsale; er ist auch seinerseits beschwerlich und ermüdend, obwohl er abwärts geht.

Don Rodrigo, der ihn weder verlassen, noch zurückgehen, noch stehen bleiben wollte und doch von selbst nicht vorwärtskommen konnte, fiel dennoch eben rechtzeitig eine Art und Weise ein, wie die Sache ausführbar werden möchte; und zwar war dies, zu seinem Genossen und zu seiner Hilfe einen gewissen Jemand zu nehmen, dessen Hände oft so weit reichten, als der Blick der anderen nicht trug, einen Menschen oder einen Teufel, dem gerade die Schwierigkeiten in Unternehmungen oftmals ein Reiz waren, sich damit zu befassen. Aber auch dieses Mittel hatte seine um so ernsteren Übelstände und seine Gefahren, je weniger sie sich gleich vorausberechnen ließen; denn es hätte niemand vorhersehen können, bis wie weit er gehen würde, nachdem er sich einmal mit diesem Manne eingelassen, der zwar gewiß ein mächtiger Bundesgenosse, aber nicht minder ein ungebundener, gefährlicher Führer war.

In solcherlei Gedanken schwankte Don Rodrigo mehrere Tage lang zwischen einem Ja und einem Nein, die beide ärger als lästig waren. Inzwischen lief ein Brief des Vetters ein, der ihn benachrichtigte, daß der heimliche Anschlag wohl eingeleitet sei. Bald nach dem Blitz erkrachte der Donner; das will sagen, eines Morgens verlautete, Pater Cristoforo habe das Kloster von Pescarenico verlassen.

Dieser so vollständige und rasche Erfolg, der Brief Attilios, der sehr ermutigte und scharfen Spott androhte, machten Don Rodrigo zu dem gefährlichen Entschlusse immer geneigter; was ihm den letzten Antrieb gab, war die unerwartete Neuigkeit, daß Agnes nach ihrem Hause zurückgekehrt sei; ein Hindernis weniger um Lucia.

Wir legen von diesen zwei Ereignissen Rechenschaft ab und beginnen mit dem letzteren.

Die beiden armen Frauen waren in ihrer Freistätte kaum untergebracht und zur Ruhe gekommen, als sich in Monza und infolgedessen auch im Kloster die Nachricht von der großen Verwirrung in Mailand verbreitete; und hinter der Nachricht drein eine unendliche Reihe von Einzelheiten, die alle Augenblicke zunahmen und sich veränderten.

Die Schaffnerin, deren Amt sie gerade inmitten zwischen Straße und Kloster stellte, hatte die Nachrichten von innen und außen, sammelte sie mit offenen Ohren ein und teilte sie ihren Gästen mit.

»Zwei, sechs, acht, vier, sieben haben sie eingesteckt; sie werden sie teilweise vor dem Krückenofen, teilweise am Eingange der Straße aufknüpfen, wo der Proviantverwalter wohnt ... Ei, ei, merkt einmal auf! Einer von Lecco oder aus der Gegend ist entsprungen. Den Namen weiß ich nicht; aber es wird einer kommen, der mir ihn wird sagen können, damit wir sehen, ob ihr ihn kennt.«

Bei dem Umstande, daß Renzo eben an dem verhängnisvollen Tage in Mailand angekommen war, machte diese Zeitung den Frauen und Lucia insbesondere einige Unruhe; aber wie ward ihnen, als die Schaffnerin kam, um ihnen zu sagen: »Der sich davongemacht hat, um sich nicht hängen zu lassen, ist eben aus euerem Dorfe, ein Seidenspinner. der sich Tramaglino nennt; kennt ihr ihn?«

Lucia, die da saß und irgendein Tüchelchen säumte, entfiel die Arbeit aus der Hand; sie erblich und veränderte sich dermaßen im Gesicht, daß die Schaffnerin sich dessen sicherlich würde versehen haben, wenn sie ihr näher gewesen wäre. Aber sie stand mit Agnes auf der Schwelle, die, zwar gleichfalls wenn auch nicht so betroffen, doch ihre Mienen beherrschte und sich zwang, zu erwidern, in einem kleinen Dörfchen kenne ja ein jedes alle, und sie kenne ihn auch, und könne darum schwerlich glauben, daß ihm so etwas begegnet, denn er sei ein stiller Mensch. Worauf sie fragte, ob er ganz gewiß entkommen sei, und wohin?

»Entkommen, das sagen sie alle; wohin, weiß man nicht; kann sein, daß sie ihn noch erwischen, kann sein, daß er geborgen ist; aber wenn sie ihn kriegen, euern stillen Menschen.«

Hier wurde zum guten Glück die Schaffnerin abgerufen und ging; man stelle sich vor, was aus der Mutter und der Tochter ward. Mehr als einen Tag lang mußten die arme Frau und das trostlose Mädchen in solcher Ungewißheit verbleiben, in der sie über die Ursachen, die Art und Weise, die Folgen des schmerzlichen Ereignisses nachgrübelten und eine jede für sich, oder heimlich, wenn sie es konnten, miteinander, jene entsetzlichen Worte sich auslegten.

Eines Donnerstags endlich kam ein Mann nach dem Kloster, der nach Agnes fragte. Es war ein Fischhändler aus Pescarenico, der gewohntermaßen nach Mailand ging, um seine Ware abzusetzen; und der gute Pater Cristoforo hatte ihn gebeten, wenn er durch Monza komme, möge er doch einmal im Kloster mit vorsprechen, die Frauen in seinem Namen grüßen, ihnen erzählen, was man von dem betrübten Handel Renzos wisse, und sie trösten, auf daß sie Geduld hätten und Gott vertrauten, er, der arme Mönch, werde sie gewiß nicht verlassen, und die Gelegenheiten abpassen, ihnen beizustehen, auch unterdessen nicht ermangeln, ihnen wöchentlich auf diesem oder einem ähnlichen Wege seine Nachrichten zukommenzulassen. In betreff Renzos wußte der Bote nichts Neues und Bestimmteres mitzuteilen, als etwa von der Haussuchung, die man bei ihm getan, und von den Nachforschungen, um seiner habhaft zu werden; wiewohl sie allesamt vergeblich geblieben, und man sicher wisse, daß er sich in das Bergamaskische gerettet.

Eine solche Gewißheit, das brauchte man eigentlich nicht erst zu sagen, war ein rechter Balsam für Luciens Schmerz; fortan flossen ihre Tränen leichter und sanfter; sie empfand einen größeren Trost in den geheimen Herzensergießungen mit der Mutter, und allen ihren Gebeten fand sich eine Danksagung beigemischt.

Gertrude ließ sie oft in ihr besonderes Sprechzimmer kommen und unterhielt sich zuweilen lange Zeit mit ihr, indem sie an der Aufrichtigkeit und Anmut der Ärmsten ihr Wohlgefallen hatte, um so mehr, da sie sich von ihr einmal über das andere danken und segnen hörte. Sie teilte ihr auch im Vertrauen einen Teil – den lauteren Teil – ihrer Geschichte mit, was sie gelitten hatte, um zu ihrem Leiden hierher zu kommen; und jenes erste argwöhnische Staunen Luciens wandelte sich in Mitleid um. Sie fand in dieser Geschichte mehr als zureichende Gründe, um sich dasjenige, was in dem Wesen ihrer Wohltäterin ein wenig absonderlich war, zu erklären; und zwar noch um so mehr mit Hilfe jener Lehre von Agnes über die Urteilskräfte der Herrschaften. Trotzdem jedoch, daß sie sich geneigt fühlte, das Vertrauen zu erwidern, welches Gertrude ihr bewies, hütete sie sich wohl, ihrer neuen Besorgnis, des neuen Unglücks gegen sie zu erwähnen, ihr zu sagen, was ihr der entsprungene Seidenspinner sei, um nicht Gefahr zu laufen, eine so schmerzensvolle und schmähliche Kunde zu verbreiten. Sie vermied auch, soviel sie es nur konnte, auf die neugierigen Fragen derselben nach der vorgängigen Geschichte der Verlobten zu antworten; doch widersprachen hier keine Klugheitsregeln. Es geschah, weil es der armen Unschuldigen vorkam, als ob diese Geschichte mißlicher, schwieriger als alle zu erzählen sei, die sie von dem Fräulein gehört hatte oder hören zu können glaubte. Darin kamen Unterdrückung, Hinterlist, Leiden, häßliche und trübselige Dinge vor, die sich aber doch nennen ließen; in der ihrigen war allenthalben ein Gefühl, ein Wort, das ihr, auf sie bezogen, unaussprechlich deuchte, und dem sie nimmermehr eine Umschreibung, die ihr nicht unverschämt geschienen, unterzulegen gefunden hätte: die Liebe!

Dann und wann war Gertrude versucht, über diese abschlägigen Antworten aufgebracht zu werden; aber es blickte eine solche Freundlichkeit, eine solche Ehrerbietung, so viele Erkenntlichkeit und auch so viel Vertrauen hindurch! Zuweilen vielleicht mißfiel ihr diese so zarte, so innige, so scheue Schamhaftigkeit mehr noch in einem anderen Betracht; aber alles verlor sich in dem Vergnügen eines Gedankens, der sich ihr alle Augenblicke erneuerte, indem sie Lucia betrachtete: – Dieser tue ich wohl. – Und es war die Wahrheit; denn außer der Zufluchtsstätte gereichten auch diese Zwiegespräche, diese vertraulichen Liebkosungen Lucia zu einigem Troste.

Einen anderen Trost fand sie im anhaltenden Arbeiten; und sie bat immer, daß man ihr etwas zu tun gäbe; sogar in das Sprechzimmer brachte sie immer irgendeine Arbeit mit, um die Hände beschäftigt zu haben; aber wie die trüben Gedanken sich allenthalben einschleichen! indem sie nähte, und nähte, eine Arbeit, mit der sie zuvor sich wenig abgegeben hatte, kam ihr einmal über das andere ihre Haspel in den Sinn; und nach der Haspel, wie vielerlei!

Am nächstfolgenden Donnerstage kam jener Bote oder ein anderer mit Grüßen und Ermunterungen vom Pater Cristoforo und mit abermaliger Bestätigung der Errettung Renzos wieder. Nähere Nachrichten über dessen Unfall keine; denn, wie wir dem Leser gesagt haben, der Kapuziner hatte sie von seinem Mitbruder in Mailand erhofft, dem er ihn empfohlen hatte; und dieser erwiderte, er habe weder Brief noch Person erblickt; ein Landmann sei allerdings an das Kloster gekommen und habe nach ihm gefragt; da er ihn aber nicht angetroffen, so sei er fortgegangen und nicht wieder erschienen.

Am dritten Donnerstage kam kein Bote; was für die Frauen nicht bloß die Entbehrung eines ersehnten und erhofften Trostes war, sondern, wie es bei dem geringsten Vorfalle dem geschieht, der betrübt oder belastet ist, ein Anlaß zur Unruhe, zu hundert schweren Besorgnissen wurde.

Schon vorher hatte Agnes im Sinne gehabt, einen Gang nach Hause zu gehen; der neue Umstand, daß sie den verheißenen Boten nicht ankommen sah, bewirkte, daß sie sich entschloß. Lucia deuchte es seltsam genug, von der Seite der getreuen Mutter getrennt zu werden; aber die Ungeduld, etwas zu erfahren und die Sicherheit, die sie in der so bewahrten und heiligen Freistätte fand, überwanden ihr Widerstreben. Und so wurde unter ihnen verabredet, daß Agnes des kommenden Tages sich aufmachen und auf der Straße den Fischhändler abwarten sollte, der auf der Heimkehr von Mailand hier vorüberkam und den sie dann bitten müßte, ihr unentgeltlich einen Platz auf dem Karren zu überlassen, um in ihre Berge zu fahren. Sie traf ihn in der Tat, fragte ihn, ob der Pater Cristoforo ihm keinen Auftrag an sie gegeben habe; der Fischhändler war den ganzen Tag vor der Abfahrt fischen gewesen und hatte weder Nachricht noch Botschaft vom Pater. Die Frau sprach ihn um Gefälligkeit an und erlangte sie ohne Bitten; sie nahm, nicht ohne Tränen, Abschied vom Fräulein und von der Tochter, indem sie versprach, gleich von sich hören zu lassen und bald zurückzukehren, und reiste ab.

Die Reise blieb ohne Abenteuer. Sie ruhten einen Teil der Nacht, wie es gewöhnlich war, in einem Wirtshause an der Straße aus; brachen vor Tagwerden wieder auf und erreichten Pescarenico bei guter Zeit.

Agnes stieg auf dem kleinen Platze vor dem Kloster aus, ließ ihren Fuhrmann unter vielen »Gott vergelt es Euch,« weiterziehen, und wollte doch, da sie einmal hier war, ehe sie heimginge, ihren guten Bruder Wohltäter sehen. Sie zog die Glocke; wer kam und aufmachte, war Bruder Galdino, der mit den Nüssen.

»Oh, Mütterchen, was für ein Ungefähr?«

»Ich suche Pater Cristoforo auf.«

»Pater Cristoforo? Der ist nicht da.«

»Ach! wird er lange ausbleiben?«

»Ja!« ... sagte der Bruder, die Achseln zuckend, daß das kahle Haupt in die Kapuze versank.

»Wo ist er hingegangen?«

»Nach Rimini.«

»Nach?«

»Nach Rimini.«

»Wo liegt das?«

»Eh, eh, eh!« versetzte der Bruder und durchschnitt mit der ausgestreckten Hand senkrecht die Luft, um eine große Entfernung anzudeuten.

»O weh mir! Aber warum ist er so plötzlich fortgegangen?«

»Weil es der Pater Provinzial so gewollt hat.«

»Und warum haben sie ihn fortgeschickt, ihn, der hier so viel Gutes tat? Ach, ich Arme!«

»Wenn die Oberen von den Befehlen, die sie geben, Rechenschaft ablegen sollten, wo bliebe da der Gehorsam, gute Frau?«

»Ja, aber das ist mein Verderben.«

»Wißt Ihr, was es sein wird? Es wird sein, daß sie in Rimini einen guten Prediger gebraucht haben. – Wir haben deren allerwärts, allein zuweilen muß es gerade der bestimmte Mann dazu sein; – der Pater Provinzial von dort wird dem Pater Provinzial dahier geschrieben haben, ob er nicht ein so und so beschaffenes Subjekt habe; und der Pater Provinzial wird gesagt haben: dazu paßt Pater Cristoforo! Wie man ja nun in Wahrheit sieht.«

»Ach, wir Armen! Wann ist er fortgegangen?«

»Vorgestern.«

»Da sehe eins; wenn ich meiner Eingebung gefolgt wäre, ein paar Tage früher zu kommen. Und weiß man nicht, wann er wiederkehren kann; nur so ungefähr?«

»Ei, gute Frau! das weiß der Pater Provinzial; wenn er selber es ja weiß. Wenn ein Pater Prediger von uns erst einmal ausgeflogen ist, so kann man nicht vorhersehen, auf welchem Zweige er zur Ruhe kommen kann. Sie holen ihn dahin, sie holen ihn dorthin; und wir haben Klöster in allen vier Weltteilen. Verlaßt Euch darauf, daß Pater Cristoforo mit seiner Fastenpredigt in Rimini großes Aufsehen machen wird; denn er predigt nicht immer aus dem Stegreife, wie er hier vor den Landleuten tut; für die Kanzeln in der Stadt hat er seine geschriebenen Predigten; und zwar die auserlesensten. Wenn sie an dem einen Orte einen großen Redner haben, so hören sie an dem anderen davon; und sie können ihn von ... von wannen weiß ich? verlangen. Und danach muß man ihn hergeben; denn wir leben vom Erbarmen aller Welt, und so ist es billig, daß wir aller Welt dienstbar sind.«

»Ach, der Jammer! ach, das Elend!« rief Agnes wiederholt, fast weinend, aus. »Was soll ich ohne den Mann anfangen? Er vertrat Vaterstelle an uns! Es ist unser Unglück.«

»Hört, Mutter, Pater Cristoforo war freilich ein Mann; aber wir haben auch andere noch, müßt Ihr wissen, voller Menschenliebe und Fähigkeit, und die da ebensogut mit dem Vornehmen wie mit dem Geringen umzugeben verstehen. Wollt Ihr den Pater Atanasio? Wollt Ihr den Pater Girolamo? Wollt Ihr den Pater Zaccaria? Er ist ein wackerer Mann, seht Ihr, der Pater Zaccaria. Und stoßt Euch nicht daran, wie manche Tröpfe, daß er so mager ist und eine so feine Stimme und ein so dünnes, dünnes Bärtchen hat; ich sage nicht, um zu predigen, denn es hat ein jeder seine Gaben; aber zum Ratgeben ist er der Mann, versteht Ihr mich?«

»Ach, heilige Geduld!« rief Agnes mit dem Gemisch von Dankbarkeit und Ärger aus, das man wohl über ein Anerbieten empfindet, worin mehr guter Wille als Angemessenheit liegt. »Was kümmert es mich, was für ein Mann ein anderer ist oder nicht ist, da es eben der arme Mann war, der nicht mehr hier ist, der um unsere Sachen wußte und schon alles angestellt hatte, wie er uns helfen wollte?«

»Alsdann müßt Ihr Euch in Geduld fassen.«

»Das weiß ich,« entgegnete Agnes; »verzeiht, daß ich Euch belästigt habe.«

»Nicht doch, gute Frau; es tut mir um Euretwillen leid. Und wenn Ihr Euch entschließt, irgendwen von unseren Vätern zu befragen, so ist das Kloster hier und weicht nicht von der Stelle. He, he, ich werde auch bald von wegen des Öleinsammelns mit vorkommen.«

»Bleibt gesund,« sagte Agnes und setzte sich verlassen, verwirrt, fassungslos wie etwa der arme Blinde, der seinen Stab verloren hat, nach ihrem Dörfchen zu in Bewegung.

Ein wenig besser als Fra Galdino unterrichtet, können wir nunmehr sagen, wie die Sache wirklich zugegangen war. Kaum in Mailand angelangt, begab sich Attilio, wie er Don Rodrigo versprochen hatte, zu ihrem gemeinsamen Oheim im Geheimen Rate, um ihm einen Besuch abzustatten. – Der Geheime Rat war ein dazumal aus dreizehn geistlichen und weltlichen Herren bestehendes Amt, das mit seinem Gutachten dem Statthalter zur Seite stand, und das, falls ein solcher starb oder gewechselt wurde, einstweilen die Herrschaft übernahm. – Der Graf-Oheim, ein geistlicher Herr und einer der Ältesten des Rates, genoß darin eines gewissen Ansehens; aber in der Art, wie er es geltend machte und nach außenhin wirken ließ, hatte er nicht seinesgleichen. Doppelsinnige Reden, ein vielsagendes Stillschweigen, ein Innehalten, ein Augenmachen, das soviel ausdrückte als: ich kann nicht reden, ein Schmeicheln ohne zuzusagen, ein zeremonielles Drohen, alles zielte darauf hin, und alles ließ er sich, mehr oder weniger, zum Vorteil gereichen. So sehr, daß selbst ein »ich vermag in der Sache nichts zu tun,« zuweilen der reinen Wahrheit gemäß gesagt, aber auf eine Art gesagt, daß man es ihm nicht glaubte, dazu diente, den Begriff von seiner Macht und also auch diese in Wirklichkeit zu erhöhen; gleichwie jene Büchsen, die man noch in einigen Apotheken sieht, worauf gewisse arabische Worte stehen und worin nichts ist, die aber doch dazu dienen, die Offizin in Ansehen zu erhalten. Das des gräflichen Oheims, das seit langer Zeit in kaum merklichem Grade beständig angewachsen war, hatte am Ende mit einmal, wie man sagt, einen Riesenschritt bei einer außerordentlichen Gelegenheit, einer Reise nach Madrid, mit einer Sendung an den Hof, gemacht, wo, man mußte es von ihm erzählen hören, was für eine Aufnahme ihm zuteil geworden war! Um nur soviel zu sagen, der Graf-Herzog war ihm mit einer besonderen Herablassung begegnet und hatte ihn seines Vertrauens insoweit gewürdigt, daß er eines Tages in Gegenwart, kann man sagen, des halben Hofes ihn gefragt, wie ihm Madrid gefalle, und ein andermal unter vier Augen in der Brüstung eines Fensters zu ihm gesagt, daß der Dom von Mailand der größte Tempel in den Reichen des Königs sei.

Nachdem er die eigenen schicklichen Höflichkeitsbezeigungen bei dem Graf-Oheim angebracht und ihm die des Vetters entboten hatte, sprach Attilio mit einer gewissen ernsten Haltung, die er zuzeiten anzunehmen wußte: »Ich glaube, meine Pflicht zu erfüllen, ohne Rodrigos Vertrauen zu mißbrauchen, wenn ich den Herrn Oheim von einer Sache unterrichte, die, wenn Sie nicht einschreiten, ernsthaft werden und Folgen nach sich ziehen kann ...«

»Irgendeiner von seinen Streichen, kann ich mir vorstellen?«

»Zur Ehre der Wahrheit muß ich sagen, daß das Unrecht nicht auf seiten Don Rodrigos ist; er ist aber entrüstet, und, wie ich sage, niemand anders als der Herr Oheim vermag ...«

»Laß hören, laß hören.«

»Es ist in der dortigen Gegend ein Bruder Kapuziner, der einen Haß auf meinen Vetter geworfen hat, und die Sache ist so weit gediehen, daß ...«

»Wie vielmal habe ich euch, dem einen wie dem anderen, nicht gesagt, daß man die Mönche ihr Eingebrocktes auch ausessen lassen muß? Sie machen denen schon genug zu schaffen, die mit ihnen verkehren müssen, ... mit ihnen in Berührung kommen ...« Und hier pustete er. »Ihr aber, die ihr sie vermeiden könnt ...«

»Herr Oheim, es ist hier meine Schuldigkeit, Ihnen zu sagen, daß Rodrigo ihn vermieden hätte, wenn es möglich gewesen wäre. Es ist der Mönch, der es auf ihn gemünzt, der es darauf angelegt hat, ihn auf alle Art und Weise herauszufordern.«

»Was, Teufel, hat denn der Mönch mit meinem Neffen?«

»Vor allem ist er ein unruhiger Kopf, als ein solcher bekannt, und der sich ein Gewerbe daraus macht, mit Edelleuten Händel zu suchen. Derselbe beschützt nun, leitet an, was weiß ich? eine schmucke dortige Bauerndirne; und hat für das Geschöpf eine Zärtlichkeit, eine Zärtlichkeit ... ich sage nicht gerade eine zweideutige, aber eine sehr eifersüchtige, sehr mißgünstige, sehr reizbare Zärtlichkeit.«

»Ich verstehe,« sagte der Graf-Oheim, und aus einem gewissen Untergrunde von Plumpheit, den die Natur in seinem von langjähriger Staatsklugheit nunmehr umschleierten und verdeckten Antlitz ausgedrückt hatte, blitzte ein Strahl von Arglist auf, der darin eine prächtige Aussicht eröffnete.

»Seit einiger Zeit nun,« fuhr Attilio fort, »hat dieser Mönch sich in den Kopf gesetzt, Rodrigo habe, wer weiß was für Absichten auf die ...«

»Hat es sich in den Kopf gesetzt, er hat es sich in den Kopf gesetzt; ich kenne ihn gleichfalls, den Herrn Don Rodrigo; und es muß ein anderer Anwalt als Ew. Gnaden kommen, um ihn in diesem Punkte weiß zu brennen.«

»Daß Rodrigo, Herr Oheim, etwa einmal einen Scherz mit der Kreatur gehabt haben kann, wenn er ihr irgend auf der Straße begegnet, möchte ich nicht abgeneigt sein zu glauben; er ist ein junger Mann und am Ende doch kein Kapuziner; aber das sind Kindereien, mit denen es nicht schicklich ist, den Herrn Oheim zu unterhalten. Worauf es hier ankommt, ist, daß der Mönch angefangen hat, von Rodrigo zu reden, wie man so von einem gemeinen Kerl spricht, daß er die ganze Gegend gegen ihn aufzuhetzen sucht ...«

»Und die anderen Mönche?«

»Bekümmern sich nicht darum, denn sie kennen ihn als einen Hitzkopf und hegen alle Achtung vor Rodrigo; aber auf der anderen Seite steht der Mönch in hohem Ansehen bei den Bauern, weil er nebenher auch den Heiligen spielt und ...«

»Ich denke, er weiß wohl nicht, daß Rodrigo mein Neffe ist ...«

»Ob er es weiß! Eben das macht ihn ja desto verteufelter.« –

»Wie? Was?«

»Weil er, und er sagt es selber frei heraus, eben deshalb, seine rechte Freude daran hat, es Rodrigo einzutränken, weil dieser einen natürlichen Beschützer von dem Gewicht Ihrer Gnaden hat; und weil er die Großen und die Politiker verlache, und weil der Strick des heiligen Franziskus auch die Degen gefesselt halte, und weil ...«

»Ei, über den vermessenen Mönch! Wie nennt er sich?«

»Bruder Cristoforo, aus ***,« sagte Attilio, und indem der Graf-Oheim aus einem Kästchen ein kleines Gedenkbuch zog, schrieb er, pustend und schnaufend, den Namen des Armen da hinein. Währenddessen fuhr Attilio fort: »Er ist zu jeder Zeit solchen Sinnes gewesen; man kennt seinen Lebenslauf. Er war ein Plebejer, der, da er ein paar Soldi im Besitztum hatte, es den Edelleuten seines Ortes gleichtun wollte, und aus Wut, daß er sie nicht alle in den Sack stecken konnte, einen ermordete; weshalb er, um dem Galgen zu entgehen, Mönch ward.«

»Ei, brav! ei, recht so! Wir werden sehen, wir werden sehen,« sagte der Graf-Oheim, immerfort pustend.

»Gegenwärtig denn nun,« fuhr Attilio fort, »ist er noch wütiger als sonst, weil ihm ein Anschlag zu Wasser geworden ist, der ihm sehr, sehr am Herzen lag, und hieraus wird der Herr Oheim entnehmen, was für ein Mensch es ist. Er wollte nämlich jene seine Kreatur, vielleicht um sie den Gefahren der Welt zu entheben, Sie verstehen mich, oder aus was für einem Grunde sonst, verheiraten, er wollte sie mit aller Gewalt verheiraten, und er hatte den ... den Mann dazu gefunden, eine andere Kreatur von ihm, ein Subjekt, das sicherlich auch der Herr Oheim dem Namen nach kennen wird, denn ich weiß für ganz gewiß, daß der Geheime Rat sich mit diesem würdigen Subjekte hat beschäftigen müssen.«

»Wer ist das?«

»Ein Seidenspinner, Lorenzo Tramaglino, eben der nämliche, welcher ...«

»Lorenzo Tramaglino!« brach der Graf-Oheim los. »Ei, schön, brav, Pater! Ganz gewiß ... in der Tat ... er hatte einen Brief an einen ... Schade, daß ... Aber es tut nichts; schon gut. Aber warum sagt mir der Herr Don Rodrigo nichts von alledem, warum läßt er die Sachen so weit kommen, wendet sich nicht an einen, der sich seiner annehmen und ihm helfen kann und will?«

»Ich will auch hierin die Wahrheit gestehen. Einerseits weil er weiß, wie viele Sorgen, wie viele Dinge der Herr Oheim im Kopfe hat ...« – Dieser legte schnaufend die Hand darauf, wie um die große Anstrengung anzudeuten, die es ihn koste, ihnen allen gerecht zu werden – »... hat er sich gleichsam ein Gewissen daraus gemacht,« fuhr Attilio fort, »demselben noch eine Sorge mehr aufzubürden. Und dann, um alles zu sagen, ist er, soviel ich habe wahrnehmen können, so in Harnisch, so außer Fassung über die Schmähungen des Mönches, ja ihrer so überdrüssig, daß er vielmehr Lust hat, sich auf irgendeine summarische Weise selbst Recht zu verschaffen als dasselbe auf dem geraden Wege von der Einsicht und dem Arme des Herrn Oheims zu erwarten. Ich habe gesucht, Wasser aufs Feuer zu gießen; aber da ich sah, daß die Sache eine üble Wendung nahm, habe ich dafür gehalten, daß es meine Schuldigkeit sei, den Herrn Oheim von allem in Kenntnis zu setzen, der doch am Ende das Haupt und die Stütze des Hauses ...«

»Du hättest besser getan, ein wenig früher zu reden.«

»Es ist wahr; aber ich war der Hoffnung, daß die Sache entweder von selbst sich lösen, oder der Mönch am Ende zu Verstande kommen, oder etwa einmal das Kloster verlassen würde, wie es ja mit den Mönchen zu geschehen pflegt, daß sie bald da, bald dort sind; und alsdann würde alles geschlichtet gewesen sein. Indessen ...«

»Ist es jetzt meine Sache, es wieder ins Gleis zu bringen.«

»Das habe ich auch gedacht. Ich habe zu mir gesagt: ›der Herr Oheim mit seiner klugen Vorsicht, mit seinem Einfluß wird schon ein Ärgernis abzuwenden und zu gleicher Zeit Don Rodrigos Ehre zu retten wissen, die doch auch die seinige ist. Dieser Mönch‹, sagte ich, ›hat sich immer was mit dem Strick des heiligen Franziskus; aber um ihn, den Strick des heiligen Franz, bei Gelegenheit zu benutzen, braucht man ihn eben nicht um den Bauch gegürtet zu tragen. Der Herr Oheim hat hunderterlei Mittel, die ich nicht kenne; ich weiß, daß der Pater Provinzial, wie es recht und billig ist, eine große Ehrfurcht vor ihm hegt, und wenn der Herr Oheim glaubt, daß es in diesem Falle die beste Auskunft wäre, dem Bruder so eine Veränderung der Luft zuteil werden zu lassen, so sind zwei Worte genug ...‹«

»Lasse Ew. Gnaden das bedenken, wem es zukommt,« sagte der Graf-Oheim scharf.

»Ach, es ist wahr!« rief Attilio, indem er den Kopf leicht schüttelte, mit einem Lächeln des Mitleids mit sich selbst. »Bin ich der Mann danach, dem Herrn Oheim Ratschläge zu erteilen! Aber es ist die Leidenschaft, die ich für den Ruhm der Familie hege, die mich zu reden verleitet. Und ich fürchte auch ein anderes Unrecht begangen zu haben,« fügte er mit bedenklicher Miene hinzu, »ich fürchte, daß ich Rodrigo in der Meinung des Herrn Oheims geschadet habe. Ich würde mich nicht zufrieden geben, wenn ich verschuldet, daß Sie dächten, Rodrigo hätte nicht all das Vertrauen zu Ihnen, alle die Unterwürfigkeit gegen Sie, die er haben sollte. Glauben Sie, Herr Oheim, daß er in diesem Falle gerade ...«

»Nicht doch, nicht doch; was will da einer von euch dem anderen schaden? Ihr werdet immer gute Freunde sein, so lange bis einmal einer sich gegen den anderen kehrt. Ihr ausgelassenes, liederliches Volk, immer müßt ihr etwas vorhaben, und ich soll es hernach wieder gutmachen. Ihr ... da hätte ich bald was Dummes gesagt, ihr macht mir mehr zu schaffen als ...«, und hier stelle man sich vor, wie er pustete, »als alle die v... vielgeliebten Staatsgeschäfte.«

Attilio brachte noch ein paar Entschuldigungen, ein paar Versprechungen, ein paar Schmeicheleien an, und darauf beurlaubte er sich und ging fort, von einem: »man sei vernünftig,« begleitet, mit welcher Formel der Graf-Oheim seine Neffen zu entlassen gewohnt war.


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